Artikel als PDF - SRH Perspektiven

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Perspektiven 1/2013 | Wissenschaft
Wissenschaft | Perspektiven 1/2013
Wie elektrischer Strom schmerzen lindert
Schmerzsignale gezielt verändern
Hilfe bei ausbehandelter Angina Pectoris
vielfältig einsetzbar
Die Therapie der koronaren Herzkrankheit hat sich in den letzten Jahrzehnten
deutlich verbessert. Dennoch gibt es
Patienten, die unter starken Schmerzen
leiden, weil herkömmliche Mittel und
Therapien nicht wirken. Das Team des
Zentrums für Interdisziplinäre Schmerztherapie am SRH Wald-Klinikum Gera
kann auch solchen Menschen helfen.
Dumpfe, drückende Schmerzen im
Brustraum gehören zu den häufigsten
Ursachen, warum Patienten einen
Kardiologen aufsuchen. Auslöser der
Beschwerden sind meist verengte Herzkranzgefäße, die Koronararterien. Können diese den Herzmuskel nicht mehr
ausreichend mit Blut versorgen, sprechen Mediziner von einer koronaren
Herzkrankheit (KHK). Die Betroffenen
leiden mitunter Todesängste, und die
Sauerstoffnot führt zu einem sogenannten Ischämieschmerz, der nicht nur
Herz und Brust betrifft, sondern aufgrund komplexer Nervenverbindungen
auch in andere Bereiche des Körpers
ausstrahlen kann. Medizinisch werden
die Symptome unter dem Begriff Angina
Pectoris zusammengefasst, was im La­
teinischen so viel heißt wie „Brustenge“
­(angina = Enge, pectus = Brust).
Schmerzen beim Sport
„Der Herzmuskel der Betroffenen schreit
förmlich nach Sauerstoff“, erklärt PD
Dr. Michael Kretzschmar, Chefarzt am
Zentrum für Interdisziplinäre Schmerztherapie am SRH Wald-Klinikum Gera.
Viele Betroffene verspüren zunächst oft
nur bei körperlicher Belastung Schmerzen, etwa beim Sport, wenn der Herzmuskel sehr viel mehr sauerstoffreiches
Blut benötigt. Schreitet die Erkrankung
weiter fort, treten die Symptome auch
ohne Belastung auf. Dabei kann es zu
bis zu 15 Anfällen am Tag kommen. Im
schlimmsten Fall drohen Herzschwäche
oder ein Herzinfarkt. „Bei der Therapie
der Angina Pectoris werden sowohl die
Ursachen behandelt als auch die Symptome gelindert“, so der Mediziner. Drei
8SRH Magazin
Ansätze kommen dabei zum Zuge: Medikamente, Herzkatheter oder BypassOperation. Ziel ist es stets, Engstellen in
den Herzkranzgefäßen zu beseitigen und
so die Blut- und damit die Sauerstoffversorgung des Herzmuskels zu verbessern. „Diese Behandlungsmethoden wirken bei den meisten KHK-Patienten“,
erläutert Dr. Kretzschmar. „Einige Patienten leiden jedoch an einer therapie­
refraktären Angina Pectoris, das heißt,
mit konventionellen Methoden können
wir diesen Patienten trotz großer
Behandlungsfortschritte nicht helfen.“
Als alternative Therapie setzen die
Geraer Ärzte deshalb seit 2011 auf die
epidurale Rückenmarkstimulation (Spinal Cord Stimulation, SCS). „Sie kommt
ins Spiel, wenn Medikamente nicht
anschlagen oder zu viele Nebenwirkungen haben“, verdeutlicht Kretzschmar.
Ziel der SCS ist es, die Schmerzleitung
im Rückenmark zu beeinflussen. Dazu
platziert der Arzt während einer minimalinvasiven Operation eine Elektrode
in den Wirbelkanal über dem Rückenmark, die von einem Minigenerator mit
Strom versorgt wird. Dadurch ist es
möglich, elektrische Felder verschiedener Stärke zu erzeugen, die auf die Nervenzellen des Rückenmarks einwirken
und deren Schmerzweiterleitung einschränken. „Mithilfe des elektrischen
Feldes können wir das Nervengewebe
modulieren“, so Kretzschmar. Die Elektrode erregt die Nervenzellen und löst
neurochemische Reaktionen aus. Auf
diese Weise werden die Schmerzsignale
verändert, bevor sie das Gehirn erreichen. Der Patient spürt lediglich ein
Kribbeln.
Millimeterarbeit
Die Methode ist vielfältig einsetzbar.
„Ausschlaggebend ist die Höhe, in
der die Elektrode am Rückenmark
sitzt“, erklärt Kretzschmar. Diese muss
so gewählt werden, dass die Nerven
des zu behandelnden Organs dort
verlaufen. So lässt sich etwa mit einer
Elektrode, die sich an den Nervenwur-
zeln im Bereich von Steiß- und Kreuzbein befindet, Inkontinenz behandeln.
Bei Patienten mit Angina Pectoris bringen die Geraer Schmerzspezialisten
die Elektrode dagegen im Bereich der
Brustwirbelsäule an. Ein im Bauchraum
implantierter Generator, der über einen
feinen Draht mit der Elektrode verbunden ist, liefert die notwendigen Strom­
impulse, die vom Patienten per Fern­
bedienung reguliert werden können.
Dank der Methode verringern sich
die Schmerzen sowie die Häufigkeit
und die Intensität der Angina-PectorisAnfälle. Dem Geraer Spezialisten zufolge
reduzieren sich die Schmerzen um bis
zu 90 Prozent. Zudem werden die Muskelzellen besser mit Sauerstoff versorgt,
was den Herzmuskel stärkt. „Das Verfahren ist so erfolgreich, dass es in die
aktuelle deutsche Leitlinie zur Schmerz-
dr. michael kretzschmar
„die rückenmark­­­
stimulation kommt ins
spiel, wenn andere
medika­mente nicht
anschlagen.“
therapie mittels elektrischer Rückenmarkstimulation aufgenommen wurde“,
macht Dr. Michael Kretzschmar deutlich. Das ist ein weiterer wichtiger
Schritt, um die Methode in Deutschland
voranzubringen. In den USA hingegen
und auch in Schweden ist die Therapie
schon länger etabliert. „Mein Ziel ist
es, die SCS auch bei deutschen Ärzten
bekannter zu machen, denn sie hilft
Patienten erwiesenermaßen“, betont der
Mediziner.
Die Methode hilft auch gegen chroni­
sche Schmerzen, die von anderen
­­Organen ausgehen. Entscheidend ist
die Höhe, in der die Elektrode im
­Rückenmark sitzt.
Halswirbelbereich
Im Bereich der Halswirbelsäule sorgt
die Elektrode für eine Gefäßerweite­
rung in der Lunge und an den Händen.
So funktioniert die elektrische
Rückenmarkstimulation
Im Rahmen einer minimalinvasiven Ope­
ration wird eine insgesamt 60 Zentimeter
lange Elektrode in den Wirbelkanal über
dem Rückenmark platziert. Der Eingriff
dauert circa 90 Minuten und findet unter
lokaler Betäubung statt. Die von der
Elektrode ausgehenden elektrischen Fel­
der verändern die Schmerzsignale; der
Patient spürt anstelle des Schmerzes
lediglich ein leichtes Kribbeln. Über
eine Fernbedienung kann der Patient
die Stromimpulse regulieren.
Hier endet die Elektrode. Sie wird
in der Regel an eine Verlängerung
angeschlossen, die mit dem Neuro­
stimulator verbunden ist.
Brustwirbelbereich
Sitzt die Elektrode im Bereich der
Brustwirbelsäule, können neben
der Angina Pectoris auch Schmerzen
therapiert werden, die etwa bei
Durchblutungsstörungen vom Darm
ausgehen.
Lendenwirbelbereich
Eine im Sakralbereich eingebrachte
Elektrode wirkt sogar gegen Inkon­
tinenz.
Der Neurostimulator wird in die
Bauchdecke implantiert. Er stellt
die Stromversorgung über Batterie
oder Akkumulator sicher. Die
Batterie hält mehrere Jahre.
Akkumulatoren können ähnlich
wie bei einer elektrischen Zahn­bürste alle zwei Wochen durch
Induktion von außen aufgeladen
werden.
georg haiber
SRH Magazin
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