Hormonersatztherapie (HRT) im Wandel der Zeit

Werbung
Experteninterview
Hormonersatztherapie (HRT) im Wandel der Zeit
Ein Interview mit Prof. Dr. med. Thomas Römer
Das Therapieangebot für Frauen mit Wechseljahresbeschwerden hat sich während der
letzten Jahre und Jahrzehnte deutlich verändert. Dies betrifft sowohl verfügbare Darreichungsformen als auch die Möglichkeit geringerer Dosierungen. Über Chancen und
Risiken der HRT – die nach wie vor kontrovers diskutiert werden – sprachen wir mit Prof.
Dr. med. Thomas Römer.
Prof. Römer ist seit April 2001 Chefarzt der Abteilung für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Evangelischen Krankenhaus Köln-Weyertal. Nach Studium und Promotion an
der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald sowie einem Forschungsaufenthalt in
North Carolina (USA) habilitierte Prof. Römer 1995 in Greifswald und erwarb im gleichen Jahr den Facharzt
für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. 1999 erhielt er eine C3-Professur für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Universität zu Köln bevor er schließlich als Chefarzt zum Krankenhaus Köln-Weyertal wechselte.
Seit September 2016 hält Prof. Römer außerdem eine Gastprofessur an der Beijing Medical University.
1
Herr Prof. Römer, wie beurteilen Sie die Entwicklung der therapeutischen Möglichkeiten im Bereich
der HRT in den letzten Jahren?
Zunächst ist hervorzuheben, dass die HRT durch die im NEJM publizierte kritische Stellungnahme der Originalautoren zur WHI-Studie ihren berechtigten Stellenwert zurückerlangt hat. Dies unterstreicht, was viele
Experten in den letzten Jahren ohnehin erkannt haben, nämlich dass die HRT für viele Frauen mit einem
deutlichen Benefit verbunden ist, insbesondere wenn sie unter ausgeprägten klimakterischen Ausfallerscheinungen leiden. Besonders trifft dies auf Frauen zu, die vorzeitig in die Wechseljahre kommen. Hier ist die HRT
ohne jeden Zweifel indiziert. Bei Frauen, die natürlich in die Wechseljahre kommen, ist eine HRT bei entsprechender klinischer Symptomatik sinnvoll. Dies betrifft vor allem die Frauen, die unter starken Beschwerden
leiden (ca. ein Drittel).
Für die HRT stehen verschiedene therapeutische Optionen zur Verfügung. Hier hat sich in den letzten Jahrzehnten ein deutlicher Wandel vollzogen. Zum einen werden nun vermehrt transdermale Therapieformen
angewendet, zum anderen haben sich die Dosierungen der angewendeten Östrogene bei allen Applikationsformen deutlich reduziert. Darüber hinaus werden mittlerweile auch neue selektivere Gestagene eingesetzt.
Durch diese Vielfalt der Behandlungsmöglichkeiten kann der Forderung nach einer individuellen und personalisierten Herangehensweise bei der HRT immer besser entsprochen werden.
2
Wo sehen Sie die größten Unterschiede zwischen oralen und transdermalen Therapieformen?
Während vor zwanzig Jahren die transdermale Therapie eher noch eine besondere Applikationsform war, hat
sich dies inzwischen gewandelt. Für einige Indikationen bietet die transdermale Therapie wichtige Vorteile. Zu
erwähnen ist hier vor allem das niedrigere Thromboserisiko im Vergleich zur oralen HRT. Transdermal werden außerdem gleichmäßigere Wirkspiegel erreicht und auch die Applikation ist für die Patientin oft leichter
handhabbar. Dies trifft insbesondere auf modernere transdermale Systeme wie Estradiolspray und -gel zu.
Ein weiterer Vorteil der transdermalen Estradiolapplikation besteht in der Vermeidung des First-Pass-Metabolismus, so dass auch unter geringerer Dosierung eine effektive klinische Wirkung erreicht wird. Aus diesen
Gründen ist die transdermale Therapie in vielen Situationen die bevorzugte Therapieform.
1
3
Sind bestimmte Applikationsformen für einige Patientengruppen besser geeignet als andere?
Bei bestimmten Patientengruppen sind einige Applikationsformen besonders zu bevorzugen. Wenn wir beim
Beispiel der transdermalen Therapie bleiben, betrifft dies vor allem Patientinnen mit Leber-, Gallenblasenund Pankreas- sowie mit Magen-/Darmerkrankungen oder anderen gastrointestinalen Resorptionsstörungen. Patientinnen mit erhöhtem Thromboserisiko (z. B. Hypertoniker) profitieren ebenfalls von einer transdermalen Therapie, wobei natürlich stets die absoluten Kontraindikationen für eine HRT zu beachten sind. Dies
betrifft auch Patientinnen mit einer Hypertriglyceridämie, einem Diabetes mellitus Typ 2 und mit Schilddrüsenerkrankungen. Auch bei Raucherinnen können die Vorteile einer transdermalen Therapie genutzt werden.
Die oralen Therapieformen sind hingegen bei bestimmten Formen der Dyslipoproteinämie, z. B. mit isolierten Hypercholesterinämien zu bevorzugen. Auch bei einer bestehenden Hyperandrogenämie, die häufig mit
einem niedrigen SHBG einhergeht, sind orale Therapien von Vorteil, da die stärkere Induktion des SHBG zur
Senkung des freien Testosterons führt.
Bei Patientinnen, die eine Disposition für allergische Hauterkrankungen haben, ist tendenziell eine orale Therapie zu bevorzugen. Allerdings ist die Rate von Hautreaktionen mit 1,3 % bei der Sprayanwendung sehr
gering. Mit der Anwendung eines Sprays oder Gels können außerdem verminderte Klebeeigenschaften
transdermaler Pflaster umgangen werden, die bei feucht-warmem Klima auftreten können. Neben den medizinischen Aspekten sind natürlich auch immer die persönlichen Vorlieben der Patientinnen bezüglich der
Applikationsform zu beachten.
4
Gibt es aus Ihrer Sicht generelle Vorteile bei der transdermalen Wirkstoffapplikation?
Vorteile der transdermalen Therapie sind u. a., dass mit niedrigen Dosierungen eine effektive klinische Wirksamkeit erreicht wird und dass nachweislich kein erhöhtes Risiko für Thrombembolien besteht. Außerdem
nehmen viele Patientinnen der betroffenen Altersgruppe ohnehin bereits orale Medikationen ein. Die transdermale Therapie bietet daher den Vorteil, dass hier weniger Probleme durch Interaktionen mit anderen
Arzneimitteln zu erwarten sind. Anwenderfreundliche Applikationsformen (Spray oder Gel) lassen auch das
für einige Patientinnen mögliche störende Erscheinungsbild der Pflaster wegfallen. Inwieweit es auch Unterschiede bezüglich des Risikos für weitere Erkrankungen gibt, z. B. Mammakarzinom, ist derzeit noch nicht
endgültig evaluiert.
Ein wichtiger Aspekt bei der transdermalen Applikation – vor allem bei Anwendung von Estrogenmonopräparaten wie Spray und Gel – ist das Erreichen einer guten Compliance. Bei nicht hysterektomierten Frauen
ist auf eine zusätzliche und entsprechend der verwendeten Estrogendosis ausreichende Gestagengabe zur
Endometriumprotektion zu achten. Nur wenn sichergestellt ist, dass die Patientin eine adäquate Gestagenmenge erhält und vor allem anwendet, kann diese Therapie verordnet werden. Auf diesen Aspekt sollte die
Patientin beim Aufklärungsgespräch zur Erstanwendung unbedingt ausreichend hingewiesen werden.
5
Welche Rolle spielen Estradiolserumspiegel im Hinblick auf die Wirksamkeit und Symptomatik
der HRT?
Estradiolserumspiegel werden in ihrer klinischen Bedeutung überschätzt und eine Hormonbestimmung ist in
den meisten Fällen gar nicht notwendig. Entscheidend für die Patientinnen ist vielmehr die klinische Wirksamkeit der Therapie. Üblicherweise wird mit der niedrigsten Estrogendosierung begonnen und diese gesteigert,
bis eine entsprechende klinische Wirksamkeit eintritt, die Patientin also eine Reduktion der Hitzewallungen und
eine Besserung weiterer Symptome verspürt. In diesem Fall sind Estradiolserumbestimmungen nicht notwendig. Nur wenn bei einer höheren Estradioldosierung immer noch keine klinische Wirksamkeit erreicht wird,
sollte der Estradiolserumspiegel bestimmt werden, um mögliche Resorptionsstörungen auszuschließen. Dies
gilt gleichermaßen für orale und transdermale Applikationsformen. Erhärtet sich der Verdacht auf Resorptionsstörungen, ist ein Wechsel auf eine andere Applikationsform zu empfehlen. Im Fokus steht jedoch immer die
Behandlung der Beschwerden einer Patientin und nicht die Optimierung der Estradiolserumspiegel.
2
6
Welche Auswirkungen hat eine niedrige Dosierung von Estradiol auf das Nebenwirkungsrisiko
der Behandlung?
Je niedriger die Dosierung ist, desto seltener treten Nebenwirkungen auf. Bei Beginn einer HRT können gelegentlich östrogenbedingte Nebenwirkungen wie Ödeme, Brustspannen und Gewichtszunahme auftreten.
Wenn hier mit einer niedrigen Dosierung behandelt wird, sind diese Nebenwirkungen seltener oder geringer
ausgeprägt. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, immer mit einer niedrigen Dosierung zu beginnen und, falls
nötig, die Dosis im Verlauf der Behandlung zu erhöhen, wenn die gewünschte Wirksamkeit nicht eintritt. Ziel
ist es, ein therapeutisches Fenster bei ausreichender klinischer Wirksamkeit und möglichst keinen oder nur
geringen Nebenwirkungen zu finden. Dies ist aber stets eine klinische Entscheidung und – um es nochmals
zu betonen – nicht abhängig von den Serumestradiolspiegeln.
7
Wie beurteilen Sie die Darreichungsform als Spray (Lenzetto®), die erst seit Kurzem zur
Verfügung steht?
Das Spray stellt eine Bereicherung der Therapie dar. Während vor einigen Jahren die Pflaster die Vorreiter
der transdermalen Therapie waren und sich in ihrer Applikationsart auch weiter verbessert haben (niedrigere
Dosierung, besseres Klebeverhalten, kleinere transparentere Pflaster), werden von vielen Frauen Applikationsformen bevorzugt, die nicht sichtbar sind. Hier spielten bisher vor allem Gele eine sehr wesentliche Rolle.
Die neue Applikationsmöglichkeit des Estradiols als Spray stellt hier eine weitere Bereicherung dar. Da die
HRT aufgrund der aktuellen wissenschaftlichen Daten in Zukunft vermehrt angewendet werden wird und die
transdermale Therapie dabei zu bevorzugen ist, ist es aus Sicht der Anwenderin natürlich vorteilhaft, eine
Auswahl zwischen mehreren transdermalen Applikationsmöglichkeiten treffen zu können. Die persönlichen
Präferenzen der Patientin sollten dabei immer berücksichtigt werden, da eine von der Patientin selbst gewählte Applikationsform erfahrungsgemäß auch meist mit einer besseren Compliance bei der Anwendung
einhergeht. Medizinische Gründe für eine bevorzugte Anwendung von Pflaster, Gel oder Spray in den äquivalenten Dosierungen gibt es nicht. Die Sprayapplikation als sehr schnell applizierbare HRT-Form hat bei vielen
Patientinnen inzwischen einen hohen Stellenwert. Die zu beachtenden Besonderheiten beim Auftragen auf
die Haut müssen der Patientin allerdings genau erläutert werden. Auch aufgrund der deutlich geringeren
Hautreaktionen im Vergleich zur Pflasteranwendung, besteht der Trend, dass Patientinnen, die eine transdermale HRT durchführen, immer häufiger vom Pflaster zu Spray oder Gel wechseln. Dies betrifft vor allem
hysterektomierte Patientinnen, bei denen keine zusätzliche Gestagenapplikation erforderlich ist. Bei nicht
hysterektomierten Patientinnen kann unter Umständen die zusätzlich notwendige orale oder vaginale Gabe
eines Gestagens limitierend für die Anwendung sein. Hier ist eine entsprechende Aufklärung der Patientin zur
Gestagenapplikation notwendig.
8
Glauben Sie, dass die Darreichungsform als Spray sich positiv auf die Patienten-Compliance
auswirken könnte?
Beim Spray ist eine gute Patienten-Compliance zu erwarten, die mindestens genauso gut wie bei der Anwendung des Gels sein dürfte. Allerdings ist es wichtig, dass sich die Patientin mit dieser Applikationsart
identifiziert. Andererseits führt ein Vergessen der Applikation von Spray oder Gel rasch zu erneuter Symptomatik, so dass die Compliance auch hierdurch erfahrungsgemäß sehr gut ist. Grundsätzlich gilt: Je einfacher
die Applikationsform, desto besser ist die Compliance der Patientinnen. Durch die vielfältigen Möglichkeiten
der transdermalen HRT mit Spray, Gel und Pflaster wird die Compliance bei der HRT insgesamt weiter verbessert werden.
3
9
Die positive Wirkung der HRT auf die Osteoporoseprotektion ist unumstritten. Muss der
Estradiolspiegel einen bestimmten Schwellenwert erreichen, um wirksam zu sein?
Prinzipiell gilt, dass mit dem niedrigsten klinisch wirksamen Blutspiegel gearbeitet werden soll, da hier die Nebenwirkungsraten am geringsten sind und langfristig eine gute Complicance erreicht werden kann. Schwellenwerte für diese Estradiolwerte existieren nicht. Es konnte z. B. in Studien mit ultraniedrigdosierten Pflastern (14 µg/Tag Estradiol) gezeigt werden, dass eine ausreichende Osteoporoseprotektion erfolgt, obwohl
die Plasmaestradiolspiegel nur bei 8,6 pg/ml lagen. Dies führte bei einer zweijährigen Therapie zu einem
Anstieg der Knochendichte (bis 2,6 %; Ettinger et al. 2004). Auch für die niedrigdosierten Pflaster (25 µg/
Tag Estradiol) konnte eine sichere Osteoporoseprävention gezeigt werden (Bertonazzi et al. 2015). Es gibt
somit keine wissenschaftlich evaluierten Schwellenwerte der Estradiolserumpiegel für eine Osteoporoseprävention. In der Regel ist davon auszugehen, dass bei einer auf die klinische Symptomatik wirksamen HRT
auch eine ausreichende Wirksamkeit für die Osteoporoseprävention vorliegt. Es gilt weiterhin der Grundsatz:
Die niedrigste Dosierung, die klinisch wirksam ist, ist die beste und auch langfristig günstigste HRT für die
betroffenen klimakterischen Patientinnen.
Lenzetto 1,53 mg/Sprühstoß transdermales Spray, Lösung. Wirkstoff: Estradiol. Zusammensetzung: Jeder Sprühstoß liefert 90 μl transdermales Spray, Lösung, d. 1,53 mg Estradiol (entspr.
1,58 mg Estradiol-Hemihydrat) enthält. Sonst. Bestandteile: Octisalat, Ethanol 96 %. Anwendungsgebiet: Sequenzielle Hormonsubstitutionstherapie (HRT) bei Estrogenmangelsymptomen bei postmenopausalen Frauen (bei Frauen, d. letzte Monatsblutung mind. 6 Monate zurückliegt o. mit chirurg. Menopause, mit intaktem o. ohne Uterus). Gegenanzeigen: Bestehender o. früherer Brustkrebs bzw.
Verdacht; estrogenabh. maligner Tumor bzw. Verdacht; nicht abgeklärte Blutung im Genitalbereich; unbehandelte Endometriumhyperplasie; frühere o. bestehende venöse thromboembolische Erkrankungen;
bekannte thrombophile Erkrankung, bestehende o. erst kurze Zeit zurückliegende arterielle thromboembolische Erkrankungen; akute Lebererkrankung o. zurückliegende Lebererkrankung, solange sich
d. relevanten Leberenzym-Werte nicht normalisiert haben; Porphyrie; Überempfindlichkeit gg. d. Wirkstoff o. sonst. Bestandteile. Nebenwirkungen: Häufig: Schmerzempfindl. u. schmerzende Brust,
Kopfschmerz, abdominale Schmerzen, Übelkeit, Hautausschlag, Pruritus, Uterus- bzw. Vaginalblutungen einschl. Schmierblutungen, Metrorrhagie, Gewicht erhöht, Gewicht erniedrigt. Gelegentlich: Überempfindlichkeitsreaktionen, depressive Verstimmungen, Schlaflosigkeit, Schwindelgefühl, Schwindel, Sehstörungen, Palpitationen, Hypertonie, Diarrhö, Dyspepsie, Erythema nodosum, Urtikaria, Hautreizung,
Myalgie, Brustverfärbung, Brustdrüsenabsonderung, Zervixpolyp, Endometriumhyperplasie, Ovarialzyste, Vaginalinfektion, Gamma-Glutamyltransferase erhöht, Cholesterin im Blut erhöht, Ödem, Schmerzen
i. d. Achselgegend. Selten: Angstzustände, Libido vermindert, Libido gesteigert, Migräne, Kontaktlinsenunverträglichkeit, Blähungen, Erbrechen, Hirsutismus, Akne, Muskelspasmen, Dysmenorrhö, prämenstruationsartiges Syndrom, Brustvergrößerung, Ermüdung. Weitere Nebenwirkungen: Alopezie, Chloasma, Hautverfärbung, erhöhtes Risiko f. Brustkrebsdiagnose, Endometriumkarzinom, Ovarialkarzinom,
venöse Thromboembolien, koronare Herzkrankheit, ischämischer Schlaganfall. Verschreibungspflichtig. Stand d. Information: 05.2016. Gedeon Richter Plc., Gyömrői út 19 – 21, 1103 Budapest,
Ungarn. Örtlicher Vertreter: Gedeon Richter Pharma GmbH, Eiler Straße 3W, 51107 Köln, Tel. 0221 88890444, Fax 0180 3433366, E-Mail: [email protected]
4
Herunterladen