Einleitung

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1
Institut für Geschichte
Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte
Proseminar:
Herrschaftsvorstellungen in der Zeit der Salier
Dozent:
Dr. Butz
Verfasser:
Robert Fuchs
Studiengang: Geschichte/Gemeinschaftskunde; Lehramt an Gymnasien.
Hausarbeit
Der Brief Gregors an Abt Hugo von Cluny vom 22. Januar
1075.
Inhaltsverzeichnis
2
Vorwort
S. 3
1. Vorstellung der Quelle
S. 6
1.1 Quellenart
S. 6
1.2 Überlieferung
S. 6
1.3 Inhaltliche Betrachtung des Briefes
S. 7
2. Historischer Kontext
S. 10
2.1 Problemkreis Ostkirche
S. 10
2.2 Problemkreis Episkopat
S. 12
2.3 Problemkreis weltliche Fürsten
S. 15
3. Der Brief Gregors an Hugo im
Lichte des historischen Kontextes
S. 18
Schlussbemerkung
S. 20
Literaturverzeichnis
S. 21
Quellenverzeichnis
S. 22
3
Vorwort
1075 ist als ein bedeutendes Jahr für die Eskalation des Streites zwischen König
Heinrich IV und Papst Gregor VII. anzusehen. Heinrichs Sieg gegen die Sachsen
stärkte seine Macht im Reich. Gleichermaßen ging er nun kraftvoll in der schon
lange schwelenden Mailänder Frage zu Werke und reizte damit den Papst. Der
Konflikt brach in der Folgezeit ungebremst hervor – der Investiturstreit wurde mit
allen Härten ausgetragen.
In dieser Arbeit wenden wir den Blick in das Jahr 1074 und die Anfänge des
Jahres 1075 zurück. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, wie sich der
weitere Weg des Reformpapstes mit dem des salischen Herrschers gestalten
würde. Zwar war der Konflikt zwischen regnum und sacerdotium schon seit
Alexander II virulent. Und auch Hildebrand – Gregor war daran beteiligt. In der
ersten Zeit des Papstes Gregor VII sendeten aber beide Seiten Zeichen des
Vertrauens und zukünftiger gegenseitiger Achtung aus. Vielmehr gibt es in dieser
Zeit andere Probleme, welche Gregor VII wichtiger erscheinen mussten, als das
Verhalten Heinrichs. Besonders der deutsche Episkopat zeigte sich gegenüber
dem zunehmenden römischen Zentralismus ablehnend.
In diese Zeit fällt auch ein Schreiben von Gregor VII an den Abt Hugo von Cluny.
Diesem Brief wollen wir uns in dieser Arbeit widmen 1 und dabei versuchen,
mehrere Fragen zu klären. Denn interessant wird der Empfänger hinsichtlich
seiner Stellung. Hugo ist nicht nur der Abt des bedeutenden Reformklosters
Cluny, sondern er ist auch der Taufpate von Heinrich IV. Daraus könnte schon
hier auf eine Vermittlerrolle zwischen regnum und sacerdotium geschlossen
werden, wie sie Abt Hugo ja dann auch beim Canossagang ausgeübt hat.
Die Arbeit soll am Ende die Antwort auf die Frage geben, welche Motivation
hinter Gregors Brief an Hugo von Cluny stand.
Welche Ziele verfolgte der Papst also hinsichtlich seiner Kontaktaufnahme mit
Heinrichs Taufpaten? Spielt dessen Verbindung ins deutsche Königshaus für
diesen Brief Gregors eine Rolle? Weist Gregor hier schon auf mögliche
Reibungspunkte zwischen regnum und sacerdotium hin, in der Hoffnung um
1
In: Schmale; 1978: Quellen zum Investiturstreit. Band 1: Ausgewählte Briefe Papst Gregor VII.
Darmstadt. S. 138. Der Brief ist dieser Arbeit im Anhang beigelegt.
4
Vermittlung durch Hugo? Oder sucht Gregor nur Rat und „seelischen“ Beistand
bei einem treuen Diener der Reform?
In diesem Zusammenhang ist es unumgänglich zu klären, was in den Monaten vor
dem Brief in Bezug auf die dort angesprochenen Punkte vorgefallen war. Was
ereignete sich also hinsichtlich des Dualismus zwischen der oströmischen und der
weströmischen Kirche 2 . Ebenso müssen wir fragen, welche bedeutenden Vorfälle
und Vorwürfe simonistischer Praxis es in der katholischen Kirche zu dieser Zeit
gab. Denn auch dieses Problem spricht Gregor an und es scheint ihn sehr zu
verbittern 3 . Und schließlich der dritte große Problemkreis, den Gregor schildert:
Die unchristliche Herrschaftsweise der weltlichen Fürsten4 . Gab es konkrete
Anlässe, diese Verbitterung gerade jetzt erkennen zu lassen? Oder übertreibt der
Papst bei seiner Einschätzung?
Wie man erkennt, ist der historische Kontext bei der Analyse der Quelle von
enormer Bedeutung. Er wird deshalb in dieser Arbeit einen hohen Stellenwert
erhalten. Die äußere Quellenkritik wird auf ein notwendiges Minimum
beschränkt, da die Quelle einer Quellensammlung 5 entnommen wurde, durch
welche die ansonsten notwendigen Betrachtungen schon vorgenommen wurden.
Der äußeren Quellenkritik wird dann die inhaltliche Betrachtung folgen.
Anschließend wird der historische Kontext näher beleuchtet um dann in dessen
Lichte eine Antwort auf die oben gestellte Frage zu wagen.
Die
folgende
Arbeit
wird
sich
hauptsächlich
auf
die
angesprochene
Quellensammlung stützen. Gerade für den relevanten Betrachtungszeitraum kann
die Situation hinsichtlich der in der Quelle genannten Probleme gut
nachgezeichnet werden.
Zur Analyse der Quelle wird auch auf eine Reihe Sekundärliteratur
zurückgegriffen. Neben einer Reihe Überblickswerke sei hier auf das Werk von
BOSHOF 6 hingewiesen, welches u.a. einen guten Überblick über das Vorspiel
2
In: Schmale; 1978: Quellen zum Investiturstreit. Band 1: Ausgewählte Briefe Papst Gregor VII.
Darmstadt. S. 138: hier Zeile16 ff (im Folgenden wird bei der Benutzung dieser Quelle nur noch
die Zeilenzahl genannt).
3
Siehe Zeile 21 ff.
4
Siehe Zeile 25 ff.
5
Schmale; 1978: Quellen zum Investiturstreit. Band 1: Ausgewählte Briefe Papst Gregor VII.
Darmstadt. Erschienen in der Reihe „Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des
Mittelalters.“ Band 12 a.
6
Boshof, 2000: Die Salier. Stuttgart.
5
zum Investiturstreit gibt. Ebenfalls sei auf die Monographie von SCHNEIDER 7
aufmerksam gemacht. SCHNEIDER analysiert genau die Konflikte zwischen
Reich und Kurie im relevanten Zeitraum. Besonders seine Betrachtungen des
Jahres 1074 sind für diese Arbeit von unverzichtbaren Wert. In dem von
RICHTER 8 herausgegebenen Werk finden sich dagegen zwei Aufsätze, welche
die Rolle Clunys im Investiturstreit näher beleuchten. Für die Betrachtung der
Kommunikation zwischen Gregor und Hugo ist dabei der Aufsatz von SMITH 9
sehr hilfreich. Zum Verhältnis zwischen Gregor und Hugo hat KOHNLE 10 in
seiner Hugo-Biographie, welche erst 1993 erschienen ist, grundlegendes
dargelegt. Der Durchsetzung des römischen Primats widmet LAUDAGE 11 in
seiner Monographie ein Kapitel und bei ihm findet sich auch eine gute
Überblicksdarstellung über die Gründe und den Verlauf der Reformen und des
Investiturstreites.
Ferner sei noch GOEZ 12 erwähnt, der sich intensiver wie BOSHOF mit der
Kreuzzugsidee des Papstes beschäftigt hat.
7
Schneider, 1972: Prophetisches Sacerdotium und Heilsgeschichtliches Regnum im Dialog 1073 –
1077. München.
8
Richter; 1975: Cluny. Darmstadt
9
Smith, 1911: Cluny und Gregor VII. In: Richter; 1975: Cluny. Darmstadt.
10
Kohnle, 1993: Abt Hugo von Cluny (1049 – 1109). Sigmaringen.
11
Laudage; 1993: Gregorianische Reform und Investiturstreit. Darmstadt.
12
Goez; 2000: Kirchenreform und Investiturstreit 910 – 1122. Stuttgart.
6
1. Vorstellung der Quelle
1.1 Quellenart
Briefe erkennt man an der unmittelbaren Anrede und an der Anfangs- und
Schlussgrußformel 13 . Gregor verwendet die für ihn typische Anfangsgrußformel:
Gregor, Knecht der Knechte Gottes, sendet Abt Hugo von Cluny Gruß und apostolischen Segen 14
Darin enthalten ist gleichsam schon das zweite genannte Merkmal – die direkte
Anrede. Gregor sendet dem Abt Hugo von Cluny seinen Gruß und niemand
anderen. Gleichzeitig könnte man dies auch als eine Art der Adressierung
verstehen. Die direkte Anrede zieht sich weiterhin durch den gesamten Brief. Der
erste Satz ist dafür ein gutes Beispiel:
Wenn es möglich wäre, möchte ich, daß du genau wüßtest,(...), damit dein brüderliches Mitleiden
sich mir entsprechend der Heimsuchungen meines Herzens zuneige und sich dein Herz unter
Tränen vor Gott niederwerfe, (...).
Eine Schlussgrußformel fehlt derweil. Am Ende des Briefes findet sich stattdessen
die Angabe des Datums und des Ortes, an dem der Brief wahrscheinlich
angefertigt wurde. Der Brief datiert auf den 22. Januar 1075, gegeben in Rom.
1.2 Überlieferung 15
Die Briefe des Papstes Gregor VII sind in einem Auslaufregisters im Vatikan
erhalten geblieben. Dieses ist zugleich auch das älteste überlieferte päpstliche
Originalregister 16 . Es überliefert 400 Briefe des Papstes. Allerdings ist dies nicht
die vollständige Anzahl der Briefe Gregors, andere sind teilweise aus
Empfängerüberlieferungen bekannt. SCHMALE spricht von über fünfzig auf
andere Art erhaltene Briefe oder Briefteile. Andere Briefe Gregors sind nicht
erhalten. Daraus ist in der Forschung der Schluss gezogen worden, bei dem
13
Vgl. Brandt; 1998: Werkzeuge des Historikers. Stuttgart. : S. 116
Schon aus dieser Grußformel kann man einen ersten Rückschluss auf das Verhältnis zwischen
beiden ziehen. Gruß und vor allem den apostolischen Segen verweigert Gregor, wenn es
ernsthaften (irreparablen) Konflikt zwischen Gregor und dem Empfänger eines Briefes gibt. Vgl
hier zum Beispiel den Brief an Erzbischof Liemar von Bremen vom 12.12.1974. in:
Schmale;1978: S: 117; Nr. 36
15
Ich beziehe mich hier im Wesentlichen auf die Einleitung in: Schmale, 1978: S. 5ff.
16
Ebenda: S.5.
14
7
überlieferten Register handle es sich um ein Sonderregister des Papstes. Diese
Position konnte aber nicht wirksam untermauert werden 17 .
SCHMALE weist auch darauf hin, dass das Papstregister seit 1083
Veränderungen erfahren hat. Allerdings kann man aufgrund einer Handschrift auf
das unverfälschte Register des Gregor schließen, sodass es möglich ist, jüngere
Veränderungen daran zu erkennen.
Editiert wurde das Register von CASPAR 18 in der Reihe der „Monumenta
Germananiae Historica“.
1.3 Inhaltliche Betrachtung des Briefes
Der Brief beginnt, wie bereits oben festgestellt, mit dem Gruß und Segen des
Papstes für Hugo. Danach beginnt der eigentliche Inhalt. In den ersten drei Sätzen
(Zeile 3 – 15) klagt Gregor dem Abt von Cluny sein persönliches Leid(en).
Essentiell für diesen ersten Abschnitt des Briefes ist der dritte Satz:
Und dennoch hat er mich bisher weder der großen Bedrängnis entrissen, noch hat mein Leben der
genannten Mutter, an die er mich mit Ketten schmiedete, so, wie ich hoffte, genützt.
Gregor zieht hier also ein erstes Fazit seiner nunmehr über anderthalb Jahre an der
Spitze der Kurie. Er ist nicht zufrieden mit dem, was er bis jetzt erreicht hat. Die
Gründe dafür nennt er später. Sie werden uns an anderer Stelle noch genauer
beschäftigen. Auffällig in den ersten drei Sätzen des Briefes ist das düstere Bild,
welches Gregor von seinem Leben zeichnet. Not, Mühsal und große Bedrängnis –
so charakterisiert er seine Existenz. Mehrere Gründe könnten hier für diese
Einschätzung maßgeblich sein. Zum einen könnte Gregor tatsächlich zu diesem
Zeitpunkt sein Leben als schwere Bürde verstehen. Zum anderen könnte dies
immer noch mit legitimatorischen Gesichtspunkten zusammenhängen. Gregor
hatte sich seit seiner spontanen Erhebung zum Papst durch das Volk mit den
Vorwürfen auseinander zu setzen, er hätte sich ins Amt gedrängt 19 . Dies versucht
er nun zu entkräften, indem er darauf hinweist, wie schwer im dieses Amt ist, und
dass er dies nicht freiwillig annehmen wollte. Zum Anderen kann es natürlich
17
Ebenda: S. 6
Gregorii VII Registrum, Das Register Gregor VII., hrsg. v. E. Caspar, MG. Epistolae selectae 2
(1920-1923, Neudruck 1955)
19
Vgl. u.a. Boshof, 2000: S. 206
18
8
sein, dass Gregor am Anfang des Briefes das Herz von Abt Hugo „erweichen“
möchte, um so eher Unterstützung durch diesen zu erfahren.
Wenden wir uns dem nachfolgenden Teil des Briefes 20 zu. In diesem schildert
Gregor die großen Probleme, welche ihn beschäftigen. Er nennt dabei als ersten
großen Punkt die Kirchenspaltung. Zweiter angesprochener Problemkreis ist die
Simonie unter den Bischöfen und auch deren Lebenswandel, welcher nicht im
Einklang mit dem christlichen Gesetz steht. Dritter Punkt der päpstlichen Sorge
und Kritik sind die weltlichen Fürsten. Auch diese missachten die göttliche Ehre
und sind eher auf ihren Vorteil bedacht. Als Allerschlimmste bezeichnet er aber
die Römer, Lombarden und Normannen.
Schauen wir uns nun die Vorwürfe gegen die Bischöfe und die Fürsten noch
etwas genauer an.
(...) finde ich kaum Bischöfe, die dem Gesetz gemäß ihr Amt angetreten haben und leben, (...).
Auch unter allen weltlichen Fürsten erkenne ich keine, (...).
Erstaunlich scheint das Ausmaß der Verdächtigungen, die Gregor hier vornimmt,
wenn er fast den gesamten Episkopat der Simonie und unchristlichen Lebensweise
beschuldigt. Noch drastischer fällt das Urteil über die weltlichen Herrscher aus,
unter die auch die Könige gezählt werden müssen. Dort will er überhaupt keine
erkennen, welche ihr Amt sozusagen zum Wohle Gottes ausübten. Wären diese
Aussagen so an die Öffentlichkeit gekommen, wäre daraus mit Sicherheit ein
größerer Eklat entstanden.. Gregor musste sich deshalb in Bezug auf Hugo`s
Vertrauenswürdigkeit schon ziemlich sicher sein.
Folgen wir dem Text weiter. Nachdem Gregor kurz über seine derzeitigen
Probleme geschrieben hat, folgt wieder die Selbstbetrachtung 21 . Er spricht wieder
von der „Last des eigenen Tuns“, knüpft hier also wieder an den ersten
Sinnabschnitt an. Allerdings scheint Gregor auch Hoffnung auf Besserung der
Situation zu hegen.
Denn wenn ich nicht ein besseres Leben und Nutzen für die Kirche zu erreichen hoffte, würde ich
auf keinen Fall in Rom zurück bleiben, wo ich notgedrungen – Gott ist mein Zeuge – schon 20
Jahre weile.
Hier bringt Gregor dann doch noch seine Hoffnung zum Ausdruck, dass er die
Kirche bessern, also reformieren könne. Ebenso erkennt man hier wieder die
20
21
Zeile 15 bis 29
Zeile 30 bis 42
9
Argumentation gegenüber seinem Amt. Gregor spricht davon, dass er nur
notgedrungen in Rom als Papst agiere. Weiter unten kommt dies noch einmal zum
Ausdruck, als er schreibt, dass Gott ihn „wider Willen nach Rom führte“ 22 . Im
Groben zeigt dieser Sinnabschnitt wieder die Last des Amtes unter der Gregor
leidet, aber auch Gregors Ziel, der Kirche unter schwersten Bedingungen zu
dienen und sie zu bessern.
Dieses Ziel soll auch mittels Gebet und Fürbitte erreicht werden, denn Gregor
fleht Hugo an,
diejenigen, die wegen der Verdienste ihres Lebenswandels es verdienen erhört zu werden, mit
nicht nachlassender Aufmerksamkeit aufzufordern, für mich bei Gott mit der Zuneigung und Liebe
zu beten, mit der sie die Mutter aller lieben müssen.
Gemeint ist hierbei sicher auch Hugo selbst, welcher zum Gebet für Gregor
aufgefordert wird. Aber vor allem will Gregor in das Gebet der Cluniazenser,
deren Abt Hugo ja ist, aufgenommen werden. Den Mönchen aus Cluny wurde
eine besondere Wirksamkeit ihrer Gebete nachgesagt 23 .
Im Weiteren weist Gregor darauf hin, dass es nun an ihm selbst ist den Schutz der
Kirche zu gewährleisten. Eigentlich wäre dies die Aufgabe der Fürsten, aber
aufgrund der obigen Einschätzung fallen diese als Beschützer der Kirche aus.
Dann ergeht die Mahnung an Hugo:
(...), in nicht nachlassendem Bemühen die hilfreiche Hand zu leihen, indem du diejenigen, die den
heiligen Petrus lieben, immer wieder mahnst und ermahnst, dass ihnen keine weltlichen Fürsten
teurer sein sollen als er, (...)
Eindeutig wird Hugo hier von Gregor aufgefordert, im Sinne des Papstes auf
andere Geistliche einzuwirken. Und hier wird der Primat der Kirche – oder besser
des Papstes 24 – vor den der weltlichen Herrschern eingeklagt.
Der Brief schließt mit Gregors Aussage, dass er alle diejenigen – er meint hier
sicher die Geistlichen - erkennen würde, welche Gott mehr lieben als ihre
weltlichen Fürsten. Dieser Satz am Ende des Briefes kann geradezu als Drohung
verstanden werden. Sicher nicht Hugo gegenüber, welchen er sicher als
22
Zeile 39
vgl hier insbesondere: Smith, 1911: Cluny und GregorVII. In: Richter; 1975: S.25. So berichtet
die Vita des Odilo (Abt vor Hugo) von besonderen Wundern, welche durch die Gebete Clunys
geschahen.
24
Gregor besaß ein besonderes religiöses Verhältnis zum Apostel Petrus. Boshof schreibt: „in
gewissen Momenten emotionaler Erregung oder Hochstimmung scheint der Papst sich geradezu in
eine Identifikation mit dem Apostelfürsten hineingesteigert zu haben.“ In: Boshof, 2000. S. 207
23
10
Reformfreund betrachtet, so aber gegenüber allen anderen Geistlichen, welche
dem Papst ihr Gehorsam verweigern.
2. Historischer Kontext
Bevor wir uns der Analyse der Quelle widmen können, muss diese in den
historischen Kontext eingebettet werden. Der Brief stammt vom 22. Januar 1075.
Also kurze Zeit vor der Fastensynode und nur wenige Wochen nach den beiden
Briefen Gregors an Heinrich. Allerdings spricht Gregor im Brief an Hugo mehrere
Problemkreise an. Alle spielten im Jahre 1074 eine wichtige Rolle für Gregor. Es
ist daher notwendig, die Ereignisse des Jahres 1074 zu rekonstruieren. Jedenfalls
insofern sie die vorliegende Quelle beeinflusst haben könnten.
2.1 Problemkreis Ostkirche
Nach der endgültigen Trennung der beiden Kirchen im Jahre 1054, befand sich
die Ostkirche im Jahre 1074 in starker Bedrängnis, nachdem die Byzantiner eine
schwere Niederlage gegen die Seldschuken hinnehmen mussten. In einem Aufruf
Gregors vom 1. März 1074 25 heißt es:
Von ihm und vielen anderen erfuhren wir, daß das Volk der Heiden kraftvoll gegen das christliche
Imperium erstarkt ist und mit beklagenswerter Grausamkeit schon beinahe bis an die Mauern von
Konstantinopel heran alles verwüstet, in tyrannischer Gewalt besetzt und viele tausend Christen
wie Vieh getötet hat. (...)
Und es genügt für unsere Sorge nicht, nur Schmerz darüber zu fühlen, vielmehr fordern das
Beispiel unseres Erlösers und die schuldige brüderliche Liebe von uns, unser Leben für die
Befreiung der Brüder einzusetzen, (...).
In diesem Aufruf geht es Gregor um die Auslösung eines Kreuzzuges. Die
Motivation erstreckt sich aber nicht auf eine bloße Hilfe für die bedrängten
Glaubensbrüder, Gregor geht es wohl vor allem um eine Einigung beider Kirchen
– natürlich unter römischen Primat. Hinsichtlich des Kreuzzuges wird auch die
Meinung vertreten, dass Gregor so Unterstützung im Kampf gegen Heinrich IV
gewinnen wollte. 26 Diese Diskussion muss aber hier nicht ausgebreitet werden.
Fest steht der Wille Gregors auf Einigung der Christenheit 27 . Dies kommt auch in
25
Sogenannter „Konstantinopelaufruf“ in: Schmale, 1978: Nr. 19.
So etwa Le Goff; 2003: Mittelalter und Frühe Neuzeit. Das Hochmittelalter. Band II;
Frankfurt/Main: S. 134f.
27
Vgl. dazu auch Goez; 2000: S. 122f.
26
11
einem Brief an Heinrich IV vom 7. Dezember 1074 zum Ausdruck 28 . Dort
schreibt Gregor unter anderem:
Das aber treibt mich vor allem zu diesem Werk, daß die Kirche von Konstantinopel, die
hinsichtlich des Heiligen Geistes mit uns zerfallen ist, die Eintracht mit dem apostolischen Stuhl
erhofft, (...).
GOEZ schreibt 29 , dass Gregor sich das ganze Jahr über mit dem
Kreuzzugsgedanken beschäftigte. Höhepunkt dabei ist sicher der erwähnte Brief
an Heinrich IV, in dem Gregor den Vorschlag unterbreitet, das Heer gegen die
Heiden selbst anzuführen. Heinrich sollte dabei die Aufgabe des Kirchenschutzes
übernehmen. Gregor vertraut hier also dem deutschen König – den er ein gutes
Jahr später exkommunizieren wird – die Aufsicht über die Kirche an. Eine Woche
später, am 16.Dezember 1074, ergeht noch einmal ein Aufruf Gregors an „alle
getreuen des heiligen Petrus, besonders denen jenseits der Alpen“ 30 . Hier fordert
er, ähnlich wie schon am 1. März 1074, zum Kreuzzug auf.
Interessant
bezüglich
Gregors
Briefes
an
Hugo
von
Cluny
sind
Übereinstimmungen in der Argumentation und auch der Wortwahl: Im zweiten
Aufruf zum Kreuzzug heißt es:
(...)die jenseits des Meeres im Reich von Konstantinopel wohnen, die der Teufel in eigener Person
vom Katholischen Glauben abzubringen sucht und die er durch seine Glieder täglich wie Vieh
grausam abzuschlachten nicht ablässt.
Im Brief Gregors an Hugo heißt es dazu:
(...),weil die Ostkirche auf Betreiben des Teufels hin vom Katholischen Glauben abfällt und der
alte Feind durch seine Glieder die Christen allenthalben tötet:( ...) 31 .
Die Argumentation bleibt die Gleiche, allerdings ist im Brief an Abt Hugo nicht
mehr die Rede davon, dass Gregor einen Kreuzzug plant und auch anführen
möchte. So war es auch sicher mehr Gregors Wunsch denn Tatsache, wenn er an
Heinrich IV schreibt, dass sich mehr als 50 000 zum Kreuzzug rüsten würden,
wenn der Papst diesen anführe 32 . GOEZ trifft es hier sicher richtig, wenn er die
Ansicht vertritt, dass die Aufrufe bei der Ritterschaft ohne Resonanz blieben.33
Die beiden letzten Beiträge zum Thema Kreuzzug – der Brief an Heinrich und der
28
In: Schmale;1978: S. 125, Nr. 39.
Ebenda: S. 122.
30
Schmale;1978: S. 138; Nr. 41.
31
Zeile 6-7.
32
Vgl. Schmale,1978: S. 127, Nr. 39.
33
Goez, 2000: S. 122. Vergleiche hier auch mit einem Mahnbrief Gregors an Herzig Gottfried
vom 7. April 1074. Gregor wirft Gottfried vor, sich nicht an die Zusagen zuhalten und keine Ritter
zur Verfügung zu stellen. In: Schmale,1978: S. 77, Nr. 22.
29
12
Aufruf vom 16. Dezember – waren vielleicht der Versuch Gregors, in dieser Frage
noch einmal alle Register zu ziehen. Mehr als die Führerschaft des Feldzuges
unter Gottes Vertreter auf Erden hatte selbst Gregor nicht anzubieten. Sicher war
er vom Ausbleiben einer Kreuzzugsbewegung enttäuscht, aber bald bestimmten
andere Probleme die Tagesordnung
2.2 Problemkreis Episkopat
Als Reformer der Kirche hatte Hildebrand-Gregor schon vor seiner Zeit als Papst
gegen Simonie und Priesterehe und für den Primat des apostolischen Stuhles
gekämpft. An der Spitze der Kurie setzte er diesen Kurs konsequent fort. Und
Gregors Reformvorhaben war gewaltig, wenn man sich den Ausspruch über die
Bischöfe im Brief an Hugo ins Gedächtnis ruft. Dieser Reformkurs brachte
natürlich vielfach Widerstände, vor allem im Episkopat. Gehen wir im Folgenden
näher auf Gregors Verhältnis zur deutschen Kirche im Jahr 1074 ein.
Am Anfang unserer Betrachtung steht die Fastensynode vom 9. bis 15 März 1074.
Zu dieser waren auch deutsche Bischöfe geladen worden, vor allem auch, um sich
gegen
erbrachte
Vorwürfe
simonistischer
Praxis
und
unchristlichen
Lebenswandels zu rechtfertigen. In einem Brief an die Herzogin Beatrix und ihre
Tochter Mathilde schreibt Gregor 34 , dass außer Bischof Werner von Straßburg,
kein anderer deutscher Bischof auf dieser Synode erschienen ist.
Dieser Umstand weist auf einen ernsthaften Konflikt zwischen Reichskirche und
Kurie hin. Weitere konflikthafte Beispielfälle lassen sich schnell finden. So
schreibt Gregor an Erzbischof Siegfried von Mainz einen Brief 35 , indem er seine
Missbilligung gegenüber Siegfrieds Verhalten im Streit zwischen den
Bischofssitzen in Prag und Olmütz zum Ausdruck bringt. Gregor weist auch auf
die prinzipielle Geltung des apostolischen Primates hin und droht indirekt mit
Absetzung:
Du solltest einsehen, daß es, ich sage nicht dir, sondern keinem Patriarchen oder Primas erlaubt ist,
apostolische Urteilssprüche wieder aufzugreifen, und nicht daran denken, Dir gegen die römische
Kirche etwas zuzuschreiben oder zu unternehmen, denn ohne deren überströmende Güte kannst
Du nicht einmal auf Deinem Platz, wie Du selbst weißt, bestehen.
34
35
Brief vom 15.April. In: Schmale,1978: S. 79, Nr. 23.
Brief vom 18.März. 1074. in: Schmale;1978: S. 75; Nr. 21.
13
Ebenso aufschlussreich für die Beziehung zwischen Kurie und Reichskirche ist
ein Schreiben an Erzbischof Anno von Köln 36 . In diesem beschwert sich Gregor,
dass Anno sich erst ca. ein Jahr nach Beginn des Pontifikates Gregors, mit einem
Schreiben in Rom gemeldet hat.
Daraus kann gefolgert werden, dass der neue Papst beim deutschen Episkopat
nicht auf besonderes Wohlwollen gestoßen ist. BOSHOF meint, und dies scheint
sehr plausibel, dass sich die Reichsbischöfe gegen den Ausbau des päpstlichen
Zentralismus zur Wehr gesetzt haben. Auch hätten sie den Anspruch des Papstes,
mittels
Legaten
in
die
gewohnten
Angelegenheiten
der
Reichskirche
hineinzuregieren, zurückgewiesen. 37
Ein weiteres Beispiel dafür – und auch ein wichtiger Einschnitt im Jahr 1074 – ist
die Verhinderung der Reformsynode durch den deutschen Episkopat. Gregor
schickte zu Ostern päpstliche Legaten 38 ins Reich. Diese hatten den Auftrag, die
Bußleistungen Heinrichs und seiner Berater entgegenzunehmen und eine
Reformsynode im Reich abzuhalten. Heinrich kam diesem Bestreben ganz
entgegen, und so wurden er und seine Berater nach der Bußleistung wieder in den
Schoß der Kirche aufgenommen. Dies war gleichzeitig die Vorraussetzung für
eine erfolgreiche Reformtätigkeit der päpstlichen Legaten im Reich.
Die Legaten weigerten sich allerdings, die Reformsynode im Bistum von
Bamberg abzuhalten, da dort der wegen Simonie angeklagte Hermann als Bischof
fungierte 39 . Heinrich beachtete diese Weigerung und rief daraufhin die Synode am
27.April nach Nürnberg ein. Den Osterhoftag, der etwas eher stattfand, belies er
aber in Bamberg. Dort kam es dann zum Eklat, als Erzbischof Liemar von
Hamburg-Bremen sich weigerte, das Salböl aus der Hand Hermanns zu
empfangen. Dies war nur vordergründig eine Demonstration gegen die Simonie
und für die Reform der Kirche. Liemars Agieren zielte direkt auf die päpstlichen
Reformversuche. Liemar demonstrierte öffentlich vor dem ganzen anwesenden
deutschen Episkopat und auch vor dem König, dass man die Reform der Kirche
selbst in die Hand nahm. Er zeigte, dass man dazu die päpstlichen Legaten nicht
brauchte. Mit seiner Handlung nahm er auch den Hauptgrund für die
36
Brief vom 18. April 1074. in: Schmale,1978: S. 83; Nr. 24.
Vgl. Boshof; 2000. S: 212.
38
Hubert von Praeneste, Gerald von Ostia, in Begleitung der Kaiserin Agnes und Bischofs Rainald
von Como. Vgl. Boshof; 2000: S. 211;
39
Vgl. zur folgenden Darstellung : Schneider;1972: S. 78ff.
37
14
Reformsynode von der Tagesordnung. In der Verhandlung zwischen den
päpstlichen Legaten und den deutschen Bischöfen über das Stattfinden der Synode
war wiederum Liemar der Wortführer des deutschen Episkopates. Und die
Entscheidung war die Ablehnung des Wunsches nach einer Reformsynode.
Der deutsche Episkopat missachtete hier ein Gesuch des Papstes. Dieser Fakt ist
bedeutend und zeigt die Differenz zwischen dem Anspruchs Gregors auf Primat
des apostolischen Stuhles und der Realität zu dieser Zeit. Die Reaktion des
Papstes zeigt unter anderem ein Brief an Liemar vom 12.Dezember 1074 40 , in
dem er ihn zur Fastensynode befiehlt.
(...), und wir erleiden, wenn auch ungerechterweise, dein widerrechtliches Verhalten und
schimpfliche und unerhörte Zurückweisung durch Dich. Unserem Legaten, (...), hast Du nach
Kräften behindert und verboten, daß ein Konzil stattfände;(...).
Aus diesem Schreiben kann man nur ungefähr erahnen, wie sehr Gregor über das
Verhalten Liemars erbost war. Es muss für Gregor ein direkter Angriff auf seine
päpstliche Würde gewesen sein, als sich die Reichskirche mehrheitlich gegen
seine Reformversuche wehrte und Ungehorsam gegenüber dem Stellvertreter
Christi zeigte.
An dieser Stelle sei noch auf einen weiteren Konflikt zwischen Papst und
deutscher Reichskirche verwiesen. In diesem geht es um Vorwürfe der Simonie
und des unchristlichen Lebenswandels gegen Bischof Pibo von Toul. Interessant
in diesem Falle ist die Art, wie das Problem der Kurie mitgeteilt wird. Ein
Kleriker, welcher im Konflikt mit Pibo stand, beschwert sich direkt beim Papst
über dessen Lebenswandel und er bringt auch die Vorwürfe des Ämterverkaufes
vor. Über diesen Vorfall sind wir durch einen Brief Gregors an Erzbischof Udo
von Trier gut unterrichtet 41 . Gregor verlangt von Udo die Untersuchung der
Vorwürfe. Danach soll Udo dem Papst Bericht geben. Allerdings scheint er den
Bischof von Toul schon vor der Untersuchung für schuldig zu halten
(...)der Bischof, oder eher der ehemalige Bischof,(...).
Wenn der Bischof das, was ihm vorgeworfen wird, nicht in Wahrheit zurückweisen kann, dürfen
wir – und Ihr – es nicht hinnehmen, daß ein Wolf die Stelle des Hirten einnimmt.
Pibo erfährt in dieser Angelegenheit allerdings die Solidarität der Reichskirche.
Dies ist auch ein weiteres Zeichen dafür, dass Hermann von Bamberg geopfert
40
41
Schmale,1978: S. 117; Nr. 36.
Schmale,1978: S. 103; Nr. 30.
15
wurde, um eine Reformsynode zu verhindern. Im Falle Pibo trifft der Papst
augenscheinlich auf mehr Widerstand. Die Untersuchung erfolgt ergebnislos und
auf der Straßburger Bischofsversammlung, an Weihnachten 1074, liest der
Erzbischof Udo den oben zitierten Brief vor. BOSHOF schreibt, dass vor allem
die Vorverurteilung Pibos und die Bezeichnung als Wolf auf Empörung der
anwesenden Bischöfe stieß. „(...) und entrüstet warf man Gregor vor, daß er
neuerdings das Kirchenvolk gegen seine Oberen 42 . aufstachele“ 43 Wenig später
kam es dann zu einem Brief Liemars an Hezilo von Hildesheim, indem der Papst
als „jener gefährliche Mensch“ bezeichnet wurde, der den Bischöfen seinen
Willen aufzwingen wolle wie seinen Gutsverwaltern.44
Man kann also mit einigem Recht behaupten, dass sich das Verhältnis zwischen
Reichskirche und Gregor am Ende des Jahre 1074 am Tiefpunkt befand. Gregor
hatte einige Reichsbischöfe – vor allem die Widerwilligen - zur Fastensynode
1075 einbestellt und bat Heinrich dafür Sorge zu tragen, dass diese auch kämen.
Gregor steuerte also auf eine Klärung des Konfliktes hin. Dass Gregor dabei seine
Ansichten vom römischen Primat durchsetzen wollte, scheint außer Zweifel.
2.3 Problemkreis weltliche Fürsten
Nun wollen wir uns noch dem dritten Problemkreis widmen, welchen Gregor in
seinem Brief an Abt Hugo schilderte:
Auch unter den weltlichen Fürsten erkenne ich keine, die Gottes Ehre der ihrigen und das recht
dem Vorteil voranstellen. 45
Unsere Betrachtung soll sich hier kurz auf den französischen König und dann
etwas genauer auf Heinrich IV beziehen. Denn eine These bezüglich der Quelle
befasste sich mit einem möglichen Mittlerstatus des Hugo zwischen Gregor und
Heinrich. Aber zunächst zum (Nicht-)Verhältnis von Gregor und dem
französischen König. Dazu erfährt man mehr aus einem Brief46 Gregors an alle
Bischöfe Frankreichs. Darin heißt es unter anderem:
All dieser Dinge Haupt und Ursache ist auf die Einflüsterung des Teufels hin Euer König, der
nicht als König, sondern als Tyrann zu bezeichnen ist. Sein ganzes Zeitalter beschmutzt er mit
42
Schon auf der Fastensynode von 1074 hatte Papst Gregor wohl den sogenannten Aufruhrkanon
verfasst, welcher Laien aufforderte, simonistischen Klerikern fernzubleiben. Vgl. dazu Schneider,
1972. S. 79.
43
Boshof, 2000: S. 213.
44
Vgl. ebenda.
45
Zeile 25 – 26
46
Brief vom 10. September 1074. in: Schmale,1978: S. 97; Nr. 29.
16
Schand und Übeltaten, und das Ruder der Herrschaft, das er aufgenommen hat, führt der Elende
ohne Nutzen,(...).
Es sind ungeheuerliche Vorwürfe, welche der Papst hier dem französischen König
entgegenbringt. Im gleichen Brief fordert Gregor die Bischöfe Frankreichs zum
Widerstand auf, damit sie sich nicht selbst schuldig machen. Hier erkennt man
ebenfalls einen Teil Gregors Vorstellung von der Aufgabe der Kirche. Diese muss
sich auch gegenüber hohen weltlichen Herrschern zur Wehr setzen, jedenfalls
dann, wenn diese nicht dem Pfad Christi folgen.
Weitaus besser sind da die Beziehungen zum deutschen König, obwohl auch sie
von Spannungen gekennzeichnet sind. Dennoch scheint das Jahr 1074 einen
Durchbruch zu guten Beziehungen zwischen der Kurie und dem deutschen König
zu bringen. Heinrichs Gesuch um Wiederaufnahme in die Kirche wird im April
1074 durch die päpstlichen Legaten vollzogen 47 . Es ist ein durchaus
verheißungsvoller Start der Mission der Legaten, denn Heinrich zog ihnen
entgegen und nahm sie „in Pforzen ehrenvoll auf“ 48 . Hier zeigte sich Heinrich
wohl auch bereit, die Reform der Reichskirchen zu unterstützen und mit seiner
Wiederaufnahme in die kirchliche Gemeinschaft stand einem Reformbündnis
zwischen Gregor und Heinrich nichts mehr im Wege. Heinrich kam den Legaten
auch in den Fragen des Tagungsortes der geplanten Synode entgegen. An deren
Scheitern hatte er sicher keinen Anteil 49 . Vielmehr war Gregor über Heinrichs
Wiederaufnahme in die Kirche erfreut. Dies äußert er in einem Schreiben an
Kaiserin Agnes 50
Das darunter überhaupt Wichtigste, das in unmittelbarer Verbindung mit der Einheit der Liebe
steht, habt Ihr schon erreicht, nämlich daß Euer Sohn König Heinrich der Gemeinschaft der Kirche
zurückgegeben und seine Königsherrschaft von einer allgemeinen Gefahr befreit wird.
SCHNEIDER schreibt zu Heinrichs Rückkehr in die Kirche, dass dieser Akt „ihn
fortan in den Augen Gregors VII zum Helfer der Reform machte“ 51 . Dieses
Reformbündnis zieht sich bis in den Dezember des Jahres 1074 hin. Erinnert sei
hier an den Brief an Heinrich, in welchem dieser die Kirchenführung in der Zeit
des geplanten Kreuzzuges an Heinrich abtreten will. Am gleichen Tag erging
47
Siehe oben unter 2.2.
Schneider,1972: S. 81
49
Vgl. Boshof, 2000: S. 211.;
50
Brief vom 16. Juni 1074. in : Schmale,1978: S. 93; Nr. 28.
51
Schneider, 1972: S. 83.
48
17
noch ein zweiter Brief Gregors 52 an den deutschen König. In diesem geht er noch
einmal auf die Legatentätigkeit in Deutschland ein und erklärt seine Zufriedenheit
mit Heinrichs Verhalten ihnen gegenüber. Das Problem der Mailänder Kirche ist
aber noch nicht gelöst. Darauf macht Gregor gleich im ersten Satz aufmerksam.
Er bietet dem König aber einen Dialog über die kirchenrechtliche Frage der
Bischofseinsetzung in Mailand an. Obwohl dies eher als formales Zugeständnis
des Papstes zu werten ist, hat SCHNEIDER sicher recht, wenn er feststellt dass
der Papst den Dialog in dieser Frage wieder in Gang bringen wollte, aber ohne
das Reformbündnis zu gefährden 53 . Weiterer Inhalt des Briefes ist eine Mahnung
bezüglich der Ratgeber des Königs 54 und auch der Aufruf, Sorge zu tragen, dass
die zur Fastensynode geladenen Bischöfe auch erscheinen. GOEZ interpretiert
diesen Brief anders. Er spricht von ernsten Vorhaltungen wegen der Mailänder
Angelegenheit und vom Zweifeln Gregors über Heinrichs Reformbestrebungen.
Hier ist wohl eher SCHNEIDER zu folgen, denn der Brief ist eher positiver
ausgerichtet und von der weiteren Hoffnung auf Zusammenarbeit geprägt. Dies
erscheint auch plausibel, wenn man den zweiten Brief Gregors an Heinrich vom
gleichen Tage hinzuzieht.
Die Wende im Verhältnis zwischen Gregor und Heinrich erfolgte zu Weihnachten
1074, als auch der König an der Bischofsversammlung in Straßburg teilnahm 55 .
Dort unterstützte Heinrich den deutschen Episkopat in der Sache des Pibo
vonToul, indem er „den Osnabrücker Bischof Benno als Entlastungszeugen für
die von Gregor VII. geforderten Verhandlungen benannte, der Pibo von Toul (...)
freisprach.“ 56 Erkennbar wird hier Heinrichs Sympathie für die Bestrebungen der
Reichskirche. Weitere Anlässe für Skepsis gegenüber dem Bündnis zwischen
Heinrich und Gregor bieten die ausbleibenden Antworten auf die päpstlichen
Dezemberbriefe und wie auch der Verzicht des Königs, die zur Fastensynode
einbestellten Bischöfe zur Romfahrt zu bewegen. 57
Anfang Januar 1075 hatte sich die Situation schlagartig verschlechtert.
52
Brief vom 7. Dezember 1074. In: Schmale,1978: S. 121; Nr. 38.
Vgl. Schneider: S. 87.
54
Sicher handelt es sich hier um die ebenfalls mit Heinrich wieder in die Kirche aufgenommenen
Räte, welche aber auf der Fastensynode 1075 erneut exkommuniziert werden.
55
Siehe dazu auch unter 2.2.
56
Schneider; 1072: S. 103.
57
Ebenda. S. 104.
53
18
3. Der Brief Gregors an Hugo im Lichte des historischen
Kontextes
Betrachtet man die Situation, in der sich Gregor am Anfang des Jahres 1075
befunden hat, so kann man nicht viel positives für ihn und sein Reformwerk
erkennen. Eher kann man nachweisen, dass es Gregor geschafft hatte, in den
anderthalb Jahren seines Pontifikates erhebliche Widerstände gegen sich selbst zu
schaffen. Große Enttäuschung muss sich bei Gregor eingestellt haben, als endlich
klar wurde, dass Heinrich für ein Reformbündnis zwischen regnum und
sacerdotium nicht zur Verfügung stand. Heinrichs Verhalten auf der Straßburger
Versammlung muss ihn im Januar mitgeteilt worden sein.
In dieser doch eher verdrießlichen Situation wendet er sich an den Abt Hugo von
Cluny. Beide kennen sich schon lange persönlich, aber ihre Beziehung ist nicht
frei von Konflikten 58 . Trotzdem rechnet Gregor ihn zu den Reformfreunden, zu
den fideles Petri wie es KOHNLE 59 ausdrückt.
Bei der Betrachtung der Quelle fiel der düstere Blick Gregors in die Gegenwart
auf. Erinnert sei hier an die Stichworte Not, Mühsal, Bedrängnis. Dies empfand er
sicher wirklich so.
Es scheint auch keine Übertreibung, um den Abt Hugo
irgendwie zu beeinflussen.. Zu Anfang des Jahres 1075 ist er, politisch gesehen,
ziemlich isoliert. Selbst Reformfreunde aus dem deutschen Episkopat 60 , hatten
sich von Gregor abgewendet. Da verwundert es auch nicht, wenn er sich an den
Abt von Cluny – einen der wenigen treuen Reformer – wendet.
Ein Schlüssel zum Sinn der Quelle bzw. zur Motivation Gregors könnte in der
Forderung nach Einschluss in das Gebet der Cluniazenser sein. Die Gebete der
cluniazensischen Mönche hatten den Ruf besonderer Wirksamkeit 61 . SMITH
beschreibt hier Wunder, welche in den Viten des Abtes Odilo niedergeschrieben
sind. Sogar der Papst Benedikt VIII konnte nach seinem Tode durch die Gebete
Clunys aus dem Reich der Schatten in den Himmel geholt werden.
Gregor befand sich Mitte Januar in einer angespannten Situation. Vor allem die
Fastensynode Ende Februar 1075 muss ihn zu dieser Zeit beschäftigt haben. Wie
58
Vgl hier Kohnle, 1993: S. 93 ff.
Ebenda: S. 96.
60
Z.B. Liemar von Hamburg-Bremen ist durchaus als Freund einer Kirchenreform zu sehen. Der
Kampf des Episkopates galt dem römischen Zentralismus, nicht einer Kirchenreform.
61
Vgl. Smith, 1911: Cluny und GregorVII. In: Richter,1975: S.25.
59
19
sollte er angesichts der Widerstände weiter vorgehen? Welche Beschlüsse sollte
die Fastensynode treffen? Wie wird die Reaktion sein? Solche Fragen müssen ihn
damals beschäftigt haben. Der Brief an Hugo hätte zur Zeit der Fastensynode
Cluny wahrscheinlich schon erreicht und Gregor wäre ins Gebet aufgenommen
worden 62 . Das Gebet Clunys – so eventuell Gregors Gedanke – hätte ihn bei
seinen anstrengenden Vorhaben unterstützen können.
Eine andere Motivation für Gregors Brief ist die Aufforderung an Hugo die
hilfreiche Hand zu leihen.
(...)indem du diejenigen, die den heiligen Petrus lieben, immer wieder mahnst und ermahnst, daß
ihnen keine weltlichen Fürsten teurer sein sollten als er, wenn sie in Wahrheit seine Söhne und
Streiter sein wollen.
Hier fordert er Hugo auf, im Sinne des apostolischen Stuhles tätig zu werden.
Dieser, bereits 1049 zum Abt von Cluny aufgestiegene und mit einer hohen
Autorität versehene Mönch, hatte vielfältige Verbindungen ins Reich und konnte
so dem Papst bei der anstehenden Auseinandersetzung von großem Nutzen sein.
Gregor wusste im Lichte der Auseinandersetzungen im Jahre 1074 genau, welche
Wirkung ein weiterer konfrontativer Weg haben könnte. Und das er diesen Weg
eifrig beschritt, auch daran kann im Lichte der Vorladungen der Großen des
deutschen Episkopates keine Frage bestehen. Es musste ihm also darum gegangen
sein, den zu erwartenden Widerstand abzumildern. Vielleicht ist die Aufforderung
an Hugo in diesem Sinne zu verstehen. So scheint es, dass Hugo sich für die
Autorität des Papstes verwenden soll und gegenwärtige Anhänger von einem
möglichen `Frontenwechsel` abzubringen. Gleichzeitig spricht der Papst auch die
Warnung aus, dass er die Feinde des apostolischen Stuhles genau erkennen würde.
Ein spezifischer Wunsch des Papstes nach Vermittlung zwischen ihm und dem
König kann auch im Lichte der Ereignisse nicht ohne weiteres aus dem Brief
geschlossen werden. Gregor erwartet sich wohl eher die Fürbitte Hugos bei
anderen Geistlichen, anstatt bei weltlichen Herrschern. Der Aufruf Gregors, den
heiligen Petrus mehr zu lieben als weltliche Fürsten weist darauf hin.
62
Vgl hier Schneider, 1072: S. 73/74 Fußnote 232: SCHNEIDER gibt hier ein Beispiel für
mögliche Winterreisegeschwindigkeiten: Die Nachricht über Gregors Absetzung von 24 Januar
1076 war von Worms aus bis zum 16 Februar in Rom angelangt.
20
Schlussbemerkung
Gregors Brief an Hugo besitzt starke Aussagekraft hinsichtlich der Verfassung des
Papstes Anfang des Jahres 1075. Eher politisch isoliert und wahrscheinlich
angespannt in bezug auf sein weiteres Vorgehen, klagt er Hugo seine Probleme.
Dabei kommen besonders die drei Problemkreise zur Sprache, welche den Papst
im vergangenen Jahr stark beschäftigt haben. Alle Probleme haben sich zu Beginn
des Jahres 1075 verschlimmert. Der Angriff der Seldschuken auf die oströmische
Kirche kann durch Gregor nicht gestoppt werden. Damit rückt auch die Einigung
der Christenheit in weite Ferne. Der deutsche Episkopat wehrt sich gegen die
Bestrebungen des Papstes, die apostolische Autorität durchzusetzen. Und Heinrich
schließt sich Ende des Jahres den Bestrebungen der deutschen Bischöfe an.
Diese Entwicklungen müssen Gregor sehr bedrücken. Dies kommt im Brief auch
deutlich hervor. Aber noch etwas wird im Brief deutlich. Und zwar die Hoffnung
Gregors, trotz der Widrigkeiten, der Kirche zu nutzen.
Denn wenn ich nicht ein besseres Leben und Nutzen für die Kirche zu erreichen hoffte, würde ich
auf keinen Fall in Rom zurückbleiben 63
Dazu braucht er die Hilfe von Hugo. Einerseits durch die wirksamen Gebete für
Gregor und auf der anderen Seite durch Unterstützung der päpstlichen Position
soll Hugo dem Papst zu Dienste sein und ihn in diesen schweren Zeiten
unterstützen. Das ist Gregors Motivation für diesen Brief.
Nur knapp einen Monat später findet dann die Fastensynode in Rom statt. Auf
dieser beantwortet Gregor die Widerstände aus dem Reich ebenfalls mit
Konfrontation. Gregor bannt erneut die Räte des Königs, wenn sie nicht bis zum
ersten Juni in Rom Buße leisten würden. Damit gibt Gregor gleichzeitig den
Zeitpunkt vor, der auch Heinrich bindet. Und ebenso suspendiert er verschiedene
Bischöfe: Liemar von Hamburg-Bremen, Werner von Straßburg, Heinrich von
Speyer und Hermann von Bamberg. Der Konflikt, welcher die nächsten Jahre
bestimmen wird, ist ausgebrochen.
63
Zeile 33 – 34.
21
Literaturverzeichnis:
Boshof, 1990: Heinrich IV: Herrscher an einer Zeitenwende. Göttingen.
Boshof, 2000. Die Salier. Stuttgart.
Brand, 1998: Werkzeuge des Historikers. Stuttgart.
Goez; 2000: Kirchenreform und Investiturstreit. Stuttgart.
Hartmann; 1993: Der Investiturstreit. München.
Kohnle, 1993: Abt Hugo von Cluny (1049 – 1109). Sigmaringen.
Laudage; 1993: Gregorianische Reform und Investiturstreit. Darmstadt.
Le Goff; 2003: Mittelalter und Frühe Neuzeit. Band 2. Das Hochmittelalter.
Frankfurt/M.
Richter (Hg); 1975: Cluny. Darmstadt
Robinson; 1978: The Friendship Network of Gregory VII. In: History. Jg 63.
Schiefer; 1978: Gregor VII – Ein Versuch über die historische Größe. In:
Historisches Jahrbuch. Jg. 97/98.
Schneider, 1972: Prophetisches Sacerdotium und Heilsgeschichtliches Regnum im
Dialog 1073 – 1077. München.
Smith, 1911: Cluny und Gregor VII. In: Richter; 1975: Cluny. Darmstadt.
Weinfurter (Hg); 1991: Die Salier und das Reich. Band 2. Die Reichskirche in der
Salierzeit. Sigmaringen.
22
Quellenverzeichnis
Schmale; 1978: Quellen zum Investiturstreit. Band 1: Ausgewählte Briefe Papst
Gregor VII. Darmstadt.
Erschienen in der Reihe „Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des
Mittelalters.“ Band 12 a.
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