Vorgeschichte des ersten Weltkriegs

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Es begann nicht erst mit Sarajewo: Ursachen und Vorgeschichte des I. Weltkriegs
Einleitung
"In ganz Europa gehen die Lichter aus; wir werden es nicht mehr erleben, dass sie wieder angezündet werden."
Sir Edward Grey (Britischer Außenminister) 5. August 1914
"Wenn wir auch darüber zugrunde gehen, schön war’s doch."
Erich von Falkenhayn (Deutscher Kriegsminister), 5. August 1914
Als am 28. Juni 1914 Franz Ferdinand, der Thronfolger der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie,
durch einen 19-jährigen bosnischen Terroristen erschossen wurde, waren die Menschen in Berlin, Paris, Wien,
London und St. Petersburg gerade auf dem Weg in die Sommerfrische. Mit Optimismus hatten weite Teile der
Bevölkerung Europas den Beginn des 20. Jahrhunderts begrüßt und sich eine Zukunft in Frieden und
Wohlstand erhofft. Europa hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine ungewöhnlich lange Periode relativen
Friedens genossen: Wenn auch die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts keineswegs friedlich verlaufen war, so
war zu Beginn des Ersten Weltkrieges seit 43 Jahren kein großer Konflikt mehr unter Europas Staaten
ausgetragen worden.
Kaum fünf Wochen nach dem Attentat von Sarajevo aber befand sich Europa am Rande einer Katastrophe bis
dahin ungeahnten Ausmaßes. Es war vor allem die Bereitschaft Deutschlands und Österreichs, ihre außen- und
innenpolitischen Krisen bzw. Krisenängste militärisch zu überwinden, die einen Krieg auslöste, der nicht nur
den Fortschritts- und Zukunftsoptimismus der Menschen in Europa unwiederbringlich zerstören, sondern auch
das Gesicht der Welt bis in die heutige Zeit prägen sollte. Im britischen, französischen und belgischen
Sprachgebrauch gilt der Erste Weltkrieg bis heute als "Der Große Krieg", in der Geschichtswissenschaft oft als
"Urkatastrophe des Zwanzigsten Jahrhunderts".
Obwohl der Kriegsausbruch auf die europäische Bevölkerung im schönen Sommer von 1914 wie ein Schock
wirkte, kam der Krieg keineswegs aus heiterem Himmel: Der große Konflikt zwischen den europäischen
Mächten hatte sich lange angebahnt und die Ermordung des österreichischen Thronfolgers war nur der Anlass,
nicht die Ursache des Ersten Weltkrieges.
Das europäische Bündnissystem
Die drei maßgeblich durch den preußischen Ministerpräsidenten und späteren Reichskanzler Otto von Bismarck
inszenierten "Einigungskriege" gegen Dänemark 1864, gegen Österreich 1866 und gegen Frankreich 1870/71
ermöglichten nach dem Sieg über Frankreich die Gründung des deutschen Kaiserreiches. Unter preußischer
Führung und unter Ausschluss Österreichs gingen damit die deutschen Einzelstaaten in einem gemeinsamen
Nationalstaat auf. Die verglichen mit den anderen großen europäischen Staaten "verspätete Nation" entstand
auf Initiative von "Oben". Anders als zum Beispiel in Frankreich oder England war die Entstehung eines
Nationalstaates nicht das Produkt einer revolutionären Umwälzung durch das aufstrebende Bürgertum gewesen,
sondern – da die Revolution in Deutschland 1848 niedergeschlagen wurde – Ergebnis eines von der
preußischen Staatsführung bewusst zu diesem Zwecke eingefädelten Krieges. Diese historische Hypothek der
durch das "Schwert der Obrigkeit" geborenen Nation war tief greifend: Ein kaum emanzipiertes Bürgertum, ein
ausgeprägter Hang zum Militarismus und eine Verfassung mit sehr autoritären Zügen prägten den jungen
deutschen Staat, dessen nun vereinte militärische und wirtschaftliche Stärke die Machtverhältnisse in Europa zu
seinen Gunsten verschoben hatte.
Bismarck, der Architekt des deutschen Nationalstaates, war sich bewusst, dass diese neue Machtposition nicht
unwidersprochen bleiben würde, und hatte daher nach dem Sieg über Frankreich 1871 ein flexibles
Bündnissystem der europäischen Großmächte geschaffen. Das zentrale Ziel beim Abschluss dieser Bündnisse
war es gewesen, den gerade geschlagenen "Erzfeind" Frankreich von einem Bündnis mit der ehemals führenden
Kontinentalmacht Russland abzuhalten, um die Gefahr eines zukünftigen Zwei-Fronten-Krieges von
Deutschland abzuwenden. Weit davon entfernt ein stabiles Kräftegleichgewicht zu schaffen, war das
Bismarcksche System ein gefährliches "Spiel mit 5 Kugeln", dessen Zuverlässigkeit sich nur deshalb nicht
beweisen musste, da keine der europäischen Mächte ernsthaft einen Krieg riskieren wollte. Sowohl die "Kriegin-Sicht-Krise" 1875, als Bismarck in einer massiven Drohaktion erneut die Gefahr eines Konfliktes mit
Frankreich heraufbeschwor, als auch die "Orient-Krise" 1886, als ein Krieg zwischen Serbien und Bulgarien die
Gefahr eines großen europäischen Konfliktes brachte, waren durch Verhandlungen gelöst worden, weil die
Großmächte rechtzeitig vor einem Krieg untereinander zurückschreckten. Während der "Krieg-in-Sicht-Krise"
drohten Großbritannien und Russland im Falle eines deutschen Angriffes auf Frankreich nicht – wie noch 1870
– neutral zu bleiben, sondern Frankreich zu unterstützen. Damit war die spätere Machtkonstellation des Ersten
Weltkrieges zum ersten Mal vorgezeichnet.
Das Ziel der Bismarckschen Bündnispolitik – Frankreich isoliert zu halten – scheiterte, als Deutschland 1890
nach der Absetzung Bismarcks durch den jungen Kaiser Wilhelm II. den erst 1887 abgeschlossenen
Rückversicherungsvertrag, ein geheimes Neutralitätsversprechen zwischen Russland und Deutschland für den
Fall eines französischen Angriffs auf Deutschland und eines österreichischen auf Russland, nicht erneuerte. Die
Verbindung, welche die drei konservativen Monarchien Österreich/Deutschland/Russland seit dem Drei-KaiserAbkommen von 1873 eingegangen waren, wurde aufgrund der zunehmenden Differenzen zwischen Russland
und Österreich-Ungarn damit gelöst und die Erosion des Bismarckschen Bündnissystems beschleunigte sich: In
den Jahrzehnten vor der Absetzung Bismarcks bis zum Ersten Weltkrieg wandelte es sich zu einem Gegenüber
zweier gegnerischer Machtblöcke: Auf der einen Seite der "Dreibund" Deutschland/Österreich-Ungarn/Italien,
auf der anderen Seite die "Triple Entente" Russland/Großbritannien/Frankreich. Das Ende des deutschen
Einvernehmens mit Russland hatte zunächst zur Folge, dass sich Russland und Frankreich politisch näher
kamen und – nach einer Militärkonvention – 1894 einen formellen Allianzvertrag schlossen.
Es war ein ungewöhnliches Bündnis, handelte es sich bei Frankreich doch um eine Republik und bei dem
Russischen Zarenreich um das autoritärste Regime Europas, dessen Herrscher Nikolaus II. auf dem
"Gottesgnadentum" seiner Macht beharrte, während die ländliche Bevölkerung im Vergleich zu den stark
industrialisierten Staaten England, Deutschland und Frankreich weitgehend noch in feudalen Verhältnissen
lebte. Der Aufstieg Deutschlands nach 1871 hatte das Gleichgewicht der seit dem Wiener Kongress 1814/15 in
der "Heiligen Allianz" zusammengeschlossenen konservativen Monarchien auf dem Kontinent verschoben. Die
bisherige Führungsmacht Russlands spürte ein wachsendes Bedürfnis zur Wiedererlangung der alten
Machtposition. Hinzu entwickelte sich ein panslawisches Sendungsbewusstsein, das auf dem Balkan
zunehmend in Konflikt zum österreichisch-ungarischen Konzept des Vielvölkerstaates geriet.
Frankreich war nach der Niederlage gegen Deutschland 1871 trotz hoher Reparationszahlungen und
schmerzlicher Gebietsverluste (Elsass-Lothringen) relativ schnell wieder auf die Beine gekommen. Das Ziel,
die als demütigend empfundenen Friedensbedingungen von 1871 aufzuheben, und ein hohes
Sicherheitsbedürfnis gegenüber Deutschland prägten die Außenpolitik der "Dritten Republik". Nicht zu Unrecht
sorgte sich Paris in erster Linie um die Bedrohung aus dem Osten: Pläne für einen "Präventivkrieg" gegen den
ungeliebten Nachbarn Frankreich waren bei der deutschen Reichsleitung und im Generalstab immer wieder in
der Diskussion. Trotzdem sollte Frankreich bis zum Kriegsausbruch 1914 eine eher passive und wenig
aggressive Rolle im europäischen Mächtekonzert spielen.
Die Außenpolitik des deutschen Reiches nach 1890 bereitete auch Großbritannien, der bislang
unangefochtenen Weltmacht, Sorgen. Die Machtbasis des Inselstaates waren sein imperiales Weltreich, die
stark industrialisierte Wirtschaft, der weltweit wichtigste Kapitalmarkt und die mächtige Flotte. Ein Konflikt
mit anderen europäischen Mächten hätte den weiteren britischen Aufstieg nur gefährden können, so dass
London bemüht war, in keinen Krieg verwickelt zu werden. Mit der Durchsetzung der Unabhängigkeit Belgiens
1831 wurde ein traditionelles Ziel britischer Außenpolitik – nämlich zu verhindern, dass die England
gegenüberliegende Kanalküste unter die Kontrolle einer einzigen europäischen Großmacht geriet – auf
diplomatischem Weg erreicht. Seit dem Krimkrieg 1854-1856 gegen Russland zog sich die parlamentarische
Monarchie in die Rolle eines an der Wahrung des europäischen Gleichgewichts interessierten Beobachters
zurück. Diese "splendid isolation" gab Großbritannien erst auf, als der erstarkte Machtfaktor Deutschland sein
Streben nach einer hegemonialen Stellung in Europa und den Willen zur eigenen "Weltpolitik" zum Ausdruck
brachte. Entschlossen, die Gefahr, dass sich ein ernsthafter Konkurrent entwickeln könnte, im Keim zu
ersticken, näherten sich London und Paris nach der Faschoda-Krise 1893 aneinander an und schlossen 1904 die
gegen das Deutsche Reich gerichtete "entente cordiale".
"Weltpolitik"
Deutschland hatte bei der Aufteilung der Welt im Zeitalter des Imperialismus bisher keine großen Erfolge
vorzuweisen. Zwar drängten starke Kräfte zu einer offensiven Kolonialpolitik, doch Bismarck war trotz des
Drucks der expansionistischen Kräfte eher zurückhaltend gewesen: "Ihre Karte von Afrika ist ja sehr schön,
aber meine Karte von Afrika liegt in Europa. Hier liegt Russland und hier [...] liegt Frankreich, und wir sind in
der Mitte; das ist meine Karte von Afrika." Erst 1884/85 wurden die ersten Gebietserwerbungen zunächst
privatwirtschaftlich organisierter deutscher Kolonialgesellschaften in Afrika und im Pazifik unter den "Schutz"
des Reiches gestellt und Deutschland rückte in den Kreis der Kolonialmächte auf. Ein deutlicher Wandel in
der deutschen Außenpolitik wurde spätestens 1897 offenbar, als der Staatssekretär im Auswärtigen Amt und
spätere Reichskanzler Bernhard von Bülow für Deutschland das Recht auf einen "Platz an der Sonne"
einforderte. Er erklärte im Reichstag: "die Zeiten, wo der Deutsche dem einen seiner Nachbarn die Erde
überließ, dem anderen das Meer, und sich selbst den Himmel reservierte [...] – diese Zeiten sind vorüber."
Zwar entsprach die Rhetorik, mit der diese "Weltpolitik", die deutsche Version des Imperialismus, vertreten
wurde, weitgehend dem Sprachgebrauch der einflussreichen nationalistischen Agitationsverbände wie dem
Alldeutschen Verband, dem Flottenverein und dem Kolonialverein, der dahinter liegende Grundgedanke war in
Deutschland jedoch politisches Allgemeingut, der von Konservativen und Nationalliberalen ebenso
Zustimmung erfuhr wie von bürgerlichen Linken und weiten Teilen der Sozialdemokratie: Deutschlands Rolle
in der Welt sei dem, was ihm quasi naturgemäß zustände, nicht angemessen, und der Weltmachtstatus müsse
gegen den Widerstand der anderen Staaten, die aus Neid Deutschland an der Erringung wahrer Größe
hinderten, durchgesetzt werden. "Weltpolitik" war im öffentlichen Bewusstsein daher eine notwendige
Konsequenz der Reichsgründung, da aktive Großmachtpolitik nur möglich sei, wenn sich das Reich auch
außerhalb Europas engagiere. Zwar waren die Kolonien wirtschaftlich mehr Belastung als Gewinn, doch die
politische und ideelle Bedeutung der "Weltpolitik" war den führenden deutschen Politikern wichtiger als der
ökonomische Profit bei der Ausbeutung der Kolonien.
Die nun anvisierte deutsche Weltmachtstellung sollte durch ein gigantisches Flottenrüstungsprogramm
durchgesetzt werden. Die deutsche Flotte sollte in erster Linie Großbritannien weitreichende Konzessionen für
ein großes eigenes Kolonialreich abringen. Nach Ansicht von Großadmiral Alfred von Tirpitz sollte England
angesichts der Größe der deutschen Flotte "jede Neigung uns anzugreifen verloren haben und infolgedessen
Eurer Majestät ein solches Maß an Seegeltung zugestehen und Eurer Majestät ermöglichen, eine große
überseeische Politik zu führen." Doch Tirpitz warnte auch beständig, sich nicht auf außenpolitische Abenteuer
einzulassen, bis die Flotte für eine Konfrontation mit England stark genug sei. Der imperiale Traum von einem
ausgedehnten Kolonialreich war angesichts einer schon weitgehend aufgeteilten Welt nicht allein mit
friedlichen Mitteln oder reinen Machtdemonstrationen zu erreichen.
Dass Deutschland neben der weltweit stärksten Armee nun auch noch Seestreitkräfte aufbaute, die der
britischen Grand Fleet Paroli bieten können sollten, traf in London erwartungsgemäß auf wenig Verständnis.
Was folgte, war ein Rüstungswettlauf, der die Staatsfinanzen des Reiches stark strapazierte und auch
militärisch keine wirklichen Vorteile verschaffen sollte, da der Erfolg der kostspieligen deutschen Flotte im
Krieg ausbleiben sollte.
Die neue außenpolitische Linie des Reiches wurde von den restlichen Staaten auch deshalb als Bedrohung
empfunden, weil sie mit einem säbelrasselnden, prahlerischen Gehabe einherging. Der von
Minderwertigkeitsgefühlen gequälte Wilhelm II. war besonders lautstark. Die Krügerdepesche 1896, ein
Glückwunschtelegramm an den Präsidenten der Südafrikanischen Republik, wo gerade ein britisches
Expeditionskorps vernichtend geschlagen worden war, und die so genannte Daily-Telegraph-Affäre 1908, als
Wilhelm in einem Zeitungsinterview die Briten als "verrückt wie Märzhasen" bezeichnete, belasteten das
Verhältnis zu Großbritannien zusätzlich.
Eine schrille Begleitmusik zu einem der größeren weltpolitischen Engagements lieferte Wilhelm II. mit der so
genannten Hunnenrede, die weltweit für Empörung sorgte. Im Juli 1900 verabschiedete er in Bremerhaven
deutsche Truppen, die gemeinsam mit Truppen der meisten Westmächte in China den so genannten
Boxeraufstand niederschlagen sollten, mit folgenden Worten: "Kommt ihr an den Feind, so wisst: Pardon wird
nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht. Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter König Etzel sich
einen Namen gemacht haben, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen lässt, so
muss der Name Deutscher in China auf tausend Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, dass niemals
wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen."
Dass die deutsche Kolonialpolitik neben der starken Rhetorik auch keineswegs zimperlich in der Wahl ihrer
Mittel war, veranschaulichen die blutigen Niederschlagungen der Aufstände der Maji-Maji und der Herero:
Nachdem der deutsche General von Trotha 1904 die vollständige Vernichtung der etwa 80.000 Herero befohlen
hatte überlebten nur etwa 16.000 diesen ersten beabsichtigten Genozid des 20. Jahrhunderts.
Während der zweiten Welle der Kolonialerwerbungen ab 1897 kamen nur vergleichsweise unbedeutende
Gebiete in China und dem Pazifik hinzu. Neben dem Eingreifen in China, einer versuchten Intervention in
Marokko und dem mit dem Bau der Bagdad-Bahn verbundenen Engagement im Mittleren Osten konzentrierte
sich die deutsche Kolonialpolitik doch weitgehend auf die Sicherung des Bestehenden. Deutschland unternahm
noch keine ernsthaften Versuche, seinen Einfluss in der Welt in großem Stil auszuweiten.
Die Krise spitzt sich zu
Dass die deutsche "Weltpolitik" dennoch immer wieder in Konflikt mit England, Frankreich und Russland
geriet, führte zur weiteren Verfestigung der Koalition der zukünftigen Entente-Mächte. Endgültig besiegelte der
britisch-russische Interessenausgleich 1907 und damit die Erweiterung der "entente cordiale" zur "triple
entente" das Scheitern der deutschen Bündnispolitik: Die späteren Kriegskoalitionen standen sich nun
gegenüber und alle Versuche der deutschen Diplomatie, diesen Dualismus aufzulösen, scheiterten. Weder
Russland noch England waren gewillt, ihre Bündnisse zugunsten einer Allianz mit Deutschland aufzugeben.
Gerade in London machte man sich keinerlei Illusionen bezüglich der langfristigen deutschen Ziele. Der
ranghöchste britische Diplomat Sir Arthur Nicolson schrieb: "Die höchsten Ziele Deutschlands bestehen
sicherlich ohne Zweifel darin, die Vorherrschaft auf dem europäischen Kontinent zu gewinnen." Er war der
Ansicht, das Kaiserreich werde anschließend "mit uns einen Wettkampf um die Vormachtstellung zur See
beginnen."
Für Bismarck waren die Expansionsbestrebungen Deutschlands auf dem Kontinent nach 1871 zunächst
saturiert gewesen. Nach dem Thronbesteigung Wilhelms II. und der Absetzung Bismarcks wuchs der Einfluss
jener Kräfte, die eine expansive Politik auch in Europa befürworteten. Angesichts ausbleibender greifbarer
außenpolitischer Erfolge mit diplomatischen Mitteln geriet eine bewaffnete Auseinandersetzung immer mehr zu
einer scheinbar annehmbaren Option, um die in den Augen der Elite Deutschlands unbefriedigende Situation zu
durchbrechen. In einem Klima des übersteigerten Nationalismus wuchs die Bereitschaft der Regierenden, eine
militärische Lösung der Konflikte zu suchen. Im Umkreis des Kaisers nahm die Glorifizierung des
Militärischen gegenüber zivilem und diplomatischem Politikmanagement geradezu wahnhafte Ausmaße an.
Wilhelm II. erklärte 1912: "Das ewige Betonen des Friedens bei allen Gelegenheiten – passenden und
unpassenden – hat in den 43 Friedensjahren eine geradezu eunuchenhafte Anschauung unter den leitenden
Staatsmännern und Diplomaten Europas gezeitigt."
Konsequenterweise war auf dem Höhepunkt der Balkankrise 1912 ein "Kriegsrat" abgehalten worden, zu
dem keine Zivilisten eingeladen waren. Im Kreise seiner militärischen Berater und in Abwesenheit des
Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg wurden Pläne für einen "Präventivkrieg" gegen
Großbritannien, Frankreich und Russland mit dem deutschen Kaiser diskutiert. Während Generalstabschef
Helmuth von Moltke erklärte "Ich halte den Krieg für unvermeidbar und je eher, je besser", wollte
Großadmiral Alfred von Tirpitz den Krieg noch 1½ Jahre hinausschieben, bis die Marine auf dem erwünschten
Stand sei. Obwohl die Balkan-Krise 1913 diplomatisch beigelegt wurde und die deutsche Regierung den
österreichisch-ungarischen Bündnispartner mehrmals von einem militärischen Alleingang abgehalten hatte,
wurde dabei deutlich, dass die Reichsleitung über kurz oder lang einen Krieg nicht nur erwartete, sondern auch
befürwortete. Die Begründung der Kriegsbefürworter blieb schon seit den Krisen des Jahres 1887 dieselbe: Es
müsse durch rechtzeitiges Losschlagen verhindert werden, dass die anderen europäischen Mächte – allen voran
Russland – übermächtig würden. Verstärkt wurde die Kriegsbereitschaft noch von dem an Eigendynamik
gewinnenden rassenpolitischen Gedanken, "dass ein europäischer Krieg über kurz oder lang kommen muss, in
dem es sich in erster Linie handeln wird um einen Kampf zwischen Germanentum und Slawentum" (Moltke).
Gerade auf dem Balkan verschränkten sich außenpolitische Konflikte unter den Großmächten mit politischen,
religiösen und ethnischen Problemen der Region, wo sich die Interessensphären Österreich-Ungarns mit denen
Russlands überschnitten. Die österreichisch-ungarische Annexion Bosnien-Herzegowinas verschärfte 1908/09
die Situation, da sich ein Großteil der bosnischen Bevölkerung eher dem benachbarten Serbien zugehörig fühlte
als dem von Österreichern und Magyaren dominierten Habsburgerreich. Auch die nationalistische Organisation
"Schwarze Hand", der die Attentäter von Sarajewo angehörten, wollte ihr Ziel der Loslösung von ÖsterreichUngarn mit Gewalt erreichen.
Das vom greisen Franz-Joseph I. regierte Österreich-Ungarn drohte angesichts slawischer
Unabhängigkeitsbewegungen gegen die als Unterdrückung empfundene Herrschaft zu zerfallen. Im
nördlichen Böhmen, Mähren und auf dem Balkan schwanden Autorität und Integrationskraft des
Habsburgerreiches. Den Konflikt mit Russland in Kauf nehmend, suchte Wien eine Gelegenheit, seine alte
Autorität mittels eines Krieges auf dem Balkan wiederherzustellen. Eine Fraktion von "Falken" im
österreichisch-ungarischen Generalstab um Conrad von Hötzendorf plädierte unter diesem Eindruck beständig
für einen "Präventivkrieg". Allein 1913 forderte Hötzendorf 25 mal Krieg gegen Serbien. Ironischerweise
verloren die Gegenspieler des kriegsfreudigen Generalstabschefs durch das Attentat von Sarajewo ihren
stärksten Verbündeten: Franz Ferdinand war der einflussreichste Gegner des geforderten militärischen
Vorgehens gewesen und galt als Anwalt slawischer Interessen.
In einer ganzen Reihe schwerer Krisen war Europa seit Beginn des Jahrhunderts immer wieder an den Rand
eines Krieges gerückt. Neben den Krisen auf dem Balkan sind dabei vor allem noch die Marokko-Krisen 1905
und 1911 zu nennen, bei denen Deutschland und Frankreich aneinander gerieten. Gerade die Bereitschaft, seine
militärische Macht als Drohpotential einzusetzen, hatte dem Ansehen des deutschen Reiches geschadet: Nach
einer riskanten Machtdemonstration durch die Entsendung eines Kanonenbootes nach Marokko 1911
("Panthersprung nach Agadir") wurde Deutschland allgemein als Bedrohung für den Frieden empfunden.
Bis 1914 war Deutschland aufgrund seiner aggressiven, sprunghaften und lautstarken Außenpolitik in
außenpolitische Isolation geraten. Die mal gegen Frankreich, mal gegen England oder Russland gerichtete
"Politik der Stärke" hatte eine Situation geschaffen, die von Deutschland als Akt der "Einkreisung" empfunden
und dargestellt wurde. Obwohl sich das deutsche Reich von Feinden umgeben sah, handelte es sich vielmehr
um eine "Auskreisung", da sich das Reich selbsttätig ins diplomatische Abseits manövriert hatte. Zu dem
Gefühl der Bedrohung von Außen kamen gravierende innenpolitische Probleme.
Innere Ursachen
Vieles spricht dafür, dass die lärmende Großmachtpose dazu diente, innere Konflikte zu überdecken.
Deutschland befand sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einer Phase des tief greifenden gesellschaftlichen
Wandels und der inneren Zerrissenheit. Der eingangs erwähnte Fortschrittsoptimismus war nur eine Seite der
gesellschaftlichen Realität. Ein starke Spannung zwischen beschleunigten Modernisierungsprozessen und alten
Lebensgewohnheiten, zwischen industrieller, kultureller und politischer Dynamik und der Beharrlichkeit
überkommener Strukturen und Denkweisen sowie Zukunftsangst prägte die Gesellschaft.
Die rasche Industrialisierung und Urbanisierung förderten das Entstehen einer zunehmend selbstbewussten
Arbeiterbewegung, die sich in einem grundlegenden Konflikt mit dem Obrigkeitsstaat befand. Auch
Jahrzehnte der Unterdrückung durch die "Sozialistengesetze" konnten nicht verhindern, dass die
Sozialdemokratie ab 1912 die stärkste Fraktion im Reichstag stellte. Die SPD war zu Beginn des 20.
Jahrhunderts die größte und bestorganisierte sozialistische Partei der Welt und vereinte ein Drittel der (mangels
Frauenwahlrecht nur männlichen) Wählerstimmen auf sich. Unter dem Eindruck materieller Zugeständnisse an
die Arbeiter begann ihr Programm vom revolutionären Umsturz der autoritären Ordnung an Radikalität zu
verlieren. Bei der Frage, ob die Abschaffung des Kapitalismus sowie die Einrichtung der Demokratie in
Deutschland nun auf dem Weg der Revolution oder der Reformen erreicht werden sollen, begannen sich
reformistische Kräfte durchzusetzen.
Auch das Bürgertum verlangte gegenüber der vom Kaiser ernannten und von den Interessen der alten Eliten
dominierten Reichsleitung mehr Mitsprache. Der Reichskanzler musste immer wieder auf die Parteien des
Bürgertums im Reichstag zugehen um seine politischen Vorstellungen durchsetzen. Denn obwohl der Reichstag
nur wenige Befugnisse hatte, verfügte er aber mit dem Recht, den Etat zu beschließen, über ein zentrales
Machtinstrument. Wie alle partizipativen Institutionen war auch der Reichstag dem Kaiser ein ständiger Dorn
im Auge. Mehrfach erwog er, den Reichstag durch einen Staatsstreich völlig abzuschaffen und die
Sozialdemokratie zu zerschlagen, da beide einer nationalen Politik im Wege stünden. Angesichts des blutig
niedergeworfenen Moskauer Arbeiteraufstandes 1905 erklärte Wilhelm II.: "Erst die Sozialisten abschießen,
köpfen und unschädlich machen, wenn nötig, per Blutbad, und dann Krieg nach außen." Diese kaiserliche
Gewaltphantasie war zwar nicht durchführbar und diente daher mehr der Begründung einer moderaten
außenpolitischen Linie als der Vorbereitung eines Blutbades, sie illustriert aber den Grad der Ablehnung der
demokratischen Kräfte.
Besondere innenpolitische Schwierigkeiten bereitete die mit ungeheuren Kosten verbundene Aufrüstung. Die
Finanzierung der verschiedenen Flotten- und Heeresvorlagen brachte die Staatsfinanzen an die Grenzen der
Belastbarkeit und traf die Arbeiterschaft besonders schwer, da der Großteil des Geldes über indirekte Steuern
beschafft wurde. Allein zwischen 1900 und 1908 verdoppelten sich die Staatsschulden aufgrund des MarineProgramms. Die Angst vieler Gegner der Gesetzesvorlagen davor, als national unzuverlässig – als
"vaterlandslose Gesellen" – hingestellt zu werden, sorgte dennoch immer wieder für die nötigen Mehrheiten im
Reichstag, um das Aufrüstungsprogramm genehmigt zu bekommen.
Auch regionale Konflikte zwischen einzelnen Bundesstaaten und dem übermächtigen Preußen, konfessionelle
Konflikte zwischen der protestantischen Mehrheit und dem im Kirchenkampf bedrängten politischen
Katholizismus, sowie "ethnische" Konflikte mit den Minderheiten der Polen, Elsässer und Dänen, die sich
gegen die Germanisierungspolitik stemmten, strapazierten das Land.
Dass das Reich angesichts dieser Zerrissenheit nicht den inneren Zusammenhalt verlor, ist der "Zivilreligion
des deutschen Staates" (Roger Chickering) zu verdanken: Der Nationalismus als kollektive Identitätsstiftung
erreichte nach 1871 eine bisher nicht gekannte Bedeutung und überdeckte viele innere Konflikte. So konnten
die nationalistischen Interessenverbände Millionen von Mitgliedern für sich gewinnen. Die dort propagierten
weitgehenden außenpolitischen Forderungen waren nicht die einzigen Äußerungsformen des Nationalismus.
Auch die weiteren Grundbestandteile des deutschnationalen Gedankengutes, Antisemitismus, Rassismus und
Militarismus hatten Konjunktur. Insbesonders in der allgemeinen Überhöhung des Militärischen spiegelt sich
die autoritäre und kriegerische Gründungsgeschichte der Nation wider. Die nahezu sakrosankte Offizierskaste
sah den Krieg als sozialdarwinistischen Selbstzweck an und drängte, sich mit weiten Teilen der Bevölkerung
einig wissend, auf eine Gelegenheit, sich in einem Krieg zu bewähren. Angesichts der gesellschaftlichen Krise
erhofften sie sich in einem Krieg das Erlebnis der nationalen "Wiedergeburt". Typisch hierfür mag die Haltung
gewesen sein, die der preußische Generalfeldmarschall und Militärhistoriker Colmar von der Goltz 1907 zum
Ausdruck brachte: „Ich wünsche dem deutschen Vaterlande freilich von allen guten Dingen zwei, nämlich
völlige Verarmung und einen mehrjährigen harten Krieg. Dann würde sich das deutsche Volk vielleicht noch
einmal wieder erheben und für Jahrhunderte vor moralischer Auflösung schützen.”
Nicht nur das Militär hatte Probleme, mit den Herausforderungen der modernen pluralistischen
Industriegesellschaft zurechtzukommen. Auch viele Künstler, Schriftsteller und Ärzte waren schon vor dem
Krieg von militärischem Geist durchdrungen: Sie sahen im dem Krieg ein "Stahlbad" oder "reinigendes
Gewitter" mit kathartischer Wirkung, das die Verderbtheit und Unsicherheit der modernen Welt hinwegfegen
sollte.
In dieser "konstitutionell getarnten Militärmonarchie" (Immanuel Geiss), beherrscht von einem Kaiser, dem
"Weltgeltung" mehr bedeutete als das Wohlergehen der Bürger, gab es keine bedeutenden Kräfte, die sich dem
nationalistischen Konsens zu entziehen vermochten. Der Wahn vom Überlebenskampf deutscher Kultur gegen
"angelsächsischen Handelsgeist", "lateinische Dekadenz" oder "slawische Barbarei" dominierte die Köpfe.
Juli-Krise
Die Kriegsbereitschaft vieler Entscheidungsträger gegenüber Russland und Frankreich war in diesem Klima
des sich radikalisierenden Nationalismus bis zum Sommer 1914 weiter gestiegen. Der österreichische
Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf zweifelte, ob man "warten solle, bis Frankreich und Russland
bereit wären, uns gemeinsam anzufallen, oder ob es nicht wünschenswerter wäre, dass der 'unvermeidliche'
Konflikt früher beginnen würde; auch die slawische Frage gestalte sich immer schwieriger und gefährlicher."
Auch nach Ansicht seines deutschen Kollegen, des Generalstabschefs Helmuth von Moltke bliebe nichts
anderes übrig, als einen Präventivkrieg zu führen, solange dieser noch zugunsten Deutschlands entschieden
werden könne. Er wies daher den Staatssekretär im Auswärtigen Amt Gottlieb von Jagow an, "unsere Politik
auf die baldige Herbeiführung eines Krieges einzustellen."
In der Ermordung des Erzherzogs Franz-Ferdinand und seiner Gattin Sophie von Hohenberg am 28. Juni
1914 sahen die Kriegsadvokaten in Berlin und Wien die Chance zum Handeln gekommen. Als Wilhelm II. auf
das Attentat mit "Jetzt oder nie!" reagierte, war das dennoch kein eindeutiges Plädoyer für den knapp vier
Wochen später beginnenden Weltkrieg. Erwünscht war zunächst nur die Abrechnung" mit Serbien, ein
begrenzter Krieg auf dem Balkan. Ein Krieg mit Russland und Frankreich wurde von den Entscheidungsträgern
zwar in Kauf genommen, dass aber auch England in den Krieg eingreifen würde, war vielen Akteuren auf
deutscher Seite zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst.
Es sollte sich als fatal erweisen, dass sich auch Bethmann Hollweg inzwischen den Präventivkriegsplänen
gegenüber aufgeschlossen zeigte, obwohl nichts für die Annahme der Reichsleitung spricht, die französischrussischen Rüstungsanstrengungen seien eine Vorbereitung für einen 1916/17 zu erwartenden Angriff auf
Deutschland. Seit Bismarck hatten alle Reichskanzler den Kriegsplänen des Generalstabs mit Entschiedenheit
entgegengewirkt. Doch in der Julikrise 1914 gab Reichskanzler Bethmann Hollweg plötzlich den
Kriegsforderungen der Militärs nach, in der Illusion, den Konflikt auf den Balkan begrenzen zu können.
Bethmann Hollweg hat sich nach den Erkenntnissen der historischen Forschung bei der Sitzung des Kronrates
am 5. Juli zwar gegen die weitergehenden Kriegspläne Moltkes durchgesetzt, aber dennoch den Kaiser auf die
Strategie festgelegt, einen begrenzten Krieg auf dem Balkan zu führen.
Wien ersuchte das Deutsche Reich um Unterstützung für Strafaktionen gegen die serbische Regierung, der die
Unterstützung der Attentäter von Sarajevo zur Last gelegt wurde. Inwiefern diese Vermutung berechtigt war, ist
auch heute nicht einwandfrei geklärt. Fest steht, dass der Chef des serbischen Geheimdienstes die
Terrororganisation "Schwarze Hand" leitete. Höchstwahrscheinlich war die serbische Regierung über das
bevorstehende Attentat unterrichtet gewesen, hatte aber ebenso wenig wie die Regierungen in Wien und St.
Petersburg, die recht konkreter Hinweise auf die bevorstehende Gefahr hatten, etwas zur Verhinderung des
Attentats unternommen.
Die Betonung der Bündnistreue war in erster Linie zur Abschreckung des mit Serbien verbündeten Russlands
gedacht. Nach der erwähnten Kronratssitzung am 5. Juli sicherte Deutschland Österreich in dem so genannten
"Blankoscheck" volle Unterstützung zu und drängte auf rasches und entschlossenes Handeln, da die Welle
internationaler Empörung über das Attentat von Sarajevo ein günstiges Klima für militärische Strafaktionen
gegen Serbien geschaffen hatte. Durch schnelles und dennoch diplomatisches Vorgehen sollte verhindert
werden, dass die Bündnisse der Entente-Staaten zum Tragen kommen. Wilhelm II. war der Ansicht, Russland
werde nicht auf der Seite Serbiens eingreifen und auch Frankreich werde sich daraufhin zurückhalten. Doch
auch für den anderweitigen Fall – das Eingreifen Russlands und Frankreichs – sah man sich in Berlin gut genug
gerüstet.
Entsprechend der mit Berlin abgestimmten Strategie eines begrenzten Krieges mit Serbien sandte Wien nach
einigen Verzögerungen am 23. Juli, erst 18 Tage nach dem "Blankoscheck", ein Ultimatum an Belgrad, dessen
Bedingungen bewusst so gesetzt waren, dass sie von Serbien nie zur Gänze hätten erfüllt werden können, ohne
seine staatliche Souveränität aufzugeben. In der Annahme, man sei auf alle Eventualitäten vorbereitet, war der
Großteil der beiden Regierungen und die Kaiser inzwischen in den Urlaub gefahren. Auch um Normalität
vorzutäuschen und damit die potentiellen Kriegsgegner in Sicherheit zu wiegen, ging Wilhelm II. auf seine
jährliche Nordlandreise, während Bethmann Hollweg in Berlin blieb, um die Umsetzung der vereinbarten
Strategie zu dirigieren.
Diese Strategie scheiterte jedoch an mehreren schwerwiegenden Fehleinschätzungen:
Russland war entgegen den Spekulationen der Mittelmächte keineswegs bereit, der Zerschlagung Serbiens
durch Österreich-Ungarn tatenlos zuzusehen. Der Zar vertraute auf die Zusicherung seiner Generalität, die
russische Armee sei kriegsbereit, und war willens, Serbien zur Seite zu stehen. Zwar überschätzte man sowohl
in Berlin als auch in St. Peterburg die Schlagkraft der russischen Armee in dem sich anbahnenden technisierten
Krieg. Doch die Entschlossenheit des Zaren und seiner Berater, die an Deutschland verlorene Rolle als
Führungsmacht auf dem europäischen Kontinent wiederzuerlangen, Russlands Sendungsbewusstsein als
Schutzmacht aller Slawen und der Wille, nach der Schmach des verlorenen Krieges gegen Japan 1905 wieder
eigene Stärke zu beweisen, wurden in Berlin und Wien sträflich unterschätzt.
Es wurde nicht ausreichend berücksichtigt, wie bedeutend der Zeitfaktor für ein isoliertes Vorgehen gegen
Belgrad gewesen wäre. Verzögerungen gab es aber aus verschiedenen Gründen: der Ernteurlaub weiter Teile
der österreichischen Armee, der nicht abgebrochen werden konnte ohne Verdacht zu erwecken; Uneinigkeit
zwischen Wien und Budapest, da der ungarische Ministerpräsident Tizas einen Krieg gegen Serbien ablehnte;
der von der österreichischen Führung zunächst unberücksichtigte Besuch des französischen Präsidenten
Raymond Pointcaré in St. Petersburg vom 20-22. Juli.
Wider Erwarten akzeptierte Serbien fast alle Punkte des Ultimatums bis auf jene, die seine staatliche
Souveränität gefährdeten. Die diplomatisch geschickte Antwort aus Belgrad auf das harsche Ultimatum und die
seit dem Attentat verstrichene Zeit ließen weltweit die öffentliche Meinung umschwenken, so dass nun Wien
als der Kriegstreiber angesehen wurde.
Für den Fall eines Eingreifens von Seiten Russlands gab es in Deutschland keine anderen militärischen
Planungen als einen Angriff auf Frankreich. Der Schlieffen-Plan war der einzige militärische Einsatzplan des
deutschen Generalstabes für einen europäischen Krieg. Er sah eine gigantische Umfassungsoperation gegen
Frankreich vor: Unter Bruch der belgischen Neutralität sollten die deutschen Truppen im Westen überraschend
in Nordfrankreich einfallen, Paris bedrohen und der großen französischen Armee eine vernichtende Niederlage
beibringen. Danach, so die Hoffnung, würden größere Verbände noch vor der endgültig abgeschlossenen
Mobilmachung Russlands für den Krieg im Osten frei werden.
Angesichts des Überfalls auf das neutrale Belgien war der Kriegseintritt Großbritanniens unabwendbar.
Obwohl London 1832 eine weitreichende Garantieerklärung für Belgien abgegeben hatte und zudem immer
wieder unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass es eine deutsche Vorherrschaft über Europa unter keinen
Umständen dulden könne, ignorierten dies die Planer in Berlin.
Sowohl in der Einschätzung der militärischen Macht der potentiellen Gegner in dem bevorstehenden Konflikt
als auch bei der Antizipation ihrer möglichen Handlungen befanden sich die Annahmen der deutschen
Reichsleitung im eklatanten Widerspruch zu den ihnen bekannten Tatsachen. Sie bewegten sich in einem
"Reich des Absurden" (Stig Förster), da zwischen dem Wunschdenken der deutschen Militärs und Politiker und
der Realität kaum ein Zusammenhang bestand. Die Militärs waren sich durchaus bewusst, auf was sie sich
einließen: Im Generalstab rechnete niemand ernsthaft mit einem kurzen Krieg, die Marineführung wusste, dass
ihre Flotte nicht für einen Krieg bereit war und selbst der Kriegsbefürworter Moltke war sich bewusst, dass
allein schon der Krieg gegen Frankreich "ein langes, mühevolles Ringen mit einem Lande sein wird, das sich
nicht eher überwunden geben wird, als bis seine ganze Volkskraft gebrochen ist, und der auch unser Volk,
selbst wenn wir Sieger sein sollten, bis aufs äußerste erschöpfen wird." Dass Moltke angesichts dessen dennoch
plante, Frankreich innerhalb von 39 Tagen zu besiegen, spricht dafür, dass die Bereitschaft, diesen Krieg zu
führen, stärker war als rationale Erwägungen.
Mit rationalen Argumenten allein ist nicht zu erklären, warum die politische und militärische Führung in
Deutschland und Österreich sehenden Auges in die Katastrophe ging. Einen Blick in die intellektuellen und
moralischen Abgründe der Reichführung gewährte Kriegsminister Erich von Falkenhayn, der dem entsetzten
Reichskanzler Bethmann Hollweg am 4. August 1914 erklärte: „…wenn wir auch darüber zugrunde gehen,
schön war's doch”.
Kriegsausbruch
Am 28. Juli leitete Österreich-Ungarn unter dem Vorwand, die Regierung in Belgrad habe die Forderungen des
Ultimatums nicht erfüllt, den Angriff auf Serbien ein. Angesichts der Bereitschaft Russlands, dem
Bündnispartner Serbien zur Seite zu stehen, und des damit fehlgeschlagenen Plans, den Konflikt zu begrenzen,
bekam die gerade aus dem Urlaub nach Berlin zurückgekehrte Reichsleitung Angst vor ihrer eigenen Courage.
Laut Kriegsminister Erich von Falkenhayn hielt Wilhelm II. "wirre Reden, aus denen nur klar hervorgeht, dass
er den Krieg jetzt nicht mehr will." An den Rand der serbischen Antwort auf das Ultimatum schrieb der Kaiser:
"Ein großer moralischer Erfolg für Wien. Damit fällt jeder Kriegsgrund fort..." Doch erst nachdem die
österreichische Kriegerklärung an Serbien bereits abgegangen war, sandte Bethmann Hollweg die Antwort des
Kaisers an den deutschen Botschafter in Wien, wobei der zudem den entscheidenden Satz unterschlug. Zwar
ahnte der Reichskanzler, wie das riskante Spiel ausgehen werde, als er in einem Schreiben vom 28. Juli vor
dem bevorstehenden Weltkrieg warnte, der „die Kultur fast des gesamten Europas auf Jahrzehnte hinaus
vernichten” werde, dennoch forderte er im selben Atemzug, militärische Kriegsvorbereitungen zu treffen. Als
der Reichskanzler schließlich erkennen musste, dass London auf keinen Fall neutral bleiben konnte, war es zu
spät für eine Eindämmung des großen Konfliktes. Dennoch forderte er Österreich sogar auf, es bei der
Eroberung Belgrads bewenden zu lassen und den Feldzug einzustellen, womit er den Blankoscheck annullierte.
Doch der Balkan-Krieg hatte bereits begonnen, die Vorbereitung auf den Überfall auf Frankreich waren in
vollem Gange und Wilhelm II. und seine Berater drängten auf die finale "Abrechnung" mit Russland und
Frankreich. Moltke meinte: "Da es nun einmal beschlossen ist, kann es nicht mehr geändert werden".
Nachdem die österreichischen Truppen am 29. Juli mit der Beschießung Belgrads begonnen hatten ordnete Zar
Nikolaus II. am 30. Juli 1914 die Gesamtmobilmachung der russischen Truppen an und lieferte damit der
deutschen Reichsleitung den willkommenen Anlass, das Zarenreich für die deutsche Öffentlichkeit als
Aggressor brandmarken zu können. Tatsächlich hatte man in Berlin genau darauf gewartet und erst selber
gehandelt, nachdem Russland ein deutsches Ultimatum, seine Mobilmachung rückgängig zu machen,
verstreichen ließ. Nun konnte der deutsche Kaiser in einer theatralischen Geste am 1. August 1914 die deutsche
Mobilmachung als Akt der heroischen Vaterlandsverteidigung gegen den Aggressor aus dem Osten in Szene
setzen. Am selben Tag erfolgte die Kriegserklärung an Russland: Am 3. August erklärte Deutschland
Frankreich den Krieg und marschierte in Belgien ein. Am 4. August ließ Deutschland ein britisches Ultimatum
verstreichen, in dem der sofortige Rückzug aus dem neutralen Belgien verlangt wurde; um Mitternacht erfolgte
die britische Kriegserklärung an das Deutsche Reich. Das große Sterben hatte begonnen. In seinem "Aufruf an
das Deutsche Volk" erklärte Wilhelm II. am 6. August: "Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf!
Zu den Waffen! Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterlande."
"Augusterlebnis"
Die lange geläufigen Bilder der Kriegsbegeisterung, der "Geist des 4. August", der die gesamte Bevölkerung
erfasst habe, haben sich im Licht der historischen Forschung als höchst zweifelhaft erwiesen. Besonders bei den
unteren Schichten und bei der ländlichen Bevölkerung herrschte keineswegs Kriegsbegeisterung, sondern
vielmehr Unsicherheit, Furcht und Entsetzen. Vom siegessicheren nationalen Taumel waren vor allem
Großstädter und Studenten ergriffen. Seit dem österreichischen Ultimatum an Serbien hatte sich die Zuspitzung
der internationalen Beziehungen als schier unerträglicher Druck auf das Gemüt der Bevölkerung
niedergeschlagen. Diese Spannung entlud sich nun auf den Straßen. In der Hoffnung auf ein Abenteuer, das
spätestens Weihnachten siegreich beendet sein sollte, und begleitet vom Läuten der Kirchenglocken und den
Kriegspredigten der Geistlichen beider Konfessionen, die den "Heiligen Krieg der Deutschen" (Gerd
Krumeich) beschworen, feierten viele Menschen die ersehnte Erlösung aus der Unsicherheit. Doch auch in den
Städten war die Stimmung nicht eindeutig, eine Mischung aus Jubel und Angst prägte die Menschen. Während
z.B. vor dem Berliner Schloss und der Münchner Feldherrenhalle Tausende, unter ihnen der 25-jährige Adolf
Hitler, feierten und in Umzügen durch die Stadt zogen, standen abseits Frauen mit verweinten Gesichtern.
Der Schreinergeselle Georg Schenk aus Nürnberg berichtet seinem Tagebuch: "Endlich, am 1. August Abends 6
Uhr wurde bekannt, dass die allgemeine Mobilmachung befohlen sei und nun war alles auf höchste gesteigert.
So manche Träne floss und manches Auge, das 10 Jahre trocken war, wurde feucht. Besonders waren es die
Frauen und Mädchen, denn viele Männer und Burschen mussten die Heimat verlassen, um für das Vaterland zu
kämpfen, das von Russland und Frankreich bedroht war. Die erste Nacht haben wenige geschlafen; denn die
Sorge um den Mann, die Frau, den Bräutigam, die Braut waren schwerer als jeher, da man wusste, dass ein
sehr schwerer Krieg bevorsteht."
Die weit verbreitete Unsicherheit und Angst äußerte sich während der Juli-Krise auch in Anti-KriegsAktionen. In einem Aufruf der SPD-Führung vom 25. Juli hieß es "Die herrschenden Klassen, die euch im
Frieden knebeln, verachten, ausnutzen, wollen euch als Kanonenfutter missbrauchen. Überall muss den
Gewalthabern in den Ohren klingen: Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit dem Kriege! Hoch die internationale
Völkerverbrüderung!" Zwischen dem 28. und dem 30. Juli 1914 fanden angesichts der wachsenden
Kriegsgefahr in rund 30 deutschen Städten Anti-Kriegs-Kundgebungen mit insgesamt knapp 250.000
Teilnehmern statt, in Berlin eine Großdemonstration mit 30.000 Teilnehmern.
Während die täglichen Anti-Kriegs-Proteste im ganzen Reich noch andauerten, verhandelten Bethmann
Hollweg und die Reichsführung mit den führenden Köpfen der SPD. Bethmann Hollweg vermochte geschickt
den Eindruck zu vermitteln, Deutschland wäre Opfer einer russischen Aggression geworden. Gegen das
verhasste autoritäre Zarenregime ließ sich die Führung der Sozialdemokratie für den als nationalen
Verteidigungskrieg stilisierten Weltkrieg gewinnen. Anfang August ebbten die Proteste rasch ab, da inzwischen
viele Arbeiter ebenso wie die SPD-Spitze der nationalen Propaganda der Reichsleitung auf den Leim
gegangen waren und die vom Antimilitarismus des Parteiprogramms nur notdürftig übertünchten nationalen
Gefühle freigesetzt wurden.
Als der Kaiser am 4. August 1914 im Reichstag schließlich erklärte, er kenne keine Parteien mehr, er kenne nur
noch Deutsche, stimmte die gesamte sozialdemokratische Fraktion für die Bewilligung der Kriegskredite. Jede
ernstzunehmende Opposition gegen den Krieg war marginalisiert und selbst die wenigen Kriegsgegner um Karl
Liebknecht und Rosa Luxemburg beugten sich vorerst noch der Fraktionsdisziplin in der SPD.
Die Unbeschwertheit, mit der viele in diesen Krieg zogen, löste bei den Beobachtern Befremden aus. So schrieb
Ernst Ludwig, der Großherzog von Hessen: "Es war ein unbeschreibliches Gefühl, diese singenden jungen
Männerstimmen durch die Nacht zu hören und dabei zu wissen, sie ziehen ja alle in den Tod."
Die Realität des Krieges ernüchterte auch die Kriegsbegeisterten bald: Ein Abiturient, der sich am 1. August als
Freiwilliger gemeldet hatte, schreibt sechs Monate später: "Mit welch überschwänglichen Gefühlen bin ich in
diesen Krieg gezogen, liebe Mutter. Und jetzt sitze ich hier, von Grauen geschüttelt."
Ausblick
Der Beginn des Ersten Weltkrieges markiert den Zusammenbruch der Welt des 19. Jahrhunderts und den
Beginn eines Zeitalters der Katastrophen. Der Erste Weltkrieg kostete nicht nur ca. 10 Millionen Soldaten das
Leben und 19 Millionen Verstümmelten und Verwundeten ihre Gesundheit und Unversehrtheit. Die soziale und
politische Ordnung der am Krieg beteiligten Staaten wurde ebenso grundlegend erschüttert wie das
internationale System. Von China bis zu den Falklandinseln kämpften mehr als 60 Millionen Soldaten aus fünf
Kontinenten, auf knapp 4000 Meter Höhe in den Alpen und in den Tiefen des Atlantischen Ozeans, um den
Sieg und um ihr Leben. Sie gerieten in eine durch U-Boote und Flugzeuge, Maschinengewehre und Giftgas
hoch technisierte gigantische Tötungsmaschinerie: Die mörderischen Schlachten im Stellungskrieg der
Westfront kosteten täglich bis zu 60.000 Soldaten das Leben, ohne eine militärische Entscheidung
herbeizuführen. Die Hoffnungen derjenigen, die den Krieg begonnen hatten, sollten sich nicht erfüllen:
Frankreich wurde nicht innerhalb der im Schlieffen-Plan vorgesehenen 39 Tage geschlagen und der Krieg
entwickelte sich an allen Fronten zu einer gigantischen Materialschlacht der Millionenheere. Im ersten
vollindustrialisierten "Volkskrieg", der ganz Europa und viele Länder außerhalb des Kontinents erfasste,
wurden ganze Nationen und Volkswirtschaften für den Krieg mobilisiert, alle Teile der Gesellschaft in die
Kriegsanstrengung eingebunden. Kaum ein Bereich des Lebens blieb unberührt.
In seinem Aufruf vom 6. August erklärte Wilhelm II.: „Uns treibt nicht Eroberungslust”. Nur einen Monat
später wurde von Reichskanzler Bethmann Hollweg eine Denkschrift über die Kriegsziele Deutschlands
vorgelegt, die eine andere Sprache spricht: Annexionen vor allem im Westen, wirtschaftliche und politische
Hegemonie für Deutschland in Europa und der Erwerb eines zusammenhängenden Kolonialreiches in Afrika
waren die Eckpunkte des Programms. Die unter starkem Einfluss der nationalen Verbände entwickelten
Kriegsziele verhinderten einen Verhandlungsfrieden. Auch die Kriegsziele der Entente-Mächte Russland und
Frankreich sahen Annexionen vor, waren aber vergleichsweise moderat und konzentrierten sich auf die
Rückgewinnung ehemals verlorener Gebiete und die Eindämmung deutschen Großmachtstrebens.
In den Diskussionen um die deutschen Kriegsziele äußerten sich auch neue extreme Formen des rassischen
Nationalismus. Unter Vorwegnahme nationalsozialistischer "Volkstumspolitik" wurde die Vertreibung ganzer
Bevölkerungsgruppen im Osten gefordert. Diese "ethnischen Säuberungen" sollten den Raum für rein deutsche
Siedlungsgebiete schaffen. Auch der Antisemitismus erfuhr im Krieg eine dramatische Radikalisierung. So
forderte z.B. Ludendorff im Frühjahr 1917, dass die polnischen Gebiete Österreich-Ungarns "judenfrei" an
Deutschland zu übergeben seien.
Bezüglich der Kriegsschuldfrage hat sich in der Geschichtswissenschaft inzwischen die Grundthese von der
Hauptverantwortung der Mittelmächte am Ausbruch des Ersten Weltkrieges gegenüber apologetischen
Argumentationen durchgesetzt, die dazu dienten den Schuldvorwurf der Sieger um jeden Preis zurückzuweisen.
Als der Historiker Fritz Fischer 1961 in seiner Studie "Griff nach der Weltmacht" das "von der Politik und
Wissenschaft aufgebaute und gehütete nationale Tabu" (Immanuel Geiss) angriff, löste das noch eine erbitterte
Kontroverse aus. Wenn auch Fischers Annahme, Deutschland habe seit 1911 generalstabsmäßig einen
Weltkrieg geplant und herbeigeführt, nur von einer Minderheit der Historiker vertreten wird, ist von einem
"Hineinschlittern" der europäischen Großmächte in den Krieg keine Rede mehr. Zwar war der Krieg nicht
Ergebnis einer zielgerichteten langfristig durchgehaltenen Politik des deutschen Reiches, doch ebensowenig ein
einer Naturkatastrophe gleich über die Bevölkerung Europas hereinbrechendes Unglück. Die aggressive
nationalistische Grunddisposition der deutschen und österreichischen Führungskräfte, einen Krieg zur
Überwindung ihrer inneren und äußeren Krisen zu wagen, gepaart mit hysterischer und realitätsferner Politik
und einem Fatalismus, der nur Sieg oder Untergang kannte, führten zur "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts".
Es sollte bis zum 11. November 1918 dauern, bis die Mittelmächte unter dem Eindruck des bevorstehenden
Zusammenbruchs und der Desintegration der deutschen Armee kapitulieren mussten. Die öffentliche Schmach
der Kapitulation und die Unterzeichnung des Vertrags von Versailles überließen die für den Krieg politisch und
militärisch Verantwortlichen aber den ihnen verhassten Demokraten. Sie begannen damit schon, die erst im
Entstehen befindliche demokratische Nachkriegsordnung zu bekämpfen, und beförderten so eine historische
Entwicklung, die sich nach 1933 in völlig neuen Dimensionen unmenschlicher Taten äußern sollte.
Literatur
Volker Berghahn: Der Erste Weltkrieg, München 2003.
Roger Chickering: Das Deutsche Reich und der Erste Weltkrieg, München 2002.
Michael Fröhlich: Imperialismus. Deutsche Kolonial- und Weltpolitik 1880–1914, München 1994.
Fritz Fischer: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18,
Düsseldorf 1967 (Auf Grund der 3. Auflage vollständig neu bearbeitete Sonderausgabe).
Stig Förster: Im Reich des Absurden: Die Ursachen des Ersten Weltkrieges, in: Bernd Wegner (Hrsg.):
Wie Kriege entstehen. Zum historischen Hintergrund von Staatenkonflikten, Paderborn 2000.
Imanuel Geiss: Der lange Weg in die Katastrophe. Die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs 1815-1914,
München 1991.
Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich und Irina Renz (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn
2004.
Wolfgang J. Mommsen: Großmachtstellung und Weltpolitik 1870-1914. Die Außenpolitik des
deutschen Reiches, Frankfurt a. M. 1993.
Wolfgang J. Mommsen: Die Urkatastrophe Deutschlands. Der Erste Weltkrieg 1914-1918 (Gebhard.
Handbuch der deutschen Geschichte, Band 17) Stuttgart 2002.
Spiegel Spezial 1/2004: Die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Die Spiegel-Serie über den 1.
Weltkrieg und die Folgen.
Jeffrey Verhey: Der "Geist von 1914" und die Erfindung der Volksgemeinschaft, Hamburg 2000.
Links (Auswahl)
Themenportal 1. Weltkrieg
http://www.erster-weltkrieg.clio-online.de/
LeMO: Lebendiges virtuelles Museum Online des Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
http://www.dhm.de/lemo/html/wk1/index.html
Der Weltkrieg 1914 – 1918. Ereignis und Erinnerung
Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums
http://www.dhm.de/ausstellungen/der-erste-weltkrieg/index.html
FirstWorldWar.com
Eine sehr umfangreiche Seite auf Englisch
http://www.firstworldwar.com/index.htm
KBW
Wikipedia
Umfangreicher Lexikoneintrag mit Möglichkeit zur Ergänzung
http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Weltkrieg
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