Koordinationschemie II

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Koordinationschemie II
(AC7–9)
wann und wo?
2 SWS, Fr 10–12, Willstätter-Hörsaal
Beginn: 18. Oktober 2013, Ende: 7. Februar 2014
Klausur
Die erste Klausur für das WS 2013/2014 findet am Freitag, dem 7. Februar 2014, von
10:15–11:45 Uhr im Willstätter-Hörsaal statt.
Das Anmeldeskript für die Klausur wird ca. 1 Woche vor dem Klausurtermin geöffnet sein.
Alte Klausuren:
WS 2004/2005:
WS 2005/2006:
WS 2009/2010:
WS 2010/2011:
WS 2011/2012:
WS 2012/2013:
Klausur
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Klausur
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Klausur
Lösung
Lösung
Lösung
Lösung
Lösung
Lösung
Lösung
Lösung
Lösung
Lösung
für wen?
Master-Studiengang Chemie: AC 7, 8 oder 9
was?
Der Vorlesung Koordinationschemie II vertieft den Stoff der Vorlesung Einführung in
die Koordinationschemie in verschiedene Richtungen. Ziel ist es, unter besonderer
Berücksichtigung der verwendeten Methoden aktuelle Schwerpunkte der Koordinationschemie anzusprechen.
Die aktuelle Koordinationschemie profitiert als sehr methodenreiche Disziplin vom
enormen Fortschritt der technischen Möglichkeiten. Gerade bei den hier interessierenden
2
Methoden wie der Strukturaufklärung an Kristallen, den verschiedenen spektroskopischen
Verfahren und, als verbindende Klammer, der Computerchemie – hier vor allem die DFTMethoden an offenschaligen Spezies – hat es in der jüngeren Vergangenheit beachtliche
Fortschritte gegeben. Dabei haben diese Methoden ihren Weg aus den spezialisierten
Arbeitskreisen in die experimentell-synthetische Laborpraxis gefunden. Ziel der Vorlesung
ist es, genau solche Methoden und Konzepte vorzustellen, die heute zur Arbeit einer
synthetisch orientierten Gruppe zum Standard gehören, … und daher Teil praktisch jeder
koordinationschemischen Publikation sind.
Ausgangspunkt ist die Vorlesung Koordinationschemie des Bachelorstudienganges (AC
3). Die dort formulierten Konzepte sind so ausgewählt, dass Ihnen dort kein zu stark
vereinfachtes Scheinwissen vermittelt wurde, sondern, im Gegenteil, solche
Modellvorstellungen eingeführt wurden, die sich ohne Abstriche erweitern lassen.
Technisches
Computerchemische Rechnungen sind entweder mit Gaussian ausgeführt, das Sie auf
den Rechnern in den WAP-Räumen in der Version 03 vorfinden. Die Ergebnisse können
sie mit GaussView ansehen, das Sie ebenfalls dort vorfinden. Frei verfügbar ist Orca, zu
dessen Bedienung einschließlich der Darstellung der Ergebnisse Sie ebenfalls auf freie
Programme zugreifen können. Empfehlenswert ist zum Beispiel Gabedit.
Prüfen Sie hier, ob Ihr Browser das Skript korrekt darstellt.
Um das Skript auszudrucken, verwenden Sie am Besten die pdf-Version.
Zuletzt geändert: 17. Oktober 2013.
3
1
Eine Vorübung aus dem qualitativ-
analytischen Praktikum
Wegen des Bezugs zur AC3-Vorlesung beginnen wir zur Einstimmung mit einer Vorübung,
bei der wir uns die verschiedenen Regeln (einschließlich der etwas langweiligen
Nomenklaturregeln) bewusst machen. Wir beginnen mit einem Experiment: Eisen(III)nitrat-Nonahydrat wird in Wasser gelöst und eine schwache Braunfärbung mit wenig
Salpetersäure beseitigt. Anschließend wird zuerst etwas, dann viel Natrium- oder
Kaliumthiocyanat zugegeben. Wir beobachten die Farbänderung und fragen uns nach der
Ursache. Dabei diskutieren wir, welche Spezies bei der Reaktion entsteht, wie sie heißt,
wie ihre Struktur ist, wie der Spinzustand des Zentralmetalls ist, welche Isomere denkbar
sind, und ähnliche Fragen. (Am Schluss fügen wir der Lösung Fluorid hinzu und schauen,
ob wir das Resultat verstehen.) Ganz zum Schluss wiederholen wir etwas Nomenklatur,
indem wir die κ-Konvention benutzen und den Nutzen des IUPAC-Polyedersymbols wie
OC-6 gegenüber einer Punktgruppenbezeichnung wie Oh herausstellen.
Materialien hierzu.
4
2
Methoden der Koordinationschemie
2.1 13C{1H}-NMR-Spektroskopie
Der coordination-induced shift
Die erste Lehreinheit knüpft an den Inhalt der Lehreinheit 2 der Einführung in die
Koordinationschemie an. Es geht um die Frage, wie ein Komplexgleichgewicht in wässriger
Lösung analysiert werden kann. Im Mittelpunkt steht als wohlvertrauter Ligand Tartrat,
und zwar das C2-symmetrische L-Tartrat, das in mehr oder weniger alkalischer Lösung
eingesetzt wird. Um übersichtlich zu bleiben, wird ein Palladium(II)-Zentrum mit
eingeschränkter Funktionalität eingesetzt: zwei der vier (warum vier?) Bindungsstellen
des Zentralmetalls sind durch einen zweizähnigen Stickstoff-Chelatliganden blockiert. Bei
der Umsetzung des Edukts [(R,R-chxn)PdII(OH)2] (chxn = 1,2-Diaminocyclohexan) mit
Weinsäure (H2tart) in wässrig-alkalischer Lösung entstehen neue Komplexverbindungen.
Da diese diamagnetisch sind (warum?), können 13C-NMR-Spektren mit Standardmethoden ausgewertet werden (1H-NMR-Spektren helfen nicht viel weiter; warum nicht?).
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C-NMR Spektren in D2O bei verschiedenen molaren Verhältnissen [(R,Rchxn)Pd(OH)2]:L-H2tart:OH− von 1:1:1, 3:1:0, 1:1:2 und 3:1:2. Die auf der Abszisse
angegebene chemische Verschiebung bezieht sich auf TMS (δ = 0 ppm). Spektrum a:
Dinatrium-L-tartrat in D2O; Komplexspezies sind farbig dargestellt:
5
6
Die Spektren werden auf folgende Aspekte hin untersucht:
• Welche Komplexspezies entstehen?
• Wodurch wird gesteuert, welche Spezies dominiert?
Die wichtigste und zur nächsten Lehreinheit überleitende Frage ergibt sich jedoch aus der
Betrachtung der Spektren d und e: Wie ist es zu verstehen, dass ein Gleichgewicht wie
L2Pd2(tartH−2) + 2 OH− = LPd(tartH−2) + LPd(OH)2
nach dem 13C-NMR-Spektrum praktisch vollständig auf der rechten Seite liegt, dass also
der hoch eingeschätzte Chelateffekt Schwächen zeigt (L = R,R-chxn)? Die oft als chaotisch
empfundene Chemie in wässriger Lösung zeigt hier eine wesentliche Besonderheit: die
erwarteten Komplexgleichgewichte spielen mit Protolysegleichgewichten zusammen.
Liegt, wie im Beispiel, auf der einen Seite des Gleichgewichts starke Säure oder Base
frei vor, so gewinnt die Natur bei der Verschiebung des Gleichgewichtes auf die andere
Seite Neutralisationsenthalpie. Dieser Beitrag kann entscheidend sein, wenn die
Komplexstabilität nicht sehr hoch ist – so wie hier: beachten Sie die großen Mengen an
freiem Ligand zum Beispiel in Spektrum b.
2.2 NMR-Spektroskopie diamagnetischer Komplexe
mit anderen Kernen
19
F-, 29Si-, 31P-, 103Rh-, 195Pt-NMR-Spektroskopie
Preetz et al. berichten über die Synthese und Charakterisierung gemischter Chloridofluorido-platinate(IV) der allgemeinen Formel [PtFnCl6 − n]2− für n = 0–6. Wieviele Komplexspezies erwarten Sie? Beachten Sie bei den folgenden Überlegungen, dass der I=½-Kern
195
Pt eine natürliche Häufigkeit von ca. 34% hat, während Fluor ein Reinelement ist; auch
hier ist I = ½. Im 195Pt-NMR-Spektrum sind die Signale aller Spezies gut aufgelöst und
nicht überlagert. Eine der Spezies ergibt das folgende Multiplett (ohne Berücksichtigung
von 35Cl-Satelliten):
7
Welche? (Quelle: E. Parzich, G. Peters, W. Preetz, Z. Naturforsch. B 1993, 48,
1169–1174.) Welches 19F-Spektrum erwarten Sie, wenn Sie von einer 19F-19F-Kopplung
ausgehen, die merklich kleiner als die 195Pt-19F-Kopplung ist (vernachlässigen Sie auch
hier Chlor-Satelliten)?
2.3 Paramagnetische NMR-Spektroskopie
Die Verkürzung der Relaxationszeiten in der Umgebung eines paramagnetischen
Teilchens führt dazu, dass die Signale NMR-aktiver Kerne innerhalb eines charakterischen
Radius' im Untergrundrauschen verschwinden. Der Radius dieser verblindeten Region
um ein paramagnetisches Atom hängt vom paramagnetischen Element und dessen
Spinzustand ab, außerdem von der Art des NMR-Kerns. Der Umstand, dass in Großteil der
Literatur zur paramagnetischen NMR-Spektroskopie den Eisen(III)-Porphyrinen gewidmet
ist, hängt mit dem ungewöhnlich geringen Radius des blinden Bereichs zusammen.
Typisch ist dagegen zum Beispiel in der 13C-NMR-Spektroskopie, dass alle Spezies
in einer ca.-10-Å-Umgebung um ein Zentralmetall herum im Spektrum keine Signale
ergeben (ca. 15 Å in der 1H-NMR-Spektroskopie). Dies heißt, dass die Liganden eines
paramagnetischen Komplexes üblicherweise nicht zu Signalen führen.
Trotz dieser Einschränkung gibt es eine Standardanwendung der Methode in der
Koordinationschemie, nämlich die Evans-Methode. Hierbei wird die molare Suszeptibilität
χm aus der Differenz der chemischen Verschiebungswerte einer nicht koordinierenden
Substanz und der molaren Konzentration des Metallkomplexes errechnet:
χm =
3Δδ
cM
Die meist interessierende Zahl der Bohrschen Magnetonen (deren Berechnung nach
der Spin-only-Formel kam in der Koordinationschemie I vor), ergibt sich dann aus der
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Boltzmann-Konstante, der Temperatur, der Suszeptibilität, der Vakuumpermeabilität, der
Avogadro-Konstante und dem Bohrschen Magneton:
μeff2 =
3 kB T χ m
μ 0N A μ B 2
2.4 Röntgenstrukturanalyse
Die Röntgenstrukturanalyse an Einkristallen gilt als Methode, die wenig Interpretationsspielraum lässt: so, wie es herauskommt, so ist es halt. Dass trotz der hohen
Aussagesicherheit der Röntgenstrukturanalyse allerhand Unsinn publiziert wird, zeigen die
folgenden Beispiele. Das Lernziel ist, dass Sie zwei besonders verdächtige Fälle erkennen:
wenn (1) die publizierten Daten selbst nicht konsistent sind, und wenn (2) das Ergebnis
den Regeln der Koordinationschemie zuwiderläuft.
Übungsobjekte sind fünf Strukturanalysen an Komplexen mit dem Anion des Salicylaldehyds (saldH), das in der Literatur meist Salicylaldehydat oder Formylphenolat genannt
wird, und einem zweiwertigen Zentralmetall. Die lösungsmittelfrei kristallisierenden
Komplexe werden genauso formuliert wie ein schon länger bekannter Prototyp, die
Kupfer(II)-Verbindung [CuII(sald)2], deren Ci-symmetrische Struktur (nicht C2h, da das
Molekül nicht vollständig planar ist) zuletzt 1995 bestätigt wurde (A. Elmali, Y. Elerman,
I. Svoboda, H. Fuess, Z. Kristallogr. NCS 1995, 210, 612). Die Atomabstände im
Kupferkomplex zeigen eine kürzere Bindung zwischen dem Zentralmetall und dem PhenolO-Atom (1.887 Å) und eine längere Bindung zwischen dem Kupferatom und dem AldehydO-Atom (1.935 Å):
Alle neueren Arbeiten an homologen Verbindungen erschienen in Acta Crystallogr., Sect.
E, was den Vorteil hat, dass die zugrundeliegenden Beugungsdaten mitpubliziert sind, man
kann also alles nachrechnen. Im Einzelnen ist M:
9
MII
Mn
Fe
Co
Ni
Zn
Autoren
Q. Wang, X.-N. Fang
Y.-M. Yang, P.-C. Lu, T.-T. Zhu, C.-H. Liu
X.-Y. Qiu
Y.-G. Li, H.-J. Chen
Z.-Y. Xiong, L.-J. Liu
Jahr Band Artikel
2006 E62 m1492
2007 E63 m1613
2006 E62 m1191
2006 E62 m1038
2005 E61 m863
Wir diskutieren als Übung, wo jeweils das Problem sein könnte (Anmerkung: die hier
diskutierten Strukturanalysen wurden inzwischen von Acta Crystallogr. zurückgezogen;
in einigen Fällen dürfte es sich um bewusste Betrugsversuche handeln); siehe
[actae_retraction_2010]. Als Grundlage verwenden wir den Zusammenhang
zwischen Atomformfaktoren und Temperaturparametern:
e
8
O
6
N
−
4
2
U =0 Å
U = 0.05
0.2
0.4
2
Å
2
0.6
sinθ/λ
Der abgebildete Zusammenhang wir auch unmittelbar beim Betrachten von
Beugungsbildern deutlich:
10
2.5 Ab-initio- und first-principles-Rechnungen
Das Ergebnis einer Strukturanalyse stimmt – vor allem, wenn die intermolekularen
Wechselwirkungen klein sind – innerhalb von typischerweise 2–3 pm (0.02–0.03 Å) mit
routinemäßigen computerchemischen Rechnungen überein. Abweichungen sind umso
größer, je weniger die im Computer behandelte Baueinheit und ihre Einbindung in die
Umgebung mit der experimentell untersuchten Situation übereinstimmt.
Über eine Bestätigung der stabilsten Struktur hinaus bieten die Rechnungen (1)
Gesamtenergien, auch von nicht experimentell gefundenen instabilen Isomeren
einschließlich Übergangszuständen, (2) Orbitale und Orbitalenergien, und (3) weitere
abgeleitete Größen wie UV/Vis-Absorptionen und NMR-Verschiebungen.
Schauen wir uns diese Aspekte im Beispiel an: Unter den im Röntgenkapitel als verdächtig
erkannten Strukturanalysen war die eines quadratisch-planaren Zink-SalicylaldehydKomplexes, [Zn(sald)2], saldH = Salicylaldehyd. Die Strukturanalyse ergab ein Cisymmetrisches Molekül mit den angegebenen Zn-O-Abständen:
11
Abstände in Å von Zn zu: Ophen 1.89, Oald 1.95.
Deckt sich dieses Ergebnis mit einer computerchemischen Analyse? Hierzu zuerst eine
Referenzverbindung.
[Zn(sald)2(H2O)2]
[Zn(sald)2(H2O)2] entsteht bei der Reaktion von Zinkacetat und der doppeltmolaren Menge
Salicylaldehyd in Wasser:
Zn(OAc)2 + 2 saldH + 2 H2O → [Zn(sald)2(H2O)2] +2 HOAc
Die Röntgenstrukturanalyse an den farblosen Kristallen ergibt den Aufbau des
Einkernkomplexes:
Mittlere Abstände in Å von Zn zu: Ophen 2.03, Oald 2.11, Oaq 2.09.
Die Rechnung (Gaussian- Eingabedatei und Ausgabedatei) ergibt mit der DFTHybridmethode B3LYP und dem kleinen Basissatz tzvp die folgende Struktur:
12
Abstände in Å von Zn zu: Ophen 2.00, Oald 2.12, Oaq 2.27.
Es wird deutlich, dass die Übereinstimmung der Atomabstände innerhalb der Chelatringe
gut ist, dass aber der Abstand zum Aqualigand in der Rechnung erheblich abweicht.
Wir diskutieren den Grund hierfür, der auch für den offensichtlichen Unterschied bei der
Konformation verantwortlich ist (intermolekulare Wasserstoffbrückenbindungen im Kristall
gegenüber [schwachen und in der Realität meist irrelevanten] intramolekularen
Wasserstoffbrückenbindungen im isolierten Computer-Molekül).
[Zn(sald)2]
Die B3LYP/tzvp-Rechnung an quadratisch-planarem [Zn(sald)2] führt zu den folgenden
Parametern:
Abstände in Å von Zn zu: Ophen 1.92, Oald 2.08.
Für die recht großen Abweichungen zum Experiment lassen sich keine starken
intermolekularen Wechselwirkungen verantwortlich machen. Ein stärkerer Hinweis, dass
etwas nicht stimmt, wird durch die routinemäßige Behandlung des Rechenergebnisses
gewonnen: der Strukturoptimierung folgt stets eine sogenannte Frequenzrechung, die
zeigt, ob die zu einem Extremum führende kleinste-Fehlerquadrate-Verfeinerung der
Strukturoptimierung ein Energieminimum oder ein Maximum, also einen Übergangszustand ergeben hat. Im letzteren Fall treten Schwingungen mit negativer
Anregungsenergie auf, deren Auslenkung oft schon das angestrebte Minimum erkennen
lassen.
Die Minimumstruktur sieht für [Zn(sald)2] daher erwartungsgemäß nicht quadratischplanar, sondern tetraedrisch aus:
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Abstände in Å von Zn zu: Ophen 1.93, Oald 2.01.
Neben der Struktur ein wichtiger Unschied zwischen den beiden Formen: die
Gesamtenergie. Wird die Energie des stabilen Konformers auf 0 festgesetzt, errechnet
sich der quadratisch-planare Übergangszustand auf B3LYP/tzvp-Niveau zu +40 kJ mol−1.
[Cu(NH3)3]2+: „entatischer Zustand“ vs Nebenminima der Potentialhyperfläche – eine Übung
In auffallend vielen Kupfer-Enzymen gibt es ein T-förmiges CuN3-Chromophor. Beispiele
aus der Vorlesung Bioanorganische Chemie sind Hämocyanin, CuZn-Superoxiddismutase
und Cytochrom-c-Oxidase. Das N-Atom wird in diesen Enzymen von Histidin-Seitenketten
zur Verfügung gestellt, die sich hinsichtlich ihrer Ligandeigenschaften nicht allzu sehr von
Ammoniak unterscheiden. Wir überzeugen uns daher in einer DFT-Rechnung, dass das
[Cu(NH3)3]2+-Ion wirklich T-förmig ist und fragen nach dem Grund.
Bei diesem Beispiel wird zur Berechnung Orca verwendet. In der Eingabedatei
(cu3am.inp) wird das in Orca implementierte COSMO-Modell zur Modellierung einer
Umgebung mit Standardparametern genutzt, des Weiteren werden van-der-WaalsWechselwirkungen durch Grimmes Verfahren berücksichtigt. Wegen des
Paramagnetismus wird „unrestricted“ gerechnet (α- und β-Spins mit unterschiedlicher
Energie). Es bedeuten: uks [unrestricted Kohn-Sham], bp [BP86-Methode], ri [technisches
Detail], vdw [Grimmes van-der-Waals-Korrektur], tzvp [Basissatz], tzvp/j [Hilfsbasissatz
für ri], opt [Strukturoptimierung, Computerchemiker sagen dazu „Geometrieoptimierung“],
cosmo(water) [Aufbau einer wasserartigen Umgebung]. Die nächsten vier Zeilen sorgen
für die Übernahme aller nötigen Information in die Ausgabedatei, um Orbitale ansehen zu
können. Mit „* xyz 2 2“ beginnt die Eingabe des Moleküls: xyz sagt kartesische Koordinaten
an, die erste 2 ist die Ladung, die zweite 2 die Multiplizität).
2.6 Bestimmung von Beständigkeitskonstanten
Beständigkeitskonstanten von Komplexen können durch alle Methoden bestimmt werden,
die eine Aussage zur Konzentration einer Spezies zulassen. Ein Standardverfahren für
den häufigen Fall eines protonierbaren Liganden ist die Messung der H3O+-Konzentration,
um die Konkurrenz eines Metallions und des Protons um den Liganden auszunutzen. Die
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Beständigkeitskonstanten werden dann durch Anpassen von Titrationskurven gewonnen.
Mit bekannten Beständigkeitskonstanten können anschließend Speziesverteilungskurven
errechnet werden.
Die wesentlichen Definitionen sind im zweiten Kapitel der Vorlesung Koordinationschemie
zusammengesellt. Wie man nun in der Praxis vorgeht, schauen wir in einer Übung an,
in der es wieder um Kupfer(II)-Komplexe geht. Der Ligand ist jetzt die proteinogene
Aminosäure Serin. In der Übung werden die einzelnen Schritte gezeigt, wie das in den
folgenden beiden Graphiken zusammengefasste Ergebnis erhalten wird. Als Hilfsmittel
wird das Programm Hyperquad2008 verwendet. Auf eine Schwierigkeit mit der üblichen
Art, Beständigkeitskonstanten protonendefizienter Spezies anzugeben, wird in einer pdfDatei näher eingegangen.
15
Oben: Titration von 2 mmol Serin + 2 mmol H+ in 200 mL Lösung
mit 0.5 M NaOH. Unten: Dieselbe Tritration nach Zusatz von 1 mmol
Kupfer(II)-Salz.
2.7 Literatur
[actae_retraction_2010]
IUCr: Retraction of articles.
Acta Crystallogr., Sect. Sect. E, 2010, 66, e21-e22.
doi: 10.1107/S1600536809054300.
16
3
Mehrkernkomplexe gezielt aufbauen,
Superaustausch
Der Aspekt des Lösungsgleichgewichts bekommt in dieser Lehreinheit eine noch größere
Bedeutung. Wir stecken uns das Ziel, einen Mehrkernkomplex aufzubauen, und schaffen
damit die Grundlage zum Aufbau interessanter Materialien, zum Beispiel molekularer
Magnete. In dieser Lehreinheit geht es sehr „un-organisch“ zu. Sowohl in der Organischen
Chemie als auch in der Anorganischen Molekülchemie bauen Sie Moleküle schön peua-peu in Einzelschritten auf, indem Sie ausnutzen, dass Ihr jeweiliges Zwischenprodukt
durch hinreichend hohe Aktivierungsbarrieren darin gehindert wird, irgendetwas zu tun,
was Sie nicht wollen – Sie bauen an kinetisch inerten Molekülen herum. Dieser Weg ist in
der Koordinationschemie oft verschlossen. Viele wichtige Metallzentren sind bezüglich des
Ligandaustauschs kinetisch labil. Deren Chemie verläuft unter strikter thermodynamischer
Kontrolle, meist ohne dass Aktivierungsbarrieren erkennbar sind. Wir lernen eine wichtige
Methode kennen, unter dieser Randbedingung komplexe Strukturen aufzubauen: die
Kontrolle durch die Stöchiometrie und den pH-Wert der Reaktionslösungen.
Konkret schauen wir folgendes Beispiel an: Wir vereinfachen Tartrat zu Tartronat (das ist
das Anion der 2-Hydroxy-1,3-propandisäure, also Hydroxymalonat, wenn Sie so wollen)
und setzen mindestens die doppeltmolare Menge dieses „ambidenten“ Liganden in
wässrig-neutraler Lösung mit Kupfer(II)-Salzen um. Es lassen sich dann Salze wie zum
Beispiel Li2[Cu(C3H2O5)2(H2O)2] · 2 H2O isolieren. Die Struktur der Diaqua-bis(tartronatoκO1,O3)-cuprat(II)-Dianionen ist nicht ungewöhnlich: über die Carboxylatfunktionen der
Tartronat-Liganden sind sechsgliedrige Chelatringe gebildet worden. Die Cu-O-Abstände
betragen ca. 195 pm (1.95 Å). Mit 291 pm deutlich weiter entfernt sind zwei O-Atome von
Aqualiganden. Das Tartronatocuprat zeigt damit die zu erwartende Jahn-Teller-Verzerrung
in ungewöhnlich deutlicher Form. Die Ursache hierfür wird weiter unten behandelt.
17
Als nächstes wird nun gespart, und zwar am Liganden. Es wird nur soviel Tartronat
eingesetzt, dass sich ein Ligand:Metall-Verhältnis von 1:1 ergibt. Der pH-Wert muss nun
mit etwas Base auf 7 eingestellt werden, um wieder eine klare Lösung zu erhalten.
Wir schauen uns wieder die Struktur eines aus solchen Lösungen isolierten kristallinen
Produkts an, zum Beispiel Cs3[Cu3(C3HO5)3(H2O)3] · H2O: es ist ein dreikerniger Komplex
entstanden. Die Regel, dass ein verrringertes Ligandangebot zum Brückenbindungsmodus, also zur Verteilung der nun knapperen Lewis-Basizität kommt, ist ein allgemeines
Prinzip. Man denke nur an die Reaktionen von zum Beispiel AlCl3 in aprotischen
Lösungsmitteln: Äquimolare Mengen AlCl3 und Cl− führen zu [AlCl4]−; wird nur die halbe
molare Chloridmenge zur Verfügung gestellt, entsteht das Anion [Al2Cl7]− mit einem
verbrückenden Chloridoliganden gemäß [Cl3Al–Cl–AlCl3]−. Wir fragen uns, welche Regel
hinter dieser Beobachtung steckt; außerdem fragen wir uns (nochmal), warum eine pHWert-Erhöhung bei Tartronat-Überschuss zu denselben Komplexen führt. Das heißt, wir
schauen das Gleichgewicht an:
3 [Cu(C3H2O5)2]2− + 3 OH− = [Cu3(C3HO5)3]3− + 3 C3H2O52−
Nachdem die thermodynamischen Randbedingungen geklärt sind, lautet die nächste
Frage, ob besondere Eigenschaften für das dreikernige Cuprat(II) zu erwarten sind. Die
Strukturdaten zeigen günstige Voraussetzungen für Superausstausch an. Die bei
Kupfer(II)-Komplexen sehr häufige antiferromagnetische Kopplung sollte bei dem
betrachteten Tricuprat zu „Spinfrustration“ führen. die Winkel an O zeigen allerdings (wie
fast immer) eine Aufhebung der C3-Symmetrie an (Cu-O-Cu-Winkel vom rechten oberen
Brücken-O-Atom im Uhrzeigersinn: 130, 129, 115°). Die Spinkopplung kann über längere
Strecken vermittelt werden. Ein Lehrbuchbeispiel ist Kupfer(II)-acetat, bei dem sich die
Frage stellt, ob nicht eine Kupfer-Kupfer-Bindung die bessere Erklärung für den
beobachteten S=0-Grundzustand ist.
18
Ausschnitt aus den Kristallstrukturen von Li2[Cu(C3H2O5)2(H2O)2] · 2
H2O und Cs3[Cu3(C3HO5)3(H2O)3] · H2O:
Die Spins der paramagnetischen Zentralmetallatome wechselwirken in Mehrkernkomplexen über chemische Bindungen hinweg oder direkt aufgrund ihrer räumlichen Nähe.
Die häufigste Wechselwirkung ist die antiferromagnetische Kopplung, bei der sich die
Spins benachbarter Zentren im Grundzustand antiparallel ausrichten. Der übliche
Kopplungsweg ist der Superaustausch entlang eines Pfades CuA–O–CuB, wenn mit Kupfer
und μ-Oxido-Liganden formuliert wird. Das spintragende Orbital des Kupfers ist im
Tartronato-tricuprat das d(x2−y2)-Orbital (warum?). Wird CuA α-Spin zugeordnet, so wird
β-Spin in den unmittelbar benachbarten Lappen eines p-Orbitals des μ-O-Atoms induziert
und damit α-Spin in den abgewandten Orbitallappen. Dieser α-Spin induziert dann wieder
β-Spin in das magnetische Orbital von CuB – die beiden Metallzentren sind
antiferromagnetisch gekoppelt. Das Ausmaß der Kopplung wird üblicherweise durch die
Kopplungskonstante J ausgedrückt, die die Energie für die Entkopplung der Spins an den
Zentren A und B beschreibt. Ein negativer Wert für J entspricht einem S=0-Grundzustand,
also der antiferromagnetischen Kopplung (cave: diese Regelung wird in der Literatur nicht
einheitlich angewendet!). In der Chemie wird J üblicherweise in cm−1 angegeben. Bei
dem beschriebenen Superaustauschpfad ist der Betrag von J umso größer, je stumpfer
der Cu-O-Cu-Winkel ist. Solche Beziehungen werden durch die Goodenough-KanamoriRegeln beschrieben, auf die weiter unten ausführlicher eingegangen wird. Werden zwei
Kupfer(II)-Zentren durch Sauerstoff-Liganden verbrückt, sollte bei Cu-O-Cu-Winkeln um
110–115° antiferromagnetische Kopplung einsetzen. Bei Werten um 140° wird eine so
große Kopplungkonstante erwartet, dass der angeregte Triplettzustand auch bei
Raumtemperatur kaum populiert ist.
19
Im vorliegenden Beispiel ist ein besonders interessanter Fall nicht realisiert. Wäre das
Tricuprat-Ion C3-symmetrisch, so wäre J1 = J2 = J3. Durchgehende antiferromagnetische
Kopplung wäre dann nicht möglich, es läge „Spinfrustration“ vor.
Zum Schluss dieses Kapitels eine Übung zu den Goodenough-Kanamori-Regeln: Welche
Spinkopplung ist für einen zweikernigen Nickelkomplex mit verbrückendem N2-Liganden
vorherzusagen, der 2009 publiziert wurde [2ni_n2_2009]?
3.1 Literatur
[2ni_n2_2009]
S. Pfirrmann, C. Limberg, C. Herwig, R. Stößer, B. Ziemer:
Ein zweikerniger Nickel(I)-Distickstoffkomplex und
Einelektronenschritten.
Angew. Chem. 2009, 121, 3407–3411.
doi: 10.1002/ange.200805862
seine
Reduktion
in
20
4
Supramolekulare Chemie
4.1 Helicate, Gitter, Knoten
Die zuletzt besprochenen Komplexe waren zugleich (kinetisch) labil und
(thermodynamisch) stabil. Mit Komplexen, die diese Randbedingung erfüllen, wurde die
heute besonders aktuelle Teildisziplin der Supramolekularen Chemie begründet (JeanMarie Lehn, Nobelpreis 1987). Das Grundprinzip wird besonders prägnant bei Lehns
„Helicaten“ deutlich. Deren Baustein ist zum Beispiel das Komplexkation Bis(2,2'-bipyridyl)kupfer(I), [Cu(bpy)2]+, das den zweizähnigen bpy-Chelatliganden enthält. [Cu(bpy)2]+ kann
mit einem geeigneten Gegenion in methanolischer Lösung hergestellt werden. (Was darf
erwartet werden, wenn Wasser als Reaktionsmedium gewählt wird?) Als Komplex eines
d10-Zentralmetalls mit vier Ligatoratomen ist tetraedrischer Aufbau zu erwarten (warum
nicht quadratisch-planarer?). Mit diesem Bauelement werden nun mehrkernige Komplexe
(mit viel größeren Metall-Metall-Abständen als bei den Tartronato-cupraten) aufgebaut,
indem bpy-Moleküle durch eine flexible Brücke zusammengefügt werden. Das einfachste
Beispiel ist:
21
Drei oder vier Metallzentren lassen sich in analoger Weise in eine Helix einbauen. Ein
besonders lehrreicher Fall liegt vor, wenn verschiedene Helicat-Bildner gemischt und dann
mit der benötigten Mengen Kupfer(I) umgesetzt werden. Das folgende Schema zeigt das
Ergebnis:
Es wäre zu erwarten, dass ein Gemisch mit zahlreichen Komplexen entsteht, was aber
nicht der Fall ist. Die Ursache ist die kinetische Labilität der Kupferzentren bezüglich
des Ligandaustauschs. Natürlich entstehen bei der Umsetzung von Ligandgemisch und
Kupfer(I)-Salz auch Komplexe, die unerwünschten Kombinationen entsprechen. Ein
Beispiel könnte so aussehen:
22
Es wird deutlich, dass durch die Fehlpassung nicht alle Metallbindungsstellen des
Liganden besetzt sind. Da in ortho-Stellung zum ersten und letzten N-Atom eines jeden
Liganden eine Methylgruppe verhindert, dass Polymerisation eintritt, ist dieser Ausweg
verschlossen, die noch fehlende Bindungsenergie zu nutzen. Unter den gegebenen
Versuchsbedingungen ist jedoch eine Reparatur der Fehlpassung möglich. Das kinetisch
labile System nähert sich so allmählich der Belegung aller Metallbindungsstellen, also dem
ausgeordneten, thermodynamisch stabilen Zustand.
Dasselbe Grundprinzip, das zu Helicaten führt, eröffnet weitere aktuelle Zweige der
Supramolekularen Chemie: den Aufbau von Metallatom-Gittern [supra_2004] und die
Konstruktion Metall-Organischer Netzwerke („MOFs“ von Metal Organic Frameworks)
[mofs_2011]. In vielen MOFs ist dabei das Bindungsstellenmuster eines einfachen
Zentralmetallatoms durch eine Baugruppe hoher Stabilität ersetzt – einer sekundären
Baueinheit („SBU“ von Secondary Building Unit; siehe zum Beispiel Figures 6 und 7 in
[mofs_2011]).
Die Ideen der letzten beiden Kapitel finden sich in einem besonders interessanten
Forschungsansatz zusammengefasst – der kontrollierten räumlichen Anordnung
paramagnetischer
Zentren
zur
Konstruktion
von
Quantencomputern
[quantum_computing_2012]. Wir schauen uns ein Beispiel aus diesem Review an
[quantum_computing_2009], bei dem ein bereits bekannter achtkerniger Komplex als
Baustein dient [quantum_computing_2003].
4.2 Literatur
[quantum_computing_2012]
G. Aromi, D. Aguila, P. Gamez, F. Luis, O. Roubeau:
Design of magnetic coordination complexes for quantum computing.
Chem. Soc. Rev. 2012, in press.
doi: 10.1039/C1CS15115K
23
[mofs_2011]
M. O’Keeffe, O. M. Yaghi:
Deconstructing the Crystal Structures of Metal––Organic Frameworks and Related
Materials into Their Underlying Nets.
Chem. Rev. 2011, in press.
doi: 10.1021/cr200205j
[quantum_computing_2009]
G. A. Timco, S. Carretta, F. Troiani, F. Tuna, R. J. Pritchard, C. A. Muryn, E. J. L. McInnes,
A. Ghirri, A. Candini, P. Santini, G. Amoretti, M. Affronte, R. E. P. Winpenny:
Engineering the coupling between molecular spin qubits by coordination chemistry.
Nat. Nano. 2009, 4, 173-178.
doi: http://www.nature.com/nnano/journal/v4/n3/suppinfo/nnano.2008.404_S1.html
[supra_2004]
M. Ruben, J. Rojo, F. J. Romero-Salguero, L. H. Uppadine, J.-M. Lehn:
Metallionen-Gitterarchitekturen: funktionelle supramolekulare Metallkomplexe.
Angew. Chem. 2004, 116, 3728–3747.
doi: 10.1002/ange.200300636
[quantum_computing_2003]
F. K. Larsen, E. J. L. McInnes, H. E. Mkami, J. Overgaard, S. Piligkos, G. Rajaraman,
E. Rentschler, A. A. Smith, G. M. Smith, V. Boote, M. Jennings, G. A. Timco, R. E. P.
Winpenny:
Synthesis and Characterization of Heterometallic {Cr7M} Wheels.
Angew. Chem. 2003, 115, 105-109.
doi: 10.1002/ange.200390002
24
5
Bindungsverhältnisse in
Koordinationsverbindungen
5.1 Kristallfeldmodell und MO-Schemata
Als Vorbereitung auf speziellere Fälle soll bei einem Komplex, den Sie schon im
Grundpraktikum kennengelernt haben, untersucht werden, ob eine quantitative
Behandlung der Bindungssituation Bezüge zu einfachen Modellen zeigt. Wir schauen uns
zu diesem Zweck das Hexaaquamangan(II)-Ion, [Mn(H2O)6]2+, näher an.
Das Th-symmetrische [Mn(H2O)6]2+-Ion.
25
Die α-Spin-Orbitale des [Mn(H2O)6]2+-Ions. Der Bezug der Rassen der
Punktgruppe Th zur Obergruppe Oh ist angegeben.
Dass metall- und ligandzentrierte Orbitale energetisch nahe beieinander liegen, diskutieren
wir als Folge des Ausgleichs der Orbitalstabilitäten durch Ladungsübertragung von
26
unstabilen zu stabilen Orbitalen. Ein altes Konzept, das dies für normale Bindungen
versucht, ist die Idee des Elektronegativitätsausgleichs (engl. electronegativity
equalisation). Wir betrachten hierzu den Ausgleich zwischen den stabileren BH3-Orbitalen
und dem weniger stabilen Hydrid-Valenzorbital bei der Bildung von Tetrahydridoboranat:
Energien besetzter Orbitale in Monoboran, Hydridoboranat und Hydrid
(mp2/6-31+g(d,p)].
Eine NBO-Analyse ergibt die folgenden Partialladungen:
BH3
BH4−
B
+0.38
−0.54
H
−0.13
−0.12
Anschließend ein umfangreicheres Beispiel, das Beladungen bei normaler Bindung
(Hydroxido-Spezies) und koordinativer Bindung (Aqua-Komplex) zeigt. Wir machen uns
an diesem Beispiel klar, dass Elektronegativitäten nicht auf koordinative Bindungen
angewendet werden können:
27
Das [Zn(Me3tacn)(H2O)]2+-Ion, b3lyp/6-31+g(d,p).
Strukturparameter und Ladung nach NBO-Analyse bei [Zn(Me3tacn)X]2+/+ für X = H2O,
OH−, SMe− und ohne X, Strukturoptimierung mit b3lyp/6-31+g(d,p):
X = OH2 X = OH X = SMe X = ■
Zn-X/Å
2.02 1.81
2.21
Zn-N/Å
2.06 2.14
2.16
2.03
δ(tacn)
0.35 0.26
0.25
0.48
δ(X)
0.09 −0.80 −0.57
δ(Zn)
1.56 1.54
1.32
1.52
−
e (X→Zn) 0.09 0.20
0.43
5.2 Struktur und Spinzustand
Im letzten Beispiel lag das Zentralmetall in tetraedrischer Koordination vor (T-4 in der
IUPAC-Nomenklatur). Wegen der d10-Konfiguration des Zink(II)-Zentralatoms sollten die
Bindungen zu den Liganden durch das Zn(4s)- und die (Zn)4p-Orbitale vermittelt werden.
Bei unvollständig besetztem d-Niveau sind weitere Baumotive üblich. So wird für low-spind8-Komplexe bevorzugt quadratisch-planare Struktur (SP-4) gefunden. Welche Regeln
gelten für die übrigen Kombinationen aus Koordinationspolyeder und Spinzustand? Wir
schauen hierzu auf den Aufsatz von Alvarez How High the Spin?.
Die bei Alvarez zusammengestellten Beschränkungen lassen sich in der Regel mit Hilfe
des Kristallfeldmodells ableiten; π-Wechselwirkungen sollten dabei zusätzlich beachtet
werden. Wir sehen uns als Beispiel eine praktische Frage an: lohnen Versuche, die
SP-4-Koordination des d6-high-spin-Eisen(II)-Zentrum im seltenen Mineral Gillespit für ein
Spin-Crossover-Ereignis von S = 2 zu S = 0 zu nutzen?
28
Das bei Normaldruck rote Mineral Gillespit (El Rosario, Halbinsel Baja
California, Mexiko, auf farblosem Sanbornit, BaSi2O5), BaFeSi4O10,
kristallisiert isotyp mit Ägyptisch Blau, CaCuSi4O10. In diesem
Strukturtyp ist das Übergangselement quadratisch-planar koordiniert
(Foto: Michael Schwan; Inv.-Nr. 74449, Geowissenschaftliche
Sammlungen der TU Bergakademie Freiberg).
Ausschnitt aus der Kristallstruktur von Ägyptisch Blau, CaCuSi4O10.
Farbcode: graugrün Si, blau Cu; Ca weggelassen.
Zur Übung behandeln wir das Problem so, dass weitere Standardverfahren der
Koordinationschemie sichtbar werden: Wir schauen PES-Abtastungen an (PES = Potential
Energy Surface, Potentialhyperfläche) und wir üben uns im Umgang mit verschiedenen
Koordinationssystemen.
29
Ausgangspunkt ist das Komplexkation [Fe(NH3)6]2+ aus der AC3-Vorlesung. Welche
Orbitalabfolge erwarten Sie, wenn entlang z zwei Liganden entfernt werden? Wir
vergleichen mit der entsprechenden Ableitung aus einem hypothetischen, tetraedrischen
[Mn(NH3)4]2+:
Grenzorbitale von [Mn(NH3)4]2+ (TPSSh/tzvp); der Beitrag der MetallAtomorbitale zu den MOs ist angegeben.
Nächster Schritt: wir schließen π-Wechselwirkugen ein und überlegen, welches Bild sich
nach dem Zufügen eines β-Spins ergibt, wenn also Eisen(II) statt Mangan(II) betrachtet
wird:
30
Grenzorbitale von [MnF4]2− (TPSSh/tzvp; Gaussian 09 mit
scrf=(solvent=water)-Anweisung); der Beitrag der Metall-Atomorbitale
zu den MOs ist angegeben.
Das Ergebnis der entsprechenden Rechnung:
31
Grenzorbitale von [FeF4]2− (TPSSh/tzvp); der Beitrag der MetallAtomorbitale zu den MOs ist angegeben.
Am Schluss ordnen wir die Ergebnisse anhand des Jahn-Teller-Theorems und schließen
mit einem Ausblick auf Cobalt(II)
5.3 Spinkopplung vs. Metall-Metall-Bindung
Paramagnetische Metallzentren sind bevorzugte Motive, die in supramolekulare Strukturen
einbaut werden. Dahinter steht die Hoffnung, magnetische Wechselwirkungen in
ausgedehnten, aber wohldefinierten Strukturen zu erzeugen. In dieser Lehreinheit wird
eine grundlegende Frage der Koordinationschemie beleuchtet: Führt ein räumlich enger
Kontakt paramagnetischer Zentren zu einer magnetischen Wechselwirkung? – zu einer
Bindung?
Chrom(II)-acetat: eine (schwache) Metall-Metall-Vierfachbindung
Um nebenbei koordinationschemische Grundregeln aufzugreifen, werden strukturell und
chemisch nah verwandte Verbindungen betrachtet: Kupfer(II)- und Chrom(II)-acetat.
Generell gilt, dass Kupfer(II)- und Chrom(II)-Verbindungen strukturell eng verwandt sind.
Viele Salze sind isotyp. Ursache der Ähnlichkeit ist eine gemeinsame Besonderheit der
d9- bzw. der high-spin-d4-Konfiguration. Beides sind bei oktaedrischer Koordination Jahn-
32
Teller-Ionen, deren energetisch entartete Konfigurationen sich in der Besetzung des egNiveaus unterscheiden. Die Aufhebung der Degeneration bei diesen direkt auf die
Liganden gerichteten Orbitale geht mit einer deutlichen Verzerrung des
Koordinationsoktaeders einher, meist zu einer gestreckten quadratischen Bipyramide (Oh
→ D4h).
Ein Paar besonders interessanter Strukturen stellen die beiden Acetate von Kupfer(II) und
Chrom(II) dar. Chrom(II)-acetat entsteht bei der Umsetzung von zum Beispiel Chrom(II)sulfat, das bei der Umsetzung von hochreinem(?) Chrom mit hochreiner(?) Schwefelsäure
entsteht, mit Natriumacetat. Aus dem blassblauen Hexaqua-chrom(II)-Ion entsteht rotes
Chrom(II)-acetat-Monohydrat. Bei der Strukturanalyse überrascht der recht kurze Cr-CrAbstand von 2.36 Å.
Werden die Aqua-Liganden entfernt, sinkt der ohnehin schon kurze Abstand drastisch.
Für die Gasphase ergibt die Elektronenbeugung an [Cr2(AcO)4] 1.96 Å. In kristallinem
wasserfreien Chrom(II)-acetat beträgt der Cr-Cr-Abstand 2.29 Å (können Sie die merkliche
Differenz zwischen Gasphase und Kristall erklären?).
Wird Acetat durch andere verbrückende Liganden ersetzt, so lässt sich der Metall-MetallAbstand auf bis zu 1.828 Å verkürzen – vor der Entdeckung von Fünffachbindungen
dem kürzesten bekannten Abstand zweier Metallatome überhaupt. Die Vorstellung einer
kovalenten Bindung zwischen den Chrom-Atomen wird vor allem durch Verbindungen
gestützt, bei denen eine Cr2-Einheit nicht durch Liganden überbrückt ist. So wird in
einem ebenfalls roten und diamagnetischen Dichromat [Cr2R6]2− mit R = N,N-Dimethylaminomethyl ein Abstand von 1.84 Å zwischen den Chromatomen gefunden
[crcr_unsupported_1998].
33
Wie sollte eine solche Bindung aussehen? Werden zwei isolierte, quadratisch-planare
CrO4-Fragmente betrachtet, die in z-Richtung keine weitere Liganden tragen, so befinden
sich die 4 Valenzelektronen in den d-Orbitalen xy, xz, yz und z2. Das bei quadratischplanarer Koordination instabilste x2−y2-Orbital bleibt unbesetzt. Nähern sich die beiden CrAtome entlang z an, so kommt es zuerst zur Überlappung der z2-Orbitale, also zu einer
σ-Bindung. Diese wird durch weitere Bindungen unterstützt, für deren Bildung symmetriegeeignete Orbitale zur Verfügung stehen: zwei entartete π-Bindungen (xz ↔ xz und
yz ↔ yz) sowie eine δ-Bindung aufgrund der Wechselwirkung der beiden xy-Orbitale.
Die rote Farbe der Dichrom(II)-Verbindungen beruht auf einem δ→δ*-Übergang. Eine
Bindungsordnung von 4 ist bei den Chrom-Verbindungen im großen und ganzen
akzeptiert, auch wenn es Gegenargumente gibt. Man beachte, dass der gemessene
Diamagnetismus auch erklärt werden kann, wenn zum Beispiel allein von einer σ-Bindung
ausgegangen wird und die übrigen Spins durch Austausch-Kopplung zum
S=0-Grundzustand führen.
Wie ist die Stärke der Chrom(II)-Chrom(II)-Vierfachbindung einzuschätzen? Hierzu gibt
es den Bericht über den recht leichten Zerfall eines analogen Zweikernkomplexes beim
einfachen Auflösen in kaum koordinierenden Lösungsmitteln [cr_2003]. Trotz der
Formulierung als Vierfachbindung ist die Wechselwirkung offensichtlich eher als schwach
einzuschätzen.
Die Vierfachbindung in Octachlorido-dirhenat(III)
Bei der ersten Metall-Metall-Vierfachbindung, die in der Literatur beschrieben ist, bestehen
alle diese Zweifel nicht. Im Octachlorido-dirhenat(III), [Re2Cl8]2−, in dem die RheniumAtome trotz ihrer Stellung in der dritten Übergangsreihe nur 2.24 Å voneinander entfernt
sind (vgl. 2.75 Å in Rhenium-Metall), liegen die Chlorido-Liganden in der sterisch
ungünstigen ekliptischen Konformation vor, in der ihr Abstand kleiner als die Summe der
van-der-Waals-Radien ist. Nur in dieser Anordnung ist eine δ-Bindung möglich. Wird in die
langwellige Absorption, dem δ→δ*-Übergang, eingestrahlt, so kommt es im angeregten
Zustand zur Rotation in die gestaffelte Konformation.
Kupfer(II)-acetat: Superaustausch
Gibt es eine Analogie zwischen Chrom(II)-acetat-Monohydrat und einem entsprechenden
Kupfer(II)-acetat-Monohydrat? Auf den ersten Blick unbedingt. Die Strukturen weisen die
gleiche Konnektivität und Symmetrie auf. Lediglich der Metall-Metall-Abstand ist bei der
Kupferverbindung mit 2.612 Å weniger spektakulär (vgl. 2.56 Å im Metall) – was aber auch
nicht zu erwarten ist, da bestenfalls eine Einfachbindung gebildet werden kann.
34
Eine Betrachtung des Kristallfeldschemas für ein quadratisch-planares CuO4-Fragment
zeigt, dass das spintragende Orbital das x2−y2-Orbital ist. Die in Frage kommende
Einfachbindung wäre also eine δ-Bindung. Die Art der Spinkopplung entspricht dagegen
nicht ganz der Erwartung. Zwar ist im Grundzustand S = 0, allerdings lässt sich der
Grundzustand nur bei tiefer Temperatur untersuchen; bei Raumtemperatur sind die beiden
Spins merklich entkoppelt. Im Bereich teilweiser Spinkopplung zwischen ca. −200 und
−100 °C beschreibt der Formalismus der antiferromagnetischen Kopplung korrekt den
Verlauf der zunehmenden Entkopplung.
Die Struktur von Kupferacetat lässt die Interpretation durchaus zu, den S=0-Grundzustand
als Folge antiferromagnetischer Kopplung zu verstehen. Die magnetischen x2−y2-Orbitale
sind auf die O-Atome der verbrückenden Acetato-Liganden ausgerichtet und es ergibt sich
ein antiferromagnetischer Austauschpfad im Sinne der Goodenough-Kanamori-Regeln,
der im folgenden Bild für einen der vier Acetato-Liganden formuliert ist. Die übrigen
drei Liganden lassen sich auf die gleiche Weise behandeln, so dass durch das
Zusammenwirkung der vier Austauschpfade die hohe Kopplungskonstante von J = −294
cm−1 plausibel wird. (Die x-Richtung ist in der folgenden Abbildung senkrecht zur
Zeichenebene gewählt, z verläuft entlang der Cu-Cu-Achse; man beachte, dass die pxOrbitale an den O-Atomen nichtbindende Wechselwirkungen mit den x2−y2-Orbitalen der
Kupferatome aufweisen, dass also nicht die delokalisierte π-Bindung des CarboxylatoLiganden für die antiferromagnetische Kopplung verantwortlich ist; die üblicherweise
formulierte sp2-Hybridisierung am Carboxylat-C-Atom wurde für das Kopplungsschema
aufgehoben, ferner wurden die py- und pz-Orbitale der O-Atome in geeigneter Weise
linearkombiniert.)
35
Ist im Kupfer(II)-acetat nun eine δ-Bindung oder antiferromagnetische Spinkopplung für
den S=0-Zustand verantwortlich. Das Schema suggeriert den derzeitigen Stand der
Diskussion: Werden die Orbitale in der aus quantenchemischen Rechnungen erhaltenen
Ausdehnung dargestellt, so ergibt sich bei dem schon recht großen Abstand der
Kupferzentren keine nennenswerte direkte Überlappung der beiden magnetischen
Orbitale, so dass die Übertragung der Spininformation auf dem abgebildeten
Superaustauschpfad den bei weitem größeren Anteil an der beobachteten Spinkopplung
haben dürfte [cu_acetate_2010].
Eine experimentelle Elektronendichtebestimmung (Prosenc et al., unpublizierter
Tagungsbeitrag) modifiziert dieses Ergebnis. Hier wird ca. ein Drittel der Wechselwirkungsenergie auf eine direkte Cu-Cu-Bindung zurückgeführt.
Chrom(III)-Chrom(III)-Wechselwirkungen
Der Frage „Bindung oder antiferromagnetische Kopplung?“ kann man sich besonders gut
nähern, wenn Spezies in die Diskussion eingeschlossen werden, bei denen üblicherweise
eine Bindung überhaupt nicht diskutiert wird. Ein Beispiel sind mehrkernige, oxidoverbrückte Chrom(III)-Spezies. Im folgenden soll ein Kation, in dem zwei Chrom-Atome in
einem Abstand von ca. 3 Å vorliegen, auf mögliche Austauschpfade untersucht werden,
um abschließend die Frage nach einer Cr-Cr-Bindung zu klären. Aufgrund der kinetischen
Inertheit von Chrom(III)-Zentren gegenüber Ligandenaustauschreaktionen können hier
Zwischenstufen auf dem Weg [Cr(H2O)6]3+ → Cr(OH)3 isoliert werden, die bei einem
Zentralmetall wie Eisen oder Aluminium bislang nicht gefasst wurden. Ein Beispiel ist das
[Cr2(OH)2(H2O)8]4+-Ion, für das eine Strukturanalyse vorliegt:
Die Lage der spintragenden Orbitale im Raum ergibt sich aus der Struktur und dem
Kristallfeldmodell. Die oben erwähnten Goodenough-Kanamori(-Anderson)-Regeln eignen
sich zur Voraussage der zu erwartenden Spinkopplung. (1) Antiferromagnetische
Kopplung ist danach auf Pfaden zu erwarten, entlang denen ein nenneswertes
Überlappungsintegral resultiert. (2) Ferromagnetische Kopplung ist dagegen zu erwarten,
wenn das Überlappungsintegral 0 oder nahe 0 ist, wenn also orthogonale Orbitale in
räumliche Nähe geraten. Liegen beide Pfade vor, dominiert die antiferromagnetische
Kopplung.
36
Im folgenden Schema sind antiferromagnetische Pfade gezeigt. Die Überlappungsintegrale
für die einzelnen Wechselwirkungen werden nicht so groß sein wie bei den Kupfer(II)Beispielen. Während dort Wechselwirkungen mit lokaler σ-Symmetrie charakteristisch
waren, ergeben sich bei Chrom(III) π-Bindungen:
Ferromagnetische Austauschpfade verlaufen über orthogonale Orbitale (Blick auf die
Cr2(μ-OH)2-Ebene, definiert als xy-Ebene:
Beim ferromagnetischen Spinkopplungspfad fällt auf, dass die einfach besetzten ChromOrbitale in der passenden Symmetrie vorliegen, um eine Cr-Cr-Bindung aufzubauen.
Diese Möglichkeit wird in der Literatur jedoch kaum erwogen. Die Ursache deutet auf
einen wesentlichen Unterschied zwischen Metallen der ersten Übergangsreihe in höherer
Oxidationsstufe und Metallen der beiden folgenden Übergangsreihen hin: Bei den 3dElementen reichen die d-Orbitale nicht wirksam in den Raum hinaus, so dass zum Beispiel
in der gezeigten Anordnung keine Überlappung wirksam wird. Aus demselben Grund
wurde bereits bei Kupfer(II)-acetat einer einzelnen δ-Bindung keine Bedeutung
beigemessen. Chrom(II)-acetat mit der Cr-Cr-Vierfachbindung erscheint demnach als
bemerkenswerte Ausnahme, man beachte aber die Argumente dafür, dass die Cr-Cr-
37
Bindung nur schwach ist. Die geringe Orbitalausdehnung bei Chrom(III), wo die Position
in der ersten Übergangsreihe mit einer hohen Oxidationsstufe zusammentrifft, beeinflusst
auch die Größe der magnetischen Kopplung. Die Goodenough-Kanamori-Regeln sagen
aufgrund der konkurrierenden Austauschpfade voraus, dass die dann dominante antiferromagnetische Kopplung vorherrschen sollte. Dies wird in der Tat bei einem von zwei
untersuchten Salzen gefunden, allerdings ist aufgrund der eher geringen Überlappung der
Sauerstofforbitale mit den kontrahierten Chrom-Orbitalen die Kopplungskonstante klein (J
= −5.7 cm−1) [2cr2oh8aq_xray_1997]. In dem zweiten Salz liegt ferromagnetische
Kopplung vor, wobei die Kopplungskonstante ebenfalls klein ist (J = 5 cm−1).
Eine neuere Arbeit an einem zweikernigen Chromkomplex zeigt, mit welchen Methoden
die antiferromagnetische Wechselwirkung untersucht werden kann. Wir diskutieren bei
[criii_criii_af_2010] die dort vorgestellte magnetische Messung und die DFTUntersuchung.
Übung: Berechung der magnetischen Kopplungskonstante im
[Cr2(OH)2(H2O)8]4+-Ion
Wir berechnen den oben qualitativ betrachteten Dichrom(III)-Komplex mit denselben
Methoden, die in [criii_criii_af_2010] angewendet wurden. Wir schauen Eingabeund Ausgabedatei einer BS-DFT-Rechnung mit ORCA an.
Chrom(I)-Chrom(I)-Fünffachbindungen
Die Diskussion um Metall-Metall-Vielfachbindungen konzentriert sich auf dinukleare
Chrom(I)-Komplexe, seit 2005 ein Aryl-chrom(II)-Komplex durch Reduktion mit KC8 in
einen zweikernigen Chrom(I)-Komplex mit einer Cr-Cr-Fünffachbindung überführt wurde
[cr2_2005]. Der dort gefundene Cr-Cr-Abstand von 1.83 Å wurde inzwischen in
Amidinato-chrom(I)-Komplexen nochmals deutlich unterboten: 1.75 Å in [cr2_2008],
1.74 Å in [cr2_2008a], 1.73 Å in [cr2_2009]. Wir diskutieren Details einer
Fünffachbinding, indem wir Figure 3 in [cr2_2008a] interpretieren.
5.4 Literatur
[cu_acetate_2010]
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Electronic structure and spectra of cupric acetate mono-hydrate revisited.
Inorg. Chim. Acta 2010, 363, 930-934.
doi: 10.1016/j.ica.2009.12.035
[criii_criii_af_2010]
V. V. Semenaka, O. V. Nesterova, V. N. Kokozay, V. V. Dyakonenko, R. I. Zubatyuk, O. V.
Shishkin, R. Boca, J. Jezierska, A. Ozarowski:
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Metal-Metal Distances at the Limit: Cr-Cr 1.73 Å – the Importance of the Ligand and
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Z. Anorg. Allg. Chem. 2009, 635, 1149–1152.
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[cr_2008a]
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A. Noor, F. R. Wagner, R. Kempe:
Metal––Metal Distances at the Limit: A Coordination Compound with an Ultrashort
Chromium––Chromium Bond.
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K. Ray, T. Petrenko, K. Wieghardt, F. Neese:
Joint spectroscopic and theoretical investigations of transition metal complexes
involving non-innocent ligands.
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Synthesis of a Stable Compound with Fivefold Bonding Between Two Chromium(I)
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A Weak, Short Metal-Metal Bond in a Chromium(II) Amidinate Complex.
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Cr––Cr Bond, [{Li(THF)}2Cr2(CH2NMe2)6].
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[2cr2oh8aq_xray_1997]
A. Drljaca, D. C. R. Hockless, B. Moubaraki, K. S. Murray, L. Spiccia:
A Supramolecular Approach to the Crystallization of Polynuclear Aqua Ions:
Structure and Magnetism of an 18-Crown-6 Adduct of Bis(μhydroxo)octaaquadichromium(III) Mesitylene-2-sulfonate Trihydrate.
Inorg. Chem. 1997, 36, 1988–1989.
doi: 10.1021/ic9614125
40
6
Metall-Metall-Bindungen bei frühen 4d-
und 5d-Elementen
Das Fazit der Lehreinheit lautet, dass die d-Orbitale bei den Elementen der zweiten und
dritten Übergangsreihe viel deutlicher den Charakter von Valenzorbitalen haben als bei
den 3d-Elementen. Bei den Elementen der ersten Übergangsreihe sind die d-Orbitale
näher am Atomrumpf lokalisiert und zeigen – umso mehr, wenn eine hohe Oxidationsstufe
vorliegt – geringe Überlappung mit den Orbitalen der Bindungspartner. Paramagnetische,
eventuell antiferromagnetisch gekoppelte, seltener ferromagnetisch gekoppelte
Grundzustände sind daher bei vielen Komplexen mit 3d-Elementen die Regel, während
4d- und 5d-Metalle in homologen Verbindungen Metall-Metall-Bindungen aufbauen.
Lanthanoide verhalten sich in dieser Hinsicht noch extremer als die Metalle der ersten
Übergangsreihe. Hier stehen die teilweise besetzten f-Orbitale für eine Orbitalüberlappung
nicht zur Verfügung, nicht einmal eine merkliche Kristallfeldaufspaltung trägt zur Chemie
dieser Elemente bei.
6.1 [MoV2O2(μ-O)2(H2O)6]2+
Das Prinzip findet sich zum Beispiel bei Molybdän(V). In wässrig-saurer Lösung liegt
eine kationische Spezies der Summenformel MoO2(H2O)3+ vor. In der Formulierung als
Einkernkomplex läge ein d1-Zentrum vor – eine Situation, die bei den 3d-Elementen
wohlbekannt ist, man denke an das Hexaaqua-titan(III)-Ion [Ti(H2O)6]3+ oder an das
hydratisierte Pentaaqua-oxido-vanadium(IV)-Ion („Vanadyl“-Ion) [VO(H2O)5]2+. Mit dem
4d-Element Molybdän jedoch dimerisieren die hypothetischen d1-Radikale und es entsteht
eine Mo-Mo-Einfachbindung:
41
6.2 [RuVINCl4]−
Bei der Diskussion der Mo-Mo-Einfachbindung führt das Kristallfeldmodell zu einer
plausiblen Deutung der Bindung als einer Wechselwirkung mit lokaler σ-Symmetrie. Sind
die Liganden sehr verschieden oder ist die Struktur des Komplexes ungewöhnlich, fällt es
schwerer, die metallständigen Orbitale hinsichtlich ihrer energetischen Abfolge zu ordnen.
Ein Beispiel ist das [RuVINCl4]−-Ion, ein d2-Komplex, der aus RuO4, HCl und Azid
zugänglich ist. Die Strukturanalyse zeigt quadratisch-pyramidalen Aufbau. Der Ru-NAbstand ist mit 1.58 Å recht kurz. Die Bindungsverhältnisse lassen sich durch eine DFTRechnung klären (Orca-Eingabe- und -Ausgabedatei ).
Die Rechung auf bp/def2-tzvp-Niveau (van-der-Waals-Anziehung und wässrige Umgebung
berücksichtigt) zeigt unter den fünf 4d-Orbitalen das z2-Orbital (64) als das unstabilste.
Hier hätten wir es mit dem Kristallfeldmodell schwer gehabt zu entscheiden, ob der sehr
nah an Ru gebundene Nitrido-Ligand die z-Richtung so sehr destabilisiert, dass auch die
freie trans-Position dies nicht wieder ausgleicht. Hat man aber aus der Rechnung diesen
Fixpunkt, ist die Orbitalreihenfolge klar: unter z2 finden wir x2−y2 (63), dann xz und yz
(61 und 62), schließlich, als HOMO, xy (60). Ganz typisch für Komplexe der 4d- und
5d-Elemente: der Singulett-Zustand, hier ermöglicht durch die Ru-N-π-Wechselwirkungen.
Im Bild ist deutlich der stark π-antibindende Charakter zu sehen, der die Orbitale 61
und 62 fast energiegleich mit dem x2−y2-Orbital (63) macht. Es resultiert ein so großer
Energieunterschied zwischen den Orbitalen 60 und (61, 62), dass nur das stabilere unter
Spinkopplung besetzt wird.
64
61
63
62
60
Das Fazit bis hierhin: dn-Zustände sind in der zweiten und dritten Übergangsreihe
entweder Metall-Metall-bindend, oder sie führen zu low-spin-Konfigurationen.
42
[MoIV3(μ3-O)(μ-O)3(H2O)9]4+
Ein weiteres Beispiel für die d2-Konfiguration, nun aber Metall-Metall-Bindungen
verursachend. Die Bindungsordnung zwischen den Molybdän(IV)-Atomen im dargestellten
Tetrakation ist 1.
6.3 Nb3Cl8
Die Tendenz zur Bildung von Metall-Metall-Bindungen wird bei den 4d- und 5d-Elementen
herangezogen, um ungewöhnliche Eigenschaften zu deuten. Leitfähigkeitsmessungen
zeigen zum Beispiel, dass in Kristallen von Nb3Cl8 1 bewegliches Elektron pro
Formeleinheit vorliegt. In der Kristallstruktur liegen Nb3-Fragmente in Oktaederlücken
einer dichtesten Chlorid-Packung vor. Die Ladung des Nb3-Fragments ist 8+, die formale
Oxidationsstufe der Metallatome ist 8/3 entsprechend einer d-Elektronenzahl von 5 − 8/3 =
7/3. Werden nun jeweils 6/3 = 2 d-Elektronen für jeweils zwei Metall-Metall-Bindungen pro
Niob-Atom verwendet, so bleibt 1/3 Elektron pro Niob-Atom, also 3 × 1/3 = 1 Elektron pro
Formeleinheit übrig – passend zum Experiment:
43
6.4 3d- und 4d-Metalle im Vergleich: CrCl2 und MoCl2
Ein direkter Vergleich der d4-Zentren CrII und dem schweren Homologen MoII zeigt die
Unterschiede zwischen der ersten und zweiten Übergangsreihe in besonders instruktiver
Weise. Die Diskussion um Chrom(II)-acetat hat als Regel ergeben, dass Metall-MetallBindungen in den Strukturen sehr auffallend sind, aber hinsichtlich der Bindungsenergie
nicht dominant sind. Ohne passgenau die Cr2-Einheit unterstützende Brückenliganden
wird mit einer CrII-CrII-Bindung daher eher nicht zu rechnen sein.
An dieser Stelle gelingt der Bezug zur Festkörperchemie: Welcher Aufbau lässt sich
aufgrund dieser Gesetzmäßigkeiten für Chrom(II)-chlorid ableiten? Welche Unterschiede
sind zu erwarten, wenn anstelle von Chrom dessen schweres Homologes eingesetzt wird?
Bei Molybdän(II)-chlorid treten nämlich die deutlich stärkeren MoII-MoII-Bindungen beim
Aufbau des Festkörpers hervor.
Zurück zur Koordinationschemie: Welcher Aufbau darf für das Reaktionsprodukt von
MoCl2 und 2 Cl− erwartet werden? Sind in ReCl3 = 1/3 Re3Cl9 Re-Re-Bindungen möglich?
6.5 Fazit
Der Schwerpunkt des Kapitels lag auf Beispielen, bei welchen die Ausbildung von MetallMetall-Bindungen als charakteristisches Verhalten der d-Elektronen von 4d- und 5dElementen auftrat. Generell ist diese Möglichkeit vor allem bei den frühen
Übergangsmetallen zu finden. Verbindungen später, elektronenreicherer Metalle der
zweiten und dritten Übergangsreihe sind durch low-spin-Zustände charakterisiert, die bei
Bedarf von Metall-Metall-Bindungen begleitet werden. Das Prinzip wurde bereits bei
[RuNCl4]− sichtbar. Als weiteres Beispiel werden Aufbau und Rh-Rh-Bindungsordnung in
[Rh2(H2O)2(OAc)4] diskutiert.
6.6 Übung: Die M–M-Wechselwirkung in Kupfer(II)-,
Chrom(II)- und Rhodium(II)-acetat-Monohydrat in
broken-symmetry-DFT-Rechnungen
Die in den beiden letzten Kapiteln diskutierten Fragen, ob eine Metall-Metall-Wechselwirkung in einem binuclearen Komplex durch eine ferro- oder antiferromagnetische
Spinkopplung beschrieben werden sollte oder ob vielleicht von einer Bindung gesprochen
werden sollte, ist immer dann nicht trivial, wenn die Metallatome recht nahe nebeneinander
liegen – sie also nicht nur durch einen ausgedehnten Brückenliganden miteinander
kommunizieren können. Die besprochenen Metall(II)-acetate sind solche Beispiele. Ein
44
Brückenligand ist vorhanden und bietet Superaustauschpfade, der M–M-Abstand aber liegt
im Bereich des Atomabstands im Metall selbst und könnte eine Bindung anzeigen.
Das übliche Routineverfahren, mit geringem Aufwand die Austauschwechselwirkung von
Metallatomen zu berechnen, ist eine broken-symmetry-DFT-Rechnung (BS-DFT). Das
Verfahren ist einfach und „billig“ im Sinne geringer Rechnerressourcen, hat aber für
die Lehre den Nachteil, dass der dort verwendete broken-symmetry-Zustand wenig
anschaulich ist. Zuerst aber der technische Teil. Wir verwenden Orca, um zuerst die
jeweilige Molekülstruktur zu optimieren (lässt man in der Literatur oft auch weg und fixiert
den M-M-Abstand auf den gefundenen Wert; hier wurden die drei Strukturen mit bp/tzvp +
vdW + cosmo(water) verfeinert, also reines Dichtefunktional mit nicht zu teurem Baissatz,
Grimmes van-der-Waals-Korrektur und Kontinuummodell mit der Dielektrizitätskonstante
von Wasser); im Detail wird optimiert: Cu im BS-Zustand, Cr auch, Rh im spingepaarten
Singulettzustand.
Anschließend werden mit dem tpssh-Hybridfunktional und def2-tzvp (außerdem wie zuvor
vdw und cosmo) Eingabedateien geschrieben für Cu, Cr, Rh und dabei die Atomkoordinaten aus den Optimierungen verwendet.
Bei der Rechnung wird nun dem ferromagnetisch gekoppelten Zustand (in der Literatur
leider „high-spin“ genannt) ein broken-symmetry-Zustand gegenübergestellt, indem die
Spins an dem Zentrum mit der geringeren Zahl ungepaarter Elektronen herumgedreht
werden; sind wie hier die beiden Zentren gleich, ist es egal welches. In der OrcaEingabedatei geht das so: Die Multiplizität, die wie üblich der letzte Eintrag auf der xyzAnweisung ist, gilt für den ferromagnetisch gekoppelten Zustand. Bei Cu steht daher eine
„3“, da die beiden α-Spins dann ein Triplett bilden. Bei Chrom(II) sind die beiden Bausteine
high-spin-d4 („high-spin“ jetzt wieder individuell), beide zusammen in ferromagnetischer
Kopplung also S = 2 + 2 = 4, 2S + 1 = 9, und: *xyz 0 9. Für Rhodium(II) gehen wir von zwei
Zentren aus, die jedes für sich low-spin-d7 sind, also 1 Spin pro Zentrum, die zusammen
wie bei Kupfer(II) ein Triplett ergeben.
Anschließend wird der broken-symmetry-Zustand eingerichtet, und zwar zwischen „%scf“
und „end“: flipspin 1 heißt: drehe die Spins von Atom 1 um (das ist bei Orca, bei dem
Aufzählungen immer mit 0 beginnen, das zweite Atom in der Liste). Dann: finalms 0, lies:
final Ms = 0, womit die Spinorientierungsquantenzahl im antiferromagnetisch gekoppelten
Zustand angegeben wird.
%scf
flipspin 1
finalms 0
end
* xyz 0 3
Cu ...
Cu ...
...
Das Programm geht jetzt hin und beginnt mit der ferromagnetisch gekoppelten Anordnung.
Anschließend werden die Spins umgedreht und es wird versucht, in einer unrestricted-
45
Rechnung („uks“ = unrestricted Kohn Sham) von diesem antiferromagnetisch gekoppelten
Zustand zu retten, was in einer SCF-Rechnung zu retten ist. Im Falle magnetischer
Kopplung kommt dann ein broken-symmetry-Zustand heraus, der stark vom
Erwartungswert für S(S+1)=0 abweicht (Tabelleneintrag <S2>BS). Man sagt, dass er
„spinkontaminiert“ sei. Energetisch liegt er zwischen dem wahren antiferromagnetisch
gekoppelten und dem ferromagnetisch gekoppelten Zustand (der Hintergrund der
Geschichte ist, dass der antiferromagnetisch gekoppelte Zustand im Gegensatz zum
ferromagnetisch gekoppelten Zustand ein Multikonfigurationszustand ist, der sich durch
DFT-Methoden nicht darstellen lässt). Erstaunlicherweise ergibt sich die Kopplungskonstante J aus einer solchen Rechnung oft ganz gut; schauen Sie sich ziemlich am
Ende der Ausgabedateien den Wert für J(3) an, der als Energiedifferenz zwischen
ferromagnetisch gekoppeltem und broken-symmetry-Zustand dividiert durch die Differenz
der <S2>-Werte für die beiden Zustände berechnet wird (der experimentelle Wert bei der
Kupferverbindung wird zwischen −290 und −300 cm−1 angegeben).
Sie finden alles in den out-Dateien für Cu, Cr, Rh (die out-Dateien sind sehr lang, da sie die
gesamte Orbitalinfomation enthalten, falls Sie sich zum Beispiel in Gabedit Orbitalwechselwirkungen anschauen wollen).
Nach diesen wenig befriedigenden rechentechnischen Details können wir aber jetzt auf
den Punkt kommen – und dabei viele Aussagen wiederentdecken, die wir zuvor qualitativ
gemacht haben. Wir schauen dazu die folgende Tabelle an, in der J das J(3) der Rechnung
ist. Sehr nützlich ist der Eintrag Sαβ, der ein Überlappungsintegral darstellt, das in Orca
in einer Auflistung von „Corresponding Orbitals“ zu finden ist (cave: auch Orbitale zählen
in Orca ab 0, beim Anschauen in Gabedit ab 1, außerdem ist das Formelzeichen „S“ jetzt
wirklich gut ausgelastet – Sαβ wird in der Literatur meist ohne „αβ“ hingeschrieben und
ist trotzdem kein Spin). Sαβ = 0 sagt uns: keine Überlappung, Sαβ = 1 heißt: ein ganz
normales spingepaartes Elektronenpaar (das sind mit Abstand die meisten in der Liste),
0 < Sαβ < 1: zeigt ein mehr (ca. 0) oder weniger (ca. 1) spinpolarisiertes Elektronenpaar
an. Der Zahlenwert bei Cu von 0.17 ist dabei keine Überlappung von zwei allein auf
Kupfer liegenden Atomorbitalen, sondern es ist die Überlappung zwischen einem α-MO
und einem β-MO, die sich auch über die Brückenliganden hinweg erstrecken. Zusammen
mit dem negativen Vorzeichen von J sieht so eine durch Superaustausch vermittelte
antiferromagnetische Spinkopplung aus.
Das Gegenstück ist der Rhodiumkomplex. Hier war Ihnen erzählt worden, dass es sich
um eine normale Rh-Rh-Bindung handelt, man würde sich also eine broken-symmetryRechung ersparen und das ganze (restricted) als normales Singulett behandeln (so wurde
die Struktur optimiert). Macht man aber überflüssigerweise eine broken-symmetryRechnung, kommt ein klares Ergebnis heraus: der BS-Zustand ist nicht spinkontaminiert
(<S2>BS = 0), der ferromagnetisch gekoppelte diradikalische Zustand ist extrem unstabil
(siehe J in kJ mol−1), und das Überlappungsintegral ist 1.
Und der Chromkomplex, dem die Literatur die hohe Bindungsordnung 4 zuweist, die
Bindung dann aber gleich wieder als sehr schwach einstuft? Schauen Sie hier vor allem
auf die vier Überlappungsintegrale im Grenzorbitalbereich, die in der Tabelle in σ, π (in
der Orca-Ausgabe die beiden vorletzten Einträge) und δ unterschieden sind. Man kommt
46
zu dem Schluss, dass nur die σ-Bindung nennenswert ist, aber wie bei Kupfer ist auch
hier J eher bescheiden, wenn wir uns das Ergebnis auf einer Kilojoule-pro-Mol-Skala
klar machen. Ganz interessant: die δ-Wechselwirkung stellt sich beim Kupfer- und beim
Chromkomplex sehr ähnlich dar.
CuII (d9) CrII (d4) RhII (d7)
M-M/Å (Xray) 2.612
2.362
2.386
M-M/Å (DFT) 2.529
2.290
2.430
−1
J/cm
−309
−809
−6380
−1
J/kJ mol
−3.7
−9.7
−76.3
2
<S >BS
0.97
3.27
0.00
Sαβ (σ)
–
0.73
1.00
Sαβ (π)
–
0.29
–
Sαβ (δ)
0.17
0.19
–
Zum Schluss noch einmal der Hinweis: der Rhodiumkomplex würde in einer Publikation
sicher nicht eine broken-symmetry-Behandlung erfahren.
47
7
Donor-Akzeptor-Liganden und
Nichtunschuldige Liganden
7.1 Cyanido-Komplexe: allgemeines
High-spin-Cobalt(II) illustriert besonders anschaulich das Prinzip, dass die d-Elektronen
der 3d-Elemente nur begrenzt die Chemie dieser Zentralmetalle mitbestimmen, sich also
wie Valenzelektronen verhalten. Metall-Metall-Bindungen werden nicht beobachtet,
darüber hinaus bedingt die ungefähr gleiche Ligandfeldstabilisierungsenergie bei
verschiedenen Koordinationsfiguren, dass Kristallfeldeffekte kaum wahrnehmbar sind.
Dies alles gilt jedoch nur im high-spin-Fall. Starkfeldliganden, die eine d7-low-spinAnordnung verursachen können, verändern dieses Bild völlig. [Co(CN)4]2− ist quadratisch
planar, [Co(CN)5]3− neigt zur Dimerisierung zu [Co2(CN)10]6− unter Aufbau einer Co-CoBindung, ein dem [Fe(CN)6]4− entsprechendes [Co(CN)6]4− ist nicht bekannt. Vor allem
die Bildung einer Metall-Metall-σ-Bindung bei der Dimerisierung rückt das low-spinCobalt(II) in die Nähe seiner schweren Homologen. Völlig analog bildet Rhodium(II) eine
Rh-Rh-σ-Bindung im oben erwähnten [Rh2(H2O)2(OAc)4].
Der Unterschied zwischen Cyanido- und Halogenido-Liganden wird im Orbitalschema
deutlich. Halogenido-Liganden sind σ- und π-Donoren. Cyanido-Liganden sind bessere
σ-Donoren, deren HOMO, das 3σ-Orbital, wirksam auf das Zentralmetall zuweist. Das
HOMO−1, das 1π-Orbital, ist dagegen auf das elektronegativere N-Atom ausgerichtet, so
dass dessen Überlappung mit dem Zentralmetall schwach ist (vgl. die analoge Situation
bei den Grenzorbitalen des Carbonyl-Liganden). Cyanid ist also aufgrund seines Aufbaus
aus einem elektronegativen N- und einem weniger elektronegativen C-Atom ein Ligand,
dessen σ-Donoreigenschaft verstärkt und dessen π-Donoreigenschaft geschwächt ist.
Beides trägt zur Stellung des Cyanido-Liganden in der spektrochemischen Reihe bei.
Liegt ein Zentralmetall in niedriger Oxidationsstufe vor, kommt ein weiterer Aspekt hinzu,
der in der Literatur jedoch kontrovers behandelt wird. Das LUMO, das 2π-Orbital, ist
ebenfalls deutlich auf das Zentralmetall ausgerichtet. Dessen Symmetrie erlaubt eine
Überlappung mit lokaler π-Symmetrie mit geeigneten d-Orbitalen des Zentralmetalls, bei
einem oktaedrischen Komplex mit den t2g-Orbitalen. Sind diese besetzt, wird eine
Rückbindung erhalten. Das Metall wirkt hierbei als Lewis-Base, der Ligand als Säure. In
48
der Summe zeigt sich Cyanid als starke σ-Base, als schwache π-Base und eventuell als
π-Säure, wenn geeignete besetzte Orbitale am Zentralmetall zur Verfügung stehen. Unter
welchen Umständen eine π-Rückbindung einen merklichen Beitrag hat, ist Gegenstand
der Diskussion. Aus Röntgenspektren wurde abgeleitet, dass selbst low-spin-Eisen(II) im
Hexacyanidoferrat(II) trotz seiner recht hohen Oxidationsstufe und seiner folglich eher
stärker kontrahierten 3d-Orbitale eine „nennenswerte“ Rückbindung aufbauen
[cyano_2001].
Die bei den Cyanidocobaltaten(II) gefundenen Verhältnisse zumindest lassen sich
zwanglos mit der starken σ-Basizität der Cyanido-Liganden allein erklären. In einem
oktaedrischen [Co(CN)6]4− wäre die Aufspaltung zwischen eg und eg* groß, eg* wäre stark
antibindend. In dieses Schema sind 7 + 6 × 2 = 19 Elektronen einzufüllen, 1 Elektron würde
sich also – anders als im [Fe(CN)6]4−-Ion – im stark antibindenden Zustand wiederfinden.
Komplexe mit stark σ-basischen Liganden, zu denen zum Beispiel auch Hydrido- und
Alkyl-Liganden zählen, beachten daher eine Obergrenze von 18 Elektronen. Im Fall des
[Co(CN)4]2−-Ions führt die gleiche Betrachtung zur quadratisch-planaren Ligandanordnung
anstelle der tetraedrischen. Auch ist es günstig, bei starkem Feld das stark antibindende
x2−y2-Orbital nicht zu besetzen. Bei tetraedrischer Anordnung gibt es dagegen kein
einzelnes unstabiles Orbital.
7.2 Cyanido-Komplexe: Rückbindung?
Die qualitativen Aussagen, vor allem die sich häufiger ändernde Einschätzung, ob eine
Rückbindung in Cyanidokomplexe von Metallen in positiver Oxidationsstufe nennenswert
ist oder nicht, sollen anhand dreier Komplex-Ionen näher betrachtet werden. Nebenbei
wenden wir eine weiter oben schon vorgestellte Publikation an, mit deren Hilfe die
möglichen
Spinzustände
eines
Formeltyps
eingegrenzt
werden
[orbital_deformation_2006] und gehen der Frage nach, ob das Erstaunen der
Autoren von [cyano_2005] gerechtfertigt ist, das erste high-spin-Cyanidochromat
hergestellt zu haben. Die Formel des high-spin-Chromats ist [Cr(CN)5]3−; im Kristall liegen
quadratisch-planare Konformere neben verzerrt trigonal-bipyramidalen vor. Die fünf αSpin-d-Orbitale spalten in der folgenden Weise auf:
49
Die Aufspaltung der d-Orbitale im high-spin-Cyanido-Komplex
[CrII(CN)5]3− für die beiden Konformere (bp/tzvp). Die vier stabilen
Orbitale enthalten ein Elektron.
Wir diskutieren als Erstes, warum bei der d4-Konformation die Spinzustände S = 0 und 1
nicht vorkommen sollen, sondern nur S = 2. Anschließend gehen wir auf einen weiteren
Punkt der Publikation ein, und zwar auf die Bedeutung einer p-Orbital-Zumischung zu dOrbitalen. Hierzu betrachten wir das quadratisch-planare Konformer:
Der high-spin-Cyanido-Komplex [CrII(CN)5]3−, HOMO (Orbital 48a)
des C4v-Konformers (auf bp/tzvp-Niveau 3.2 kJ mol−1 unstabiler als
das D3h-Konformer); isovalue = 0.04.
Nun zur Frage der Rückbindung. Das α-MO 45 sollte eine solche Bindung zeigen, sie
scheint aber keine besondere Bedeutung zu haben:
[CrII(CN)5]3−, Orbital 45a des D3h-Konformers; isovalue = 0.04.
50
Man könnte einwenden, dass zu einer richtigen Rückbindung Elektronenpaare gehören,
die der high-spin-d4-Komplex nicht zu bieten hat. Wir vergleichen daher das analog
aufgebaute low-spin-d8-Ion [NiII(CN)5]3−:
Das D3h-Konformer des [NiII(CN)5]3−-Ions, Orbital 45a (das C4vKonformer ist auf bp/tzvp-Niveau 0.6 kJ mol−1 unstabiler; isovalue =
0.04.
Auch hier zeigt sich keine nennenswerte Rückbindung. Zum Vergleich schauen wir auf
das [Cr(CO)5]2−-Ion, das alle Voraussetzungen für eine Rückbindung mit sich bringt: die
Oxidationsstufe des Metalls ist sehr niedrig, der Ligand ist CO.
[Cr(CO)5]2−, Orbital 45a; isovalue = 0.04.
Tatsächlich ist es nun überhaupt kein Problem, die Delokalisation des Metall-Orbitals auf
die C-Atome der Carbonylliganden zu erkennen.
Das Fazit: bei positiver Oxidationsstufe des Metalls und Cyanid als Ligand ergibt sich
die große Kristallfeldaufspaltung aus der Kovalenz der M-C-Bindung, nicht aus einer
Rückbindung. Die hohe σ-Basizität unterscheidet den Cyanido-Liganden von isosteren
Teilchen wie CO und NO+. Man vergleiche hierzu die Stabilitäten von HCN und HCO+.
Trotz der formalen Gemeinsamkeiten unterscheidet sich die Carbonyl-Komplexchemie
erheblich von der Cyanid-Metall-Chemie. Stabile Cyanido-Komplexe von Metallen mit
positiver Oxidationsstufe gibt es in großer Zahl, nicht jedoch die analogen
Carbonylkomplexe. Man vergleiche [Cu(CN)4]3− und einen der unbeständigen Carbonylkupfer(I)-Komplexe wie [Cu(NH3)3(CO)]+ oder Cu(CO)Cl.
Besonders illustrativ ist der Vergleich zwischen [Fe(CN)6]4− und [Fe(CO)6]2+. Das Anion
des gelben Blutlaugensalzes ist seit fast 200 Jahren bekannt; es ist so stabil, dass
es ungiftig ist. Das Hexa(carbonyl)eisen(II)-Ion wurde dagegen erst kürzlich von Willner
51
und Aubke in supersauren Medien hergestellt, also in Abwesenheit aller konkurrierender
Liganden. Stabile Carbonylmetall-Komplexe sind dagegen unter Bedingungen bekannt,
die die höhere π-Acidität des Kohlenmonoxids ausnutzen, also mit Metallen in niedriger
Oxidationsstufe, die eine hinreichend große Metallbasizität aufbringen, um die M-CORückbindung zu stärken. Komplexe mit dem NO+-Ligand setzen diesen Trend fort.
Beständige Nitrosyl-Komplexe vom NO+-Typ sind daher nur von elektronenreichen
Metallen bekannt.
Um diese Prinzipien verständlich zu machen, werden die folgenden Eisen-Komplexionen
verglichen: [Fe(CO)3NO]−, [Fe(CN)5NO]2− und [Fe(H2O)5NO]2+, dem farbgebenden
Komplex des „braunen Rings“. Alle drei Nitrosyl-Eisen-Komplexe haben eine
Gemeinsamkeit: das Fe-N-O-Fragment ist linear. Dies legt in einem einfachen VB-Bild
nahe, dass der Ligand als NO+ vorliegt, isoster mit CO und CN−. So einfach ist es aber
nicht, denn – Nitrosylliganden sind nicht-unschuldig.
7.3 Der nicht-unschuldige Nitrosyl-Ligand
Nicht-unschuldige Liganden, engl. non-innocent ligands, entziehen sich den üblichen
IUPAC-Regeln zur Bestimmung der Oxidationsstufe eines Metalls. Wichtig wird nun die
physikalische (spektroskopische) Oxidationsstufe. Ob ein Ligand unschuldig oder nichtunschuldig – also redox-aktiv – ist, hängt auch vom Zentralmetall, seiner Oxidationsstufe
und seinem Spinzustand ab.
Einschub: Biochemisch wichtige nicht-unschuldige Liganden
Diese werden vor allem in der Vorlesung Bioanorganische Chemie behandelt. Es handelt
sich um
NO, das als NO+, NO-Radikal, Singulett-NO− oder Triplett-NO− gefunden wird.
Dieser Ligand wird im Folgenden ausführlich behandelt.
O2, das als Triplett- oder Singulett-O2 (Paulingsches Modell von
sauerstoffbeladenem Myoglobin/Hämoglobin), als Hyperoxido-Ligand (Weisssches
Mb/Hb-Modell), oder Peroxid (Hämerythrin, Hämocyanin) gebunden sein kann.
Tyrosinat, das als Phenolat-Anion oder als Phenoxy-Radikal gefunden wird
(Galactose-Oxidase).
Porphyrine, deren normale por2−-Form zu einem radikalischen por•−- oxidiert sein
kann (Cytochrom P450).
[Fe(CO)3NO]−
Der Standardfall des beständigen Nitrosylkomplexes mit einem fest gebundenen NOLigand ist im [Fe(CO)3NO]−-Ion realisiert. Die Reaktionsbedingungen für die Synthese
52
wässriger Lösungen der intensiv gelben Alkali-tricarbonyl-nitrosylferrate(1−) zeigen schon,
dass das Komplexanion keine unbeständige Spezies ist. So wird eine wässrige, schwach
alkalische Alkalinitrit-Lösung mit Pentacarbonyl-eisen(0) solange am Rückfluss zum
Sieden erhitzt, bis kein [Fe(CO)5] – eine mit Wasser nicht mischbare farblose Flüssigkeit –
im Rücklauf des Kühlers mehr erkennbar ist:
[Fe(CO)5] + NO2− + Ca(OH)2 → [Fe(CO)3NO]− + CO + H2O + CaCO3
Sowohl [Fe(CO)5] als auch [Fe(CO)3NO]− sind typische Komplexe mit stark π-aciden
Liganden, die der 18-e-Regel genügen.
Um die Elektronenbilanz festzustellen, wird üblicherweise (1) aus der Ladung des
Komplexes und der (von der IUPAC festgesetzten) Ladung der Liganden die
Oxidationsstufe des Zentralmetallatoms bestimmt, dann (2) die Zahl der (n−1)d-Elektronen
des Metalls ermittelt (der ns-Zustand wird dabei als unbesetzt angenommen) und (3) diese
d-Elektronenzahl und die Zahl der (laut IUPAC-Regel) von den Liganden beigetragenen
Elektronen addiert.
Für [Fe(CO)5] ergibt sich wegen des Neutralliganden CO 0 als Oxidationsstufe des Eisens
entsprechend 8 3d-Elektronen, hinzugezählt werden 5 × 2 = 10 Elektronen, da CO als 2eDonor zählt, so dass sich insgesamt 18 e ergeben. Diese Zählweise steht im Einklang mit
den physikalischen Eigenschaften des Pentacarbonyleisens – formale und physikalische
(spektroskopische) Oxidationsstufe sind gleich. Dies ist bei Nitrosylkomplexen eher die
Ausnahme. Der Nitrosylligand ist als neutraler Dreielektronen-Donor definiert. Für das
[Fe(CO)3NO]−-Ion ergibt die Rechnung dann −I als Oxidationsstufe des Zentralmetalls
entsprechend 9 d-Elektronen. Hinzuaddiert werden 3 × 2 = 6 Elektronen von den drei
Carbonyl-Liganden und 3 Elektronen von NO. Die Summe ist wieder 18 Elektronen.
Die Behandlung von NO als Neutralligand führt jedoch zu einer Reihe von Problemen bei
der Deutung der physikalischen Daten. So zeigt die Strukturanalyse eine lineare Fe-NO-Einheit, während das VSEPR-Modell eine an N gewinkelte Struktur nahelegt. Werden
Abstände (in der Abbildung in Å, die Zahlenwerte sind Mittelwerte im Natriumsalz) und
Winkel hinzugenommen, so ergibt sich eher die Vorstellung von einem mit CO isosteren
NO+-Ligand, der den Carbonyl-Liganden hinsichtlich der π-Acidität deutlich übertrifft:
53
Der größere mittlere N-Fe-C-Winkel gegenüber einem kleinen C-Fe-C-Winkel zeigt eine
höhere Fe-N- im Vergleich zur Fe-C-Bindungsordnung an. Im Einklang hiermit sind die FeN/C-Abstände. Bezeichnend aber ist vor allem die deutliche Aufweitung des N-O-Abstands
im Komplex gegenüber dem Wert für eine N-O-Dreifachbindung. Die entsprechenden
Werte unterscheiden sich für CO viel weniger (C-O-Abstand in freiem Kohlenmonoxid:
1.128 Å). Mit der Ladung +1 für den Nitrosylligand ergibt sich für Eisen die physikalische
Oxidationsstufe -II, die einer d10-Konfiguration entspricht, wie sie auch im isosteren
Tetracarbonyl-ferrat(−II) gefunden wird. Dieses homoleptische Ferrat entsteht bei der
Umsetzung von [Fe(CO)5] mit wässriger Lauge (Hiebersche Basereaktion):
[Fe(CO)5] + 4 OH− → [Fe(CO)4]2− + 2 H2O + CO32−
Der Zweielektronen-Reduktion des Eisenzentrums steht bei beiden Reaktionen die
Oxidation eines Äquivalents CO zu CO2 gegenüber, das unter den basischen
Reaktionsbedingungen als Carbonat anfällt. Das Natriumsalz des Tetracarbonylferrats wird
als „Collmans Reagenz“ verwendet. Die höhere π-Acidität des NO+-Liganden im Vergleich
mit CO lässt sich auch anhand der C-O-Schwingungsfrequenzen nachvollziehen: 1790
cm−1 bei Tetracarbonylferrat gegenüber ca. 1900 cm−1 bei Tricarbonylnitrosylferraten, bei
denen der NO-Ligand mehr Metallbasizität auf sich zieht (vgl. 2143 cm−1 bei freiem CO).
[Fe(H2O)5NO]2+
Die Vorstellung, dass eine lineare M-N-O-Einheit einen CO-analogen NO+-Liganden
anzeigt, ist in Lehrbüchern verbreitet, aber falsch. Der von der Nitratprobe bekannte
braune Ring, dessen Chromophor bei der Nitritprobe im gesamten Probevolumen entsteht,
wird durch den Pentaaqua-nitrosyl-eisen(II)-Komplex [Fe(H2O)5NO]2+ hervorgerufen. Für
dieses Ion liegt keine Strukturanalyse vor, es herrscht jedoch Einigkeit, dass die
spektroskopischen Daten und die Ergebnisse von Rechnungen ein lineares Fe-N-OFragment hinreichend belegen. Der Grundzustand ist ein Quartett (S = 3/2). In älteren
Lehrbüchern wird der Nitrosyl-Ligand daher als NO+ eingestuft, der an ein high-spind7-Eisen(I)-Zentralatom gebunden ist. Die physikalische Oxidationsstufe des formalen
Eisen(II)-Zentrums wäre demnach +I.
Die Unterschiede der beiden Nitrosyleisen-Komplexe [Fe(CO)3NO]− und [Fe(H2O)5NO]2+
sind gravierend. Während das Ferrat(−II) thermisch belastbar ist und hohe Reaktivität nur
gegenüber Oxidationsmitteln zeigt, ist das Ion des braunen Rings nur wenig stabil und
zerfällt leicht wieder. Aktuelle Rechnungen zeigen, dass das Pentaaqua-nitrosyl-eisen-Ion
eher als FeII-NO• oder als FeIII-NO−-Komplex zu verstehen ist [brown_ring_2004],
[brown_ring_2002]. Wie aber ist dann die lineare Anbindung des Nitrosyl-Liganden
an das Eisenzentrum zu verstehen? Wäre gemäß dem VB-Bild zum Beispiel für den
FeIII-NO−-Komplex nicht ein Fe-N-O-Winkel von ca. 120° zu erwarten? Man beachte
jedoch die geringe Stabilität der Fe-NO-Bindung. Das VB-Bild steht für die Koordination
eines Metallzentrums an eine Singulett-NO−-Spezies. Ein high-spin-Eisenzentrum der
Oxidationsstufe +II oder +III führt jedoch nicht zu einem so drastischen Eingriff in die
Elektronenstruktur des Liganden. Dieser ist isoelektronisch zu O2 und liegt wie dieses in
einem Triplett-Grundzustand vor. Die nun mögliche Wechselwirkung zwischen den beiden
54
π*-Orbitalen des Liganden und symmetrisch passenden Eisen-Orbitalen ist für eine von
zwei Wechselwirkungen dargestellt; die gezeigte Spinkopplung wird meist als antiferromagnetische Kopplung verstanden:
Es wird deutlich, dass sowohl Triplett-NO− als auch, in alternativer Betrachtung, das
NO-Radikal linear an das Eisenzentrum binden. Aus der DFT-Rechnung in
[brown_ring_2004] folgt ein Energieschema für die Grenzorbitale des Komplexes.
Dargestellt sind diejenigen Orbitale, die im Bereich des FeNO-Fragments lokalisiert sind.
Die Nummern verweisen auf Tabelle 8 in [brown_ring_2004], außerdem sind die
beteiligten Fe-Orbitale genannt; man beachte aber, dass hiermit ein Elektron nicht allein
dem jeweiligen Orbital zugewiesen wird; die beiden besetzten β-Spin-Orbitale haben zum
Beispiel jeweils zur Hälfte Metall- und NO-π*-Charakter. Die braune Farbe von
[Fe(H2O)5NO]2+ geht auf Übergänge des Typs π→σ* zurück:
55
Noch ein Kommentar zur Nomenklatur: Zur Beschreibung von Nitrosyl-Metall-Komplexen
ist die von Enemark und Feltham eingeführte Angabe der Elektronenzahl des MNOFragments allgemein üblich. Im braunen Ring liegt zum Beispiel ein {FeNO}7-Zentrum vor
entsprechend 7 Elektronen als Summe der d-Elektronen des Metalls und der Elektronen
in antibindenden NO-Orbitalen. Durch diese Definition umgeht man eine Festlegung auf
einen speziellen Bindungsmodus.
[Fe(CO)3NO]− und [Fe(H2O)5NO]2+ erscheinen als zwei Extremfälle für die Bindung eines
Nitrosylliganden. Das Eisen(−II)-Zentrum baut eine starke Rückbindung zum NO-Liganden
auf und es entsteht ein Komplex, der nicht zur Dissoziation des Nitrosyl-Liganden neigt.
Das Lewis-saure high-spin-Eisen(+II)-Zentrum dagegen ist nicht in der Lage, eine
nennenswerte Rückbindung aufzubauen, umgekehrt ist der Nitrosyl-Ligand kein besonders
guter Donor – heraus kommt ein zersetzlicher Komplex.
[Fe(CN)5NO]2−
Die für eine starke Rückbindung nicht förderliche Oxidationsstufe +II liegt jedoch auch
im lange bekannten Nitroprussid-Anion vor. Dessen Natriumsalz, Natrium-pentacyanidonitrosyl-ferrat(III)-Dihydrat, Na2[Fe(CN)5NO] · 2 H2O, ist ein geläufiges Medikament, das
zum Beispiel bei Operationen nach Bedarf infundiert wird um den Blutdruck des Patienten
schnell und wirksam zu senken. Nach der Entdeckung der Hormonwirkung von NO wurde
erkannt, dass das Ferrat-Ion unter physiologischen Bedingungen NO abspaltet, worauf die
Wirkung beruht. NO ist also offensichtlich auch an diesem Eisen(II)-Zentrum weniger fest
gebunden als es die Strukturanalyse nahelegt:
Die Strukturparameter des {FeNO}6-Zentrums im Natrium-nitroprussid zeigen wieder ein
lineares Fe-N-O-Fragment. Die Fe-N-Bindung ist recht kurz, die gegenüber dem
Carbonylferrat deutlich geschwächte Rückbindung zeigt sich jedoch am stark verkürzten
N-O-Abstand. Um zu verstehen, dass die Fe-N-Bindung bei weitem nicht so schwach
ist wie beim Aqua-nitrosyl-Komplex, ist die low-spin-Konfiguration des Cyanidokomplexes
zu beachten. Die sich andeutende Mittelstellung der Fe-N-Bindung – nicht so stabil wie
bei einem Eisen(−II)-Zentrum, nicht so schwach wie bei high-spin-Eisen(II) – wird am
56
besten deutlich, wenn eine aufsehenerregende Eigenschaft des Natrium-nitroprussids in
die Diskussion einbezogen wird (Hauser, 1977). Beim Bestrahlen von SNP-Kristallen (SNP
= sodium nitroprusside) mit grünem Laserlicht bei tiefer Temperatur wird ein metastabiler
Zustand (MS2) erhalten, der einer Population von etwa der Hälfte aller Ferrat-Ionen
entspricht. Beim Aufwärmen über 165 K geht MS2 in einen weiteren metastabilen Zustand
MS1 über. Beide metastabile Zustände haben in der Kälte eine beliebige Lebensdauer.
Der Grundzustand kann entweder durch Aufwärmen auf Raumtemperatur oder durch
Bestrahlen mit rotem Laserlicht wieder erreicht werden.
Die ungewöhnliche Lebensdauer deutet an, dass es sich bei den metastabilen Zuständen
nicht um elektronische Anregungen handelt, sondern dass eine strukturelle Veränderung
stattfindet. Diese wurde 1997 erstmals durch Röntgenbeugung nachgewiesen. Aktuelle
Rechnungen unterstützen den Befund, dass in MS2 die Nitrosylgruppe eine Art π-DonorBindungsmodus einnimmt, der in die Isonitrosyl-Struktur MS1 relaxiert. Im Einklang mit der
Arbeitshypothese, dass eine Fe-N-Rückbindung bei Eisen(II)-Zentren nicht nenneswert ist,
unterscheiden sich die N-O-Abstände in den drei Formen kaum:
Eine Übersicht zu der an SNP beschriebenen photoinduzierten Bindungsisomerie (engl.
photoinduced linkage isomerism) gibt [pli_review_2002]. Wir diskutieren, warum es
genau die beiden beobachteten metastabilen Isomere gibt. Hierzu machen wir uns die
verschiedenen Komponenten der Fe-NO-Wechselwirkung klar, bei MS2 zum Beispiel die
folgenden:
57
7.4 Aktuelle Entwicklungen
Der NO-Bindungsmodus und die Anregung von Bindungsisomeren hat offensichtlich
biochemische Bedeutung. Im Mittelpunkt aktueller Arbeiten stehen daher Nitrosyl-HämKomplexe, die im natürlichen Stickstoffkreislauf (Scheme 1 in [noh_heme_2010]) eine
Rolle spielen. Die Frage linearer oder gewinkelter Fe-N-O-Bindung im {FeNO}7-Fall wird in
[feno7_dft_2010] umfassend behandelt.
7.5 Literatur
[no_pli_heme_2010]
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Electronic Structure and Dynamics of Nitrosyl Porphyrins.
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[no_heme_bonding_2010]
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Electronic Structure of Heme-Nitrosyls and Its Significance for Nitric Oxide
Reactivity, Sensing, Transport, and Toxicity in Biological Systems.
Inorg. Chem. 2010, 49, 6293–6316.
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[noh_heme_2010]
M. R. Kumar, J. M. Fukuto, K. M. Miranda, P. J. Farmer:
Reactions of HNO with Heme Proteins: New Routes to HNO–Heme Complexes and
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Inorg. Chem. 2010, 49, 6283–6292.
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The Myth of Cyanide Always Being a Strong-Field Ligand: Synthesis and Structural
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Nonacyanidodichromate(II), [CrII2(CN)9]5−.
Angew. Chem. 2005, 117, 3189–3192.
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On the “Brown-Ring”” Reaction Product via Density-Functional Theory.
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doi: 10.1016/s0368-2048(00)00272-3
59
8
Die 18-Elektronen-Regel I
Das folgende qualitative MO-Schema zeigt für den Bereich der Grenzorbitale eines
oktaedrischen d6-Komplexes qualitativ den Einfluss zunehmender Ligandorbital-Stabilität.
So sieht es aus, wenn man die Abfolge CN− → CO → NO+ durchläuft (man beachte, dass
das Schema für NO hypothetisch ist, so etwas wie [Ti(NO)6]4+ ist unbekannt):
Die 18-Elektronen-Regel gilt dann, wenn die xy-, xz- und yz-Orbitale (t2g unter Oh) bindend
sind. Der in der Abbildung skizzierte Unterschied zwischen Cyanido- und Nitrosyl-Liganden
ergibt sich bei konstanter Energie der Metallorbitale. Vor allem die in der Literatur
umstrittene Charakteristik des Cyanido-Liganden – ist er im wesentlichen nur σ-Donoroder auch π-Akzeptorligand? – wird durch eine solche Darstellung transparent. Liegen
Metalle in höherer Oxidationsstufe vor, sind die Metallorbitale stabilisiert und energetisch
weit von den Ligand-π*-Orbitalen entfernt – eine Rückbindung wird erschwert sein. Bei
Erniedrigung der positiven Ladung des Metalls nimmt die Orbitalenergie zu, die
Metallorbitale bewegen sich also entlang der Energieachse auf die gleiche Weise, wie
es in der Abbildung dem Gang vom Cyanido- zum Nitrosylliganden entspricht. Zumindest
bei Cyanidokomplexen von Metallen in niedriger Oxidationsstufe ist demnach mit einer
deutlichen Beteiligung von Rückbindung zu rechnen. Die signifikante Zunahme von
Rückbindung zeigt sich besonders deutlich in isoelektronischen Reihen. Man verfolge
60
als Maß für die zunehmende Rückbindung in der Reihe [Fe(CN)5NO]2−, [Mn(CN)5NO]3−,
[Cr(CN)5NO]4− die NO-Valenzschwingungsfrequenzen von 1939 cm−1 (Fe), 1725 cm−1
(Mn) und 1515 cm−1 (Cr). Übung: Man gebe die formale und die spektroskopische
Oxidationsstufe der Metallzentren an. Zum Vergleich: Die N-O-Valenzschwingungsfrequenz beträgt im [Fe(CO)3NO]−-Ion 1640 cm−1.
Den in der Abbildung gezeigten Fällen ist gemeinsam, dass HOMO und LUMO
metallständige Orbitale sind. Die elektronische Anregung mit der niedrigsten Energie
wird daher ein Übergang zwischen den d-Orbitalen des Metalls sein. Die besonderen
Eigenschaften einiger Nitrosylkomplexe, nach Bestrahlung langlebige metastabile
Zustände unter Rotation des Nitrosylliganden zu entwickeln, wird so nicht plausibel.
Rechnungen am Nitroprussid-Anion zeigen jedoch, dass durch die Substitution eines von
sechs Cyanido-Liganden eines Hexacyanidoferrat(II)-Ions durch NO+ ein antibindendes
NO-π*-Orbital unter den eg*-Zustand eingeschoben ist (P. Boulet, M. Buchs, H. Chermette,
C. Daul, F. Gilardoni, F. Rogemond, C. W. Schläpfer, J. Weber, J. Phys. Chem. A 2001,
105, 8991–8998; die Orbitalenergien sind für ein Anion unerwartet niedrig, die Autoren
geben aber keine Einzelheiten an, vermutlich haben sie ein isotropes positives Feld
zugeschaltet):
Die optische Anregung ist als Folge der NO-π*-Lage ein MLCT-Übergang (MLCT = metal
to ligand charge transfer), der die Fe-N-Bindung schwächt und so die Rotation einleitet. Die
Bildung dieser metastabilen Zustände ist an den Festkörper gebunden, die Rotation findet
nach der Bindungsschwächung in einem begrenzten Hohlraum der Kristallstruktur statt. In
Lösung wäre die Abdissoziation des Liganden zu erwarten – siehe das oben Gesagte zur
medizinischen Anwendung von SNP.
Bei Komplexen, welche die 18-Elektronenregel beachten, ist die Elektronendonorfähigkeit
des Metallzentrums mit der Ausbildung von Rückbindungen oft noch nicht erschöpft.
Solche Zentren weisen Metallbasizität auf, sie leiten sich oft von Fragmenten ab, die
isolobal zu Nichtmetall-Fragmenten sind und deren recht hohe Elektronegativität teilen.
61
9
Metallcluster: Strukturen und Reaktionen
9.1 [Fe3(CO)12] (C2v) vs. [Os3(CO)12] (D3h)
Pentacarbonyleisen spaltet beim Erhitzen CO ab. Zuerst entsteht Fe2(CO)9, dann
Fe3(CO)12, das gezielter durch Oxidation von Tetracarbonylferrat(2−) erhalten werden
kann. Strukturanalyse und IR-Spektren zeigen für den Zweikernkomplex im Kristall und in
Lösung eine D3h-symmetrische Struktur mit 3 verbrückenden Carbonylgruppen, also ein
Hexacarbonyl-tris(μ-carbonyl)-dieisen(0). (Wir schauen uns in einer Übung an, wie man
die Zahl der zu erwartenden C-O-Valenzschwingungen für eine bestimmten Molekülgestalt
ermittelt).
Der Aufbau von Fe3(CO)12 war längere Zeit umstritten. Die erste Strukturanalyse war
nicht eindeutig, und eine auf verbrückende CO-Gruppen hinweisende IR-Bande ist neben
einer Hauptabsorption bei 2050 cm−1 und weiteren Banden im Bereich terminaler
Carbonylliganden nur schwach bei 1870 cm−1 zu erkennen. Die seit 1993 vorliegende
korrekte Strukturanalyse wird durch neuere DFT-Rechnungen bestätigt: Im Grundzustand
ist die Struktur nicht D3h-symmetrisch ohne verbrückende Carbonyl-Liganden, sondern
zwei der drei Eisenatome sind von zwei Carbonylgruppen überbrückt. Die Symmetrie
des Moleküls ist C2v, es entsteht formal durch Ersatz einer der drei μ-CO-Liganden in
Fe2(CO)9 durch ein Fe(CO)4-Fragment, das nur terminale CO-Liganden aufweist. Die
D3h-symmetrische Struktur ist ca. 20–30 kJ mol−1 weniger stabil. Sie hat in Lösung
wahrscheinlich Bedeutung. Darüberhinaus fluktuiert die C2v-Struktur in Lösung (1 Signal
im 13C-NMR-Spektrun) und wahrscheinlich auch im Feststoff, indem die Brückenliganden
ständig ihren Platz wechseln. Man beachte, dass die IR-Spektroskopie als „schnelle“
Methode terminale und verbrückende Liganden zeitaufgelöst zeigt, während die
langsamere NMR-Spektroskopie den äquilibrierten Zustand wiedergibt.
Das homologe Os3(CO)12 liegt dagegen in eben dieser D3h-symmetrischen Form ohne
verbrückende CO-Liganden vor. Die DFT-Rechnung weist hier Isomere mit μ-CO-Liganden
als unstabil aus. Ursache ist die stärkere Kontraktion der 3d-Orbitale der Eisenzentren im
Vergleich zu den 5d-Orbitalen des Osmiums. So lässt sich zeigen, dass die Bindung zu
μ-CO-Gruppen die Metall-Metall-Bindung schwächen. Während der Energieverlust durch
eine schwächere Metall-Metall-Bindung bei den aufgrund der geringeren Orbitalüberlappung ohnehin schwächeren Eisen-Eisen-Bindungen durch den Aufbau von mehr
62
Fe-C-Kontakten überkompensiert wird, ist dies bei Osmium umgekehrt. Wie schon in der
Koordinationschemie höherer Oxidationsstufen ergibt sich der Unterschied zwischen erster
Übergangsreihe und den schweren Homologen aus der stärkeren Lokalisierung der dElektronen am Atomrumpf im Fall eines 3d-Elementes [cluster_1999].
9.2 Bindungsmöglichkeiten von CO-Liganden
Die Bindung von Carbonylliganden als terminale oder verbrückende Liganden ändert in
der Regel nichts an der Elektronenbilanz. Ist ein verbrückender Carbonylligand nur über
das C-Atom an zwei oder drei Metallatome gebunden, steht für die Hinbindung wie beim
terminalen Bindungsmodus das freie Elektronenpaar am Kohlenstoffatom zur Verfügung.
CO ist ein 2-Elektronen-Donor. Die üblichen Bindungsmodi verbrückender CO-Liganden
sind im folgenden Schema zusammengestellt.
Die rechts gezeichneten Fälle des linear halbverbrückenden Modus, bei dem auch M
= M' sein kann, sind selten. Sie haben besondere elektronische Verhältnisse zur
Voraussetzung. Ein Beispiel für den η2, μ3-6e-Fall liegt im dreikernigen Komplex
[Nb3(cp)3(CO)7] vor [nb3cp3co7_1981]. Hier ist M = M' = Nb(cp)(CO)2. Der die Bildung
eines Clusters verursachende Ligandmangel wurde durch CO-Abspaltung aus dem
einkernigen Carbonylkomplex [Nb(cp)(CO)4] durch Bestrahlen mit UV-Licht herbeigeführt.
Ein cyclischer [{Nb(cp)(CO)n}m]-Cluster mit zwei Niob-Niob-Einfachbindungen pro
Metallatom darf für n = 3 erwartet werden (siehe unten). Ein dreikerniger Cluster (m =
3) hätte dann die Zusammensetzung [Nb3(cp)3(CO)9] – was wohl zu einer sterischen
Überladung führen würde. Der gefundene Cluster enthält zwei Carbonyl-Liganden weniger
und trotzdem vermittelt die Struktur den Eindruck eines beachtlichen „Gedränges“: jedes
Niob-Atom ist von zwei terminalen Carbonyl-Liganden koordiniert; der CyclopentadienylLigand ist wie üblich η5 gebunden. Man beachte, dass im Bild an jedem Cyclopentadienyl-
63
Liganden der Übersichtlichkeit halber 5 H-Atome nicht eingezeichnet sind, die aber
natürlich auch noch Platz brauchen.
Die weiter unten zusammengefassten Elektronenabzählregeln zeigen, dass dem Cluster
wegen des Verzichts auf zwei CO-Liganden vier Elektronen zur Erfüllung der
18-Elektronenregel fehlen – wenn alle CO-Liganden als 2-Elektronendonoren gezählt
werden. Dass die 18-Elektronen-Regel einen hohen Stellenwert hat, wird bei einem
genaueren Blick auf den μ3-CO-Liganden deutlich, der eine Reihe von Besonderheiten
aufweist. Üblicherweise ist das Sauerstoffatom eines verbrückenden Carbonyl-Liganden
von den Metallatomen weggeneigt (siehe oben im Schema). Aus dem im folgenden Bild
dargestellten Ausschnitt aus der Struktur des Niobclusters geht jedoch hervor, dass das
Fe-C-O-Fragment nicht nur entsprechend der Einstufung “linear semibridging” mit einem
Winkel von 169° am C-Atom nur wenig geknickt ist, sondern das vielmehr die geringe
Abwinklung darauf zurückzuführen ist, dass das O-Atom sich zwei Nb-Atomen zuneigt.
Der Nb-O-Nb-Winkel von 86° (Nb-C-Nb 85°) liegt nahe am rechten Winkel – so wie man
es für zwei Donorbindungen erwarten darf, die von den senkrecht aufeinander stehenden
bindenden π-Orbitalen zwischen C und O ausgehen. Die C-O-Bindung wird durch diese
neuen Bindungen zu zwei Niob-Atomen merklich geschwächt. Der C-O-Abstand ist mit
1.30 Å gegenüber freiem CO (1.13 Å) deutlich aufgeweitet; man vergleiche den oben
angegebenen Wert von 1.15 Å im [Fe(CO)3NO]−-Ion, 1.20 Å einer C=O-Doppelbindung
und 1.43 Å einer C–O-Einfachbindung. Die deutlich herabgesetzte Bindungsordnung führt
zu einem für Carbonylkomplexe ungewöhnlich niedrigen Wert für die Energie der CO-Streckschwingung von nur 1330 cm−1. Vor allem dieser letzte Wert passt zu der
Interpretation, dass der verbrückende Carbonylligand als 6-Elektronen-Donor fungiert.
Es ist jedoch zu beachten, dass eine 18-Elektronenbilanz auch durch 1 Nb=NbDoppelbindung erreicht würde. Die im Bild angegebenen Nb-Nb-Abstände zeigen, dass
64
die Metall-Metall-Abstände tatsächlich nicht alle gleich groß sind. Da keine neueren
Rechnungen an diesem Cluster vorliegen, bleibt hier Deutungsspielraum.
9.3 Carbidocluster
Dass die Aktivierung eines Carbonyl-Liganden bis zum C-O-Bindungsbruch führen kann,
zeigen die beiden folgenden Beispiele: Wird Fe(CO)5 erhitzt, so entstehen unter COAbspaltung mehrkernige Carbonylmetall-Komplexe wie Fe2(CO)9 oder Fe3(CO)12. Wird
weiter erhitzt, so werden bei ca. 200 °C Carbidocluster erhalten, in denen neben intakten
Carbonyl-Liganden Carbido-Liganden, C4−, als Spaltprodukte auftreten. So lässt sich ein
[Fe5C(CO)15] isolieren. Auch Cluster dieser Größe gehorchen der 18-Elektronen-Regel.
Da der Umgang mit Oxidationsstufen hier sehr sperrig wäre, werden die Clusterbausteine
als elektroneutral angesehen. Die bei Fe und C eingesetzten Elektronenzahlen sind also
die der neutralen Atome. CO zählt wie üblich als 2-Elektronen-Donor. Man beachte, dass
bei dieser summarischen Behandlung 2 Elektronen pro Metall-Metall-Bindung zu zählen
sind, da erst im letzten Schritt durch die Zahl der Metallatome dividiert wird:
[Fe5C(CO)15]
5 Fe
5×8 =
15 CO 15 × 2 =
1C
1×4 =
8 Fe–Fe 8 × 2 =
Σ
pro Fe
:5
=
=
40
30
4
16
90
18
9.4 Fischer-Tropsch-Synthese
Weitere Beispiele für die CO-Aktivierung sind alle katalytischen Reaktionen, bei denen
Kohlenmonoxid – meist zusammen mit Wasserstoff als „Synthesegas“ – als Reaktand
eingesetzt wird. Zu den Reaktionen, bei denen die C-O-Bindung vollständig gebrochen
65
wird, gehört die Fischer-Tropsch-Reaktion (FT-Synthese), die mit Cobaltkatalysatoren der
folgenden Gleichung folgt:
CO + 2 H2 → (-CH2-)n/n + H2O
In allen neueren Varianten werden Eisenkatalysatoren eingesetzt, die außerdem das
Wassergasgleichgewicht (CO + H2O = CO2 + H2) katalysieren. Die Gleichung für die FTSynthese lautet dann:
2 CO + H2 → (-CH2-)n/n + CO2
Die FT-Synthese ist eine heterogen katalysierte Polymerisation von C1-Bausteinen,
die sich auf einer Metalloberfläche (Eisen, Cobalt, Ruthenium) primär zu 1-Alkenen
zusammenfinden. Die Kettenlänge ist steuerbar. Typischerweise werden Kohlenwasserstoffgemische angestrebt, die als Treibstoffe eingesetzt werden können. Die FTSynthese gehört neben der Kohlehydrierung zu den Verfahren, mit deren Hilfe Erdöl durch
Kohle ersetzt werden kann.
In der Literatur werden einige mechanistische Vorschläge gemacht. In einem
Schlüsselexperiment konnte Brady zeigen, dass der Carbid-Methylen-Mechanismus
wohl der realistischste ist. Dieser formuliert die C-O-Bindungsspaltung und die
Polymerisation als zwei völlig voneinander getrennte Schritte mit sauerstofffreien C1Bausteinen bei Kettenstart und Kettenfortpflanzung. Das folgende Schema zeigt
schematisch die Einzelschritte: Adsorbiertes CO wird zu oberflächengebundenem Carbid
und Oxid. Das Oxid reagiert mit adsorbiertem Wasserstoff zu Wasser und verlässt die
Oberfläche. Carbid reagiert ebenfalls mit Wasserstoff, es bildet sich oberflächengebundenes Methylidin (CH) und Methylen (CH2), außerdem wird Wasserstoff als HydridoLigand an die Metalloberfläche gebunden. Der Kettenstart ist die Insertion einer
Methylengruppe in eine Metall-Hydrid-Bindung, es entsteht ein Methyl-Ligand. Das
Kettenwachstum stellt eine Folge von Methylen-Insertionen in Metall-Alkyl-Bindungen
dar, durch welche die Alkylreste verlängert werden. Der Kettenabbruch schließlich ist eine
β-Wasserstoff-Eliminierung, bei der das oberflächengebundene Hydrid wiederhergestellt
wird und ein 1-Alken entsteht (im technischen Prozess werden Folgeprodukte anstelle
dieses reaktiven Primärproduktes erhalten). Schematisch:
In Bradys Schlüsselexperiment wurden oberflächengebundene Methylen-Liganden durch
Umsetzung einer sauberen Metalloberfläche mit Diazomethan erzeugt. Als Metalle
66
wurden FT-Katalysatoren und Kupfer eingesetzt. Beim Erhitzen aller Methylen-belegten
Oberflächen entstand Ethen durch Dimerisierung der Methylengruppen. In Anwesenheit
von Wasserstoff jedoch bildeten die FT-Katalysatoren 1-Alkene – nur mit Kupfer, das
nicht zur Bildung von Hydrid neigt (Kupfer ist kein Hydrierkatalysator!), blieb es auch bei
Anwesenheit von Wasserstoff bei der Ethen-Bildung.
Der erste Teilschritte der FT-Synthese, die Spaltung von CO sowie die Bildung von
Wasser und CHn-Spezies, ist auf molekularer Ebene nachgestellt worden (1981). Die
Versuchsreihe wird in Lehrbüchern häufig zitiert, da es nur sehr wenige Beispiele gibt,
bei denen so viele Einzelschritte einer Heterogenkatalyse an einem Metallcluster
nachgebildet wurden. Ausgangspunkt ist ein Carbonylferrat, das sich neben anderen bei
der Umsetzung höherkerniger Eisencarbonyle mit Base bildet, und zwar [Fe4(CO)13]2−. In
diesem vierkernigen Cluster sind jeweils drei terminale CO-Liganden an jedem Eisenatom
gebunden. Der dreizehnte Carbonyl-Ligand liegt im η1,μ3-Bindungsmodus vor, indem das
C-Atom eine Dreiecksfläche des tetraedrischen Clusters überbrückt. Das Ferrat befolgt die
18-Elektronen-Regel:
[Fe4(CO)13]2−
4 Fe
4×8 =
13 CO 13 × 2 =
[ ]2−
=
6 Fe–Fe 6 × 2 =
Σ
pro Fe
:4
=
=
32
26
2
12
72
18
Im folgenden Schema ist die Reaktionssequenz dargestellt, die nach stufenweiser
Protonierung mit starker Säure (Fluor- oder Trifluormethansulfonsäure) abläuft und die bei
tiefer Temperatur in Einzelschritte aufgelöst werden konnte:
Im ersten Schritt lagert sich ein Proton an den Cluster an. Dabei hat es die Wahl zwischen
den weich-basischen Metallzentren und den hart-basischen O-Atomen der CarbonylLiganden. Unter den CO-Gruppen wiederum sollte das O-Atom des verbrückenden
Liganden die höchste Basizität aufweisen, da durch Rückbindungen am meisten
Ladungsdichte auf diese Carbonylgruppe übertragen sein sollte. Das Experiment zeigt,
dass sich das Proton für die weich-basische Position entscheidet und sich an zwei
Metallatome anlagert, die es als formaler μ2-Hydrido-Ligand verbrückt.
Die sich nun anschließende strukturelle Veränderung im Cluster spiegelt die bislang
betrachteten Gesetzmäßigkeiten wider: Die 18-Elektronen-Regel wird durch die
Protonierung zuerst einmal nicht berührt. Trotzdem kommt es zu einer strukturellen
Veränderung, indem eine der sechs Metall-Metall-Bindungen im Produkt aufgehoben ist
(im Schema ist diese im Edukt rot gezeichnet).
Eine mögliche Interpretation ergibt sich aus der vergleichenden Betrachtung der
Bindungsverhältnisse in den homologen Carbonylen [Fe3(CO)12] und [Os3(CO)12]. Es war
67
gezeigt worden, das bei einem Element der ersten Übergangsreihe die d-Orbitale wenig
ausladend sind. Die Überlappung mit einem Brücken-CO-Ligand ist daher oft günstiger
als die direkte Metall-Metall-Bindung. Die Protonierung des Ferrats(2−) vermindert den
anionischen Charakter des Clusters und führt zur Kontraktion der Metallorbitale. Als
Folge wird eine der geschwächten Eisen-Eisen-Bindungen aufgegeben. Hierdurch fehlen
dem Cluster 2 Elektronen zur 18-Elektronen-Bilanz. Diese werden nun durch den μ3Carbonyl-Liganden ausgeglichen, indem sich dieser einem seiner drei Bindungspartner
zuneigt, so dass der oben beschriebene η2-Mehrelektronen-Bindungsmodus
eingenommen wird (in neuerer Nomenklatur wird aus einem CO-κC-Ligand ein CO-κC,OLigand).
Die zweite Protonierung erfolgt nun am O-Atom des verbrückenden Carbonyl-Liganden,
der nun hinsichtlich Basenstärke und -härte der geeignete Bindungspartner für das Proton
darstellt. Das dritte und vierte Proton erzeugt die Abgangsgruppe H3O+, welche sich vom
Cluster löst; dieser Schritt gelingt nur unter reduzierenden Bedingungen. Hierbei wird nicht
nur die Ladungsdichte erhöht – also Basizität „nachgeladen“ –, sondern der entstehende
Carbidocluster genügt erst nach Aufnahme zweier Elektronen der 18-Elektronen-Regel
(man beachte, dass eine plausible Elektronenzahl für den η2,μ4-COH-Ligand im Edukt
nicht ohne weiteres angegeben werden kann, dass aber der entstehende Carbido-Cluster
wieder eindeutig abgezählt werden kann: 4 × 8 e für 4 Fe + 12 × 2 e von 12 CO + 1 e von
H + 1 e Anionladung + 4 e von C + 5 × 2 e aus 5 Fe–Fe-Bindungen = 72 e; dividiert durch
4 Fe ergibt 18 e pro Fe).
Mit dem letzten Schritt ist die CO-Aktivierung abgeschlossen, die C-O-Bindung ist
vollständig aufgehoben, es ist ein Carbido-Ligand entstanden. Das nächste Proton
erzeugt aus diesem einen Methylidin-Liganden. Die letzten beiden Protonen führen
schließlich zur Destabilisierung und zum Zerfall des Clusters. Aus dem Methylidin-Ligand
ist zum Schluss Methan geworden. (Im folgenden Schema steht das Symbol Fe im Cluster
für ein Fe(CO)3-Fragment.)
68
9.5 Wie zählt man Elektronen?
Bei den beiden letzten Beispielen wurde eine vereinfachte Methode verwendet, um zu
prüfen, ob die 18-Elektronen-Regel erfüllt ist. Die Vereinfachung bestand darin, dass
auf die Zuweisung formaler Oxidationstufen verzichtet wurde. Das Verfahren ist überall
dort üblich, wo die Oxidationsstufe des Zentralmetalls keine besondere Bedeutung hat
wie in weiten Bereichen der Organometallchemie. Solange nur die Frage nach der
Gesamtelektronenbilanz eines Metallkomplexes interessiert, ist es belanglos, welches
Zählverfahren angewendet wird. Wichtig ist nur, die Regeln der verschiedenen Verfahren
nicht zu vermischen. Zur Illustration werden die beiden oben benutzten Rechenmethoden
an einigen Beispielen gegenübergestellt.
Zum Vergleich noch einmal die beiden Rezepte:
Mit formalen Oxidationsstufen: (1) Jedem Ligand wird seine von der IUPAC festgelegte
Ladung zugewiesen; (2) die Oxidationsstufe des Metalls wird bestimmt; (3) die
Elektronenzahlen von Zentralmetall und Liganden werden addiert. In diese Rechnung
gehen geläufige Neutralmoleküle wie Amine, Phosphane, Wasser, CO, Alkene, etc. als 2eDonoren ein; mehrzähnige Liganden werden sinngemäß behandelt. NO ist ein neutraler
3e-Donor. Anionen wie Hydrid, Halogenid, Chalkogenid, Amid, Phosphanid, Alkyl, Alkylen,
Alkyliden, etc. tragen 2 Elektronen je Zentralmetall bei, maximal so viel wie sie freie
Elektronenpaare in geeigneter räumlicher Ausrichtung aufweisen; π-Hinbindungen werden
üblicherweise nicht mitgezählt. Ein Oxido-Ligand ist daher 2e-Donor im terminalen
Bindungsmodus, 4e-Donor als μ2-Ligand und 6e-Donor als μ3-Ligand; der Hydrido-Ligand
ist 2e-Donor in allen Bindungsmodi. Ein η5-Cyclopentadienyl-Ligand ist ein anionischer 6eDonor, η6-Benzol ist ein neutraler 6e-Donor.
69
Die bei diesem Verfahren erhaltenen Oxidationsstufen sind formal und stimmen vor allem
bei radikalischen Liganden oft nicht mit der spektroskopischen Oxidationsstufe überein.
Die Bestimung der formalen Oxidationsstufe kann hier in die Irre führen. Dicarbonyldinitrosyl-eisen, [Fe(CO)2(NO)2], wäre demnach ein Eisen(0)-Komplex, die
Elektronenkonfiguration wäre d8. Man könnte bei dieser Konfiguration und wegen der
Starkfeldliganden auf die Idee kommen, der Komplex sei quadratisch-planar, er ist jedoch
verzerrt tetraedrisch, wie es die spektroskopische Oxidationsstufe auch nahelegt. Um
diese zu ermitteln, muss der elektronische Zustand des Liganden bekannt sein.
[Fe(CO)2(NO)2] enthält nach Struktur- und spektroskopischen Daten den 2e-Donor NO+.
Die spektroskopische Oxidationsstufe des Eisens ist daher −II, es ergibt sich also ein
geschlossenschaliger d10-Komplex. Dass die Idee vom quadratisch-planaren Komplex
nicht gut ist, zeigt sich auch bei formaler Zählweise bei der Elektronenbilanz, die
unabhängig von der Verteilung zwischen Metall und Ligand ist. Mit der formalen
Oxidationsstufe ergibt sich als Summe der Beiträge von Zentralmetall, den Carbonyl- und
den Nitrosyl-Liganden 8 + 2 × 2 + 2 × 3 = 18. Quadratisch-planare d8-Komplexe wie
[Ni(CN)4]2− weisen jedoch 16 Elektronen auf!
Die bei Clustern und in der Organometallchemie übliche Zählweise ist schneller (wenn
man die etwas seltsamen Regeln verinnerlicht hat), ergibt jedoch nicht die Oxidationsstufe
des Zentralmetalls – die hier jedoch meist auch wenig aussagekräftig ist (Cluster) oder nur
wenig interessiert (Organometallchemie). Alle Bausteine werden als neutral angenommen.
Wasserstoff, Halogenatome, Alkylreste und andere einbindige funktionelle Gruppen
tragen nun 1 Elektron bei. Hinzu kommen jeweils 2 Elektronen für jede zusätzliche
koordinative Bindung. Im μ2-Modus sind Halogene daher 3e-Donoren (1 normale +
1 koordinative Bindung). Ein η5-Cyclopentadienyl-Ligand ist ein neutraler 5e-Donor (1
normale Bindung + 2 koordinative Bindungen), η6-Benzol ist ein neutraler 6e-Donor (0
normale + 3 koordinative Bindungen). Ein terminales O-Atom trägt 2 Elektronen bei (1
normale Doppelbindung + 0 koordinative Bindungen), ein μ2-Oxido-Ligand in der Regel 2
(2 normale Bindungen + 0 koordinative Bindung), ein μ3-Oxido-Ligand 4 (2 normale + 1
koordinative Bindungen). Da Neutralmoleküle keine freie Valenzen für normale Bindungen
aufweisen, sondern nur koordinative Bindungen ausbilden (siehe oben bei Benzol), werden
sie genauso behandelt wie bei der ersten Zählmethode.
Beispiele für diese Zählweise sind bei den oben genannten Clustern gegeben, bei denen
eine die Oxidationsstufen einschließende Rechnung sehr umständlich wäre. Beide
Zählweisen führen zu derselben Elektronenbilanz, wie das Beispiel des Tris(μ-bromido)hexacarbonyl-dimanganat(1−)-Ions, [(CO)3Mn(μ-Br)3Mn(CO)3]−, zeigt. Bei einer
Rechnung mit Oxidationsstufen ergibt sich aus der Gesamtladung und der Ladung der
mono-anionischen Bromido-Liganden +I als formale Oxidationsstufe des Metalls:
70
mit Oxidationsstufe
2 MnI 2 × 6 = 12
6 CO 6 × 2 = 12
3 μ-Br− 3 × 4 = 12
Σ
pro Mn
:2
=
=
36
18
neutrale Bausteine
2 Mn 2 × 7 = 14
6 CO 6 × 2 = 12
3 μ-Br 3 × 3 = 9
[ ]−
= 1
Σ
pro Mn
:2
=
36
=
18
Beide Zählweisen ergeben übereinstimmend den 18-Elektronen-Fall. Es sind also keine
Mangan-Mangan-Bindungen zu formulieren. Ein Nachtrag zur Nomenklatur: Die IUPAC
lässt zu, entweder die Gesamtladung (arabische Zahl + Vorzeichen) oder die formale
Oxidationsstufe des Metalls (Vorzeichen + römische Zahl) zur eindeutigen Bezeichnung
zu verwenden. Das Dimanganat-Ion kann also auch Tris(μ-bromido)-hexacarbonyldimanganat(I) genannt werden.
Die etwas gewöhnungsbedürftige Zählweise, dass gleichartige Bindungen willkürlich in
kovalente und koordinative Bindungen unterteilt werden, dass also die 3 Elektronen eines
μ2-Halogeno-Liganden die Summe aus 1 Valenzelektron für die Bindung eines
Halogenatoms an das erste Metallatom und eines Elektronenpaars für eine koordinative
Bindung zum zweiten Metallatom darstellen, spielt auch bei der Interpretation von
Bindungsmodi in Clustern eine Rolle. Einer der vierkernigen Eisencluster im oben
behandelten Schema ist der elektroneutrale Cluster [Fe4(μ-H)(CO)12(η2,μ-CH)]. Dessen
Elektronenbilanz stimmt mit der 18-Elektronen-Regel überein, wenn wie folgt gerechnet
wird:
[Fe4(μ-H)(CO)12(η2,μ-CH)]
4 Fe
4 × 8 = 32
12 CO 12 × 2 = 24
1H
= 1
1 CH
= 5
5 Fe–Fe 5 × 2 = 10
Σ
pro Fe
:4
=
=
72
18
Die Behandlung des Methylidin-Liganden als 5-Elektronen-Donor geht auf das folgende
Bild zurück:
71
Würde das CH-Fragment nur mit seinen drei Valenzelelektronen zum Clusteraufbau
beitragen, wäre die 18-Elektronen-Regel nicht erfüllt. Die Bedeutung der Regel zeigt sich
nun an der Orientierung des CH-Liganden. Das H-Atom, das im geläufigen 3-ElektronenBindungsmodus des CH-Liganden von allen Metallatomen entfernt ist, neigt sich einem
Fe-Atom zu. Hierdurch gehen die beiden Elektronen der C–H-Bindung eine koordinative
Bindung zu diesem Fe-Atom ein, der CH-Ligand wird zum 3+2=5e-Donor und der Cluster
wird elektronenpräzise im Sinne der Regel. Die hier dargestellte Wechselwirkung eines
C–H-Elektronenpaares mit einem Metallatom wird agostische Bindung genannt.
Das Beispiel unterstreicht, dass in der Clusterchemie die Verbindungsstriche zwischen
Atomen nicht notwendigerweise 2e,2z-Bindungen darstellen. Auch wenn unter
Berücksichtigung von Elektronegativitäten und Oxidationsstufen der Methylidin-Baustein
realistischer als CH3−-Ligand betrachtet wird, stehen für die vier eingezeichneten Fe–CBindungen nur drei Elektronenpaare zur Verfügung.
9.6 18-Elektronen-Regel vs. Wadesche Regeln
Die 18-Elektronenregel (die Isolobalbeziehung, die auf dieselbe Wurzel zurückgeht, führt
zum gleichen Ergebnis) ist in der Regel gut erfüllt, solange weniger als ungefähr sechs
Metallatome in einem Cluster enthalten sind. Oktaedrische Metallcluster folgen diesen
Regeln oft nicht. Das Ligand:Metall-Verhältnis ist hier so klein, dass es sich um
Elektronenmangelverbindungen handelt, die den Regeln für den Aufbau anderer
Elektronenmangelverbindungen wie den Boranen folgen. Diese Wadeschen Regeln
verstehen einen Cluster als Derivat eines Deltaeders, dies ist ein Polyeder, der nur
von Dreiecksflächen begrenzt ist. Die trigonale Bipyramide, Oktaeder und Ikosaeder sind
Deltaeder, Würfel nicht. Ein Cluster, dessen Gerüstatome ein Deltaeder bilden, ist ein
closo-Cluster. Dieser tritt bei Nebengruppenmetallverbindungen auf, wenn bei n
Übergangsmetallatomen 14 n + 2 Elektronen eingebracht werden. Wie bei den Wadeschen
Regeln Elektronen zu zählen sind, zeigt ein Beispiel. Unter den vielen Osmiumcarbonylen
und Carbonylosmaten finden sich das trigonal-bipyramidale [Os5(CO)16] und das
oktaedrische [Os6(CO)18]2−. Die Elektronenzahl ergibt sich als Summe der tatsächlich
vorhandenen Elektronen, das heißt, Metall-Metall-Bindungen werden nun nicht mehr
explizit gezählt, da sie in den Regeln berücksichtigt sind. Das fünfkernige Carbonyl weist
daher 5 × 8 + 16 × 2 = 72 Elektronen auf. Mit n = 5 ergibt sich: 14 n + 2 = 14 × 5 + 2
= 72 Elektronen. Für den Cluster wird also der closo-Typ erwartet, was auch zutrifft. Der
closo-Fall sollte bei einem sechskernigen Cluster bei 14 n + 2 = 14 × 6 + 2 = 86 Elektronen
72
auftreten. Man vergleiche mit dem Hexaosmat: 6 × 8 + 18 × 2 + 2 (die Anionladung) = 86
Elektronen.
Das oktaedrische Anion lässt sich mit der 18-Elektronenregel nicht zutreffend beschreiben.
Zu der Summe von 86 Elektronen würden noch 12 × 2 = 24 Elektronen hinzugezählt, um
die 12 Metall-Metall-Bindungen zu berücksichtigen. Als Summe ergibt sich 110 Elektronen;
dividiert durch 6 wird 18 Rest 2 erhalten, der Cluster wäre nicht elektronenpräzise. Wie
oben angemerkt, tritt bei dem nicht-oktaedrischen [Os5(CO)16] noch keine Schwierigkeit
auf. Zu den 72 Elektronen der oben angestellten Rechnung wären 9 × 2 = 18 Elektronen
für 9 Metall-Metall-Bindungen zu addieren. Es ergeben sich dann für das einzelne Os-Atom
90 : 5 = 18 Elektronen.
Sind mehr Elektronen vorhanden als es dem closo-Fall entspricht, entstehen offenere
Strukturen, die sich von Deltaedern durch Weglassen einer oder mehrerer Ecken ableiten.
Fehlt 1 Ecke, liegt eine nido-Struktur vor, 2 fehlende Ecken entsprechen einer arachnoStruktur. Die zugehörigen Elektronenzahlen sind 14 n + 4 und 14 n + 6. Kleinere Cluster
folgen oft sowohl der 18-Elektronenregel als auch den Wadeschen Regeln. Ein Beispiel
sind die oben behandelten Eisencluster [Fe5C(CO)15] und [Fe4(CO)13]2−, für die schon
gezeigt wurde, dass sie der 18-Elektronenregel genügen.
Der Fe5-Cluster weist 5 × 8 + 15 × 2 + 4 = 74 Elektronen auf. Mit n = 5 entspricht dies
dem 14n+4-Fall, es ist also eine nido-Struktur zu erwarten. Bei n = 5 wäre also nach dem
Deltaeder mit n = 6 zu fragen, dem dann 1 Ecke fehlen sollte. Dies trifft zu: das Fe5Gerüst hat die Struktur eines Oktaeders mit einer fehlenden Ecke. Analog stellen die 4 ×
8 + 13 × 2 + 2 = 60 Elektronen des Tetraferrats die 14n+4-Bilanz des nido-Falls für n = 4
dar. Entsprechend fehlt dem einfachsten Deltaeder, der trigonalen Bipyramide, 1 Ecke,
wodurch sie zum Tetraeder wird.
Eine arachno-Struktur ist bei [Fe4(μ-H)C(CO)12]− zu erwarten. Dieser der
18-Elektroneregel entsprechende Cluster enthält 4 × 8 + 12 × 2 + 1 (H) + 4 (C) +1 (Ladung)
= 62 Elektronen. Mit n = 4 ist dies der 14n+6-Fall. Vom Deltaeder mit n = 6 wären also 2
Ecken abzutrennen. Auch dies trifft zu. Die Struktur des Fe4-Gerüsts des Carbido-Clusters
wird erhalten, wenn von einem Oktader 2 benachbarte Ecken entfernt werden.
9.7 Literatur
[cluster_1999]
E. Hunstock, C. Mealli, M. J. Calhorda, J. Reinhold:
Molecular Structures of M2(CO)9 and M3(CO)12 (M = Fe, Ru, Os): New Theoretical
Insights.
Inorg. Chem. 1999, 38, 5053–5060.
doi: 10.1021/ic9905289
73
[nb3cp3co7_1981]
W. A. Herrmann, H. Biersack, M. L. Ziegler, K. Weidenhammer, R. Siegel, D. Rehder:
Carbon monoxide – a six-electron ligand? Synthesis and structural characterization
of
the
unusual
carbonylniobium
cluster
heptacarbonyltris(η5cyclopentadienyl)triniobium.
J. Am. Chem. Soc. 1981, 103, 1692–1699.
doi: 10.1021/ja00397a018
74
10
Die 18-Elektronen-Regel II
10.1 Die 18-Elektronen-Regel in computerchemischen Rechnungen: Ni(CO)4 und Fe2(CO)9
So etabliert und nützlich die 18-Elektronen-Regel als Richtschnur in der
Koordinationschemie und der metallorganischen Chemie auch ist, so unsicher sind
manche konkreten Aussagen zur Bindungssituation eines Komplexes. Einer der
kritischsten Punkte betrifft die Natur der postulierten Bindungen zwischen 3d-Metallen.
In den DFT-Rechnungen, die weiter oben zur Analyse der CO-Valenzschwingungen von
Fe2(CO)9 vorgenommen wurden, findet man eine Fe-Fe-Bindung nicht ohne Weiteres.
Da wir bisher Ausagen zur Elektronenstruktur immer nur aus der MO-Behandlung eines
oktadrischen Komplexes abgeleitet hatten, soll in diesem Abschnitt der 18-Elektronenfall
bei einem tetraedrischen Carbonylkomplex analysiert werden, und zwar bei Tetracarbonylnickel(0). Anschließend sollen die dort gewonnenen Verallgemeinerungen genutzt werden,
um in einer DFT-Rechnung nach der Eisen-Eisen-Bindung zu suchen, die durch die
Abzählregeln für Fe2(CO)9 gefordert wird.
Ni(CO)4
Nickel trägt 28 Elektronen zu Tetracarbonylnickel bei, die vier Carbonylliganden insgesamt
56 Elektronen. Eine All-Elektronen-Rechnung am diamagnetischen Carbonylkomplex
ergibt also 42 doppelt besetzte Orbitale. Davon sind 17 Elektronenpaare stabile
Rumpfelektronenpaare (Ni: 1s, 2s, 3 × 2p, 3s, 3 × 3p; außerdem 8 × 1s der Leichtatome),
des Weiteren darf man die aus der bindenden und antibindenden Wechselwirkung der
2s-Orbitale von C und O resultierenden Orbitale 1σ und 2σ des freien CO als so stabil
ansehen, dass diese 8 MOs im Schema wohl folgen werden. Wir betrachten daher die
Orbitale 26–42. Um sie zuzuordnen, sollte man die Gestalt der CO-Grenzorbitale vor
Augen haben, dem aus C(2pz) und O(2pz) entstandenen 3σ sowie den beiden bindenden
π-Orbitalen 1π und 2π.
Die Zuordnung der 17 Orbitale (wir verwenden GaussView und die formatierte
Checkpointdatei einer b3lyp/tzvp-Rechnung, die Sie mit dieser Eingabedatei selbst
nachvollziehen können oder deren Protokolldatei Sie ansehen können) ist übersichtlich,
75
auch wegen der hohen Symmetrie (Td). In der folgenden Tabelle markiert n den Beitrag
zur 18-Elektronenbilanz:
MO
Sym.
Zuordnung
40, 41, 42 t2
Ni(xy,xz,yz) π-Rückbindungen
38, 39
e
Ni(z2, x2−y2) lone pairs
35, 36, 37 t2
CO(3σ) + Ni(4p)
32, 33, 34 t1
CO(π)
29, 30, 31 t2
CO(π)
27, 28
e
CO(π)
26
a1 CO(3σ) + Ni(4s)
n
6
4
6
0
0
0
2
Es lassen sich einige Regeln erkennen: Bei der Anwendung der 18-Elektronenregel
werden mögliche π-Donor-Bindungen nicht mitgezählt. Die entsprechenden Orbitale
27–34 (e + t2 + t1) haben auch nahezu reinen Ligandcharakter. Die übrigen Orbitale
schließen die Nickel-Valenzorbitale (3d, 4s, 4p) ein: entsprechend den vier DonorElektronenpaaren der vier CO-Liganden treten die vier MOs 26 und 35–37 auf (a1 und t2).
Daneben gibt es die 3d-Elektronenpaare an Nickel (e, t2), die als einsame Elektronenpaare
gesehen werden können, die ihre Elektronendichte im Sinne von Rückbindungen aber
auch in CO(π*)-Orbitale delokalisieren können.
In einer VB-Betrachtung würde man ein Nickelatom mit 5 freien Elektronenpaaren
zeichnen, sowie 4 koordinative Bindungen, die von den CO-Liganden ausgehen und
4 sp3-Hybridorbitale am Zentralatom füllen. Hinzu kämen nun etliche mesomere
Grenzstrukturen, um die Rückbindungen zu berücksichtigen.
Fe2(CO)9
Nun zum heikleren Fall Nonacarbonyldieisen(0). Die 18-Elektronenformulierung führt hier
zu einer Fe-Fe-Einfachbindung (2 × 8 e− + 8 × 2 e− = 34 e− entsprechend 17 e−
pro Eisenatom; wie bei einem 7-e−-Chloratom wird also Dimerisierung unter Ausbildung
einer Einfachbindung erwartet). Eine DFT-Rechnung auf demselben Niveau wie zuvor
(Eingabedatei, Protokolldatei) führt zu 89 doppelt besetzten Orbitalen. Werden die 36
Rumpfelektronenpaare abgezogen, verbleiben 53 Valenzelektronenpaare. Da das
Tetracarbonylnickel-Beispiel gezeigt hatte, dass alle CO-Orbitale unterhalb des
Grenzorbitalbereichs lagen, subtrahieren wir noch einmal 5 × 9 = 45 Orbitale. Es verbleiben
jetzt 8 Grenzorbitale. Bevor diese analysiert werden, hier noch die Gegenprobe:
Die 18-Elektronenregel betrachtet die 2 × 9 = 18 Valenzorbitale (2 × 4s, 6 × 4p, 10
× 3d) der beiden Eisenatome. Da 2 × 17 e− zur Verfügung stehen, sind im SingulettMolekül Fe2(CO)9 17 besetzte Valenzorbitale zu berücksichtigen. Zu diesen zählen auch
die 9 Orbitale mit Metall-s- und -p-Charakter, die durch die 9 Donorbindungen der 9 COLiganden gefüllt werden. Im Grenzorbitalbereich bleiben 17 − 9 = 8 Orbitale – die wir nun
endlich anschauen wollen.
76
Wir laden die formatierte Checkpointdatei einer b3lyp/tzvp-Rechnung in der
Punktgruppe D3h wieder mit GaussView:
MO Sym.
Zuordnung
2 2 2
88, 89 e′′
Fe(x −y , z ), Fe-μ-CO(π*)-Rückbindungen
87
a2′′ Antibindung zu 84!
85, 86 e′′
Antibindung zu 82, 83!
84
a1′ Fe(xy,xz,yz), die Fe-Fe-Bindung
82, 83 e′
Fe(xy,xz,yz), Fe-Fe-bindend
Es zeigt sich, dass es zu jeder Fe-Fe-bindenden Wechselwirkung eine antibindende
Wechselwirkung gibt. In der Literatur wird dementsprechend seit Jahrzehnten um die FeFe-Bindung gestritten. In der neuesten verfügbaren Arbeit [fe2co9_bonding_2007]
wird eine schwache Bindung gefunden und zwar so: man betrachte vor allem Bindung (MO
84) und Antibindung (MO 87) genauer. Die Antibindung weist an den BrückencarbonylLiganden höhere Koeffizienten auf, sie ist in eine Wechselwirkung zu CO(π*)-Orbitalen
delokalisiert. Durch die Beteiligung an der Rückbindung schwächt sie die Fe-Fe-Bindung
weniger.
Im VB-Formalismus entspricht ein doppelt besetztes Molekülorbitalpaar jeweils einem
freien Elektronenpaar an jedem Atom. Man würde also die MOs 84 und 87 an das FeAtompaar lokalisieren, indem man jedem Fe-Atom ein freies Elektronenpaar zuweist.
Hinzu kommen nun mesomere Grenzformen, in denen eine Fe-Fe-Bindung formuliert wird
und das zweite Elektronenpaar für eine Rückbindung zu einem Brücken-CO-Liganden
verwendet wird. Die 18-Elektronenregel gilt dabei nur für die Fe-Fe-gebundenen Formen.
Das hier geschilderte Problem zeigt die Grenzen einer strikten Isolobalbehandlung. Es
tritt gehäuft auf, wenn in Mehrkernkomplexen von 3d-Zentralmetallen Donor/AkzeptorBrückenliganden vorkommen.
10.2 16e-d8-Komplexe, Vaskas Komplex
16e-d8-Komplexe bilden neben großen Clustern eine wichtige Ausnahme von der 18eRegel. Im Gegensatz zum stark antibindenden x2−y2-Orbital, das unbesetzt bleibt, ist
das z2-Orbital durch das Fehlen der beiden Liganden, mit denen im Oktaeder eine
antibindende Wechselwirkung vorläge, nicht destabilisiert. Durch die Besetzung des z2Orbitals mit zwei Elektronen enthält ein quadratisch-planarer d8-Komplex zwei
metallständige Valenzelektronen mehr als ein oktaedrischer Komplex. Das gefüllte, in
den Raum hinausragende z2-Orbital gibt dem Metallzentrum Basizität, außerdem ist es
Angriffspunkt für Oxidationsreaktionen. Solche Reaktionen sind in großem Umfang mit
„Vaskas
Komplex“,
trans-Bis(triphenylphosphan)-carbonyl-chlorido-iridium(I),
trans-[Ir(PPh3)2(CO)Cl)], untersucht worden. Die Metallbasizität zeigt sich zum Beispiel bei
77
der Reaktion mit NO+BF4−, bei dem ein Lewis-Säure/Base-Addukt entsteht, in dem das
Iridium-Zentrum als Lewis-Base eintritt:
Man beachte, dass bei üblicher Zählweise das bindende Elektronenpaar zwischen Ir und
N dem elektronegativeren Stickstoff zuzuweisen wäre, dass also ein NO−-Ligand vorliegt –
NO+ ist oxidativ addiert worden. Die Anbindung ist nicht linear wie in dem besonderen Fall
des [Fe(H2O)NO]2+-Ions, bei dem ein Triplett-NO− diskutiert wurde. Die hier vorliegende
gewinkelte Ir-N-O-Gruppe (124° im Tetrafluoridoborat des abgebildeten Ions; in dessen
Kristallstruktur liegt das Anion in räumlicher Nähe zum Komplexkation vor, so wie dies
im Schema angedeutet ist) entspricht vielmehr dem häufiger beobachteten Fall eines
Singulett-NO−-Liganden, der durch eine Lewis-Formel der Art
angemessen beschrieben wird. Ist das Gegenion des Elektrophils ein besserer Ligand als
das Tetrafluoridoborat-Ion, so ergänzt dieses die Koordinationsspäre des Iridiums. Dies gilt
auch für die Abgangsgruppe bei der Reaktion von Vaskas Komplex mit polaren Substraten
wie den Halogenwasserstoffen oder Iodmethan (im folgenden Schema rechts):
78
Die mit HX oder CH3I ablaufende oxidative Addition an ein polares Substrat wird durch
einen nucleophilen Angriff des basischen Metallzentrums auf den positiv polarisierten
Molekülteil des Substrats eingeleitet. Bei Iodmethan entspricht dies der bekannten
SN2-Reaktion mit einem Nucleophil, bei der Iodid als Abgangsgruppe fungiert. Bei der
Umsetzung mit Vaskas Komplex füllt das Iodid-Ion die Koordinationslücke am formalen
Iridium(III)-Zentrum auf, und zwar in trans-Position zum eingetretenen Elektrophil (das
kinetische trans-Produkt lagert sich bisweilen zum cis-Produkt um, wenn dieses stabiler
ist). Man beachte die Ursache der 2-Elektronen-Oxidation: das Elektrophil bindet in der
Regel über ein Atom an das Metallzentrum, das elektronegativer als das Zentralmetall
ist. Das vom basischen Metallzentrum eingebrachte Elektronenpaar wird im entstehenden
Lewis-Säure-Base-Addukt dem elektronegativeren Ligand zugerechnet – das Metall hat
wie im Fall der NO+-Addition formal 2 Elektronen abgegeben.
Auf der linken Seite des Schemas sind zwei Reaktionen angeführt, die ebenfalls einen
wichtigen Elementarschritt der Organometallchemie darstellen, die oxidative Addition an
ein unpolares Substrat. Diese Reaktion wird oft einfacher als cis-Addition bezeichnet. Die
Addition verläuft hier prinzipiell verschieden. Das unpolare Substrat nähert sich hier mit
seiner Element-Element-Bindung dem Metallzentrum. Anschließend bilden sich in einer
konzertierten Reaktion die beiden neuen Metall-Element-Bindungen. 2 Elektronen der
neuen Bindungen stammen vom bindenden Elektronenpaar des Substrats, 2 Elektronen
stammen vom Metall. Auch hier handelt es sich um eine 2-Elektronen-Oxidation, da alle
4 bindenden Elektronen der beiden Metall-Element-Bindungen nach der Reaktion den
elektronegativeren Nichtmetall-Atomen zugewiesen werden. Die Umkehrreaktion der cisAddition ist die reduktive Eliminierung.
79
10.3 Wird [Fe(CO)4]2− H2 addieren? – Wird [Fe(CO)4]
H2 addieren?
Die cis-Addition verläuft nicht nur mechanistisch anders als die Addition eines polaren
Substrats, auch die elektronischen Voraussetzungen unterscheiden sich. 18-ElektronenKomplexe sind zur cis-Addition nicht in der Lage – sie hätten nach der Reaktion 20
Elektronen. Der elektrophile Teil polarer Substrate kann jedoch oxidativ addiert werden,
auch ohne dass anschließend eine Abgangsgruppe koordiniert. Beispiele wurden schon
behandelt. So ist neben der NO+-Anlagerung die Protonierung von Carbonylmetallaten
eine oxidative Addition ohne Veränderung der gesamten Elektronenbilanz. Man überzeuge
sich anhand der Reaktionen
[Fe(CO)4]2− + H+ = [HFe(CO)4]− und
[HFe(CO)4]− + H+ = [H2Fe(CO)4]
Die in Katalysecyclen wichtige cis-Addition ist demnach nur zu erwarten, wenn eine um
zwei Einheiten höhere Oxidationsstufe zur Verfügung steht und zugleich in der oxidierten
Form zwei Koordinationsstellen frei sind. Diese Bedingungen werden vor allem von
quadratisch-planaren d8-Komplexen erfüllt.
Es ist nicht trivial, deren Auftreten abzuschätzen. d8-Zentren, die ein 4d- oder 5d-Metall,
und neben Donor/Acceptor- auch noch Halogenido-Liganden enthalten, sind zuverlässig
quadratisch-planar. Neben diesen Lehrbuchbeispielen gibt es vor allem bei den in
Katalysecyclen wichtigen reaktiven Zwischenstufen einige Unsicherheit.
Ein Beispiel ist [HCo(CO)3], das im Katalysecyclus der Oxo-Synthese auftritt und das durch
CO-Abspaltung aus dem 18-e-Komplex [HCo(CO)4] entsteht. Die Struktur von [HCo(CO)3]
ist in der Literatur umstritten. In der jüngsten Arbeit ergibt sich als stabilste Form ein
planares Molekül im Singulett-Zustand [hcoco3_2002]. Dessen C2v-Symmetrie ergibt
sich aus einer quadratisch-planaren Anordnung, bei der die zum H-Atom cis-ständigen
CO-Gruppen etwas vom trans-CO weg und damit zum H-Atom hingebogen sind. Die hier
gezeigten Regeln (CoI als d8-Zentrum, 4 Liganden, 16e insgesamt → quadratisch-planare
Anordnung) führen also zum richtigen Ergebnis – falls nicht bei weiteren Rechnungen
wieder alles anders wird.
Dieses Ergebnis ist jedoch eher unerwartet. So ist das verwandte, bei der Photolyse von
[Fe(CO)5] entstehende [Fe(CO)4] weder dem experimentellen Befund noch der Rechnung
nach quadratisch-planar [16e1]. Die Struktur des Singulett-Zustands, dem diese
Geometrie zugetraut werden kann, ist vielmehr eine trigonale Bipyramide, der einer der
drei äquatorialen Liganden fehlt. Überdies ist das Singulett nicht der Grundzustand
sondern ein Triplett mit stark verzerrter tetraedrischer Geometrie – ganz im Sinne des
Isolobalkonzepts, bei dem Sie 16e-Metallcarbonyle als zweibindinge Fragmente
kennenlernen. Für den Fortgang von Reaktionen sind solche Ergebnisse von Bedeutung.
Für ein [Fe(CO)4] im Singulettzustand ist die oxidative Addition von H2 zum bekannten
80
[H2Fe(CO)4] ohne weiteres zu erwarten, für ein Triplett-[Fe(CO)4] ist die Reaktion jedoch
spinverboten [feco4_2003].
10.4 Literatur
[fe2co9_bonding_2007]
J. Reinhold, O. Kluge, C. Mealli:
Integration of Electron Density and Molecular Orbital Techniques to Reveal
Questionable Bonds: The Test Case of the Direct Fe–Fe Bond in Fe2(CO)9.
Inorg. Chem. 2007, 46, 7142–7147.
doi: 10.1021/ic700390v
[feco4_2003]
J. N. Harvey, R. Poli:
Computational study of the spin-forbidden H2 oxidative addition to 16-electron Fe(0)
complexes.
Dalton Trans. 2003, 4100–4106.
doi: 10.1039/B302916F
[hcoco3_2002]
C.-F. Huo, Y.-W. Li, G.-S. Wu, M. Beller, H. Jiao:
Structures and Energies of [Co(CO)n]m (m = 0, 1+, 1−) and HCo(CO)n: Density
Functional Studies.
J. Phys. Chem. A 2002, 106, 12161–12169.
doi: 10.1021/jp0270710
81
11
CO und N2: Isosterie in der
Koordinationschemie
Es ist schon verrückt: N2 ist viel schwerer zu reduzieren als das isostere CO,
trotzdem befasst sich die Koordinationschemie seit langem und immer intensiver
mit der Reduktion von gebundenem N2 – während die offensichtliche Ladungsübertragung von Metallen in niedriger Oxidationsstufe auf einen Carbonylliganden
durch eine Rückbindung kaum als Reduktion angesehen wird. Da in den letzten
Jahren viele neue N2-Komplexe mit dem Zentralmetall Eisen beschrieben wurden,
schauen wir dort und beim homologen Ruthenium einmal genauer hin.
11.1 Elektronenstruktur von CO und N2
Ein Blick auf den Grenzorbitalbereich gibt eine Idee, warum N2 kein berauschender Ligand
ist:
82
2π
LUMO
HOMO
−10
E/eV
1π
3σ
−20
2σ
−30
1σ
−40
C
O
N
N
Valenzorbitale von CO und N2 (mp2/cc-pvtz, isovalue 0.02).
11.2 CO und N2 als Liganden
CO ist ein neutraler 2-Elektronen-Donor. Eine Rückbindung wird im Rahmen der IUPACRegeln nicht im Sinne einer 2-Elektronen-Reduktion des CO-Liganden interpretiert. Diese
Betrachtungsweise ist mit der Behandlung von zum Beispiel Wasserstoff-Liganden nicht
83
ganz konsistent. Bindet die Metallbase [Co(CO)4]− mit einem an Cobalt zentrierten
Elektronenpaar ein Proton, so wird das Metallzentrum formal um 2 Elektronen oxidiert, da
das Produkt als Hydrido-cobalt(I)-Komplex betrachtet wird – H ist elektronegativer als Co,
so dass die beiden Bindungselektronen dem Wasserstoff zugerechnet werden. Anlagerung
oder Entfernung eines CO-Liganden ist dagegen für die formale Oxidationsstufe ohne
Wirkung, obwohl eine ähnliche Argumentation die Rückbindung dem CO-Liganden
zuweisen könnte, der dadurch zum CO2− würde.
Bei N2-Liganden hat es sich eingebürgert, dessen Beladung eingehender zu hinterfragen
(wohl deswegen, dass N2-Koordination oft durch dessen Nitrogenase-analoge Reduktion
motiviert war). Einen experimenteller Zugang erlauben Diagramme, in denen der
Atomabstand in einem zweiatomigen Liganden E2 gegen die E-E-Valenzfrequenz
abgetragen wird (der resultierende Verlauf wird als Badgers Regel bezeichnet [Badger's
rule]). Figure 4 in [dinitrogen_2010] zeigt ein solches Diagramm, in das als
Stützpunkte neben N2 auch N2H2 und N2H4 eingetragen sind. (Wir diskutieren den
Unterschied zu Figure 3 in derselben Publikation.)
Ruthenium-N2-Komplexe
Das Chlorid des Pentaammin-distickstoff-ruthenim(II)-Kations war der erste isolierte N2Komplex (1965). Ein ähnlicher Aufbau wird bei [RuIIF(tmc)(N2)]+ (tmc =
1,4,8,11-tetramethyl-1,4,8,11-tetraazacyclotetradecane)
in
[dinitrogen_ru_2010]gefunden, dessen Röntgenstrukturanlyse (Figure 1) einen N-NAbstand von 1.144(8) Å ergibt sowie eine N-N-Valenzschwingung bei 2064 cm−1 im IRSpektrum. Die Zahlenwerte sind typisch für einen Distickstoff-Neutralliganden.
11.3 Eisen-N2-Komplexe
Ob N2-Bindung adäquat mit oder ohne N2-Reduktion beschrieben werden sollte, hängt
von der Reduktionskraft des Zentralmetalls ab und zeigt daher die erwarteten Trends
im Periodensystem (Figure 9 in [dinitrogen_2010]) und der Oxidationsstufe des
Zentralmetalls.
Weitere N2-κN-Komplexe sind mit Eisen(II) bekannt. Erwartungsgemäß sind weder der
N-N-Abstand noch die N2-Valenzfrequenz nennenswert anders als bei freiem N2, wie
dies Tabellen mit Eisen(II)- und Eisen(0)-Komplexen in [dinitrogen_review_2010]
zeigen.
Dementsprechend ziehen derzeit Eisenkomplexe Aufmerksamkeit auf sich, in denen der
Dinitrogen-Ligand
aktiviert
zu
sein
scheint
(Table
1
in
[dinitrogen_fe_activation_2010]) und Figure 6 in [dinitrogen_2010].
84
11.4 Literatur
[dinitrogen_fe_activation_2010]
Y. Lee, N. P. Mankad and J. C. Peters:
Triggering N2 uptake via redox-induced expulsion of coordinated NH3 and N2
silylation at trigonal bipyramidal iron.
Nat. Chem. 2010, 2, 558-565.
doi: 10.1038/nchem.660
[dinitrogen_ru_2010]
T. Kizaki, T. Abe, T. Matsumoto and S. Ogo:
A pH-stable Ruthenium(II)-based Sensing System for Dissolved Dinitrogen.
Chem. Lett. 2010, 39, 128-129.
doi: 10.1246/cl.2010.128
[dinitrogen_review_2010]
J. L. Crossland and D. R. Tyler:
Iron––dinitrogen coordination chemistry: Dinitrogen activation and reactivity.
Coord. Chem. Rev. 2010, 254, 1883–1894.
doi: 10.1016/j.ccr.2010.01.005
[dinitrogen_2010]
P. L. Holland:
Metal-dioxygen and metal-dinitrogen complexes: where are the electrons?
Dalton Trans. 2010, 39, 5415–5425.
doi: 10.1039/C001397H
[dinitrogen_activation2_2010]
N. Hazari:
Homogeneous iron complexes for the conversion of dinitrogen into ammonia and
hydrazine.
Chem. Soc. Rev. 2010, 39, 4044–4056.
doi: 10.1039/B919680N
85
12
Allgemeine Literatur
Aktuelle Literatur zum Gebiet Koordinationschemie ist derzeit rar. Es wird daher
empfohlen, eines der aktuellen allgemeinen Lehrbücher der Anorganischen Chemie zu
nutzen. Hier einige neuere Bücher in umgekehrter Reihenfolge ihres Erscheinungsjahrs:
P. Atkins, T. Overton, J. Rourke, M. Weller, F. Armstrong: Inorganic Chemistry, Oxford
University Press, 2009,, ISBN: 978-0199236176.
C. E. Housecroft, A. G. Sharpe: Inorganic Chemistry, Pearson, 2008, ISBN:
978-0-13-175553-6.
N. Wiberg: Lehrbuch der Anorganische Chemie, de Gruyter, 2007, ISBN:
978-3110177701.
E. Riedel, R. Alsfasser, C. Janiak, T. M. Klapötke: Moderne Anorganische Chemie, de
Gruyter, 2007, ISBN: 978-3110190601.
86
13
Anhang: Zahl ungepaarter paralleler
Spins (n), μeff = {n(n+2)}1/2 und χT = μeff2/8
n
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
μeff
0.00
1.73
2.83
3.87
4.90
5.92
6.93
7.94
8.94
9.95
10.95
χT
0.000
0.375
1.000
1.875
3.000
4.375
6.000
7.875
10.000
12.375
15.000
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