Westfalen-Blatt Nr. 263 LOKALES HERFORD F21 Mittwoch, 13. November 2013 Ernst Ferdinand Harten fiel in der Nacht vom 3. auf den 4. November 1813. Dies ist der Inschrift zu entnehmen. Sein Grabmal (vorne) befindet sich auf dem Alten Friedhof an der Eisgrabenstraße. Fotos (2): Horstmann Nach sieben französischen Jahren war Schluss Im November 1813 wurde Herford wieder preußisch – Kaufmann Ernst Ferdinand Harten starb bei Schießerei Von Jana B u d e k H e r f o r d (HK). Turbulente Tage haben die Herforder vor 200 Jahren erlebt. Nach sieben Jahren unter französischer Herrschaft wurde die Stadt wieder preußisch. Am 13. November des Jahres 1813 jubelten die Herforder dem preußischen General von Bülow zu, der feierlich auf dem Alten Markt begrüßt wurde. Sieben Jahre zuvor waren am 11. November 1806 napoleonische Truppen in Herford eingerückt. Das napoleonische Reich wurde nach dem Friedensvertrag mit Preußen und seiner Abtretung aller westlich der Elbe gelegenen Gebiete an Frankreich im Juli 1807 in zwei Gebiete aufgeteilt. Der östliche Teil wurde unter König Jérôme Bonaparte zum Königreich Westfalen, zu dem nun auch Herford gehörte. Als gewöhnliche Kantonstadt kam es als Teil des Distrikts Bielefeld zum Weser-Departement. Im März 1808 huldigte die Bevölkerung dem neuen König auf dem Alten Markt. Mitte Juni 1808 wurde der Magistrat der Stadt aufgelöst und durch eine fünfköpfige örtliche Verwaltungsspitze ersetzt, an deren Spitze der ehemalige Stadtdirektor Karl Anton Diderichs als Maire stand. Die Enttäuschung über die Ernennung Bielefelds als gelang es nicht die wirtschaftliche und Brüderlichkeit galten nun auch Lage der Bevölkerung zu verbeshier. So wurden die Standesvorsern. Betroffen von der Kontinenrechte und die Leibeigenschaft abtalsperre gegenüber England brageschafft, die Gewerbefreiheit einchen gerade für die Leinenhändler geführt und die mittelalterlichen die Absatzmärkte weg. Die VerGilden oder Zünfte aufgelöst sowie schwendungssucht König Jérômes ihr Vermögen eingezogen. Das Geund die ständige Abgabenerhösundheitswesen wurde durch Einhung führten zu einer enormen führung von Impfungen moderniArmut des Großteils der Bevölkesiert und die freie Religionsausrung. Dies verstärkte sich noch übung zum Menschenrecht. Viele nach der neuen Gebietsverteilung jüdische Familien ließen sich dazu Beginn des Jahres 1811. Die raufhin in Herford nieder. Grenze zwischen dem Kaiserreich Die Justiz wurde von der VerwalFrankreich und dem Königreich tung getrennt. Gerichtsverfahren Westfalen lag nun diwaren nun öffentlich rekt bei Herford. Die und wurden von HerIn ihrer Not neue Grenzziehung fordern gut besucht. machten die Herverlief von der WerreDie alte preußische Härtejustiz wich eiforder Zucker aus mündung über die Aa flussaufwärts. Die nem humaneren Rüben und statt Grenzpfähle wurden Strafvollzug, der mit am Deichtor und geringeren SicherKaffee gab es Steintor aufgestellt, heitsmaßnahmen ver»Mucke-Fuck«. was jedoch immer bunden war, so dass wieder von höherer der damalige GefängStelle in Frage gestellt wurde – nisdirektor viele Fluchten von Inübrigens zu Recht. sassen beklagte. In diese Zeit fallen Unter beiden Torbrücken floss auch der Bau der steinernen Boder Stadtgraben, wenn auch mit genbrücke am Steintor und die dem Wasser von der Aa gespeist. Eröffnung des ersten Friedhofs am Erst die Aussage des hiesigen Eisgraben außerhalb der ehemaliMaire Diderichs, dass es sich um gen Stadtmauern im Juni 1808. Die zwei Arme der Aa handelte, ließ die Zustände auf den Kirchfriedhöfen Zweifler verstummen. Dennoch lag waren schon lange katastrophal. die Radewiger Feldmark nun im Bereits 1779 beklagte die zuständi»Ausland«. Alle dort geernteten ge Behörde, dass man »halbverProdukte durften nicht nach Westweste Teile des Körpers und Schäfalen ausgeführt werden. Nach zädel mit Haut und Haare« auf dem hen Verhandlungen konnte eine Münsterkirchfriedhof aus dem ErdLockerung der Bestimmung erwirkt reich ragen sehen konnte. werden. Die Radewiger sollten jeTrotz positiver Reformansätze doch für ihre eigenen Erzeugnisse Zoll zahlen, so dass der Schmuggel blühte. Bis zum Jahr 1813 verschlechterten sich die Lebensbedingungen derart, dass Räubereien und Plünderungen an der Tagesordnung waren. In ihrer Not machten die Herforder Zucker aus Rüben und statt Kaffee gab es nun »Mucke-Fuck«. Im Oktober 1813 verloren die Franzosen die Schlacht bei Leipzig und Rebellionen gegen die inzwischen ungeliebten Herrscher fanden auch in Herford ihren Widerhall. Die französischen Embleme wurden abgerissen, der preußische Adler an den Toren angebracht. Zu einer letzten Schießerei kam es in der Nacht vom 3. auf den 4. November des Jahres 1813. Hierbei standen sich aus Minden kommende Franzosen und aus Bielefeld eilig herbeigerufene Kosaken der russischen Truppen gegenüber. Fünf Menschen verloren ihr Leben. Unter ihnen war der Kaufmann Ernst Ferdinand Harten, der vor dem alten Kielbeckschen Gasthaus am Alten Markt (heute dm-Markt) erschossen wurde. Noch heute ist auf seinem Grabmal zu lesen: »Getötet durch einen feindlichen Schuss, der … sein über die Errettung seines Vaterlandes tritrennte die Radewiger Feldmark von der übrigen umphierendes Herz traf«. Stadt. Grafik: Dr. Pape/Stiftung Sparkasse Herford Distriktsitz und die Abhängigkeit von dortigen Entscheidungen saß tief. Immerhin gelang es Diderichs den Sitz des Höchsten Zivilgerichts nach Herford zu holen. Zuvor hatten die Herforder am 30. Januar ihre letzte Äbtissin beerdigt. Friederike Charlotte Leopoldine Louise, Prinzessin von Preußen, war zwar schon seit 1802 de jure eine Herrscherin ohne Bedeutung – sie musste die Aufhebung des 1000 Jahre bestandenen hochadeligen Damenstifts hinnehmen – genoss jedoch immer noch hohes Ansehen. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung und Honoratioren von Kirche und Staat wurde sie in der Wolderuskapelle bestattet. Darauf war für 14 Tage allgemeines Trauergeläut angesetzt. Die Beisetzung geriet zu einer Hommage an alte Zeiten: Der Tod der Äbtissin beendete endgültig die mittelalterliche Bedeutung Herfords als »Sancta Herfordia«. Die noch existierenden Stifte, darunter das Stift auf dem Berg, wurden zwei Jahre später aufgelöst. Die nächsten Monate und Jahre der endlosen Einquartierungen und Durchzüge französischer Truppen, die Rekrutierungen der Männer sowie die horrenden finanziellen Abgaben an die französische Regierung waren harte Zeiten für die Herforder. Doch erlebte die Bevölkerung gleichzeitig viele demokratische Veränderungen. Der französische »Code civile«, das Gesetzbuch zum Zivilrecht, und der Grundsatz der Freiheit, Gleichheit Die Grenze (1811 bis 1813) zwischen dem Kaiserreich Frankreich und dem Königreich Westfalen: Sie Briefkopf der Mairie (Stadtverwaltung) Herford von 1813: Herford gehörte zum Fulda-Departement. Fotos (3): Städtisches Museum Die letzte Äbtissin: Friederike Charlotte Leopoldine Louise, Prinzessin von Preußen. Jérôme Bonaparte, der König des Königreichs Westfalen von 1807 bis 1813. Während der Franzosenzeit waren zwei Münzsorten im Umlauf. Sie sind in einer Ausstellung der Sparkasse sowie im Buch zur Herforder Geldgeschichte zu sehen. Foto: Jürgen Escher/Stiftung Sparkasse