Experten Tipps Titrimetrische Analyse von sauren oder basischen Polyolproben mit nur einer Methode Die Quantifizierung unterschiedlicher Säure- oder Basengehalte in Polyolproben erfordert üblicherweise zwei verschiedene Methoden, die unangenehm zu handhabende Titriermittel benötigten und zu suboptimalen Resultaten führten. Die Bestimmung ist von grösster Wichtigkeit in der Polyol-Produktion, da die Ausbeute und Qualität von kleinen Abweichungen in den Ergebnissen abhängt. Ch. Hynes Dr. R. Koile Einleitung Polyole sind chemische Verbindungen, üblicherweise Alkohole, die mehrere Hydroxylgruppen beinhalten. Wenn diese Hydroxylgruppen für chemische Reaktionen aktiviert werden, kann aus diesen Verbindungen eine grosse Produktpalette gewonnen werden, die von Nahrungsmittelzusätzen bis zu Kunststoffen reicht (Abb. 2). Einige der am häufigsten vorkommenden Produkte sind Polyurethane, die aus der Reaktion von einem Diisocyanat und einem Polyol in der Gegenwart eines Katalysators unter strengster Kontrolle des Säuregehalts gewonnen werden (Abb. 1). Bestimmung des Säure- und Basengehalts in nicht-wässrigen Medien Die Überwachung des Säure- bzw. Basengehalts in Roh-Polyolprodukten ist von grosser Bedeutung für die Katalyse der Polyurethanreaktion, da damit unerwünschte Nebenreaktionen vermieden werden. Üblicherweise verwendet man zur Bestimmung des Säure- bzw. Basengehalts in nicht-wässrigen Medien alkoholische KOH bzw. HCl in zwei verschiedenen Methoden. Eine quantitative Unterscheidung zwischen Säure- und Basengehalt mit nur einer Analyse ist mit dieser Art von Chemie nicht möglich. Des Weiteren absorbiert KOH Kohlendioxid aus der Atmosphäre unter Ausbildung von Carbonat und Hydrogencarbonat, wodurch der Titer schnell verfälscht wird und die Messergebnisse stark streuen. Diese beiden gravierenden Nachteile waren die treibenden Faktoren für die Zusammenarbeit von METTLER TOLEDO mit Dr. Ross Koile mit der Zielsetzung, eine analytische Testmethode zu entwickeln, mit der sowohl Azidität als auch Basizität qualitativ unterschieden und quantitativ bestimmt werden können unter gleichzeitiger Eliminierung des nachteiligen KOH-Titriermittels. Die Bedeutung dieser Testmethode ist verbunden mit der Tatsache, dass der erwünschte Aziditäts- und Basizitätsbereich des RohPolyols üblicherweise exakt im neutralen oder schwach sauren Bereich liegt. Einfach aber sehr effektiv Die Grundlagen der Chemie sind sehr einfach. Ein definierter Überschuss atmosphärisch stabiler HydrogencarbonatLösung wird genau zur Lösung dosiert und mit p-Toluolsulfonsäure titriert. Falls die Polyolprobe sauer ist, d.h. einen Überschuss an H+ Ionen aufweist, werden Abbildung 1: Die Grundbausteine von Polyurethan. Ein Diisocyanat, ein Diol. Das Diisocyanat hat zwei Cyanat-Gruppen (blau hervorgehoben), das Diol hat zwei Alkohol- bzw. Hydroxylgruppen. 20 METTLER TOLEDO UserCom 1/2007 diese sofort mit dem Hydrogencarbonat reagieren. Der übrig gebliebene Anteil an Hydrogencarbonat wird mit p-Toluolsulfonsäure zurück titriert. Daraus resultiert ein Titriermittelverbrauch bis zum Äquivalenzpunkt, der geringer als der Verbrauch für die Blindwertbestimmung ist. Falls die Polyolprobe basisch ist, d.h. einen Überschuss an OH- Ionen aufweist, werden diese nicht mit dem Hydrogencarbonat reagieren. Dadurch wird mehr Titriermittel benötigt um die Probe zu neutralisieren. Definierte Bedingungen für die Elektrode Ein wichtiges Element für diese Analyse ist die Definition der Neutralität. Dies wird umso komplizierter, je weiter man sich vom wässrigen Bereich entfernt, für den die pH-Elektroden ursprünglich vorgesehen sind. Im wässrigen System sollte eine Elektrode, die mit wässriger KCl-Lösung als Referenzelektrolyt gefüllt ist, einen Nullpunkt sehr nahe bei 0 mV aufweisen. Falls jedoch diese optimalen wässrigen Lösungen gegen Elektrolytlösungen ausgetauscht werden, die auf organischen Lösungsmitteln basieren, wird eine Verschiebung des Nullpunkts beobachtet. Dieses Phänomen erfordert die Definition der Neutralität in absoluten mV-Einheiten. Für die hier beschriebene Analyse wurde das Hydrogencarbonat/KohlensäureSystem verwendet um die Neutralität zu definieren. Es ergab sich, dass dieses System in nicht-wässriger Umgebung verwendet werden kann, insbesondere wenn das Lösungsmittel polar ist. Probenlöslichkeit und Elektrodeneigenschaften optimieren Als nächstes muss ein geeignetes Lösungsmittel gefunden werden, in dem die Probe sehr gut löslich ist und das die Elektrodeneigenschaften optimal unterstützt. In diesem Fall war die Probe ein Polyetherglyol, das in den meisten Alkoholen löslich ist. Je länger die Alkylkette des Alkohols (bis zu einem gewissen Ausmass) ist, desto besser löst sich das Polyol. Die Löslichkeit in Methanol ist etwas eingeschränkt, wohingegen Ethanol, n-Propanol oder Isopropanol sich sehr gut eignen. Ethanol ist wegen der US-Amerikanischen Regierungsauflagen bzgl. Verwendung sowie wegen der hohen Kosten für die Beschaffung im absoluten, d.h. wasserfreien Zustand eher problematisch. Reiner n-Propanol und Isopropanol sind zwar gute Lösungsmittel, verlangsamen aber die Ansprechzeit der Elektrode aufgrund ihrer Viskosität. Abbildung 2: Ein Beispiel eines Polyurethan-basierten Produkts. für die Durchführung potentiometrischer Messungen. Im Falle einer wässrigen Lösung würde man einfach ein Salz zur Lösung geben, um die Leitfähigkeit zu erhöhen. Die meisten Salze sind jedoch nicht löslich in Alkoholen. Lithiumchlorid jedoch ist sehr gut löslich in Alkoholen, womit dieses Problem gelöst werden kann. Andere ionische Verbindungen wie zum Beispiel quarternäre Ammoniumsalze könnten aufgrund ihrer Löslichkeit eben- Abbildung 3: Typische Titrationskurve einer Polyoltitration: 3a) Schwer lösliche Probe – THF Zusatz zur Erhöhung der Löslichkeit ist erforderlich. Die optimale Lösung ist eine Mischung von Methanol und Isopropanol in gleichen Anteilen. Isopropanol sorgt für ausgezeichnete Probenlöslichkeit, Methanol für die Verringerung der Viskosität der Probenlösung, so dass die Elektrode in einer vernünftigen Zeit ansprechen kann. Einige längerkettige Polyolproben erfordern zusätzliche Massnahmen zur Erhöhung der Löslichkeit. Der Zusatz von Tetrahydrofuran (THF), stabilisiert mit butyliertem Hydroxytoluol (BHT), eignet sich hierfür hervorragend. Die Interpretation der Titrierkurve einer Probenlösung, in der kein THF als Lösungsvermittler verwendet wurde, genügt, um zu entscheiden, dass der Zusatz von THF zur Erhöhung der Löslichkeit notwendig ist: falls die Probe nicht vollständig gelöst ist, ist der Kurvenverlauf flach und der Sprung am Äquivalenzpunkt schwach ausgeprägt. Ein sofortiger Zusatz von THF löst dieses Löslichkeitsproblem (vgl. Abb. 3a und 3b). Gute ionische Leitfähigkeit Gute ionische Leitfähigkeit der Lösung ist ein weiteres wichtiges Schlüsselelement 3b) Titrationskurve in einem gut eingestellten Lösungsmittelgemisch. falls verwendet werden, jedoch besteht die Gefahr, dass der Säure- oder Basengehalt in der Probenlösung beeinflusst wird. Auswahl des geeigneten Titriermittels Das Titriermittel muss wie die Probenmatrix von nicht wässriger Natur sein. Die Verwendung eines wässrigen Titriermittels würde den Wassergehalt des finalen Proben-/Lösungsmittel-/Titriermittelgemischs derart ansteigen lassen, dass der ‚nivellierende Effekt’ des Wassers überwiegt. Dadurch wird eine Titration erschwert bzw. unmöglich gemacht. Das Titriermittel muss eine starke Säure sein, die gut in unpolaren Lösungsmitteln löslich ist. p-Toluolsulfonsäure ist dafür sehr gut geeignet und zu vernünftigen Kosten erhältlich. Wie erwähnt muss die Matrix des Titriermittels unpolar sein, um den Wassergehalt auf ein Minimum zu begrenzen. Alkohole wären eigentlich eine gute Lösung, jedoch reagiert p-Toluolsulfonsäure mit ihnen unter Ausbildung von Säureestern, die die Stabilität des Lösungsmittels stark negativ beeinflussen. Das aprotische und polare Acetonitril ist METTLER TOLEDO UserCom 1/2007 21 Experten Tipps das Lösungsmittel der Wahl, da es das Titriermittel gut löst, zu keinen unerwünschten Nebenreaktionen führt und zudem in wasserfreiem Zustand erworben werden kann. Zusammengefasst wurde die Titration folgendermassen erfolgreich durchgeführt: Als Lösungsmittel wird ein Gemisch aus gleichen Teilen Methanol und Isopropanol verwendet. Im Falle von langkettigen Polyolen wird zur Erhöhung der Löslichkeit THF zugegeben. Diese Probenlösung wird zur Erhöhung der Leitfähigkeit mit ca. 0.25 g/L LiCl angereichert und anschliessend mit einer sehr geringen Menge einer 0.2 mol/L wässrigen Lösung von NaHCO3 versetzt. Titriert wird mit 0.005 N p-Toluolsulfonsäure in Acetonitril. Die Elektrode muss eine grosse Ausflussrate des in Ethanol gelösten LiClElektrolyten aufweisen. Abbildung 4: Die DGi116-Solvent Elektrode. METTLER TOLEDO Von grosser Bedeutung ist die Tatsache, dass diese Methode auf dem Grundmodell der Excellence Titratoren, den T50 durchgeführt werden kann. Da es sich bei dieser Methode um eine typische Rücktitration handelt, ist eine zusätzliche Dosiereinheit mit einer 20 mL Bürette erforderlich. Höhere applikative Flexibilität kann mit den T70 oder T90 Titrator unter Verwendung von bis zu 4 bzw. 8 Büretten erzielt werden. Die Resultate können entweder positiv oder negativ sein: positive Resultate bedeuten, dass die Probe basisch ist und negative weisen auf eine saure Probe hin. Die Proben müssen in Polyethylengefässen aufbewahrt werden, denn diese Methode ist so empfindlich, dass mit ihr sogar der Einbau von Natriumionen in die Probe aus Glas detektiert werden kann. Diese zusätzliche Flexibilität ermöglicht sowohl die gleichzeitige Bestimmung des Säure- bzw. Basengehalts als auch Molekulargewicht-/Hydroxylzahl-Titrationen, die auf demselben Instrument ausgeführt werden können, da sie typische Rücktitrationen sind und häufig in der Polyolproduktion verwendet werden. Ausgezeichnete Ergebnisse mit der geeigneten Ausrüstung Verlässliche Resultate dank Automatisierung Der Äquivalenzpunkt ist ausgeprägt und einfach zu detektieren (vgl. Abb. 3b). Die METTLER TOLEDO DGi116Solvent Elektrode wurde verwendet (vgl. Abb. 4). Relative Standardabweichungen (rsd) von 0.2% für die Blindbestimmungen sowie 5.0% mit einem Gehalt von 0.0045 mg KOH/g wurden erhalten. Dies sind ausgezeichnete Resultate vor allem im Hinblick auf den sehr geringen Säuregehalt der Proben. Ein zweites wichtiges Element zur Optimierung der Methode ist die Wartung der Elektrode. Die Polyolprobe neigt dazu, an der Elektrode zu haften, was sich in einer abnehmenden Empfindlichkeit äussert. Ein Reinigungsschritt in THF ist sehr empfehlenswert. Die Ausführung dieses Schrittes kann zwar manuell erfolgen, jedoch wurde eine zu grosse Abhängigkeit von dem jeweiligen Benutzer festgestellt. Erwähnenswert ist, dass der Äquivalenzpunkt nach Zugabe eines Titriermittelvolu22 mens im Bereich von 0.3 mL erreicht wurde. Dies liegt weit ausserhalb des optimalen Dosierbereichs der verwendeten 5 mL Bürette, was sich aber nicht nachteilig auf die Resultatqualität auswirkte. Ein 95%iger Vertrauensbereich von 1.0 nEq/g (Nanoequivalent/g) ist sehr gut möglich mit der beschriebenen Methode. Die der Methode zugrunde liegende Technik kann einfach auch auf ähnliche Applikationen übertragen werden. UserCom 1/2007 Dieses Problem wurde gelöst, indem zwei Konditionierschritte in die Methode eingebaut und die Proben auf einem Rondo Probenwechsler automatisch titriert wurden. Nach Beendigung der Titration, wird die Elektrode in den Konditionierbecher mit THF für 30 s unter Rühren eingetaucht. Anschliessend wird die Elektrode in einen Becher mit einer Mischung aus 50% Isopropanol und 50% deionisiertem Wasser für 60 s konditioniert. Diese Massnahmen erwiesen sich als sehr verlässlich im Hinblick auf eine saubere und hydratisierte Elektrode. Lebenslauf von Dr. Ross Koile Der Co-Autor dieses Artikels, Dr. Ross Koile promovierte 1981 an der Iowa State University. Er arbeitet seit 33 Jahren in der chemischen Industrie und hat sich auf die praktische Umsetzung analytischer Forschungstechnologien in industriellen Produktionsprozessen spezialisiert. Dr. Koile ist (Co-)Autor von über 300 industriellen Methoden wie zum Beispiel der Bestimmung des Säure/Base-Gehalts in Polyolen auf Nanoequivalent pro Gramm-Niveau sowie der industriellen Charakterisierung von Lösungsmitteln. Er war zudem in der Lehre tätig auf den Gebieten der anorganischen und organischen Chemie auf Hochschulniveau und bei Spezialkursen für die Amerikanische Chemische Gesellschaft. Gegenwärtig leitet er seine eigene chemische Beratungsfirma und ist Mitglied des PURMAC (Polyurethane Raw Materials Analysis) Komitees des Amerikanischen Chemischen Kollegiums. Abbildung 5: Der T50 Excellence Titrator mit zwei zusätzlichen Bürettenantrieben/Büretten für Dosierzwecke