Österreichischer Zeitgeschichtetag 2016 Graz Stadtverwaltung und Parteiherrschaft im Nationalsozialismus am Beispiel der Stadt Salzburg Peter F. Kramml Die Neuordnung der Stadtverwaltung Salzburg nach dem „Führerprinzip“ Die Stadt Salzburg arbeitet seit dem Jahr 2008 im Rahmen des Projekts „Die Stadt Salzburg im Nationalsozialismus“ gemeinsam mit der Universität Salzburg diese nicht erforschte Periode ihrer Geschichte auf. Bislang konnten sechs Bände in der gleichnamigen Reihe vorgelegt werden. Insgesamt sind neun Bände konzipiert, die bis zum Projektende 2018 erscheinen werden. Im vergangenen Jahr wurde zum Themenkomplex „Stadtverwaltung und Kommunalpolitik“ das bislang umfangreichste Buch präsentiert. Ausgewählte Ergebnisse, die für Salzburg nun erstmals einen österreichweiten Vergleich ermöglichen, stellen wir heute vor. Aufgrund der schlechten Quellenlage war diese Periode der Stadtgeschichte bislang ein Forschungsdesiderat. In den letzten Jahren in Dienststellen gemachte Aktenfunde und vor allem die Auswertung der Personalakten ermöglichen nun konkrete Aussagen, so erstmals auch zum Ablauf der Neuordnung der Stadtverwaltung, worüber ich heute berichte, bevor in zwei Referaten das Verhältnis von Bürokratie und Parteienherrschaft in Salzburg generell und danach am konkreten Beispiel der Sozialpolitik dargestellt werden. Die Geschichte von Stadtpolitik und Verwaltung der Gauhauptstadt Salzburg gliedert sich in drei Perioden, die zum Teil auch mit personellen Veränderungen an der Führungsspitze in Verbindung stehen, 1) die Zeit von der „Machtübernahme“ bis zur Umsetzung der Deutschen Gemeindeordnung, 2) die Zeit von der Konstituierung der Gemeindeverwaltung bis zum Ende der Kriegseuphorie und 3) die Zeit von 1943 bis zum Kriegsende, die im Zeichen eines unumschränkten 1 Österreichischer Zeitgeschichtetag 2016 Graz Stadtverwaltung und Parteiherrschaft im Nationalsozialismus am Beispiel der Stadt Salzburg Weisungsrechtes des Gauleiters als „Reichsverteidigungskommissar“ stand. Lediglich in der ersten Phase, also dem Jahr 1938, können Versuche einer eigenständigen Kommunalpolitik und größere Handlungsspielräume konstatiert werden. Zentrale Figuren waren dabei zwei Magistratsbeamte, der illegale Gauleiterstellvertreter Anton Giger, der am Abend des 11. März 1938 mit zwei SA-Stürmen das Rathaus besetzte, und der Jurist Dr. Franz Lorenz, der 1934 nach Deutschland geflohen war und nunmehr als rechtskundiger Bürgermeister zurückkehrte. Er wurde zur zentralen Figur der Verwaltungsorganisation, während sich der Oberbürgermeister immer mehr Repräsentationsaufgaben zuwandte. Hinzu kamen der hauptamtliche Stadtkämmerer und ein ehrenamtlicher Baustadtrat. An der Spitze der Stadt stand damit eine Gruppe einheimischer illegaler Nationalsozialisten, die alle der Formation der SA angehörten, Weltkriegsteilnehmer und „Alte Herren“ deutschnationaler Studentenverbindungen gewesen waren. Sie begannen vom ersten Tag an mit dem Umbau der Stadtverwaltung und der Neubesetzung von Spitzenpositionen. Sofort wurden zwölf prononcierte Vertreter des Ständestaates des Dienstes enthoben. Zum Teil infolge von Denunziationen wurden gegen 32 Beamte Verfahren im Zuge der „Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums“ eingeleitet. 20 Zwangspensionierungen bzw. Entlassungen sind dokumentiert. Dies entspricht drei Prozent des Personalstandes, also in etwa wie in Linz bzw. deutlich weniger als in Wien. Im Gegenzug wurden entlassene Nationalsozialisten wiedereingestellt und sechs Beamte erhielten Wiedergutmachungsbeträge. Ohne bzw. nach Scheinausschreibungen wurden junge Nationalsozialisten, besonders Vertreter der SA, neu in Dienst genommen, rasch befördert 2 Österreichischer Zeitgeschichtetag 2016 Graz Stadtverwaltung und Parteiherrschaft im Nationalsozialismus am Beispiel der Stadt Salzburg bzw. pragmatisiert und bei „politischen Vorrückungen“ bevorzugt, bevor der von der Aufsichtsbehörde zu genehmigende Stellenplan dies unmöglich machte. Neben jungen „Kämpfern“, von denen vor allem Akademiker sehr rasch Karriere machen konnten, schafften es alte Opportunisten, zum Teil durch die vom Oberbürgermeister geförderte Vordatierung des Beitritts zur NSDAP, in Spitzenpositionen und auch zu höheren SA-Rängen. Die Stadtspitze bildete den Kern der Salzburger SA und stilisierte Salzburg zur „Geburtsstadt des Braunhemds“. Selbstbewusst versuchten die „Alten Kämpfer“ der SA als Gegenpol zur SS-dominierten Gauleitung zu fungieren. Der Magistrat war aber nicht, wie im „Ständestaat“ befürchtet, massiv von der NSDAP unterwandert. Lediglich rund 20 Beamte waren bereits vor dem Verbot 1933 der NSDAP beigetreten. Der Großteil der Beamtenschaft passte sich aber sehr rasch an und bildete einen kooperationsbereiten und loyalen Beamtenapparat, der die Funktionstüchtigkeit der Verwaltung bis zuletzt sicherstellte. Der Beamtenapparat wurde „gleichgeschaltet“, die Mitarbeiter durch Gefolgschaftsapelle indoktriniert und mit materiellen Vorteilen mobilisiert. Pflichtorganisationen für Beamte waren der Reichsbund Deutscher Beamter, für die Arbeiter die DAF, deren Betriebsführer der Oberbürgermeister war. Der Beitritt zur NSV wurde als Zeichen für politisches Wohlverhalten von allen „Gefolgschaftsmitgliedern“ erwartet. Viele Beamte, vor allem in höheren Positionen, suchten Anschluss an die NSDAP, zahlreiche Mitgliedsnummern im sog. Illegalenblock belegen, dass es gelang, Verdienste um die Partei in der „Kampfzeit“ glaubhaft zu machen. Alle Juristen stellten Aufnahmeanträge, einige wurden abgelehnt, so dass „lediglich“ 80 % der Akademiker Parteimitglieder waren. Auch fast alle Amtsleiter, zumeist B-Beamte, waren Mitglieder der Partei, 25 % davon auch der SA. Widerstand ist nur in wenigen Fällen, besonders bei Arbeitern städtischer Betriebe, 3 Österreichischer Zeitgeschichtetag 2016 Graz Stadtverwaltung und Parteiherrschaft im Nationalsozialismus am Beispiel der Stadt Salzburg dokumentiert. 1945 wurden rund 500 ehemalige Parteigenossen entlassen, darunter 47 % der Beamten, 31 % der Angestellten und 10 % der Arbeiterschaft, insgesamt knapp ein Viertel der rund 2.000 Magistratsmitarbeiter. Der Personalstand hatte sich durch die Einführung der Verwaltungsorganisation nach reichsdeutschem Vorbild verdreifacht, die Zahl der Ämter auf bis zu 23 erhöht. Zahlreiche kommunale Aufgaben waren neu hinzugekommen, wie das Standesamt und die Gesundheitsund Fürsorgeagenden, die kommunalisierte Feuerwehr oder die personalintensiven Kriegswirtschaftsämter. Auch die Eigenbetriebe mussten nach der DGO neu aufgestellt werden. Dies machte die völlige Neuorganisation der Verwaltung notwendig. 1938 wurde von der Stadtspitze ein gewaltiges Aufbauprogramm verkündet, dem jedoch jegliche finanzielle Bedeckung fehlte. Infrastrukturmaßnahmen und Wohnbauvorhaben wurden in Angriff genommen. Durch die 1939 vollzogene zweite Große Eingemeindung entstand „Groß-Salzburg“, dies fand auch in der Organisation der Stadtverwaltung der „Gauhauptstadt“ – bis hin in der Zahl der Ratsherren – einen Niederschlag. Die Kommunalpolitik war Teil der nationalsozialistischen Selbstinszenierung und Erneuerungspolitik, besonders der Stadtplanung wurde daher auch personell große Bedeutung beigemessen. Salzburg, der „Vorort“ der Führerresidenz am Obersalzberg, sollte zur Kulturmetropole ausgebaut und von „Führerbauten“ geprägt werden. Durch die Einreihung Salzburgs unter die „Neugestaltungsstädte“ wurde allerdings die Entscheidungsebene von der kommunalen Planungsbehörde auf Reichsebene gehoben und der Gauleiter zum obersten Verantwortlichen für sämtliche städtebaulichen Maßnahmen. Auch Visionen, Salzburg als moderne Touristenstadt auszubauen, mussten rasch militärischen Erwägungen weichen. Und über 4 Österreichischer Zeitgeschichtetag 2016 Graz Stadtverwaltung und Parteiherrschaft im Nationalsozialismus am Beispiel der Stadt Salzburg Prestigeobjekte, wie den Ausbau des nunmehrigen Landestheaters oder des Festspielhauses, entschieden übergeordnete Stellen. Handlungsspielräume waren gering, auch mediale Möglichkeiten, Kommunalpolitik zu artikulieren, wurden vom übermächtigen Gaupresseamt verhindert. Die Stadtspitze zeigte sich einerseits mehrfach vorauseilend, etwa wenn nach Juden benannte Straßen gleich nach dem Anschluss umbenannt und die Gewerbeberechtigung jüdischer Mitbürger sofort eingezogen wurden. Sie versuchte aber auch den Handlungsspielraum, etwa in Personalfragen, auszunutzen. Zwei jüdische „Mischlinge“ sowie ein durch ein rassisches Gutachten als „vorwiegend jüdisch“ eingestufter Akademiker wurden als benötigte Verwaltungsexperten entgegen Aufträgen des Gauleiters zunächst im Dienststand belassen. Schließlich mussten die zwei Stadtinspektoren aber in den Ruhestand versetzt und der Chemiker nach Weisung des Gaupersonalamts noch Ende 1943 entlassen werden. Mit der Umsetzung der Deutschen Gemeindeordnung im Jänner 1939 beginnt der zweite Zeitabschnitt. Das Stadtrecht wurde nach DGO durch eine „Hauptsatzung“ ersetzt. Die Gemeindeautonomie blieb nur als Floskel erhalten und das „Führerprinzip“ wurde auf die kommunale Ebene übertragen. Die Gemeindevertretung war zum Scheinparlament degradiert, der Oberbürgermeister zwar unumschränkter Führer der Stadtgemeinde, aber in wichtigen Entscheidungen an den Willen der Partei, vertreten durch den „Beauftragten der NSDAP“, gebunden. In Salzburg fungierte bei sämtlichen wichtigen Entscheidungen der Gauleiter selbst als „Beauftragter der NSDAP“, der Oberbürgermeister hatte seine Entscheidungen gemäß Führerprinzip uneingeschränkt umzusetzen. Der Gauleiter bestellte am 11. Januar 1939 die bislang kommissarischen Oberbürgermeister, Bürgermeister und Stadtkämmerer definitiv. Sie 5 Österreichischer Zeitgeschichtetag 2016 Graz Stadtverwaltung und Parteiherrschaft im Nationalsozialismus am Beispiel der Stadt Salzburg standen gemeinsam mit dem ehrenamtlichen Baustadtrat der in Dezernaten gegliederten Verwaltung vor und berieten in wöchentlichen Beigeordneten-Sitzungen die wichtigsten Entscheidungen. Sie alle waren Experten, lediglich für Oberbürgermeister Giger kann von einer erstklassigen Verwaltungskarriere bei zweitklassigen Voraussetzungen gesprochen werden. Der Bautechniker ohne Matura avancierte zum höchsten B-Beamten, erhielt die Berufsbezeichnung „Ingenieur“ und einen Offiziersrang der SA. Ebenfalls vom Gauleiter als Beauftragter der NSDAP ausgewählt wurden die 30 Ratsherren der Gauhauptstadt, Ehrenbeamte, deren Wirken auf die gemeindliche Selbstverwaltung beschränkt war. Sie hatten primär die Aufgabe, gesetzten Maßnahmen in der Bevölkerung Verständnis zu verschaffen. Fast alle Ratsherren blieben bis 1945 im Amt, obwohl bisweilen bis zu 18 von ihnen eingerückt waren. Lediglich vier Nachbesetzungen wurden durchgeführt. Die erstmals biografisch aufgearbeiteten Ratsherren zeigen das übliche Bild der Vertretung „Alter Kämpfer“ und verdienter Parteisoldaten. Zwei Gründungsmitglieder der NSDAP, Putschisten von 1934, WöllersdorfInternierte und Mitglieder der Österreichischen Legion waren vertreten, ebenso die Gliederungen der Partei, fünf Ortsgruppenobmänner und auffallend wenige Interessensvertreter aus der Wirtschaft. Anders als in Linz waren auch Handwerk und Arbeiterschaft, bis hin zu Gesellen und Hilfsarbeitern, repräsentiert. Der Akademikeranteil war verschwindend. Besondere Rücksicht genommen wurde auf die regionale Verteilung und die Zuständigkeit für Stadtteile. Mehr als die Hälfte der Ratsherren waren zum Teil hochrangige Mitglieder der SA, fast alle „gottgläubig“ und zwei Drittel unter 40 Jahren. Kommunale Erfahrung fehlte fast allen, angesichts der „Nullkompetenz“ der Ratsherren und von lediglich acht Sitzungen pro Jahr war diese wohl entbehrlich. 6 Österreichischer Zeitgeschichtetag 2016 Graz Stadtverwaltung und Parteiherrschaft im Nationalsozialismus am Beispiel der Stadt Salzburg Wie weit die Theorie der Deutschen Gemeindeordnung und die Realität auseinanderklafften, zeigen auch die zwölf eingerichteten Beiräte für bestimmte Verwaltungszweige, nach DGO dritte Säule der Gemeindeverwaltung. Die bestellten Beiräte wurden erst ab 1940 und nur selten einberufen. Der Stadtdirektor attestierte ihnen „vollständige Belanglosigkeit“. Der Gauleiter als Beauftragter der NSDAP griff in wichtige Entscheidungen ein, sei es in Personalfragen, bei Straßenbenennungen oder etwa auch bei der Vergabe des neu gestifteten Kulturpreises der Gauhauptstadt Salzburg, den er entgegen dem Vorschlag des Oberbürgermeisters und dem klaren Votum eines Expertenrates zweimal an seine Wunschkandidaten vergab. Vor allem nach dem Abgang von Gauleiter Rainer, der alten „Kampfgenossen“ wie Giger und Lorenz offensichtlich persönliche Achtung entgegenbrachte, nahm Gauleiter Dr. Scheel, ein hochrangiges SS-Mitglied, auf die Vorstellungen der Stadtspitze keinerlei Rücksicht mehr. Er wechselte seine Rolle je nach seinen machtpolitischen Vorhaben zwischen Gauleiter und Beauftragten der NSDAP, Reichsstatthalter als Aufsichtsbehörde, Beauftragter für die Neugestaltung der Gauhauptstadt oder aber Reichsverteidigungskommissar für den Reichsverteidigungsbezirk Salzburg. Ab Mai 1943 – und damit beginnt der dritte und letzte Abschnitt der Geschichte der „Gauhauptstadt“ – bot Scheel ein Korruptionsskandal eine zusätzliche rechtliche Handhabe, die SA-Spitze zu beseitigen und die Stadt nach DGO quasi unter Kuratel zu stellen. Der Leiter des Ernährungsamtes hatte in großen Mengen Lebensmittelmarken hinterzogen und wurde inhaftiert. Im Zuge der Erhebungen belastete er 7 Österreichischer Zeitgeschichtetag 2016 Graz Stadtverwaltung und Parteiherrschaft im Nationalsozialismus am Beispiel der Stadt Salzburg seinen direkten Vorgesetzten, den Bürgermeister, sowie andere Spitzen der Stadt und führende Beamte massiv. Der Gauleiter machte daraufhin vom schärfsten Mittel der Staatsaufsicht Gebrauch. Er enthob Dr. Lorenz seiner Dienstgeschäfte und setzte Regierungsrat Dr. Harald Lettner von der Behörde des Reichsstatthalters als Staatskommissar und kommissarischen rechtskundigen Bürgermeister ein, der sich auch die Leitung der Stadtdirektion vorbehielt und damit alle entscheidenden Funktionen in sich vereinigte. Zeitgleich wurde auch die Neuordnung der Stadtverwaltung im „totalen“ Krieg verkündet. Alle nichtkriegswichtigen Leistungen der Verwaltung wurden eingestellt und die 23 Ämter auf sechs Abteilungen abgespeckt. Ihnen standen aus Personalmangel zum Teil aus ideologischen Gründen zuvor abgelehnte Parteianwärter vor. Die Ratsherren sollten künftig nur mehr in Ausnahmefällen einberufen werden. Die Gerichtsverfahren gegen Bürgermeister und auch den Oberbürgermeister, der sich zeitweilig beurlauben ließ, zogen sich bis Februar 1944 hin. Beide wurden freigesprochen, der Leiter des Ernährungsamtes verurteilt und im März 1944 hingerichtet. Es folgten vom Gauleiter als Reichsstatthalter eingeleitete förmliche Dienststrafverfahren auf Beamtenebene gegen Oberbürgermeister, Bürgermeister und auch die beiden Stadträte, die erst im Mai 1944 eingestellt wurden. Der Gauleiter nützte diese Destabilisierung der Stadtspitze zur Realisierung mehrerer Vorhaben. Die städtischen Elektrizitätswerke wurden trotz stärksten Widerstandes aus Gründen der Reichsverteidigung mit jener des Reichsgaus zu einer Betriebsgemeinschaft zusammengefasst und das städtische Museum unter Berufung auf das Ostmarkgesetz in den Zweckverband „Salzburger Museum“ eingebracht. 8 Österreichischer Zeitgeschichtetag 2016 Graz Stadtverwaltung und Parteiherrschaft im Nationalsozialismus am Beispiel der Stadt Salzburg Mit der Einstellung sämtlicher Verfahren endete der Grund für die Einsetzung des Regierungskommissars. Da Bürgermeister Lorenz aber inzwischen eingerückt und in Kriegsgefangenschaft geraten war, wurde er weiter von Dr. Lettner vertreten. Dieser wurde nun durch Reformierung der Hauptsatzung zum neu eingeführten zweiten ehrenamtlichen Stadtrat, zum Stadtrechtsrat. Kurz darauf wurde er – entgegen der DGO und dem Widerstand des Gauleiters – zudem Stadtdirektor, also höchster Verwaltungsbeamter, – übrigens eine Position, die der Jurist, SA-ler und „Alte Herr“ einer schlagenden Verbindung 1962 – nun als Mitglied des BSA – erneut erhalten sollte. Die Aufgaben der Stadtverwaltung beschränkten sich in den letzten Monaten der NS-Herrschaft auf Kernaufgaben der Ver- und Entsorgung sowie den Luftschutz. Die Infrastruktur konnte weitgehend aufrechterhalten und Normalität suggeriert werden. Am 4. Mai 1945 wurde die Stadt kampflos den US-Streitkräften übergeben. Der Oberbürgermeister wählte den Freitod, seine „Gefolgschaft“ blieb weiterhin im Dienst. Die Beamtenschaft rechtfertigte sich damit, lediglich geltende Gesetze und Vorschriften eingehalten zu haben. Prononcierte Nationalsozialisten wurden vom Schreibtisch weg verhaftet, die Mehrzahl der ehemaligen „Parteigenossen“ Ende Mai 1945 formell entlassen. Viele kehrten nach Jahren in den Dienst zurück und erlangten wieder Spitzenpositionen, wie der ehemalige Bürgermeister, sein kommissarischer Nachfolger, die meisten Juristen und führende technische Bedienstete. Weder die eigenen Verstrickungen, noch die Rolle der Stadtverwaltung als Systemstabilisator wurden hinterfragt und die Teilhabe der Stadtgemeinde am NS-Unrechtsregime für Jahrzehnte verdrängt. 9