Der Gilden-Dienst Nr. 33-2016 – 15.8.2016 Looping Von Leonie Krippendorff (Salzgeber, Kinostart 25. August 2016) Drei Frauenschicksale. Leila ist eine 19jährige hübsche junge Frau, die allerdings nicht sehr auf ihre Eltern zählen kann. Deshalb gerät sie auch in abwegige bis gefährliche Situationen, wird sexuell angegriffen. Es dauert also nicht lange, bis sie nach einer offenbar chaotischen Nacht in einem Therapie-Zentrum landet. Frenja, 35, hat Mann und Kind, fühlt sich aber trotzdem und auch nach einer lustigen Geburtstagsfeier mit Freunden eher allein und traurig; offenbar leidet sie an Anorexie. In ihrer Suche nach Halt ist auch für sie das Psychiatriezentrum die nächste Station. Ann, 52, scheint an ihrer Bindungslosigkeit zu leiden. Sie betritt eine Wohnung und stößt sofort auf eine Todesanzeige. Das verbessert ihren Zustand sicherlich nicht. Sie ist im Therapie-Zentrum die dritte Frau. So unterschiedlich sie sind, freunden sich die drei Frauen dort an, schaffen es sogar, ein gemeinsames Zimmer zu bekommen, büchsen nachts aus zum Schwimmen im Pool, manchmal ist auch eine Disco drin. Joints fehlen keineswegs. Sie unternehmen Spaziergänge, sind zärtlich zueinander, verlieben sich ineinander; da ist auch manchmal Eifersucht nicht ausgeschlossen. Einmal, gemeinsam am Strand, bekommen es Leila und Frenja mit der Angst zu tun, als sie befürchten, Ann komme aus der Flut nicht mehr zurück. In den Gedanken der drei ist nämlich der Tod nicht allzu fern. Es gibt in diesem Film einen sehr schönen diesbezüglichen Passus, in dem erklärt wird, wie im hohen Norden die Inuits bewusst in den Tod gehen, wenn sie spüren, dass die Lebenszeit erfüllt ist. Was in diesem Hochschulfilm an dramatisierter Handlung fehlt, wird mehr als ausgeglichen durch intime Frauenportraits, durch Sinnlichkeit, durch Zärtlichkeit, durch Psychologie, durch Träume, durch Stimmungen, durch beachtliche bildliche Passagen – durch einen gewissen unvermeidlichen Schmerz auch . . . . . . und durch exzellente Darstellung. Jella Haase, die die Leila spielt und auf die sich verständlicherweise der Film stark konzentriert, ist ein echtes Talent, von dem noch zu hören und zu sehen sein wird. Doch auch Lana Cooper als Frenja und Marie-Lou Sellem als Ann glänzen. Ein Film für den Arthouse-Bereich. El Olivo Von Iciar Bollain (Piffl, Kinostart 25. August 2016) Olivenbäume werden alt, sehr alt, manchmal Hunderte von Jahren. Das gilt auch für viele Bäume der spanischen Plantage von Almas Großvater. Der hält sich oft bei seinen Olivenbäumen auf – und nimmt mitunter auch die zehnjährige Alma mit. Jahre später. Alma ist erwachsen. Ihrer Familie allerdings geht es wirtschaftlich nicht gut. Sie musste schon vom Olivenöl auf die Zucht von Küken umstellen. Einige aus der Familie kommen auf die Idee, man könnte für viel Geld einen der uralten riesigen Olivenbäume verkaufen. Gesagt, getan. Das Strandrestaurant, das für das erhaltene Geld angeschafft wurde, fällt der Finanzkrise zum Opfer. Für den Großvater ist all das zu viel und zu schmerzlich, er wird bis zu seinem Tod kein Wort mehr sagen. Empörend ist das alles auch für Alma. Sie bringt in Erfahrung, dass der verkaufte Olivenbaum die Vorhalle einer Düsseldorfer Energiefirma ziert. Sie will den Baum unter allen Umständen wiederhaben. Sie erfindet einen Pastor, der ihr angeblich helfen wird; sie trifft auf eine Gruppe deutscher Umweltschützer, die gegen die Energiefirma zu protestieren bereit ist; und sie setzt durch, dass ihr Onkel Alcachofa sowie ihr Arbeitskollege Rafa mit ihr in einem Riesenlaster nach Düsseldorf fahren, um den schönen alten Baum wieder in die Heimat zu bringen. Daraus wird eine wahrhaft abenteuerliche Reise. Den Baum erhält sie nicht zurück, jedoch einen Zweig davon. Dieser wird an der Stelle, an der der alte Baum stand, eingepflanzt. Hoffentlich wächst er, hoffentlich wird er alt, und hoffentlich werden wir in Zukunft nicht mehr so viele Fehler machen wie bisher, sagt Alma. In erster Linie ist das eine humane, emotionale, elegische Geschichte über die beteiligten Menschen (Drehbuch Paul Laverty). Sie zeigt aber auch den Unterschied zwischen den Generationen auf. Sie stellt zur Diskussion, ob der Markt und die Finanzen mehr gelten als alte Werte. Sie mobilisiert den Gerechtigkeitssinn einer jungen Frau. Sie spricht zudem das Problem des Umweltschutzes und des nötigen Energiewandels an. Sie beleuchtet indirekt den Zustand der spanischen Wirtschaft und Gesellschaft. Das Aufzeigen all dieser Zustände und Probleme wirkt auf den Betrachter durchaus positiv, menschlich, des Ansehens wert. Verstärkt wird die Wirkung durch das exzellente Spiel der Darsteller. Das gilt für Javier Gutierrez als Alcachofa oder für Pep Ambros als Rafa - in erster Linie jedoch für Anna Castillo als Alma. Wie durchgehend intensiv sie spielt, das ist schon künstlerisch hochinteressant. Filmkunsttheatern und Programmkinos zu empfehlen. Alles was kommt Von Mia Hansen-Love (Weltkino, Kinostart 18. August 2016) „Alles was kommt“ ist ein guter Titel für diesen Film, denn auf die in Paris dozierende Philosophielehrerin Natalie kommt wirklich eine Menge zu: Diskussionen mit ihren Schülern und Demonstrationen, die den Generationenunterschied sehr deutlich machen; Enttäuschung über ihren Verlag, der ihre Texte ablehnt und ihr kündigt; die Affäre ihres Mannes mit einer anderen Frau, was nach 25 Jahren zur Trennung führt; die Schwierigkeiten mit ihrer Mutter, die depressiv ist, ins Heim muss und dann stirbt; ja sogar Banalitäten wie ihre Sorge um die Katze Pandora. Besser geht es mit den Ideen ihres Lieblingsschülers Fabien, doch auch diese Gegensätze sind nicht jedes Mal leicht zu überbrücken, obwohl die beiden wirklich ein enges und gutes Verhältnis haben. Womit wird die frühere Kommunistin Natalie, jetzt, wo sie allein ist, ihr Leben, ihr geistiges Leben speisen? Es ist die Philosophie, es ist Schopenhauer, es ist die Frankfurter Schule, es sind Horkheimer und Adorno. Es sind Diskussionen über Rousseaus Contrat Social (Gesellschaftsvertrag), es geht um das offenbar mehrfache, nicht genau zu definierende Wesen der Wahrheit, um die Unterscheidung zwischen Radikalität und Terrorismus. Man müsse selbständig denken und „das Leben mit unseren Ideen in Einklang bringen“, sagt sie. Selbst in der Kirche, in der Begräbnisrede für die Mutter dominiert die Philosophie. Sie ist jetzt frei, bewältigt ihr tagtägliches Leben gut, besucht mehrfach Fabien und dessen Freunde in einer herrlichen Landschaft - und doch kann man sicher sein, dass sie sich auch allein fühlt, leidet. Aber sie hat sich eine Devise zusammengebastelt: „Ein intellektuelles Leben reicht mir, um glücklich zu sein.“ Man wünscht ihr, dass es so ist. Der schöne Schlusssong und das herrliche SchubertLied, sie hören sich dabei wie ein Trost an. Sowohl von der Inszenierung (Silberner Bär in Berlin) als auch vom geistigen und menschlichen Thema her ist das ein Film geworden, den man im Arthouse-Bereich nicht verpassen darf. Und der Clou ist dabei natürlich noch, dass Isabelle Huppert die Natalie verkörpert. Sie tut das wie immer mit Können, Vielseitigkeit, Präzision, Gefühl, Menschlichkeit. Ihr zuzuhören und zuzusehen ist ein Genuss. Filmkunsttheatern und Programmkinos zu empfehlen. Chasing Niagara Von Rush Sturges (Studio Hamburg, Kinostart 25. August 2016) Im Voraus: Die Niagara-Wasserfälle (es sind drei) waren bis zum Jahre 1886 das Wahrzeichen Amerikas (abgelöst durch die Freiheitsstatue). Ihr Wasser stürzt über 53 bis 56 Meter in die Tiefe, 3160 Tonnen pro Sekunde. Nicht weniger als 12 Millionen Touristen bestaunen dieses Naturwunder jedes Jahr. Dieser Film berichtet vom Kajak-Sport, aber nicht vom gemütlichen Paddeln, sondern von den absolut unvorstellbaren Höchstleistungen. Es sind an weltweiten Wettkämpfen teilenehmende Berufssportler, die hier am Werke sind – wie der junge Rafa Ortiz, der sich in den Kopf gesetzt hat, mit dem Kajak die Niagara-Fälle zu bezwingen. Das dürfte kein leichtes Unterfangen sein, denn erstens ist es lebensgefährlich und zweitens streng verboten und mit hohen Strafen belegt. Es gab seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts über ein Dutzend Menschen, die es mit den verschiedensten „Fahrzeugen“ versuchten. Mindestens fünf kostete ihr Wagemut das Leben. Rafa Ortiz versammelte um sich einen Freundeskreis erwiesener KajakSpitzensportler. Sie kümmerten sich über zwei Jahre lang (auch mit Hilfe eines Hubschraubers) um Sicherheitsfragen; sie mussten, um getarnt zu bleiben, den Wasserfall als Touristen verkleidet auskundschaften; sie absolvierten ihr Training an immer größer werdenden Wasserfällen und Flüssen mit Stromschnellen in Mexiko, den USA und Brasilien; sie verletzten sich oder scheiterten; sie dokumentierten alles, um daraus zu lernen; sie wiederholten die gefährlichsten Absprünge immer wieder; sie riskierten ihr Leben, wobei einer wiederbelebt werden musste; sie gaben nicht auf. Bis der Termin des mutigen aber lebensgefährlichen Wagnisses immer näher rückte. Es ist eine sicherlich eindimensionale Angelegenheit, die da dokumentarisch geboten wird. Und doch erweist sich wie hier wieder, dass es, und zwar auf allen Lebensgebieten, Menschen mit außergewöhnlichem Mut geben muss, da ansonsten überhaupt keine Fortschritte erzielt würden. Also ab ins Kino. Besonders die Fans. Die Unfassbaren 2 Von Jon M. Chu (Concorde, Kinostart 25. August 2016) Die ersten „Unfassbaren“ waren sehr erfolgreich, warum also keine Fortsetzung drehen! The Four Horsemen, die Vier Reiter -J. Daniel Atlas, Merritt McKinney und Jack Wilder, zu denen sich noch Lula gesellte-, sind zurück. Eine Zeit lang waren sie untergetaucht. Gegen sie waren u.a. falsche Anschuldigungen erhoben worden, also müssen sie mit einer neuen Aufgabe für ihren guten Ruf sorgen. Das dürfte mit den magischen Superkräften und den Zaubertricks, über die sie verfügen, gar nicht allzu schwer fallen. Die Aufgabe: Für den reichen Unternehmer Walter Mabry sollen sie den derzeit leistungsfähigsten Computerchip zurückholen, der ihm von dessen ehemaligem Geschäftspartner Owen Case, einem Hightech-Magnaten, gestohlen wurde. Mit dem FBI-Agenten Dylan Rhodes sind sie zwar verbunden, doch geraten sie andererseits in eine Falle des FBI. Auch mit dem skrupellosen Geschäftsmann Arthur Tressler machen sie eine unliebsame Bekanntschaft, und schließlich will noch ein gewisser Thaddeus Bradley die Pläne der „Vier Reiter“ durchkreuzen. Welche Überraschung erwartet sie aber ebenfalls noch? Was der Handlung zuweilen an Durchblick fehlt, wird mehr als ausgeglichen durch eine technisch perfekte Inszenierung, durch eine geglückte Montage, durch Rasanz und Tempo, durch erstaunliche (reale) Zaubertricks, durch Action, durch Intrigen, durch Emotion, durch Spannung, durch eine fantastische digitale Graphologie oder durch Schauplätze wie New York, London und Macau. Außerdem sind Darsteller (Oscar-Preisträger oder –Nominierte) am Werk, wie man sie sich nur wünschen kann und deren Spiel natürlich durchgehend erstklassig ist: etwa ein Woody Harrelson (als Merritt McKinney), ein Michael Caine (als Arthur Tressler), ein Morgan Freeman (als Thaddeus Bradley), ein Mark Ruffalo (als Dylan Rhodes), ein Jesse Eisenberg (als J. Daniel Atlas), ein Daniel Radcliffe (als Walter Mabry), eine Lizzy Caplan (als Lula) oder ein Dave Franco (als Jack Wilder). Was will man mehr? Liebhabern des Genres zu empfehlen.