Wolfgang Kehr Rassistische Deformation und mediale Modernität der Kunstvermittlung im sogenannten »Dritten Reich«. Erstveröffentlichung 1983 (Auswahl AG Kirschenmann/Skladny/Stehr) Ab 1930 wurde jedoch die Symbiose von Rassismus und Ablehnung der »Moderne« behördlicherseits sanktioniert und Grundlage rigidester Verwaltungsmaßnahmen. Von Wilhelm Frick, dem ersten nationalsozialistischen Minister auf Landesebene, wurde der »Erlass wider die Negerkultur« herausgegeben, dem sich dann die bekannten Aktionen gegen die »Entartete Kunst« anschlössen. Paul Schultze-Naumburg wurde als Erster mit der Durchführung der sogenannten »Museumssäuberung« betraut, indem er ermächtigt wurde, aus dem Weimarer Schlossmuseum alle Bilder der »Moderne« zu entfernen.1.Dabei war die Rolle, die zum Beispiel die Kunstanschauungen des Bauhauses im Faschismus einnehmen sollten, 1930 noch gar nicht geklärt. Selbst innerhalb der nationalsozialistischen Partei gab es eine Art »Opposition«, die sogar den Expressionismus in Teilen anerkannt wissen wollte. Er sollte lediglich in eine »völkisch-nordische« und eine »kommunistische« Richtung zerlegt werden.2 Auf dem Schulsektor vermengte Alfred Ehrhardt die Gestaltungslehre aus den Vorkursen des Bauhauses mit einem explizit antidemokratischen Erziehungskonzept.3 Im künstlerischen Bereich ist zum Beispiel das Schicksal eines Malers wie Emil Nolde doppelt tragisch. Etwa gleichzeitig wie Adolf Hitler der NSDAP beigetreten, wollte dieser bis 1941 nicht daran glauben, dass seine Malerei der Ächtung verfallen war.4 Mit der gewaltsamen Verfolgung der »modernen« Kunst begann spätestens 1930 auch die »Gleichschaltung« oder, wenn dies nicht gelang, die Ausschaltung jener Kunstkritiker, Kunsthistoriker und Kunstpädagogen, die sich um eine ernsthafte Interpretation der neuen Stilerscheinungen bemüht hatten. Allerdings blieben auch in der Weimarer Zeit Autoren, die sich um eine breitenwirksame Vermittlung »moderner« Kunst bemüht hatten, die Ausnahme. Johannes G. von Allesch zählte neben den zahlreichen, speziell für intellektuelle Zeitschriften schreibenden Kunstkritikern zu den wenigen Kunsthistorikern, die die neuen Kunstformen vermitteln helfen wollten. In seinem 1921 erschienenen Bändchen – »das für den allgemeinsten Gebrauch bestimmt ist« – versuchte Allesch, eine Brücke zwischen »anerkannter« und »moderner« Kunst zu schlagen. Von der Gestaltpsychologie her kommend, empfahl er Werke wie Oskar Kokoschkas »Auswanderer« oder Picassos »Dame am Klavier«5. In der kleinen Schrift von S. Aschner wird die »Kunst der Gemäldebetrachtung« betont an Werken von Erich Heckel, Lyonel Feininger und Oswald Herzog gelehrt 6. Im Schulbereich überließen die Philologen den Kunsterziehern neidlos die Aufgabe zur Vermittlung zeitgenössischer Kunst und verteidigten nur die Behandlung der Werke »gesicherter« Kunst.7 Aber auch unter den Kunsterziehern blieben Unterrichtsmodelle zur Vermittlung der »Moderne« vereinzelt. Berichte über Kunstbetrachtung anhand von Werken Schmidt-Rottluffs, Emil Noldes, Erich Heckel, Otto Dix' und George Grosz'8 finden sich auch in Fachzeitschriften der Weimarer Republik kaum. Zunehmend war sicher auch die Angst vor Denunziation daran Schuld, dass man den Unterricht anhand der »Moderne« nicht auch noch schriftlich fixierte9. Generell jedoch hatten die Pädagogen auch Einwände gegen den Sprachgebrauch der modernen Kunstkritik, der ihnen zu elitär erschien und dessen sinnvolle Vermittlung im Schulbereich fragwürdig erschien: »Es gibt kaum etwas Grausigeres in der Schule, als junge Menschen mit unverstandenen Begriffen und Wertungen so subjektiver Kunsthistoriker wie Siehe hierzu: Brenner, Hildegard: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus. Hamburg 1963. Siehe hierzu: Hinz, Berthold: Die Malerei im deutschen Faschismus. München 1974, S. 27ff. 3 Ehrhardt, A.: Gestaltungslehre. 1932. Siehe dazu: Middeldorf, Antje: Bauhaus und Kunstunterricht. In: Katalog: Kind und Kunst. 1976. S. 121-134. Speziell: S. 132f. 4 Siehe hierzu: Katalog der Berliner Akademie der Künste: Zwischen Widerstand und Anpassung. Kunst in Deutschland 1933 – 1945. Berlin 1978. S. 214ff. 5 Allesch, G.J. von: Wege zur Kunstbetrachtung. Dresden 1921. 6 Aschner, S.: Die Kunst der Gemäldebetrachtung. Esslingen 1922. 7 Siehe hierzu: Büngel, Werner: Die bildende Kunst in der Schule. Erziehung für und durch die Kunst. Leipzig 1931. S. 16. 8 Promnitz, Eva: Eine Kunstbetrachtung in der Oberstufe. In: (Zs.) Kunst und Jugend. Heft 6. Stuttgart 1930. S. 158-160. 9 Einen Fall einer derartigen Denunziation aus dem Jahre 1933 belegt Joseph Wulf. Siehe: Wulf, Joseph: Die bildenden Künste im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Gütersloh 1963. S. 30f. 1 2 Muther, Hausenstein oder Scheffler jonglieren zu hören«.10.Die Klage, dass »eine zum Teil unfähige, zum Teil verstiegene Kunstkritik, die abschreckend von jedem Laien empfunden wurde«11 an der Entfremdung von der Gegenwartskunst mit Schuld sei, wurde von den Nationalsozialisten geschickt zur Reglementierung des Kulturbereichs genutzt. Am 27. November 1936 wurde dann durch den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda die Kunstkritik schlichtweg untersagt: »An die Stelle der bisherigen Kunstkritik wird ab heute der Kunstbericht gestellt, ... Der Kunstbericht soll weniger Wertung, als vielmehr Darstellung und damit Würdigung sein ...«.12.Synchron mit der Abwürgung der Kunstkritik lief die Vertreibung jener Kunsthistoriker, deren methodische Ansätze auch eine Weiterentwicklung versprochen hätten. Unter anderen verließen nach 1933 Erwin Panofsky, Kurt Badt, Ernst Kris, Rudolf Arnheim und E. H. Gombrich das »Deutsche Reich«. In England und Amerika, wo die Kunsthistoriker-Emigranten vor allem Aufnahme fanden, bewirkten diese einen deutlichen Aufschwung der Kunstpädagogik. Sicherlich - und das soll keine Schmälerung ihrer Verdienste sein - lag das Bemühen der Emigranten um eine breitenwirksame Didaktik auch darin begründet, dass sie in den angelsächsischen Ländern das 'Publikum' für einen Ausbau der kunsthistorischen Forschung erst gewinnen mussten. Für die Situation der Kunsthistoriker »im Lande« gab O.K. Werckmeister 1971 folgende Beschreibung: »Unter der nationalsozialistischen Regierung seit 1933 trat die nationalistische Kunstgeschichte vollends in den Dienst offizieller Propaganda. Gerade weil viele ihrer Vertreter glaubten, sich subjektiv von spezifisch nationalsozialistischer Ideologie frei halten und auf ihrer bürgerlich-konservativen Tradition beharren zu können, eigneten sie sich für die von der Regierung gewünschte politische Funktion der Wissenschaft. Denn hier wurden die nationalistischen Lehren, die im nationalsozialistischen Parteiprogramm primitiv formuliert waren, in einem akademisch etablierten Fach intellektuell differenzierter und scheinbar parteilos bestätigt. Eine von der Partei diktierte Kunstgeschichte wäre in der akademischen Gesellschaft nicht akzeptiert worden«.13.(...) Wie wenig selbst die pro-faschistischen Kunstwissenschaftler mit ihren Differenzierungen bei der Schul-Kunsterziehung des Dritten Reiches ausrichten konnten, zeigte bereits der nun für ganz Deutschland verbindliche Lehrplan von 1938. Unter der Überschrift »Nordischer Geist in der abendländischen Kunst« werden selbst die griechische Antike und die italienische Renaissance vereinnahmt.14.Wie derartige Schlüsse möglich sind, illustriert das vom nationalsozialistischen Lehrerbund im Anschluss an die neuen Lehrpläne herausgegebene Unterrichtswerk »Deutsche Kunstbetrachtung«15: Hier wird eine griechische Amphora nur deshalb bemüht, weil sich unter den Ornamenten des geometrischen Stils auch ein »Hakenkreuz« findet. Dies gilt dann als Beleg dafür, dass »der Höhepunkt der nordischen Einwanderung um 1200 ... endgültig den kulturellen Einfluss der Urbevölkerung« beseitigt hat.16.Auch die Träger der italienischen Renaissance waren angeblich nur ein »nordisch bestimmter Volksteil Italiens, der ... durch den neuen Blutzufluss – durch die Goten und Langobarden – in der Völkerwanderung gestärkt und gekräftigt war«.17 In der Frage der rassischen Zuordnung der Gotik scheint der Lehrbuchautor zunächst der Argumentation Pinders und Schrades zu folgen, um dann doch ins alte Schema zu verfallen: »Die Gotik ist ein ausgesprochen germanischer Stil. Nordfrankreich zeigt ja in dieser Zeit eine noch fast reine ›fränkische‹ Einwohnerschaft.«18.Die Bücher, aus denen sich Georg Schorer sein Lehrbuch zusammenschrieb, waren eben weniger kunstwissenschaftliche Fachliteratur, sondern Werke wie Oswald Spenglers »Der Untergang des Abendlandes« (1918/1922), Hans Günthers »Rasse und Stil« (1927) und Alfred Rosenbergs »Der Büngel, W.: Die bildende Kunst in der Schule. Erziehung für und durch die Kunst. Leipzig 1931. S. 25. Keller, Christian: Der Weg zum Bildgenuss. Eine Einführung in die künstlerische Erziehungsarbeit der Schule. Ansbach 1923. S. 34. 12 Zitiert nach: »Völkischer Beobachter« vom 28.11.1936. Mit dem offiziellen Verbot der Kunstkritik wird letztlich nur einer unter nationalsozialistischen Kunsterziehern vorformulierten Tendenz entsprochen. Robert Böttcher wehrte sich zum Beispiel gegen systematische Struktur- oder Stilanalysen. Das sei Mathematik statt Kunst. »Mit Analyse ... ist in der Kunst nichts zu erreichen«. (Böttcher, Robert: Kunst und Kunsterziehung im neuen Reich. Breslau 1933. S.19). 13 Werckmeister, O.K.: Von der Ästhetik zur Ideologiekritik. In: ders.: Ende der Ästhetik. Frankfurt/Main 1971. S. 73. 14 Siehe:Der neue Lehrplan für die Kunsterziehung an den höheren Schulen. In:(Zs.) Kunst und Jugend. Heft 5. Stuttgart 1938. S.97-99 15 Schorer, Georg: Deutsche Kunstbetrachtung. München 1939. (Georg Schorers Lehrbuch wurde in kurzer Zeit mehrmals neu aufgelegt. Bereits 1942 erscheint eine neue veränderte 4. Auflage). 16 Schorer, G.: Deutsche Kunstbetrachtung. 1939. S.8. 17 Schorer, G.: Deutsche Kunstbetrachtung. 1939. S.68. 18 Schorer, G.: Deutsche Kunstbetrachtung. 1939. S.46. 10 11 Mythus des 20. Jahrhunderts« (1930). Die Formulierungen zur »Kunst des Dritten Reiches« übernahm Georg Schorer (1907 - 1976) aus den Reden des »Führers« selbst. Ohne die »ungeheure Forscherleistung der bisherigen Kunstgeschichte herabzuwürdigen« – so ein Vertreter rassischer Kunsterziehung –, »das Entscheidende für das Verstehen der Geschichte war kaum gedacht«.19 Vergleicht man den nationalsozialistischen Lehrplan von 1938 mit den preußischen Richtlinien von 1925, dann fällt die wesentlich stärkere Normierung in puncto »Kunstbetrachtung« besonders auf. Der Kunstbetrachtung ist zwar 1938 wesentlich mehr Raum zugeordnet, auch ist ihre Beschränkung auf formale Zusammenhänge aufgehoben, dafür wird sie aber unverhohlen zur weltanschaulichen Propaganda verpflichtet. Erneut sind bereits im Lehrplan nicht nur Angaben von Epochen und Stilen gemacht, sondern auch genaue Nennungen von Künstlern und Werken, sowie des Aspektes, unter dem die Werke zu sehen sind. Dabei werden ganze Bereiche, die in den Richtlinien von 1925 erstmals erschienen, wieder ausgesondert. Sahen die Richertschen Richtlinien u.a. die Analyse von Wohnhäusern, Schulbauten, Bahnhöfen und Fabriken vor, so wurden die Kunsterzieher aufgrund des NS-Lehrplans wieder auf Burgen, Pfalzen, Schlösser und Dome beschränkt. Lediglich auf dem Sektor »Kunstschaffen des Dritten Reiches« kamen neue Bauaufgaben zur Besprechung, je nachdem welches Bauwerk von der nationalsozialistischen Führung zum Mahnmal für die eigene »Bewegung« erklärt worden war. Der inhaltlichen Rückschrittlichkeit stand im Dritten Reich ein medialer Modernitätsschub in der Vermittlung von Kunstwerken gegenüber. Dies war zunächst natürlich auch technisch bedingt: So war zum Beispiel ab 1929 der Tonfilm aufgekommen. Vom Beginn ihrer »Machtergreifung« hatten die Nationalsozialisten auf das Medium Film gesetzt. Am 26.6. 1934 war die »Reichsstelle für den Unterrichtsfilm« gegründet worden und 1939 wurde stolz verkündet, dass die Unterrichtsfilme »strahlungskräftiger«, »wie jedes echte Leben oder Kunstwerk« seien.20 Speziell durch die Unterlegung pathos-verstärkender Musik wurde diese Wirkung erreicht21 . Die Filme galten aber mehr der Gestaltung von Feierstunden als der Information über künstlerisches Schaffen. Das Medium selbst wurde dabei nie reflektiert. Im Gegenteil: Im Dritten Reich verschwanden alle kunstpädagogischen Ansätze von Unterrichtsmodellen im Bereich Fotografie und Film22. Auch die Kunstwissenschaften nahmen den Film weder als Medium noch als Kunstform zur Kenntnis. Nicht einmal als Gegner und Konkurrent der bildenden Kunst – wie Konrad von Lange den Film aufgefasst hat – war er für die Kunstwissenschaft existent. Den Kunsthistorikern im Dritten Reich, die sich um den Mythos des Kathedralbaues bemühten, musste deshalb die Hochachtung, die der emigrierte Erwin Panofsky 1934 dem Film angedeihen ließ, wie ein Affront erscheinen: »Man könnte sagen, dass der Film, der durch eine gemeinschaftliche Anstrengung ins Leben gerufen wird, in welcher alle Beiträge den gleichen Grad von Dauer erreichen, am ehesten das moderne Äquivalent einer mittelalterlichen Kathedrale ist«23. Zur Verketzerung der »modernen« Kunstströmungen übernahmen die nationalsozialistischen Kunstpädagogen Methoden der politischen Propaganda und der sich seit dem 1. Weltkrieg formierenden Reklamewissenschaften. Sollte man mit dem Begriff der »Didaktik« keinerlei qualitative Vorstellungen verbinden, müsste man die ab 1933 organisierten Schandausstellungen zur »entarteten Kunst« als frühe »didaktische Ausstellungen« ansprechen. Nach dem Prinzip einer propagandistischen Geschichtsschau wurde hier auch die bildende Kunst im Zusammenhang mit pointierenden Überschriften und die Rezeption lenkenden Textcollagen präsentiert. Im Schulbereich schlug sich die Verketzerung der »Moderne« hauptsächlich in einer Pervertierung der Methode des Bildvergleichs Hoffmeister, Kurt: Offene Fragen der Kunstgeschichte (nach dem Durchbruch des Rassegedankens). In: (Zs.) Kunst und Jugend. Heft 4. Stuttgart 1934. S.62. 20 Caselmann, Christian: Unterrichtsfilm in Kriegszeiten. In: (Zs.) Film und Bild, 1939. Hier zitiert nach: Hickethier, Knut: Zur Tradition schulischer Beschäftigung mit den Massenmedien. Ein Abriss der Geschichte deutscher Medienpädagogik. In: Schwarz, Reent (Hrsg.): Didaktik der Massenkommunikation 1. Stuttgart 1974. S.36. 21 Als Beispiel sei hier der 1939 hergestellte Lehrfilm »Germanen gegen Pharaonen« genannt (Nr.970 im Katalog 8/1977 des Bundes-Filmarchivs Koblenz). Ausgerechnet die mehr oder minder internationale Megalithkultur wird hier für das Germanentum vereinnahmt. Die »Beweisführung«, dass die Kultstätte von Stonehenge den altägyptischen Pyramidenbau übertrifft, wird vornehmlich über die Musik versucht. Leider muss man jedoch zugestehen, dass es bis heute zu den Klischees des Kulturfilms gehört, den Bildern bedeutungsschwangere Klänge zuzuordnen. 22 Siehe hierzu:Kehr, Wolfgang: Zum enzyklopädischen Stichwort 'Didaktik der fotografischen Medien im Kunstunterricht'. In: Frenzel, Günter/u.a. (Hrsg.): Foto - Film - Fernsehen. Handbuch der Kunst- und Werkerziehung. Band VI. Berlin 1979. S.1136. 23 Panofsky, Erwin: Style and Medium in the Motion Picture. In: (Zs.)Bulletin of the Department of Art and Archeology. Princeton University 1934. Hier zitiert nach der Übersetzung von Helmut Färber in: (Zs.) Filmkritik. Heft 6. Frankfurt 1967. S. 353. 19 nieder. Beispiele sog. »anerkannter« Kunst wurden mit »entarteter« Kunst konfrontiert, und man spekulierte damit, dass die Qualitätsunterschiede keiner Diskussion mehr bedürften. Das Schema dieses Bildvergleichs, der sich quasi von selbst erklärt, wurde bereits in den politischen Kämpfen nach der Novemberrevolution von 1918 gebildet. Die Werke der vornehmlich expressionistischen Künstler, die sich auf demokratischer Seite engagiert hatten, sollten uminterpretiert werden als Symptome des kulturellen Verfalls.24 Paul Schultze-Naumburg erweiterte 1928 das Modell der scheinbar anschaulichen Vergleiche um eine abscheuliche Variante.25 Den Aufnahmen kranker Menschen ordnete er »moderne« Kunstwerke bei. Zufällige formale Gemeinsamkeiten sollten dann zur Analyse herhalten: Die Kunstwerke gleichen klinischen Fällen, also sind die Künstler selbst klinische Fälle. Um 1937 wurde der scheinbar anschauliche Bildvergleich genutzt, um unter ironischer Kommentierung das von den Nationalsozialisten geförderte »Kunstschaffen« mit »entarteter« Kunst zu konfrontieren.26 1939 konnten die Pädagogen dann bereits vom »Amt Lichtbild der Reichspropagandaleitung« die Dia-Serie »Deutsche Kunst gegen Kulturbolschewismus« anfordern, die ganz auf derartigen Bildvergleichen aufgebaut war.27 In Schorers Lehrbuch »Deutsche Kunstbetrachtung« wird die »Entartete Kunst« in einer abwertenden Collage vorgeführt, die nach Vorbildern des propagandistischen Bildjournalismus montiert ist. Winzige Abbildungen von Werken Paul Klees, Max Beckmanns, Schmidt-Rottluffs, u.a. erscheinen scheinbar achtlos zum Haufen geworfen.28.Damit fließt bereits in die Präsentation die Interpretation ein. In Schorers Schulbuch gibt es drei Stufen: Im Hauptteil des Buches wird in der Art von Ehrentafeln auf jeder Seite meist nur ein Bild mit einem in gotischer Frakturschrift gesetzten, Ehrerbietung heischenden Text arrangiert. Im Anhang ist die »Sachinformation« 'durchsetzt mit Kleinstabbildungen, die u.a. die aus dem Hauptteil verdrängte, nicht-deutsche europäische Kunst repräsentieren. Am achtlosesten ist dann die »Entartete Kunst« durch die schon besprochene »Schreckenstafel« in die »Sachinformation« eingeblendet. In der Auswahl des Bildmaterials zeigt sich die für die Nationalsozialisten typische Mischung von Rückschrittlichkeit und Modernität besonders illustrativ. Zur Verdeutlichung der Kunst im antiken Griechenland und Rom griff Schorer auf die wissenschaftlich längst fragwürdig gewordenen kulturgeschichtlichen Rekonstruktionen zurück, die ein historistisch empfundenes Volksleben vorführen .29 Um die parteikonforme Kunst des Dritten Reiches zeigen zu können, verwandte Georg Schorer allerneueste Aufnahmen von Kunstwerken und den Künstlern selbst. Dabei wurden einige Werke sogar noch vor ihrer Vollendung bereits als »schulbuchreif« erklärt: so Hermann Kaspars Mosaiken im Kongresssaal des Deutschen Museums in München und Ludwig Ruffs Kongresshalle für das Reichsparteitagsfeld in Nürnberg, die erst im Gipsmodell existierte30. Selbst ein so traditionelles Unterrichtswerk wie Hermann Luckenbachs »Kunst und Geschichte«, das 1893 erstmals erschienen war31, wurde in der NS-Zeit auf allerdings sehr zweifelhafte Weise »modernisiert«. In abwartender Distanz folgten die verschiedenen Neuauflagen der jeweiligen Gegenwartskunst, um sich dann noch in der Weimarer Zeit der »Moderne« völlig zu verweigern. Dieser Abstand zum aktuellen Kunstschaffen wurde jedoch im sog. »Dritten Reich« aufgehoben. Die elfte Auflage von 1943 brachte 24 Reproduktionen zur Kunst seit 1933. Freilich beschränkte sich die Auswahl auf die offizielle Partei-Kunst. 32 Ein exemplarisches Beispiel eines derartigen propagandistischen Bildvergleichs findet sich im Jahrgang 1919 der in München herausgegebenen Zeitschrift »Feurjo« (Heft 9, S.68f.): Unter der ironisierenden Überschrift »Die deutsche Kunstblüte« wird einem Holzschnitt aus Albrecht Dürers »Marienleben« (1511) ein Holzschnitt des expressionistischen Künstlers Aloys Wach, der zuerst in den pro-räterepublikanischen »Münchner Neueste Nachrichten« vom 9.4.1919 veröffentlicht war, gegenübergestellt. Die Bildunterschriften sollen nun bildnerisch-formale und historisch-politische Erscheinungen parallelisieren: »Im Zeichen des Humanismus: Immer Dürer! – Im Zeichen des Bolschewismus: Immer dürrer!« 25 Schultze-Nauraburg, Paul: Kunst und Rasse. München 1928. 26 Dresler, Adolf (Hrsg.): Deutsche Kunst und entartete Kunst. Kunstwerk und Zerrbild als Spiegel der Weltanschauung. München 1938. Adolf Dresler greift in seinem Buch hauptsächlich auf die Exponate der beiden kontrastierenden Münchner Ausstellungen von 1937 zurück: Die »Große Deutsche Kunstausstellung« im »Haus der Deutschen Kunst« und die Ausstellung »Entartete Kunst« in den Räumen des ehemaligen »Museums für Abgüsse«. Die Art des sarkastisch-ironisierenden Kommentierens lehnt sich dabei an den von Wolfgang Willrich gestalteten »Führer durch die Ausstellung ›Entartete Kunst‹« an. 27 Amt Lichtbild der Reichspropagandaleitung: Deutsche Kunst gegen Kulturbolschewismus. Berlin 1939. (Die Bildvergleiche wurden hauptsächlich bei Adolf Dresler »Deutsche Kunst und entartete Kunst« (1938) entnommen). 28 Schorer, G.: Deutsche Kunstbetrachtung. 1939. S.197 Diese Form der negativen Präsentation »moderner Kunst« hatte vor Schorer auch Wolfgang Willrich für seine »kunstpolitische Kampfschrift« benutzt. Siehe: Willrich, Wolfgang: Säuberung des Kunsttempels. Berlin 1937. 29 Schorer, G.: Deutsche Kunstbetrachtung. 1939. S.12, 13, 21, 23,24 und 189. 30 Schorer, G.: Deutsche Kunstbetrachtung. 1939. S.174 und 156. 31 Luckenbach, Hermann: Kunst und Geschichte. München/Berlin 1893. 32 Luckenbach, Hermann: Kunst und Geschichte. 4. Teil: Von 1800 bis zur Gegenwart. München/Berlin 1943 (11. Auflage). 24 Die Kunsterziehung des sogenannten »Dritten Reiches« adaptierte zeitgenössische, d.h. frisch produzierte Kunst dann, wenn sie zur Bestätigung diente und verdammte sie, wenn sie verunsicherte. Unter den nationalsozialistischen Pädagogen war der Unterricht in Kunstgeschichte wieder erweitert worden, aber sie forderten gleichzeitig wieder einmal die »Trennung Zeichenlehrer – Kunsthistoriker«33 (63). Unbrauchbar scheint dem autoritär verfassten Schulmann eine Wissenschaft, die differenziert. Wilhelm Pinder konnte deshalb die »Volksnähe« der Kunstwissenschaft auch dann nicht glaubwürdig machen, als er aufzuzeigen versuchte, dass auch die Emotionen gegen die Wissenschaft letztlich ihre Symbole durch die Wissenschaft erhalten haben: »Wenn hegte der Name Grünewald oft wie ein Gegenwert gegen Wissenschaft dieser selbst entgegengehalten wird – ja, wer kennte denn Grünewald, wenn ihn nicht die Forscher in mühsamer Arbeit erst entdeckt hätten? – Wenn heute der Bamberger Reiter ein sehr verbreitetes Sinnbild unserer höchsten Wünsche geworden ist – wer kennte ihn denn, wenn nicht in der Wissenschaft für das Volk die Wendung zur deutschen Vergangenheit vollzogen worden wäre?«34 Wie eine Entgegnung klingen da die Sätze des Reichssachbearbeiters für Kunsterziehung, Robert Böttcher: »Als Ideal des deutschen Menschen, um dessen Formung wir uns immer wieder bemühen, steht der Bamberger Reiter vor uns. ... Und wenn sich die Kunsthistoriker noch immer um die Feststellung der hier gestalteten Persönlichkeit bemühen, wenn man fragt, ist es ein König, ist es ein Heiliger?, so sind wir fast froh, es nicht zu wissen, weil dieser Reiter für uns das Ideal- und Sinnbild des kämpferischen deutschen Mannes schlechthin ist.«35 Quelle: Wolfgang Kehr: Kunstwissenschaft und Kunstpädagogik im 19. und 20. Jahrhundert. Studien zur Vermittlung von Kunstgeschichte an den Höheren Schulen. München 1983. Siehe hierzu zum Beispiel:Sommer, Paul Karl: Kunst und Kunsterziehung. Quellen der Zersetzung und des Aufbaues. Dortmund/Breslau 1935. Hier: S.83. 34 Pinder, Wilhelm: Pflicht und Anspruch der Wissenschaft. In: Zeitschrift für Deutsche Bildung. Frankfurt/Main1935. Hier zitiert nach: Bruhns, Leo (Hrsg.): Wilhelm Pinder - Gesammelte Aufsätze. Leipzig 1938. S.215. 33 35 Böttcher, Robert: Erziehung zum Wehrwillen im Zeichen- und Kunstunterricht. In: Szliska (Hrsg.): Erziehung zum Wehrwillen. Pädagogisch-methodisches Handbuch für Erzieher. Stuttgart 1937. S.292.