Programmheft als PDF - Staatskapelle Dresden

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SAISON 2015 2016
27. / 28. / 29.9.15
2. SYMPHONIEKONZERT
Myung-Whun
CHUNG
Ihre Premiere.
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SAISON 2015 2016
27. / 28. / 29.9.15
2. SYMPHONIEKONZERT
folgt: Die Gläserne Manufaktur von Volkswagen in Dresden.
Myung-Whun
CHUNG
+49 351 420 44 11
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2. SYMPHONIEKONZERT
SO N N TAG
27.9.15
11 U H R
M O N TAG
2 8 .9.15
20 UHR
D IEN STAG
2 9.9.15
20 UHR
PROGRAMM
S E M P ER O P ER
DRESDEN
Myung-Whun Chung
Gustav Mahler (1860-1911)
Dirigent
Symphonie Nr. 6 a-Moll
»Tragische«
1. Allegro energico, man non troppo – Heftig, aber markig
2. Scherzo. Wuchtig – Trio. Altväterisch, grazioso
3. Andante moderato
4. Finale. Sostenuto
»Aus dem Herzen geflossen«
Es ist, als habe Gustav Mahler vorausgeahnt, was ihn und die Welt
erwarten würde, als er seine düstere, katastrophische Sechste komponierte. »Kein Werk ist ihm so unmittelbar aus dem Herzen geflossen«,
berichtete seine Gattin Alma. »Die Sechste ist sein allerpersönlichstes
Werk und ein prophetisches obendrein.« Mit der »Tragischen« schlägt
unser Erster Gastdirigent das nächste Kapitel seiner vielgeachteten
Mahler-Erkundungen mit der Kapelle auf.
Kostenlose Konzerteinführungen jeweils 45 Minuten vor Beginn
im Foyer des 3. Ranges der Semperoper
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2. SYMPHONIEKONZERT
Myung-Whun Chung
ERSTER GASTDIRIGENT DER
S Ä C H S I S C H E N S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N
D
ie Ernennung eines Ersten Gastdirigenten ab der Spielzeit
2012/2013 war ein Novum in der langen Kapell-Historie –
und dokumentiert die enge Beziehung zwischen MyungWhun Chung und der Sächsischen Staatskapelle. Der
südkoreanische Maestro stand seit November 2001 vielfach
in den Symphoniekonzerten am Pult der Semperoper. Er dirigierte im
Orchestergraben eine Premierenserie von Verdis »Don Carlo« (2003) und
ging mit der Kapelle auf Tourneen durch Europa (2001, 2005, 2008 und
2013), in die USA (2005) und nach Asien (2006). Immer wieder musizierte
er gemeinsam mit Mitgliedern der Staatskapelle auf dem Kammermusikpodium, so auch 2013 bei den Osterfestspielen Salzburg, wo er in
der Doppelrolle als Dirigent und Pianist zu erleben war. Im Zuge seines
hiesigen Mahler-Zyklus dirigierte Chung bisher die erste, zweite, vierte
und neunte Symphonie.
In Seoul geboren, begann Myung-Whun Chung seine Laufbahn
als Pianist. Seine dirigentische Karriere startete er als Assistent von
Carlo Maria Giulini in Los Angeles. Positionen als Chefdirigent bekleidete
er beim Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken, an der Opéra Bastille
in Paris und bei der Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom. Seit
15 Jahren steht er als Musikdirektor dem Orchestre Philharmonique de
Radio France vor. Daneben ist er in verschiedenen Ämtern in seiner asiatischen Heimat präsent, u.a. als Künstlerischer Direktor des Asia Philharmonic Orchestra, das asiatische Musiker aus den großen Orchestern
der Welt für Konzertprojekte zusammenführt. Myung-Whun Chung trat
mit allen bedeutenden Klangkörpern auf, viele seiner bei der Deutschen
Grammophon erschienenen CDs sind preisgekrönt.
Über seine künstlerischen Aktivitäten hinaus widmet sich MyungWhun Chung mit großem Engagement humanitären und ökologischen
Fragen. Er war Botschafter des Drogenkontrollprogramms der Vereinten
Nationen (UNDCP) und wurde 1995 von der UNESCO als »Man of the
Year« gewürdigt. 1996 erhielt er mit dem »Kumkuan« den höchsten
koreanischen Kulturpreis. Er wurde zum ersten Kulturbotschafter seines
Landes berufen, die UNICEF ernannte ihn 2008 als ersten Dirigenten
zum »Goodwill Ambassador«.
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2. SYMPHONIEKONZERT
IM VORGRIFF AUF DAS LEBEN
Gustav Mahler
Gustav Mahlers Symphonie Nr. 6 a-Moll
* 7. Juli 1860 in Kalischt, Böhmen
† 18. Mai 1911 in Wien
Symphonie Nr. 6 a-Moll
»Tragische«
1. Allegro energico, man non troppo – Heftig, aber markig
2. Scherzo. Wuchtig – Trio. Altväterisch, grazioso
3. Andante moderato
4. Finale. Sostenuto
ENTSTEHUNG
BESETZUNG
In den Sommerwochen
1903 und 1904. Das Particell
wird um den 9. September 1904
in Maiernigg vollendet.
Piccoloflöte, 4 Flöten (3. und
4. auch Picc.), 4 Oboen (3. und
4. auch Englischhorn),
Englischhorn, Klarinette in
D und Es, 3 Klarinetten in
A und B, Bassklarinette,
4 Fagotte, Kontrafagott,
8 Hörner, 6 Trompeten,
3 Posaunen, Bassposaune,
Basstuba, Schlagzeug (Pauken,
Glockenspiel, Herdenglocken,
tiefen Glocken, Rute, Hammer,
Becken, kleine und große
Trommel), Xylophon, 4 Harfen,
Celesta und Streicher
U R AU F F Ü H R U N G
27. Mai 1906 im Rahmen eines
Musikfestes des Allgemeinen
Deutschen Musikvereins in
Essen unter der Leitung des
Komponisten.
DAU E R
ca. 85 Minuten
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»M
eine VI. wird Rätsel aufgeben, an die sich nur eine
Generation heranwagen darf, die meine ersten fünf in
sich aufgenommen und verdaut hat«, schreibt Gustav
Mahler an den Wiener Schriftsteller und Musikkritiker
Richard Specht im Spätsommer 1904, als das Werk in
der Kompositionsskizze in weiten Zügen abgeschlossen vorliegt. Es ist
eine der wenigen Äußerungen, die der Komponist zu seiner sechsten
Symphonie macht und in der er sich in auffallender Weise eines Vokabulars bedient, das einen Prozess der Einverleibung im Sinn hat, ohne
ihn jedoch näher auszuführen. Wie Mahler selbst, verhüllt sich auch das
Werk, das dadurch schon früh zum Objekt zahlreicher Mutmaßungen
wird. In besonderer Weise fühlt sich Mahlers Frau Alma berufen, den
Mangel an autobiografischen Hinweisen auszugleichen. Am folgenreichsten deutet sie das zweite Hauptthema des ersten Satzes nach dem
äußerst markanten Marschbeginn: Im Sommer 1904 sei Mahler zu ihr
gekommen und habe erklärt, sie in diesem Thema festgehalten zu haben.
Ihre Darstellung, glaubwürdig oder nicht, hat sich seither in der Aufführungsgeschichte weitgehend als »Alma-Thema« verankert und zeigt
einmal mehr den Drang nach vereinfachender Zuordnung und Erklärung.
Dabei war es Adorno, der dem Thema eine »gewollte Trivialität« zugeschrieben hat, was dem »Porträt« Almas nur wenig schmeichelhaft ist.
Erst wenn man beides zusammendenkt, Almas und Adornos Worte, fügt
sich ein Bild, das Spuren von Mahlers Privatleben in seinem Werk kenntlich macht. Wenn er in Maiernigg am Wörthersee, wo er im Juli 1903 die
Sechste komponiert, aus seinem Komponierhäuschen kommt und voller
Glück von seiner Arbeit erzählt, weint Alma voller Neid. Bereits im Herbst
1902, ein halbes Jahr nach ihrer Hochzeit, notiert sie: »Mir ist oft, als ob
man mir die Flügel beschnitten hätte. Gustav, warum hast du mich flugfrohen, farbfrohen Vogel an dich gekettet, wo dir doch mit einem grauen,
schweren besser geholfen wäre!« Die Sätze stimmen nachdenklich, nicht
nur im Umfeld zur Sechsten. Almas seelische Trübungen, so scheint es,
2. SYMPHONIEKONZERT
resultieren aus einem Leben, das Mahlers Werk bedingungslos untergeordnet ist und obendrein den Verzicht der eigenen künstlerischen
Ambition fordert. Von da aus ist es für Alma nicht weit, in Momenten der
Verunsicherung den Glauben zu entwickeln, Mahler nehme kommende
Katastrophen vorweg oder provoziere sie in seinen Kompositionen
schlechterdings herauf. Berühmt ist ihre Deutung der damals noch drei
Hammerschläge im Finalsatz der Sechsten. Angeblich soll Mahler sie als
drei den Helden treffende Schicksalsschläge bezeichnet haben, deren
dritter diesen schließlich »wie ein Baum fällt«. Später wird Alma sagen,
dass auch Mahler drei Schicksalsschläge erlitten und der dritte ihn
vollends umgehauen habe. Sie spielt auf Ereignisse an, die der Familie
in den folgenden Jahren zusetzen und Mahler regelrecht aus der Bahn
werfen: Im Sommer 1907, jenem Annus terribilis also, in dem er nach
über zehn Jahren mehr oder weniger gezwungen wird, von seiner Position des Direktors der Wiener Hofoper zurückzutreten, erkrankt seine
ältere Tochter Maria in Maiernigg an Scharlach-Diphtherie und stirbt
wenige Tage später. In den Stunden der Bedrückung diagnostiziert man
zudem Mahlers Herzkrankheit. Der finale Schlag bricht Alma zufolge
über Mahler im Sommer 1910 herein, als ihre Affäre zu dem damals noch
jungen Walter Gropius bekannt wird. Kaum zu erwähnen, dass Mahler
nach ihrer Logik auch in seinen »Kindertotenliedern«, die er zwischen
1901 und 1904 komponiert, den Tod eben jener Tochter Maria antizipiert
habe. Alma scheint unter dem späteren Eindruck von Mahlers Äußerungen in der Partitur der unvollendeten zehnten Symphonie zu stehen,
wo es zum Beginn des vierten Satzes, dem zweiten Scherzo, heißt: »Der
Teufel tanzt es mit mir« – eine Bemerkung, die Alma im Nachhinein als
Einlösung des Schicksals liest, wenn sie Mahler Jahre zuvor in der Arbeit
an den »Kindertotenliedern« flehentlich bittet, den Teufel nicht an die
Wand zu malen, während die Kinder vergnügt im Garten spielen. Mahler,
der Seismograph künftiger Katastrophen, der Beschwörer unheilvoll dämmernder Ereignisse und ewig Getriebene, der Seher dunkler, bedrohlicher Schatten einer aufziehenden Zeit?
Gustav Mahler Radierung von Emil Orlik, 1902
Mahler muß innerlich viel gekämpft und unendlich gelitten haben. Seine
Musik spricht aus, was sein keuscher Mund verschwieg. Am Abend nach
der Generalprobe zur sechsten Symphonie fragte er einen Freund, einen
Nichtmusiker, ob er einen Eindruck empfangen habe. Und als dieser, noch
unter der von dem Werk hervorgerufenen Erschütterung bloß schluchzend
zu stammeln vermochte: »Wie kann ein Mensch von Ihrer Güte so viel
Grausamkeit und Unbarmherzigkeit ausdrücken!«, da sagte Mahler ernst
und bestimmt: »Es sind die Grausamkeiten, die mir angetan worden sind, die
Schmerzen, die ich zu dulden hatte!«
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ALFRED ROLLER
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Die Kehrseite einer unbeschwerten Zeit
Es sind Jahre großen künstlerischen Erfolgs und ebenso großer Machtfülle als Direktor, Dirigent und Opernreformer mit Ausstrahlung weit
über Wien hinaus. Seine Musik beginnt sich durchzusetzen, man
feiert ihn als Gestalter, der als Vater zweier Töchter mit der schönsten,
zumindest schillerndsten Frau Wiens verheiratet ist. 1903 befindet
sich Mahler in seinem 44. Lebensjahr, er steht auf dem Höhepunkt
seines Schaffens. Auch die alljährliche Sommerfrische in Maiernigg
2. SYMPHONIEKONZERT
Villa Mahler in Maiernigg am Wörthersee, Kärnten. 1899 erwirbt Mahler
am Ufer des Sees ein Grundstück, auf dem er ein Landhaus errichten lässt.
Komponierhäuschen oberhalb von Maiernigg. Hier komponiert er u. a. die
Symphonien Nr. 4 bis 8.
(Kärnten) zeigt sich von ihrer besten, weil produktiven Seite, bei der
alles wie gewohnt auf seine Bedürfnisse ausgerichtet ist. Nach frühem
Aufstehen gibt er der Köchin den Auftrag für das Frühstück, das diese
ins Komponierhäuschen – dem »Study«, wie er es nennt – bringt, ohne
Mahler bei ihrem Rückweg jedoch zu begegnen. Das Haus steht wie
ein Hexenhäuschen verwunschen im Wald, wo er bis mittags arbeitet,
dann im See einige Runden zieht, in die Villa zurückkehrt, das Mahl
im Kreis der Familie einnimmt und nach einer halben Stunde zu einem
raschen Spaziergang aufbricht, dem Alma nur mühsam folgen kann.
Nicht selten dauern solche »Märsche« drei bis vier Stunden – mitten
in der Mittags- und Nachmittagshitze, in der musikalische Einfälle in
einem mitgenommenen Notizbuch festgehalten werden. Wieder zurück,
springt Mahler in den See, um vor dem Abendessen noch einmal seine
Arbeitsstätte aufzusuchen. Die Abende werden mit Vorlesen oder
Gesprächen verbracht, bevor die Mahlers gegen zehn Uhr die Nachtruhe antreten. Im Sommer 1903 scheint Mahler besonders gut voranzukommen. Er gestattet sich und seiner Familie einen mehrtätigen
Ausflug über das Pustertal in die Dolomiten. Am 21. Juli trifft er in
Toblach ein, seiner späteren Sommerfrische, und drei Tage danach in
Dölsach in der Nähe von Lienz. Mahler durchlebt eine vergleichsweise
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heitere, unbeschwerte Zeit, in der ein Werk entsteht, dessen Tonfall
gleichwohl die Kehrseite dieser Stimmung aufnimmt. Spannungen
lassen sich zwischen den Eheleuten ausmachen, wenn ihm Alma wenige
Wochen später, im September 1903, eifersüchtige Vorwürfe bezüglich
der Sängerin Anna von Mildenburg macht und Mahler ungewöhnlich
heftig darauf reagiert: »Wieso kommst du dazu, zu glauben, daß ich im
Hitzingerhof mit der Mildenburg zusammen gewohnt hätte?! Du weißt
ja doch, daß sie seit einem Jahr gegenüber von Lipiners in der Gumpendorferstraße wohnt!? Es war also doch wirklich höchst überflüssig, sich
darüber aufzuregen! Himmelherrgottkreuztausenddonnerundhagelsappermentnocheinmal!!« Sicher, hier schlagen eheliche Gefährdungen
eruptiv durch, die nicht unbedingt ursächlich zur Sechsten stehen.
Gleichviel geben sie Auskunft über die Atmosphäre einer Entstehung,
und damit indirekt über die inneren Schwingungen eines Werks, dessen
Signum es ist, sich in auflehnendem Pathos geheimnisvoll zu entziehen.
Später, wenn Alma im Juni 1905 eine Abschrift des Autographs der
gerade fertig instrumentierten Partitur macht, spielt Mahler ihr aus
der Skizze das gesamte Werk vor. Die Nerven liegen bei beiden blank:
»Kein Werk ist ihm so unmittelbar aus dem Herzen geflossen wie dieses.
Wir weinten damals beide. So tief fühlten wir diese Musik und was sie
vorahnend verriet. Die Sechste ist sein allerpersönlichstes Werk und
ein prophetisches obendrein«, schreibt Alma, die zum Schluss hervorhebt, er habe mit der Sechsten sein Leben »anticipando musiziert«. Die
Mahlers scheinen eine Ahnung davon zu bekommen, dass ein Werk
mitunter mehr weiß als dessen Schöpfer.
2. SYMPHONIEKONZERT
Raumgreifende Verschattung
Aufschlussreich ist eine Episode, die sich nach der Generalprobe im
Mai 1906 in Essen zugetragen haben soll. Sie wird von Klaus Pringsheim, Korrepetitor an der Wiener Hofoper, der Mahler nach Essen
begleitet, berichtet: »Nach der Probe sagte Richard Strauss in seiner
selbstverständlich-legèren Art, der Satz [das Finale] sei ›überinstrumentiert‹ – der Strauss der ›Salome‹-Partitur. Überinstrumentiert? Das
Wort gab Mahler viel denken. (Weil Strauss es gesprochen hatte.) Er kam
oft darauf zurück, sprach viel über sein Verhältnis zu Strauss ... fragte
ohne Neid, ohne Bitterkeit, fast demutvoll-ergeben, woran es wohl liege,
daß jenem alles so leicht, ihm so schwer fallen würde; und man fühlte
den ewigen Gegensatz der Sieghaft-Blonden und der Dunklen, Schicksalsbeladenen.« In ihren Erinnerungen sekundiert Alma die Äußerung
Pringsheims, wenn sie auf die Minuten nach der Generalprobe zu sprechen kommt: »Kein Werk ist ihm beim ersten Hören so nahe gegangen.
Nach der Generalprobe ging Mahler im Künstlerzimmer auf und ab,
schluchzend, händeringend, seiner nicht mächtig. Fried, Gabrilowitsch,
Buths und ich standen still und versteinert, keiner wagte den anderen
anzusehen. Strauss kam plötzlich laut polternd bei der Tür herein. Spürte
Mahler und Alma mit ihren Töchtern Maria und Anna (»Gucki«)
in Maiernigg 1905
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nichts. ›Mahler, Sie müssen
irgendeine Trauerouvertüre oder
so was Ähnliches morgen vor der
Sechsten dirigieren – der hiesige
Bürgermeister ist gestorben. Es
ist so üblich – na was habt ihr
denn? Was ist denn los? Na. –‹
Und er ging geräuschvoll und
herzkalt hinaus und ließ uns
erstarrt zurück.« Weniger ist
Strauss’ offenkundige Unsensibilität in dieser Szene bemerkenswert, die vor allem den mentalen
Unterschied beider Komponisten
herausstellt, als vielmehr Mahlers
Impuls einer fortwährenden
physischen Bewegung, den Alma
konstatiert, indem sie hervorhebt,
er sei nach der Generalprobe
im Künstlerzimmer auf und ab
gegangen. Diese Ruhelosigkeit, die
Mahler im Garten der Villa
viel über eine nervöse Beredsamin Maiernigg 1905
keit oder Mitteilsamkeit aussagt,
ist schon dem ersten Satz eingeschrieben, der mit einem geradezu besitzergreifenden Marschrhythmus ansetzt. Dabei tönt der Marsch im militärisch aufgeladenen Vielvölkerstaat gewissermaßen als Grundsound eines
immer reizbarer werdenden Zeitgeists – und ist nicht nur in den Ländern
Danubiens zu vernehmen. Wenn man will, bildet er den Grundsog für
eine ganze Epoche, von der man heute weiß, dass sie mit der Schlacht von
Solferino 1859 und der damit verbundenen Niederlage der österreichischen Truppen dem Untergang geweiht ist und von Joseph Roth in seinem
Roman »Radetzkymarsch« am Beispiel der Familie von Trotta nuancenreich beschrieben wird. Mahler, so könnte man sagen, diagnostiziert eine
raumgreifende Verschattung, die er mit einer wiederkehrenden Dur-MollTrübung wirkungsvoll in Musik setzt. Oft wird daran erinnert, er habe
mit dem Mittel des Marsches die Höreindrücke seiner frühen Kindheit in
der mährischen Garnisonsstadt Iglau verarbeitet, was, wenn es stimmt,
desto mehr darauf hindeutet, dass die äußere Klangkulisse Kakaniens
soldatisches Ferment in sich birgt. Umso bemerkenswerter ist schließlich der Schwenk ins Private, den Mahler mit dem »Alma-Thema« – dem
»Thema mit den großen Kurven« (Michael Gielen) – in auftaktiger
Emphase vollzieht und einen Spalt zwischen Öffentlichkeit und Nichtöf-
2. SYMPHONIEKONZERT
fentlichkeit riskiert. Mahler treibt das Spiel voran, wenn er in der Durchführung Herdenglocken und Celesta vorschreibt und damit eine umrisshaft alpine Kulisse beschwört. Die Herdenglocken künden als letzte Boten
von einer zivilisatorischen Gegenwart. Höher und weiter herrscht pure
Materialität, ein dem Leben abträgliches Gelände, das den Eindringling
auf sich selbst zurückwirft und sein Entronnensein drastisch vor Augen
führt. In dieser fernen Einsamkeit, die immer auch etwas mit Befreiung
oder Durchbrüchen zu tun hat, rückt Mahler in die Nähe zu Friedrich
Nietzsches Philosophie des alpinen Überblicks.
Die Sechste ist ein Werk von ausgesprochen
pessimistischer Gefühlsrichtung, ihre Grundstimmung stammt vom bitteren Geschmack im Trank
des Lebens, sie sagt ein emphatisches ›Nein‹; und
sagt es vor allem in ihrem letzten Satz, in dem die
Unerbittlichkeit des ›Kampfes aller gegen alle‹
Musik geworden zu sein scheint.
Stoßseufzer der Agonie
Der Weg der Wanderung ist indes nicht vorgegeben. Es spricht für sich,
dass Mahler nie vor und nach seiner Sechsten eine Unsicherheit in der
Abfolge der Sätze an den Tag gelegt hat. Hier schon. Die Frage kreist vor
allem um die Stellung des Scherzos an zweiter oder dritter Position, was
bedeutet, dass das Andante von der dritten auf die zweite Stelle springt.
Mahler stellt noch in der autographen Partitur die heute verbreitete
Folge (2. Satz: Scherzo, 3. Satz: Andante) um. Der Grund seines Schwankens liegt in der Ähnlichkeit des stark rhythmisierten Scherzobeginns
mit dem Marschbeginn des ersten Satzes. Augenscheinlich fürchtet er
das Argument der Wiederholung. Doch genau daraus erwächst eine
Stärke, da das Scherzo gewissermaßen eine Variante oder alternative
Version zum ersten Satz aufzeigt und den eingeschlagenen Weg in seiner
Entwicklung weiterführt. Zudem braucht es vor dem Finale ein Atemholen, das zumindest vordergründig mit dem Andante möglich ist. Im
Scherzo konfrontiert Mahler den Ländler mit dem Gestus des Marsches.
Die Vermischung militärisch-straffer Uniformität mit einer gewissen
offenherzigen Schwerfälligkeit, die dem Ländler nachgesagt wird – nicht
zufällig koppelt Mahler im Scherzo den Begriff des »Altväterischen«
mit dem des »Grazioso« –, führt unter anderem zu einer Verzerrung der
angeschliffenen Töne. Die Laute daseinsfreudiger Juchzer, die zuweilen
im Ländler aufsteigen, kippen um in Stoßseufzer der Agonie und zeigen
nichts anderes als einen haltlosen Sturz unter der Oberfläche des Gefälligen. Sichtbar wird eine Brechung ins Infernalische.
Daran kann auch das Andante nichts ändern, das dem vierten
der »Kindertotenlieder«, »Oft denk ich, sie sind nur ausgegangen«, in
seiner Stimmung abgelauscht ist. Es scheint die Hoffnung zu hegen,
dass alles wieder gut wird, was doch längst zerbrochen ist – eine Flucht
aus der Realität, die gar nicht anders kann, als mit dem Grundton der
Verzweiflung auszukommen. Im sich aussingenden Intermezzo, wie der
Publizist Jens Malte Fischer das Andante bezeichnet, können selbst die
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B R U N O W A LT E R
Das ungeheure, tragische Zwischenspiel der
Sechsten; ein Traum voll brandender Verzweiflung,
finster, in Grimm und Not um sich schlagend, in
wütendem Kampfe gegen Dämonen, die in wilden
Hammerstreichen ganze Welten zusammenschmettern. Das Lied von der Einsamkeit; die stillste
Stunde beginnt zu tönen. Tiefste Nacht; nur hin
und wieder der matte Widerschein eines fernen
Schimmers von fremden Ufern herüber, der Klang
stiller Herdenglocken, der als letzter menschlicher
Laut aus dem Tal zu den vereisten Höhen hinauftönt und von nicht mehr zu erreichendem Frieden
erzählt. In den Zwischensätzen gebändigte Ruhe in
arkadischem Ernst, Weltflucht auf eine geträumte
Insel der Sehnsucht; und ein grotesk gespenstiger
Humor in dem Puppenspiel des Scherzos, in dem sie
ein großes Welttheater aufführen, bis der Tod die
Puppen köpft und sein breites Schwert gegen den
Spieler richtet. Und dann die grandiose Tragödie
des Finales, ein Orkan wetternder Schicksalsgewalten gegeneinander; die feurigen Reiter der
Offenbarung Johannis stürmen hin, ein grauenvolles Zerstören alles Blühenden; den weinenden
und hoffenden Sehnsuchtsstimmen zum Trotz, die
erbarmungslos erstickt werden, bis alles zu Eis zu
erstarren scheint und das Schweigen der Vernichtung erschütternd herabsinkt.
RICHARD SPECHT
2. SYMPHONIEKONZERT
wiederkehrenden Herdenglocken
keinen Trost mehr geben für die
Ahnung, dass ein kaum Nennbares
unrettbar verloren ist. Das klingt
bereits in den Anfangstakten des
Andantes an, wenn die melodische
Linie in den ersten Violinen sich
an manchen Stellen verdunkelt,
was Mahler neuerlich mithilfe der
simplen, wenngleich wirkungsvollen Dur-Moll-Trübung erreicht.
Hier scheint eine brennende Intensität langsam zu verglühen.
Apokalyptischer Schrei
Die satirische Wochenzeitschrift mit dem bezeichnenden Titel »Die Muskete«
veröffentlicht im Zuge zur Wiener Erstaufführung der Sechsten eine Ausgabe, deren Titel die Verwendung unkonventioneller Schlaginstrumente in
Mahlers Sechster aufgreift. Die Aufführung findet am 4. Januar 1907 im Großen
Saal des Musikvereins mit Mahler und den Wiener Symphonikern statt, die
damals noch unter ihrem Gründernamen Wiener Concertverein spielen.
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Vergeblich wäre es, trotz der
Hammerschläge, in diesem
Finale auf den zu lauern, der da
angeblich vom Schicksal gefällt
wird. Die Hingabe der Musik an
den ungezügelten Affekt ist ihre
Bahn zum Tod, ungeminderte
Rache des Weltlaufs an der Utopie.
Offen verzweifelte Partien treten
zurück hinter solchen des dumpf
Brütenden, des Überschäumens,
des Heranbrausenden ... Die Katastrophen koinzidieren mit den Höhepunkten. Manchmal klingt es, als
ob im Augenblick des endlichen
Feuers die Menschheit noch einmal
aufglühte, die Toten noch einmal
lebendig würden. Glück flammt
hoch am Rande des Grauens.
Was folgt, ist pure Negation, freier
Fall. Der vierte Satz, einer der
längsten, den Mahler komponiert
hat, hebt alle positiven, ›affirmativen‹ Schlüsse auf und stößt »an
T H E O D O R W. A D O R N O
Grenzen des künstlerisch Darstellzum Schluss der Sechsten
baren, gar des Kunstfähigen«, wie
es der Musikforscher Mathias Hansen formuliert. Selbst die Herdenglocken, zuvor illusionsgesättigte Inseln der Geborgenheit, werden als Erinnerungsfetzen einer intakten Zeit vom Strudel tönender Brutalität erfasst.
Es ist ein Untergang von verheerendem Ausmaß, ein letzter fahler Blick
auf das Bestehende, ein Versinken in zuckenden Stößen. Die Schläge des
Hammers sind dabei nur die prominentesten Beispiele des radikalen Vollzugs einer alles mit sich reißenden Macht des Faktischen. Mahler fordert
beim Einsatz des Hammers: »Kurzer, mächtig, aber dumpf hallender
Schlag von nicht metallischem Charakter (wie ein Axthieb)«. Er postuliert damit einen Schlageffekt, den es zuvor nicht gab und platziert ihn
im als Sonatensatz angelegten Finale an den Übergängen. Den letzten,
dritten Hieb in der Coda kurz vor Schluss hat Mahler später gestrichen,
jedoch kurz vor seinem Tod über dessen Sinnfälligkeit offenbar neuerlich
nachgedacht. Gleichviel, im Zenit seines Lebens entspricht der ›gefallene
Held‹ nicht mehr seiner Auffassung von einem Tod, der jegliche Existenz
nach dem Ableben endgültig beendet. Von Mahlers Weggefährten Bruno
Walter ist der Hinweis überliefert, dass die dreibändige Schrift »Mikrokosmos. Versuch einer Anthropologie« des deutschen Philosophen
Hermann Lotze, 1905 neu aufgelegt, für Mahler von zentraler Bedeutung
2. SYMPHONIEKONZERT
ist. In seinen Ideen zur Geschichte der Menschheit entwickelt Lotze
die Gewissheit einer fortdauernden Erhaltung aller Individualität: »Die
Ahnung, daß wir nicht verloren sein werden für die Zukunft, daß die,
welche vor uns gewesen sind, zwar ausgeschieden aus dieser irdischen,
aber nicht aus aller Wirklichkeit, und daß, in welcher geheimnisvollen
Weise es auch sein mag, der Fortschritt der Geschichte doch auch für sie
geschieht: dieser Glaube erst gestattet uns, von einer Menschheit und von
ihrer Geschichte so zu sprechen, wie wir es tun.« Was nach Zuversicht
und Trost klingt, übersteigt jedoch die menschliche Vorstellungskraft –
zu sehr bleibt das Individuum affektverhaftet und vermag sich seinem
Entsetzen über das nackte Grauen nur schwer zu entziehen. So jedenfalls
tönt das Ende des Finales. Es ist ein zur Ruhe kommender blechlastiger
Trauergesang, dem der finale Schlag in auslöschender Wucht nicht
erspart bleibt.
Als Mahler nach einem reichlichen halben Jahr nach der Uraufführung in Essen das Werk im Januar 1907 zum ersten Mal in Wien
dirigiert, steht auf dem Programmzettel hinter der Werkbezeichnung der
Beiname »Tragische«. Dass Mahler diese Zuschreibung gerade in Wien
öffentlich macht, ist ein seltsam berührendes Rätsel. Als Menetekel steht
es am Anfang eines Jahres, das sich in Mahlers Leben zu einem Annus
terribilis, zu einem Jahr des Schreckens, entwickelt.
ANDRÉ PODSCHUN
Rechte Seite Nicht einmal ein Jahr nach der Uraufführung von Mahlers
sechster Symphonie in Essen führt die Dresdner Hofkapelle unter der Leitung
ihres Chefdirigenten Ernst von Schuch die beiden Mittelsätze der Symphonie
am 5. April 1907 zum ersten Mal in Dresden auf. Bemerkenswert ist die
Reihenfolge der Sätze: Das Scherzo folgt dem Andante moderato, was dem
Ablauf in der Uraufführung entsprochen haben dürfte.
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2. SYMPHONIEKONZERT
SPÄTE LEIDENSCHAFT
Freundschaft und Rivalität: Mahler und Schuch
Zur Mahler-Rezeption
der Sächsischen Staatskapelle Dresden
Diesen Wunsch sollte Schuch den
Dresdnern allerdings erst rund
fünf Jahre später erfüllen; vorher
stellte er 1898 zunächst Mahlers
erste Symphonie in Dresden vor.
Am 20. Dezember 1901 schließlich
folgte die erste Aufführung der
vollständigen zweiten Symphonie
im Semperbau – ein Ereignis, zu
dem Mahler eigens nach Dresden
reiste und für das er auch einen
Einführungstext verfasste.
Bezeichnende Anekdote: Einen
Monat vor dieser Erstaufführung
Der Dresdner Generalmusik­direktor
hatte Schuch mit denselben MusiErnst von Schuch (1899)
kern die Oper »Feuersnot« von
Richard Strauss in Dresden uraufgeführt – die Operndirektor Mahler
schon wenig später in Wien nachspielte. Bei der nächsten Strauss-Oper,
»Salome«, bemühte sich Mahler dann direkt um die Uraufführung, deren
Sensation er vorausahnte. Allerdings wurde das Werk von der Wiener
Zensurbehörde vehement abgelehnt, so dass auch diesmal die Uraufführung unter Schuch in Dresden stattfand. Für Mahler war die Niederlage
ein schwerer Schlag, sie läutete das Ende seiner Wiener Direktionszeit ein.
Die Konkurrenz zwischen Dresden und Wien zeigt sich auch in
einer anderen Begebenheit: 1907 verhandelte der Komponist und Dirigent
Alexander von Zemlinsky mit der Dresdner Hofoper um eine Anstellung
als Kapellmeister – die Gustav Mahler vereitelte, indem er Zemlinsky
kurzerhand an die Wiener Hofoper band.
Trotz dieser Rivalität setzte Schuch auch weiterhin Werke Mahlers
auf die Programme der Dresdner Hofkapelle. So dirigierte er im Januar
des »Salome«-Uraufführungsjahres 1905 die fünfte Symphonie, 1907
folgten Ausschnitte aus der Sechsten, 1908 und 1911 – wenige Monate
nach Mahlers Tod – dann die vollständige Vierte. Noch im Herbst
1909, kurz vor seiner dritten Amerika-Reise, hatte Mahler seine letzten
Symphonien nach Dresden empfohlen und sich in einem Brief für
Schuchs langjährige Unterstützung bedankt: »Habe vielen Dank, bester
Freund, für Dein liebes Interesse für mein Schaffen und für Dein tatkräftiges und so erfolgreiches Eintreten für meine Wenigkeit, wie für alles
Neue. Empfiehl mich Deiner Gemahlin und erhalte Deine Freundschaft
Deinem Dich verehrenden Gustav Mahler.«
»S
chuch selbst war außerordentlich liebenswürdig, stellte mich
den Künstlern vor und bat mich, ihm zu schreiben. Er will
einmal nach Kassel kommen, um mich dirigieren zu sehen.
Es ist nicht ausgeschlossen, daß ich dennoch in Dresden Platz
finde«, schrieb der 24-jährige Gustav Mahler im Herbst 1884
an seinen Jugendfreund Friedrich Löhr nach einem Besuch in Dresden,
bei dem er eine »Così«- und eine »Tristan«-Vorstellung unter Ernst von
Schuch in der Semperoper erlebt hatte. Der Dresdner Generalmusikdirektor hatte sich dem jungen Kapellmeisterkollegen aus Kassel gegenüber offenbar sehr warmherzig gezeigt – aus Mahlers Hoffnung auf eine
Anstellung in Dresden wurde allerdings nichts: Mahler ging als Zweiter
Kapellmeister von Kassel nach Prag, dann nach Leipzig. Budapest und
Hamburg waren die nächsten Stationen, bis er 1897 als Direktor der
Wiener Hofoper zum »Gott der südlichen Zonen« aufstieg. Es bleibt
Spekulation, was ein Engagement Mahlers in Dresden für Folgen gehabt
hätte. Möglicherweise wäre die damalige Hof- und heutige Staatskapelle weniger zu einem »Strauss-« denn zu einem »Mahler-Orchester«
geworden …
Wenn auch der Dirigent Mahler damals in Dresden keine Zukunft
hatte, so wurde doch der Kontakt zum Komponisten in den kommenden
Jahren aufrechterhalten und intensiviert: Schuch, der sich mit großem
Engagement für das zeitgenössische Musikschaffen einsetzte, verfolgte
die kompositorische Entwicklung Mahlers mit Interesse, reiste etwa
im Januar 1888 nach Leipzig, um sich dessen Vervollständigung der
Komischen Oper »Die drei Pintos« anzuhören, die der einstige Dresdner
Hofkapellmeister Carl Maria von Weber nicht mehr vollendet hatte. Im
Januar 1897 stellte Schuch dann mit drei Sätzen aus der erst kurz zuvor
uraufgeführten zweiten Symphonie zum ersten Mal ein Werk Mahlers
in Dresden zur Diskussion. Mahlers Musik war damals noch immer sehr
umstritten, umso bemerkenswerter ist daher die Reaktion des Dresdner
Publikums, über die der Rezensent der Dresdner Nachrichten berichtet:
»Die Fragmente des Werkes wurden mit großem Beifall aufgenommen,
und allgemein ist wohl der Wunsch lautgeworden, die Sinfonie vollständig kennenzulernen.«
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2. SYMPHONIEKONZERT
Doch zurück zur Dresdner Hof- bzw. Staatskapelle. Auch nach Schuchs
Tod wurden die Werke Mahlers durch die Chefdirigenten Fritz Reiner
und Fritz Busch weiterhin mit einer gewissen Regelmäßigkeit gepflegt
(so dirigierte Reiner 1916 »Das Lied von der Erde« und Busch, als vorerst
letzte Mahler-Großtat, 1932 die »Symphonie der Tausend«) – bis mit der
Vertreibung Buschs durch die Nationalsozialisten auch die frühe MahlerRezeption in Dresden ein abruptes Ende fand. Zwar knüpfte Generalmusikdirektor Joseph Keilberth nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst an
die frühen Mahler-Errungenschaften an (u.a. 1950 mit der Einspielung
der ersten Symphonie, einem der frühesten Mahler-Dokumente aus
Deutschland); allerdings wurde der Komponist auch nach der andernorts einsetzenden »Mahler-Renaissance« der 1960er Jahre und trotz
der eindringlichen Bemühungen des 2012 verstorbenen Chefdirigenten
Kurt Sanderling in den Konzerten der Staatskapelle lange nicht wirklich heimisch. Erst 1970 etwa dirigierte Kirill Kondraschin erstmals die
dritte Symphonie, 1984 folgte unter Marek Janowski die erste Gesamtaufführung der Sechsten (nach den Ausschnitten 1907), 1988 unter Kurt
Sanderling die erste Aufführung der Neunten.
Musikalische Wende mit Sinopoli
Gustav Mahler Wien 1906. Im Jahr der Uraufführung seiner sechsten
Symphonie. Im Sommer des gleichen Jahres komponiert er in nur sechs
Wochen seine achte Symphonie.
Das Komponierverbot für Alma –
1901 geschrieben in Dresden
Der Dresdner Aufenthalt Mahlers im Dezember 1901 war – was bislang
wenig beachtet wurde – auch biografisch von großer Bedeutung:
Wenige Wochen vor seiner Abreise nach Berlin und Dresden hatte
Mahler in Wien die junge Alma Schindler kennengelernt und sich auf
Anhieb verliebt. Im Dresdner Hotel Bellevue (in dem, direkt neben der
Semperoper gelegen, auch Richard Strauss bevorzugt residierte – es
wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört) schrieb Mahler ihr dann einen
20-seitigen (!) Brief, in dem er die Bedingungen für eine gemeinsame Heirat formulierte, darunter auch das berühmte »Komponierverbot« für Alma. Es ist einer der längsten und persönlichsten Briefe
Mahlers, dessen Inhalt Alma (sicher schweren Herzens) akzeptierte:
Nach Mahlers Rückkehr am 23. Dezember 1901 verlobten sie sich, am
9. März 1902 fand die Trauung statt.
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Eine kontinuierliche Mahler-Pflege im großen Stil setzte erst nach der
politischen Wende mit dem Chefdirigenten Giuseppe Sinopoli ein, der ab
1992 einen Großteil der Werke Mahlers dirigierte, in der Semperoper und
weltweit auf Tournee, und der Staatskapelle – neben Strauss – nach und
nach auch den Ruf eines exzellenten »Mahler-Orchesters« verschaffte.
Sinopoli knüpfte als Interpret an seinen eigenen Mahler-Zyklus mit dem
Philharmonia Orchestra aus den frühen 1980er Jahren an – und auch sein
Dresdner Mahler-Zyklus wäre sicher vollständig geworden, hätte den
Dirigenten nicht im April 2001 der plötzliche Tod ereilt.
So bleiben in der Mahler-Rezeption der Staatskapelle noch immer
Lücken, die auch die nachfolgenden Chefdirigenten Bernard Haitink
(einer der Hauptprotagonisten der »Mahler-Renaissance« der 1960er
Jahre) und Fabio Luisi – trotz weitreichender Pläne diesbezüglich –
nicht schließen konnten. Immerhin dirigierte Daniel Harding 2004 die
Dresdner Erstaufführung der unvollendeten zehnten Symphonie in der
Fassung von Deryck Cooke. Seit 2013 erkunden schließlich Myung-Whun
Chung und die Staatskapelle in kontinuierlichen Abständen Mahlers
symphonisches Werk: nach der Ersten und Neunten 2013 sowie der
Zweiten 2014 kam zuletzt Mahlers Vierte im Mai 2015 zur Aufführung.
TOBIAS NIEDERSCHL AG
2. SYMPHONIEKONZERT
2. Symphoniekonzert 2015 | 2016
Orchesterbesetzung
1. Violinen
Roland Straumer / 1. Konzertmeister
Thomas Meining
Federico Kasik
Christian Uhlig
Johanna Mittag
Jörg Kettmann
Susanne Branny
Birgit Jahn
Wieland Heinze
Henrik Woll
Anja Krauß
Anett Baumann
Anselm Telle
Franz Schubert
Yoriko Muto
Johannes Hupach**
2. Violinen
Reinhard Krauß / Konzertmeister
Matthias Meißner
Holger Grohs
Stephan Drechsel
Jens Metzner
Ulrike Scobel
Olaf-Torsten Spies
Beate Prasse
Mechthild von Ryssel
Elisabeta Schürer
Emanuel Held
Martin Fraustadt
Yukiko Inose
Yewon Kim
* als Gast
** als Akademist / in
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Bratschen
Gerd Grötzschel* / Solo
Stephan Pätzold
Anya Dambeck
Michael Horwath
Uwe Jahn
Ulrich Milatz
Marie-Annick Caron
Claudia Briesenick
Susanne Neuhaus
Uta Scholl
Ivan Bezpalov*
Henry Schneider*
Violoncelli
Norbert Anger / Konzertmeister
Simon Kalbhenn / Solo
Tom Höhnerbach
Martin Jungnickel
Bernward Gruner
Johann-Christoph Schulze
Jakob Andert
Matthias Wilde
Anke Heyn
Haedeun Lee**
Kontrabässe
Andreas Wylezol / Solo
Martin Knauer
Helmut Branny
Christoph Bechstein
Fred Weiche
Reimond Püschel
Paweł Jabłczyński
Daniel Pytel**
Flöten
Rozália Szabó / Solo
Bernhard Kury
Cordula Bräuer
Dóra Varga
Diego Aceña Moreno**
Oboen
Bernd Schober / Solo
Andreas Lorenz
Volker Hanemann
Michael Goldammer
Christopher Kopptiz**
Klarinetten
Robert Oberaigner / Solo
Dietmar Hedrich
Egbert Esterl
Jan Seifert
Christian Dollfuß
Fagotte
Thomas Eberhardt / Solo
Hannes Schirlitz
Joachim Huschke
Andreas Börtitz
David Leschowski**
Hörner
Erich Markwart / Solo
Jochen Ubbelohde / Solo
Andreas Langosch
David Harloff
Manfred Riedl
Julius Rönnebeck
Eberhard Kaiser
Miho Hibino**
Trompeten
Mathias Schmutzler / Solo
Tobias Willner / Solo
Peter Lohse
Siegfried Schneider
Volker Stegmann
Sven Barnkoth
Gerd Graner
Posaunen
Nicolas Naudot / Solo
Jürgen Umbreit
Frank van Nooy
Christoph Auerbach
Tuba
Jens-Peter Erbe / Solo
Pauken
Manuel Westermann / Solo
Schlagzeug
Christian Langer
Simon Etzold
Jürgen May
Dirk Reinhold
Stefan Seidl
Harfen
Vicky Müller / Solo
Astrid von Brück / Solo
Christiane Richter*
Markus Thalheimer**
Celesta
Sebastian Engel
2. SYMPHONIEKONZERT
DIE ALTERNATIVE ZUM
JAHRESRÜCKBLICK:
DIE VIER HÖHEPUNKTE
DES STRAUSS-JAHRES!
Vorschau
1. Kammerabend
als Matinee, im Rahmen der
Richard-Strauss-Tage der Semperoper
S O N N TAG 18 .10 .15 11 U H R
S E M P ER O P ER D R E S D E N
Kammermusik der Sächsischen Staatskapelle Dresden
Gast: Michael Schöch Klavier
Robert Oberaigner Klarinette
Susanne Branny Violine
Michael Horwath Viola
Titus Maack Violoncello
Robert Schumann
Fantasiestücke für Klavier und Klarinette op. 73
György Kurtág
Hommage à Robert Schumann op. 15 d (1990)
für Klarinette, Viola und Klavier
Robert Schumann
»Märchenerzählungen« op. 132
4 Stücke für Klarinette, Viola und Klavier
Richard Strauss
Klavierquartett c-Moll op. 13
Sonderkonzert 100 Jahre Uraufführung
»Eine Alpensinfonie«
Im Rahmen der Richard-Strauss-Tage der Semperoper
Die gefeierten Strauss-Darbietungen mit Christian Thielemann und der Staatskapelle Dresden:
ELEKTRA (CD), ARABELLA (DVD & BLU-RAY), STRAUSS-GALA (DVD & BLU-RAY
VÖ: Februar 2015) und “LETZTE LIEDER” & EINE ALPENSINFONIE (DVD & BLU-RAY).
www.unitelclassica.com
UND IM FERNSEHEN AUF
CLASSICA empfangen Sie in: Belgien · Bulgarien · Deutschland · Estland · Frankreich · Italien (Classica Italia) · Lettland
Liechtenstein · Luxemburg · Malta · Österreich · Polen · Rumänien · Ungarn · Schweiz · Slowakei · Spanien
Tschechische Republik · Zypern – China · Japan (Classica Japan) · Korea · Malaysia · Mongolei · Philippinen · Südafrika · Taiwan
M I T T WO C H 21.10 .15 2 0 U H R
S E M P ER O P ER D R E S D E N
Christian Thielemann Dirigent
Menahem Pressler Klavier
Wolfgang Amadeus Mozart
Klavierkonzert B-Dur KV 595
Richard Strauss
»Eine Alpensinfonie« op. 64
2. SYMPHONIEKONZERT
IMPRESSUM
Sächsische
Staatskapelle Dresden
Künstlerische Leitung/
Orchesterdirektion
Sächsische Staatskapelle Dresden
Chefdirigent Christian Thielemann
Spielzeit 2015 | 2016
H E R AU S G E B E R
Sächsische Staatstheater –
Semperoper Dresden
© September 2015
R E DA K T I O N
André Podschun
G E S TA LT U N G U N D L AYO U T
schech.net
Strategie. Kommunikation. Design.
DRUCK
Union Druckerei Dresden GmbH
ANZEIGENVERTRIEB
Christian Thielemann
Chefdirigent
Juliane Stansch
Persönliche Referentin
von Christian Thielemann
Jan Nast
Orchesterdirektor
Tobias Niederschlag
Konzertdramaturg,
Künstlerische Planung
André Podschun
Programmheftredaktion,
Konzerteinführungen
Matthias Claudi
PR und Marketing
Agnes Monreal
Assistentin des Orchesterdirektors
EVENT MODULE DRESDEN GmbH
Telefon: 0351 / 25 00 670
e-Mail: [email protected]
www.kulturwerbung-dresden.de
Elisabeth Roeder von Diersburg
Orchesterdisponentin
B I L D N AC H W E I S E
Agnes Thiel
Dieter Rettig
Notenbibliothek
Matthias Creutziger (Myung-Whun Chung);
Gustav Mahler. Leben und Werk in Zeugnissen
der Zeit, gesammelt und herausgegeben von
Herta und Kurt Blaukopf, Stuttgart 1994; Das
Mahler Album, herausgegeben von Gilbert
Kaplan, New York 1995 (2011); Historisches
Archiv der Sächsischen Staatstheater
Matthias Gries
Orchesterinspizient
T E X T N AC H W E I S E
Der Einführungstext von André Podschun ist
ein Originalbeitrag für dieses Programmheft;
der Artikel von Tobias Niederschlag ist eine
aktualisierte Fassung seines Beitrags für das
Programmheft zum 4. Symphoniekonzert in
der Saison 2011 / 2012; Richard Specht, Gustav
Mahler, Berlin 1913; Bruno Walter, Gustav
Mahler. Ein Porträt, Wilhelmshaven 1985;
Theodor W. Adorno, Dritter Mahler-Vortrag,
in: ders., Musikalische Schriften V (= Gesammelte Schriften Bd. 18), Frankfurt/M 1997;
Das Mahler Album, herausgegeben von
Gilbert Kaplan, New York 1995 (2011)
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werden konnten, werden wegen nachträglicher
Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.
Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus
urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet.
W W W. S TA AT S K A P E L L E - D R E S D E N . D E
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