ISSN 2195-7681 Januar / Februar 2017 4 198355 510001 DE € 10,00 / CH CHF 12,00 / AT € 10,00 023 Januar / Februar 2017 KRAFTWERK MITTE DRESDEN PFP ARCHITEKTEN FEUERLE COLLECTION BERLIN JOHN PAWSON KUNSTMUSEUM BASEL CHRIST & GANTENBEIN DREI HOSTELS IN BAOXI, CHINA ANNA HERINGER INTERIOR ELBPHILHARMONIE WRS BESAU MARGUERRE EINE NEUE ETHIK DES DESIGNS PHILIPPE STARCK ARCHITEKTUR ALS INSZENIERUNG PHILIPP SCHAERER DIE STADT UND DER MENSCH 23 domus 23 Januar / Februar 2017 128 PROJEKTE Daniel Schöning von WRS Architekten und Stadtplaner sowie das Studio Besau Marguerre, ein Möblierungskonzept entwickelt, das die Sprache des Gebäudes versteht. Foto Nina Struve AUFGEMÖBELT Endlich ist sie fertig, die Elbphilharmonie. Daniel Schöning von WRS Architekten und Stadtplaner, Eva Marguerre und Marcel Besau haben Hamburgs neues Konzerthaus möbliert und dazu eigene Entwürfe beigesteuert, die sich ganz in den Dienst der Architektur stellen – und nebenbei noch den strengen Anforderungen an öffentlich genutzte Möbel eine clevere Lösung entgegensetzen, indem ihre Oberflächen mit einem Handgriff ausgetauscht werden können. Text Uta Abendroth Eine neue Pilgerstätte Gut Ding will Weile haben. Im Fall der Elbphilharmonie mag diese alte Weisheit ein wenig zynisch klingen, aber tatsächlich ist die Zeit der Empörung vorbei, und so etwas wie Euphorie macht sich breit. Hamburg jedenfalls hat eine neue Pilgerstätte. Herzog & de Meurons Konzerthaus, das wahlweise mit den Wellen des nahen Meeres verglichen wird, oder unter den Bezeichnungen Eisberg und Kristall firmiert, hat das Zeug zum Jahrhundertbauwerk. Raffiniert haben die Schweizer Architekten den Kokon des großen Konzertsaals mittig in den Glaskorpus auf dem alten Kaispeicher A integriert. Seine bauchige Form „verdrängt“ den Raum drumherum: Foyers, Treppen, Lounges und Bars spielen hier die zweite Geige. Dafür punkten sie mit überraschenden Ein-, Quer-, Durchsichten – und Ausblicken. Die gläserne Fassade, durch die man je nach Himmelsrichtung über die Containerterminals bis in die Lüneburger Heide, über die sich dahinschlängelnde Elbe, die gesamte City und – weiter oben – bis zur Alster schaut, bildet eine Art Bezugspunkt in den öffentlichen Bereichen. Hier sollen die Konzertbesucher im Stehen oder Sitzen pausieren, innehalten und das Panorama genießen. Die Ausstattung des Hauses Damit das gelingen kann, bedarf es einer ebenso ästhetischen wir pragmatischen Möblierung. Im Frühjahr 2015 erhielt der Architekt Daniel Schöning von WRS Architekten & Stadtplaner den Auftrag, die Foyers, Lounges und Probenräume sowie die Suiten der Dirigenten und Solisten auszustatten. Er holte die Designer Eva Marguerre und Marcel Besau ins Boot, die ein gemeinsames Studio betreiben. „Die Herausforderung war enorm“, sagt Eva Marguerre. „Immerhin mussten wir rund 6.000 Quadratmeter möblieren und konnten bis zum Schluss nur mit Renderings arbeiten. Natürlich sind wir oft auf der Baustelle gewesen, aber wir haben die Räume nie ohne Gerüste gesehen oder mit den Farben, wie sie sich jetzt darstellen.“ Foto Nina Struve Im Januar 2017 sollen die ersten Konzerte in der Hamburger Elbphilharmonie stattfinden. In Korrespondenz zur Architektur von Herzog & de Meuron hat ein Team von Gestaltern, domus 23 Januar / Februar 2017 INTERIEUR ELBPHILHARMONIE 129 domus 23 Januar / Februar 2017 INTERIEUR ELBPHILHARMONIE 131 Foto Elias Hassos domus 23 Januar / Februar 2017 Polster sind abnehmbar und austauschbar. Die Entwürfe für Foyers und Sky Lounge gehen ab Anfang 2017 in Serie. Diese Seite oben: Materialwahl. Unten links: Foto Nina Struve Darüber hinaus mussten die drei Hamburger erst einmal ergründen, was die Bedürfnisse der unterschiedlichen Nutzer waren. „Zunächst ging es darum herausfinden, wie so ein Konzerthaus überhaupt funktioniert“, erklärt Marguerre ihre Vorgehensweise. „Wir haben unendlich viele Gespräche geführt, zum Beispiel mit Künstlern und Gastronomen. Erst dann konnten wir damit beginnen, ein Konzept zu entwickeln.“ Und das hat es in sich: Gerade bei öffentlichen Gebäuden sind die Vorgaben streng. Da gibt es den Brandschutz zu beachten, was die Wahl der Materialien schon extrem limitiert. Dann müssen Fluchtwege bedacht werden. Und schließlich geht es neben Pragmatik eben auch um Ästhetik. Die Hamburger wollten eigene Akzente setzen, diese aber im Einklang mit der Künstlerempfang mit der Stuhlhockerbank von Kraud. Alle ausgewählten Möbel sind Entwürfe zeitgenössischer Designer. Unten rechts: Samples für die Sky Lounge. Architektur und dem Stil von Herzog & de Meuron. Da die Foyers offen sind und sich somit verschiedene Sichtachsen ergeben, sollten die Möbel, die insgesamt auf fünf Ebenen auftauchen, eine Art Produktfamilie ergeben, um nicht hier den einen und dort den nächsten Look zu erzeugen. Schließlich, so die Designer verstehen sie die Elbphilharmonie als Haus der Zukunft. Da hinein gehören Möbel, die zeitgenössisch sind, keine bewährten, aber auch allzu bekannten Klassiker. Eine klare Leitidee Die Möblierungsidee der Hamburger ist geprägt von Klarheit. Das gilt für den Stil der eigens entworfenen Möbel ebenso wie für die Objekte anderer Designer, darunter Stefan Diez, Eric Degenhardt, Foto Elias Hassos Linke Seite: Für die Foyers entwarfen die Designer eine Kollektion aus Bank, Steh- und Beistelltisch. Die Oberflächen wie Marmorplatte und Foto Nina Struve 130 PROJEKTE Philipp Mainzer und Farah Ebrahimi, KaschKasch und Claesson Koivisto Rune. Um der Idee zu entsprechen, dass sich alle Einrichtungselemente der Architektur unterordnen, haben die Kreativen auf die Farbe Weiß gesetzt – das allerdings in vielen verschiedenen Nuancen. Einige der Möbel wirken wie entfärbt. Das bringt aber gerade bei den Holzmöbeln die Materialität besser heraus, denn Maserungen verschwinden nicht unter einer deckenden Lackierung. Das gelingt bei den verschiedenen Versionen der Stuhlhockerbank von Kraud, die im Künstlerempfang stehen, wie auch bei den Stühlen und Tischen der Kollektion „Profile“ von Sylvain Willenz für Stattmann Neue Moebel. „Fast alle diese Möbel sind Sonderanfertigungen“, sagt Marcel Besau. „Durch die einheitliche Farbgebung wirken sie fast wie aus einem Guss.“ Die e15-Sofas Shiraz, die in der Künstlerlounge und der sogenannten Circle Lounge stehen, setzen das Materialthema fort: Verschiedene Bezüge aus der umfangreichen Produktpalette von Kvadrat kommen auf ein und demselben Polstermöbel zum Einsatz – als Sitzfläche, Auflage, Armoder Rückenlehne. Alle Textilen sind aus Wolle. Sie beeindrucken mit zahlreichen Spielarten der Farbe Weiß und den denkbar unterschiedlichsten haptischen Nuancen. So wird die Materialität der Möbel auch zu einem Wahrnehmungserlebnis, denn es kontrastieren Warm und Kalt, Weich und Rau. Geometrische Allrounder Die eigenen Entwürfe – ein Stehtisch, eine Bank und ein kleiner Beistelltisch – runden das Möblierungskonzept für das Konzerthaus ab. Die Foyers sind mit Stehtischen bestückt, auf deren drei Ebenen sich Gläser, Taschen und Füße gleichermaßen abstellen lassen. Die Beistelltische gesellen sich zu den abgerundeten Bänken und zeigen dasselbe Bauprinzip: Stets handelt es sich um Gestelle aus gepulvertem Stahl in einfacher Geometrie. Die Tische rund, die Bänke oval. Die Marmorplatten domus 23 Januar / Februar 2017 Oben: Möbel der Sky Lounge. Stuhl von Stefan Diez für e15. Der Glastisch ist ein eigener Entwurf von Besau Marguerre. Mitte: Solisten- und Dirigentengarderobe mit Tisch und Stuhl von Sylvain Willenz für Stattmann Neue Möbel, Sessel und Stahlstuhl von Afterroom. Unten links: Tisch von Nikari. Unten rechts: Circle Lounge mit Sessel von Böwer, Sofa von e15. Die Leuchte ist ein Eigenentwurf von Herzog & de Meuron. Rechte Seite: Sky Lounge mit Steh-, Essund Beistelltischen von Daniel Schöning WRS und Besau Marguerre. Foto Nina Struve Foto Nina Struve Das Konzept „Weiß“ unterbrechen die Hamburger nur zweimal. Und zwar im Foyer zum kleinen Konzertsaal, wo Herzog & de Meuron einen niedrigen Raum ganz in geräucherte Eiche gekleidet und somit einen fast höhlenartigen Charakter geschaffen haben. Dort stehen die ElbphilharmonieMöbel in Schwarz und nehmen dabei die Farbe der Bar und des Geländers auf. Ein zweites Mal wird das Konzept in luftiger Foto Nina Struve Die Leuchte – ein veritabler Schlusspunkt Höhe durchbrochen, in der sogenannten Sky Lounge. Dieser Raum unter dem Pailettendach ist schon rein dimensional interessant, indem die Decke den äußeren Schwung im Inneren aufnimmt. Im Entree noch hoch und großzügig, mündet der Raum in eine Art flacher Nische. Diese Variation der Proportionen machen auch die Möbel mit, eine Familie von Tischen, auf deren Unterbau aus schwarz-transparenten Glasplatten schwarze Holzplatten liegen. Es gibt sie als hohe Stehtische, mittelhohe Esstische und niedrige Beistelltische, angeordnet analog zur Raumflucht. Und dann taucht es wieder auf, das Spiel mit der Geometrie und den Gegensätzen: Da, wo die Decke am flachsten ist, bildet eine Lichtinstallation, die vom Nachthimmel inspiriert ist, den Abschluss. Dafür kommen die kreisrunden e15-Leuchten North in einer schwarz-weißen Sonderlackierung zum Einsatz. Sie bilden, da hoch oben unter demm Dach, einen ebenso originellen wie künstlerischen Schlusspunkt. Ein Ausrufungszeichen sozusagen. Foto Nina Struve beziehungsweise Sitzflächen liegen lose auf. „Formal nehmen unsere Möbel die Rundungen der Säulen im Gebäude auf“, erläutert Eva Marguerre die Idee. „Darüber hinaus war es uns wichtig, langlebige Möbel zu schaffen. Hier halten sich jeden Abend rund 2.000 Menschen auf, da werden die Tische und Bänke ganz schön strapaziert. Die eingelegten ‚Deckel‘ sind bei Beschädigung leicht auszutauschen, ohne dass das Möbel aus dem Gebäude hier entfernt werden muss und lange an seinem Platz fehlt.“ domus 23 Januar / Februar 2017 Foto Nina Struve 132 PROJEKTE INTERIEUR ELBPHILHARMONIE 133