so gedeutet, als hätte er selbst keine Kriegsziele verfolgt3 . In

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Bethmann Hollwegs Septemberprogramm
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so gedeutet, als hätte er selbst keine Kriegsziele verfolgt3. In Wahrheit aber
wandte der Kanzler sich gegen die öffentliche Kriegszieldebatte, weil er ihre
politischen Auswirkungen nach innen und außen für schädlich hielt. Vertraulich hat er diesen Sachverhalt selbst ausgesprochen, zum Beispiel in einem Brief
an den Münchener Historiker Erich Marcks im März 1916. Marcks hatte als
Sprecher »nationaler Kreise« den Kanzler gedrängt, die öffentliche Kriegszieldebatte freizugeben. Bethmann Hollwegs Antwort ist ungemein charakteristisch für seine Stellung zur Kriegszielfrage, denn er gibt hier den Schlüssel zum
richtigen Verständnis seiner oft dunklen und sehr verschieden interpretierbaren Äußerungen in der Öffentlichkeit4. Auf das Drängen nach »positiven«
Kriegszielen antwortete et: ». . . ich verstehe diesen von weiten Kreisen gehegten Wunsch und teile ihn. Auch ich sehne den Augenblick herbei, wo eine
Führung in diesem Sinne, die Aufstellung konkreter Ziele, möglich sein wird.«
Bethmann Hollweg betonte, daß seine öffentlichen Äußerungen über Kriegsziele nur eine Verschleierung oder Andeutung seiner eigentlichen Absichten
sein könnten. Er schrieb:
»Ich habe die unsere Zukunft bestimmende mitteleuropäische Idee in die Debatte
geworfen, auf die großen Aufgaben im Osten hingewiesen, konnte im übrigen aber in
meinen Reden über die Sicherung unserer Grenzen gegen jede Gefahr, für die Beseitigung der Einfallstore Belgien und Polen nicht hinausgehen. Meine Andeutungen
schlössen die Einbeziehung Belgiens und Polens in den Machtbereich Mitteleuropas
ein, fürwahr kein kleines Ziel . . . Wir haben gegen unsere Feinde alle Karten unaufgedeckt in der Hand . . .«
Bethmann Hollwegs Septemberprogramm
Wenn der Reichskanzler im März 1916 von seinen eigenen Kriegszielen sprach,
so muß als Grundlage hierfür sein Kriegszielprogramm vom September 1914
gelten. Denn schon in den ersten Kriegswochen hatte Bethmann Hollweg,
ganz anders, als er es nach seiner Entlassung und in seinen Memoiren wahrhaben wollte, sich mit der Frage einer künftigen Machterweiterung Deutschlands befaßt. Am 6. September, an dem Joffres Tagesbefehl die Gegenoffensive
der Franzosen an der Marne einleitete, schrieb der Kanzler: »Wir müssen
3 Vgl. für die Literatur nach 1945: Werner Conze, Die Zeit Wilhelms II., in: Deutsche Geschichte
im Überblick, ein Handbuch, hg. von Peter Rassow, Stuttgart 1953, S. 605. So auch die neueste
zusammenfassende Darstellung von Karl Dietrich Erdmann, Die Zeit des Weltkrieges, in:
Bruno Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, 8. völlig neubearbeitete Auflage, hg.
von Herbert Grundmann, Bd. 4, S. 42, wo Bethmann Hollwegs Stellung nur als schwankend
und programmlos charakterisiert wird. Im gleichen Sinne argumentiert auch Martin Göhring,
Bismarcks Erben 1890-1945, Deutschlands Weg von Wilhelm II. bis Adolf Hitler, 2. erweiterte
Auflage, Wiesbaden 1959, S. 112.
4 DZA Potsdam RK, Krieg 1/2, Nr. 2402: Bethmann Hollweg an Erich Marcks, 17. 7. 1916, eigenhändiges Konzept vom 16. 3. 1916. Ähnlich auch Bethmann Hollweg an Erich Brandenburg,
16. 8. 1916: DZA Potsdam, RK, Krieg 15, Bd. 10, Nr. 2444/5.
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3. Kapitel: In Erwartung des Blitzsieges
durchhalten, bis die Sicherheit Deutschlands in der Zukunft ganz verbürgt
ist.« Am nächsten Tag sprach Moltke von einem Frieden, »der für unabsehbare
Zeit von keinem Feind mehr gestört werden kann5«. Am 9. September 1914,
auf dem Höhepunkt der Marneschlacht, als der Zusammenbruch Frankreichs
unmittelbar bevorzustehen schien, übersandte der Kanzler aus dem Großen
Hauptquartier in Koblenz seinem Stellvertreter in Berlin, dem Staatssekretär
des Reichsamts des Innern, Clemens v. Delbrück, ein förmliches Kriegszielprogramm, das er im Hauptquartier hatte aufstellen lassen6.
Den Kern des Septemberprogramms von Bethmann Hollweg bildete die
Mitteleuropa-Idee mit ihrem hegemonialen Anspruch Deutschlands. Diese
Idee hatte bei einem Teil führender deutscher Bankiers und Industrieller schon
vor dem Kriege Wurzeln geschlagen und konkretisierte sich bei Kriegsausbruch zu einem gegenüber dem alldeutschen Eroberungsprogramm als mäßigend gedachten und als wirtschaftlich notwendig und erreichbar empfundenen Kriegsziel. Diese Gedanken waren Bethmann Hollweg vor allem in Denkschriften und Briefen von Walther Rathenau und Arthur von Gwinner nahegebracht worden. Rathenau, der schon im August 1914 mit der Organisierung
der Kriegs-Rohstoff-Abteilung im Kriegsministerium betraut wurde7 und damit eine für die weitere Kriegführung grundlegende Funktion übernahm,
hatte bereits in den ersten Kriegstagen in einer großen Denkschrift dem Kanzler erneut seine Gedanken von 1911 und 1913 vorgetragen: Nur ein durch »Mitteleuropa« verstärktes Deutschland sei in der Lage, sich zwischen den Weltmächten Großbritannien, USA und Rußland als ebenbürtige Weltmacht zu
behaupten8. Den Weg zu diesem Mitteleuropa sah Rathenau einmal in einem
Ausgleich mit Frankreich, zum andern in einem uneingeschränkten Zollanschluß Österreich-Ungarns an Deutschland. Rathenau erblickte im Krieg die
Möglichkeit, dieses »unbedingte Ziel« Deutschlands, wenn nötig, mit Gewalt
zu erzwingen. Gegen den Gedanken einer gewaltsamen Eingliederung in den
deutschen Wirtschaftsraum wandte sich allerdings Delbrück, der dem allgemeinen Ziel Mitteleuropa jedoch in Besprechungen mit Bethmann Hollweg
noch in Berlin während der ersten Augusttage grundsätzlich zugestimmt hatte
und auch jetzt die Konkretisierung dieser Gedanken im Programm des Kanz5 Amtliche Kriegsdepeschen nach Berichten von WTB I, S. 117.
6 Als Berater des Kanzlers waren Jagow und Helfferich im Hauptquartier anwesend. DZA Potsdam, RK, Gr. Hq. 21, Nr. 2476, BH an Delbrück, 9. 9. 1914; zu Helfferich vgl. RK, Gr. Hq., Belgien Bd. 1, Nr. 2463; vgl. die Denkschriften Helfferichs aus Koblenz v. 28. 8. u. 29. 8. 1914;
ebenda, Helfferich an BH, 9. 9. 1914; Antwort BH’s, 12. 9. 1914.
7 Vgl. Briefwechsel Bethmann Hollweg-Rathenau im Bundesarchiv Koblenz.
8 Vgl. Rathenaus Brief an den Kanzler, 28. 8. 1914 in: DZA Potsdam, RK, Gr. Hq. 21, Nr. 2476,
Bethmann Hollweg hielt die Denkschrift für so wichtig, daß er sie bei den Ressorts in Umlauf
setzte: DZA Potsdam, RK, Mitteleuropäischer Wirtschaftsbund, Bd.1, Nr. 403, Delbrück an Rk,
3. 9. 1914. Außerdem: Schreiben an Bethmann Hollweg vom 7. 9. 1914 in: Walther Rathenau,
Ein preußischer Europäer, Briefe, hg. von M. v. Eynern, Berlin 1955, S. 118 ff. Vgl. auch Eric Kollmann, Walther Rathenau in German Foreign Policy, in: Journal of Modern History, Vol. XXIV,
Nr. 1, S. 127 ff.
Bethmann Hollwegs Septemberprogramm
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lers lebhaft begrüßte9. Bethmann Hollweg zeigte sich tief beeindruckt von der
Rathenauschen Gedankenwelt, deren Grundlage er uneingeschränkt übernahm, nämlich die Zoll- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen Deutschland
und Österreich-Ungarn als Kern eines weiteren wirtschaftlich geeinten Mitteleuropas. Im Gegensatz zu Delbrück war Bethmann Hollweg davon überzeugt,
daß das weitere wie das engere Ziel nur erreicht werden könne, wenn Deutschland sein »politisches Übergewicht« in die »Waagschale« zu werfen entschlossen sei10.
In die gleiche Richtung wies der ebenfalls mit Bethmann Hollweg befreundete Arthur von Gwinner, erster Direktor der Deutschen Bank, wenn er sich
auf der ersten Sitzung der Mittwochsgesellschaft im Krieg, einem Treffpunkt
führender Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kulturleben in Berlin,
am 2. September dagegen wandte, »blindlings eine Politik der Annexionen zu
beginnen«. Entgegen einer krassen und problematischen Annexionspolitik trat
er für weniger auffällige, dafür aber um so wirksamere Methoden ein, nämlich
»Deutschlands wirtschaftliche Vorherrschaft (in Europa) zu etablieren«. Seine
Gedanken hielt Unterstaatssekretär Zimmermann für so bedeutsam, daß er
eine Niederschrift darüber sofort an Bethmann und Jagow ins Große Hauptquartier weitergab, wo diese noch rechtzeitig genug für die Ausarbeitung des
Kriegszielprogramms vom 9. September 1914 eintraf11.
Neben dem großräumig gedachten, vornehmlich wirtschaftlich bestimmten
»Mitteleuropa«-Programm (das hier das kontinentale Westeuropa einschloß)
und einer damals schon in konkreten Formen ausgearbeiteten Konzeption
einer Zurückdrängung Rußlands fanden bereits im August 1914 Besprechungen über die Abrundung und Erweiterung des deutschen Kolonialbesitzes in
Afrika statt. Zur Formulierung der Grundlagen für einen Frieden mit Frankreich und Belgien forderte Jagow Ende August12 den Staatssekretär des Reichskolonialamts, Solf, auf, ihm konkrete Vorschläge für koloniale Erwerbungen
zu machen. Solf ging bei seiner »Verteilung der afrikanischen Kolonien Frankreichs, Belgiens und Portugals« von dem Standpunkt aus, daß von deutscher
Seite eine größere territoriale Expansion in Europa nicht beabsichtigt sei, dafür
aber in Afrika eine erhebliche Vergrößerung des Kolonialbesitzes angestrebt
werde. Vom neutralen Portugal soll Deutschland Angola und die Nordhälfte
von Moçambique (bis auf die Höhe der Primerainseln) erhalten, womit Solf an
die deutsch-englischen Vorkriegsverhandlungen über die Verteilung des portugiesischen Kolonialbesitzes anknüpfte. Damit stellte das amtliche Deutschland
einen geschlossenen mittelafrikanischen Kolonialbesitz als Kriegsziel auf: Neben den portugiesischen Kolonien sollten dazu gehören der belgische Kongo
9 DZA Potsdam, RK, Gr. Hq. 21, Nr. 2476, Delbrück an Rk, 13. 9. 1914.
10 Ebenda, Bethmann Hollweg an Delbrück, 16. 9. 1914; vgl. ebenda Delbrück an Bethmann
Hollweg 13. 9. 1914: »Die Annexion des Erzbeckens von Briey kann überflüssig werden, wenn
Frankreich und Deutschland ein Wirtschaftsgebiet werden.«
1 1 DZA Potsdam, RK, Gr. Hq. 21, Nr. 2476, UStS an 3. 9. 1914.
12 AA, Wk 15, geh. adh., 25. 8. 1914. Antwort von Solf 28. 8. und 25. 9. 1914 nebst Karten.
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3. Kapitel: In Erwartung des Blitzsieges
und Französisch-Äquatorialafrika, erweitert bis auf die Höhe des Tschadsees,
Togo vergrößert um Dahomé und im Norden erweitert um einen Teil Senegambiens bis Timbuktu, so daß der Lauf des Niger die Nordgrenze bilden
sollte. Solf begründete seine Vorschläge ausführlich und lieferte dazu detaillierte Karten. Der Besitz des Minengebietes von Katanga, die Herrschaft über
die Eisenbahnverbindung Katanga–Atlantischer Ozean und die Sicherung der
Häfen von Portugiesisch-Angola waren die wirtschaftlich wichtigsten Objekte
in diesem Plan.
Diese Konzeption war ganz auf die Erwartung eines unmittelbar bevorstehenden Sieges über Frankreich aufgebaut. Von englischem Besitz sah Solf zu
diesem Zeitpunkt ab, weil er den Optimismus breiter deutscher Schichten,
England bald und vollständig auf die Knie zwingen zu können, nicht teilte.
Was Solf aber im Falle eines Sieges auch über England zu fordern gedachte,
äußerte er 1916 gegenüber Jagow, wenn er unter anderem den Erwerb des wirtschaftlich ergiebigen Nigeria als Verbindungsglied zwischen den künftigen
deutschen Westbesitzungen Togo-Timbuktu und dem östlicher gelegenen Gebiet am Tschadsee befürwortete13, wodurch erst die volle Abrundung des neuen Gesamtbesitzes erreicht worden wäre.
Obgleich die im Gutachten von Solf an Jagow genannten Ziele einen
beachtlichen Umfang aufwiesen, waren sie von ihm als ein mäßigendes Projekt
gedacht. Gerade die Konzentration auf den afrikanischen Raum sollte die
Nation von ihrem Willen, große Gebiete in Europa zu annektieren, ablenken
und sie auf die Möglichkeit eines autarken, durch das vergrößerte Kolonialreich garantierten Wirtschaftsgebietes als Grundlage der Weltmachtstellung
hinweisen. Damit gewann Mittelafrika eine ähnliche Bedeutung wie Mitteleuropa.
Bethmann Hollweg nahm den Plan der Schaffung eines »zusammenhängenden mittelafrikanischen Kolonialreiches« in sein Septemberprogramm auf;
dieses große Überseeprojekt blieb damit grundsätzlich fortan ein Bestandteil
der amtlichen deutschen Kriegszielpolitik.
Der Kanzler bezeichnete in Erwartung baldiger Friedensverhandlungen sein
Programm vom 9. September als eine »vorläufige Aufzeichnung über die
Richtlinien unserer Politik beim Friedensschluß«. Das »allgemeine Ziel des
Krieges« war für ihn:
»Sicherung des Deutschen Reiches nach West und Ost auf erdenkliche Zeit. Zu diesem
Zweck muß Frankreich so geschwächt werden, daß es als Großmacht nicht neu erstehen kann, Rußland von der deutschen Grenze nach Möglichkeit abgedrängt und seine
Herrschaft über die nichtrussischen Vasallenvölker gebrochen werden.«
Die Detaillierung der »Ziele des Krieges im einzelnen« beschränkte sich auf
den kontinentalen Westen, da hier allein der Friedensschluß greifbar nahe zu
sein schien. Die in diesem lapidaren Eingangssatz umrissenen Ostziele wurden
13 AA, Wk 15, Bd. 2 Solf an Jagow 8. 9. 1916.
Bethmann Hollwegs Septemberprogramm
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im Programm selbst nicht behandelt, da gegenüber Rußland der Friedensschluß noch nicht abzusehen war, was jedoch nicht bedeutete, daß sie noch
keine konkretere Gestalt angenommen hätten.
Die Sicherung des Deutschen Reiches nach Westen wie die übrigen nur
angedeuteten Kriegsziele dachte sich der Reichskanzler Anfang September
1914 wie folgt:
»1. Frankreich. Von den militärischen Stellen zu beurteilen, ob die Abtretung von Belfort, des Westabhangs der Vogesen, die Schleifung der Festungen und die Abtretung des
Küstenstrichs von Dünkirchen bis Boulogne zu fordern ist. In jedem Falle abzutreten,
weil für die Erzgewinnung unserer Industrie nötig, das Erzbecken von Briey.
Ferner eine in Raten zahlbare Kriegsentschädigung; sie muß so hoch sein, daß Frankreich nicht imstande ist, in den nächsten fünfzehn bis zwanzig Jahren erhebliche Mittel
für Rüstung anzuwenden.
Des weiteren: ein Handelsvertrag, der Frankreich in wirtschaftliche Abhängigkeit von
Deutschland bringt, es zu unserem Exportland macht, und es ermöglicht, den englischen Handel in Frankreich auszuschalten. Dieser Handelsvertrag muß uns finanzielle
und industrielle Bewegungsfreiheit in Frankreich schaffen – so, daß deutsche Unternehmungen nicht mehr anders als französische behandelt werden können.
2. Belgien. Angliederung von Lüttich und Verviers an Preußen, eines Grenzstriches der
Provinz Luxemburg an Luxemburg.
Zweifelhaft bleibt, ob Antwerpen mit einer Verbindung nach Lüttich gleichfalls zu
annektieren ist.
Gleichviel, jedenfalls muß Belgien, wenn es auch als Staat äußerlich bestehen bleibt, zu
einem Vasallenstaat herabsinken, in etwa militärisch wichtigen Hafenplätzen ein Besatzungsrecht zugestehen, seine Küste militärisch zur Verfügung stellen, wirtschaftlich zu
einer deutschen Provinz werden. Bei einer solchen Lösung, die die Vorteile der Annexion, nicht aber ihre innerpolitisch nicht zu beseitigenden Nachteile hat, kann franz.
Flandern mit Dünkirchen, Calais und Boulogne mit großenteils flämischer Bevölkerung diesem unveränderten Belgien ohne Gefahr angegliedert werden. Den mliitärischen Wert dieser Position England gegenüber werden die zuständigen Stellen zu beurteilen haben.
3. Luxemburg. Wird deutscher Bundesstaat und erhält einen Streifen aus der jetzt belgischen Provinz Luxemburg und eventuell die Ecke von Longwy.
4. Es ist zu erreichen die Gründung eines mitteleuropäischen Wirtschaftsverbandes durch
gemeinsame Zollabmachungen, unter Einschluß von Frankreich, Belgien, Holland,
Dänemark, Österreich-Ungarn, Polen (!) und eventuell Italien, Schweden und Norwegen. Dieser Verband, wohl ohne gemeinsame konstitutionelle Spitze, unter äußerlicher
Gleichberechtigung seiner Mitglieder, aber tatsächlich unter deutscher Führung, muß
die wirtschaftliche Vorherrschaft Deutschlands über Mitteleuropa stabilisieren.
5. Die Frage der kolonialen Erwerbungen, unter denen in erster Linie die Schaffung eines
zusammenhängenden mittelafrikanischen Kolonialreichs anzustreben ist, desgleichen
die Rußland gegenüber zu erreichenden Ziele werden später geprüft. Als Grundlage der
mit Frankreich und Belgien zu treffenden wirtschaftlichen Abmachungen ist eine kurze
provisorische, für einen eventuellen Präliminarfrieden geeignete Formel zu finden.
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3. Kapitel: In Erwartung des Blitzsieges
6. Holland. Es wird zu erwägen sein, durch welche Mittel und Maßnahmen Holland in
ein engeres Verhältnis zu dem Deutschen Reich gebracht werden kann.
Dies engere Verhältnis müßte bei der Eigenart der Holländer von jedem Gefühl des
Zwanges für sie frei sein, an dem Gang des holländischen Lebens nichts ändern, ihnen
auch keine veränderten militärischen Pflichten bringen, Holland also äußerlich unabhängig belassen, innerlich aber in Abhängigkeit von uns bringen. Vielleicht ein die
Kolonien einschließendes Schutz- und Trutzbündnis, jedenfalls enger Zollanschluß,
eventuell die Abtretung von Antwerpen an Holland gegen das Zugeständnis eines deutschen Besatzungsrechts für die Befestigung Antwerpens wie für die Scheldemündung
wäre zu erwägen.«
Der rückschauende Betrachter erkennt in dem Kriegszielprogramm des Kanzlers unschwer Objekte deutscher Wirtschaftsbestrebungen der Vorkriegszeit,
wie z. B. die in Belgien, Luxemburg und Lothringen, die aber nunmehr durch
die Mitteleuropakonzeption und eine antienglische Spitze gekennzeichnet
waren. Neben den wirtschaftlichen Momenten traten die strategischen und
maritimen Ziele zurück, deren Verwirklichung endgültig den Ring um die
»Festung Deutschland« sprengen sollte, womit gleichzeitig die zwei westlichen
Großmächte als künftige Gegner Deutschlands militärisch ausgeschaltet werden sollten.
Die Durchsetzung dieses Programms hätte eine vollständige Umwälzung
der staatlichen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse in Europa herbeigeführt. Nach der Vernichtung der französischen Großmachtstellung, der Beseitigung des englischen Einflusses auf dem Kontinent und der Zurückdrängung
Rußlands wäre Deutschland die Hegemonie in Europa zugefallen. Bei diesem
Bild künftiger Friedensordnung drängt sich die Frage auf, ob die Konzeption
Bethmann Hollwegs tatsächlich eine tragfähige Grundlage eines lang dauernden Friedenszustandes in Europa hätte abgeben können. Zwar hätte die Durchsetzung dieses Programms die Koalition der drei Entente-Mächte gesprengt,
aber durch die neue Ordnung die Stellung der drei Großmächte und die Bewegungsfreiheit der kleineren Nationen in Europa so stark eingeschränkt, daß
damit gefährlicher Sprengstoff für neue Konflikte gelegt worden wäre.
Tatsächlich hat Bethmann Hollweg gesehen, daß die angestrebte Bildung
eines mitteleuropäischen Großraums unter deutscher Führung sich »nicht auf
der Basis einer Verständigung über gemeinsame Interessen«, wie er an Delbrück wenige Tage nach der Formulierung des Programms schrieb, »sondern
nur bei einem eventuell von uns zu diktierenden Frieden unter dem Druck
politischer Überlegenheit (würde) erreichen lassen14«.
Die besondere Bedeutung des Septemberprogramms für die politische Willensbildung innerhalb Deutschlands im Ersten Weltkrieg lag in zwei Punkten.
Einmal stellte das Programm keine isolierten Forderungen des Kanzlers dar,
sondern repräsentierte Ideen führender Köpfe der Wirtschaft, Politik und des
Militärs. Zum andern waren, wie sich zeigen wird, die in dem Programm nie14 Bethmann an Delbrück, 16. 9. 1914: DZA Potsdam, RK, Gr. Hq. 21, Nr. 2476.
Das Septemberprogramm von Claß
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dergelegten Richtlinien im Prinzip Grundlage der gesamten deutschen Kriegszielpolitik bis zum Ende des Krieges, wenn sich auch je nach der Gesamtlage
einzelne Modifikationen ergaben.
Das Septemberprogramm von Claß
Das Kriegszielprogramm Bethmann Hollwegs, so weitgreifend es auch dem
heutigen Betrachter erscheinen mag, wurde vom Reichskanzler selbst als ein
Programm der Mäßigung verstanden gegenüber der Annexionswelle, die ganz
Deutschland angesichts der militärischen Erfolge in den August- und Septembertagen erfaßt hatte. Am prägnantesten kam diese überhitzte Diskussion in
der Kriegszieldenkschrift des Vorsitzenden des Alldeutschen Verbandes, Claß,
zum Ausdruck15:
»Daß Mitteleuropa . . . zusammen mit den Landesteilen, die das Deutsche Reich und
Österreich-Ungarn als Siegespreis gewinnen, ein großes einheitliches Wirtschaftsgebiet
bilden wird, liegt als geradezu gebieterische Forderung in der Luft. Diesem Kern werden sich, ohne daß die Kernstaaten einen Druck auch nur versuchen werden, allmählich und mit geradezu gesetzmäßiger Gewißheit die Niederlande und die Schweiz, die
drei skandinavischen Staaten und Finnland, Italien, Rumänien und Bulgarien anschließen. Nimmt man die Nebenländer und Kolonien dieser Staaten hinzu, so entsteht ein
gewaltiges Wirtschaftsgebiet, das schlechthin jedem anderen gegenüber seine wirtschaftspolitische Unabhängigkeit wird wahren und durchsetzen können.«
Das Ziel einer wirtschaftlichen Schwächung der Gegner sah Claß durch die
Auferlegung einer so hohen Kriegsentschädigung gesichert, daß diese Gegner
für Deutschland auf lange Zeit nicht mehr gefährlich werden konnten.
Mit Bethmann Hollwegs Septemberprogramm identisch war die Forderung, Belgien in der Hand zu behalten, als Druckmittel gegen England, sowie
Longwy-Briey und die französische Kanalküste, wobei Claß freilich über Boulogne hinaus die Abtretung bis zur Somme verlangte. Über Belfort hinaus forderte Claß die Festungslinie von dort bis Verdun und die Abtretung Toulons
als deutschen Kriegshafen, ein Gedanke, der von Bethmann Hollweg als absurd abgelehnt wurde, ebenso wie die von den Alldeutschen damals vorgebrachte Erwägung einer Inbesitznahme von Petersburg.
»Rußlands Gesicht muß . . . gewaltsam wieder nach Osten umgewandt und
dazu muß es im wesentlichen in die Grenzen vor Peters des Großen Zeit
zurückgeworfen werden.« Wenn Claß an territorialen Erwerbungen im Osten
die polnischen Grenzgebiete, die russisch-litauischen Gouvernements und die
Ostsee-Provinzen zur strategischen Sicherung und als Siedlungsgebiete for15 Vgl. Werner Kruck, Geschichte des Alldeutschen Verbandes 1894-1944, Wiesbaden 1954,
S. 71 ff. Die Denkschrift wurde am 20. August 1914 auf der ersten Kriegstagung des geschäftsführenden Ausschusses des Alldeutschen Verbandes festgelegt und Anfang September 1914
gedruckt.
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