HORIZONT 20/2015 11 13. Mai 2015 HINTERGRUND ANALYSEN TRENDS MEINUNG ILLUSTRATION: GOYA / MONTAGE: HORIZONT Der geplatzte Traum Ingo Schäfer, Roman Klis Design Online Marketing: Das angeblich kostenlose Massenmedium wird erwachsen und damit auch teuer Von Santiago Campillo-Lundbeck B ei Gerüchten ist es oft schwierig, herauszufinden, wer sie eigentlich in die Welt gesetzt hat. Nicht so bei der Mär des kostenlosen Kommunikationskanals Internet. Denn als der mittlerweile abgedankte Procter & Gamble-CEO Bob McDonald im Frühjahr 2012 die neue Sparsamkeit des Konzerns in Werbedingen begründen musste, lieferte er den Börsenanalysten eine ganz pragmatische Erklärung: „Google und Facebook haben das Potenzial, effizienter zu arbeiten als traditionelle Medien.“ Seitdem war das Kostenargument von P&G-Managern zwar nie wieder in dieser Deutlichkeit zu hören, aber die Etatzahlen sind eindeutig: Der Konzern spart seit Jahren bei den klassischen Medien und investiert digital. Dabei fiel die Gewichtsverschiebung allerdings längst nicht so radikal aus, wie die Rhetorik vermuten ließ. Zwar hat Procter laut Nielsen den Werbeetat für TV seit 2010 um etwa 52 Millionen Euro gekürzt und den Online-Etat um gut 25 Millionen gesteigert, doch mit 422,2 Millionen Euro war der Konzern 2014 in Deutschland immer noch der wichtigste TV-Werbekunde unter den Konsumgüterherstellern. Der Blick auf die Mediainvestitionen verrät jedoch nur die halbe Wahrheit. Denn während der digitale Anteil im P&G-Marketing insgesamt schon 2013 bei 35 Prozent lag, ist der Anteil am reinen Werbeetat deutlich geringer – in Deutschland waren es im vergangenen Jahr rund 15 Prozent. Dabei sanken die gesamten Brutto-Werbeinvestitionen laut Nielsen im selben Zeitraum von 566,6 auf zuletzt 528,1 Millionen Euro und das – laut Unternehmen – bei gleichbleibendem Werbedruck. Hat sich damit die Analyse von Ex-CEO McDonald über die Effizienz der digitalen Kanäle bewahrheitet? Zumindest nicht so, wie es der Manager damals meinte. Denn was McDonald damals und viele Unternehmensentscheider bis heute übersehen, ist die große Zahl der Investitionen, die außerhalb der werblichen Wertschöpfungsketten nötig sind, um das digitale Potenzial zu entfesseln. So sind weder die beachtlichen Kosten für die Produktion von eigenem Content berücksichtigt noch die Zusatzkosten aufgrund der wesentlich komplexeren Steuerung von Kampagnen im Always-On-Modus, sagt Jan Pechmann von der Strategieberatung Diffferent: „Und gerade im laufenden Betrieb sind die Kosten deutlich höher, als viele vermuten.“ Dazu komme noch die Inflation der Kanäle, sagt Christian Jenewein, Director Marketing Consulting für die DACH-Region beim Marketing-Technologiedienstleister Teradata: „Heute muss ein Unternehmen im Schnitt sieben Kanäle zum Konsumenten managen. Bei manchen sind es sogar zehn und mehr.“ Da sei es nur logisch, diese Komplexität über eine Automatisierung des Marketings wieder beherrschbar zu machen: „Content ist eben nicht nur ein kreatives, sondern auch ein prozessuales Thema.“ D as bedeutet allerdings auch, dass mit Technologiepartnern wie Teradata, Adobe und IBM neue Dienstleister einen Teil des Marketingetats beanspruchen, der an anderer Stelle wieder eingespart wird. So hat Procter & Gamble mit Teradata eine Datenplattform aufgebaut, um detaillierte Profile seiner Konsumenten zu entwickeln. Dieses Know-how macht nicht nur die Kommunikationsplanung effizienter, sie holt auch faktisch eine bisher bei den Mediaagenturen und Vermarktern angesiedelte „Es gibt keine Blaupause“ Wertschöpfungsstufe direkt ins Unternehmen. Strategieberater Pechmann überrascht diese Entwicklung nicht: „Sobald man bei Technologie und Know-how mit dem Insourcing beginnt, ist der externe Betreuungsbedarf deutlich geringer als in der klassischen Werbewelt.“ Von daher sei die aktuelle Kürzungsankündigung nur logisch. Procter & Gamble will in den kommenden zwei Jahren 500 Millionen US-Dollar weltweit an Produktionskosten und Agenturhonoraren einsparen. Pechmann: „Nach einer Phase des Pioniergeists rücken jetzt Fragen der Skalierung und der Prozessoptimierung in den Vordergrund.“ D as werde auch Konsequenzen für die digitalen Medien haben. Die Bereitschaft der Werbekunden, wie in der Vergangenheit bedingungslos für den Test neuer digitaler Werbemedien Lehrgeld zu zahlen, könnte sinken: „Nicht viele digitale Plattformen werden in Zukunft das Privileg haben, dass sie die Spielregeln noch einmal neu erfinden dürfen.“ Gewinner wären dann Anbieter wie Facebook und Youtube, die heute schon Reichweite und standardisierte Werbeformate bieten. Hier wird der Wandel kaum Halt machen, argumentiert Nina Rieke, Chief Strategy Officer bei DDB Deutschland: „Solange Kunden noch zwischen Belowthe-Line und Above-the-Line trennen, werden sie von den Möglichkeiten des digitalen Marketings nicht profitieren.“ Das neue Medium müsse auch die Herangehensweise der Unternehmen an ihre Botschaft verändern: „Digitale Kommunikation ist mehr als Werbung oder ein einziges Medium. Sie bietet Marken die Infrastruktur, um kontinuierlich mit ihren Kunden im Dialog zu sein und andere Inhalte als reine Botschaften zu kommunizieren.“ Agenturberater und Ex-MaggiMarketingchef Ingo Schäfer über die Probleme digitaler Werbung Sind die Produktions- und Agenturkosten bei der Digitalisierung außer Kontrolle geraten? Generell lässt sich sagen, dass gerade in der digitalen Kommunikation die Kosten sehr schnell in die Höhe springen können, wenn der Prozess nicht sehr streng gemanagt wird. Die digitalen Kanäle stehen noch am Anfang, daher ist das Risiko hier besonders groß, Lehrgeld zu zahlen. Über dieses Lehrgeld wird ja von Vermarktern und Agenturen eher selten geredet. Auch die TV-Werbung erlebte in ihrer Anfangszeit eine vergleichbare Phase, in der man sich zunächst bekannter Formate wie dem Theater oder Filmen bedient hatte. Die Formate, mit denen sich effektiv in dem neuen Medium werben lässt, müssen durch Versuche entdeckt werden. Und da bleiben Fehlschläge nicht aus. Was sorgt für die Fragmentierung des Mediums Internet? Ist es die Inflation der unterschiedlichen Werbeformate? Das macht die Situation sicher nicht leichter. Aber der eigentliche Knackpunkt ist, dass sich im Internet jede Customer Journey erstmals wirklich individuell abbilden lässt und diese unterscheiden sich je nach Produkt sehr deutlich. Es gibt auch innerhalb von größeren Produktkategorien wie FMCG keine Blaupause.