Typ-1-Diabetes und frühkindliche Ernährung

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wissenschaft & forschung | Begutachtetes Original
Eingereicht: 24. 4. 2008
Akzeptiert: 16. 5. 2008
Prospektive Studien zur Entwicklung des Typ-1-Diabetes zeigen, dass Inselzellautoimmunität schon früh im Leben der betroffenen Personen entsteht. Frühkindliche Ernährungseinflüsse könnten dabei als mögliche Auslöser des Autoimmunprozesses, aber auch als protektive Kräfte wirken. Da Ernährungsfaktoren
relativ leicht zu modifizieren sind, stellen sie potenziell eine einfache Möglichkeit
zur Primärprävention dar. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über frühkindliche Ernährungsfaktoren, die aktuell in Zusammenhang mit der Entstehung
von Inselzellautoimmunität diskutiert werden.
Typ-1-Diabetes
und frühkindliche Ernährung
PD Dr. med.
Michael Hummel
Institut für Diabetesforschung & Klinik für
Endokrinologie,
Diabetologie und
Suchtmedizin,
Klinikum Schwabing,
Städtisches Klinikum
München GmbH
Kölner Platz 1
80804 München
E-Mail: Michael.
[email protected]
474
Die Pathogenese des Typ-1-Diabetes
(T1D) ist bislang noch nicht ausreichend geklärt. Eine genetische Prädisposition konnte in zahlreichen Studien
belegt werden und eine Interaktion zwischen Genotyp und Umwelteinflüssen
gilt als sehr wahrscheinlich. Die entscheidenden Hinweise auf die Bedeutung der ersten Lebensjahre im Hinblick
auf die Initiierung des Destruktionsprozesses der Betazellen stammen aus prospektiven Untersuchungen zur Entwicklung des T1D. Sie zeigen, dass die dem
T1D vorangehende Inselzellautoimmunität schon früh im Leben der betroffenen Personen auftritt. Diese Ergebnisse
weisen daraufhin, dass vor allem Umweltfaktoren, die in den ersten zwei Lebensjahren eine Rolle spielen, ausschlaggebend für die Entwicklung von
Inselzellautoimmunität und T1D sind
[1–4].
Nahrungsantigene gehören zu den Umweltfaktoren, mit denen das noch unreife Immunsystem des Kindes bereits in
den ersten Lebensmonaten konfrontiert
wird. Somit kommen Ernährungsfaktoren sowohl als auslösende als auch als
protektive Faktoren des Autoimmunprozesses in Frage. Insbesondere Kuhmilch- und Weizenprotein werden seit
längerem als diabetogene Faktoren diskutiert. Im Tiermodell ließ sich zeigen,
dass eine Elimination dieser Proteine die
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Inzidenz des Autoimmundiabetes drastisch verändern kann [5]. Epidemiologische Daten unterstützen die These, dass
Ernährungsfaktoren wie Muttermilch,
Stilldauer und der Zeitpunkt der Einführung glutenhaltiger Beikost, aber
auch Vitamin D und Fischöl Einfluss auf
die T1D-Inzidenz bei genetisch prädisponierten Kindern haben [6–9]. Dieser
Artikel gibt eine Übersicht über die aktuell diskutierten Ernährungsfaktoren
mit Einfluss auf die Entstehung von Inselzellautoimmunität und T1D (쏆 Tabelle 1).
Bedeutung des Zeitpunkts
der Einführung und der Art
von Beikost
Die vorliegenden Studien zur Bedeutung des Zeitpunkts, an dem mit dem
Zufüttern von Beikost begonnen wird,
für die Entwicklung von Inselzellautoimmunität und T1D sind kontrovers. In
diesem Zusammenhang ist auch die Stilldauer von entscheidender Bedeutung,
da gestillte Kinder nicht nur Substanzen
aufnehmen, die das Immunsystem günstig beeinflussen, sondern auch erst zu
einem späteren Zeitpunkt Beikost erhalten, die möglicherweise nachteilig wirkende Bestandteile wie z. B. Kuhmilchoder Weizenprotein enthalten kann. Da
in den ersten Lebensmonaten die Permeabilität des Darms für Makromole-
Glossar:
Inselzellautoimmunität =
gegen die eigenen Inselzellen (Insulin produzierende Zellen in der
Bauchspeicheldrüse) gerichtete Immunreaktion
des Körpers, durch die
die Inselzellen nach und
nach zerstört werden
küle erhöht ist, kann es insbesondere
in diesem Zeitraum zur Sensibilisierung gegen Nahrungsbestandteile
kommen. Eine erhöhte Darmpermeabilität wurde auch bei T1D beschrieben. Diskutiert wird aber auch,
dass womöglich bestimmte Nahrungsbestandteile wie z. B. Gliadin,
eine Proteinfraktion des Glutens,
durch Entzündungsvorgänge an der
Dünndarmmucosa die Permeabilität
ungünstig beeinflussen und so den
Weg für ein anderes, potenziell schädigendes Agens bereiten.
Prospektive Daten zur Bedeutung des
Zeitpunkts der Einführung und der
Art von Beikost wurden in den letzten
Jahren publiziert. So untersuchten
NORRIS et al. [10] im Rahmen der
„Diabetes Autoimmunity Study in the
Young“ (DAISY) die Beziehung zwischen dem Zeitpunkt der erstmaligen
Getreidegabe in der Beikost von
Kindern und der Entwicklung von
Inselzellautoimmunität. In die Studie
wurden bei Geburt 1183 Kinder mit
genetischer Prädisposition für T1D
oder Verwandten ersten Grades mit
T1D eingeschlossen und bis zum
Alter von vier Jahren beobachtet. Ein
signifikant erhöhtes Risiko für Inselzellautoimmunität hatten Kinder, die
Getreide bereits vor dem vierten Lebensmonat zugefüttert bekamen.
Ebenfalls erhöht war das Risiko für Inselzellautoimmunität, wenn die Kin-
Auswirkung
in der
Fetalperiode
Muttermilch
Kuhmilch
Auswirkung
im Säuglings-/
Kindesalter
Studienart
–/0/+
FKS3, KS4
0/+
Fischöl
–/0
FKS, KS
–/0
FKS
0/+
KS
0/+
FKS
Nikotinamid
–/0
IS5
Vitamin C
–/0
FKS
Vitamin D
–/0
FKS, KS
Vitamin E
–
KS
–/0
FKS
Gluten2
Nitrat, Nitrit, Nitrosamine
Zink
+
–, 0, + symbolisieren jeweils den Effekt der diätetischen Maßnahme der zitierten Studien bezüglich der
Entstehung von Insel-AK oder T1D
–: signifikanter, inverser, protektiver Zusammenhang;
0: kein Zusammenhang;
+: signifikanter positiver, ursächlich krankheitsauslösender Zusammenhang;
1
Studien mit T1D als Endpunkt; 2Studien mit Insel-AK als Endpunkt; 3FKS, Fall-Kontroll-Studien
4
KS, Kohortenstudien; 5IS, Interventionsstudien
Tab. 1: Ernährungsfaktoren in der Ätiologie des T1D (Studienergebnisse
beim Menschen)1
der nach dem sechsten Lebensmonat
erstmals Getreide erhielten. Die Deutsche BABYDIAB Studie [9] untersucht prospektiv von Geburt an die
Entwicklung von Inselzellautoimmunität bei 1610 Kindern mit mindestens einem diabetischen Elternteil. In
der BABYDIAB Studie hatten Kinder,
die erstmals vor dem dritten Lebensmonat glutenhaltiges Getreide erhielten, ein signifikant höheres Risiko
Inselzellautoimmunität zu entwickeln
als Kinder, die zwischen dem dritten
und sechsten Lebensmonat glutenhaltiges Getreide gefüttert bekamen
(쏆 Abbildung 1). Im Gegensatz zu
den Daten der DAISY Studie lag jedoch bei einer ersten Glutenexposition nach dem sechsten Lebensmonat kein signifikant erhöhtes Risiko
vor. Endpunkt dieser Studien war „Inselzellautoimmunität“ und nicht die
Manifestation eines T1D. Das Auftreten multipler Insel-Autoantikörper
(Insel-AK) vor dem zweiten Lebensjahr ist aber in nahezu 100 % der
Fälle mit einer Diabetesmanifestation
vor der Pubertät assoziiert [2].
Glossar:
Agens = medizinisch wirksamer Stoff
silent = unauffällig/symptomlos verlaufend
Gluten – nicht nur bei
Zöliakie pathophysiologisch
bedeutsam?
Gluten ist das auslösende Antigen der
Zöliakie und wird auch als möglicher
Trigger von Inselzellautoimmunität
und T1D diskutiert [11]. Die Erkrankung Zöliakie tritt gehäuft sowohl bei
T1-Diabetikern als auch bei Kindern
von T1-Diabetikern auf, vor allem in
Form einer silenten Zöliakie, die häufig erst spät diagnostiziert wird. Die
Assoziation des T1D und der Zöliakie
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쑺
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Haplotyp =
individuell verschiedene
ererbte Ausprägung einer
Gensequenz an
einem der beiden Chromosomenstränge
HLA = auf der
Oberfläche
jeder Körperzelle haftende
individuell
spezifische Antigene
ist zum einen durch den gemeinsamen HLA-Haplotyp DR3/DQ2 bedingt, zum anderen werden vergleichbare pathogenetische Mechanismen, insbesondere eine Störung
der Immunregulation in der Mucosa,
angenommen. VENTURA et al. [12]
untersuchten bei Zöliakie-Patienten
die Prävalenz für weitere Autoimmunerkrankungen in Abhängigkeit von
der Dauer der Glutenexposition. Zöliakie-Patienten hatten ein signifikant
höheres Risiko (14 %) für weitere Autoimmunerkrankungen als gesunde
Kontrollpersonen (2,8 %). Dabei war
das Risiko innerhalb der Patientengruppe umso höher, je später die Zöliakie diagnostiziert wurde. Wurde die
Zöliakie vor dem zweiten Lebensjahr
diagnostiziert, lag die Prävalenz für
T1D bei 0,8 %, zwischen dem zweiten
und zehnten Lebensjahr bei 4,7 %
und nach dem zehnten Lebensjahr
bei 6,6 %. Aus diesen Untersuchungen wurde postuliert, dass durch die
frühzeitige Einhaltung der glutenfreien Ernährung die Neuentstehung
weiterer Autoimmunerkrankungen,
insbesondere auch von T1D, reduziert werden kann. Welche GetreideSubfraktion letztendlich für die Initiierung des diabetesspezifischen Autoimmunprozesses verantwortlich ist,
konnte bisher nicht geklärt werden.
Gegen das im Tiermodell relevante
Getreidespeicherprotein Glb1 konnte
auch beim Menschen eine starke Antikörper- und T-Zell-Antwort nachgewiesen werden.
Modulation der Getreideproteine
in der frühkindlichen Ernährung
– Primärpräventionsstudie
BABYDIÄT
Auf den oben dargestellten Ergebnissen der BABYDIAB Studie – frühzeitige Glutengabe erhöht das Risiko für
den Entstehung von Insel-AK – aufbauend wird seit 2001 in Deutschland
die BABYDIÄT Studie durchgeführt.
Mit der BABYDIÄT Studie wird versucht, durch verzögerte Glutenexposition, d. h. Elimination von Gluten
bis zum Ende des ersten Lebensjahres, die Entwicklung von Inselzellautoimmunität und T1D zu verzögern
oder sogar zu verhindern. Dazu werden Kinder, die nicht älter als drei Lebensmonate sind und Verwandte ersten Grades mit T1D haben, rekrutiert. Kinder der Interventionsgruppe
werden bis zum ersten Geburtstag
glutenfrei ernährt, Kinder der Kontrollgruppe erhalten gemäß der in
Deutschland gültigen Empfehlungen
zur Ernährung von Säuglingen (Nationale Stillkommission) glutenhaltige Beikost nach dem sechsten Lebensmonat.
25
< 3. Monat
p < 0.005
Insel-AK Frequenz (%)
Glossar:
20
15
10
> 6. Monat
5
3.–6. Monat
0
0
2
4
6
8
Alter (Jahre)
Abb.1: Entwicklung multipler Insel-Autoantikörper in Abhängigkeit vom
Zeitpunkt der ersten Gabe glutenhaltiger Beikost in der Deutschen BABYDIAB Studie (n = 1 610 Kinder) [9]
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Muttermilch und Stillen
In der Literatur wird ein möglicher
protektiver Effekt des Stillens gegenüber dem Auftreten von Erkrankungen wie Morbus Crohn, Colitis
ulcerosa, Zöliakie und T1D [7, 13]
beschrieben. Die Beziehung zwischen
Stilldauer und dem Auftreten von
Insel-AK wurde in vier Kohortenstudien untersucht. Die Deutsche BABYDIAB Studie zeigte keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Stilldauer und der Entwicklung von Inselzellautoimmunität in der frühen
Kindheit [9,14]. Damit übereinstimmende Ergebnisse lieferten die
DAISY Studie aus den USA [15] sowie
die Australische BABYDIAB Studie
[4]. Nur in der Finnischen DIPP Studie (Finnish Diabetes Prediction and
Prevention Study) war eine kürzere
Stilldauer bei genetisch prädisponierten Kindern mit einem signifikant erhöhten Risiko für Inselzellautoimmunität im Alter von vier Jahren
verbunden. Die ausschließliche Stilldauer war bei Kindern mit Insel-AK
im Median sechs Tage kürzer als bei
Kindern der Kontrollgruppe [16].
Allerdings spielt das Stillen auch hinsichtlich der Entwicklung von Übergewicht und Typ-2-Diabetes eine
Rolle. Aus diesem Grund analysierten
wir das Stillverhalten von Müttern mit
T1D [17]. Wir konnten zeigen, dass
Mütter mit T1D ihre Kinder signifikant seltener (77 % vs. 86 %) und für
kürzere Dauer stillen als gesunde
Mütter (volle Stilldauer: 12 Wochen
vs. 17 Wochen). Der Großteil der
Mütter mit T1D kann die nationalen
und internationalen Empfehlungen
zum Stillverhalten nicht einhalten.
Diese Beobachtung war auch nach
Stratifizierung für die bereits bekannten Einflussfaktoren des Stillverhaltens – Frühgeburt, junges Alter
der Mutter bei Entbindung, Erstgeborenes – gültig. Mütter mit T1D sollten folglich Unterstützung in einer
frühzeitigen und intensiven Stillberatung erhalten. Wir haben in unserem
Zentrum bereits eine Stillberatung
für schwangere Frauen mit T1D etabliert und können von einer großen
Nachfrage berichten.
Modulation des
Kuhmilchproteins in der
frühkindlichen Ernährung –
Primärpräventionsstudie
TRIGR
Die Rolle von Kuhmilchprotein für
die Entwicklung von Inselzellautoimmunität und Typ-1-Diabetes wird gegenwärtig im Rahmen der internationalen TRIGR (Trial to Reduce Diabetes in the Genetically at Risk)-Studie untersucht [18]. In die Studie
wurden Kinder mit erhöhtem genetischen Risiko für T1D eingeschlossen.
Dabei erhielten die Kinder der Interventionsgruppe nach dem Abstillen
bis zum sechsten Lebensmonat eine
spezielle Hydrolysatnahrung, die kein
intaktes Kuhmilchprotein mehr enthält. Die Kinder der Kontrollgruppe
wurden nach dem Abstillen mit einer
herkömmlichen Säuglingsmilchnahrung auf Kuhmilchbasis ernährt. Die
TRIGR-Studie ist eine internationale
Multizenterstudie mit 78 klinischen
Zentren in15 Ländern. Die Rekrutierungsphase ist bereits seit 2006 abgeschlossen.
min D-Supplementierung im ersten
Lebensjahr mit einem verminderten
Risiko verbunden ist, an T1D zu erkranken [19]. In welcher Form und
Dosierung Vitamin D supplementiert
wurde, ist in dieser Studie aber nicht
ausreichend genau erfragt worden. In
Finnland konnten HYPPÖNEN et al. [6]
zeigen, dass die T1D-Inzidenz bei Personen, die im ersten Lebensjahr regelmäßig mindestens 2000 IE Vitamin
D pro Tag zur Rachitis-Prophylaxe erhielten, signifikant niedriger war. Bei
regelmäßiger Supplementierung betrug das relative Risiko T1D zu entwickeln 0,1 (95 % KI 0,03-0,5) gegenüber denen, die kein Vitamin D
bekamen. In dieser Kohortenstudie
wurden 10 821 Kinder des Geburtenjahrgangs 1966 bis zum Alter von
einem Jahr nachverfolgt und die Regelmäßigkeit der Vitamin D-Einnahme protokolliert. Angaben über
Nebenwirkungen der hohen Vitamin
D Gaben (z. B. Nephrokalzinose, Hyperkalziämie) liegen aber nicht vor.
Allerdings ist der native Vitamin-D
Spiegel wegen der geringeren Sonneneinstrahlung in dieser Population
niedriger als bei Mitteleuropäern [6].
Vitamin D-Supplementierung scheint
somit nach Datenlage ein viel versprechender Ansatz zur Prävention
von Inselzellautoimmunität zu sein.
Die Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde empfiehlt derzeit eine
kontinuierliche Rachitisprophylaxe
im ersten Lebensjahr mit täglich 10–
12,5 µg (400–500 IE) Vitamin D. Unklar ist, ob diese Dosis bereits einen
protektiven Effekt bezüglich der Initiierung des Autoimmunprozesses besitzt.
Omega-3-Fettsäuren
Im Rahmen der amerikanischen Diabetes Autoimmunity Study in the
Young (DAISY) wurde der Frage
nachgegangen, ob die Zufuhr von
Omega-3-Fettsäuren über die Nahrung mit der Entstehung von Inselzellautoimmunität in der Kindheit
assoziiert ist [20]. Die Omega-3Fettsäuren Eicosapentaensäure und
Docosahexaensäure haben immunmodulierende Eigenschaften; die Zufuhr von Lebertran, der Omega-3Fettsäuren in Kombination mit Vitamin D enthält, wurde in skandinavi-
Vitamin D
als Immunmodulator
Aufgrund seiner immunmodulatorischen Wirkung wird die stoffwechselaktive Komponente des Vitamin D
(1,25-Dihydroxycholecalciferol = Kalzitriol) als protektiver Faktor für
Erkrankungen wie T1D, Multiple
Sklerose, rheumatoide Arthritis, entzündliche Darmerkrankungen, Morbus Addison, Morbus Basedow und
Hashimoto-Thyreoditis diskutiert.
SAGGESE et al. konnten zeigen, dass
Kalzitriol immunsuppressiv wirkt,
indem es in vitro die Proliferation humaner Lymphozyten unterdrückt
und die Zytokinproduktion beeinflusst. Die Identifizierung von Vitamin D-Rezeptoren auf nahezu allen
Zellen des Immunsystems, insbesondere auf antigenpräsentierenden Zellen und aktivierten T-Lymphozyten,
unterstützt die Hypothese von Kalzitriol als potenziellem Immunmodulator. Ergebnisse der Multizenterstudie
EURODIAB zeigten, dass eine Vita-
Volles Stillen 0,1–3 mo. BABYDIAB
Kuhmilch < 3 mo. DIPP
Kuhmilch < 1 mo. DAISY
Kuhmilch < 3 mo. BABYDIAB
Früchte und Beeren < 3,5 mo. DIPP
Getreide < 3 mo. DAISY
Gluten < 3 mo. BABYDIAB
Mütterlich Vit D Aufnahme
0,12 0,25 0,5
0
2
Hazards Ratio
4
8
Abb. 2: Ergebnisse prospektiver Studien bei Kindern mit erhöhtem
Typ-1-Diabetes-Risiko: Ernährungsfaktoren, die während der
Schwangerschaft und frühen Kindheit in der Pathogenese des
Typ-1-Diabetes eine Rolle spielen.
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schen Ländern mit einem geringeren
Auftreten von T1D in Verbindung gebracht. In DAISY werden Kinder von
Geburt an nachuntersucht, die ein erhöhtes T1D Risiko haben, weil sie
einen erstgradigen Verwandten mit
Diabetes haben oder weil sie HLARisikogene tragen, die mit T1D assoziiert sind. 1 770 Kinder bzw. deren
Eltern erhielten ab dem ersten Lebensjahr einen „Food Frequency
Questionnaire“, um den Verzehr von
Omega-3-Fettsäuren zu evaluieren.
Bei 244 Kindern wurde zusätzlich die
Fettsäurezusammensetzung der Erythrozytenmembran als Biomarker für
den Omega-3-Fettsäurestatus untersucht. Die Auswertung dieser Analysen zeigte, dass eine erhöhte Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren in
den ersten Lebensjahren das Risiko
für die Entwicklung von Inselzellautoimmunität senkt. Dieser Zusammenhang wurde noch deutlicher,
wenn nur die Kinder betrachtet wurden, die mehrere Inselautoantikörper
entwickelt hatten. Ebenso war im
Rahmen der Fall-Kontroll-Studie ein
höherer Gehalt an Omega-3-Fettsäuren in den Erythrozytenmembranen mit einem verminderten Risiko
für Inselzellautoimmunität verbunden. Somit lassen diese Ergebnisse
vermuten, dass eine vermehrte Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren während der Kindheit das Risiko für die
Entwicklung von Inselzellautoimmunität senken könnte.
Nitrat und Nitrit
Nitrat kann in Nahrungsmitteln und
im Gastrointestinaltrakt zu Nitrit
reduziert werden und weiter mit
Aminen zu toxischen Nitrosaminen
reagieren. In der Ernährung von Kindern im ersten Lebensjahr spielt vor
allem die Aufnahme von Nitrat über
das Trinkwasser – für die Zubereitung
von Säuglingsformula oder Tee – aber
auch über Gemüse und Kartoffeln
eine Rolle. N-Nitroso-Verbindungen
hatten im Tierexperiment toxische
Effekte an den Betazellen. Ferner
wird angenommen, dass Nitrosamine
den diabetogenen Effekt bestimmter
Viren verstärken. Auch epidemiologi-
478
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sche Studien weisen auf einen Zusammenhang zwischen Nitrat- und
Nitrit-Aufnahme und der T1D-Inzidenz hin [21–23]. In einer schwedischen Fall-Kontroll-Studie mit 867
Kindern war die Aufnahme von Nahrungsmitteln, die große Mengen Nitrat und Nitrit bzw. Nitrosamine enthalten, mit einem erhöhten Risiko für
T1D assoziiert [22]. Dieses Ergebnis
konnte eine in Australien durchgeführte Studie nicht belegen. Kinder,
die größere Mengen nitrosaminreicher Nahrungsmittel verzehrten, hatten kein erhöhtes Risiko an T1D zu
erkranken [24]. Dagegen konnte nur
eine schwache positive Korrelation
zwischen dem Nitratgehalt von Trinkwasser und der T1D-Inzidenz in einer
Studie aus Colorado gesehen werden.
In die Berechnung gingen insgesamt
1280 Kinder unter 18 Jahren ein,
die zwischen 1978 und 1988 an T1D
erkrankt sind [23].
Ausblick – Empfehlungen
für die frühkindliche
Ernährung
Da es bislang keine ausreichend gesicherten Daten gibt, können aus der
gegenwärtigen Studienlage noch
keine speziellen Empfehlungen für
die Ernährung von Säuglingen mit erhöhtem T1D-Risiko abgeleitet werden. Eine Modifikation der Ernährung zur Primärprävention des T1D
sollte nur im Rahmen von Studien
mit regelmäßigen Kontrolluntersuchungen durchgeführt werden. Erst
wenn als gesichert geltende Ergebnisse vorliegen und die Ernährungsfaktoren identifiziert sind, die eindeutig mit einem Risiko für oder
einem Schutz vor T1D in Zusammenhang stehen, ist es möglich spezielle
Empfehlungen für die frühkindliche
Ernährung zu formulieren. Bis dahin
wird gemäß der Empfehlungen für
die Ernährung von Säuglingen dazu
geraten, Kinder in den ersten vier bis
sechs Monaten ausschließlich zu stillen und Beikost erst im Alter von fünf
bis sieben Monaten einzuführen.
Wichtiges Ziel zukünftiger Studien ist
es, Ernährungsfaktoren zu identifizieren, die eindeutig mit einem Ri-
siko für oder einem Schutz vor T1D
in Zusammenhang stehen. Da Ernährungsfaktoren relativ leicht zu modifizieren sind, stellen sie gegebenenfalls eine einfache Möglichkeit zur
Primärprävention des T1D dar.
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Zusammenfassung
Prospektive Studien zur Entwicklung des Typ-1-Diabetes
zeigen, dass Inselzellautoimmunität schon früh im Leben
der betroffenen Person auftritt. Daher werden frühkindliche Ernährungsfaktoren als mögliche Auslöser des Autoimmunprozesses, aber auch als protektive Faktoren
diskutiert. Kohortenstudien zeigen, dass Kinder, die vor
dem vierten Lebensmonat glutenhaltige Getreideprodukte
erhielten, ein höheres Risiko hatten Insel-Autoantikörper
zu entwickeln. Hingegen konnte keine Beziehung zwischen der frühen Gabe von Kuhmilchprotein bzw. einer
kurzen Stilldauer und dem Auftreten von Insel-Autoantikörpern gefunden werden. Vitamin D- und Fischöl-Supplemente werden als protektive Faktoren diskutiert.
Interventionsstudien untersuchen den präventiven Effekt
einer modifizierten Ernährung für Säuglinge mit genetischer Prädisposition für Typ-1-Diabetes. Wichtiges Ziel
zukünftiger Studien ist es, Ernährungsfaktoren zu identifizieren, die eindeutig mit einem Risiko für oder einem
Schutz vor Typ-1-Diabetes in Zusammenhang stehen. Da
Ernährungsfaktoren relativ leicht zu modifizieren sind,
stellen sie potenziell eine einfache Möglichkeit zur Primärprävention dar.
Summary
Type 1 diabetes and nutrition in early infancy
Michael Hummel, München
Studies of the development of type 1 diabetes have shown
that islet autoimmunity appears early in life in subjects
who develop diabetes during childhood or adolescence.
Infant diet is discussed as potential trigger as well as protective factor in the course of beta-cell destruction. Cohort studies have shown that the intake of gluten
containing cereals before the age of four months is significantly associated with an increased risk for islet autoantibodies. Prospective studies in children at high risk for
type 1 diabetes from birth have shown that neither early
introduction of cow`s milk proteins nor short breast feeding are risk factors for the development of islet autoimmunity. Vitamin D or cod liver oil supplements during the
first year of life may be protective. At present, intervention
studies deal with the effect of a modified diet in infants genetically at risk for type 1 diabetes. It is important to define
protective and predisposing effects of the early infant diet
on the development of islet autoimmunity, as early feeding
may potentially be modified to minimize the risk of future
type 1 diabetes.
Keywords: Diabetes mellitus type 1, infant formula,
gluten, fetal programming, breast-feed.
Ernährungs Umschau 55 (2008) S. 474–479
Ernährungs Umschau | 8/08
쎱
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