Der 6000-jährige Falke (Fragment): Version 2

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Der 6000jährige Falke
Der Versuch
ein Gesetzesbuch
auf ägyptisch zu lesen
Der 6000jährige Falke
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25.10.20081
Tarot, Ägypten und die Zeitalter.................................................................................................. 3
Der Tarot, die Ägypter und die Hermetischen Schriften.......................................................... 3
Spuren von Ägypten im Christentum ...................................................................................... 5
Die getöteten Götter: Ein weltweites Phänomen..................................................................... 6
Die toten und königlichen Götter in Ägypten .......................................................................... 7
Kultpolitik und Götterkreationen............................................................................................. 9
Die Macht des Wortes und die Schöpfung .............................................................................11
Himmel, Wasser und Urgötter ................................................................................................12
Zwischen den Horizonten.......................................................................................................14
Das Alter der Sonne: Vater und Sohn.....................................................................................16
Horus und Königtum ..............................................................................................................17
Atum-Re und Re-Harachte......................................................................................................20
Material und Trash .....................................................................................................................25
Literatur......................................................................................................................................26
Auf der Jagt nach den Ze italtern ................................................................................................28
Age of Aqurius .......................................................................................................................28
Die drei ägyptischen Protagonisten .......................................................................................29
Die Synkretismen der antiken Weltreiche...............................................................................30
Das weltweite Phänomen der verstorbenen Götter ...............................................................31
Crowleys Berufung.................................................................................................................34
Crowleys Deutungen..............................................................................................................36
Klump und Asche ...................................................................................................................37
Trash ..........................................................................................................................................37
Der 6000jährige Falke
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25.10.20082
Tarot, Ägypten und die Zeitalter
Der Tarot, die Ägypter und die Hermetischen Schriften
Als Court de Gébelin anno 1775 in einem aus der Mode
gekommenen französischen Kartenspiel ein altes ägyptisches
Weisheitsbuch erkennen wollte, initiierte er damit gewissermaßen
eine esoterische Tradition des Tarot. Denn an die Spekulationen
Gébelins anschließend, entwickelte sich das Tarot zu einem
unverzichtbaren Bestandteil einiger der einflussreichsten westlichen
1
okkultistischen Schulen der nachfolgenden Generationen . Die
Verbindung des Tarot mit Ägypten wurde von zwei Grundideen
getragen. Die eine Idee geht von einer vermittelnden Rolle der
Zigeuner aus, die einigen Auffassungen zufolge ägyptischer
Abstammung sein sollten. Jedoch ließ sich weder bestätigen, dass
die Zigeuner das Tarot in Europa eingeführt hätten, noch ließ sich
die Theorie einer ägyptischen Abstammung der Zigeuner aufrecht
erhalten. Arthur Waite verwarf Anfang des letzten Jahrhunders
folgerichtig diese ägyptische Theorie und Crowley erachtete knapp
40 Jahre später den geschichtlichen Ursprung des Tarot überhaupt
als irrelevant für seine Bedeutung.
Court de Gébelin sah im Tarot ein
ägyptisches Weisheitsbuch
Die andere Grundidee hat tieferliegende Gründe und ist insgesamt
folgenschwerer. Sie hängt vor allem mit den Vorstellungen zusammen, welche die europäische
Geisteswelt lange Zeit mit dem alten Ägypten verband. Vor der Entschlüsselung der Hieroglyphen
durch Champollion im Jahre 1822 kannte man ägyptische Geschichte, Götterwelt und Literatur fast
ausschließlich aus hellenistischer Vermittlung. Die griechischen Autoren wiederum, deren Schriften so
lange als Quelle dienen mussten, waren bereits im hohem Maße von
platonischen und aristotelinischen Denken beeinflusst, welches in
wesentlichen Punkten inkompatibel mit dem altägyptischen
Denkmustern ist. Dieser Umstand führte zu einer beinahe
zwangsläufigen Umdeutung ägyptischer Vieldeutigkeit in die Bahnen
platonisch-aristotelinischer Wahrheitssuche. Die Umdeutungen
gingen einher mit einer Idealisierung Ägyptens als Quelle ältester
Weisheiten, Heimat der magischen Künste und Ursprung aller
Kulturen.
Dieses idealisierte Bild vom Land der Pyramiden lebte im Europa der
Renaissance mit der Entdeckung der sogenannten "Hermetischen
Schriften" wieder auf. Die in griechisch abgefassten Fragmente hielt
man damals für Übersetzungen aus dem Altägyptischen. Heute geht
man von anonymen griechisch-/römischen Autoren der in den ersten
Links: Harpokrates, "Horus, das Kind", der
zwei nachchristlichen Jahrhunderte aus, die ihren Arbeiten
von den griechischen Autoren fälschlicher
zusätzliche Bedeutsamkeit zu verleihen trachteten, indem sie diese
Weise als "Gott des Schweigens" tituliert
2
als Übersetzungen der kanonischen "Bücher des Thoth" ausgaben .
wurde.
Während die Wissenschaft der Neuzeit mit ihrer weiteren Entwicklung
Rechts: Die Hieroglyphe für "Kind"
die Hermetica immer mehr aus den Augen verlor, festigte sich die
Im alten Ägypten gehen Schrift und
Legende von den hermetischen Ur-Weisheiten innerhalb bestimmter
Bilderwelt ineinander über. Bildwerke sind
esoterischer Gruppierungen zunehmend. Die Rede ist von den sich
grundsätzlich auch als Hieroglyphen zu
parallel zum Materialismus entwickelnden Zirkeln der Okkultisten,
lesen. Die zum Mund geführten Finger des
Harpokrates sind als Determinativ für "Kind"
Freimaurer und Rosenkreuzer. Gestützt wurde diese Entwicklung
zu lesen. Ebenso die seitlich auf die
durch den Umstand, das sich offensichtliche Spuren hermetischen
Schulter fallende Haarlocke.
Gedankenguts in den Schriften der Kirchenväter und anderer
3
christlicher Schriftsteller , des Islams und der Kabbala nachweisen
ließen. Solche Spuren gingen natürlich Hand in Hand mit der Entdeckung von Übereinstimmungen in
1
Die geschichtlichen Ursprünge des Tarot -soweit nachvollziehbar- sowie dessen esoterische Tradition, ausgehend von
Gèbelin über Levi, Mathers, Waite bis Crowley beschreibt Cynthia Giles in den ersten Kapiteln ihrer Monographie über das
Tarot, recht ausführlich.
2
Uns ist heute die Kunde von "42 Büchern des Thoth" überliefert, die möglicherweise das zusammengefasste Grundwissen der
ägyptischen Priesterschaft darstellten und deren Auswendiglernen Teil der priesterlichen Ausbildung war. Der Inhalt der
Schriftrollen richtete sich an den verschiedenen Aufgabenbereichen der Priesterschaft aus. Es gab Bücher mit Unterweisungen
in Götterwelt und Ritualistik, Astrologie, Mathematik, Geographie, Tempelbau und -Ausstattung sowie Medizin.
3
In Hermes Trismegistos sahen einen Propheten des einen Gottes.
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den Mythen der Völker des vorderen Orients, vor allem wenn sich Spuren Ägyptische Kosmogenien
4
im Alten Testament wiederfinden . Die Tabula Smaragdina, das Corpus Hermeticum, das Kybalion
und das Picatrix entwickelten sich zu wichtigen Inspirationsquellen modernerer magischer Bücher.
An dem hellenistischen Ägyptenbild der esoterischen Zirkel sollte sich, allen Fortschritten der
Ägyptologie zum Trotz, auch im 19ten Jahrhundert nichts ändern. Als Samuel Mathers sich in den
80er Jahren jenes Jahrhunderts an das ehrgeizige Projekt begab, sämtliche verfügbaren esoterischen
Traditionen des Abendlandes zu einem großen Metasystem für den Hermetischen Orden der
Goldenen Dämmerung (kurz: Golden Dawn) zusammenzufügen, waren längst alte hellenistische Fehlund Neudeutungen zu Eckpfeilern der Lehre zementiert. Die herausragendsten davon sind
wahrscheinlich die Gestalt der Isis als Mondgöttin und des Harpokrates als Gott des Schweigens. Bei
5
der Mondgöttin handelt es sich in Wahrheit um die synkretistische Gestalt der Isis-Selene. Der Gott
des Schweigens ist eine Fehldeutung der bildlichen Darstellungen des Harpokrates, die dem antiken
Ägyptenreisenden Plutarch und seinen Zeitgenossen unterlaufen ist. Nun mag man berechtigter
Weise einwenden, dass genau solche Neudeutungen naturgegeben zum Prozess der Entstehung von
Kulten und Religionen gehören. Dem darf jedoch entgegengehalten werden,
dass der Anspruch, den der Golden Dawn erhob, auf die Erlangung
authentischer alter Weisheit und Wiederbelebung von authentischen alten
Götterwelten abzielte. Crowley ging in der Nachfolge gar weiter und erhob
den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. So ist es ist im höchsten Maße
bemerkenswert, dass gerade er, der mit dem "Liber Al vel Legis" ein Buch
vorlegte, dass ihm angeblich von ägyptischen Gottheiten diktiert worden war
und der darüber hinaus auch noch den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit
erhob, ganz offenbar nicht das ägyptologische Wissen seiner Zeit
konsultierte. Hätte er etwa das im Jahr des Diktates erschienene "The Gods
6
of the Egyptians" von E.A. Wallis Budge konsultiert, seine Deutung des
"Liber Legis" wäre gewiss ganz anders ausgefallen. Crowley scheint sich
mit den von Mathers vermittelten Auffassungen sehr sicher gefühlt haben.
Vielleicht war es auch das theosophische Gedankengut, was Crowley an
seinen Ägyptenbild nie hat zweifeln lassen, denn schließlich ist sein "Äon
des Horus" nichts weiter als eine ägyptisierte Variante von Helena
Blavatskys "Wassermannzeitalter".
Der um die Zeitenwende im
römischen Reich um sich greifende
Isiskult, ist unmittelbarer Vorläufer
der Marienverehrung. Die
Ikonographie der das Gotteskind
säugenden Gottesmutter ist
prägend für die christliche Kunst.
Auch die ungewöhnlichen
Umstände der Zeugung des
Gotteskindes, wie auch die
Nachstellungen der Feinde des
Königkindes und die Suche der
Schwangeren nach einer Herberge
bilden eine offensichtliche
Parallele.
4
Aber vielleicht sollte man den Herren und Damen ihre Nachlässigkeit auch
nachsehen. Der Großteil der Mitglieder des Golden Dawn etwa, darf man
offenbar eher als Romantiker denn als seriöse Wissenschaftler verstehen.
Es liegt in der Natur kultischer Praktiken, dass diese vor allem von den
Emotionen, welche die Handelnden in die Praktiken einbringen, belebt
werden. Ohne Emotionen ergeben sich nur leere Formeln, die eher ein
Zeichen des Niedergangs eines Kultes denn eines Beginns sind. Die
Haltung des nüchternen Wissenschaftlers ist folglich wenig geeignet, alte
Kulte und Mysterien wiederzubeleben. Letzteres war schließlich eine
Zielsetzung des Golden Dawn. Im übrigen sollte man sich die
Horizonterweiterung verbildlichen, die junge Intellektuelle des ausgehenden
19ten Jahrhunderts erfahren haben mögen, wenn sie aus einer vom
institutionalisierten Christentum dominierten Religionsauffassung und einem
zunehmend vom Rationalismus und Materialismus geprägten Zeitgeist her
kommend, mit ganz neuartigen Denkmustern und Sichtweisen aus der
Vorgeschichte der eigenen Kultur konfrontiert werden. Diese Dinge können
den fragenden Geist für Jahre beschäftigen, so dass für ein derart
komplexes Thema wie Ägyptologie wenig Raum bleibt. Besonders eine
Hier sei "das Buch "weisheit und Wissen des Vorderen Orient" von Claire Lalouette empfohlen.
5
Mit dem Wort Synkretismus bezeichnet man die Vermischung mehrerer Religionen. Solche Vermischungen haben bei der
Entstehung größerer Religionen, insbesondere des Christentums, eine nicht unerhebliche Rolle gespielt. Sie entstehen in aller
Regel beim Aufeinadertreffen verschiedener Kulturen und führen etwa dazu, dass fremde Götter in eine heimische Kultur
importiert oder fremde Völker von der eigenen Religion assimiliert werden. So ist der griechische Gott Zeus mit der
Indogermanischen Völkerwanderung in die Ägäis "importiert" worden und darf daher guten Gewissens mit dem germanischen
Thor gleichgesetzt werden. Aphrodite ist vom Ursprung her eine über Kreta aus Persien importierte Astarte. Die makedonischen
und römischen Weltreiche haben Vielvölkerstaatsgebilde geschaffen, in denen eine Vielzahl von Religionen in den kulturellen
Austausch gezogen wurden.
6
Von der Verwendung dieser Prachtschinken für das Studium rät selbst das Britische Museum, dessen Ägyptisches Institut
Budge seinerzeit geleitet hatte, heute dringend ab. Budge war ein sehr nachlässiger Wissenschaftler, der gerne auch mal auf
die Arbeiten seiner Studenten zurückgriff.
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Begegnung mit den Ursprüngen des Christentums, ist unter diesen Umständen geeignet, komplexere
Fragestellungen vollkommen zu überblenden. Denn so verfälschend sich das hellenistische
Ägyptenbild auch auswirken mag: Es war erstmals in einer Zeit populär, in der auch die Christliche
Religion entstanden ist. Und die Spuren, die es im Christentum hinterlassen hat, beschränken sich
keinesfalls auf die Hermetica.
Spuren von Ägypten im Christentum
Man darf wohl zu Recht behaupten, dass die Synkretismen des antiken Mittelmeerraumes, zusammen
mit der griechischen Philosophie und dem hellenistischen Judentum gleichsam den Humus darstellen,
auf dem das Christentum als Religion wie auch die Grundlagen des christlichen Denkens gewachsen
sind. Die makedonischen und römischen Weltreiche haben Vielvölkerstaatsgebilde geschaffen, in
denen eine Vielzahl von Religionen in den kulturellen Austausch gezogen wurden. In der Folge
erlebten einige importierte Götter bei den Griechen und Römern einen regelrechten Boom. Die
Verbreitung der ägyptischen Isis, die gerne auch mit den Attributen der Aphrodite/Venus aufgewertet
wurde, veranlasste zwischenzeitlich den durch die drohende Überfremdung alarmierten römischen
Senat gar, Heiligtümer der Isis zerstören zu lassen.
Von allen Göttern des Mittelmehrraumes hat die Isis die sichtbarsten
Spuren im Christentum hinterlassen. Das Bild der Gottesmutter mit
dem Kinde hatte denn auch eine unmittelbare Gleichsetzung der Isis
mit der christlichen Madonna bei den Esoterikern des 19ten
Jahrhunderts zur Folge. Aber auch andere ägyptische Göttinnen
scheinen bei der Gestalt Mariens durchzuschimmern. Die
Schutzmantelmadonna etwa, welche die Gläubigen unter ihren
sternenbesetzten Mantel beherbergt, erinnert gleichsam an die
ägyptischen Himmelsmütter Hathor oder Nut. Die schwarze
Madonna gemahnt an die alte afrikanische (und eben auch
ägyptische) Symbolik der fruchtbaren Erde. Isis selber gehörte
bereits in den Anfängen geschichtlicher Zeit zum Götterkreis um den
Totengott Osiris. Sie hatte sich über die Jahrtausende von einer
etwas farblosen Gattin des Osiris zu einer Universalmutter
gemausert, die sich die Charaktere vieler anderer Göttinnen
einverleibte.
Osiris selber fand eher in der Gestalt des Serapis, der ihn in die
Nähe des griechischen Unterweltgott Hades rückte, eine weitere
Verbreitung. Allerdings hing diesem Stadtpatron von Alexandria,
7
dessen Kult von Ptolemäus I initiiert worden war, immer etwas
Künstliches an. Er konnte weder bei den Ägyptern noch bei den
Griechen ganz heimisch werden. Allerdings darf man davon
ausgehen, dass der Rückgriff auf Osiris zwecks Initiation eines
Hauptstadtkultes mit einigem Kalkül geschah. Denn die Volksnähe
des Osiris war geeignet, um eine flächendeckende Akzeptanz zu
garantieren. Mit zunehmender Verarmung der einfachen
Bevölkerung in Zeiten der Auflösung und Fremdherrschaft, war über
die vergangenen Jahrhunderte die Popularität des Osiriskultes stetig
gestiegen.
Serapis, der Stadtpatron von
Alexandria war eine dem griechischen
Verständnis angenäherte Variation
des Osiris-Apis, woraus sich auch der
Name ableitet (Usar-Apis). Serapis
wurde als Herrscher der Unterwelt und
chtonischer Fruchtbarkeitsgott dem
Griechischen Pluton gleichgesetzt.
Osiris selber identifizierten die
Griechen mit dem Wein-, Rausch- und
Fruchtbarkeitsgott Dionysos.
Die Osirislegende ist ein oft bemühtes Musterbeispiel für einen
typischen Jenseitsglauben. Dank der Vermittlung durch Plutarch ist
sie ein schon lange verfügbares Stück Altägyptischer Literatur. Osiris
tritt in der Legende als sagenhafter vorzeitlicher gottgleicher
Herrscher auf, der den Menschen die Segnungen der Zivilisation
beschert und auf der Höhe seines Ruhmes von seinem Bruder Seth
erschlagen und in den Nil geworfen wird. Seine trauernde Schwester und Gattin Isis, sucht verzweifelt
im ganzen Land nach dem Leichnam. Nachdem sie diesen gefunden hat, erweckt sie mit ihren
Zauberkräften noch einmal die Manneskraft des Toten und zeugt mit ihm ihren Sohn Horus, der als
erwachsener Mann und falkenköpfiger Gott den Mord seines Vaters an Seth und seinen Anhängern
rächen und die gerechte Thronnachfolge seines Vaters antreten wird, während sein Vater selber als
König der Unterwelt die Herrschaft über das Totenreich übernimmt. Bis es jedoch soweit ist, muss das
7
Makedonischer General unter Alexander dem Großen und Begründer der Dynastie der Ptolemäer (336 - 30 v. Chr.).
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Kind Horus vor den Nachstellungen der Königsmörder geschützt und die Unversehrtheit des
Leichnams von Osiris, der zwischenzeitlich zerstückelt worden war, muss wiederhergestellt werden.
Diese Aufgabe übernimmt der schakalköpfige Anubis, der aus den Leichenteilen des Osiris die erste
Mumie fertigt.
In Esoterikerkreisen und ganz besonders im Golden Dawn-Kontext wurde und wird Osiris mit Jesus
Christus gleichgesetzt. Ja, man fasst Osiris gar als eine ursprüngliche Erscheinungsform der
Christusfigur auf. Die Tötung der Protagonisten, ihr Wiedererwachen zum ewigen Leben im Jenseits
und ihre Wohltäter- und Führerrolle zu Lebzeiten bilden offensichtliche Parallelen. Solche gibt es
jedoch auch, wie gezeigt, zwischen Horus und Jesus. Man ist geneigt, schlicht auf gemeinsame
Quellen bei der Mythenbildung zu schließen, ohne das diese eine Gleichsetzung rechtfertigen würden.
Doch zumindest vom Standpunkt der Vergleichenden Religionswissenschaften aus ist die
Gleichsetzung von Christus mit Osiris doch nicht ganz unbegründet. Um dies nachzuvollziehen muss
man sich ein Stück weit von der historischen Figur Jesu entfernen und die Betrachtung auf die Ideen
des Gottessohnes, des Gott-Menschen, des verstorbenen Gottes und des erschlagenen Königs
lenken. Diese Ideen sind keinesfalls so ungewöhnlich, wie sie anfangs vielleicht anmuten mögen.
Die getöteten Götter: Ein weltweites Phänomen
Bedingt durch unsere europäische Geistesgeschichte, die sich (grob ausgedrückt) über die
Jahrhunderte von der Vorstellung eines monolithischen und ewigen Schöpfer-Allgotts zur "gottlosen"
Menschheit auf der Suche nach dem Ursprung des Universums und dem Sinn des Lebens bewegt
hat, sind wir an Vorstellungen unsterblicher Götter gewohnt. Dies trifft jedoch nicht unbedingt das
Wesen der Gottheiten im ursprünglichsten Sinne. Viele Götter der Welt waren in früheren
Erscheinungsformen sterblich. Götter stehen dem Menschen in einfacheren Kulturen sehr viel näher
als etwa die Bewohner des Olymp dem griechischen Bürger. Doch sind uns sogar Zeugnisse über
Grabstätten griechischer Gottheiten wie Zeus, Dionysos und Apollon überliefert. Neben den
Naturgeistern und den kosmischen Erscheinungen spielt bei der Entstehung von Gottheiten die Welt
der Toten eine herausragende Rolle. Und es währe nicht weiter verwunderlich, wenn sich die
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anthromorphe Gestalt vieler Götter dieser Welt als im Ahnenkult begründet herausstellen sollte. Die
früheste uns bekannte Form von Ritualen, sind die Begräbniszeremonien des Neandertalers.
Zweifellos stellt der Toten- und Ahnenkult eine gerne unterbewertete Quelle bei der Entstehung von
Religionen dar. Aber auch lebende Persönlichkeiten mit hervorragenden Qualitäten vermag das
einfache Gemüt als göttlich zu empfinden, was diese für eine Rolle als Mittler zwischen den Göttern
und den Menschen prädestiniert. Sei es als Schamanen, Zauberer, Priester, Heiler, Jäger, Krieger
oder einfach Könige. Zwischen all diesen Rollen gibt es fließende Übergänge. Selbstverständlich sind
es solcherart hervorragende Persönlichkeiten, deren Angedenken nach ihrem Ableben in die
Verehrung als Heros, Halbgott oder gar als Gottheit übergeht.
Der König als Mittler zwischen Göttern und Menschen kann sich in weiteren kulturellen
Entwicklungsstufen zu einem regelrechten Fetisch. wandeln. Das Schicksal seiner Untergebenen ist
abhängig von seiner Stärke, seiner Unversehrtheit und seiner Reinheit. Dies führt etwa dazu, dass
alles Profane für den König Tabu wird. Er wird in einer Sänfte getragen, damit er nicht den profanen
Boden berührt. Selbst sein Name darf nicht aus den Mündern der Profanen kommen. Aufgrund dieser
engen sympathetisch-magischen Verknüpfung von König und Untergebenen stellt das Altern des
Königs, das schwinden seiner vitalen Kräfte, das Aussetzen seiner Zeugungsfähigkeit eine Gefahr für
die Gemeinschaft dar. Aus dieser Situation begründet sich der rituelle Königsmord. Dieser kann ganz
verschiedene Formen annehmen. Ein junger potentieller Nachfolger mag auftreten, den König
herausfordern und im Zweikampf besiegen. Oder der Herausforderer wird selber zum Opfer und damit
zum Helden. Der rituelle Königmord wie auch der Zweikampf mit dem Herausforderer sind zentrale
10
Motive den James George Frazers Monumentalwerk "Der Goldene Zweig" . Diese Faktensammlung
demonstriert eindrucksvoll, dass die Idee des toten Gottes, wie auch des getöteten Gottkönigs ein
weltweites Phänomen ist, der tief in der Natur der Religion selber begründet zu sein scheint. Dieser
Umstand mag gelegentlich gar die Akzeptanz für das Christentum auf fremden Kontinenten begünstigt
haben. So waren beispielsweise die frühen Missionare in Mexiko völlig überrascht von der Ähnlichkeit
zwischen den aztekischen und christlichen Riten.
Das es weltweit in "unzivilisierten" Kulturen Menschenopfer gegeben hat, um die Götter günstig zu
stimmen ist schon eher allgemein bekannt. In der Regel handelte es sich dabei um junge erwählte
8
Die Legende ähnelt hier in einigen Details den Kindheitsgeschichten der israelitischen "Königskinder" Moses und Jesus.
9
Die Menschengestaltige Erscheinungsform der Götter.
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Ein Klassiker auf dem Gebiet der vergleichenden Religionswissenschaften. Dieses Buch war eine maßgebliche Inspiration für
Crowleys "Buch Thoth".
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Erwachsene. Darin mag Wunsch vernehmen, etwas sehr Wertvolles zu opfern, einen Hoffnungsträger
der Zukunft sozusagen. Gelegentlich handelte es sich dabei auch um Kinder, wobei die sexuelle
Unberührtheit eine Rolle spielt. Diese Motive vermischen sich gegebenenfalls mit dem Königsmord,
allerdings mit dem Unterschied, dass nicht der König, sondern der erstgeborene Sohn des Königs
11
geopfert wird , um den Bestand des Königtums zu sichern. Hier setzt auch das sogenannte
Scheinkönigtum an, welches auch hierzulande noch als Echo der römischen Saturnalien nachhallt,
wenn zur Fastnacht die Narren symbolisch die Regierungsgeschäfte übernehmen. Das
Scheinkönigtum ist eine Regelung mit der Zielsetzung, die Tötung des alten Königs vorzutäuschen.
Oft ist es ein zum Tode verurteilter Strafgefangener oder ein Leibeigener, der für eine kurze Zeit
sämtliche Privilegien des Königs genießt und der nach Ablauf dieser Frist hingerichtet wird. Das
berühmte "INRI" am Kreuze Christi dagegen, welches einer Auffassung folgend für "Iesus Nazarenus
Rex Iudaeorum", also "Jesus von Nazareth, König der Juden" stehen soll, könnte als esoterische
12
christliche Botschaft der (Schein-)Königsmord-Symbolik entsprechen .
Freilich sind nicht etwa sämtliche Götter der Welt auf legendäre Königsgestalten zurückzuführen.
Gerade die wirkenden Kräfte der Natur, die Vegetation, Berge, die Erde selber, der Himmel, die
Gestirne, der Regen, die Hitze, die Jahreszeiten sind in göttlichen Figuren verehrt, angefleht,
beschworen oder verdammt worden. Es entspricht der menschlichen Beobachtungsgabe wie auch der
Fähigkeit, verschiedene Dinge in Bezug zueinander zu setzen, um dahinter Grundsätzliches zu
erkennen, dass die belebte Natur wie auch der Kosmos mit dem Menschen das Schicksal als
Geborener, Lebender und Verstorbener zu teilen scheint. Das Werden und Vergehen der Vegetation,
die Aussaht und die Ernte, der Sonnenaufgang und der Sonnenuntergang, der abnehmende und der
zunehmende Mond, all diese Erscheinungen scheinen einen Anfang und ein Ende aufzuweisen.
Allerdings bleibt auch der Neuanfang nie aus. Der nächste
Frühling kommt bestimmt und wir brauchen nur auf den Morgen
zu warten. Wenn wir diese Beobachtung des ewigen Kreislaufs
der Natur, mit dem Werden und Vergehen eines Menschen in
Bezug setzen, dann haben wir eine der wahrscheinlichsten
Quellen für die Entstehung der Ideen von der Wiedergeburt oder
dem Weiterleben der Verstorbeben in einer anderen Welt
lokalisiert.
Die soeben beschriebene Gleichsetzung von menschlichem
Schicksal mit dem Kreislauf der Natur hat ganz offenbar die
Entwicklungsgeschichte vieler Gottheiten beeinflusst. Denn in
ähnlicher Weise wie Werden und Vergehen von Mensch und
Natur gleichgesetzt wurden, werden sich legendäre Helden- und
Königsgestalten an die Charaktere von Naturgeistern und Der von einem Eber getötete Adonis: Sowohl
jugendlicher Held als auch Vegetationsgott.
Göttern angenähert und schließlich zu neuen Gottheiten
vermischt haben. Auf diese weise haben viele Fruchtbarkeitsund Vegetationsgötter die Gestalt von jugendlichen Helden angenommen: Der von einem Eber
getötete Adonis, der von Thronneidern ermordete und zerstückelte Zeussohn Dionysos oder auch die
in die Unterwelt entführte Persephone.
Die Verbindung von Vegetation und Nahrung liegt auf der Hand. Der Umgang mit dem
Vegetationsgeist geht nicht selten mit der Verspeisung desselben einher, etwa in der Gestalt von
Broten oder Kuchen, die in Menschen- oder Tierform dargereicht werden. Setzen wir dies wieder in
Bezug zu den Menschenopfern, so mögen in Ritualen der Verspeisung des Gottes das Echo von
kannibalistischen Praktiken aus uralter Vergangenheit mitschwingen. Beide Vorstellungen sind fester
Bestandteil der christlichen Liturgie geworden.
Es mangelt also nicht an Bezügen, die eine gewisse symbolische Wesensverwandtschaft von Osiris
und Jesus Christus zulassen. Jedoch die Zuspitzung auf eine Entsprechung erscheint eher im
theosophisch-okkultischen Gedankengut begründet. Allerdings bleibt auch die Osirislegende bei
Frazer nicht unerwähnt. Drum währe im Folgenden zu untersuchen, inwieweit sich die Figur des Osiris
in die Reihe der toten Götter der Welt fügt.
Die toten und königlichen Götter in Ägypten
In der Ermordung des Osiris scheinen sich Echos von einem rituellen Königsmord finden. In dem
Kampf zwischen Horus und Seth mag man das Duell zwischen dem Throninhaber (in dem Falle Seth,
11
Dieses Motiv erscheint auch in der Bibel in der Gestalt von Isaak auf der seinen einzigen Sohn Jakob opfern soll. (2. Mose
22)
12
Ich bin sicher, dass dies Crowley so aufgefasst hat.
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der Osiris durch Mord ablöste) und Horus (dem Herausforderer) wiedererkennen. Allerdings ist weder
eine Praxis des Königsmordes als solches noch eine des Duells mit dem Herausforderer aus Ägypten
überliefert. Was allerdings nicht ausschließt, dass es solches in vorgeschichtlicher Zeit einmal
gegeben haben mag. Sehr wohl allerdings kannten auch die Ägypter Methoden zur Sicherstellung der
Kräfte des Pharaos: Sie wurden nach 30 Jahren Regierungszeit mit dem Sedfest erneuert. Die Kräfte
des Königs und das Wohlergehen des Staates sind also auch hier sympathetisch-magisch verknüpft.
Der außerordentlich menschliche Charakter des Osiris, der als König unter den Menschen gelebt hat,
scheint allerdings tatsächlich auf eine Herrscherfigur aus vorgeschichtlicher Zeit zu verweisen, die
posthum zu göttlichen Ehren gekommen ist. Jedoch ist dieser Charakterzug grundsätzlich gar nicht so
ungewöhnlich für die ägyptische Götterwelt.
Die Ägypter berichten von einer Vorzeit, in der dereinst die Götter auf Erden gelebt und geherrscht
haben und gleich den Menschen verstorben sind. An den wichtigen Kultzentren Ägyptens wurden gar
Listen über die Thronfolge der Götter geführt. Man spricht von der "Zeit des Re", "Zeit des Osiris" oder
13
der "Zeit des Horus" . Auch vom Pharao, der immer ein Gottessohn ist, sagt man, dass er mit seinem
Tode in die Welt der Götter übertritt. Überhaupt hat man den Eindruck, dass im alten Ägypten die Welt
der Götter mit der Welt der Toten nahezu identisch ist. Verhärtet wird dieser Eindruck durch den
Umstand, dass die Opferritualistik für Tote und für Götter auf denselben Grundlagen beruht. Am
14
Leichnam wie auch am Götterbildnis muss das Ritual der Mundöffnung vollzogen werden, um den
Gott oder den Toten in die Lage zu versetzen, fortan die Opergaben entgegen zu nehmen. Das
bedeutet, sowohl im Grab wie auch im Allerheiligsten des Tempels wird das selbe Ritual vollzogen,
um den Kult in einen lebendigen Zustand zu versetzen.
Ungewöhnlich im vergleich zu anderen ägyptischen Göttern erscheint dagegen die Ermordung des
Gottkönigs Osiris. Jedoch existieren frühere Versionen der Osirislegende, die davon sprechen, dass
15
der Gott schlicht ertrunken und nicht etwa einem Mord zum Opfer gefallen sei. Seth tritt in dieser
sehr viel kürzeren Fassung noch gar nicht in Erscheinung. Hier tritt ein Charakterzug des Osiris als
Personifizierung der fruchtbaren Erde und damit gleichsam seine Verbindung zur Vegetation und der
Jahreszeiten in den Vordergrund. Die Ägypter kannten drei Jahreszeiten: Die Zeit der
Überschwemmung, die Zeit der Aussaat und die Zeit der Hitze. Es erscheint schlüssig, dass die
Mysterienspiele des Osiris zum Ende der Überschwemmung stattfanden. In Bezugnahme auf die
dunklen fruchtbaren Nilschlamm nennt man Osiris gerne den "großen Schwarzen". Der ertrunkene
Osiris ist also die überflutete Erde. In diesem Lichte wird auch die Weckung seiner Zeugungskraft
nach seinem Tode verständlicher, denn hier sind die Regenerativen Kräfte der Natur am Werke. Die
Zeugung des Neuen bedingt das Vergehen des Alten.
Der Übergang in den Zustand der Nicht-Existenz, symbolisiert durch das Verschwinden im Wasser,
als Vorstufe zu einer vollständigen Erneuerung, symbolisiert durch das Aufsteigen aus dem Wasser,
ist ein zentrales Motiv des altägyptischen Kosmos. Und dieser findet auch seinen ursprünglichen
Anfang in der Form eines Erdhügels, der dem Urwasser entsteigt. Damit rückt Osiris gar in die Nähe
der Urgötter, die in aller Regel ursprünglich einen erdhaften Charakter aufweisen. Allerdings hat es
Osiris selber nie den Status eines Urgottes eingenommen. Dafür ist seine Rolle als mumifizierter
Bewohner der Unterwelt viel zu wichtig. Trotzdem stellt der Wechsel der Jahreszeiten eine alljährliche
Neuschöpfung dar, in der sich die Ursprüngliche Schöpfung wiederspiegelt. Ähnlich verleiht die Sonne
mit ihrem täglichen Auf- und Untergehen der Ordnung der Welt ihren Pulsschlag.
Osiris scheint also einer jener Götter zu sein, in der sich die Gestalt eines vorzeitlichen Herrschers mit
der einem der Welt der Naturgeister entsprungenem Gott vermischt hat. Tatsächlich lassen sich beide
16
Komponenten identifizieren. Anezty, der alte Gott des späteren Busiris , Hauptstadt des 9.
unterägyptischen Gaus, scheint auf einen Herrscher eines größeren vorgeschichtlichen Reiches zu
verweisen. Von ihm hat Osiris im Zuge des Zusammenfließens beider Gottheiten, die
17
Herrscherattribute Geißel und Krummstab, sowie die beiden Federn, die später Bestandteil der AtefKrone werden sollten, geerbt. Der Name Anezty, "der von Anezt", verweist möglicherweise auf seine
Herkunft, die allerdings nicht ganz geklärt werden konnte.
13
Die Ägypter kannten keine durchgehende, sich über die Jahrhunderte fortsetzende, Zeitrechnung wie wir. Die Zählung
begann mit jeder Regierungszeit eines Königs neu.
14
Es kann sich je nach Zeitperiode auch um ein Bildnis des Toten handeln.
15
In der Spätzeit berichtet Herodot von einer Vergöttlichung von Ertrunkenen. Leichen, die im Nil gefunden wurden und deren
Tod durch den Fluss eindeutig war, wurden mit allen ehren einbalsamiert und in heiligen Grüften beigesetzt.
16
Der Ortsname Busiris steht griechisch für "Per Usire", "Heiligtum des Osiris"
17
Eigentlich nur um der Form willen Geißel genannt, möglicherweise eine Hirtenpeitsche, vielleicht auch ein Fliegenwedel.
Letzteres währe ein passenderes Attribut für einen Angehörigen der vornehmen Gesellschaft.
Der 6000jährige Falke
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Solche Herkunftsverweise, sind bei Götternamen nichts Ungewöhnliches. Man erkennt sie leicht an
den "ty"-Endungen. Der Schreiberpatron Thoth, dessen ägyptische Name Dehuty ist, müsste
eigentlich von einem Ort namens Dehut stammen, der leider nicht überliefert ist. Der Falkengott
Behdety dessen unverkennbare Gestalt der geflügelten Sonnenscheibe so viele Türstürze in Tempeln
18
schmückt, heißt demzufolge "der von Behdet". Behdet bedeutet "Thronsitz" . Behdet verweist
gewissermaßen auf eine Hauptstadt, eine Hauptstadt der Götter. Der Thronsitz des regierenden
Gottes. Behdet ist also ein kultischer Name, eigentlich eher eine Attribuierung eines Ortes als der
Ortsname selber. Und tatsächlich haben verschiedene Orte zu verschiedener Zeit jeweils den
19
Anspruch erhoben, der Thronsitz zu sein. Etabliert hat sich schließlich die Stadt Edfu . Der gräzisierte
Ortsname Edfu lautet auf ägyptisch Tbo oder Atbo, was "Stätte der Vergeltung" bedeutet. Die lokale
Kultlegende, die einerseits eine vom Osirismythos unabhängige Version der Rivalität der Brüder Horus
und Seth darstellt, die andererseits auch in einer Version vorliegt, in der Seth nicht vorkommt, hat
20
verschiedene Forscher ebenfalls zu Spekulationen zu dem Ursprung des Gottes veranlasst, die in
die Richtung eines vorgeschichtlichen Reichsgründers veranlassten. In diesem Falle handelt es sich
weniger um einen Wohltäter als um einen Eroberer, einen scheinbar recht blutrünstigen Eroberer.
Anders als Anezty konnte jedoch Behdety sein eigenes Profil gegen andere Götter behaupten. Zwar
floss auch der Falkengott Behdety fast zwangsläufig mit dem ebenfalls von seiner Natur her
kriegerischen Falkengott Horus zu einem Heru-Behdety ("Horus von Edfu") zusammen. Jedoch blieb
vornehmlich der alleinstehende Name Behdety in Gebrauch.
Behdety ist freilich nicht der einzige kriegerische Falkengott, der in den Kreis der Erscheinungsformen
des Horus hineingezogen wurde. Falkenkulte scheinen bereits zu Beginn der geschichtlichen Zeit sehr
weit in Ägypten verbreitet gewesen zu sein. Die meisten gingen später vollständig in Horus auf. Eine
21
weitere Ausnahme ist der Gott der ehemaligen Hauptstadt des thebanischen Gaus , Juni. Er wird
auch gern "der thebanische Horus" genannt. Sein eigentlicher Name ist Month oder Montu. Gleich
seinem berühmteren Artgenossen wird er als Königsgott verehrt. Ab dem Mittleren Reich muss er sich
gegen den Patron des neu zur Hauptsstadt erklärten Theben, dem seinerseits nicht ursprünglich aus
Theben stammenden Amun durchsetzen, mit dem er zeitweise zu einem Amun-Month-Re
zusammenfließt. Leider können wir uns nicht darauf verlassen, dass alle falkengestaltigen Götter
sämtlichst kriegerischer Natur sind. So wurde in der Nekropole von Memphis ein Falke namens Sokar
(Seker) oder Sokaris verehrt, der später aufgrund seiner Eigenschaft als Totengott in den
Einflussbereich des Osiris gezogen wird. Abbildungen von Falken, die auf einer Bahre liegend dem
Einbalsamierungsprozess unterzogen werden, sind problemlos als Sokar zu identifizieren.
Kultpolitik und Götterkreationen
Mit diesem ersten Exkurs in die ägyptische Götterwelt hätten wir auch bereits einige der wesentlichen
Charakteristika derselben beschrieben. Ägypten kannte keine vereinheitlichte Religion. Stattdessen
verteilten sich ungezählte ortsgebundene Kulte über das ganze Reich. Jede Ortschaft von Belang
verfügte sozusagen über einen eigenen Schutzpatron, eine eigene Ortsgottheit. Zu ihr gesellen sich
weitere Gottheiten, die sich somit zu einem Götterkreis zusammenfügen. Neben dem Hauptkult der
Ortsgottheit werden oft ortsfremden Gottheiten Gastkulte gewährt. Es haben teils regelrechte Besuche
zwischen den Göttern stattgefunden, die in aufwendigen Prozessionen zelebriert wurden. Berühmt ist
das "Fest der schönen Umarmung", ein 14tägiger Besuch der Hathor von Dendera bei ihrem Gatten,
dem soeben vorgestellten Horus von Edfu. Es handelt sich in dem Falle also gar um eine
Götterhochzeit. Die Attraktivität eines Kultes kann dazu führen, dass er andernorts übernommen und
in die dortigen lokalen Kulte eingebunden wird oder diese vollends verdrängt. Nicht selten gehen, wie
im Falle von Anezti und Osiris, mehrere Götter über die Zeit in eine Mischung über, die fortan als eine
Gottheit verehrt wird. Oder eine Gottheit erweist sich insgesamt als stärker und verdrängt die andere
vollkommen.
Die Übernahme ortsfremder Kulte hat jedoch auch politische Gründe, etwa wenn mit dem Wechsel zu
einer neuen Dynastie die Hauptstadt des Reiches oder des Gaus verlegt wird. Denn mit der
Hauptstadt wechselt der Reichs- oder Residenzgott. In diesem Falle unternimmt die Priesterschaft
große Anstrengungen, einen Gott der in einem fremden Pantheon eine hervorragende Rolle spielt,
mittels theologischer Modelle und Mythen in das eigene Pantheon zu integrieren. Dies geschieht wohl
im Interesse der Erhaltung oder Vormachtsstellung der eigenen Kultstätte. Auf diese Weise etwa
18
Der Name könnte ursprünglich auch "Schmuckstätte" bedeutet haben.
19
Die Griechen nannten die Stadt in Anlehnung an Apollon, den sie mit dem Falkengott Horus identifizierten, Apollinopolis.
20
Allen voran E.A. Wallis Budge. Siehe "The Gods Of The Egyptians" Vol. 1, S. 473 ff
21
Man muss zwischen dem Gau Theben mit der alten Hauptstadt Juni (griechisch: Hermonthis) und der im Mittleren Reich
begründeten Hauptstadt ab der 11ten Dynastie, Theben unterscheiden.
Der 6000jährige Falke
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mögen eine Reihe von die Götterfamilien entstanden sein, in die der fremde Gott als Gemahl oder
Sohn aufgenommen wird. Auch viele der unzähligen Gleichsetzungen zweier oder mehrerer Götter
werden auf solche Kultpolitischen Konstrukte zurückzuführen sein. Diese führen dann zu den Doppel-,
Dreifach-, Vierfachnamen zusammengesetzter Gottheiten (Amun-Re, Atum-Re, Re-Harachte, u.ä.).
Man ist beinahe geneigt, solche Maßnahmen als synthetische Neukonstruktionen von Gottheiten
22
aufzufassen . Im Idealfalle kann die Gleichsetzung zweier wesensverwandter Götter die Vorstellung
auf den Bedeutungskern der Gottheiten richten. In der Regel jedoch entfernen sich die
eingebundenen und verbundenen Götter mit der Zeit zunehmend von ihrer ursprünglichen Bedeutung.
Man kann also durchaus von einer Konkurrenz zwischen den verschiedenen Kulten sprechen. Der
Streit der Brüder Horus und Seth, welche beide ursprünglich überhaupt nichts mit dem Götterkreis um
Osiris zu tun hatten, könnte eventuell auf eine solche Konkurrenz zweier Kulte zurückzuführen sein.
Zwar werden in der Legendenbildung beide gerne als Gegensatzpaar herausgearbeitet, etwa wenn
Horus für Licht, Ordnung, Tag, blauer Himmel und Heimat, dagegen Seth für Dunkelheit, Chaos,
Nacht, Unwetter und der Fremde steht. Doch scheinen sie von ihrer Natur her doch sehr ähnlich
gewesen zu sein, sowohl in ihrer kämpferischen Natur (beide stehen sie am Bug der Sonnenbarke um
die Unterweltschlange Apophis zu erlegen) wie in ihrem Herrschaftsanspruch. In früheren Versionen
der Legende um die verfeindeten Brüder wird Streit vor Gericht mit einem Kompromiss beglichen, in
der jedem eine Hälfte des Reiches zugesprochen wird. In einer anderen Version bekommt Seth das
Ausland und Horus Ägypten zugesprochen. So drastisch und gnadenlos der Ägypter sich in Bezug auf
den Umgang mit äußeren Feinden äußern kann, so sehr ist er im Inneren um Ausgleich bemüht. Viele
der künstlichen Gottfusionen haben schlicht eine Beilegung oder Umgehung von inneren Konflikten
zum Ziel.
Wie bereits an den Beispielen von Anezty und Behdety gezeigt, scheint der Charakter der
ursprünglichen Ortsgottheiten, soweit man das noch nachvollziehen kann, auch von den Mythen um
vorzeitliche Herrscherfiguren mit geprägt worden sein, die sich über die Zeit mit Gottheiten anderen
Ursprungs vermischt hatten. Sehr oft dürften jedoch seit ältester Zeit lokal ansässige Tierkulte als
eigentlicher Ursprung vieler Ortsgottheiten auszumachen sein. Wie jedoch das Beispiel des Sokar
gezeigt hat, kann man von dem Tier ausgehend auf den Charakter des Kultes selber nur spekulieren.
Sicherlich wird jedoch das instinktive Verhalten und die körperlichen Fähigkeiten eines Tieres, welche
von dem einfachen Gemüt eines Angehörigen einer steinzeitlichen Kultur als göttliche Überlegenheit
gedeutet wurden, den Charakter des Tierkultes geprägt haben. Allerdings haben die Ägypter schon
früh damit begonnen, solcherart Charakteristika zu abstrahieren. Diese Abstraktion geht einher mit
einem Wandel der verehrten Objekte, bzw. der Verehrung dienenden Objekte.
Während im Tierkult lebendig gehaltene Tiere (evtl. auch Wohnstätten wildlebender Tiere) unmittelbar
Objekt der kultischen Verehrung waren, gehen diese mit der Abstraktion in den Zustand theriomorpher
Göttergestalten über. Dabei handelt es sich um die berühmten menschengestaltigen Gottfiguren mit
Tierköpfen. Man kann diese einerseits so verstehen, dass nunmehr die besondere Kraft, für die ein
besonderes Tier charakteristisch ist, nun in der Gottgestalt eingefangen wurde. Somit ist fortan
konkret diese Kraft gemeint, die göttliche Verehrung erfährt, nicht mehr das Tier selber. Auf der
anderen Seite scheint in diesen theriomorphen Mischwesen die Vorstellung mitzuschwingen, das
diese Kräfte im Menschen selber wohnen. Man hat diese Vorstellung auch zur Charakterisierung von
Persönlichkeiten herangezogen. So kann von sethischen oder horischen Menschen die Rede sein.
Beim sethischen Menschen wohnt sozusagen Seth im Inneren einer Person. Eine solche scheint in
diesem Falle einen eher derben und cholerischen Charakter aufzuweisen. Auch das Herz, nach
ägyptischer Auffassung Sitz von Verstand, Gefühl und Gewissen (also wenn man so will der
Persönlichkeit) eines Menschen kann als Gott aufgefasst werden. Ähnlich werden auch
gegebenenfalls andere Organe als selbstständige Wesen, die im Menschen wohnen, aufgefasst.
Auch Erscheinungen und Kräfte aller Art, sowie abstraktere oder konkretere Begriffe können in einen
göttlichen Status übergehen. Man spricht in diesen Fällen von Personifikationen. Es gibt grundsätzlich
zwei Darstellungsformen von Personifikationen. Die erste ist eine rein menschlich gestaltete
Götterfigur, die eine Hieroglyphe oder bildliche Darstellung des gemeinten Begriffes als Kopfschmuck
trägt. Die zweite Form basiert auf der bildlichen oder hieroglyphischen Darstellung, aus der
menschliche Glieder wachsen. Eine dritte Grundform mag man noch darin erkennen, wenn eine
menschengestaltige Figur in anderer Form mit Attributen, die auf den Begriff verweisen, versehen
wird, etwa wenn die Himmelsgöttin Nut als mit Sternen übersäte, sich über die Erde beugende Frau
dargestellt wird. Das Geschlecht der Götterfigur wird meist durch das grammatikalische Geschlecht
des Begriffes vorgegeben. Allerdings erreichen nur die wenigsten Personifikationen tatsächlich den
22
Wie sich am Beispiel der Personifikationen zeigen wird, ist die Praxis von vorsätzlichen Gott-Neuschöpfungen durchaus im
Götterverständnis der Ägypter angelegt, auch wenn sie solche Götter-Kreationen nicht als solche verstanden wissen wollten.
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Status einer Gottheit. Oft dienen sie auch nur als Mittel der bildlichen Darstellung. So etwa die
sogenannten Gaugötter, die in bildlichen Darstellungen des Staatsgefüges Verwendung finden. Zu
den bekanntesten Personifikationen zählen die kosmischen Götter, mit deren Hilfe der Kosmos erklärt
wird, die jedoch -von Re einmal abgesehen- eher einen spärlich gesäten eigenen Kult genießen. Die
Göttin Isis müsste ihrer Gestalt nach ursprünglich eine Personifikation des Thrones gewesen sein.
Eine der wichtigsten Personifikationen ist sicherlich die Maat, die für Ordnung kosmischer wie
gesellschaftlicher Natur, Recht, Gerechtigkeit und Wahrheit steht.
Die Macht des Wortes und die Schöpfung
Die Vorraussetzung für die Erzeugung von Personifikationen, die für unser Denken doch recht
23
ungewöhnlich erscheint, ist weniger in einem Animismus zu suchen (obwohl Bestandteile von
solchen Vorstellungen gewiss mit hineinspielen mögen), sondern der besonderen Kraft, die der
Ägypter im Wort selber angelegt sieht und zwar sowohl in dem gesprochenen als auch in dem
geschriebenen Wort. Das Ausgesprochene Wort, das gebietende Wort, der Befehl ist in Heliopolis
gleichsam unter dem Namen Hu personifiziert worden. Das entspricht der Zunge des Ptah in
Memphis, der mit seinem Herzen (also den Vernunftkräften s.o.) die Welt ersann und mit seinem Wort
24
die Welt erschuf . Den Vernunftkräften des Herzens entspricht das Sia, die Personifikation von
Verstand und Erkenntnis. Das Sia ist also die Quelle des Hu, so wie die Zunge aus dem Herzen
schöpft. Wenn die Kraft des Wortes so mächtig ist, dass es die Welt erzeugt, dann auch es auch die
Kraft, die Ordnung des Universums aufrecht zu erhalten, Feinde in die Flucht zu schlagen, Wohl oder
Übel zu verbreiten. Die Macht des Pharaos war die Macht des Wortes. Hu kann auch für "Nahrung"
stehen. Ein Ineinanderfließen beider Bedeutungen (beides bedient sich des Medium des Mundes) ist
nicht ganz auszuschließen.
So wie dem gesprochenen Wort die Macht innewohnt, Kräfte des Sia freizusetzen, so wohnt der
Schrift die Macht inne, diese zu speichern. Und so wohnten der Hieroglyphenschrift von Anfang an
magische Kräfte inne. Exemplarisch veranschaulicht wird die in Fällen, wenn ältere Inschriften, die das
Zeichen für Seth enthalten, in späterer Zeit durch Hinzufügung von auf das Zeichen gerichteten
Messern unschädlich zu machen suchte. Obwohl die Hieroglyphenschrift keinesfalls eine reine
Bilderschrift war, gehen trotzdem Bild- und Schriftkunst ineinander über. So können Personifikationen
dazu geeignet sein, komplexere Sachverhalte in einer eindeutigen bildlichen Darstellung zuzuführen.
Bildnisse von Gottheiten sind in aller Regel auch als die Hieroglyphen für dieselben zu lesen. Und so
gehen Bild und Schrift fließend ineinander über. Wenn wir uns nun entsinnen, dass die Gottesbilder im
Allerheiligsten der Tempel durch das Mundöffnungsritual zum Leben erweckt werden und der Begriff
Hu auch für "Nahrung" stehen kann, dann könnte sich hier ein Kreis schließen. Denn Nahrung ist es
schließlich, was dem Toten an der Grabstätte zwecks Überleben im Jenseits und dem Gott in
allerbester Tradition orientalischer Gastfreundschaft "geopfert" wird. Diese Assoziation ist allerdings
mit Vorsicht zu genießen. Wissenschaftlich belegt ist sie nicht. Doch der Umstand dass der Demiurg
von Memphis, dessen Wort die Welt erschuf, gleichzeitig ein Künstler ist, der die Götter und
25
Menschen aus Lehm formte , kommt vielleicht nicht ganz von ungefähr.
In späteren Zeiten, als im Alltagsgebrauch die hieratische Kursivschrift die Hieroglyphen endgültig
abgelöst hatte, nahmen letztere die Rolle von heiligen Zeichen an. Wenn der ursprüngliche Sinn
älterer Worte, etwa Götter- oder Königsnamen sich dem Verständnis der Spätzeit entzog, so waren
die Zeichenkombinationen Objekte theologischer Deutung. Die Wort- und Schriftmagie der Ägypter
war in vielerlei Hinsicht ein unmittelbarer Vorläufer der Kabbala. Oft ist es möglich, ein und dasselbe
Wort, mit verschiedenen Zeichenkombinationen zu schreiben. Man kann etwa zwischen reiner
Bildzeichenschreibweise oder phonetischer Schreibweise wechseln. Noch häufiger sind Variationen
zwischen der Verwendung von alphabethischen Zeichen und Mehrkonsonantenzeichen. Solches
geschieht etwa, wenn man aus Respekt vor dem König oder einer Gottheit, deren Namen sozusagen
indirekt in alphabetischen Zeichen wiedergibt. Diese Form von Respekt ist begründet in der
Vorstellung, dass der Name selber ein Teil der Persönlichkeit, ja ein Teil der Seele ist. Über den
Namen ergibt sich die Möglichkeit des magischen Zugriffs. Aus diesem Grunde heißt es auch von den
26
Göttern, das sie ihre eigentlichen Namen geheim halten . Eine berühmte Legende erzählt davon, wie
Isis mit einer List den Sonnegott Re gezwungen hatte, ihr seinen geheimen Namen zu nennen. Auf
diese Weise hat sie sich das Wissen und die Kräfte des Re einverleibt. Die Ägypter liebten
23
Die Vorstellung, dass alle Körper und Gegenstände beseelt sind.
24
Der Vergleich zu NT, Johannes 1.1 drängt sich auf: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das
Wort." Das schöpferische Wort ist offenbar ein Gemeinplatz bei den Völkern des Vorderen Orients. (vgl. Lalouette S. 16 ff)
25
Die Parallele zu Adam, den aus Staub gemachten liegt auf der Hand.
26
Der geheime und unaussprechliche Name des Jehovah entspring einer nahezu identischen Auffassung von der Bedeutung
der Götternamen.
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Doppeldeutigkeiten und spielten daher auch gerne mit Methoden der Andersschreibung. So ist das
eigentliche Schriftzeichen für die Vogelseele des Menschen, welche sich Ba nennt, das Bild eines
Jabiru, eine afrikanische Storchenart. Rein phonetisch kann mit dem Wort Ba auch ein Widder
gemeint sein. Und so repräsentieren Widder in Jenseitsdarstellungen oft verschiedene Ba-Seelen, so
27
dass man sie schnell mit widderköpfigen Göttern wie Atum, Chnum oder Amun verwechseln kann.
Himmel, Wasser und Urgötter
Hiermit währe nun der Bogen zu jenen Göttern geschlagen, von denen einst das Wort der Schöpfung
ausging: Die Urgötter bzw. die Demiurgen. Freilich ist da Wort nicht immer das ursprüngliche Mittel zur
Erzeugung des Universums gewesen. Atum in Heliopolis erzeugte das erste Götterpaar durch
Masturbation. Dabei steigt ihm der Samen zum Mund hoch, worauf er das erste Götterpaar Shu und
Tefnut ausspeit. Ptah (in einer anderen Version der Legende) schuf das Weltei auf der Töpferscheibe.
Es ist wahrscheinlich dem Einfluss von Heliopolis und seinem Sonnenkult zu verdanken, dass die
kosmischen Götter im alten Reich an Bedeutung gewannen. Im Zuge einer von Heliopolis
angestoßenen Entwicklung, in der die kosmische Komponenten der Religion immer bedeutender
wurden, wurden die alten Ortsgötter und Stadtpatronen aufgewertet, indem man sie zu Weltschöpfern
hochstilisierte. Somit konnte fortan jeder Ort seine eigene Kosmogenie vorweisen. Der Stadtpatron
wurde als Schöpfer der Welt und Vater aller Götter angerufen. Und das konnte an jedem Ort oder Gau
ein anderer sein.
Die älteren Weltschöpfungsmythen aus vorgeschichtlicher Zeit kannten freilich nicht nur Väter. Wenn
etwa von der Himmelsgöttin Nut gesagt wird, dass sie die Gestirne am Morgen aus ihrem Schoß im
Osten gebiert und mit Ihrem Mund im Westen verschlingt, dann dürfen wir in ihr sehr wohl die Spuren
einer alten Demiurgin aus vorgeschichtlicher, matriarchalischer Zeit erkennen. Ähnlich verhält es sich
mit der Hathor von Dendera, die Göttermutter par excellence, zu deren ältesten Erscheinungsformen
die nährende Himmelskuh gehört. Die ägyptische Götterwelt und die Schöpfungsmythen aus
geschichtlicher Zeit sind dagegen bereits schon voll und ganz patriarchalisch ausgelegt. Folglich
werden in der Regel männliche Gottheiten und männliche Schöpferkraft an den Anfang des
Universums gesetzt. Dies wird den Ägypter jedoch nicht daran hindern, die Angelegenheit bei Bedarf
anders aufzufassen. Und so mögen die Göttinnen Nut, Hathor, Isis oder Neith als "Kuh, die den Re
gebar" angesprochen werden. Dem Ägypter ist eben nicht an der Deklaration einer absoluten
Wahrheit gelegen. Vielmehr neigt er dazu, dieselbe Geschichte in vielerlei Versionen immer wieder
neu zu erzählen, um jedes Mal einen anderen Aspekt, der für den gegebenen Anlass wichtig
erscheinen mag, hervorzuheben.
Den Himmel fassten die Ägypter gerne als Wasser, als Himmelsozean auf. Von dieser Vorstellung
leitet sich auch die berühmten Sonnenbarke ab, auf welcher der Sonnengott von Osten gen Westen
fährt. Die Wasser des Himmels korrespondieren mit den Wassern der Welt. Und hier kommt wieder
die alljährliche Nilüberschwemmung ins Spiel, die ganz offenbar eine wichtige Inspirationsquelle
ägyptischer Schöpfungsmythen darstellt. Wenn wir nun erfahren, das die Himmelskuh als solche (also
nicht die Göttinnen, die man in ihr sehen will) Methyer heißt, was "große Flut" bedeutet, dann schließt
sich ein Kreis der von Vorstellungen des Himmels und weiblichen Demiurgen über das Wasser, zum
Nil und schließlich zu dem Urwasser führt. Denn das
Urwasser, welches sich der Ägypter als träges
28
Gewässer vorstellte, aus dem sich einst der Urhügel
erhob, ist zweifelsohne von dem trüben
Überschwemmungswasser abgeleitet, in dem sich
nach und nach Inseln bilden, bis schließlich das
fruchtbare Land bestellt werden kann. Zwar wird das
Urwasser, durch eine männliche Gottheit personifiziert,
dessen Namen uns die Griechen als Nun überliefert
Links die Hieroglyphe für "Stern", "Zeit", "Stunde"
haben, dessen ägyptische Name jedoch sehr
(N14), rechts die Hieroglyphe für "Unterwelt" bzw.
"Jenseits" (N15). Der Name des Ortes ist der
wahrscheinlich Nu war. Jedoch hatte diese männliche
Name der Göttin: Duat. In der Hieroglyphe spiegelt
Gottheit auch eine weibliche Partnerin. Ihr gräzisierter
sich offensichtlich die alte Auffassung wieder, die
Name ist die Naunet, ihr ägyptischer Name wird als
den Sternen am Nachthimmel die Ba-Seelen der
29
feminisierung von Nuu wohl Nut gewesen sein. In
Toten erkennt.
27
Der Amuns-Widder gehört einer anderen, erst ab dem mittleren Reich in Ägypten heimischen Schafsrasse an, während die
Schafsrasse, die für den Atum-Widder und Chnum-Widder stand (zu erkennen an den fast waagerecht zur Seite stehenden
Hörnern) wohl früh ausgestorben ist. Der Ba-Widder ist in der Regel einer vom Atum-Typus.
28
In Memphids wird der Urhügel unmittelbar als Urgott verehrt: Tatenen, "das erhobene Land".
29
So Reizvoll die Analogie ist, man darf hieraus nicht auf eine wissenschaftlich nachgewiesene Identität der Naunet mit der
Himmelsgöttin Nut schließen.
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Hermopolis bilden beide das erste Götterpaar. Naunet stellt bei dieser Götterpaarung die Wasser des
Gegenhimmels, also die Wasser unter der Erde dar. Dies sind auch jene Wasser, die der Sonnengott
mit der Nachtbarke durchfährt. Naunet in ihrer Eigenschaft als Gegenhimmel ist also identisch mit der
Unterwelt, in der die Toten verweilen. Die Unterwelt selber, Dat oder Duat genannt, ist ebenfalls eine
Göttin. In weitern Umdeutungen der Kosmologie von Hermopolis wird das Paar Nun und Naunet als
das helle (blaue) und das dunkle Wasser unterschieden. So repräsentieren nunmehr Nun den Tagund Naunet den Nachthimmel. Die Rolle der Naunet als Unterwelt oder Dat als Wohnort der Toten
einerseits und als Nachthimmel andererseits, korrespondiert mit einem alten Volksglauben, der in den
Sternen am Himmel die Ba-Seelen der Toten sieht, die am Busen der Nut genährt werden.
Alle bekannten Wasser, der Nil, das Meer, der Himmelsozean, sie alle speisen sich aus dem Nun. Das
Wasser stellt also die Ursubstanz dar. Die Idee des reinen Nichts kannten die Ägypter nicht. Die
Schöpfung aus dem reinen Nichts ist eine Erfindung des jüdischen Monotheismus. Bei den Ägyptern
hingegen, scheint die Idee des Seins mit der Form verbunden zu sein. Das Potential der Form ist dem
30
trüben Wasser immanent. Die Form d.h. der Urhügel bilden sich selbstständig daraus . Ähnlich ist
Atum im Urwasser immanent, bis er dann schließlich dem Wasser entsteigt. Aus diesen
Zusammenhängen erklärt sich, dass die Urgötter in der Regel zunächst chthonischer Art sind, d.h.
dass sie in der Erde wohnen und wirken, ja die Erde sind. Exemplarisch ist hier der Gott Chepre. Die
Dungkugel, also die Erde, welche der Skarabäus vor sich herschiebt, ist aus dessen Speichel geformt.
Der Name Chepre bedeutet "der von selbst Entstehende". Dieser Name ist beinahe Exemplarisch für
einen Besonderen Charakterzug der Urgötter: Den der Selbsterschaffung. Selbsterschaffene Götter
haben keine Väter und keine Mütter. Sie werden gegebenenfalls als ihre eigenen Väter beschrieben,
um das Moment der Selbsterschaffung zusätzlich zu unterstreichen. Min-Kamutef wird in diesem
Bedeutungszusammenhang "der Stier (d.h. 'Begatter') seiner
Mutter" genannt.
Die Pillendreher (Skarabäen) dagegen sind ein hervorragendes
Symbol der Selbsterschaffung, da sie ohne für den Ägypter
erkennbare Ursache der Dungkugel entschlüpfen (von der sie sich
in Wahrheit im Larvenstadium ernährt hatten). Sie schienen sich
also ohne die bekannten Wege der Fortpflanzung zu vermehren.
Ähnliches glaubte man von Schlangen, Fröschen und anderen
Amphibien. All diese Tiere waren somit geeignet, den Urgott zu
repräsentieren. Amun-Kematef hat als Urgott die Gestalt einer
Schlange. Diese Vorstellungen mischen sich wieder in die von
Fruchtbarkeitsgöttern, da die sich selbsterschaffenen Tiere die Idee
des Entstehens quasi in isolierter Form repräsentieren. Die
froschköpfige Heket, die mit ihrem Partner Chnum in Esna als
Urgöttin verehrt wird, wurde auch "die große Entbinderin" genannt.
Sie ist es auch, die ihren Partner, den Bildhauer Chnum auffordert,
das Kind im Leibe zu formen.
Das Werk der Bildhauer Chnum und Ptah (der tatsächlich auch ein
Patron der Künste war) scheint den bereits weiter oben genannten
Zusammenhang zwischen Existenz und Form besonders zu
betonen. Im trüben Urwasser ist das Potential der Form immanent.
Aus dem trüben Wasser bildet sich der Erdhügel, die Form, die
Existenz. Die Vorstellung des Erdhügels scheint unserer Logik zu
widerstreben. Alternativ darf man sich vielleicht einen im Wasser
schwebenden Erdklumpen vorstellen. Gehen wir einen Schritt
weiter und abstrahieren den Begriff "Wasser" in den Begriff
"Formlosigkeit" oder auch "Chaos", dann mag dies unserer
heutigen Vorstellungswelt vielleicht zusätzlich entgegenkommen. Und dann verlassen wir Ägypten für
einen kurzen Moment und denken an die Entstehung des Sonnensystems aus Verwirbelungen von
ungeordnetem Gas und Staub, Formen, die sich aus "formloser" Materie bilden. Ich denke, so darf
man sich auch mit "modernen" Denken, den Vorstellungen der Ägypter nähern.
Der Scarabäus (Pillendreher) steht
für den Urgott Chepre und als
Hieroglyphe (L1) für "werden". Der
Urgott betont in dieser
Erscheinungsform besonders den
Aspekt der Selbsterschaffung. Die
Ägypter glaubten, die der
Dungkugel entschlüpften jungen
Käfer seien ohne Fortpflanzung von
selber entstanden.
Sobald die Form existiert, ist die Grundvorrausetzung für Belebung geschaffen. Dieselbe Idee steht
auch hinter der Praxis der Mumifizierung. Der Körper bleibt erhalten und kann daher auch
wiederbelebt werden, etwa mit dem Mundöffnungsritual. Die Kraft, welche die Glieder in Bewegung
30
Man kann sich auch eine modernere Version dieser Vorstellung bereiten, wenn man den Begriff des Wassers ein Stück weit
abstrahiert und einfach "Formlosigkeit" nennt. Und dann denke man an die Entstehung des Sonnensystems aus
Verwirbelungen von "formloser" Materie.
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versetzt, nennen die Ägypter Ka. Man kann fast behaupten, das Ka sei die Belebtheit schlechthin. Das
Ka stellt Gewissermaßen ein Gegenstück zur Vogelseele Ba dar. Denn während die Vogelseele, etwa
im Traum, den Körper verlasen und wieder zurückkehren kann, bleibt das Ka bis zum Tode an den
Körper gebunden. Nach manchen Vorstellungen stellt das Ka ein regelrechtes Zwillingsbild seines
Inhabers dar. Chnum etwa ist dafür zuständig neben dem Kind im Leibe auch ein dazugehöriges Ka
zu formen.
So sehr die Idee der Existenz mit der Idee der Form verbunden ist, so geht der Zustand der
Formlosigkeit mit dem Zustand des Nicht-Seins gleich. Diese Vorstellung scheint auch in der
Zerstückelung der Leiche des Osiris mitzuschwingen. Schließlich werden die Leichenteile auch noch
in den Nil geworfen, was geradezu eine völlige Auflösung der Identität des Verstorbenen impliziert.
(Formen sind unterscheidbar. Formlosigkeiten nicht.) Auf der anderen Seite scheint in einem
Übergang in das Nicht-Sein auch das Potential der vollkommenen Regeneration zu stecken. So
ergeht es dem überfluteten Land, welches als fruchtbare Erde wieder hervorsteigt. So ergeht es der
Sonne auf ihrer Nachtfahrt durch die Unterwelt. Sie tritt alt und müde in den Westen ein und erscheint
vollkommen erneuert am östlichen Horizont. Das heißt also, das die Unterweltfahrt der Sonne eine
Notwendigkeit darstellt, welche die Ordnung des Universums aufrecht erhält. Durch die ständige
Erneuerung, ist der Bestand des Lebens gesichert. Dies ist der Pulsschlag der Welt. Unter dem
Einfluss des Sonnenkultes von Heliopolis haben die meisten, der eigentlich chthonischen Urgötter mit
der Zeit solaren Charakter angenommen. Allen voran der Schöpfergott von Heliopolis selber, der
fortan als Atum-Re das offenbare Objekt der Anbetung am Himmel darstellt. Der unleugbare
Zusammenhang zwischen Sonnenlauf und Werden und Vergehen der Natur scheint gleichsam der
Beweis der Verbindung der Sonne zum Urschöpfer gewesen zu sein. Der Weltschöpfer nimmt mit
seiner beständigen Aktivität nun die vorrangige Rolle des Welt-Erhalters an. Der Wechsel von Tag und
Nacht ist der Herzschlag des Universums. Der erdige Gott wird somit umgedeutet zum ersten Licht,
welches das Urwasser erleuchtete. Der Urhügel wandelt sich, quasi in Kombination beider
Vorstellungen, zur Feuerinsel (Re-Tatenen in Memphis).
Zwischen den Horizonten
Drum bleibt der Schöpfergott Atum auch in seiner
Gestalt als Sonnengott den Tiefen der Wasser
erhalten. In den Unterweltsbüchern ist es die
Gestalt des Atum-Widders, welche auf der
Nachtbarke die Wasser der Unterwelt durchfährt.
Bei bestimmten Auffassungen kann die Gestalt
31
des Widders auch hier wieder mit dem Ba
zusammenfließen. Aus dem Atum-Re wird das Ba
des Re. Oder wird die Sonne als das Ba des
Osiris verstanden, welches diesen wie auch alle
anderen Toten in der Unterwelt aus dem Schlaf
erweckt. Denn die Nacht der diesseitigen Welt ist
der Tag der Unterwelt. Umgekehrt wird Osiris
auch als das Ka der Sonne verstanden, zu der
diese in der Nacht zurückkehrt.
Links die Hieroglyphe für "Ostgebirge" oder auch einfach
"Gebirge". Rechts die Hieroglyphe für das Wort "Westgebirge"
oder auch "Wüste". Gemeint ist die Libysche Wüste. Sie ist ein
Attribut des Gottes Ha, der Gott der Libyer. Beide Hieroglyphen
stehen auch synonym für "Osten" und "Westen". Der Westen,
"Ament" selber ist wiederum ein Synonym für "Das Reich der
Toten". Der Totengott Osiris erscheint daher auch als
Einwohner vom Westen, Amenty: "der vom Westen".
In der Mitte die Hieroglyphe für "Horizont". Sie wird gebildet aus
den Hieroglyphen für "Ostgebirge" und "Sonne". Daher ist es
legitim, die Hieroglyphe als "aufgehende Sonne" zu verstehen.
Man sagt auch: "Horus vom Lichtland". Da Horus ein Lichtgott
ist, sagt man auch: "Horus ist im eigenen Haus".
Das Reich der Toten wird auch mit dem Ort des
Sonnenuntergangs gleichgesetzt: Amentet, der
Westen. Hier zeigt sich wieder die Neigung des
Ägypters für die gleichen Aussagen verschiedene
Metaphern und Bilder zu verwenden. Und diese
Bilder werden auch simultan eingesetzt. Osiris,
der "Herr des Westens" lebt in der Unterwelt. Auch
die Toten werden auch als "Bewohner des
32
Westens", Amenty beschrieben. Und genau so,
wie die Sonne das Totenreich in der Gestalt des
Atum-Re durchreist, so steht auch Atum als
Synonym für die Sonne im Westen.
Da der Horizont zu den Dingen gehört, die paarweise auftreten,
kann der Name des Harachte, dessen Name eigentlich aus
grammatikalischen Gründen mit einer Verdoppelung der
Horizont-Hieroglyphe eventuell auch als "Horus der zwei
Horizonte" gelesen werden.
Der Horizont ist ein Ort des Übergangs. namentlich eines
Übergangs zwischen Unterwelt und Tag, Jenseits und
Diesseits. Da auch der Tempel ein Ort des Übergangs ist, an
dem man den Gott einlädt, im Diesseits anwesend zu sein,
kann es vorkommen, dass auch der Tempel als "Horizont"
bezeichnet wird. Der "Horus vom Horizont" währe demnach
auch der "Horus vom Tempel".
So wie der Westen Heimstatt der Toten ist, so ist
der Osten der Ort der Geburt, vor allem der Wiedergeburt der Sonne, einer Sonne die sich wenige
31
D.h. hier wird die phonetische Gleichheit von Ba für "Widder" und Ba für "Vogelseele" verwendet.
32
Eigentlich "die Westlichen" oder "die vom Westen". Man beachte die "ty"-Endung.
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Drei Zeichen für verwandte Begriffe. Links das Zeichen für
Achu oder (Khu): "Licht, Glanz (der Sonne)", Stut: "Strahlen",
Weben: "sich erheben" und Henememet: "Gottesvolk des
Atum". Letzteres ist eine Art "Aristokratie des Jenseits", eine
theologische Erfindung aus Heliopolis.
In der Mitte der Ach-Vogel, ein Schopfibis, der für
"Geistermacht, Geistwesen, Lichtwesen" steht. Achu ist
eigentlich der Plural von Ach.
Stunden zuvor in der Unterwelt vollkommen regeneriert
hat. Für die Sonne im Osten setzte man komplementär
ebenfalls symbolisch die Gestalt eines Urgottes ein.
Chepre bietet sich als Ideales Symbol der Erneuerung
an. Im Grunde repräsentiert Chepre hier die
Morgendämmerung, das erste Licht ohne die
erkennbare Sonne, genau wie die Käfer, die noch nicht
der Dungkugel entschlüpft sind. Im Unterweltbuch
Amduat wird Chepre denn auch als Bezeichnung der
33
letzten beiden Nachtstunden angesetzt. Er
repräsentiert also das ungeborene Sonnenkind.
Rechts der Ba-Vogel, der für die Vogel-Seele spielt.
Vermutlich sind die Begriffe des Ach und des Ba parallel aus
ähnlichen Vorstellungen entstanden.
Die Gestalt des Sonnenkindes selber, ist jedoch eine
Erscheinungsform des Gottes Horus. Man kennt ihn als
Harpokrates, ein Kleinkind, dass auf den Krokodilen
des Nils steht oder auch als Harsiesis, Sohn von Isis und Osiris, der auf einer Lotosblüte sitzt. Das
dieses Sonnenkind ein Horus ist, kommt nicht von ungefähr. Denn der Horizont ist auch die Heimstatt
des Horus. An dieser Stelle ist es zunächst einmal wichtig zu betonen, dass Horus nicht im engen und
ursprünglichem Sinne als Sonnengott zu verstehen ist, sondern, dass er Charaktereigenschaften
besitzt, die ein Zusammenfließen mit der Sonnensymbolik begünstigen.
In kosmischen Zusammenhängen ist Horus jedoch ein Licht- wie auch ein Himmelsgott. Im Gegensatz
zum dunklen Nachthimmel der Nut offenbart sich der Himmelsgott Horus als hellblauer Taghimmel.
Als Lichtgott, zeigt er sich in Lichtern aller Art, also nicht nur der Sonne, sondern auch dem Mond, den
Sternen und allem Leuchten des Himmels. Dies könnte auch das Leuchten des blauen Taghimmels
selber mit einbeziehen. Gerade die Gestalt des Horus-Behdety, dessen Fittiche sich schützend über
die Welt unter ihm ausbreiten und der dabei gleichsam die Sicht auf die über ihn gebeugte Göttin Nut
verdeckt, legt die Assoziation zum blauen Taghimmel
nahe, der seinerseits tatsächlich die Sicht auf die
Sterne verdeckt. Dieses "Verdecken" ist in
Dämmerungen bei klarem Himmel gut zu beobachten.
Zu einem echten Erlebnis wird das Leuchten des
Himmels jedoch in den Morgen- und Abendröten,
deren Schönheit ja weniger an dem "Licht-Objekt"
Sonne selber festzumachen ist, als in dem Lichtspiel
zwischen der Luft und den Wolken. Und sicher werden
auch die Lichtstrahlen, welche die feuchte Luft sichtbar
macht, sobald die Sonne hinter einer Wolke oder einer
Zwei Schreibweisen des Namens "Horus vom Horizont"
Bergsilhouette steht, der Beobachtung des Ägypters
(gr. Re-Harachte). Die Hieroglyphe für "Horizont" ist erst
nicht entgangen sein. (vgl. die Hieroglyphe für Achu,
seit der 5ten Dynastie belegt. Daher handelt es sich
der Sonnenscheibe mit Strahlen im Kasten nebenan.)
oben um die ältere Schreibweise, die Heru-Re-Achety
Gerade hier kommt das Motiv des Horizonts zum
(Horus-Sonne-vom-Horizont) zu lesen ist. Der Verweis
"vom Horizont" (achety) wird durch eine Verdoppelung
tragen, denn das Licht selber offenbart sich in seinem
der Hieroglyphe für Insel dargestellt (Gardiner N19).
Spiel, ohne das die Quelle ersichtlich ist. Und
Inseln, derer es im Nil viele gab und die sich von Jahr
solcherart Beobachtungen erklärt vielleicht auch die
zu Jahr veränderten, galten dem Ägypter als Symbol für
Symbolik des Horizonts als Heimstatt des Lichtgottes.
den Urhügel, auf/mit dem der Schöpfergott (nunmehr
durch die Sonne repräsentiert) erstmals erschien.
Das Licht selber wäre demnach gemeint und nicht
dessen Quelle. Umgekehrt gibt es auch
Die Verdoppelung verschwindet mit der neueren
Schreibweise jedoch nicht. Die zweite HorizontInterpretationen, in im Begriff des Horizonts eine
Hieroglyphe ist jedoch als (nicht gesprochenes)
Betonung der "verborgenen Sonne" erkennen wollen.
Determinativ zu lesen, welches aus dem Gegenstand
Diese Interpretation nimmt Bezug auf das Wort für
Achet in eine Substantivierte Eigenschaft Achety
Horizont selber: Achet. Dieses Wort gehört mit Ach,
wandelt. Da der Horizont jedoch zu den Dingen gehört,
die paarweise auftreten, darf diese Schreibweise auch
einem Wort für "Geistermacht, Verklärtheit,
als "Horus der zwei Horizonte", nämlich Ost und West,
Geistwesen", zu einem gemeinsamen semantischen
aufgefasst werden.
Feld, dass einerseits den Bedeutungsbereich
"leuchten, glänzen" abdeckt, bei dem im religiösen
34
Kontext die Bedeutung einer "Wirksamkeit mit verborgener Ursache" grundlegend ist . Wieder ein
Kreis schließt sich, wenn man davon ausgeht, dass die Begriffe Ach und Ba sehr miteinander
33
Unsere Einteilung des Tages in 24 Stunden stammt ursprünglich von den Ägyptern. Diese teilten den Tag in 12 Tagstunden
und 12 Nachstunden. Je nach Jahreszeit, fiel die Tag- oder Nachthälfte und damit auch die Stunden größer oder kleiner aus. Im
Unterweltbuch Amduat ist jeder Nachtstunde ein eigenes Kapitel gewidmet.
Der 6000jährige Falke
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verwandt sind. Die Sterne als Ba-Seelen der Toten, das Leuchten, der Glanz, die Geistwesen,
Wirkung mit unbekannter Ursache, der Horizont: Dies alles sind Begriffe, die wir nunmehr in vielfältige
Beziehung zueinander setzen können.
Auch das Symbol des Horizonts, der die aufgehende Sonne verbirgt und des Skarabäus, der in der
10ten Nachtstunde die (mit der Sonne Identifizierten) Dungkugel, welche die werdenden Käfer
verbirgt, in Richtung Himmel schiebt, gehen erstaunlich harmonisch ineinander über. Und es sind zwei
Urgötter, welche die verborgene Sonne im Osten (Chepre) und Westen (Atum) repräsentieren. Der
Urgott ist es, der das erste mal auf dem, bzw. als Urhügel erschien. Die Ägypter sahen in Hügeln und
Anhöhen, die sich in den Überschwemmungszeiten oft zu Inseln verwandelten, wie auch in Inseln aller
Art, Symbole für den Urhügel. Hügel sind daher auch bevorzugte Orte für den Bau von Tempeln. Ein
Tempel ist ein Ort, der zwei Welten angehört: Dem Diesseits und
dem Jenseits. Genau dasselbe trifft natürlich erst recht auf
Grabstätten zu. Wir erinnern uns, dass Totenkult und Götterkult
zumindest rein technisch oft ineinander fließen. In Tempeln und
Grabstätten erkennen wir Orte, an dem der Diesseitige Mensch
auf jenseitige Wesen, also Verstorbene oder Götter, trifft. Sie sind
somit gleichsam Orte des Übergangs. Und genau so versteht der
Ägypter auch den Horizont als einen Ort des Übergangs, der Ort,
an dem die Sonne der Unterwelt zur Tagwelt, vom Jenseits zum
Diesseits wechselt. Und tatsächlich nennt der Ägypter seine
Die Sonne, sich über einem Hügel erhebend,
Tempel und Grabstätten auch Horizont. Ein Osiris-Tempel ist
steht hieroglyphisch (Gardiner N28) für "Hügel",
also der Horizont des Osiris. Mit dem Zeitpunkt der Weihe des
"Urhügel", "sich erheben" und "erscheinen". Es
Tempels ist der Gott in seinem Horizont. Ähnlich redet man von
beinhaltet offenbar die Vorstellung des ersten
Erscheinens des Schöpfergottes.
dem Horizont des Pharaos, wenn man von seiner Grabstätte
redet. Tempel sind also Horizonte und Tempel werden bevorzugt
auf Anhöhen errichtet, die in Erinnerung an den Urhügel auch als Inseln zu verstehen sind. Und
tatsächlich besteht die alte hieroglyphische Schreibweise für den Begriff "Horizont" aus der
Kombination von zwei "Insel"-Hieroglyphen.
Das Alter der Sonne: Vater und Sohn
Die Ägypter markierten den Tageslauf der Sonne mit drei Kardinalpunkten. Zwei davon haben wir in
den vergangenen Abschnitten intensiven Betrachtungen unterzogen: Chepre steht für Osten und
Atum für Westen, also Morgen- und Abenddämmerung. Der dritte Kardinalpunkt liegt auf der Hand:
Der Mittag, die Sonne im Zenit. Dieser Kardinalpunkt wird bemerkenswerter Weise mit nichts weiter
markiert, als dem Gestirn selbst: Der Sonne, also Re. Denn Name der Gestirns und Name des die
Sonne personifizierten Gottes sind (das liegt in der Natur der Personifikation) identisch. In dieser
Dreigliederung des Tagesbogens (Osten, Zenit und Westen) sehen einige Forscher auch den
35
Ursprung des Rätsels der Sphinx von Theben : Der Mensch, der als Kind auf allen vieren krabbelt,
als Erwachsener auf zwei Beinen steht und als Greis mit Krückstock ein dreibeiniges Wesen darstellt.
Diese drei Metaphern für die drei Menschenalter, korrespondieren mit den drei eben genannten
Kardinalpunkten, die der Ägypter ebenfalls mit den drei Lebensabschnitten gleichsetzt. Dem
Sonnenkind im Osten steht der Sonnen-Greis im Westen gegenüber. Auch wir verwenden heute eine
ähnliche Symbolik, etwa wenn wir vom Lebensabend reden. In der Mitte zwischen Kind und Greis
steht der erwachsene Mensch in der Blüte seiner Jahre. Auf der Höhe seiner Kraft ist er der Sonne zu
Mittag gleich, die zu diesem Zeitpunkt ganze Fülle ihrer Kraft entfaltet. Diese Kraft ist nicht unbedingt
sonderlich angenehm für das Leben auf der Erde. Es ist die drückende und zehrende Hitze, die
beißende Trockenheit der Wüste. Hier begegnen wir dem aggressiven und lebensfeindlichen
Charakter der Sonne. Es ist also bei weitem nicht so, dass die Lichthälfte der 24 Stunden
ausschließlich etwas Positives bedeutet. Und es erscheint einleuchtend, wenn manche Forscher in
der Mittagssonne den kriegerischen Charakter des Horus suchen. Horus-Behdety etwa, der als
Flügelsonne stets im Zenit des Himmels dargestellt wird, könnte mit seinem kriegerischen Naturell
tatsächlich der Mittagssonne entsprechen.
Die Ägypter setzten neben dem Tageslauf auch gerne andere Zeitspannen mit dem Leben eines
Menschen gleich, so etwa den Lauf des Jahres. Wieder ist es die Sonne, welche menschliche
Lebensalter annimmt. Dies ist die Sonne der Jahreszeiten. Am Ende des Jahres sind ihre Kräfte durch
das ewige auf und ab und von den nicht enden wollenden Kämpfen gegen die Unterweltschlange
Apophis verbraucht. Hier darf man sich nicht allzu sehr an dem Widerspruch zur Vorstellung der sich
34
vgl. Karl Jansen-Winkeln: "Horizont und Verklärtheit: Zur Bedeutung der Wurzel Ach", in "Studien zur Altägyptischen Kultur"
Nr. 23 (1996), S. 201-215.
35
Gemeint ist die Sphinx aus der Ödipus-Sage.
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allnächtlich vollständig regenerierenden Sonne reiben. Dies gehört zu der bereits erwähnten Neigung
des Ägypters, die Geschichten immer wieder neu aus einer anderen Perspektive zu erzählen. Aus der
jetzt geschilderten Perspektive ist die Sonne deshalb ein Greis, weil das Jahr sich dem Ende zuneigt.
Einen solchen "Jahres-Greis" mögen wir etwa in dem senilen Re sehen, der sich von der Isis
überlisten lässt. Isis ließ den tattrigen Re von einer Giftschlange beißen und erpresste den geheimen
Namen des Gottes mit der Androhung der Verweigerung ihrer Heilkünste.
Ein anderer berühmter "Sonnen-Greis" ist der Re-Harachte (der bereits erwähnte "Horus vom
Horizont") in der Legende von Edfu. Dieser kehrt als müder König und Feldherr nach nicht enden
wollenden Kämpfen gegen die Kräfte des Chaos heim. Er beauftragt seinen Sohn Horus-Behdety, in
Stellvertreterschaft nunmehr die Rolle des Feldherrn gegen die Feinde der kosmischen Ordnung und
Ägyptens einzunehmen. Als Flügelsonne schwingt sich Behdety gen Himmel. Das heißt, er nimmt die
Position seines Vaters ein. Von dort erspäht er die Feinde und stürzt sich auf sie. Das Motiv des
Nachfolgers, des Thronfolgers, der als Krieger seinen Vater vertritt, erinnert freilich wieder an den
Sohn des Osiris, der seinen Vater rächt. Allerdings ist der Osiris-Sohn scheinbar ein kriegerischer
Thronfolger eines friedfertigen Königs, während Behdety ein Feldherr in der Nachfolge eines
Feldherrn ist. Das allerdings stimmt nicht ganz. Denn eine der großen Taten des Osiris ist die
Vereinigung des Reiches, also die Vereinigung von Ober- und Unterägypten, die wohl nicht ohne
kriegerische Handlungen vonstatten gegangen sein wird. Und an dieser Stelle muss das Motiv der
Einigung des Reiches nochmals betont werden. Dies ist eine zentrale Handlung, die allen Göttern
zugeschrieben wird, sobald sie im Rahmen einer lokalen Legendenbildung die Rolle von
vorgeschichtlichen Gott-Königen einnehmen! Die Einigung des Reiches ist ein zentraler Bestandteil
der nationalen Identität Ägyptens! Denn die Reichseinigung stellt den entscheidenden Schritt zur
Bildung der Nation Ägyptens dar. Die Möglichkeit, dass hinter verschiedenen Legenden der
Reichseinigung tatsächliche vorgeschichtliche Herrscher stehen könnten, die einst mit
Eroberungskriegen lediglich einzelne Fürstentümer zu kleineren Staatsgebilden zusammengeführt
hatten, tut dem Motiv der "Bildung einer Nation" selber keinen Abbruch.
Horus und Königtum
36
Auf nationaler Ebene jedoch gibt es nur einen Gott, der symbolisch für die Gründung der Nation
steht und das ist der falkenköpfige Gott Horus! Drum dürfen wir getrost in dem Kern, der hinter der
Legende von Edfu steht, die ältere Version der Rolle des Horus als Feldherrn ansehen, denn sie
kommt sogar ohne die Figur des persönlichen Gegenspielers Seth aus. Die Osiris-Legende dagegen
37
ist ganz offensichtlich, wie bereits angedeutet, aus mehreren Legenden zusammengesetzt . Wie und
warum wird im Folgenden noch zu klären sein.
Zunächst ist es jedoch bedeutender hervorzuheben, dass wir bei der Edfu-Legende auf zwei HorusGötter treffen: Re-Harachte und Horus-Behdety. Der erstere ist in dem Falle der Vater des zweiten.
Aber auch die Neunheit von Heliopolis kennt zwei Horus-Götter. Der berühmtere ist der Isis-Sohn
Harsiesis. Der ältere Haroeris (Heru-Ur) ist Bruder von Osiris, Isis und Seth. Er spielt jedoch in der
Osirislegende bestenfalls eine Nebenrolle. Sein Name bedeutet "Horus der älter". Er scheint dem
Bedürfnis entsprungen zu sein, den alten, ursprünglichen, eigentlichen und von aller Legendenbildung
unabhängigen Horus seinen ihm zustehenden Platz im Pantheon bereitzustellen. Wer soll dieser
Horus sein?
Betrachten wir noch mal das Vater-Sohn-Verhältnis: Der Sohn ist entweder Nachfolger seines Vaters
als Herrscher oder auch einfach der Stellvertreter seines Vaters als Feldherr. Man könnte meinen, der
junge Horus-Stellvertreter sei sozusagen die Exekutive, während der Vater selber Gesetzgeber ist,
jedoch im Hintergrund bleibt. Der junge Horus ist also ein Garant für die Beständigkeit der Ordnung,
während der Vater die Ordnung vorgegeben hat. Natürlich fühlt man sich unweigerlich wieder an das
Wesen der Gottkönige erinnert, an deren Person das Schicksal des Volkes hängt und an die
Notwendigkeit der Erhaltung der Kraft dieser Könige, die bei fortgeschrittenem Alter nach einer jungen
Nachfolge verlangt. Schließlich ist der erschöpfte Re-Harachte ein alter Sonnen-Greis, der sich über
das Jahr verbraucht hat.
36
Sema-Taui, die "Vereinigung der beiden Reiche", bzw. verkörpert durch einen Falkengott ("Der Vereiniger der beiden
Reiche") gleichen Namens (gr. Somtus), der auch in eine Form des Horus übergeht, genannt Har-Semataui (Harsomtus).
37
Zu allem Überfluss vermischen die Texte aus dem Horus-Heiligtum in Edfu die Edfu-Legende mit der Osiris-Legende. Das
wird allerdings nachvollziehbar, wenn man mit einbezieht, dass der Edfu-Tempel aus der Ptolemäerzeit stammt.
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Und tatsächlich ist es der Gott Horus, in dem sich das ganze Wesen
des ägyptischen Königtums nicht nur wiederspiegelt, sondern
unmittelbar manifestiert! Wir haben es in Ägypten mit einem
Gottkönigtum reinsten Wassers zu tun! Der Pharao ist nicht etwa nur
durch die Götter legitimiert, nein, er ist selber ein Gott. Dies mag uns
heute, die wir aus der christlichen Kultur kommen maßlos überheblich
erscheinen. Jedoch müssen wir uns bei den Gottkönigen immer wieder
bewusst machen, dass die Götter antiker Kulturen dem Menschen bei
weitem nicht so fern waren, wie der Allgott der Erben Abrahams.
Der Pharao nimmt die vielfältigen Rollen des Horus ein. Er ist zunächst
mal der Sohn. Er ist zu einem der Sohn seines Vaters. Er ist damit aber
gleichzeitig auch tatsächlich Stellvertreter seines Vaters. Schließlich ist
Der Horusname: Der Horusfalke
der Vater nicht einfach im Nichts verschwunden, sondern weilt
sitzt auf einer Ansicht und
Draufsicht verbindende
nunmehr bei den Göttern. Entweder ist er ein Osiris in der Unterwelt
Darstellung des Königspalastes.
geworden oder er ist zu seinem Vater Re-Harachte in die
In dem von der Draufsicht
Himmelsbarke gestiegen. Während der verstorbene Vater fortan in der
gebildeten Feld ist der Name des
Welt der Götter weilt, übernimmt der Sohn stellvertretend die Geschäfte
Königs verzeichnet. Die Position
des Vogels "auf" dem Gebäude
im Diesseits. Der Pharao ist zugleich ein Gottessohn. Nicht allein
ist Hieroglyphisch als "in dem
wegen seines Eigennamens oder Thronnamens, der ihn als Sohn des
Palast befindlich" zu lesen.
Thoth oder Sohn des Seth bezeichnen kann. Der Pharao ist mit seinem
Insgesamt ist das Zeichen als "im
Amtsantritt der Sohn des Reichsgottes Horus und somit sein Vertreter
Palast wohnender Horus,
auf Erden. Er ist auch Feldherr im Namen des Horus. Das
namens NN" zu verstehen.
Niederschlagen der Feinde und die Einigung des Reiches sind von so
immenser Bedeutung, dass diese Dinge in Friedenszeiten in Ritueller
Form oder durch schriftliche Fixierung vollzogen wurden. Auf diese Motive werden wir später noch mal
zurückkommen. An dieser Stelle will ich betonen, dass die Meisterung der Schlachten und die
Reichseinigung die Taten des Horus sind. Damit gelangen wir zu der letzten Steigerung der
Beziehungen des Königs zum Reichsgott: Der Pharao ist eine Erscheinungsform des Reichsgottes
Horus selber!
Der Begriff "Horus" als Königstitel ist bereits bei den vorgeschichtlichen Königen bezeugt. Dieser Titel
wird mittels eines Falken bezeichnet, der auf einer schematisch dargestellten Palastfassade (Setech)
sitzt. Zu lesen ist das als "Der Horus im Palast". Die geschichtliche Zeit setzt mit den ersten Königen
ein, welche in dieser Horus-Titulatur ihren persönlichen Namen einsetzen. Man spricht in der Folge
vom sogenannten Horus-Namen: Horus-Scorion, Horus-Narmer, etc.. Man kann also den Begriff
"Horus" beinahe synonym für "König" einsetzen. Jedoch ist damit umgehrt auch festgesetzt, dass der
"König" ein fleischgewordener Gott ist. Man darf dies auch so auffassen, dass der Gott im Körper des
Königs wohnt, ähnlich einem Kultbildnis, in dem die Gottheit Wohnung bezogen hat. Das weist auf
eine Auffassung hin, in der die Vergöttlichung erst mit dem Amtseinritt einsetzt und nach dem Tode an
den Thronfolger übergeht. Der Horus ist also immer der regierende König. Und das ist er sowohl im
Staat, wie auch in der Götterwelt. Horus ist der regierende König unter den Göttern. Das
veranschaulichen auch die Listen der sogenannten Götterdynastien, den bereits erwähnten
Königsanalen jener Zeiten, als die Götter auf Erden regierten. Der Thron von Ägypten nennt sich nach
dem ersten Throninhaber "Thron des Geb". Es ist die Rede von der Regierungszeit des Geb, des Re,
des Osiris, etc. ohne das diese genauer datiert werden. Die Listen variieren von Kultort zu Kultort. Im
Memphis setzt man Ptah an erste Stelle. In Heliopolis ist das Re. Jedoch die letzte Position ist in allen
diesen Listen dieselbe: Horus. In Memphis nimmt man sogar eine doppelte Nennung des Horus in
Kauf. Somit ist festgesetzt, dass immer der Horus der gegenwärtig waltende Götterkönig ist, wie auch
der gegenwärtig regierende Gottkönig ein Horus ist.
In späteren Zeiten kann es passieren, dass auch andere Persönlichkeiten temporär den Horus-Titel
annehmen. Das kann etwa bei hochgestellten Priestern der Fall sein, die im königlichem Auftrage
agieren. Dies hat einen praktische Bewandtnis, denn das oberste Priesteramt im Reich hat der König
inne. Gottheiten verkehren nur mit ihresgleichen. Insofern steht der direkte Umgang mit den
Gottheiten allein dem König zu. Dies hat zur Folge, dass jene Priester, die tagtäglich die
Kulthandlungen im Allerheiligsten am Gottesbild vollziehen, ihren königlichen Auftrag bekunden
müssen. Auch die Sem-Priester, die das Mundöffnungsritual an einem neuen Kultbild vollziehen,
handeln im königlichen Auftrage. Später wandelt man solche Modalitäten dahingehend ab, dass ein
Priester im Rahmen des Rituals die Rolle des Königs annimmt und daher innerhalb dieses Kontextes
den Horus-Titel führt.
Der Falkengott Horus ist offenbar einer der frühesten Ortsgottheiten gewesen, deren Kult sich über
das ganze Niltal hinweg verbreitete. Diese Entwicklung mag durch eine großflächige Verbreitung von
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Falkenkulten begünstigt worden sein, die in der Folge von dem Horuskult vereinnahmt wurden.
Andere suchen den Ursprung in einem vorgeschichtlichen Herrscher, der die Reichseinigung
herbeigeführt haben könnte. Kurt Sethe meinte in dem Patron des 3ten unterägyptischen Gaues, dem
sogenannten "Horus von Libyen" einen möglichen solchen Ursprung gefunden zu haben. Immerhin
war dieser "Horus", bekannt unter dem Namen Ash einer der frühersten nachweisbaren
theriomorphen Götter. Andere gehen von einem oberägyptischen Ursprung des Horuskultes aus. Was
den Falken letztlich zum Licht- und Himmelsgott gemacht hat oder welche Umstände die große
Verbreitung der Falkenkulte gefördert haben, darüber lässt sich nur spekulieren. Einerseits wird sein
Name als "der Ferne" gedeutet, was man im Bezug zu den Jagdgewohnheiten des Falken setzt. Der
Falke erspäht seine Beute aus lichten Höhen heraus, auf die er sich dann quasi im Sturzflug stürzt.
Dabei wagt er sich auch an Beutetiere, die seine eigene Körpergröße übertreffen. Dies mag ihn
einerseits zum Herr des Himmels prädestiniert haben, der höher fliegt, als jedes andere Tier und
andererseits zu einem geeignetem Fetisch für Jäger und Krieger, denen er unbesiegbar erschienen
sein mag. Budge wiederum griff die phonetische Gleichheit des Gottesnamens Heru mit dem Wort für
"Gesicht" auf, was er als "Gesicht des Himmels" mit den beiden Horusaugen Sonne und Mond
deutete. Vielleicht waren es auch die frühen Bauern, welche die Falkenkulte begründeten, da die
Anwesenheit des Falken herbeisehnten, damit er Jagt auf Kleintiere mache, welche sich an Saat und
Früchte des Feldes vergingen.
Allerdings reduzierte sich die Königstitulatur nicht nur auf Horus. Die zweitwichtigste galt "den beiden
Herrinnen" (Nebti), der Geiergöttin Nechbet für Oberägypten und der Uräusschlange Uto für
38
Unterägypten . In ihnen verkörpert sich der Dualismus der beiden Reichshälften. In der Gestalt der
beiden Kronen von Ober- und Unterägypten, setzen sich die beiden Herrinnen dem König und damit
auch dem Horus unmittelbar aufs Haupt. Nechbet nenn man auch "die weiße von Nechen" wegen der
weißen oberägyptischen Krone, die sie verkörpert. Uto dagegen entspricht nicht nur der roten
unterägyptischen Krone, sondern auch dem Schlangendiadem. Denn die Kobra der Uto ist auch
identisch mit der feuerspeienden Stirnschlange, welche im zusammengerollten Zustand verweilt,
jedoch jederzeit zum Hervorschnellen und Feuerspeien bereit ist. Sie ist auch die Schlange, welche
sich um die Sonnenscheibe auf den Häuptern vieler Götter windet. Nechbet nimmt gelegentlich
ebenfalls oft die Gestalt einer Uräus an, aus der bisweilen die Flügel des Geiers wachsen. Beide
Uräen treten auch paarweise auf, etwa wenn sie sich um die Sonnenscheibe des Horus-Behdety
winden. Beide Göttinnen gehören als Reichsherrinen natürlich zu den vorrangigsten, die mit den
beiden Horusaugen gleichgesetzt werden, also Sonne und Mond. Die Vorschnellende Feuerschlange
ist die Kraft, welche in dem Horusauge selber wohnt. Diese Symbolik begründet sich in der alten
Vorstellung, dass die Kräfte, welche zum sehen befähigen, vom den Augen her ausstrahlen. Diese
Strahlen können neben der Sicht auch andere magische Kräfte bergen. Solcherart Vorstellungen
haben sich auch in späterer Zeit in Europa, etwa in der Angst vor dem bösen Blick fortgesetzt.
In seiner Rolle als Königsgott ist Horus freilich nicht ohne Konkurrenz geblieben. Mit jedem Wechsel
der Hauptstadt drängte sich der jeweilige Stadtpatron in den Vordergrund. Horus wurde jedoch, wenn
er nicht schon längst in der Hauptstadt heimisch geworden war, in den jeweiligen Götterkreis
integriert. Für solche Integrationskonstrukte wurden sogar Widersprüche in Kauf genommen. Der
einzigste Gott jedoch, der soweit in die Königsymbolik vorzudringen vermochte, dass seine Gestalt
sich neben dem Horus auf dem Setech des Horusnamens gesellte, war Seth. Beide, Horus und Seth
sind Schutzgötter des Königs. Beide gießen sie ihren Segen über den göttlichen Herrscher aus. Beide
stehen sie am Bug der Sonnenbarke um der Unterweltschlange Apophis mit der Harpune zuzusetzen.
Noch im Neuen Reich erlebt der Kult des Seth unter des Ramessiden (19te & 20te Dynastie, 1300 1070 v. Chr.) eine Renaissance. Und das obwohl er in der zweiten Zwischenzeit unter der
Fremdherrschaft der Hyksos, den Rang eines Staatsgottes, den die Eroberer mit Baal gleichsetzten,
genossen hatte. Er war zwar ein Gott der Unwetter, diese ließen sich jedoch auch als der Kampf
zwischen guten und bösen Mächten interpretieren. Er war zwar ein Gott der Wüste, jedoch auch ein
Patron der Oasen, sowie ein Beschützer der Wanderer, Karawanen und Seefahrer. Die Rivalität
zwischen Horus und Seth ist alt. Über die Gründe, auf welche diese Rivalität zurückzuführen sein
könnten, gibt es verschiedene Theorien. Es könnten zwei verfeindete Reiche der Vorzeit gewesen
sein, zwischen denen jedoch ein Friedensschluss sattgefunden haben scheint, denn die alten
Legenden berichten von einem Ausgleich, der vor einem Göttergericht geschlossen wurde. Oder es
steht die Rivalität zweier ähnlich gearteter Kulte dahinter, die um Vorherrschaft rangen. Auch in den
Hochburgen des Osiris-Kultes wurde Seth keinesfalls verfemt. Allenfalls wurde Distanz gehalten.
Bonnet vermutet allerdings, dass der Widerwille gegen ihn im Volk schon lange Zeit größer gewesen
sein muss, als Tempelinschriften vermuten lassen. Die endgültige Verfemung Seths zum Anti-Gott,
38
Zwei weitere Namen gesellen sich dazu: Der Goldhorus und der Thronname.
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der schließlich sogar mit der Apophisschlange gleichgesetzt wurde, die er ursprünglich einmal selber
bekämpft hatte, setzte denn auch erst in der Spätzeit ein.
Atum-Re und Re-Harachte
Die größte Konkurrenz für den Königsgott Horus ging jedoch von einer Kultstätte aus, die nie jemals
zu einer Hauptstadt des Reiches gehört hat, dessen Theologie jedoch dem religiösen Leben des
Landes so nachhaltig ihren Stempel aufgedrückt hat, dass der Leihe geneigt ist, sie für eine
Staatsreligion zu halten. Die Rede ist von der Stadt On, besser bekannt unter ihrem griechischen
Namen Heliopolis. Ihr Hauptgott ist eigentlich eine Personifikation der Sonne: Gestirn wie Gott heißen
Re. Beinahe jeder, der sich einmal rudimentär mit den Ägyptern beschäftigt hat, wird von dem
Sonnenkult gehört haben. Auch in dem vorangegangenen Text, ließ es sich nicht vermeiden, bereits
vorab Aspekte des Sonnenkultes in die Erklärungen mit einzubeziehen.
Das Re der ursprünglich Hauptgott in On gewesen ist, darf man wohl bezweifeln. Die Gestalt des
widderköpfigen Demiurgen Atum, fügt sich wesentlich besser in die Landschaft der ägyptischen
Ortsgottheiten ein. Jedoch ist eine Ortsgottheit nicht automatisch ein Demiurg, sondern zunächst
primär eine Art Schutzpatron der Ortschaft. Es lässt sich auch keine Notwendigkeit ablesen, warum
ein Schutzpatron gleich die ganze Welt geschaffen haben sollte. Wir können also festhalten, dass die
Verehrung eines uranfänglichen Wesens als Gottheit bereits einen besonderen Entwicklungsschritt
darstellt, die ein hohes Abstraktionsvermögen voraussetzt. Der Mensch war zwar von Anfang an ein
scharfer Naturbeobachter, der es verstand, Zusammenhänge zwischen verschiedenen
Beobachtungen zu erkennen und diese in Bezug zueinander zu setzen. Der Rückschluss auf eine
Uranfänglichkeit, auf eine vergangene Zeit, in der es sozusagen "keine Dinge" gegeben hat, bedingt
jedoch Gedankenschritte, die weit über das Beziehungsgeflecht alltäglicher steinzeitlicher Ratio
hinausgehen. Ältere matriarchalisch-kosmische Demiurginnen, die man etwa in der Himmelskuh
Hathor erkennen könnte, kennen einen Anfang "ohne Dinge" noch nicht. Es wäre daher falsch
anzunehmen, dass solche uranfängliche Wesen eine Grundvoraussetzung für die Entstehung von
Religionen seien. Somit ist es sehr unwahrscheinlich, dass in den ägyptischen Ortsgottheiten bereits
in ihren Anfängen als Weltenschöpfer verehrt wurden.
Wenn nun die eigene Ortsgottheit als das uranfängliche Wesen begriffen wird, wie beim
heliopolitanischen Atum der Fall ist, so stellt dies zweiten Entwicklungsschritt nach der Erfindung des
Weltenschöpfers dar. Wo dieser Schritt erstmals vollzogen worden sein mag und wie, lässt sich nicht
sagen. Neben dem Atum in Heliopolis kommen zum Beispiel noch Tatenen in Memphis, Chnum in
Esna und selbstverständlich Chepre als sehr alte Demiurgen in Frage. Die spätere Dominanz der
heliopolitanischen Theologie scheint es jedoch andere Theologien dazu herausgefordert zu haben, die
eigenen Ortsgottheiten in Ur- und Schöpfergötter umzudeuten und damit aufzuwerten.
Aber was macht nun das Besondere an der Sonnengottheit Re aus? Wie konnte Re den alten Ortsgott
und Demiurgen verdrängen? Wie kommt es zu der landesweiten Bedeutung des Re? Gewiss haben
wir es hier nicht mit der ersten Sonnengottheit zu tun und deshalb auch nicht mit die einzigen.
Allerdings sind auch schwer Gottheiten auszumachen, über die ganz unmittelbar die Sonne
angesprochen wird. In der Regel ist es doch ein Tier, über welches ein Gott angesprochen wird, der
im Bezug zur Sonne steht. So zum Beispiel diverse Falkengötter, allen voran Behdety oder auch der
Skarabäus. Ähnlich wird auch bei der Himmelskuh, das Tier angesprochen, welches den Bezug zu
jener Urmutter herstellt, die man auch im Himmel verkörpert sieht. Jedoch wird nicht der Himmel direkt
angesprochen. Allerdings wird man nicht ausschließen können, dass unberührt von den offiziellen,
durch schriftliche und archäologische Zeugnisse belegbaren Kulten, "inoffizielle" Kulte existiert haben,
deren Praxis auch in einer unmittelbaren Verehrung kosmischer Erscheinungen bestand. Das könnten
private Kulte gewesen sein, Freiluftkulte ohne Kultstätte, alter Volksglauben oder auch einfach
Splittergruppierungen von Laienpriestern. In diesem Lichte könnte man den Re-Kult vielleicht auch als
Rückschritt betrachten. Nachdem sich die Religion von den alten Tierkulten wegentwickelt hat,
nachdem also die kultische Verehrung von Tieren zu einer Vergöttlichung von inneren Kräften
abstrahiert worden ist, wird nunmehr wieder ein weithin sichtbares Objekt unmittelbar der kultischen
Verehrung zugeführt. Der Dienst am Kultbild, körperliche Wohnstätte des Gottes, welches im
Allerheiligsten vor den Blicken der Profanen verborgen gehalten wird, fällt beim Kult des Re aus.
Stattdessen wird in Re das Gestirn direkt angesprochen. Eine Annäherung an Volksglauben ist also
nicht auszuschließen. In der Tat gab es in Heliopolis offenbar große Anstrengungen, den Kultort
landesweit und kultüberschreitend attraktiv zu machen. Die Einbindung des Osiriskultes, auf die wir
später noch einmal zu sprechen kommen werden, nahm sogar den Umstand in Kauf, dass Heliopolis
nunmehr zwei verschiedene, sich in ihren Jenseitsvorstellungen gar widersprechende Religionen "im
Programm" hatte.
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Wenn man mal von den Erwägungen über volkstümliche Kulte absieht, sollte man die obigen
Ausführungen nicht dahingehend missverstehen, dass die Elemente des Kosmos in offiziellen Kulten
als gänzlich unwichtig angesehen worden seien. Es ist jedoch auffällig, wie wenig Spuren eines
eigenen Kultes bislang auffindbar waren. Nehmen wir etwa das kosmische Paar Nut und Geb, die in
Heliopolis immerhin Eltern solcher bedeutender Götter wie Re, Seth, Osiris, Isis, usw. sind. Geb ist,
wie bereits erwähnt, sogar Urahn der Throninhaber. Doch trotz ihrer Bedeutsamkeit sind keine Spuren
eines eigenen Kultes aus älterer Zeit nachzuweisen. Jedoch erfüllt vor allem die Nut hervorragende
Aufgaben im kultischen Leben, nicht zuletzt als Schutzgöttin der Toten. Die Elemente des Kosmos
sind vor allem als Komponenten des Tempels oder der Grabstätte selber eingebunden, denn diese
sind dem Aufbau des Kosmos nachempfunden. So finden wir den Sternenhimmel der Nut an der
Decke, den Mund des Geb in der Grabhöhle, das Wasser des Nils in den welligen Ziegellagen der
Umfassungsmauern, die Vegetation in der Ausgestaltung der Säulen, den Urhügel im Standort des
Tempels, usw.. Jedoch eigene Kultstätten dieser Götter kennen wir nur vereinzelt und wenn, dann aus
späterer Zeit.
Im Falle des Re wird jedoch ein Himmelsobjekt unmittelbar als Gott angesprochen und als lebendiges
allseits sichtbares Objekt der kultischen Verehrung zugeführt. Vielleicht stimmt diese Aussage nicht
ganz, denn auch der Re-Kult hat einen Mittler zwischen Mensch und Gott. Dieser Mittler ist jedoch
kein Tier mehr, sondern der Begriff, das Wort und seine hieroglyphische Erfassung: Die
Personifikation. Mit der heliopolitanischen Theologie haben Personifikationen wohlmöglich überhaupt
erst höhere Würden erfahren. Die Göttin Maat, deren Kult mit seinen Besonderheiten sich eigentlich
erst erklären lässt, nachdem man das Wesen der Personifikationen erklärt hat, könnte ein Hinweis in
diese Richtung sein. Denn die Maat tritt in ihrer hervorragenden Rolle als Personifikation der Ordnung
erst in Verbindung mit dem Re-Kult auf. Dies währe zumindest ein Ansatz, die heliopolitanische
Theologie als Innovation zu verstehen. Bonnet betont den kosmisch-solaren Charakter des Re-Kultes,
der die alten fetischistischen Kulte der Ortsgottheiten ablöste. Vielleicht sollte man dem "kosmischsolar" noch ein "logisch begründet mit abstrakten Begriffen" hinzufügen.
Dies wäre in der Tat eine Innovation, die jedoch noch weiterer Erklärungen bedarf. Denn die "Logik"
dient letztendlich der Begründung von zwei ganz entscheidenden Heraufwürdigungen der
Sonnenpersonifikation Re. Beide werden mittels synkretistischer Verknüpfungen erreicht.
Die erste und insgesamt bedeutendere dieser Verknüpfungen ist die Zusammenführung des
Sonnengottes mit dem Schöpfergott, also der Fusion von Re und Atum. Damit erweitert sich der
Wirkungsbereich des Weltenschöpfers zum dem des Weltenerhalters. Um den Unterschied zu
verdeutlichen, wollen wir uns noch mal kurz der Figur des Urgottes vergegenwärtigen. Dieser schafft
das erste Götterpaar. An den folgenden Schritten der Schöpfung scheint er persönlich nicht weiter
beteiligt. Der Weltenschöpfer an sich gehört somit zunächst einmal zu den Wesen der Vergangenheit.
Darin ähnelt er ganz den legendären vorzeitlichen Gottkönigen vom Schlage eines Osiris. Er gehört
also nicht mehr in dem Sinne zu den "Lebenden". Dieser Charakterzug tritt beispielsweise in einer
späten Urgott-Gestalt der thebanischen Theologie wieder zutage: Der Schlangengestaltige AmunKematef, dessen Namens-Zusatz "der seine Zeit hinter sich hat" bedeutet. Schlangen, denen man
ähnlich den Skarabäen die Selbsterzeugung nachsagt, sind immer wieder auftauchende
Erscheinungsformen des Urgottes, gerade auch als chthonische Wesen, die dem Urgott grundsätzlich
nahe stehen. Auch Chepre nimmt gelegentlich Schlangengestalt an. In einem Pyramidentext droht
Atum sogar, die Schöpfung wieder vernichten zu wollen und sich selber, nachdem das Universum
wieder in den Urzustand der Wasserflut zurückgekehrt sei, wieder in einer Schlange verwandeln zu
wollen. Es ist also gar nicht mal abwegig, in der Apophis-Schlange, die mit der Aufhebung der
kosmischen Ordnung droht, einen Urgott erkennen zu wollen. Das Wesen, dem die Macht der AllErzeugung gegeben ist, hat gleichsam auch die Macht für den umgekehrten Vorgang in der Hand.
Damit soll jedoch nicht gesagt sein, dass dies eine der verbreiteten Sichtweisen auf den Urgott
gewesen sei. Es ist lediglich ein Hinweis darauf, dass Denken der Ägypter diese Sichtweise sehr wohl
zuließ.
Jedoch konzentrierten sich die Priester von Heliopolis weniger auf das, was zu befürchten stände, als
auf das, was sie zu erhalten gedenken. Denn mit der Zusammenführung von Schöpfergott und
Sonnengott, wandelt sich also der Jenseitige vergangener Zeiten in einen allgegenwärtigen Garant für
das Jetzt und die Zukunft. Der Sieg der Sonne über die Kräfte des Chaos ist eine Art Garantie, denn
der Aufgang der Sonne ist erfahrungsgemäß noch nie ausgeblieben. Diese Garantie ist jedoch in
einen dramatischen Kontext eingebunden, der selbstverständlich seine Begründing in
Naturbeobachtungen wie etwa den Sonnenfinsternissen, Unwettern und auch den Mondphasen hat.
Der Sieg ist zwar garantiert. Jedoch erfolgt kein Sieg ohne Anstrengung. In der Bewegung der
Himmelskörper sind ganz offenbar starke Kräfte am Werk. Wer sonnst sollte über diese Kräfte
gebieten, als jener Gott, der diese geschaffen hat? Der garantierte Sieg des Re ist Teil einer
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magischen Formel, der seine Entsprechung in den garantierten Siegen des Pharaos findet. Dem
Pharao irgendwie Schwäche oder Niederlagen zuzugestehen, währe zumindest während der
Regierungszeit ein fataler Fehler. Denn mit dem Zugeständnis dieser Möglichkeiten, werden diese
Möglichkeiten selber erst erzeugt. So ist zumindest das Magische Auffassung des Königtums
angelegt. Somit bietet sich die Sonne also auch als Königliches Symbol an. Die Verbindung von
Sonnensymbolik und Königtum greift jedoch weiter, als soeben angeführte Garantie. Neuschöpfung
und Neu-Ordnung sind die entscheidenden Schlagworte.
Die Sonne in ihrem Jahreslauf und die Natur in ihrem zyklischen Werden und Vergehen verhalten sich
parallel zueinander. Dies ist ein weiterer Beweis dafür, dass sich die Schöpferkraft des Urgottes in der
Sonne manifestiert. Die ständige Regeneration der Sonne, ihre beständig geführten Kämpfe gegen
die Kräfte des Chaos, sind ein Garant für die Aufrechterhaltung der kosmischen Ordnung. Die
Personifikation der Ordnung selber, die bereits erwähnte Göttin Maat, hockt vorne am Bug der
Sonnenbarke, als wolle sie den Elementen ihre Plätze im Kosmos zuweisen, wenn nicht gerade Horus
oder Seth am Bug mit der Harpune gegen die Feinde der Ordnung vorgehen. Die Formulierung
"Aufrechterhaltung der Ordnung" trifft allerdings nicht ganz den Punkt. "Neuschöpfung" und zwar eine
zyklisch sich wiederholende Neuschöpfung ist hier der passendere Begriff. Die Ordnung muss ständig
neu geschaffen werden, so wie sich die Sonne an jedem Morgen selber neu erschafft. Ein Ausbleiben
des ordnenden Wirkens der Sonne würde einen Rückfall in das vorweltliche Chaos bedeuten. Ähnlich
würde ein inaktiver Pharao das Land dem Zerfall aussetzen. Die Regentschaft des Weltgottes Re im
Kosmos entspricht also insgesamt dem Wirken des Pharaos auf Erden. Beide sorgen in ihrem
jeweiligen Wirkungsbereich für Ordnung. Der Ägypter versteht dieses Schaffen von Ordnung als ein
"Erzeugen von Maat". Dies ist unabhängig davon, ob es sich um die kosmische oder die
gesellschaftliche Ordnung handelt. Hiermit hätten wir die Parallelen im Wirken des Sonnengottes und
des Pharaos schon eingehender beschrieben. Und auf diesen Parallelen fußt das Königtum des Re.
Traditionellerweise wird das Königtum jedoch in dem Falkengott Horus verkörpert, der gleichsam auch
der eigentliche Vernichter der Feinde des Staates ist. Der Pharao ist immer auch ein Feldherr. Diese
Komponente scheint vom magischen Standpunkt so entscheidend zu sein, dass das Feldherrentum in
Friedenszeiten in ritueller Form zelebriert wurde. Der Horus ist schlussendlich die Vergöttlichung eines
Imperator-Rex und somit Patron der geeinten ägyptischen Nation. Es hätte wenig Sinn gemacht, sich
über dieses grundlegende nationale Symbol, diesen Fetisch des vereinigten Reiches, hinwegsetzen
zu wollen. Wenn nun eine Kultstätte das Anliegen hat, den Sonnengott zum König zu erheben, dann
liegt es auf der Hand, dass die Priesterschaft den Sonnengott zum Horus aufwürdigt. Diese
Heraufwürdigung erfährt der -in seiner Eigenschaft als Personifikation eigentlich rein
menschengestaltige- Sonnengott Re in der Gestalt des falkenköpfigen Re-Heru-Achety, eben dem
bereits ausführlicher beschriebenen "Horus vom Horizont" bzw. dem "Horus der zwei Horizonte", zu
griechisch: Re-Harachte. Die "zwei Horizonte" werden auch dahingehend interpretiert dass sie die
beiden Grenzen des Tagesbogens der Sonne markieren, d.h. sie stehen auch synonym für den
Tagesbogen selber. Das Aufsteigen im Osten und das sich Niederneigen im Westen sind jedoch auch
die gefährlichsten Momente im Tagesbogen. Hier sind die Orte, wo die Schlange Apophis zum Angriff
ansetzt.
Zunächst genießt Harachte an der Seite von Ra einen lokalen Kult in Heliopolis. Die erstmalige
39
Wertschätzung des Götterkönigs Re-Harachte von Seite realer Monarchen zeichnet sich bei den
Nachfolgern der Pyramidenbauer im Alten Reich erstmals ab. Die Könige der fünften Dynastie
scheinen sich schließlich unmittelbar aus der Priesterschaft von Heliopolis zu rekrutieren. Denn
obwohl Memphis immer noch Hauptstadt ist, löst nunmehr Re-Harachte den Ptah als Reichsgott ab.
Von dieser Periode an hat der Sonnenkult der ägyptischen Religion seinen unauslöschbaren Stempel
aufgesetzt. Fortan nennt sich der Pharao "Sohn des Re", sind Mond und Sonne "Augen des Re",
während der Charakter des Horus nunmehr zunehmend durch das Wesen des Sonnengottes geprägt
wird. Hier setzt nun die Verdoppelung der Figur des Horus an: Horus der Alte, der Gebietende, Horus
der Junge, der Ausführende; der thronende Kapitän und der Harpunist am Bug; Vater und Sohn;
Verstorbener und Nachfolger; Gott und Stellvertreter auf Erden. Diese Konstellation, die eigentlich
eine Herabwürdigung der Horus bedeuten könnte, wird somit durch das Wesen des Königtums
zusätzlich unterstützt. Und umgekehrt stützt das Wesen der Götter das Wesen des Königtums.
In den bildlichen Darstellungen der göttlichen Barke ist es meist die falkenköpfige Gestalt des ReHarachte, die auf der Tagesbarke abgebildet ist, während die widderköpfige Gestalt des Atum-Re
vornehmlich der auf der Nachtbarke fährt. An der königlichen Titulatur sowohl im realen Ägypten, wie
39
In der Fachwelt wird diskutiert, ob man in der Gestalt des Re-Harachte tatsächlich eine synkretistische Mischform erkennen
soll oder ob der Zusatz des Horus eher als königlicher Titel zu verstehen ist. Da jedoch "König" und "Horus" als Begriffe beinahe
synonym ineinander gehen, braucht uns dies im hier gesteckten Rahmen nicht weiter zu stören.
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auch in der Götterwelt ändert sich insgesamt nichts. Der Regent ist schließlich auch weiterhin ein
Horus, auch wenn er nun vorzugsweise ein Re-Heru-Achety ist. Re-Harachte bleibt die stärkste unter
den unzähligen synkretistischen Verbindungen des Re, welche allenorts in die lokalen Theologien
integriert wird. Die falkenköpfige Gestalt des Sonnengottes wurde auch von dem Bilderstürmer
Amenophis IV (Echnaton) nicht angekratzt.
Oft wird heutzutage in der Aton-Kult des Amenophis IV als Beispiel einer frühen monotheistischen
Religion beschworen und zum Vorreiter des Monotheismus der Erben Abrahams hochstilisiert. Die
Erkenntnis, dass es unabhängig von Israel ebenfalls Monotheismen gegeben hat, mag auf den ersten
Blick aufregend sein. Was wir dabei jedoch schnell übersehen, ist der Unstand, dass wir hierbei von
vorne herein vorgeben, dass der Monotheismus der entscheidende revolutionäre Schritt in der
Entwicklung der Religion zu sein hat. Somit haben wir bereits vorgegeben, welche Antwort wir hören
wollen. Wenn man die Reduktion auf einen einzigen Gott für den entscheidenden Schritt erachtet,
dann wird man sich zwangsläufig auf das Intermezzo des Echnaton konzentrieren und dieses für eine
religiöse Revolution ansehen, eine gescheiterte allerdings.
In dem heliopolitanischen Atum-Re-Harachte (die Dreier-Kombination gab es tatsächlich) finden wir
jedoch bereits einen All-Gott-Vater, welcher das Universum uranfänglich geschaffen hat, der
allgegenwärtig ist, der das Universum und all seine Geschöpfe durch sein Wirken am Leben erhält,
der wie ein irdischer Monarch ein König unter den Göttern ist, der Recht spricht und in seiner
Rechtsprechung unbestechlich ist, der mit der Maat die Grundlage einer Ethik liefert, die sowohl in der
kosmischen Ordnung wie auch in der göttlichen Gerechtigkeit begründet ist und die durch des Gottes
Stellvertreter auf Erden den Menschen zur Nahrung gereicht wird. Die kosmische Ordnung wird somit
zum Vorbild der Ordnung im Staate. Eine weitere bedeutsame Besonderheit dieser kosmischen
Religion ist der erwähnte Umstand, dass bei ihr kein Dienst am Götterbildnis stattfindet. Dies ist
essentiell, da bislang der Gott über das Götterbildnis Wohnung im Allerheiligsten nimmt. Der Dienst
am Bildnis hat den Zweck, die Anwesenheit des Gottes im Tempel zu halten. Er orientiert sich im
Wesentlichen am Vorbild der Gastfreundschaft. Es wird morgens frisch angekleidet und geschminkt
und erhält über den tag hinweg weitere Opfergaben, die dem Gott zur Nahrung gereichen. [...] In
Sonnenkult ist das Gestirn selber Objekt der Anbetung. Freilich ist auch der Kult des Re nicht frei von
Fetischen. Herausragend ist hier den Benben-Stein, der seinerseits wiederum ein Modell des
Urhügels darstellen soll.
Man mag sich nun das soeben Gesagte auf der Zunge zergehen lassen und dann entscheiden, wo
man die tiefergreifende Wende in der Religion sehen will: In der Wendung zum kosmisch
dimensionierten All-Schöpfer-König-Gott oder in der monotheistischen Reduktion desselbigen.
Der Kult von Heliopolis selber ist jedoch alles andere als monotheistisch. Denn keinesfalls verlangt er
die Ausschaltung anderer Gottheiten. Der Götter-König der nun in Ra angesprochen wird, ist letztlich
immer noch der alte Götterkönig Horus. Auch der Schöpfergott in Heliopolis heißt weiterhin Atum. Die
synkretistischen Verknüpfungen mit ihren Doppel- und Dreifachnamen, bedeuten nicht etwa ein
unumkehrbare Verschmelzung. Die verknüpften Götter behalten weiterhin ihren eigenen Kult. Re und
Atum sind keine unumkehrbare Fusion eingegangen. Die Reihenfolge der verknüpften Namen macht
je nachdem eine Nuance aus. In Atum-Re wird der Schöpfergott angesprochen, der sich in der Sonne
manifestiert. In dem Namen Re-Atum dagegen der Sonnengott, dessen Weltherrschaft sich auf
seinem Schöpfertum begründet. In Re-Harachte finden wir den Sonnengott, der zum Götterkönig
hochgewürdigt wird.
Andernorts wird der Ausgleich mit der mächtigen Figur des Re versucht, was zu allerlei
Konstruktionen führt, die zunehmend verwirrender anmuten können. Die Kultstätte Heliopolis selber
scheint sich zum Ziel gemacht zu haben, auch die verschiedenartigsten Bedürfnisse zu decken. In
Heliopolis hat die Ausarbeitung der Osirislegende stattgefunden, die zu der Form führte, wie wir sie
auch aus der Vermittlung durch Plutarch kennen. Nachdem der Sonnenkult das Wesen der
Ortsgottheiten in den Hintergrund geschoben hat, mag ein Bedarf nach der Verehrung einer
legendären Gottkönigsfigur verblieben sein, der mit der Figur des Osiris nicht besser besetzt hätte
werden können. Die heliopolitanische Fusion von mindestens drei hauptlegenden führte denn auch zu
der Rolle des Horus als Kind, welche auch anderen Auffassungen nicht fremd ist, hier jedoch offenbar
auch ein Mittel war, die Position des Horus als letzten Thronfolger und in Gegenwart regierenden
Götterkönig zu unterstreichen.
Letztlich kann man sogar sagen, dass in Heliopolis zwei sich eigentlich wesensfremde Religionen
gleichzeitig angeboten wurden. Dies lässt sich vor allem am Totenkult festmachen. Grundsätzlich
kennt der Ägypter vier unterschiedliche Jenseitsvorstellungen:
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1.
Chtonisch: Der Tote lebt mit seinen Körper weiter, wie er dies auch im realen Leben tat.
Daher Mumifizierung zur Erhaltung des Körpers.
Alle Tricks zur Bereitstellung von Lebensstandart (Totendienst, wie auch magischer Ersatz dafür).
2.
Stellar: Der Tote wird von der Nut als Stern wiedergeboren oder steigt als Stern im Osten auf,bzw.
die Sterne sind die Bas der Toten.
3.
Osiriswerdung: Der tote König in seiner Eigenschaft als Gott-König IST Osiris in leibhaftiger Form.
Die Osiriswerdung brauchte länger, bis sie in den privaten Gebrauch gelangte.
4.
Solar: Der tote König, der Sohn des Re(-Harachte) ist, steigt (über die Himmelsleiter) zu seinem
Vater auf und begleitet diesen auf seiner Barke und tut dort Dienst. Später nehmen auch
Privatlaute die Rolle des Königs an.
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Material und Trash
An dieser Stelle möchte ich noch mal die wichtigsten Motive der vorhergehenden Absätze
rekapitulieren, denn die sind entscheidend für das Verständnis des Folgenden.
1.
Die Urgötter, die ursprünglich eher erdhaften Charakters waren, werden unter dem Einfluss des
Sonnenkultes von Heliopolis mit der Sonne in Verbindung gebracht. Die in früheren Auffassungen
des vergangenen, verborgenen und somit dunklen Gottes werden zu jenen des offenbaren,
gegenwärtigen und leuchtenden Gottes umgedeutet.
2.
In theologischen Deutungszusammenhängen werden der Himmel und der Gegenhimmel
(Unterwelt) sehr oft als Wasser aufgefasst. Diese Vorstellungen gehen zum Teil mit der Gestalt
von Göttinnen einher, in denen wir alte Demiurginnen aus matriarchalischer Zeit zu erkennen
vermögen, die als Muttergötter, Himmelskühe oder einfach großes Wasser als Mütter oder
Geburtsstatt der Götter genannt werden.
3.
In den weiterentwickelten Kosmogenien geschichtlicher Zeit, sind es männliche Demiurgen, die
dem Urwasser entsteigen. Diese Vorstellungen sind geprägt durch die Beobachtung der ersten
Erdhügel, die das sich zurückziehende Überschwemmungswasser des Nils freilegt.
4.
Grundlegend für alle Schöpfungsvorstellungen ist die Idee der Ursubstanz. Die Idee des absoluten
Nichts existiert noch nicht. An das Überschwemmungswasser angelehnt, spricht man bei der
Ursubstanz von der Urflut, in der das Potential der Schöpfung angelegt ist.
Hätte man Crowley gefragt, wie ein grausamer Herrscher
aussieht, er hätte gewiss kein Phantombild von Aldolf Hitler
anfertigen lassen.
Auch die Theogenie der Neunheit von Heliopolis selber weist wohlmögliche Spuren solcher
Zurechtrückungen auf, etwa wenn das Götterpaar Shu und Tefnut vor den offenbar sehr alten
Demiurgenpaar Nut und Geb gesetzt werden.
Auch was die kosmischen Charakterzüge des Königsgottes Horus betrifft, so dürfen wir bezweifeln,
dass diese ursprünglich sind. Er wird zunächst ein Bewohner des Himmels gewesen sein, bevor er als
der Himmel selber aufgefasst worden sein mag (wobei man nie mit Sicherheit sagen kann, ob dem
überhaupt so war). Inwiefern die Eigenschaften des Horus als Lichtgott, sich von Ideen wie die des
Ach ableiten, was dann semantisch in Richtung "Geist" verweisen würde oder ob er die
lichtbezogenen Charakteristika von Re vererbt bekommen hat, muss ebenso offen bleiben.
Hier setzt nun die Verdoppelung der Figur des Horus an: Horus der Alte, der Gebietende, Horus der
Junge, der Ausführende; Kapitän und Harpunist; Vater und Sohn; Verstorbener und Nachfolger; Gott
und Stellvertreter auf Erden.
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Wer war Horus?
Literatur
Claire Lalouette: "Weisheit und Wissen im Vorderen Orient"; Artemis & Winkler, Düsseldorf/Zürich
1999; ISBN 3-538-07088-1
Erik Hornung: "Geist der Pharaonenzeit"; Artemis, Zürich und München 1989; ISBN 3-7608-1005-5
Hans Bonnet: "Lexikon der ägyptischen Religionsgeschichte"; Walter de Gruyter, Berlin 1952; ISBN 3937872-08-6
Cynthia Giles: "Tarot: Geschichte, Geheimnis und Überlieferung"; Walter, Solothurn und Düsseldorf
1994; ISBN 3-530-26733-3
E.A. Wallis Budge: "The Gods Of The Egyptians" Dover, New York 1969, Original erschienen 1904
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Auf der Jagt nach den Zeitaltern
Age of Aqurius
Bereits um 150 v. Chr. entdeckte der bedeutende
griechische Astronom Hipparchos beim Vergleich älterer
und neuerer Daten, das über die Jahrhunderte
verschiedene Sterne die des Polarsterns eingenommen
haben. Der Polarstern ist der einzige Stern am
Firmament, der sich nicht bewegt. Er stellt sozusagen
die Verlängerung der Erdachse dar. Der Wechsel des
Polarstern bedeutet in der Konsequenz, dass die
Erdachse sich bewegt. Diese Bewegung nennt die
Astronomie Präzession. Wie wir heute wissen, wird
diese durch die Anziehungskräfte von Sonne und Mond
verursacht. Sonne und Mond "versuchen" sozusagen,
die schrägstehende Erdachse senkrecht zur
Planetenebene zu stellen und versetzen sie dabei in
eine kreiselförmige Bewegung. Eine Umdrehung dieser
Bewegung, das sogenannte Platonische Jahr, benötigt
etwa 25850 Jahre.
Die Präzessionsbewegung der Erde: Eine
kreiselförmige Rotation der schrägstehenden
Erdachse verursacht einen Wechsel der
Polarsterne.
Die Schrägstellung der Erdachse ist bekanntlich der Verursacher der Jahreszeiten. Markiert werden
diese durch die beiden Tag- und Nachgleichen zu Frühjahrs- und Herbstbeginn (den Äquinoktien), wie
durch die Sommersonnenwende und Wintersonnenwende. Der in der Astrologie verwendete Tierkreis
ist vom Ursprung her eigentlich nichts anderes als ein altes chaldäisches Kalendersystem, der auf
einem Gürtel von 30° breiten Sternbildern, auf dem die Bewegungen der "wandernden Sterne", also
40
der Planeten beobachtet werden . Sonne und Mond zählten in der klassischen geozentrischen
Astronomie ebenfalls zu den Planeten, da sie sich wie die wandernden Sterne ebenfalls durch den
Zodiak bewegten. Der Frühlingsbeginn wird mit dem Eintritt der Sonne in das Zeichen Widder
markiert. Der Tag des Eintritts der Sonne in das Zeichen Widder, der in etwa auf den 21 März fällt, ist
41
in Nachfolge der Chaldäer und Babylonier auch heute noch der Neujahrstag vieler Völker . Analog
dazu wird der Widder als der Anfang des Tierkreises aufgefasst. Der Übergang der Sonne in das
Zeichen Widder wird Frühlingspunkt benannt.
Bedingt durch die Präzession bewegt sich dieser Frühlingspunkt quasi "rückwärts" (also der
Bewegungsrichtung der Planeten entgegengesetzt) durch den Tierkreis. Seitdem macht man einen
Unterschied zwischen den Sterbildern der Tierkreises und den kalendarischen Tierkreiszeichen.
Während der letzten 2000 Jahre bewegte sich der Frühlingspunkt durch das Sternbild Fische.
42
Mittlerweile geht der Frühlingspunkt in das Sternbild Wassermann über. Dieser Übergang wird von
verschiedenen Esoterikbewegungen als der Beginn des Wassermannzeitalters gefeiert. Das Symbol
des Tierkreiszeichens "Fische" wird mit dem Erkennungszeichen der frühen Christen, dem Fisch
gleichgesetzt. Die Ära des Christentums, das Fischezeitalter neigt sich demnach dem Ende zu und ein
neuer Strom der Spiritualität, der des Wassermannes erfasst das menschliche Geschlecht.
Erstmals popularisiert wurde die Idee des Wassermannzeitalters von der Begründerin der
Theosophischen Gesellschaft Helena Blavatsky, die deshalb auch gerne als Mutter der New-Age
Bewegung tituliert wird. Auch Edward Alexander Crowley, der dem Umstand, dass sein Geburtsjahr
mit dem Gründungsjahr der Theosophischen Gesellschaft im Jahr 1875 zusammenfällt einige
Bedeutung beimaß, ließ sich von offenbar Blavatsky inspirieren. Er stellte sein 1904 durch eine
Intelligenz namens Aiwass gechanneltes Poem, das "Liber (A)L vel Legis" ("Das Buch L des
Gesetzes") und seine nach eigenem Bekunden von seiner Mutter ausgehende Identifikation mit dem
Tier 666 aus der Apokalypse des Johannes ganz und gar in den Geiste dieser Idee und deklarierte
seine Person zum Träger des "Genius des neuen Äons".
40
Eigentlich könnte man sagen, dass mit der Entdeckung des Zodiakgürtels die Planetenebene entdeckt worden ist, ohne dass
die "Entdecker", die von einer kugelförmigen Erde nichts ahnen konnten, in der Lage gewesen währe, diese als solche zu
benennen. Diese "Entdeckung" hat freilich in vorgeschichtlicher Zeit an verschieden Orten der Welt stattgefunden.
41
Iran, Indien und alle Zentralasiatischen Länder, deren Namen mit der Silbe "stan" endet.
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Die offiziellen Sternbildgrenzen haben sich jedoch mittlerweile geändert. Nach den heute gültigen Begrenzungen würde der
Übergang erst im Jahre 2600 erfolgen.
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Inspiriert von dem 1904 (angeblich) erfolgten Diktat des "Buch des Gesetzes" ("Liber (A)L vel Legis")
und seiner magischen Ausbildung beim Hermetischen Orden der Goldenen Dämmerung (Golden
Dawn), die in Symbolik und Ritualistik stark vom alten Ägypten (oder was man dafür hielt) geprägt
worden ist, entwickelte Crowley seine Theorie von der Abfolge der Äonen. (Äon, von griechisch "aion":
Zeitalter.) Den Kern dieser Theorie bildet eine Abfolge von drei Zeitaltern, die er den drei ägyptischen
Göttern zuordnete: Isis, Osiris und Horus.
Die drei ägyptischen Protagonisten
Diese drei Götter sind berühmt geworden als Protagonisten der Osiris-Legende. Diese Legende war
dank der Vermittlung durch Plutarch eines der wenigen Stücke ägyptischer Literatur, die dem
christlichen Europa vor der Entschlüsselung der Hieroglyphen durch Champollion zur Verfügung
standen. Die Handlung dreht sich um Osiris, der als sagenhafter vorzeitlicher gottgleicher Herrscher
den Menschen die Segnungen der Zivilisation bescherte und auf der Höhe seines Ruhmes von
seinem Bruder Seth erschlagen und in den Nil geworfen wird.
Seine trauernde Schwester und Gattin Isis, sucht verzweifelt
im ganzen Land nach dem Leichnam. Nachdem sie diesen
gefunden hat, erweckt sie mit ihren Zauberkräften noch
einmal die Manneskraft des Toten und zeugt mit ihm ihren
Sohn Horus, der als erwachsener Mann den Mord seines
Vaters an Seth und seinen Anhängern rächen und die
gerechte Thronnachfolge seines Vaters antreten wird,
während sein Vater selber als König der Unterwelt die
Herrschaft über das Totenreich übernimmt.
Die Trias, in der Crowley drei
aufeinaderfolgende Zeitalter repräsentiert sah:
(v.r.n.l.) Isis, Osiris und Horus.
Von dieser Legende leitet Crowley seine Äonen-Theorie ab.
Die ägyptische Theologie habe, so sagt er, den Fortschritt
der Menschheit vorrausgesehen und in dieser Trias
43
symbolisiert . Das vergangene, mit unserer Zeitrechnung
beginnende christliche Zeitalter wird der Theorie folgend
durch den getöteten Gott Osiris repräsentiert. Der wohltätige
König Osiris wird mit dem menschlichen Erlöser Jesus
gleichgesetzt. Die reale Welt wird als Hort des Leides
verstanden. Die Religion fokussiert sich auf das Jenseits. Der
Erlöser ist der König im Totenreich. Das Leben wird an dem
Wohlgefallen Gottes ausgerichtet, um den Eingang ins
Paradies zu erlangen.
Das gegenwärtige Äon, welches mit sprunghaften
Entwicklungen in der Wissenschaft, den
Kommunikationsmitteln, der Technologie, den beiden Weltkriegen eingeläutet wurde, die einen
Kopfstand der alten europäischen Wertesysteme (Gott, Vaterland und Familie) auslösten, wird durch
das "gekrönte und erobernde Kind" Horus repräsentiert. Das Leben ist ein Ausdruck der Freude jener
ursprünglichen Schöpferkraft (griechisch mit "Thelema", d.h. "Wille" bezeichnet), die einerseits die
Existenz des Universums ausgelöst hat und andererseits als individuelle Instanz in einem jeden
Menschen wohnt. Diese Instanz wird der "wahre Wille" genannt. Die Religion fokussiert sich auf das
Diesseits. Das Leben ist der Ort, an dem der Wille seine Schöpferkraft offenbaren kann und an dem er
mit seinem Werk wachsen, sich entwickeln, sich entfalten will. Da die göttliche Instanz als in einem
jeden Individuum wohnend erkannt wird, lautet die darauf folgende Doktrin: "Tu was Du willst!"
Der Charakter des diesen beiden Zeitaltern vorangegangenen Isis-Äons ist eigentlich nie plausibel
beschrieben worden. Crowley selber betonte gerne den Familiencharakter der Trias um Osiris. Osiris
steht demnach für eine an einem Gott-Vater ausgerichtete Religion und für eine patriarchalische
Gesellschaft, Isis für die Gottes-Mutter und eine matriarchalische Gesellschaft und Horus für den
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Gottes-Sohn und eine bislang unbekannte Form der Gesellschaft .
Leider werden wir mit diesen Annahmen der Klärung des "Zeitalters der Mutter" werden wir wohl kaum
weiterkommen. Denn obwohl es grundsätzlich zutrifft, dass die patriarchalischen Gesellschaftsformen
43
Diese Trias könnte sich in der christlichen Trinität von Vater, Sohn und heiligem Geist wiederspiegeln, insofern man
gnostische Auffassungen einbezieht, dass der heilige Geist eine weibliche Komponente der Trinität sei.
44
Mancher aufmerksame Leser wird bei diesem Satz sicher ins stutzen gekommen sein mit der berechtigten Frage: "Haben wir
nicht damals in der Schule gelernt, dass Jesus Gottes Sohn gewesen sei?" Ich darf schon mal vorwarnen, dass die Wirrungen
um die beiden Vater- und Sohn-Figuren wiederholt Thema dieser Abhandlung sein werden und bitte für die folgenden Absätze
um ein wenig Geduld.
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auf die matriarchalischen gefolgt sind, geht das resultierende Schema nicht mit der geschichtlichen
Entwicklung konform, sobald wir den Versuch unternehmen, es in das Raster der wissenschaftlich
vorgeschriebenen Längen von "platonischen Monaten" a 2154 Jahren (25850 geteilt durch 12)
pressen. Bereits das Ägypten zu Beginn der geschichtlichen Zeit (etwa 3200 vor Chr.) ist voll und
ganz patriarchalisch ausgerichtet. Auch wenn man von der "matriarchalischen" Theorie absieht, ist
keine Lösung in Sicht. Eine Zeit lang wurde das biblische Israel als Repräsentant des dem Osiris
vorausgegangenen Zeitalters gehandelt. Jedoch weisen die
gegenwärtigen Befunde der Geschichtsforschung eher in eine Richtung,
die das biblische Israel als eine aus verschiedenen Quellen schöpfende
Mythenbildung entlarven könnten, die ursprünglich das Ziel der
Bereitstellung einer Nationalidentität für eine durch Vielstaaterei und
Fehden zerrüttete Region verfolgte.
Der skeptische Leser wird sich wohlmöglich schon länger fragen, auf
welcher Grundlage die Idee beruht, dass gerade ägyptische Gottheiten
aufeinander folgende Erdzeitalter repräsentieren sollen.
Die Synkretismen der antiken Weltreiche
Um dies nachvollziehbar zu machen, wird es notwendig einen Blick auf
die Synkretismen des Mittelmeerraumes im Altertum zu werfen. Als
Synkretismus bezeichnet man die Vermischung mehrerer Religionen.
Solche Vermischungen haben bei der Entstehung größerer Religionen,
insbesondere des Christentums, eine
Hermanubis:
nicht unerhebliche Rolle gespielt. Sie
Eine synkretistische Götterentstehen in aller Regel beim
Fusion aus dem
Aufeinadertreffen verschiedener
griechischen Hermes und
Kulturen und führen etwa dazu, dass
dem ägyptischen Anubis.
fremde Götter in eine heimische
Kultur importiert oder fremde Völker
von der eigenen Religion assimiliert werden. So ist der griechische
Gott Zeus mit der Indogermanischen Völkerwanderung in die
Ägäis "importiert" worden und darf daher guten Gewissens mit
dem germanischen Thor gleichgesetzt werden. Aphrodite ist vom
Ursprung her eine über Kreta aus Persien importierte Astarte. Der
Import des fremden Gottes wird oft durch die Identifikation mit
einem lokalen Gott mit ähnlichen Zuständigkeiten begünstigt. Oft
kommt es über die Zeit zu Vermischungen. Manchmal sind diese
Götter-Mischungen auch vorsätzlich entstanden. Etwa vermischten
die Griechen ihren Gott Hermes unter Betonung seines Patronats
für die Heilkunst mit dem ägyptischen Totengott Anubis, indem sie
Serapis, der Stadtpatron von
Alexandria (der von Alexander dem
dessen Patronat für die Kunst des Einbalsamierens betonten. Das
Großen gegründeten Hauptstadtdes
Ergebnis war der Hybrid Hermanubis. Im Rom der Zeitenwende
hellenistischen Ägyptens) war eine
waren Figurinen mit Mischformen griechischer und ägyptischer
dem griechischen Verständnis
Götter außerordentlich beliebt.
angenäherte Variation des Osiris-Apis,
Die makedonischen und römischen Weltreiche haben
Vielvölkerstaatsgebilde geschaffen, in denen eine Vielzahl von
Religionen in den kulturellen Austausch gezogen wurden. Die
Römer stellten die Hauptgötter von eroberten Völkern in ihr
eigenes Pantheon, um somit Kontrolle über deren Patronat zu
realisieren. Etwa 300 Jahre früher hat sich der Makedonier
Alexander in Ägypten zum Pharao und Sohn des Amun-Re
ausrufen lassen, nachdem ihm das Land mit der Unterwerfung des
Perserreiches quasi kampflos zugefallen war. In der mit Alexander
beginnenden hellenistischen Zeit (336 - 30 v. Chr.) nahm die
Popularisierung der ägyptischen Kultur über den ganzen
Mittelmehrraum merklich zu. Es waren die Griechen, welche die
Legende vom alten Ägypten als Wiege der Zivilisation und Quelle
45
ältester Weisheit in die Welt trugen .
woraus sich auch der Name ableitet
(Usar-Apis). Serapis wurde als
Herrscher der Unterwelt und
chtonischer Fruchtbarkeitsgott dem
Griechischen Pluton gleichgesetzt.
Osiris selber identifizierten die
Griechen mit dem Wein, rausch und
Fruchtgott Dionysos.
Der makedonische General Ptolemaios, Begründer der Dynastie
45
Die heute gebräuchlichen Namen der ägyptischen Götter sind ebenfalls griechisch. (gräzisierte Namen)
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der Ptolemäer, führte den Kult des Serapis ein und erhob somit indirekt den Osiris-Kult zu
46
Staatsreligion. Sicherlich setzte er dabei auf den volkstümlichen Charakter und die große Beliebtheit
des wohltätigen Gottes und behielt damit recht. Der Kult des Serapis breitete sich bis in die Römerzeit
über den ganzen Mittelmeerraum aus.
Weit übertroffen wurde dies jedoch von der Verbreitung des Isis-Kults. Isis
hatte sich über die Jahrtausende von einer etwas farblosen Gattin des
Osiris zur Universalmutter gemausert, die sich die Charaktere vieler anderer
47
Göttinnen einverleibte. Ihre Rolle als Patronin der Seefahrer förderte
bereits vor der Hellenisierung die Verbreitung ihres Kults, die bis in das 3te
nachchristliche Jahrhundert unaufhaltsam schien. Zwischenzeitlich sah sich
der römische Senat aus Angst vor Überfremdung genötigt, Heiligtümer der
Göttin zerstören zu lassen. Hiermit teilt der Isiskult jedoch lediglich ein
Schicksal mit dem persischen stammenden Mithraskult und den frühen
Christen.
Aber auch "modernere" religiöse Vorstellungen spielen in den
Mittelmeersynkretismus hinein. Der Jüdische Glaube, welcher mit
Deportation und babylonischen Exil allen Erwartungen zum Trotz an Stärke
und Identität gewonnen hatte, war mit ihrer Diaspora ganzen hellenistischen
Weltreich vertreten. Hier bildete sich eine eigenständige Bewegung, die den
jüdischen Glauben in der hellenistischen Welt verbreiten wollte. Im Zuge
dieser Bewegung wurde die Bibel erstmals ins Griechische übersetzt (die
Septuaginta). Vordenker wie Philo von Alexandria übten sich in der
Überzeugungsarbeit, dass die jüdische Weltanschauung der aristotelischen
oder platonischen Philosophie viel näher stünde.
48
Der um die Zeitenwende im
römischen Reich um sich
greifende Isiskult, ist
unmittelbarer Vorläufer der
Marienverehrung. Die
Ikonographie der das
Gotteskind säugenden
Gottesmutter ist prägend für
die christliche Kunst. Auch
die ungewöhnlichen
Umstände der Zeugung des
Gotteskindes, wie auch die
Nachstellungen der Feinde
des Königkindes bilden eine
offensichtliche Parallele.
Dieser Wettstreit der Religionen und Philosophien im Mittelmehrraum und
der alexandrinische Synkretismus stellen letztlich die Hauptquelle der
westlichen esoterischen Traditionen dar und bilden gleichsam den Humus,
49
auf dem die geistige Kultur des Christentums gewachsen ist . Das
Aufeinandertreffen, die Mischung und die gegenseitige Identifikation von
Göttern, Kulten, Legenden, Traditionen, Kosmologien und Systeme
verschiedener Herkunft sowie die Innovationen der klassischen
griechischen Philosophie bereiteten den Weg zu Metasystemen, die später
in der modernen Astrologie, der Kabbala, des Tarot usw. ihre uns bekannte
Form annahmen.
Das weltweite Phänomen der verstorbenen Götter
Die Gründung des hermetischen Ordens der Goldenen Dämmerung basiert
auf den emsigen Bemühungen des Samuel Mathers und seiner Frau Moina,
50
ein alle westliche Traditionen umfassendes systematisches und lebendiges Metasystem
aufzubauen, oder besser gesagt: Ein in der Summe der abendländischen Systeme verborgenes
51
Metasystem zu entschleiern, welches in der Summe ein eigene lebendige Intelligenz darstellt . Diese
"Entschleierung" geht mit dem einher, was Mathers unter der Bezeichnung "Kontaktaufnahme zu den
Geheimen Oberen des Ordens" anstrebte und was Crowley später nach dem Diktat des "Liber L Vel
Legis" für sich in Anspruch nahm.
Eine der tragenden Säulen des angestrebten Metasystems war die Ägyptische Götterwelt. Es war
seinerzeit ein Allgemeinplatz ,das alte Ägypten als Wiege der abendländischen Zivilisation, Weisheit,
52
Spiritualität aufzufassen . Hinzu kommt die Hervorragende Rolle, welcher der Magie im religiösen
Leben, aber auch im ganzen Denken der alten Ägypter spielte. Insofern erscheint es plausibel, dass
quasi-ägyptische magische Rituale für die Ausführenden als eine Form praktizierten gnostischen
46
... welche sicherlich in der wirtschaftlichen Not der einfachen Bevölkerung während der Spät- und Perserzeit begründet ist.
47
Darin ähnelt Isis der griechischen Aphrodite
48
... der im vorliegenden Text nicht einmal ausreichend skizziert, sondern nur angedeutet ist.
49
Crowley ging gar so weit zu behaupten, das Christentum sei eine ganz und gar synthetische Religion.
50
Er sah sich mit der Betonung der abendländischen Systeme im Kontrast zu Helena Blavatsky, die sich stark an fernöstlichen
Lehren orientierte.
51
In der Terminologie der jungschen Psychologie würde man vom kollektiven Unterbewusstsein sprechen.
52
Damit bewegte sich Mathers ganz im Fahrwasser des Zeitgeistes, denn die intellektuelle Welt der Belle Epoche war seinerzeit
geradezu von einer Ägypten-Hysterie erfasst.
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Christentums darstellten. Im Zentrum dieses des von Mathers entwickelten magischen Systems steht
Osiris, der als erschlagener wohltätiger Gott Christus, den getöteten, sich selbst opfernden Erlöser
repräsentiert.
Vom Standpunkt der Vergleichenden Religionswissenschaften ist diese Gleichsetzung von Christus
mit Osiris nicht ganz unbegründet. Um dies nachzuvollziehen muss man sich ein Stück weit von der
historischen Figur Jesu entfernen und die Betrachtung auf die Ideen des Gottessohnes, des GottMenschen, des verstorbenen Gottes und des erschlagenen Königs lenken. Diese Ideen sind
keinesfalls so ungewöhnlich, wie sie anfangs vielleicht anmuten mögen.
Bedingt durch unsere europäische Geistesgeschichte, die sich (grob ausgedrückt) über die
Jahrhunderte von der Vorstellung eines monolithischen und ewigen Schöpfer-Allgotts zur "gottlosen"
Menschheit auf der Suche nach dem Ursprung des Universums bewegt hat, sind wir GottVorstellungen gewohnt, die primär kosmische Kräfte oder Naturphänomene repräsentieren und die
daher auch unsterblich sind. Jedoch treffen diese Eigenschaften nicht unbedingt im ursprünglichen
Sinne auf alle Gottheiten zu.
Viele Götter der Welt waren in früheren Erscheinungsformen sterblich. So sind uns Zeugnisse über
Grabstätten von Zeus, Dionysos und Apollon überliefert. [Mehr Beispiele] In Alexandria wurde
alljährlich der Tod des Adonis betrauert. Ähnlich die alljährlichen Riten des ermordeten Osiris. Auch
ein Grab der Isis ist bezeugt. Die Ägypter berichten von ihren Göttern, dass sie einst unter den
Menschen gelebt und diese regiert haben und genau so wie die Menschen verstorben sind. An den
wichtigen Kultzentren Ägyptens wurden gar Listen über die Thronfolge der Götter geführt. Man spricht
53
von der "Zeit des Re", "Zeit des Osiris" oder der "Zeit des Horus" . Auch vom Pharao sagt man, dass
er mit seinem Tode in die Welt der Götter übertritt. Überhaupt hat man den Eindruck, dass im alten
Ägypten die Welt der Götter mit der Welt der Toten nahezu identisch ist. Verhärtet wird dieser
Eindruck durch den Umstand, dass die Opferritualistik für Tote und für Götter auf denselben
Grundlagen beruht. Am Leichnam wie auch am Götterbildnis muss das Ritual der Mundöffnung
vollzogen werden, um den Gott wie auch den Toten in die Lage zu versetzen, fortan die Opergaben
entgegen zu nehmen. Das bedeutet, sowohl im Grab wie auch im Allerheiligsten des Tempels wird
das selbe Ritual vollzogen, um den Kult in einen lebenden Zustand zu versetzen.
54
Die Faktensammlung in James George Frazers Monumentalwerk "Der Goldene Zweig" demonstriert
eindrucksvoll, dass die Idee des toten Gottes, wie auch des getöteten Gottkönigs ein weltweites
Phänomen ist, der tief in der Natur der Religion selber begründet zu sein scheint. Dieser Umstand
mag auch die Verbreitung des Christentum ein Stück weit vereinfacht haben. So waren beispielsweise
die frühen Missionare in Mexiko völlig überrascht von der Ähnlichkeit zwischen den aztekischen und
christlichen Riten.
55
Der Umstand der Sterblichkeit jener Götter , sowie der offenbar menschliche Charakter derselben
und die Kunde vom Königtum der toten Götter verweist auf einen Ursprung der Religionen, der gerne
unterschätzt wird: Der sogenannte Ahnenkult. Die früheste uns bekannte Form von Ritualen, sind die
Begräbniszeremonien des Neandertalers. Das Verabschieden und Gedenken der Toten ist offenbar
56
ein urmenschliches Bedürfnis . Für die modernste Form des Ahnkults könnte vielleicht das Andenken
57
an große Staatsmänner, Künstler, Wissenschaftler und Denker herhalten . Jedoch hat man in vielen
Kulturen nicht nur die toten Könige sondern auch die lebenden Könige als göttliche Wesen
verstanden. Einerseits fällt den göttlichen Königen eine Mittlerrolle zwischen der Welt der Götter und
der Welt der Menschen zu. In einer älteren Auffassung nach scheint Frazer zufolge der König oder
Stammesfürst ein Magier gewesen zu sein, dessen oberste Aufgabe es war, mit magischen Mitteln
Unheil von seinen Untergebenen abzuwenden und Heil zuzuführen. Das Königtum ist demnach im
ursprünglichsten Sinne ein Priesteramt. Auch diese Auffassung ist auf der ganzen Welt
wiederzufinden.
In weiteren Entwicklungsstufen wandelt sich der König selbst zu einem regelrechten Fetisch. Das
Schicksal seiner Untergebenen ist abhängig von seiner Stärke, seiner Unversehrtheit und seiner
Reinheit. Dies führt etwa dazu, dass alles Profane für ihn Tabu wird. Er wird in einer Sänfte getragen,
53
Die Ägypter kannten keine durchgehende, sich über die Jahrhunderte fortsetzende, Zeitrechnung wie wir. Die Zählung
begann mit jeder Regierungszeit eines Königs neu.
54
Ein Klassiker auf dem Gebiet der vergleichenden Religionswissenschaften. Dieses Buch war eine maßgebliche Inspiration für
Crowleys "Buch Thoth".
55
Die wir gemeinhin eher bei den Halbgöttern und Helden ansiedeln würden.
56
Es ist offenbar in der den Säugetieren eigenen Fähigkeit zur Empathie begründet.
57
Man beachte, wie wichtig solcherart Andenken auch heute noch für die Erhaltung einer nationalen Identität ist.
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damit er nicht den profanen Boden berührt. Selbst sein Name darf nicht aus den Mündern der
Profanen kommen. [mehr Beispiele]
Aufgrund dieser engen sympathetisch-magischen Verknüpfung von König und Untergebenen stellt
das Altern des Königs eine Gefahr für die Gemeinschaft dar. Aus dieser Situation begründet sich der
rituelle Königsmord. Dieser kann ganz verschiedene Formen annehmen. Ein junger Nachfolger mag
auftreten und den König herausfordern. [mehr Beispiele] Auch in der Ermordung des Osiris scheinen
sich Echos von einem rituellen Königsmord finden, obwohl eine derartige Praxis als solche nicht aus
Ägypten überliefert ist. Frühere Versionen der Osirislegende sprechen davon, dass der Gott schlicht
ertrunken und nicht etwa einem Mord zum Opfer gefallen sei.
Jedoch kannten auch die Ägypter Methoden zur Sicherung der
Kräfte des Pharaos: Sie wurden nach 30 Jahren Regierungszeit
mit dem Sedfest erneuert.
Das berühmte "INRI" am Kreuze Christi dagegen, welches einer
Auffassung folgend für "Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum", also
"Jesus von Nazareth, König der Juden" stehen soll, könnte als
esoterische christliche Botschaft der Königsmord-Symbolik
58
entsprechen . Nun ist uns allerdings der angeklagte Christus
nicht als alter Mann überliefert, sondern als Mann in der Blüte
seines Lebens. Dieser Umstand weist zunächst eher in Richtung
der Opfersymbolik, die ja auch für das christliche Dogma
essenziell ist.
Das es weltweit in "unzivilisierten" Kulturen Menschenopfer
gegeben hat, um die Götter günstig zu stimmen ist allgemein
bekannt. In der Regel handelte es sich dabei um junge erwählte
Erwachsene. Darin steckt der Wunsch, etwas sehr Wertvolles zu
opfern, einen Hoffnungsträger der Zukunft sozusagen.
Jesus Christus:
Ein Symbol des erschlagenen Königs?
Gelegentlich handelte es sich dabei auch um Kinder, wobei die
sexuelle Unberührtheit eine Rolle spielt. Diese Motive vermischen
sich gegebenenfalls mit dem Königsmord, allerdings mit dem
Unterschied, dass nicht der König, sondern der erstgeborene Sohn
59
des Königs geopfert wird , um den Bestand des Königtums zu
sichern. Hier setzt auch das sogenannte Scheinkönigtum an,
welches auch hierzulande noch als Echo der römischen
Saturnalien nachhallt, wenn zur Fastnacht die Narren symbolisch
die Regierungsgeschäfte übernehmen. Das Scheinkönigtum ist
eine Regelung mit der Zielsetzung, die Tötung des alten Königs
vorzutäuschen. Oft ist es ein zum Tode verurteilter
Strafgefangener oder ein Leibeigener, der für eine kurze Zeit
sämtliche Privilegien des Königs genießt und der nach Ablauf
dieser Frist hingerichtet wird.
Freilich sind nicht etwa sämtliche Götter der Welt auf legendäre
Königsgestalten zurückzuführen. Gerade die wirkenden Kräfte der
Natur, die Vegetation, Berge, die Erde selber, der Himmel, die
Gestirne, der Regen, die Hitze, die Jahreszeiten sind in göttlichen
Die römische Ceres: Eine typische
Figuren verehrt, angefleht, beschworen oder verdammt worden. Es
bäuerliche Vegetationsgottheit.
entspricht der menschlichen Beobachtungsgabe wie auch der
Fähigkeit, verschiedene Dinge in Bezug zueinander zu setzen, um dahinter Grundsätzliches zu
erkennen, dass die belebte Natur wie auch der Kosmos mit dem Menschen das Schicksal als
Geborener, Lebender und Verstorbener zu teilen scheint. Das Werden und Vergehen der Vegetation,
die Aussaht und die Ernte, der Sonnenaufgang und der Sonnenuntergang, der abnehmende und der
zunehmende Mond, all diese Erscheinungen scheinen einen Anfang und ein Ende aufzuweisen.
Allerdings bleibt auch der Neuanfang nie aus. Der nächste Frühling kommt bestimmt und wir brauchen
nur auf den Morgen zu warten. Wenn wir diese Beobachtung des ewigen Kreislaufs der Natur, mit
dem Werden und Vergehen eines Menschen in Bezug setzen, dann haben wir eine der
wahrscheinlichsten Quellen für die Entstehung der Ideen von der Wiedergeburt oder dem Weiterleben
der Verstorbeben in einer anderen Welt lokalisiert.
58
Ich bin sicher, dass dies Crowley so aufgefasst hat.
59
Dieses Motiv erscheint auch in der Bibel in der Gestalt von Isaak auf der seinen einzigen Sohn Jakob opfern soll. (2. Mose
22)
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Die soeben beschriebene Gleichsetzung von menschlichem Schicksal mit dem Kreislauf der Natur hat
ganz offenbar die Entwicklungsgeschichte vieler Gottheiten beeinflusst. Denn in ähnlicher Weise wie
Werden und Vergehen von Mensch und Natur gleichgesetzt wurden, werden sich legendäre Heldenund Königsgestalten an die Charaktere von Naturgeistern und -Göttern angenähert und schließlich zu
neuen Gottheiten vermischt haben. Auf diese weise haben viele Fruchtbarkeits- und Vegetationsgötter
die Gestalt von jugendlichen Helden angenommen: Der von einem Eber getötete Adonis, der von
Thronneidern ermordete und zerstückelte Zeussohn Dionysos oder auch die in die Unterwelt entführte
Persephone.
Die Verbindung von Vegetation und Nahrung liegt auf der Hand.
Der Umgang mit dem Vegetationsgeist geht nicht selten mit der
Verspeisung desselben einher, etwa in der gestalt von Broten oder
Kuchen, die in Menschen- oder Tierform dargereicht werden.
Setzen wir dies wieder in Bezug zu den Menschenopfern, so
mögen in Ritualen der Verspeisung des Gottes das Echo von
kannibalistischen Praktiken aus uralter Vergangenheit
mitschwingen. Beide Vorstellungen sind fester Bestandteil der
christlichen Liturgie geworden.
Crowleys Berufung
Als Crowley auf seiner Hochzeitsreise in Kairo ankam, hatte er als
abtrünniges Golden Dawn-Mitglied die ägyptische Götterwelt weit
hinter sich gelassen. Er hatte
Der von einem Eber getötete Adonis: Sowohl
auf seinen Reisen durch das
jugendlicher Held als auch Vegetationsgott.
Himalaja, Indien und China
den Buddhismus als
60
Alternative zur Religion für sich entdeckt. Mit seinem früheren
Meister Samuel Mathers, der einst große Hoffnungen in das
junge Talent setzte, hatte er sich überworfen.
Völlig unerwartet -so schildert Crowley- offenbarte seine Frau
Rose in Kairo ihre seherischen Fähigkeiten. Der ägyptische Gott
Horus würde nach ihm verlangen. Rose Kelly hatte nach Crowley
befinden nicht die geringste Ahnung von Ägyptologie. Jedoch
beantwortete sie alle Fragen nach diesem Gott (die offen
gestanden jeden professionellen Ägyptologen amüsieren würden)
korrekt. [Bulaq, und Stele 666, muss noch rein] Mit
Horusanrufungen, die Crowley seinerzeit im Mathers Orden
gelernt hatte, jedoch nunmehr am offenen Fenster vollziehen
sollte, führte er schließlich das Diktat des "Buches des Gesetzes"
herbei, dass an den drei Tagen vom 8. bis 10. April 1904 jeweils
zur Mittagszeit von einer diskarnierten Intelligenz namens Aiwass
gegeben wurde.
61
Re-Harachte: Eine Mischung von Re,
der Personifikation der Sonne und
dem alten Königs- und Lichtgott
Horus. Diese Göttergestalt ist eine
Kreation der Priesterschaft von
Heliopolis. Sie hatte den Zweck, den
kosmischen Kult der Sonne, mit dem
obersten göttlichen Patron von
Ägypten zu verknüpfen. Der
Sonnenkult wird mittels dieses
Kunstgriffes mit dem Staatskult
verbunden.
Im Diktat wird Crowley als "ausdrücklich erwählt" und darüber
hinaus noch als "Tier 666" angesprochen. Angeblich hatte seine
62
Mutter ihn bereits ironisch "Tier der Apokalypse" genannt.
Solcherart Hinweise können jedoch bestenfalls für Crowley
persönlich Beweise darstellen. Es lässt sich beispielsweise nicht
überprüfen, zu welchen Zeitpunkt Edward Alexander Crowley das
Pseudonym Aleister E. Crowley angenommen hat, welches im
hebräische Buchstaben transkribiert, den Wert 666 ergeben
kann. Dies mag durchaus zu seiner Zeit bei Mathers Orden
passiert sein. Auch Mathers hatte seinen Namen mehrfach
modifiziert, um eine höhere schottische Herkunft zu suggerieren.
Crowley zufolge soll dieses Diktat eine Kontaktaufnahme zu
jenen "Geheimen Oberen" darstellen, die Mathers so zielstrebig
60
Der Buddhismus kennt eigentlich keine Götter und fällt -je nachdem wie man den Begriff Religion klassifiziert- deshalb nicht in
den Bereich der Religionen.
61
Die Frage ist, wenn dem tatsächlich so ist, ob denn in jedem Fall für alle Zeiten ausschließlich Crowley gemeint ist.
62
Crowleys Eltern waren fromme Angehörige der Plymouth Brethren (zu deutsch: der Brüdergemeinde), einer sehr
evangelischen Freikirche.
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gesucht hatte. Dennoch war er zunächst von dem Ergebnis regelrecht angewidert: "Ich widersetzte
mich heftig den Prinzipien dieses Buches in fast jedem Punkt, der etwas mit Moral zu tun hat. Das
dritte Kapitel erschien mir auf sinnlose Weise scheußlich. Meine Seele, unendlich bekümmert ob des
63
universellen Leids , war leidenschaftlich begierig, die Menschheit zu erheben. Und siehe! Die
Magische Formel lehnt Mitleid als verdammenswert ab, verkündete den Krieg als etwas vortreffliches
64
und stand in auch fast jeder Hinsicht im Widerspruch zu meinen eigenen Vorstellungen."
Der Gottesname des Re-Harachte in
Hieroglyphen: "Re-Heru-Achety".
Dieser lässt sich sowohl als "Horus
vom Horizont" bzw. "Horus der
Horizontische" oder als "Horus der
zwei Horitonte " lesen.
Crowley vermutete gar eine Aktion seitens Mathers gegen ihn. Mathers
hatte eine Obsession für den Gott Mars und alles Militärische. Und Horus
der Rächer, der Krieg gegen den Osiris-Mörder Seth und seine
Verbündeten führt, wurde von den Griechen mit Ares, also Mars
gleichgesetzt. [überprüfen] Es ist bemerkenswert, dass Crowley diese
Erwägung nicht mehr weiter verfolgt hat. Denn jener Protagonist des
dritten Kapitels des Liber Legis, scheinbar ein ganz spezieller Horus, der
sich im Diktat Ra-Hoor-Khuit nennt, lässt sich anhand der Stele eindeutig
und anhand der Schreibweise im Diktat annähernd als Re-Heru-Akheti
65
identifizieren. Bekannter ist der Gottesname freilich in gräzisierter Form:
Re-Harachte.
Der Name Re-Heru-Akheti bedeutet übersetzt:
"Horus vom Horizont" oder "Horus im Lichtland".
Dies ist ein sehr eindeutiges Symbol der Morgenoder auch der Abendröte. Der von Mathers geführte
Orden, dessen Aleister Crowley abtrünnig geworden
ist heißt "Golden Dawn". Es ist ganz außerordentlich
bemerkenswert, dass soweit keine Zeile von
Crowley bekannt ist, die auf den Namen des ReHarachte eingeht. Vielmehr stellt er seine
Unkenntnis wiederholt plakativ zur schau, etwa
wenn er die Götterfigur auf der Stele
folgendermaßen kommentiert: "Es handelt sich nicht
um die übliche Form von Horus, sondern um Ra66
Hoor-Khuit." Dabei stellt Ra-Harachte genau jene
Form des Horus dar, die den Sonnekult in die Nähe
eines Staatskultes rücken sollte, die Horus und
Sonne zu einem Symbol verschmolz. Wir dürfen es
ihm nachsehen, denn selbst der damalige Leiter der
ägyptischen Abteilung des Britischen Museums, E.
A. Wallis Budge, verwechselte in seinem
67
Standartwerk "The Gods of The Egyptians"
Harmachis mit Harachte.
Links die Hieroglyphe für "Ostgebirge" oder auch einfach
"Gebirge". Rechts die Hieroglyphe für das Wort "Westgebirge"
oder auch "Wüste". Gemeint ist die Libysche Wüste. Sie ist ein
Attribut des Gottes Ha, der Gott der Libyer. Beide Hieroglyphen
stehen auch synonym für "Osten" und "Westen". Der Westen,
"Ament" selber ist wiederum ein Synonym für "Das Reich der
Toten". Der Totengott Osiris erscheint daher auch als
Einwohner vom Westen, Amenty: "der vom Westen".
In der Mitte die Hieroglyphe für "Horizont". Sie wird gebildet aus
den Hieroglyphen für "Ostgebirge" und "Sonne". Daher ist es
legitim die Hieroglyphe als "aufgehende Sonne" zu verstehen.
Man sagt auch: "Horus vom Lichtland". Da Horus ein Lichtgott
ist, sagt man auch: "Horus ist im eigenen Haus".
Da der Horizont zu den Dingen gehört, die paarweise auftreten,
kann der Name des Harachte, dessen Name eigentlich aus
grammatikalischen Gründen mit einer Verdoppelung der
Horizont-Hieroglyphe eventuell auch als "Horus der zwei
Horizonte" gelesen werden.
Der Horizont ist ein Ort des Übergangs. namentlich eines
Übergangs zwischen Unterwelt und Tag, Jenseits und Dieseits.
Was bleibt, ist das Bild zweier Männer, die Spielball
Da auch der Tempel ein Ort des Übergangs ist, an dem man
der Ereignisse wurden. Mathers wurde quasi um die
den Gott einlädt, im Diesseitsanwesend zu sein, kann es
Früchte seiner Arbeit gebracht, indem der Kontakt
vorkommen, dass auch der Tempel als "Horizont" bezeichnet
mit den Geheimen Oberen nicht ihm zuteil wurde.
wird. Der "Horus vom Horizont" währe demnach auch der
Crowley machte sich gewissermaßen zum Narren,
"Horus vom Tempel".
indem er versuchte, die abstruse Nachricht, die das
Diktat transportierte, im Kontext mit dem
Zeitgeschehen zu deuten und daraus eine neue religiös begründete Ethik abzuleiten, während er
zeitlebens über die Grundlagen des ägyptischen Denkens und der Anatomie der ägyptischen Religion
in Unkenntnis verblieb. Ithel Colquhoun wägt die Wahrscheinlichkeit einer Reise der Eheleute Mathers
nach Ägypten [wann] ab, ohne diese Frage abschließend klären zu können. Aus der Sicht der
Geheimen Oberen könnte man unken, das sie einerseits der Akribie und der Disziplin eines Mathers
bedurften, der eine erste solidere Basis schuf, auf der eine alte Götterwelt wieder gedeihen konnte
und andererseits eines Rotzlöffels der Dichtkunst, der eine alte Botschaft als etwas vollkommen
Neues in die Welt zu transportieren vermochte.
63
Eine der acht edlen buddhistischen Wahrheiten. [Fakten checken]
64
Crowley: "Confessions", S. 459 [Korrekt zitieren]
65
d.h. ins Griechische Umgewandelte ...
66
Crowley: "Confessions", S. 447 [Korrekt zitieren]
67
Von dessen Benutzung seitens des Museums dringend abgeraten wird. Es erschien im Jahre des Diktates: 1904
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Crowleys Deutungen
[unfertig, lose Sammlung]
"Das gekrönte und erobernde Kind Horus", so Crowley, soll die Formel des toten Gottes Osiris, welche
er in der Figur des gekreuzigten Jesus verkörpert sieht ablösen. Die beiden Weltkriege des
vergangenen Jahrhunderts, welche mit dem dritten Kapitel des Liber Legis zu korrespondieren
scheinen, stellen gewissermaßen die Launen, des neugeborenen, egoistischen, unmoralischen und
trotzdem in Kontakt zur Wahrheit stehenden Kindes dar.
In der Tat muten die Verse des Liber Legis muten auf provozierende Weise anti-christlich an.
Die christliche "Sklavenmoral" (um eine vielzitierte Formulierung Nietzsches zu gebrauchen) des
Gehorsams gegenüber dem einzigen und wahren Gott, wird mit einem "Tu was Du willst" in einer Welt
der Vielgötterei und Götzenverehrung gekontert.
Der Keuschheit und der Körperfeindlichkeit des christlichen Klerus, werden die Wonnen körperlicher
Liebe gegenübergestellt.
Enthaltsamkeit und Bescheidenheit werden mit der Aufforderung zum Anhäufen von Gütern, Genuss
und Rausch ...
Mitleid und Trauer wird als verachtenswert bewertet.
Der christlichen Gebot der Hochachtung auch nur des geringsten der Mitmenschen gegenüber, wird
eine zutiefst aristokratische Haltung gegenübergestellt, von der aus vor allem nach unten getreten, auf
gleicher Ebene gekämpft oder innig geliebt wird.
An die Stelle von der christlichen Vergebung, tritt die gnadenlose Rache des Horus.
Dem Gebot "Du sollst nicht töten" steht ein klares "tötet und foltert" gegenüber.
Der Vorstellung, dass die Welt und das Leben ein Hort des Leides und der Mensch sündhaft ist, wird
... Existenz ist reine Freude ... (2.22) fürchte nicht, dass ein Gott dich dafür abweisen wird.
Hier ist nicht der Raum, sich allzu lange mit den bisherigen Interpretationen aufzuhalten. Sie reichen
von klaren Bekenntnissen zu einem das natürliche Recht des Stärkeren beschwörenden
Sozialdarwinismus, über Beteuerungen, dass die Brutalität verschiedener Verse lediglich den Schleier
des Nichtverstehens darstelle, der (quasi in Fortführung der Tradition der Bibelexegese) durch die
"richtige" Interpretation (gegebenenfalls begleitet von Ausübungen verschiedener Praktiken)
durchbrochen werden müsse, bis zu Positionen, welche die
Möglichkeit eines eigentlichen Verstehens verneinen und dazu
tendieren, das Buch zu einer Kombination aus Fetisch und
Divinationsmittel reduzieren.
Vom Grundtenor her entfernen sie sich jedoch selten von den
crowleyanischen Positionen, wie der Verkündung des Eintritts eines
neuen Äons des Horus, welches das Äon des Osiris ablöst, das
Thelema eine Bewegung oder Religion sei, deren Anhänger sich
Thelemiten (Thelemités) nennen, oder auch, dass der Protagonist
des dritten Kapitels, eine Form des falkenköpfigen Gottes Horus,
die sich Ra-Hoor-Khuit nennt, der Sohn der Protagonisten der
Kapitel eins und zwei, Nuit und Hadit sei.
Nun sind diese Positionen nicht unproblematisch. Erstens macht
das Liber Legis zu diesen Positionen keine eindeutigen Aussagen.
Zweitens steht die Theorie der Osiris- und Horus-Zeitalter im
Konflikt zu Befunden der Ägyptologie.
Der Horusname: Der Horusfalke
sitzt auf einer Ansicht und
Draufsicht verbindende
Darstellung des Königspalastes.
In dem von der Draufsicht
gebildeten Feld ist der Name des
Königs verzeichnet. Die Position
des Vogels "auf" dem Gebäude
ist Hieroglyphisch als "in dem
Palast befindlich" zu lesen.
Insgesamt ist das Zeichen als "im
Palast wohnender Horus,
namens NN" zu verstehen.
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Der große Gott Amun tritt auch als schlangengestaltiger Schöpfergott Amun-Kematef auf. Der Name
Kematef bedeutet: "Der seine Zeit hinter sich hat".
....
Neben den kosmischen Gottgestalten gibt es einen anderen Typus von Göttern,
Klump und Asche
Horus
Blala .. einen Großteil der Symbolik seines eigenen Offenbarungsbuches zu Klump und Asche
gehauen. Übrig blieb das Geplätscher der kabbalistischen Korrespondenzen an der Oberfläche eines
tiefen Sees von Geheimnissen, deren Entschlüsselung es wohl tatsächlich einiger Jahrhunderte
befürfe. Aber immerhin war die Qualität der Korrespondenzen ausreichend genug, um Crowley von
der Überlegenheit des Wissens der Autoren zu beeindrucken.
Trash
Nüchtern und etwas oberflächlich betrachtet ließe sich vielleicht feststellen, dass hier die Suche nach
einer Spiritualität außerhalb der Enge der institutionalisierten Kirchen in fremden Religionen, sowie
das vom Verdruss über die materialistische Weltsicht genährte Interesse am Übersinnlichen und die
allgemeine Ägypten-Hysterie Hand in Hand gingen, ohne dass man sich endgültig aus der christlichen
Heimat verabschieden wollte.
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