Servotechnik von Lenze bringt revolutionäres Teleskop in Position_2

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ALMA schaut ins All
Servotechnik von Lenze bringt revolutionäres Teleskop in Position
Der Weltraum – unendliche Weiten. Während Captain Kirk und die Besatzung der
Enterprise ferne Galaxien mit Warp-Geschwindigkeit erreichen, muss die reale Weltraumwissenschaft dafür nicht mal von der Erde abheben. In rund 5000 Metern Höhe, in der
Atacamawüste von Südamerika, steht ALMA, das aktuell größte bodengebundene Radioteleskop der Welt. Und Lenze-Servoregler der Reihe 9400 sind an diesem internationalen Gemeinschaftsprojekt beteiligt. Sie bringen einen Teil der Parabolantennen exakt in Position –
damit weder Unschärfe noch Spiralnebel den Blick ins All trüben.
Hinter ALMA, die Abkürzung steht für Atacama Large Millimeter Array, stecken 66 Präzisionsantennen, die zu einem bisher einzigartigen Teleskopverbund zusammengeschlossen sind.
Alle 66 Antennen sind mobil und können umgesetzt werden, um die Array-Konfiguration zu
verändern. Damit bekommen die Wissenschaftler ein leistungsstarkes Zoom-Objektiv an die
Hand, dessen Brennweite bestimmt wird von der Anordnung der Einzelantennen zueinander.
Die Abstände liegen zwischen 150 Metern und 16 Kilometern.
Jede Antennenschüssel sammelt Strahlung aus dem Weltall und fokussiert sie auf einen Empfänger. Die Signale der einzelnen Antennen werden zusammengeführt und in einem speziellen Supercomputer, dem sogenannten ALMA-Korrelator, für die Weiterverarbeitung aufbereitet.
Antennen ragen in der Atacama-Wüste im Norden Chiles in den Sternenhimmel.
Die großen Entfernungen, die die Wissenschaftler bei der Beobachtung des Kosmos überwinden, machen deutlich, warum ein hochgenaues Antriebssystem für die Antennen gefragt ist:
Jede einzelne muss exakt in Position gebracht und während einer laufenden Observation im
Verbund synchron nachgeführt werden können. Bereits kleinste Ungenauigkeiten würden
Unschärfen verursachen.
Anspruchsvolle Antriebsauslegung
Bei der Auslegung der Antriebstechnik stand das Projektteam vor der Herausforderung, trotz
der großen mechanischen Ausmaße sowie Umweltbedingungen wie Sand, Kälte und Windlas
ten genau diese Präzision bei der Positionierung zu erreichen. „Wir bewegen uns technisch in
einem sehr speziellen Bereich. Vom Anspruch her liegt er in der oberen Ecke“, fasst Klaus
Willmeroth, Leiter des Bereichs Servoantriebs- und Steuerungstechnik bei Vertex Antennentechnik GmbH aus Duisburg zusammen. Vertex hat 25 der 66 Antennen konzipiert und technisch ausgerüstet. Der Auftrag für das Gesamtprojekt ist aufgeteilt auf Nordamerika, Europa
und Ost-Asien. „Wir bedienen mit unserer deutschen Technik gemeinsam mit Lenze den amerikanischen Teil des Auftrags“, erklärt Willmeroth, denn Vertex gehört zu einem US-Konzern.
Was Willmeroth mit „in der oberen Ecke“ meint, macht eine Zahl deutlich:
Der Reflektor mit 12 Meter Durchmesser muss an seinem äußeren Rand auf ca. 0,03 Millimeter genau positioniert werden – Verformungen durch Wind und Temperatur bereits eingeschlossen“, macht der Diplomingenieur deutlich. Eine Position einmal einzustellen ist aber nur
eine Sache, sie zu halten ist die Herausforderung, denn ALMA wird bei seinen Beobachtungen
aufgrund der Erddrehung ständig nachgeführt. Dabei darf die Reflektorposition nur um höchstens 0,01 Millimeter von der Sollbahn abweichen. Dafür sind die Antennen mit 6 Servoantriebsachsen von Lenze ausgestattet: 2 bilden den sogenannten Azimuthantrieb für die Drehbewegung, 4 Achsen übernehmen die Elevation – also das vertikale Verfahren der Parabolspiegel. Als Servoregler sind für beide Aufgaben Geräte der Reihe 9400 von Lenze in der HighLine-Ausführung mit CAN-Kommunikation zum zentralen Vertex-Antennenrechner im Einsatz.
Der Schaltschrank steht auf der Antenne im Freien und ist Wind und Temperatur ausgesetzt. Alle Komponenten im Schrank sind auf geringe EMV-Abstrahlung ausgelegt worden, sodass der Empfang der
Signale aus dem Weltall nicht beeinträchtigt wird.
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Auf dem Weg in die Wüste: Eine der 66 Antennen beim Transport.
Neben der generellen Positioniergenauigkeit ist bei der Antriebsauslegung die Höhe, in der
die Radioteleskope stehen, eine weitere Herausforderung. Weil die Luft auf 5000 Metern
deutlich dünner ist als in den Produktionsanlagen mit nahe Normalnull, hat dies Auswirkungen auf die Spannungsfestigkeit. Es besteht ein höheres Risiko von Spannungsüberschlägen.
Darüber hinaus sorgt die Höhe nicht nur bei Bergsteigern dafür, dass ihnen die Puste ausgeht.
„Die Verlustwärme wird in der Atacamawüste schlechter abgeführt als in tiefer liegenden
Regionen“, erklärt Willmeroth.
Intensive fachliche Applikationsbegleitung
Angesichts dieser nicht alltäglichen Bedingungen war Vertex bereits in der frühen Projektphase auf der Suche nach einem Antriebstechnikhersteller, der bereit war, sich diesen besonderen Anforderungen zu stellen. Lenze simulierte zum Beispiel die Höhe von 5000 Metern in der
Unterdruckkammer der TU München, um die Verfügbarkeit der Technik in einem Betriebstemperaturbereich von –20 bis +50 Grad Celsius belastbar zu verifizieren. Ferner haben Applikationsingenieure des Spezialisten für Motion Centric Automation das Projekt über Jahre
fachlich intensiv begleitet.
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Welche Dimension das Projekt ALMA weltweit annimmt, belegt der im Vergleich zum Maschinenbau enorme Zeitraum von den anfänglichen Skizzen bis zur Eröffnung: Alma wurde in den
90er Jahren geplant Erste Gespräche zwischen Vertex und Lenze gab es bereits 1999 – zu einem Zeitpunkt, als es die 9400er-Serie von Lenze noch gar nicht gab. In den Jahren 20012003 wurde von Vertex in den USA ein Prototyp gebaut, seinerzeit noch mit Lenze-Reglern
der Baureihe 9300. 2006 wurde entschieden, für die Produktionsphase die damals noch
brandneuen L-force-Reihe 9400 in der Ausbaustufe HighLine zum Einsatz zu bringen. Damit
stellte Vertex seinerzeit die langfristige Verfügbarkeit der Antriebselektronik sicher. Bei einer
Laufzeit von ALMA von 30 Jahren muss sichergestellt sein, dass gleiche oder zumindest kompatible Geräte auch in zehn Jahren noch lieferbar sind. Weitere Vorteile des Umstiegs auf die
neue Baureihe waren die besseren Konfigurierbarkeit sowie wesentlich vereinfachte Wartungsvorgänge.
Spektakuläre Bilder und neue Erkenntnisse
Wie gut die von Vertex und Lenze gemeinsam konzipierte Lösung aktuell arbeitet, zeigt ALMA
mit spektakulären Aufnahmen. Beim noch jungen Stern HL Tauri – etwa 450 Lichtjahre von
der Erde entfernt – übertrifft das Bild zum Beispiel alle Erwartungen: Es zeigt unerwartet feine
Details in der Materiescheibe, die von der Geburt des Sterns zurückgelassen wurde. Sichtbar
sind eine Reihe konzentrischer heller Ringe, getrennt von dunklen Lücken. „Die neuen Ergebnisse sind ein großer Schritt nach vorne in der Beobachtung der Entwicklung protoplanetarer
Scheiben und der Entstehung von Planeten“, informiert die ESO. Das European Southern Observatory – auch Südsternwarte genannt – gehört zu den wissenschaftlichen Treibern, die
ALMA geplant haben und betreiben.
Vorrangige Aufgabe des Observatoriums Chajnantor auf der gleichnamigen Andenhochebene
ist es, Bilder von der Geburt neuer Sterne, junger Galaxien im frühen Universum sowie von
der Entwicklung neuer Planeten im Umkreis ferner Sterne zu liefern. ALMA wurde darüber
hinaus gebaut, um die Verteilung und das generelle Vorkommen lebensnotwendiger Moleküle im interstellaren Raum zu analysieren. Die Wissenschaftler sind überzeugt, dabei auch zahlreiche neue Verbindungen zu entdecken. ALMA beobachtet den Kosmos dafür in einem für
das menschliche Auge unsichtbaren Wellenspektrum.
Fazit
Das derzeit weltgrößte Radioteleskop in den nordchilenischen Anden beweist eindrucksvoll
seine Leistungsfähigkeit mit hochauflösenden Bildern aus den Tiefen der Galaxis. Diese Ausbeute zeigt, was mit aktuell verfügbarer Technik möglich ist, wenn die verschiedensten Akteure in einem Projekt eng und sogar über Kontinente hinweg zusammenarbeiten. Im Maschinenbau entwickeln sich immer mehr enge Engineering-Partnerschaften – eine Kultur, die in
der Wissenschaft schon seit Jahrzehnten gepflegt wird und interdisziplinäre Forschung heißt.
Übrigens:
Aktuell sind die ersten Prototypenantennen des Square Kilometre Array (SKA) in Südafrika im
Bau – ebenfalls mit Lenze-Antriebstechnik im Inneren der Anlagen von Vertex.
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