Komplexe Zahlen - Konstruktion und einige Eigenschaften Klaus-R. Lö✏er Inhaltsverzeichnis 1 Grundlagen 1.1 Der geometrische Ansatz zur Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Umrechnung der Darstellungen Real-/Imaginärteil und Betrag/Argument 1.2 Die Definition von Addition und Multiplikation in C . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Addition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Multiplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Multiplikation in der Realteil/Imaginärteil-Darstellung . . . . . . . . . . . 1.3 (C, +, ·) ist ein kommutativer Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Bemerkungen und Bezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Beweis der Körpereigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Subtraktion und Division in C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Die reellen Zahlen als Elemente von C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Die rein imaginären Zahlen in C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Folgerungen und Weiterführungen 2.1 Die Formel von Moivre . . . . . . . . . . . 2.2 Potenzen und Wurzeln . . . . . . . . . . . 2.2.1 Quadratwurzeln komplexer Zahlen 2.2.2 n-te Wurzeln (n 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 2 3 3 3 4 4 4 5 6 6 7 . . . . 7 7 8 9 10 1 Grundlagen 1.1 Der geometrische Ansatz zur Beschreibung Ähnlich wie den reellen Zahlen die Punkte der Zahlengeraden entsprechen, ordnet man umkehrbar eindeutig jedem Punkt der Ebene umkehrbar eindeutig ein Objekt zu, von dem im folgenden als einer komplexen Zahl gesprochen wird. Zur Verdeutlichung, dass dabei nicht der Punkt als lediglich geometrisches Objekt betrachtet wird, werden als Platzhalter für die einzelnen komplexen Zahlen bevorzugt Kleinbuchstaben wie z oder u, v, w verwendet. Bevor die Benutzung des Begri↵s der Zahl in diesem Zusammenhang gerechtfertigt wird, sollen zunächst die Möglichkeiten der Beschreibung eines solchen Objekts betrachtet werden: Da sich jeder Punkt (nach Festlegung eines Koordinatensystems) wahlweise durch kartesische Koordinaten oder durch Polarkoordinaten beschreiben lässt, kann man jede komplexe Zahl auf zwei verschiedene Weise darstellen: 1 1 Grundlagen • Einerseits ist jeder Punkt z durch seine Koordinaten festgelegt, hat also eine Darstellung der Form z = (a|b) mit reellen Zahlen a, b. • Andererseits kann man den Punkt z durch seinen Abstand r vom Ursprung und die Größe des Winkels EOz beschreiben, wobei E der Einheitspunkt, also der Punkt mit dem Koordinatenpaar (1|0) ist. Zur besseren Unterscheidung werden die Polarkoordinaten hier durch spitze Klammern gekennzeichnet. O↵ensichtlich gelten dann z.B. die folgenden Gleichungen: (0 | 2) =< 90 | 2 >, ( 3|0) = < 180 | 3 >, (1 | 1) = < 45 | p 2>. Die kartesischen Koordinaten des zur komplexen Zahl z gehörenden Punktes werden als Realteil von z bzw. als Imaginärteil von z bezeichnet, abgekürzt <(z) und =(z); also ist z = (<(z) | =(z)). Die Polarkoordinaten des zur komplexen Zahl z gehörenden Punktes werden als Argument von z bzw. als Betrag von z bezeichnet, abgekürzt arg(z) und |z| , also ist z =< arg(z) | |z| >. Die Menge aller komplexen Zahlen wird mit dem Buchstaben C bezeichnet. 1.1.1 Umrechnung der Darstellungen Real-/Imaginärteil und Betrag/Argument Für diese Umrechnungen werden die trigonometrischen Funktionen Sinus und Kosinus verwendet. Zur Erinnerung: Für eine Winkelgröße ↵ ist (cos(↵) | sin(↵)) das Koordinatenpaar des Punktes, den man als Ergebnis erhält, wenn man in einem kartesischen Koordinatensystem den Einheitspunkt1 E um den Ursprung durch den Winkel ↵ dreht, also Real- und Imaginärteil der komplexen Zahl < 1 | ↵ >. Da < r | ↵ > als < 1 | ↵ > · < r | 0 >, also durch Streckung mit dem Faktor r erhalten wird, folgt < r | ↵ >= (r · cos(↵) | r · sin(↵)). Es gilt also: ^ ^ <(z) = |z| · cos(arg(z)), =(z) = |z| · sin(arg(z)) z2C z2C p |z| = (<(z))2 + (=(z))2 , ^ arg(z) = arccos( z2C⇤ <(z) ) |z| Bei der Ermittlung des Arguments einer komplexen Zahl aus den Polarkoordinaten ist zu beachten, in welchem Quadranten sich die Zahl befindet. 1 Mit dem Einheitspunkt ist hier der Punkt mit den Koordinaten (1|0) gemeint. 2 1 Grundlagen 1.2 Die Definition von Addition und Multiplikation in C 1.2.1 Addition Die Addition von zwei komplexen Zahlen wird mit Hilfe der Darstellung mit Real- und Imaginärteil erklärt: <(w + z) = <(w) + <(z); =(w + z) = =(w) + =(z); Also ist (a1 |a2 ) + (b1 |b2 ) = (a1 + b1 | a2 + b2 ) . Geometrisch entspricht die Durchführung der Addition der Bildung der Resultierenden in einem ~ verschiebt. Kräfteparallelogramm: Man gelangt von z zu z + w, indem man z um den Pfeil Ow 1.2.2 Multiplikation Die Multiplikation von zwei komplexen Zahlen wird mit Hilfe der Darstellung mit Argument und Betrag erklärt: arg(w · z) = arg(w) + arg(z); |w · z| = |w| · |z| also ist < ↵ | r > · < | s > = < ↵ + | r · s >. Dabei wird die Addition modulo 360 durchgeführt; zwischen Winkelgrößen, die sich um ein ganzzahliges Vielfaches von 360 unterscheiden, wird also kein Unterschied gemacht. 3 1 Grundlagen Geometrisch entspricht die Durchführung der Multiplikation einer Drehstreckung des zu z gehörenden Punktes um um den Ursprung mit dem Drehwinkel arg(w); man erhält also w · z als Bild von z 2 als Ecke des Bilddreiecks bei Drehung des Dreiecks OEz um den Ursprung mit dem Drehwinkel arg(w) und dem Streckfaktor |w|. Man konstruiert z · w, indem man an Oz in O den Winkel arg(w) anträgt und an Ow in w den Winkel OEz anträgt. Man erhält dann z · w als Schnittpunkt der freien Schenkel der beiden angetragenen Winkel. 1.2.3 Multiplikation in der Realteil/Imaginärteil-Darstellung Es seien u = (u1 | u2 ) =< r | ↵ >, v = (v1 | v2 ) =< s | >, also u1 = r · cos(↵), u2 = r · sin(↵), v1 = s · cos( ), v2 = s · sin( ). Dann ist aufgrund der Addditionstheoreme von Sinus und Kosinus u · v =< r | ↵ > · < s | >=< r · s | ↵ + = (r · s · (cos(↵) · cos( ) = (r · cos(↵) · s · cos( )) >= (r · s · cos(↵ + ) | r · s · sin(↵ + )) sin(↵) · sin( )) | r · s · (sin(↵) · cos( ) + cos(↵) · sin( )) r · sin(↵) · s · sin( ) | r · sin(↵) · s · cos( ) + r · cos(↵) · s · sin( )) und daher (u1 | u2 ) · (v1 | v2 ) = (u1 · v1 u2 · v2 | u2 · v1 + u1 · v2 ). 1.3 (C, +, ·) ist ein kommutativer Körper Die Bezeichnung der Elemente von C als Zahlen wird mit den nachfolgenden Eigenschaften gerechtfertigt. Zu zeigen ist, dass die folgenden Eigenschaften vorliegen. 1. (C, +) ist eine kommutative Gruppe, d.h: V a) Das Assoziativgesetz ist erfüllt: u,v,w2C (u + v) + w = u + (v + w) V b) Das Kommutativgesetz ist erfüllt: u,v2C u + v = v + u W V c) Es gibt ein neutrales Element: o2C u2C u + o = u V W d) Jedes Element hat ein additives Inverses: u2C v2C u + v = o 2. (C \ {o}, ·) ist eine kommutative Gruppe, d.h.: V a) Das Assoziativgesetz ist erfüllt: u,v,w2C\{o} (u · v) · w = u · (v · w) V b) Das Kommutativgesetz ist erfüllt: u,v2C\{o} u · v = v · u W V c) Es gibt ein neutrales Element: e2C\{o} u2C\{o} u · e = u V W d) Jedes Element hat ein multiplikatives Inverses: u2C\{o} v2C\{o} u · v = e V 3. In (C, +, ·) gilt das Distributivgesetz: u,v,w2C u · (v + w) = u · v + u · w 1.3.1 Bemerkungen und Bezeichnungen Die folgenden Eigenschaften gelten allgemein für kommutative Gruppen; (die kurzen und einfachen Beweise werden hier nicht gegeben). • In einer kommutativen Gruppe gibt es genau ein neutrales Element. Anstatt von einem neutralen Element kann also von dem neutralen Element der Gruppe gesprochen werden. 2 Aus Gründen der Kürze wird nachfolgend bzeichnungstechnisch jeweils eine komplexe Zahl mit dem sie repräsentierenden Punkt identifiziert. 4 1 Grundlagen • Ist allgemein n das neutrale Element bezüglich der Addition in einer Menge M , wird die Menge M \{n} agekürzt als M ⇤ notiert. Im konkret vorliegenden Fall liefert die Anwendung C⇤ = C\{o}. • In einer kommutativen Gruppe gibt es zu jedem Element genau ein inverses Element. Anstatt von einem zu a inversem Element kann also von dem zu a inversen Element in der Gruppe gesprochen werden. • Das zu einem Gruppenelement a inverse Element bezeichnet man als – Gegenzahl von a (Notation: a), wenn die Verknüpfung eine Addition ist, – Kehrzahl (oder Kehrwert) von a (Notation: a ist . 1 ), wenn die Verknüpfung eine Multiplikation 1.3.2 Beweis der Körpereigenschaften Die Beweise ergeben sich ohne besondere zusätzliche Beweisideen unmittelbar aus der Definition von C, den Definitionen der Verknüpfungen und den entsprechenden Eigenschaften des Körpers der reellen Zahlen (R, +, ·). Zu 1. Nachfolgend wird die Darstellung mit Real- und Imaginärteil verwendet; es sei jeweils sofern benötigt u = (u1 | u2 ), v = (v1 | v2 ), w = (w1 | w2 ); ui , vi , wi 2 R (i = 1, 2). Zu a) (u + v) + w = ((u1 | u2 ) + (v1 | v2 )) + (w1 | w2 ) = (u1 + v1 | u2 + v2 ) + (w1 | w2 ) = (u1 + v1 + w1 | u2 + v2 + w2 ) = u + (v + w) = (u1 | u2 ) + (v1 + w1 | v2 + w2 ) = (u1 | u2 ) + ((v1 | v2 )) + (w1 | w2 )) = u + (v + w) Zu b) u + v = (u1 | u2 ) + (v1 | v2 ) = (u1 + v1 | u2 + v2 ) = (v1 + u1 | v2 + u2 ) = v + u Zu c) Mit o := (0 | 0) gilt u + o = (u1 | u2 ) + (0 | 0) = (u1 + 0 | u2 + 0) = (u1 | u2 ) = u Zu d) Mit u := ( u1 | u2 ) hat man: u + ( u) = (u1 | u2 ) + ( u1 | = (u1 + ( u1 ) | u2 + ( u2 )) = (0 | 0) = o u2 ) = (u1 u1 | u2 u2 ) Zu 2. Nachfolgend wird die Darstellung mit Betrag und Argument verwendet; es sei jeweils sofern benötigt u =< r | ↵ >, v =< s | >), w =< t | >; r, s, t 2 R; ↵, , Winkelgrößen). Zu a) (u · v) · w = (< r | ↵ > · < s | >)· < t | >=< r · s | ↵ + =< r · s · t | ↵ + + >=< r | ↵ > · < s · t | + > =< r | ↵ > ·(< s | > · < t | >) = u · (v · w) >·<t| > Zu b) Der Beweis verläuft analog zu 1b) bzw. 2a). Zu c) Mit e :=< 1 | 0 ) gilt u · e =< r | ↵ > · < 1 | 0 ) =< r · 1 | ↵ + 0 >=< r | ↵ >= u Zu d) Mit u 1 :=< 1r | =< 1 | 0 ) = e ↵ > hat man: u · u 1 =< r | ↵ > · < 1 r | ↵ >=< r · 1r | ↵ + ( ↵) > Ergänzung: In der Darstellung mit Real- und Imaginärteil erhält man (u1 | u2 ) 1 = ✓ u1 u2 | 2 2 2 u1 + u2 u1 + u22 ◆ , denn (u1 | u2 ) · ✓ u1 u2 | 2 2 2 u1 + u2 u1 + u22 ◆ = ✓ u21 + u22 | u21 + u22 5 u2 · u1 + u u1 · u2 u21 + u22 ◆ = (1 | 0) = e 1 Grundlagen Zu 3. Geometrisch lässt sich das Assoziativgesetz so deuten, dass bei einer Drehstreckung eines Parallelogramms mit dem Ursprung als Dreh- und Streckzentrum bei einer Drehung um einen Winkel ↵ und Streckung mit einem Faktor r das Ergebnis nur von ↵ und r abhängt, aber nicht von der Reihenfolge, in der die geometrischen Abbildungen ausgeführt werden. Für den nachfolgenden algebraischen Beweis sei u = (u1 | u2 ), v = (v1 | v2 ), w = (w1 | w2 ). u · (v + w) = u · ((v1 | v2 ) + (w1 | w2 )) = (u1 | u2 ) · (v1 + w1 | v2 + w2 ) = (u1 · (v1 + w1 ) = (u1 v1 + u1 w1 = (u1 v1 u2 · (v2 + w2 ) | u2 · (v1 + w1 ) + u1 · (v2 + w2 )) u2 w 2 ) | u2 v 1 + u2 w 1 + u1 v 2 + u1 w 2 ) u2 v 2 u2 v2 | u2 v1 + u1 v2 ) + (u1 w1 u2 w 2 | u2 w 1 + u1 w 2 ) = (u1 | u2 ) · (v1 | v2 ) + (u1 | u2 ) · (w1 | w2 ) = u · v + u · w 1.4 Subtraktion und Division in C In jedem Körper - also auch in C - sind als Umkehrverknüpfungen zu Subtraktion und Multiplikation eine Subtraktion und eine Division erklärt: ^ ^ ^ u v := u( v); u/v := u · v 1 . u2C v2C⇤ u,v2C Die Subtraktion ist wieder am einfachsten in der Darstellung mit Real- und Imaginärteil durchzuführen: (u1 | u2 ) (v1 | v2 ) = (u1 | u2 ) + ( (v1 | v2 )) = (u1 | u2 ) + ( v1 | v2 )) = (u1 v 1 | u2 v2 ) Die Division erfolgt wahlweise in der Darstellung mit Betrag und Argument <r|↵>/<s| >=< r | ↵ > · < s | > 1 =< r | ↵ > · < 1 | s >=< r |↵ s > oder in der Notation mit Real- und Imaginärteil ✓ v1 v2 (u1 | u2 )/(v1 | v2 ) = (u1 | u2 ) · (v1 | v2 ) = (u1 | u2 ) · | 2 2 2 v + v2 v1 + v22 ✓ ◆1 u1 · v 1 + u2 · v 2 u2 · v 1 u1 · v 2 = | . v12 + v22 v12 + v22 1 ◆ 1.5 Die reellen Zahlen als Elemente von C Die reellen Zahlen wurden verwendet, um damit die komplexen Zahlen zu konstruieren, nämlich als Paare reeller Zahlen. Bei der geometrischen Darstellung entsprechen die Punkte der Zahlengeraden als Repräsentanten reeller Zahlen gleichzeitig als Punkt der Ebene komplexen Zahlen: Die reelle Zahl a wird durch den gleichen Punkt repräsentiert wie die komplexe Zahl (r | 0). Die natürliche Zuordnung : R ! C mit (x) = (x | 0) ist aber nicht nur eine injektive Abbildung, sie ist auch strukturerhaltend bezüglich der in den beiden Mengen definierten Verknüpfungen, d.h.: ^ ^ (a + b) = (a) + (b) ^ (a · b) = (a) · (b) a,b2R a,b2R Denn (a + b) = (a + b | 0) = (a | 0) + (b | 0) = (a) + (b) und (a · b) = (a · b | 0) = (a · b 0 · 0 | b · 0 + a · 0) = (a | 0) · (b | 0) = (a) · (b). 6 2 Folgerungen und Weiterführungen Mithin können im Körper (C, +, ·) Zahlen der Form (r | 0) mit der entsprechenden reellen Zahl r identifiziert werden. Damit sind die reellen Zahlen in C eingebettet: R ⇢ C. Die Notation vereinfacht sich, indem - das neutrale Element der Addition ((0 | 0) = o) als 0, - das neutrale Element der Multiplikation ((1 | 0) = e) als 1 notiert werden kann. 1.6 Die rein imaginären Zahlen in C Es ist eine wichtige und häufig verwendete Eigenschaft der reellen Zahlen, dass nur die nicht-negativen unter ihnen als Quadrate reeller Zahlen darstellbar sind. Dagegen können negative Zahlen sehr wohl als Quadrate komplexer Zahlen auftreten, z.B. (0 | 1)2 = (0 1 | 0 + 0) = 1. Allgemein: ^ (0 | a)2 = ( a2 | 0) = a2 < 0. a2R⇤ Genau dann ergibt das Quadrat einer komplexen Zahl eine reelle Zahl, wenn die komplexe Zahl selber reell ist oder ihr Realteil 0 beträgt, denn sind a, b reelle Zahlen mit (a | b)2 2 R so muss wegen (a | b)2 = (a2 b2 | 2a · b); 2 R , 2a · b = 0 gelten a = 0 oder b = 0. Die komplexen Zahlen, deren Quadrate nicht-positive reelle Zahlen sind, werden als imaginäre Zahlen bezeichnet. Ihre geometrischen Repräsentanten bilden die zweite Achse im kartesischen Koordinatensystem, die im Unterschied zur reellen Achse auch als imaginäre Achse bezeichnet wird. Die dem Einheitspunkt (1 | 0) auf der reellen Zahl entsprechende Zahl (0 | 1) auf der imaginären Achse wird als imaginäre Einheit bezeichnet und abkürzend als ı notiert. Die komplexe Zahl (a | b) hat daher auch - die häufig bevorzugte - Darstellung a + b · ı; aufgrund der Rechenregeln im Körper der komplexen Zahlen gilt ja (a | b) = (a | 0) + (0 | b) = a + b · (0 | 1) = a + b · ı 2 Folgerungen und Weiterführungen 2.1 Die Formel von Moivre Wegen < 1 | ↵ >n =< 1 | n · ↵ > hat man (cos(↵) | sin(↵))n = (cos(n · ↵) | sin(n · ↵)) also (cos(↵) + ı · sin(↵))n = cos(n · ↵) + ı · sin(n · ↵) Mit den Abkürzungen c := cos(↵), s := sin(↵) ergibt sich damit unter Verwendung des binomischen Satzes 3 und bezüglich des Moduls 4 n ✓ ◆ X n n k n (c + ı · s) = c · (ı · s)k k k=0 n ✓ ◆ n ✓ ◆ X X n n k n n k k = c · (ı · s) + c · (ı · s)k k k k=0 k=0 k⌘0 + n ✓ ◆ X n k=0 k⌘2 3 k k⌘1 cn k n ✓ ◆ X n · (ı · s)k + k=0 k⌘3 Zum Beweis s. z.B. den Themenartikel Binomischer Satz 7 k cn k · (ı · s)k 2 Folgerungen und Weiterführungen = n ✓ ◆ X n k k=0 k⌘0 n ✓ ◆ X n k k=0 k⌘2 c c n k n k k ·s +ı· ·s k ı· n ✓ ◆ X n k k=0 k⌘1 n ✓ ◆ X n k k=0 k⌘3 cn k · sk cn k · sk . Trennung nach Real- und Imaginärteil führt schließlich zu n ✓ ◆ n ✓ ◆ X X n n cos(n · ↵) = cosn k (↵) · sink (↵) cosn k k k=0 k=0 k (↵) · sink (↵) , cosn k (↵) · sink (↵) . k⌘0 sin(n · ↵) = n ✓ ◆ X n k=0 k⌘1 k k⌘2 k n ✓ ◆ X n (↵) · sink (↵) k=0 k⌘3 k cosn So ergibt sich zum Beispiel für den Spezialfall n = 3: ✓ ◆ ✓ ◆ 3 3 3 0 cos(3 · ↵) = cos (↵) · sin (↵) cos1 (↵) · sin2 (↵) 0 2 = cos3 (↵) = 4 cos3 (↵) 3 cos(↵) · (1 cos2 (↵)) 3 cos(↵) und mit analoger Rechnung sin3 (↵) = 3 sin(↵) 4 sin3 (↵) Diese Formeln finden zum Beispiel Anwendung bei der Lösung der kubischen Gleichung im Fall dreier reeller Lösungen, wenn die Verwendung komplexer Zahlen vermieden werden soll.4 2.2 Potenzen und Wurzeln Da hier die Grundlagen des Rechnens mit Potenzen und Wurzeln in den reellen Zahlen vorausgesetzt werden können, werden im nachfolgenden Abschnitt wegen < r | ↵ > = r· < 1 | ↵ >, und somit < r | ↵ >n = rn · < 1 | n · ↵ > speziell wieder die Potenzen von < 1 | ↵ > betrachtet, - wozu ja auch die obigen Überlegungen zur Formel von Moivre gehören. Da geometrisch die Multiplikation mit < 1 | ↵ > die Drehung um den Ursprung mit Drehwinkel ↵ bedeutet, bilden z.B. die Potenzen von < 1 | 360 /n >, also <1| 1 2 3 n 1 · 360 >, < 1 | · 360 >, < 1 | · 360 >, · · · , < 1 | · 360 >, < 1 | 360 > n n n n die Ecken eines regelmäßigen n-Ecks mit Umkreisradius 1; die Skizze zeigt den Fall n = 7 . 4 Eine Darstellung dieser Lösung beim casus irreducibilis findet sich zum Beispiel im Thementext Die reellen Lösungen der kubischen Gleichung 8 2 Folgerungen und Weiterführungen 2.2.1 Quadratwurzeln komplexer Zahlen Für jede positive reelle Zahl r und jede Winkelgröße ↵ (reduziert modulo 360 ) lässt sich die komplexe Zahl < r | ↵ > auf genau zwei Weisen als Quadrat einer komplexen Zahl darstellen: < r | ↵ >=< p r| ↵ 2 > 2 ^ < r | ↵ >=< p r| ↵ + 180 >2 . 2 Diese Zahlen werden beide als Wurzel von < r | ↵ > bezeichnet. Im Gegensatz zum Wurzelbegri↵ in den reellen Zahlen, wo man nur eine der Zahlen x mit x2 = r als Wurzel von r bezeichnet, nämlich die nicht-negative, ist in den komplexen Zahlen keine der beiden Kandidaten als die Wurzel auszuzeichnen. Denn die Ordnungsrelation < kann bei der Ausdehnung der reellen Zahlen auf die komplexen Zahlen auf diese nicht ausgedehnt werden. Die Annahme, es gäbe in C eine solche Ordnung, die auch dem Monotoniegesetz bzw. Inversionsgesetz der Multiplikation genügt, führt zum Widerspruch.5 Bei der Ermittlung der Quadratwurzeln der komplexen Zahl (u1 | u2 ) (= u) brauchen reelle Zahlen nicht betrachtet zu werden, da unmittelbar zu sehen ist: p p u1 > 0 ) ( u1 |0)2 = (u1 | 0); u1 < 0 ) (0 | u1 )2 = (u1 | 0) Zu bestimmen sind also nur noch die Wurzeln der komplexen Zahl (u1 | u2 ) mit u2 6= 0. Hier führt der Ansatz (x | y)2 = (u1 | u2 ) zu x2 5 y 2 = u1 ^ 2xy = u2 , also x2 u22 = u1 4x2 bzw. x4 u1 x2 u22 = 0. 4 Sowohl die Annahme ı < 0 wie die Annahme ı > 0 führt bei Multiplikation beider Seiten der Ungleichung zu 1 > 0. Durch Multiplizieren mit -1 folgt daraus 1 > 0, Addieren der letzten beiden Ungleichungen ergibt schließlich 0 < 0 . 9 2 Folgerungen und Weiterführungen Als Lösung dieser biquadratischen Gleichung erhält man r r q 1 1 x1 = · (u1 + u21 + u22 ) = · (u1 + |u|); x2 = 2 2 x1 q Mit entsprechender Rechnung oder durch Einsetzen ergibt sich y = ± 12 · (|u| u1 ). Da bei negativem u2 die Vorzeichen von Real- und Imaginärteil der Wurzel entgegengesetzt, bei positivem u2 gleich sind, ergibt sich: ! r r p 1 1 Falls u2 < 0 : (u1 | u2 ) = ± · (u1 + |u|) | · (|u| u1 ) , 2 2 ! r r p 1 1 falls u2 > 0 : (u1 | u2 ) = ± · (u1 + |u|) | · (|u| u1 ) . 2 2 2.2.2 n-te Wurzeln (n 2) Für jede natürliche Zahl n (n 2) gibt es, wie schon für den Spezialfall n = 2 angegeben, für jede von 0 verschiedene komplexe Zahl u genau n paarweise verschiedene komplexe Zahlen wi , deren n-te Potenz u ergibt, nämlich für u =< r | ↵ >: wi =< p n r| i · 360 > (i = 1, 2, 3, . . . , n n 1) Diese Zahlen werden als n-te Wurzeln von u , im Spezialfall u = 1 als n-te Einheitswurzeln bezeichnet. Die n-ten Wurzeln einer von 0 verschiedenen komplexen Zahl u bilden die Ecken eines regelmäßigen p n-Ecks mit dem Umkreisradius n |u|. Stand 2015-12-05, Fortsetzung vorgesehen 10