Der 6000jährige Falke Der Versuch ein Gesetzesbuch auf ägyptisch zu lesen Der 6000jährige Falke 1 25.10.20081 Tarot, Ägypten und die Zeitalter.................................................................................................. 3 Der Tarot, die Ägypter und die Hermetischen Schriften.......................................................... 3 Spuren von Ägypten im Christentum ...................................................................................... 5 Die getöteten Götter: Ein weltweites Phänomen..................................................................... 6 Die toten und königlichen Götter in Ägypten .......................................................................... 7 Kultpolitik und Götterkreationen............................................................................................. 9 Die Macht des Wortes und die Schöpfung .............................................................................11 Himmel, Wasser und Urgötter ................................................................................................12 Zwischen den Horizonten.......................................................................................................14 Das Alter der Sonne: Vater und Sohn.....................................................................................16 Horus und Königtum ..............................................................................................................17 Atum-Re und Re-Harachte......................................................................................................20 Material und Trash .....................................................................................................................25 Literatur......................................................................................................................................26 Auf der Jagt nach den Ze italtern ................................................................................................28 Age of Aqurius .......................................................................................................................28 Die drei ägyptischen Protagonisten .......................................................................................29 Die Synkretismen der antiken Weltreiche...............................................................................30 Das weltweite Phänomen der verstorbenen Götter ...............................................................31 Crowleys Berufung.................................................................................................................34 Crowleys Deutungen..............................................................................................................36 Klump und Asche ...................................................................................................................37 Trash ..........................................................................................................................................37 Der 6000jährige Falke 2 25.10.20082 Tarot, Ägypten und die Zeitalter Der Tarot, die Ägypter und die Hermetischen Schriften Als Court de Gébelin anno 1775 in einem aus der Mode gekommenen französischen Kartenspiel ein altes ägyptisches Weisheitsbuch erkennen wollte, initiierte er damit gewissermaßen eine esoterische Tradition des Tarot. Denn an die Spekulationen Gébelins anschließend, entwickelte sich das Tarot zu einem unverzichtbaren Bestandteil einiger der einflussreichsten westlichen 1 okkultistischen Schulen der nachfolgenden Generationen . Die Verbindung des Tarot mit Ägypten wurde von zwei Grundideen getragen. Die eine Idee geht von einer vermittelnden Rolle der Zigeuner aus, die einigen Auffassungen zufolge ägyptischer Abstammung sein sollten. Jedoch ließ sich weder bestätigen, dass die Zigeuner das Tarot in Europa eingeführt hätten, noch ließ sich die Theorie einer ägyptischen Abstammung der Zigeuner aufrecht erhalten. Arthur Waite verwarf Anfang des letzten Jahrhunders folgerichtig diese ägyptische Theorie und Crowley erachtete knapp 40 Jahre später den geschichtlichen Ursprung des Tarot überhaupt als irrelevant für seine Bedeutung. Court de Gébelin sah im Tarot ein ägyptisches Weisheitsbuch Die andere Grundidee hat tieferliegende Gründe und ist insgesamt folgenschwerer. Sie hängt vor allem mit den Vorstellungen zusammen, welche die europäische Geisteswelt lange Zeit mit dem alten Ägypten verband. Vor der Entschlüsselung der Hieroglyphen durch Champollion im Jahre 1822 kannte man ägyptische Geschichte, Götterwelt und Literatur fast ausschließlich aus hellenistischer Vermittlung. Die griechischen Autoren wiederum, deren Schriften so lange als Quelle dienen mussten, waren bereits im hohem Maße von platonischen und aristotelinischen Denken beeinflusst, welches in wesentlichen Punkten inkompatibel mit dem altägyptischen Denkmustern ist. Dieser Umstand führte zu einer beinahe zwangsläufigen Umdeutung ägyptischer Vieldeutigkeit in die Bahnen platonisch-aristotelinischer Wahrheitssuche. Die Umdeutungen gingen einher mit einer Idealisierung Ägyptens als Quelle ältester Weisheiten, Heimat der magischen Künste und Ursprung aller Kulturen. Dieses idealisierte Bild vom Land der Pyramiden lebte im Europa der Renaissance mit der Entdeckung der sogenannten "Hermetischen Schriften" wieder auf. Die in griechisch abgefassten Fragmente hielt man damals für Übersetzungen aus dem Altägyptischen. Heute geht man von anonymen griechisch-/römischen Autoren der in den ersten Links: Harpokrates, "Horus, das Kind", der zwei nachchristlichen Jahrhunderte aus, die ihren Arbeiten von den griechischen Autoren fälschlicher zusätzliche Bedeutsamkeit zu verleihen trachteten, indem sie diese Weise als "Gott des Schweigens" tituliert 2 als Übersetzungen der kanonischen "Bücher des Thoth" ausgaben . wurde. Während die Wissenschaft der Neuzeit mit ihrer weiteren Entwicklung Rechts: Die Hieroglyphe für "Kind" die Hermetica immer mehr aus den Augen verlor, festigte sich die Im alten Ägypten gehen Schrift und Legende von den hermetischen Ur-Weisheiten innerhalb bestimmter Bilderwelt ineinander über. Bildwerke sind esoterischer Gruppierungen zunehmend. Die Rede ist von den sich grundsätzlich auch als Hieroglyphen zu parallel zum Materialismus entwickelnden Zirkeln der Okkultisten, lesen. Die zum Mund geführten Finger des Harpokrates sind als Determinativ für "Kind" Freimaurer und Rosenkreuzer. Gestützt wurde diese Entwicklung zu lesen. Ebenso die seitlich auf die durch den Umstand, das sich offensichtliche Spuren hermetischen Schulter fallende Haarlocke. Gedankenguts in den Schriften der Kirchenväter und anderer 3 christlicher Schriftsteller , des Islams und der Kabbala nachweisen ließen. Solche Spuren gingen natürlich Hand in Hand mit der Entdeckung von Übereinstimmungen in 1 Die geschichtlichen Ursprünge des Tarot -soweit nachvollziehbar- sowie dessen esoterische Tradition, ausgehend von Gèbelin über Levi, Mathers, Waite bis Crowley beschreibt Cynthia Giles in den ersten Kapiteln ihrer Monographie über das Tarot, recht ausführlich. 2 Uns ist heute die Kunde von "42 Büchern des Thoth" überliefert, die möglicherweise das zusammengefasste Grundwissen der ägyptischen Priesterschaft darstellten und deren Auswendiglernen Teil der priesterlichen Ausbildung war. Der Inhalt der Schriftrollen richtete sich an den verschiedenen Aufgabenbereichen der Priesterschaft aus. Es gab Bücher mit Unterweisungen in Götterwelt und Ritualistik, Astrologie, Mathematik, Geographie, Tempelbau und -Ausstattung sowie Medizin. 3 In Hermes Trismegistos sahen einen Propheten des einen Gottes. Der 6000jährige Falke 3 25.10.20083 den Mythen der Völker des vorderen Orients, vor allem wenn sich Spuren Ägyptische Kosmogenien 4 im Alten Testament wiederfinden . Die Tabula Smaragdina, das Corpus Hermeticum, das Kybalion und das Picatrix entwickelten sich zu wichtigen Inspirationsquellen modernerer magischer Bücher. An dem hellenistischen Ägyptenbild der esoterischen Zirkel sollte sich, allen Fortschritten der Ägyptologie zum Trotz, auch im 19ten Jahrhundert nichts ändern. Als Samuel Mathers sich in den 80er Jahren jenes Jahrhunderts an das ehrgeizige Projekt begab, sämtliche verfügbaren esoterischen Traditionen des Abendlandes zu einem großen Metasystem für den Hermetischen Orden der Goldenen Dämmerung (kurz: Golden Dawn) zusammenzufügen, waren längst alte hellenistische Fehlund Neudeutungen zu Eckpfeilern der Lehre zementiert. Die herausragendsten davon sind wahrscheinlich die Gestalt der Isis als Mondgöttin und des Harpokrates als Gott des Schweigens. Bei 5 der Mondgöttin handelt es sich in Wahrheit um die synkretistische Gestalt der Isis-Selene. Der Gott des Schweigens ist eine Fehldeutung der bildlichen Darstellungen des Harpokrates, die dem antiken Ägyptenreisenden Plutarch und seinen Zeitgenossen unterlaufen ist. Nun mag man berechtigter Weise einwenden, dass genau solche Neudeutungen naturgegeben zum Prozess der Entstehung von Kulten und Religionen gehören. Dem darf jedoch entgegengehalten werden, dass der Anspruch, den der Golden Dawn erhob, auf die Erlangung authentischer alter Weisheit und Wiederbelebung von authentischen alten Götterwelten abzielte. Crowley ging in der Nachfolge gar weiter und erhob den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. So ist es ist im höchsten Maße bemerkenswert, dass gerade er, der mit dem "Liber Al vel Legis" ein Buch vorlegte, dass ihm angeblich von ägyptischen Gottheiten diktiert worden war und der darüber hinaus auch noch den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhob, ganz offenbar nicht das ägyptologische Wissen seiner Zeit konsultierte. Hätte er etwa das im Jahr des Diktates erschienene "The Gods 6 of the Egyptians" von E.A. Wallis Budge konsultiert, seine Deutung des "Liber Legis" wäre gewiss ganz anders ausgefallen. Crowley scheint sich mit den von Mathers vermittelten Auffassungen sehr sicher gefühlt haben. Vielleicht war es auch das theosophische Gedankengut, was Crowley an seinen Ägyptenbild nie hat zweifeln lassen, denn schließlich ist sein "Äon des Horus" nichts weiter als eine ägyptisierte Variante von Helena Blavatskys "Wassermannzeitalter". Der um die Zeitenwende im römischen Reich um sich greifende Isiskult, ist unmittelbarer Vorläufer der Marienverehrung. Die Ikonographie der das Gotteskind säugenden Gottesmutter ist prägend für die christliche Kunst. Auch die ungewöhnlichen Umstände der Zeugung des Gotteskindes, wie auch die Nachstellungen der Feinde des Königkindes und die Suche der Schwangeren nach einer Herberge bilden eine offensichtliche Parallele. 4 Aber vielleicht sollte man den Herren und Damen ihre Nachlässigkeit auch nachsehen. Der Großteil der Mitglieder des Golden Dawn etwa, darf man offenbar eher als Romantiker denn als seriöse Wissenschaftler verstehen. Es liegt in der Natur kultischer Praktiken, dass diese vor allem von den Emotionen, welche die Handelnden in die Praktiken einbringen, belebt werden. Ohne Emotionen ergeben sich nur leere Formeln, die eher ein Zeichen des Niedergangs eines Kultes denn eines Beginns sind. Die Haltung des nüchternen Wissenschaftlers ist folglich wenig geeignet, alte Kulte und Mysterien wiederzubeleben. Letzteres war schließlich eine Zielsetzung des Golden Dawn. Im übrigen sollte man sich die Horizonterweiterung verbildlichen, die junge Intellektuelle des ausgehenden 19ten Jahrhunderts erfahren haben mögen, wenn sie aus einer vom institutionalisierten Christentum dominierten Religionsauffassung und einem zunehmend vom Rationalismus und Materialismus geprägten Zeitgeist her kommend, mit ganz neuartigen Denkmustern und Sichtweisen aus der Vorgeschichte der eigenen Kultur konfrontiert werden. Diese Dinge können den fragenden Geist für Jahre beschäftigen, so dass für ein derart komplexes Thema wie Ägyptologie wenig Raum bleibt. Besonders eine Hier sei "das Buch "weisheit und Wissen des Vorderen Orient" von Claire Lalouette empfohlen. 5 Mit dem Wort Synkretismus bezeichnet man die Vermischung mehrerer Religionen. Solche Vermischungen haben bei der Entstehung größerer Religionen, insbesondere des Christentums, eine nicht unerhebliche Rolle gespielt. Sie entstehen in aller Regel beim Aufeinadertreffen verschiedener Kulturen und führen etwa dazu, dass fremde Götter in eine heimische Kultur importiert oder fremde Völker von der eigenen Religion assimiliert werden. So ist der griechische Gott Zeus mit der Indogermanischen Völkerwanderung in die Ägäis "importiert" worden und darf daher guten Gewissens mit dem germanischen Thor gleichgesetzt werden. Aphrodite ist vom Ursprung her eine über Kreta aus Persien importierte Astarte. Die makedonischen und römischen Weltreiche haben Vielvölkerstaatsgebilde geschaffen, in denen eine Vielzahl von Religionen in den kulturellen Austausch gezogen wurden. 6 Von der Verwendung dieser Prachtschinken für das Studium rät selbst das Britische Museum, dessen Ägyptisches Institut Budge seinerzeit geleitet hatte, heute dringend ab. Budge war ein sehr nachlässiger Wissenschaftler, der gerne auch mal auf die Arbeiten seiner Studenten zurückgriff. Der 6000jährige Falke 4 25.10.20084 Begegnung mit den Ursprüngen des Christentums, ist unter diesen Umständen geeignet, komplexere Fragestellungen vollkommen zu überblenden. Denn so verfälschend sich das hellenistische Ägyptenbild auch auswirken mag: Es war erstmals in einer Zeit populär, in der auch die Christliche Religion entstanden ist. Und die Spuren, die es im Christentum hinterlassen hat, beschränken sich keinesfalls auf die Hermetica. Spuren von Ägypten im Christentum Man darf wohl zu Recht behaupten, dass die Synkretismen des antiken Mittelmeerraumes, zusammen mit der griechischen Philosophie und dem hellenistischen Judentum gleichsam den Humus darstellen, auf dem das Christentum als Religion wie auch die Grundlagen des christlichen Denkens gewachsen sind. Die makedonischen und römischen Weltreiche haben Vielvölkerstaatsgebilde geschaffen, in denen eine Vielzahl von Religionen in den kulturellen Austausch gezogen wurden. In der Folge erlebten einige importierte Götter bei den Griechen und Römern einen regelrechten Boom. Die Verbreitung der ägyptischen Isis, die gerne auch mit den Attributen der Aphrodite/Venus aufgewertet wurde, veranlasste zwischenzeitlich den durch die drohende Überfremdung alarmierten römischen Senat gar, Heiligtümer der Isis zerstören zu lassen. Von allen Göttern des Mittelmehrraumes hat die Isis die sichtbarsten Spuren im Christentum hinterlassen. Das Bild der Gottesmutter mit dem Kinde hatte denn auch eine unmittelbare Gleichsetzung der Isis mit der christlichen Madonna bei den Esoterikern des 19ten Jahrhunderts zur Folge. Aber auch andere ägyptische Göttinnen scheinen bei der Gestalt Mariens durchzuschimmern. Die Schutzmantelmadonna etwa, welche die Gläubigen unter ihren sternenbesetzten Mantel beherbergt, erinnert gleichsam an die ägyptischen Himmelsmütter Hathor oder Nut. Die schwarze Madonna gemahnt an die alte afrikanische (und eben auch ägyptische) Symbolik der fruchtbaren Erde. Isis selber gehörte bereits in den Anfängen geschichtlicher Zeit zum Götterkreis um den Totengott Osiris. Sie hatte sich über die Jahrtausende von einer etwas farblosen Gattin des Osiris zu einer Universalmutter gemausert, die sich die Charaktere vieler anderer Göttinnen einverleibte. Osiris selber fand eher in der Gestalt des Serapis, der ihn in die Nähe des griechischen Unterweltgott Hades rückte, eine weitere Verbreitung. Allerdings hing diesem Stadtpatron von Alexandria, 7 dessen Kult von Ptolemäus I initiiert worden war, immer etwas Künstliches an. Er konnte weder bei den Ägyptern noch bei den Griechen ganz heimisch werden. Allerdings darf man davon ausgehen, dass der Rückgriff auf Osiris zwecks Initiation eines Hauptstadtkultes mit einigem Kalkül geschah. Denn die Volksnähe des Osiris war geeignet, um eine flächendeckende Akzeptanz zu garantieren. Mit zunehmender Verarmung der einfachen Bevölkerung in Zeiten der Auflösung und Fremdherrschaft, war über die vergangenen Jahrhunderte die Popularität des Osiriskultes stetig gestiegen. Serapis, der Stadtpatron von Alexandria war eine dem griechischen Verständnis angenäherte Variation des Osiris-Apis, woraus sich auch der Name ableitet (Usar-Apis). Serapis wurde als Herrscher der Unterwelt und chtonischer Fruchtbarkeitsgott dem Griechischen Pluton gleichgesetzt. Osiris selber identifizierten die Griechen mit dem Wein-, Rausch- und Fruchtbarkeitsgott Dionysos. Die Osirislegende ist ein oft bemühtes Musterbeispiel für einen typischen Jenseitsglauben. Dank der Vermittlung durch Plutarch ist sie ein schon lange verfügbares Stück Altägyptischer Literatur. Osiris tritt in der Legende als sagenhafter vorzeitlicher gottgleicher Herrscher auf, der den Menschen die Segnungen der Zivilisation beschert und auf der Höhe seines Ruhmes von seinem Bruder Seth erschlagen und in den Nil geworfen wird. Seine trauernde Schwester und Gattin Isis, sucht verzweifelt im ganzen Land nach dem Leichnam. Nachdem sie diesen gefunden hat, erweckt sie mit ihren Zauberkräften noch einmal die Manneskraft des Toten und zeugt mit ihm ihren Sohn Horus, der als erwachsener Mann und falkenköpfiger Gott den Mord seines Vaters an Seth und seinen Anhängern rächen und die gerechte Thronnachfolge seines Vaters antreten wird, während sein Vater selber als König der Unterwelt die Herrschaft über das Totenreich übernimmt. Bis es jedoch soweit ist, muss das 7 Makedonischer General unter Alexander dem Großen und Begründer der Dynastie der Ptolemäer (336 - 30 v. Chr.). Der 6000jährige Falke 5 25.10.20085 8 Kind Horus vor den Nachstellungen der Königsmörder geschützt und die Unversehrtheit des Leichnams von Osiris, der zwischenzeitlich zerstückelt worden war, muss wiederhergestellt werden. Diese Aufgabe übernimmt der schakalköpfige Anubis, der aus den Leichenteilen des Osiris die erste Mumie fertigt. In Esoterikerkreisen und ganz besonders im Golden Dawn-Kontext wurde und wird Osiris mit Jesus Christus gleichgesetzt. Ja, man fasst Osiris gar als eine ursprüngliche Erscheinungsform der Christusfigur auf. Die Tötung der Protagonisten, ihr Wiedererwachen zum ewigen Leben im Jenseits und ihre Wohltäter- und Führerrolle zu Lebzeiten bilden offensichtliche Parallelen. Solche gibt es jedoch auch, wie gezeigt, zwischen Horus und Jesus. Man ist geneigt, schlicht auf gemeinsame Quellen bei der Mythenbildung zu schließen, ohne das diese eine Gleichsetzung rechtfertigen würden. Doch zumindest vom Standpunkt der Vergleichenden Religionswissenschaften aus ist die Gleichsetzung von Christus mit Osiris doch nicht ganz unbegründet. Um dies nachzuvollziehen muss man sich ein Stück weit von der historischen Figur Jesu entfernen und die Betrachtung auf die Ideen des Gottessohnes, des Gott-Menschen, des verstorbenen Gottes und des erschlagenen Königs lenken. Diese Ideen sind keinesfalls so ungewöhnlich, wie sie anfangs vielleicht anmuten mögen. Die getöteten Götter: Ein weltweites Phänomen Bedingt durch unsere europäische Geistesgeschichte, die sich (grob ausgedrückt) über die Jahrhunderte von der Vorstellung eines monolithischen und ewigen Schöpfer-Allgotts zur "gottlosen" Menschheit auf der Suche nach dem Ursprung des Universums und dem Sinn des Lebens bewegt hat, sind wir an Vorstellungen unsterblicher Götter gewohnt. Dies trifft jedoch nicht unbedingt das Wesen der Gottheiten im ursprünglichsten Sinne. Viele Götter der Welt waren in früheren Erscheinungsformen sterblich. Götter stehen dem Menschen in einfacheren Kulturen sehr viel näher als etwa die Bewohner des Olymp dem griechischen Bürger. Doch sind uns sogar Zeugnisse über Grabstätten griechischer Gottheiten wie Zeus, Dionysos und Apollon überliefert. Neben den Naturgeistern und den kosmischen Erscheinungen spielt bei der Entstehung von Gottheiten die Welt der Toten eine herausragende Rolle. Und es währe nicht weiter verwunderlich, wenn sich die 9 anthromorphe Gestalt vieler Götter dieser Welt als im Ahnenkult begründet herausstellen sollte. Die früheste uns bekannte Form von Ritualen, sind die Begräbniszeremonien des Neandertalers. Zweifellos stellt der Toten- und Ahnenkult eine gerne unterbewertete Quelle bei der Entstehung von Religionen dar. Aber auch lebende Persönlichkeiten mit hervorragenden Qualitäten vermag das einfache Gemüt als göttlich zu empfinden, was diese für eine Rolle als Mittler zwischen den Göttern und den Menschen prädestiniert. Sei es als Schamanen, Zauberer, Priester, Heiler, Jäger, Krieger oder einfach Könige. Zwischen all diesen Rollen gibt es fließende Übergänge. Selbstverständlich sind es solcherart hervorragende Persönlichkeiten, deren Angedenken nach ihrem Ableben in die Verehrung als Heros, Halbgott oder gar als Gottheit übergeht. Der König als Mittler zwischen Göttern und Menschen kann sich in weiteren kulturellen Entwicklungsstufen zu einem regelrechten Fetisch. wandeln. Das Schicksal seiner Untergebenen ist abhängig von seiner Stärke, seiner Unversehrtheit und seiner Reinheit. Dies führt etwa dazu, dass alles Profane für den König Tabu wird. Er wird in einer Sänfte getragen, damit er nicht den profanen Boden berührt. Selbst sein Name darf nicht aus den Mündern der Profanen kommen. Aufgrund dieser engen sympathetisch-magischen Verknüpfung von König und Untergebenen stellt das Altern des Königs, das schwinden seiner vitalen Kräfte, das Aussetzen seiner Zeugungsfähigkeit eine Gefahr für die Gemeinschaft dar. Aus dieser Situation begründet sich der rituelle Königsmord. Dieser kann ganz verschiedene Formen annehmen. Ein junger potentieller Nachfolger mag auftreten, den König herausfordern und im Zweikampf besiegen. Oder der Herausforderer wird selber zum Opfer und damit zum Helden. Der rituelle Königmord wie auch der Zweikampf mit dem Herausforderer sind zentrale 10 Motive den James George Frazers Monumentalwerk "Der Goldene Zweig" . Diese Faktensammlung demonstriert eindrucksvoll, dass die Idee des toten Gottes, wie auch des getöteten Gottkönigs ein weltweites Phänomen ist, der tief in der Natur der Religion selber begründet zu sein scheint. Dieser Umstand mag gelegentlich gar die Akzeptanz für das Christentum auf fremden Kontinenten begünstigt haben. So waren beispielsweise die frühen Missionare in Mexiko völlig überrascht von der Ähnlichkeit zwischen den aztekischen und christlichen Riten. Das es weltweit in "unzivilisierten" Kulturen Menschenopfer gegeben hat, um die Götter günstig zu stimmen ist schon eher allgemein bekannt. In der Regel handelte es sich dabei um junge erwählte 8 Die Legende ähnelt hier in einigen Details den Kindheitsgeschichten der israelitischen "Königskinder" Moses und Jesus. 9 Die Menschengestaltige Erscheinungsform der Götter. 10 Ein Klassiker auf dem Gebiet der vergleichenden Religionswissenschaften. Dieses Buch war eine maßgebliche Inspiration für Crowleys "Buch Thoth". Der 6000jährige Falke 6 25.10.20086 Erwachsene. Darin mag Wunsch vernehmen, etwas sehr Wertvolles zu opfern, einen Hoffnungsträger der Zukunft sozusagen. Gelegentlich handelte es sich dabei auch um Kinder, wobei die sexuelle Unberührtheit eine Rolle spielt. Diese Motive vermischen sich gegebenenfalls mit dem Königsmord, allerdings mit dem Unterschied, dass nicht der König, sondern der erstgeborene Sohn des Königs 11 geopfert wird , um den Bestand des Königtums zu sichern. Hier setzt auch das sogenannte Scheinkönigtum an, welches auch hierzulande noch als Echo der römischen Saturnalien nachhallt, wenn zur Fastnacht die Narren symbolisch die Regierungsgeschäfte übernehmen. Das Scheinkönigtum ist eine Regelung mit der Zielsetzung, die Tötung des alten Königs vorzutäuschen. Oft ist es ein zum Tode verurteilter Strafgefangener oder ein Leibeigener, der für eine kurze Zeit sämtliche Privilegien des Königs genießt und der nach Ablauf dieser Frist hingerichtet wird. Das berühmte "INRI" am Kreuze Christi dagegen, welches einer Auffassung folgend für "Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum", also "Jesus von Nazareth, König der Juden" stehen soll, könnte als esoterische 12 christliche Botschaft der (Schein-)Königsmord-Symbolik entsprechen . Freilich sind nicht etwa sämtliche Götter der Welt auf legendäre Königsgestalten zurückzuführen. Gerade die wirkenden Kräfte der Natur, die Vegetation, Berge, die Erde selber, der Himmel, die Gestirne, der Regen, die Hitze, die Jahreszeiten sind in göttlichen Figuren verehrt, angefleht, beschworen oder verdammt worden. Es entspricht der menschlichen Beobachtungsgabe wie auch der Fähigkeit, verschiedene Dinge in Bezug zueinander zu setzen, um dahinter Grundsätzliches zu erkennen, dass die belebte Natur wie auch der Kosmos mit dem Menschen das Schicksal als Geborener, Lebender und Verstorbener zu teilen scheint. Das Werden und Vergehen der Vegetation, die Aussaht und die Ernte, der Sonnenaufgang und der Sonnenuntergang, der abnehmende und der zunehmende Mond, all diese Erscheinungen scheinen einen Anfang und ein Ende aufzuweisen. Allerdings bleibt auch der Neuanfang nie aus. Der nächste Frühling kommt bestimmt und wir brauchen nur auf den Morgen zu warten. Wenn wir diese Beobachtung des ewigen Kreislaufs der Natur, mit dem Werden und Vergehen eines Menschen in Bezug setzen, dann haben wir eine der wahrscheinlichsten Quellen für die Entstehung der Ideen von der Wiedergeburt oder dem Weiterleben der Verstorbeben in einer anderen Welt lokalisiert. Die soeben beschriebene Gleichsetzung von menschlichem Schicksal mit dem Kreislauf der Natur hat ganz offenbar die Entwicklungsgeschichte vieler Gottheiten beeinflusst. Denn in ähnlicher Weise wie Werden und Vergehen von Mensch und Natur gleichgesetzt wurden, werden sich legendäre Helden- und Königsgestalten an die Charaktere von Naturgeistern und Der von einem Eber getötete Adonis: Sowohl jugendlicher Held als auch Vegetationsgott. Göttern angenähert und schließlich zu neuen Gottheiten vermischt haben. Auf diese weise haben viele Fruchtbarkeitsund Vegetationsgötter die Gestalt von jugendlichen Helden angenommen: Der von einem Eber getötete Adonis, der von Thronneidern ermordete und zerstückelte Zeussohn Dionysos oder auch die in die Unterwelt entführte Persephone. Die Verbindung von Vegetation und Nahrung liegt auf der Hand. Der Umgang mit dem Vegetationsgeist geht nicht selten mit der Verspeisung desselben einher, etwa in der Gestalt von Broten oder Kuchen, die in Menschen- oder Tierform dargereicht werden. Setzen wir dies wieder in Bezug zu den Menschenopfern, so mögen in Ritualen der Verspeisung des Gottes das Echo von kannibalistischen Praktiken aus uralter Vergangenheit mitschwingen. Beide Vorstellungen sind fester Bestandteil der christlichen Liturgie geworden. Es mangelt also nicht an Bezügen, die eine gewisse symbolische Wesensverwandtschaft von Osiris und Jesus Christus zulassen. Jedoch die Zuspitzung auf eine Entsprechung erscheint eher im theosophisch-okkultischen Gedankengut begründet. Allerdings bleibt auch die Osirislegende bei Frazer nicht unerwähnt. Drum währe im Folgenden zu untersuchen, inwieweit sich die Figur des Osiris in die Reihe der toten Götter der Welt fügt. Die toten und königlichen Götter in Ägypten In der Ermordung des Osiris scheinen sich Echos von einem rituellen Königsmord finden. In dem Kampf zwischen Horus und Seth mag man das Duell zwischen dem Throninhaber (in dem Falle Seth, 11 Dieses Motiv erscheint auch in der Bibel in der Gestalt von Isaak auf der seinen einzigen Sohn Jakob opfern soll. (2. Mose 22) 12 Ich bin sicher, dass dies Crowley so aufgefasst hat. Der 6000jährige Falke 7 25.10.20087 der Osiris durch Mord ablöste) und Horus (dem Herausforderer) wiedererkennen. Allerdings ist weder eine Praxis des Königsmordes als solches noch eine des Duells mit dem Herausforderer aus Ägypten überliefert. Was allerdings nicht ausschließt, dass es solches in vorgeschichtlicher Zeit einmal gegeben haben mag. Sehr wohl allerdings kannten auch die Ägypter Methoden zur Sicherstellung der Kräfte des Pharaos: Sie wurden nach 30 Jahren Regierungszeit mit dem Sedfest erneuert. Die Kräfte des Königs und das Wohlergehen des Staates sind also auch hier sympathetisch-magisch verknüpft. Der außerordentlich menschliche Charakter des Osiris, der als König unter den Menschen gelebt hat, scheint allerdings tatsächlich auf eine Herrscherfigur aus vorgeschichtlicher Zeit zu verweisen, die posthum zu göttlichen Ehren gekommen ist. Jedoch ist dieser Charakterzug grundsätzlich gar nicht so ungewöhnlich für die ägyptische Götterwelt. Die Ägypter berichten von einer Vorzeit, in der dereinst die Götter auf Erden gelebt und geherrscht haben und gleich den Menschen verstorben sind. An den wichtigen Kultzentren Ägyptens wurden gar Listen über die Thronfolge der Götter geführt. Man spricht von der "Zeit des Re", "Zeit des Osiris" oder 13 der "Zeit des Horus" . Auch vom Pharao, der immer ein Gottessohn ist, sagt man, dass er mit seinem Tode in die Welt der Götter übertritt. Überhaupt hat man den Eindruck, dass im alten Ägypten die Welt der Götter mit der Welt der Toten nahezu identisch ist. Verhärtet wird dieser Eindruck durch den Umstand, dass die Opferritualistik für Tote und für Götter auf denselben Grundlagen beruht. Am 14 Leichnam wie auch am Götterbildnis muss das Ritual der Mundöffnung vollzogen werden, um den Gott oder den Toten in die Lage zu versetzen, fortan die Opergaben entgegen zu nehmen. Das bedeutet, sowohl im Grab wie auch im Allerheiligsten des Tempels wird das selbe Ritual vollzogen, um den Kult in einen lebendigen Zustand zu versetzen. Ungewöhnlich im vergleich zu anderen ägyptischen Göttern erscheint dagegen die Ermordung des Gottkönigs Osiris. Jedoch existieren frühere Versionen der Osirislegende, die davon sprechen, dass 15 der Gott schlicht ertrunken und nicht etwa einem Mord zum Opfer gefallen sei. Seth tritt in dieser sehr viel kürzeren Fassung noch gar nicht in Erscheinung. Hier tritt ein Charakterzug des Osiris als Personifizierung der fruchtbaren Erde und damit gleichsam seine Verbindung zur Vegetation und der Jahreszeiten in den Vordergrund. Die Ägypter kannten drei Jahreszeiten: Die Zeit der Überschwemmung, die Zeit der Aussaat und die Zeit der Hitze. Es erscheint schlüssig, dass die Mysterienspiele des Osiris zum Ende der Überschwemmung stattfanden. In Bezugnahme auf die dunklen fruchtbaren Nilschlamm nennt man Osiris gerne den "großen Schwarzen". Der ertrunkene Osiris ist also die überflutete Erde. In diesem Lichte wird auch die Weckung seiner Zeugungskraft nach seinem Tode verständlicher, denn hier sind die Regenerativen Kräfte der Natur am Werke. Die Zeugung des Neuen bedingt das Vergehen des Alten. Der Übergang in den Zustand der Nicht-Existenz, symbolisiert durch das Verschwinden im Wasser, als Vorstufe zu einer vollständigen Erneuerung, symbolisiert durch das Aufsteigen aus dem Wasser, ist ein zentrales Motiv des altägyptischen Kosmos. Und dieser findet auch seinen ursprünglichen Anfang in der Form eines Erdhügels, der dem Urwasser entsteigt. Damit rückt Osiris gar in die Nähe der Urgötter, die in aller Regel ursprünglich einen erdhaften Charakter aufweisen. Allerdings hat es Osiris selber nie den Status eines Urgottes eingenommen. Dafür ist seine Rolle als mumifizierter Bewohner der Unterwelt viel zu wichtig. Trotzdem stellt der Wechsel der Jahreszeiten eine alljährliche Neuschöpfung dar, in der sich die Ursprüngliche Schöpfung wiederspiegelt. Ähnlich verleiht die Sonne mit ihrem täglichen Auf- und Untergehen der Ordnung der Welt ihren Pulsschlag. Osiris scheint also einer jener Götter zu sein, in der sich die Gestalt eines vorzeitlichen Herrschers mit der einem der Welt der Naturgeister entsprungenem Gott vermischt hat. Tatsächlich lassen sich beide 16 Komponenten identifizieren. Anezty, der alte Gott des späteren Busiris , Hauptstadt des 9. unterägyptischen Gaus, scheint auf einen Herrscher eines größeren vorgeschichtlichen Reiches zu verweisen. Von ihm hat Osiris im Zuge des Zusammenfließens beider Gottheiten, die 17 Herrscherattribute Geißel und Krummstab, sowie die beiden Federn, die später Bestandteil der AtefKrone werden sollten, geerbt. Der Name Anezty, "der von Anezt", verweist möglicherweise auf seine Herkunft, die allerdings nicht ganz geklärt werden konnte. 13 Die Ägypter kannten keine durchgehende, sich über die Jahrhunderte fortsetzende, Zeitrechnung wie wir. Die Zählung begann mit jeder Regierungszeit eines Königs neu. 14 Es kann sich je nach Zeitperiode auch um ein Bildnis des Toten handeln. 15 In der Spätzeit berichtet Herodot von einer Vergöttlichung von Ertrunkenen. Leichen, die im Nil gefunden wurden und deren Tod durch den Fluss eindeutig war, wurden mit allen ehren einbalsamiert und in heiligen Grüften beigesetzt. 16 Der Ortsname Busiris steht griechisch für "Per Usire", "Heiligtum des Osiris" 17 Eigentlich nur um der Form willen Geißel genannt, möglicherweise eine Hirtenpeitsche, vielleicht auch ein Fliegenwedel. Letzteres währe ein passenderes Attribut für einen Angehörigen der vornehmen Gesellschaft. Der 6000jährige Falke 8 25.10.20088 Solche Herkunftsverweise, sind bei Götternamen nichts Ungewöhnliches. Man erkennt sie leicht an den "ty"-Endungen. Der Schreiberpatron Thoth, dessen ägyptische Name Dehuty ist, müsste eigentlich von einem Ort namens Dehut stammen, der leider nicht überliefert ist. Der Falkengott Behdety dessen unverkennbare Gestalt der geflügelten Sonnenscheibe so viele Türstürze in Tempeln 18 schmückt, heißt demzufolge "der von Behdet". Behdet bedeutet "Thronsitz" . Behdet verweist gewissermaßen auf eine Hauptstadt, eine Hauptstadt der Götter. Der Thronsitz des regierenden Gottes. Behdet ist also ein kultischer Name, eigentlich eher eine Attribuierung eines Ortes als der Ortsname selber. Und tatsächlich haben verschiedene Orte zu verschiedener Zeit jeweils den 19 Anspruch erhoben, der Thronsitz zu sein. Etabliert hat sich schließlich die Stadt Edfu . Der gräzisierte Ortsname Edfu lautet auf ägyptisch Tbo oder Atbo, was "Stätte der Vergeltung" bedeutet. Die lokale Kultlegende, die einerseits eine vom Osirismythos unabhängige Version der Rivalität der Brüder Horus und Seth darstellt, die andererseits auch in einer Version vorliegt, in der Seth nicht vorkommt, hat 20 verschiedene Forscher ebenfalls zu Spekulationen zu dem Ursprung des Gottes veranlasst, die in die Richtung eines vorgeschichtlichen Reichsgründers veranlassten. In diesem Falle handelt es sich weniger um einen Wohltäter als um einen Eroberer, einen scheinbar recht blutrünstigen Eroberer. Anders als Anezty konnte jedoch Behdety sein eigenes Profil gegen andere Götter behaupten. Zwar floss auch der Falkengott Behdety fast zwangsläufig mit dem ebenfalls von seiner Natur her kriegerischen Falkengott Horus zu einem Heru-Behdety ("Horus von Edfu") zusammen. Jedoch blieb vornehmlich der alleinstehende Name Behdety in Gebrauch. Behdety ist freilich nicht der einzige kriegerische Falkengott, der in den Kreis der Erscheinungsformen des Horus hineingezogen wurde. Falkenkulte scheinen bereits zu Beginn der geschichtlichen Zeit sehr weit in Ägypten verbreitet gewesen zu sein. Die meisten gingen später vollständig in Horus auf. Eine 21 weitere Ausnahme ist der Gott der ehemaligen Hauptstadt des thebanischen Gaus , Juni. Er wird auch gern "der thebanische Horus" genannt. Sein eigentlicher Name ist Month oder Montu. Gleich seinem berühmteren Artgenossen wird er als Königsgott verehrt. Ab dem Mittleren Reich muss er sich gegen den Patron des neu zur Hauptsstadt erklärten Theben, dem seinerseits nicht ursprünglich aus Theben stammenden Amun durchsetzen, mit dem er zeitweise zu einem Amun-Month-Re zusammenfließt. Leider können wir uns nicht darauf verlassen, dass alle falkengestaltigen Götter sämtlichst kriegerischer Natur sind. So wurde in der Nekropole von Memphis ein Falke namens Sokar (Seker) oder Sokaris verehrt, der später aufgrund seiner Eigenschaft als Totengott in den Einflussbereich des Osiris gezogen wird. Abbildungen von Falken, die auf einer Bahre liegend dem Einbalsamierungsprozess unterzogen werden, sind problemlos als Sokar zu identifizieren. Kultpolitik und Götterkreationen Mit diesem ersten Exkurs in die ägyptische Götterwelt hätten wir auch bereits einige der wesentlichen Charakteristika derselben beschrieben. Ägypten kannte keine vereinheitlichte Religion. Stattdessen verteilten sich ungezählte ortsgebundene Kulte über das ganze Reich. Jede Ortschaft von Belang verfügte sozusagen über einen eigenen Schutzpatron, eine eigene Ortsgottheit. Zu ihr gesellen sich weitere Gottheiten, die sich somit zu einem Götterkreis zusammenfügen. Neben dem Hauptkult der Ortsgottheit werden oft ortsfremden Gottheiten Gastkulte gewährt. Es haben teils regelrechte Besuche zwischen den Göttern stattgefunden, die in aufwendigen Prozessionen zelebriert wurden. Berühmt ist das "Fest der schönen Umarmung", ein 14tägiger Besuch der Hathor von Dendera bei ihrem Gatten, dem soeben vorgestellten Horus von Edfu. Es handelt sich in dem Falle also gar um eine Götterhochzeit. Die Attraktivität eines Kultes kann dazu führen, dass er andernorts übernommen und in die dortigen lokalen Kulte eingebunden wird oder diese vollends verdrängt. Nicht selten gehen, wie im Falle von Anezti und Osiris, mehrere Götter über die Zeit in eine Mischung über, die fortan als eine Gottheit verehrt wird. Oder eine Gottheit erweist sich insgesamt als stärker und verdrängt die andere vollkommen. Die Übernahme ortsfremder Kulte hat jedoch auch politische Gründe, etwa wenn mit dem Wechsel zu einer neuen Dynastie die Hauptstadt des Reiches oder des Gaus verlegt wird. Denn mit der Hauptstadt wechselt der Reichs- oder Residenzgott. In diesem Falle unternimmt die Priesterschaft große Anstrengungen, einen Gott der in einem fremden Pantheon eine hervorragende Rolle spielt, mittels theologischer Modelle und Mythen in das eigene Pantheon zu integrieren. Dies geschieht wohl im Interesse der Erhaltung oder Vormachtsstellung der eigenen Kultstätte. Auf diese Weise etwa 18 Der Name könnte ursprünglich auch "Schmuckstätte" bedeutet haben. 19 Die Griechen nannten die Stadt in Anlehnung an Apollon, den sie mit dem Falkengott Horus identifizierten, Apollinopolis. 20 Allen voran E.A. Wallis Budge. Siehe "The Gods Of The Egyptians" Vol. 1, S. 473 ff 21 Man muss zwischen dem Gau Theben mit der alten Hauptstadt Juni (griechisch: Hermonthis) und der im Mittleren Reich begründeten Hauptstadt ab der 11ten Dynastie, Theben unterscheiden. Der 6000jährige Falke 9 25.10.20089 mögen eine Reihe von die Götterfamilien entstanden sein, in die der fremde Gott als Gemahl oder Sohn aufgenommen wird. Auch viele der unzähligen Gleichsetzungen zweier oder mehrerer Götter werden auf solche Kultpolitischen Konstrukte zurückzuführen sein. Diese führen dann zu den Doppel-, Dreifach-, Vierfachnamen zusammengesetzter Gottheiten (Amun-Re, Atum-Re, Re-Harachte, u.ä.). Man ist beinahe geneigt, solche Maßnahmen als synthetische Neukonstruktionen von Gottheiten 22 aufzufassen . Im Idealfalle kann die Gleichsetzung zweier wesensverwandter Götter die Vorstellung auf den Bedeutungskern der Gottheiten richten. In der Regel jedoch entfernen sich die eingebundenen und verbundenen Götter mit der Zeit zunehmend von ihrer ursprünglichen Bedeutung. Man kann also durchaus von einer Konkurrenz zwischen den verschiedenen Kulten sprechen. Der Streit der Brüder Horus und Seth, welche beide ursprünglich überhaupt nichts mit dem Götterkreis um Osiris zu tun hatten, könnte eventuell auf eine solche Konkurrenz zweier Kulte zurückzuführen sein. Zwar werden in der Legendenbildung beide gerne als Gegensatzpaar herausgearbeitet, etwa wenn Horus für Licht, Ordnung, Tag, blauer Himmel und Heimat, dagegen Seth für Dunkelheit, Chaos, Nacht, Unwetter und der Fremde steht. Doch scheinen sie von ihrer Natur her doch sehr ähnlich gewesen zu sein, sowohl in ihrer kämpferischen Natur (beide stehen sie am Bug der Sonnenbarke um die Unterweltschlange Apophis zu erlegen) wie in ihrem Herrschaftsanspruch. In früheren Versionen der Legende um die verfeindeten Brüder wird Streit vor Gericht mit einem Kompromiss beglichen, in der jedem eine Hälfte des Reiches zugesprochen wird. In einer anderen Version bekommt Seth das Ausland und Horus Ägypten zugesprochen. So drastisch und gnadenlos der Ägypter sich in Bezug auf den Umgang mit äußeren Feinden äußern kann, so sehr ist er im Inneren um Ausgleich bemüht. Viele der künstlichen Gottfusionen haben schlicht eine Beilegung oder Umgehung von inneren Konflikten zum Ziel. Wie bereits an den Beispielen von Anezty und Behdety gezeigt, scheint der Charakter der ursprünglichen Ortsgottheiten, soweit man das noch nachvollziehen kann, auch von den Mythen um vorzeitliche Herrscherfiguren mit geprägt worden sein, die sich über die Zeit mit Gottheiten anderen Ursprungs vermischt hatten. Sehr oft dürften jedoch seit ältester Zeit lokal ansässige Tierkulte als eigentlicher Ursprung vieler Ortsgottheiten auszumachen sein. Wie jedoch das Beispiel des Sokar gezeigt hat, kann man von dem Tier ausgehend auf den Charakter des Kultes selber nur spekulieren. Sicherlich wird jedoch das instinktive Verhalten und die körperlichen Fähigkeiten eines Tieres, welche von dem einfachen Gemüt eines Angehörigen einer steinzeitlichen Kultur als göttliche Überlegenheit gedeutet wurden, den Charakter des Tierkultes geprägt haben. Allerdings haben die Ägypter schon früh damit begonnen, solcherart Charakteristika zu abstrahieren. Diese Abstraktion geht einher mit einem Wandel der verehrten Objekte, bzw. der Verehrung dienenden Objekte. Während im Tierkult lebendig gehaltene Tiere (evtl. auch Wohnstätten wildlebender Tiere) unmittelbar Objekt der kultischen Verehrung waren, gehen diese mit der Abstraktion in den Zustand theriomorpher Göttergestalten über. Dabei handelt es sich um die berühmten menschengestaltigen Gottfiguren mit Tierköpfen. Man kann diese einerseits so verstehen, dass nunmehr die besondere Kraft, für die ein besonderes Tier charakteristisch ist, nun in der Gottgestalt eingefangen wurde. Somit ist fortan konkret diese Kraft gemeint, die göttliche Verehrung erfährt, nicht mehr das Tier selber. Auf der anderen Seite scheint in diesen theriomorphen Mischwesen die Vorstellung mitzuschwingen, das diese Kräfte im Menschen selber wohnen. Man hat diese Vorstellung auch zur Charakterisierung von Persönlichkeiten herangezogen. So kann von sethischen oder horischen Menschen die Rede sein. Beim sethischen Menschen wohnt sozusagen Seth im Inneren einer Person. Eine solche scheint in diesem Falle einen eher derben und cholerischen Charakter aufzuweisen. Auch das Herz, nach ägyptischer Auffassung Sitz von Verstand, Gefühl und Gewissen (also wenn man so will der Persönlichkeit) eines Menschen kann als Gott aufgefasst werden. Ähnlich werden auch gegebenenfalls andere Organe als selbstständige Wesen, die im Menschen wohnen, aufgefasst. Auch Erscheinungen und Kräfte aller Art, sowie abstraktere oder konkretere Begriffe können in einen göttlichen Status übergehen. Man spricht in diesen Fällen von Personifikationen. Es gibt grundsätzlich zwei Darstellungsformen von Personifikationen. Die erste ist eine rein menschlich gestaltete Götterfigur, die eine Hieroglyphe oder bildliche Darstellung des gemeinten Begriffes als Kopfschmuck trägt. Die zweite Form basiert auf der bildlichen oder hieroglyphischen Darstellung, aus der menschliche Glieder wachsen. Eine dritte Grundform mag man noch darin erkennen, wenn eine menschengestaltige Figur in anderer Form mit Attributen, die auf den Begriff verweisen, versehen wird, etwa wenn die Himmelsgöttin Nut als mit Sternen übersäte, sich über die Erde beugende Frau dargestellt wird. Das Geschlecht der Götterfigur wird meist durch das grammatikalische Geschlecht des Begriffes vorgegeben. Allerdings erreichen nur die wenigsten Personifikationen tatsächlich den 22 Wie sich am Beispiel der Personifikationen zeigen wird, ist die Praxis von vorsätzlichen Gott-Neuschöpfungen durchaus im Götterverständnis der Ägypter angelegt, auch wenn sie solche Götter-Kreationen nicht als solche verstanden wissen wollten. Der 6000jährige Falke 10 10 25.10.2008 Status einer Gottheit. Oft dienen sie auch nur als Mittel der bildlichen Darstellung. So etwa die sogenannten Gaugötter, die in bildlichen Darstellungen des Staatsgefüges Verwendung finden. Zu den bekanntesten Personifikationen zählen die kosmischen Götter, mit deren Hilfe der Kosmos erklärt wird, die jedoch -von Re einmal abgesehen- eher einen spärlich gesäten eigenen Kult genießen. Die Göttin Isis müsste ihrer Gestalt nach ursprünglich eine Personifikation des Thrones gewesen sein. Eine der wichtigsten Personifikationen ist sicherlich die Maat, die für Ordnung kosmischer wie gesellschaftlicher Natur, Recht, Gerechtigkeit und Wahrheit steht. Die Macht des Wortes und die Schöpfung Die Vorraussetzung für die Erzeugung von Personifikationen, die für unser Denken doch recht 23 ungewöhnlich erscheint, ist weniger in einem Animismus zu suchen (obwohl Bestandteile von solchen Vorstellungen gewiss mit hineinspielen mögen), sondern der besonderen Kraft, die der Ägypter im Wort selber angelegt sieht und zwar sowohl in dem gesprochenen als auch in dem geschriebenen Wort. Das Ausgesprochene Wort, das gebietende Wort, der Befehl ist in Heliopolis gleichsam unter dem Namen Hu personifiziert worden. Das entspricht der Zunge des Ptah in Memphis, der mit seinem Herzen (also den Vernunftkräften s.o.) die Welt ersann und mit seinem Wort 24 die Welt erschuf . Den Vernunftkräften des Herzens entspricht das Sia, die Personifikation von Verstand und Erkenntnis. Das Sia ist also die Quelle des Hu, so wie die Zunge aus dem Herzen schöpft. Wenn die Kraft des Wortes so mächtig ist, dass es die Welt erzeugt, dann auch es auch die Kraft, die Ordnung des Universums aufrecht zu erhalten, Feinde in die Flucht zu schlagen, Wohl oder Übel zu verbreiten. Die Macht des Pharaos war die Macht des Wortes. Hu kann auch für "Nahrung" stehen. Ein Ineinanderfließen beider Bedeutungen (beides bedient sich des Medium des Mundes) ist nicht ganz auszuschließen. So wie dem gesprochenen Wort die Macht innewohnt, Kräfte des Sia freizusetzen, so wohnt der Schrift die Macht inne, diese zu speichern. Und so wohnten der Hieroglyphenschrift von Anfang an magische Kräfte inne. Exemplarisch veranschaulicht wird die in Fällen, wenn ältere Inschriften, die das Zeichen für Seth enthalten, in späterer Zeit durch Hinzufügung von auf das Zeichen gerichteten Messern unschädlich zu machen suchte. Obwohl die Hieroglyphenschrift keinesfalls eine reine Bilderschrift war, gehen trotzdem Bild- und Schriftkunst ineinander über. So können Personifikationen dazu geeignet sein, komplexere Sachverhalte in einer eindeutigen bildlichen Darstellung zuzuführen. Bildnisse von Gottheiten sind in aller Regel auch als die Hieroglyphen für dieselben zu lesen. Und so gehen Bild und Schrift fließend ineinander über. Wenn wir uns nun entsinnen, dass die Gottesbilder im Allerheiligsten der Tempel durch das Mundöffnungsritual zum Leben erweckt werden und der Begriff Hu auch für "Nahrung" stehen kann, dann könnte sich hier ein Kreis schließen. Denn Nahrung ist es schließlich, was dem Toten an der Grabstätte zwecks Überleben im Jenseits und dem Gott in allerbester Tradition orientalischer Gastfreundschaft "geopfert" wird. Diese Assoziation ist allerdings mit Vorsicht zu genießen. Wissenschaftlich belegt ist sie nicht. Doch der Umstand dass der Demiurg von Memphis, dessen Wort die Welt erschuf, gleichzeitig ein Künstler ist, der die Götter und 25 Menschen aus Lehm formte , kommt vielleicht nicht ganz von ungefähr. In späteren Zeiten, als im Alltagsgebrauch die hieratische Kursivschrift die Hieroglyphen endgültig abgelöst hatte, nahmen letztere die Rolle von heiligen Zeichen an. Wenn der ursprüngliche Sinn älterer Worte, etwa Götter- oder Königsnamen sich dem Verständnis der Spätzeit entzog, so waren die Zeichenkombinationen Objekte theologischer Deutung. Die Wort- und Schriftmagie der Ägypter war in vielerlei Hinsicht ein unmittelbarer Vorläufer der Kabbala. Oft ist es möglich, ein und dasselbe Wort, mit verschiedenen Zeichenkombinationen zu schreiben. Man kann etwa zwischen reiner Bildzeichenschreibweise oder phonetischer Schreibweise wechseln. Noch häufiger sind Variationen zwischen der Verwendung von alphabethischen Zeichen und Mehrkonsonantenzeichen. Solches geschieht etwa, wenn man aus Respekt vor dem König oder einer Gottheit, deren Namen sozusagen indirekt in alphabetischen Zeichen wiedergibt. Diese Form von Respekt ist begründet in der Vorstellung, dass der Name selber ein Teil der Persönlichkeit, ja ein Teil der Seele ist. Über den Namen ergibt sich die Möglichkeit des magischen Zugriffs. Aus diesem Grunde heißt es auch von den 26 Göttern, das sie ihre eigentlichen Namen geheim halten . Eine berühmte Legende erzählt davon, wie Isis mit einer List den Sonnegott Re gezwungen hatte, ihr seinen geheimen Namen zu nennen. Auf diese Weise hat sie sich das Wissen und die Kräfte des Re einverleibt. Die Ägypter liebten 23 Die Vorstellung, dass alle Körper und Gegenstände beseelt sind. 24 Der Vergleich zu NT, Johannes 1.1 drängt sich auf: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort." Das schöpferische Wort ist offenbar ein Gemeinplatz bei den Völkern des Vorderen Orients. (vgl. Lalouette S. 16 ff) 25 Die Parallele zu Adam, den aus Staub gemachten liegt auf der Hand. 26 Der geheime und unaussprechliche Name des Jehovah entspring einer nahezu identischen Auffassung von der Bedeutung der Götternamen. Der 6000jährige Falke 11 11 25.10.2008 Doppeldeutigkeiten und spielten daher auch gerne mit Methoden der Andersschreibung. So ist das eigentliche Schriftzeichen für die Vogelseele des Menschen, welche sich Ba nennt, das Bild eines Jabiru, eine afrikanische Storchenart. Rein phonetisch kann mit dem Wort Ba auch ein Widder gemeint sein. Und so repräsentieren Widder in Jenseitsdarstellungen oft verschiedene Ba-Seelen, so 27 dass man sie schnell mit widderköpfigen Göttern wie Atum, Chnum oder Amun verwechseln kann. Himmel, Wasser und Urgötter Hiermit währe nun der Bogen zu jenen Göttern geschlagen, von denen einst das Wort der Schöpfung ausging: Die Urgötter bzw. die Demiurgen. Freilich ist da Wort nicht immer das ursprüngliche Mittel zur Erzeugung des Universums gewesen. Atum in Heliopolis erzeugte das erste Götterpaar durch Masturbation. Dabei steigt ihm der Samen zum Mund hoch, worauf er das erste Götterpaar Shu und Tefnut ausspeit. Ptah (in einer anderen Version der Legende) schuf das Weltei auf der Töpferscheibe. Es ist wahrscheinlich dem Einfluss von Heliopolis und seinem Sonnenkult zu verdanken, dass die kosmischen Götter im alten Reich an Bedeutung gewannen. Im Zuge einer von Heliopolis angestoßenen Entwicklung, in der die kosmische Komponenten der Religion immer bedeutender wurden, wurden die alten Ortsgötter und Stadtpatronen aufgewertet, indem man sie zu Weltschöpfern hochstilisierte. Somit konnte fortan jeder Ort seine eigene Kosmogenie vorweisen. Der Stadtpatron wurde als Schöpfer der Welt und Vater aller Götter angerufen. Und das konnte an jedem Ort oder Gau ein anderer sein. Die älteren Weltschöpfungsmythen aus vorgeschichtlicher Zeit kannten freilich nicht nur Väter. Wenn etwa von der Himmelsgöttin Nut gesagt wird, dass sie die Gestirne am Morgen aus ihrem Schoß im Osten gebiert und mit Ihrem Mund im Westen verschlingt, dann dürfen wir in ihr sehr wohl die Spuren einer alten Demiurgin aus vorgeschichtlicher, matriarchalischer Zeit erkennen. Ähnlich verhält es sich mit der Hathor von Dendera, die Göttermutter par excellence, zu deren ältesten Erscheinungsformen die nährende Himmelskuh gehört. Die ägyptische Götterwelt und die Schöpfungsmythen aus geschichtlicher Zeit sind dagegen bereits schon voll und ganz patriarchalisch ausgelegt. Folglich werden in der Regel männliche Gottheiten und männliche Schöpferkraft an den Anfang des Universums gesetzt. Dies wird den Ägypter jedoch nicht daran hindern, die Angelegenheit bei Bedarf anders aufzufassen. Und so mögen die Göttinnen Nut, Hathor, Isis oder Neith als "Kuh, die den Re gebar" angesprochen werden. Dem Ägypter ist eben nicht an der Deklaration einer absoluten Wahrheit gelegen. Vielmehr neigt er dazu, dieselbe Geschichte in vielerlei Versionen immer wieder neu zu erzählen, um jedes Mal einen anderen Aspekt, der für den gegebenen Anlass wichtig erscheinen mag, hervorzuheben. Den Himmel fassten die Ägypter gerne als Wasser, als Himmelsozean auf. Von dieser Vorstellung leitet sich auch die berühmten Sonnenbarke ab, auf welcher der Sonnengott von Osten gen Westen fährt. Die Wasser des Himmels korrespondieren mit den Wassern der Welt. Und hier kommt wieder die alljährliche Nilüberschwemmung ins Spiel, die ganz offenbar eine wichtige Inspirationsquelle ägyptischer Schöpfungsmythen darstellt. Wenn wir nun erfahren, das die Himmelskuh als solche (also nicht die Göttinnen, die man in ihr sehen will) Methyer heißt, was "große Flut" bedeutet, dann schließt sich ein Kreis der von Vorstellungen des Himmels und weiblichen Demiurgen über das Wasser, zum Nil und schließlich zu dem Urwasser führt. Denn das Urwasser, welches sich der Ägypter als träges 28 Gewässer vorstellte, aus dem sich einst der Urhügel erhob, ist zweifelsohne von dem trüben Überschwemmungswasser abgeleitet, in dem sich nach und nach Inseln bilden, bis schließlich das fruchtbare Land bestellt werden kann. Zwar wird das Urwasser, durch eine männliche Gottheit personifiziert, dessen Namen uns die Griechen als Nun überliefert Links die Hieroglyphe für "Stern", "Zeit", "Stunde" haben, dessen ägyptische Name jedoch sehr (N14), rechts die Hieroglyphe für "Unterwelt" bzw. "Jenseits" (N15). Der Name des Ortes ist der wahrscheinlich Nu war. Jedoch hatte diese männliche Name der Göttin: Duat. In der Hieroglyphe spiegelt Gottheit auch eine weibliche Partnerin. Ihr gräzisierter sich offensichtlich die alte Auffassung wieder, die Name ist die Naunet, ihr ägyptischer Name wird als den Sternen am Nachthimmel die Ba-Seelen der 29 feminisierung von Nuu wohl Nut gewesen sein. In Toten erkennt. 27 Der Amuns-Widder gehört einer anderen, erst ab dem mittleren Reich in Ägypten heimischen Schafsrasse an, während die Schafsrasse, die für den Atum-Widder und Chnum-Widder stand (zu erkennen an den fast waagerecht zur Seite stehenden Hörnern) wohl früh ausgestorben ist. Der Ba-Widder ist in der Regel einer vom Atum-Typus. 28 In Memphids wird der Urhügel unmittelbar als Urgott verehrt: Tatenen, "das erhobene Land". 29 So Reizvoll die Analogie ist, man darf hieraus nicht auf eine wissenschaftlich nachgewiesene Identität der Naunet mit der Himmelsgöttin Nut schließen. Der 6000jährige Falke 12 12 25.10.2008 Hermopolis bilden beide das erste Götterpaar. Naunet stellt bei dieser Götterpaarung die Wasser des Gegenhimmels, also die Wasser unter der Erde dar. Dies sind auch jene Wasser, die der Sonnengott mit der Nachtbarke durchfährt. Naunet in ihrer Eigenschaft als Gegenhimmel ist also identisch mit der Unterwelt, in der die Toten verweilen. Die Unterwelt selber, Dat oder Duat genannt, ist ebenfalls eine Göttin. In weitern Umdeutungen der Kosmologie von Hermopolis wird das Paar Nun und Naunet als das helle (blaue) und das dunkle Wasser unterschieden. So repräsentieren nunmehr Nun den Tagund Naunet den Nachthimmel. Die Rolle der Naunet als Unterwelt oder Dat als Wohnort der Toten einerseits und als Nachthimmel andererseits, korrespondiert mit einem alten Volksglauben, der in den Sternen am Himmel die Ba-Seelen der Toten sieht, die am Busen der Nut genährt werden. Alle bekannten Wasser, der Nil, das Meer, der Himmelsozean, sie alle speisen sich aus dem Nun. Das Wasser stellt also die Ursubstanz dar. Die Idee des reinen Nichts kannten die Ägypter nicht. Die Schöpfung aus dem reinen Nichts ist eine Erfindung des jüdischen Monotheismus. Bei den Ägyptern hingegen, scheint die Idee des Seins mit der Form verbunden zu sein. Das Potential der Form ist dem 30 trüben Wasser immanent. Die Form d.h. der Urhügel bilden sich selbstständig daraus . Ähnlich ist Atum im Urwasser immanent, bis er dann schließlich dem Wasser entsteigt. Aus diesen Zusammenhängen erklärt sich, dass die Urgötter in der Regel zunächst chthonischer Art sind, d.h. dass sie in der Erde wohnen und wirken, ja die Erde sind. Exemplarisch ist hier der Gott Chepre. Die Dungkugel, also die Erde, welche der Skarabäus vor sich herschiebt, ist aus dessen Speichel geformt. Der Name Chepre bedeutet "der von selbst Entstehende". Dieser Name ist beinahe Exemplarisch für einen Besonderen Charakterzug der Urgötter: Den der Selbsterschaffung. Selbsterschaffene Götter haben keine Väter und keine Mütter. Sie werden gegebenenfalls als ihre eigenen Väter beschrieben, um das Moment der Selbsterschaffung zusätzlich zu unterstreichen. Min-Kamutef wird in diesem Bedeutungszusammenhang "der Stier (d.h. 'Begatter') seiner Mutter" genannt. Die Pillendreher (Skarabäen) dagegen sind ein hervorragendes Symbol der Selbsterschaffung, da sie ohne für den Ägypter erkennbare Ursache der Dungkugel entschlüpfen (von der sie sich in Wahrheit im Larvenstadium ernährt hatten). Sie schienen sich also ohne die bekannten Wege der Fortpflanzung zu vermehren. Ähnliches glaubte man von Schlangen, Fröschen und anderen Amphibien. All diese Tiere waren somit geeignet, den Urgott zu repräsentieren. Amun-Kematef hat als Urgott die Gestalt einer Schlange. Diese Vorstellungen mischen sich wieder in die von Fruchtbarkeitsgöttern, da die sich selbsterschaffenen Tiere die Idee des Entstehens quasi in isolierter Form repräsentieren. Die froschköpfige Heket, die mit ihrem Partner Chnum in Esna als Urgöttin verehrt wird, wurde auch "die große Entbinderin" genannt. Sie ist es auch, die ihren Partner, den Bildhauer Chnum auffordert, das Kind im Leibe zu formen. Das Werk der Bildhauer Chnum und Ptah (der tatsächlich auch ein Patron der Künste war) scheint den bereits weiter oben genannten Zusammenhang zwischen Existenz und Form besonders zu betonen. Im trüben Urwasser ist das Potential der Form immanent. Aus dem trüben Wasser bildet sich der Erdhügel, die Form, die Existenz. Die Vorstellung des Erdhügels scheint unserer Logik zu widerstreben. Alternativ darf man sich vielleicht einen im Wasser schwebenden Erdklumpen vorstellen. Gehen wir einen Schritt weiter und abstrahieren den Begriff "Wasser" in den Begriff "Formlosigkeit" oder auch "Chaos", dann mag dies unserer heutigen Vorstellungswelt vielleicht zusätzlich entgegenkommen. Und dann verlassen wir Ägypten für einen kurzen Moment und denken an die Entstehung des Sonnensystems aus Verwirbelungen von ungeordnetem Gas und Staub, Formen, die sich aus "formloser" Materie bilden. Ich denke, so darf man sich auch mit "modernen" Denken, den Vorstellungen der Ägypter nähern. Der Scarabäus (Pillendreher) steht für den Urgott Chepre und als Hieroglyphe (L1) für "werden". Der Urgott betont in dieser Erscheinungsform besonders den Aspekt der Selbsterschaffung. Die Ägypter glaubten, die der Dungkugel entschlüpften jungen Käfer seien ohne Fortpflanzung von selber entstanden. Sobald die Form existiert, ist die Grundvorrausetzung für Belebung geschaffen. Dieselbe Idee steht auch hinter der Praxis der Mumifizierung. Der Körper bleibt erhalten und kann daher auch wiederbelebt werden, etwa mit dem Mundöffnungsritual. Die Kraft, welche die Glieder in Bewegung 30 Man kann sich auch eine modernere Version dieser Vorstellung bereiten, wenn man den Begriff des Wassers ein Stück weit abstrahiert und einfach "Formlosigkeit" nennt. Und dann denke man an die Entstehung des Sonnensystems aus Verwirbelungen von "formloser" Materie. Der 6000jährige Falke 13 13 25.10.2008 versetzt, nennen die Ägypter Ka. Man kann fast behaupten, das Ka sei die Belebtheit schlechthin. Das Ka stellt Gewissermaßen ein Gegenstück zur Vogelseele Ba dar. Denn während die Vogelseele, etwa im Traum, den Körper verlasen und wieder zurückkehren kann, bleibt das Ka bis zum Tode an den Körper gebunden. Nach manchen Vorstellungen stellt das Ka ein regelrechtes Zwillingsbild seines Inhabers dar. Chnum etwa ist dafür zuständig neben dem Kind im Leibe auch ein dazugehöriges Ka zu formen. So sehr die Idee der Existenz mit der Idee der Form verbunden ist, so geht der Zustand der Formlosigkeit mit dem Zustand des Nicht-Seins gleich. Diese Vorstellung scheint auch in der Zerstückelung der Leiche des Osiris mitzuschwingen. Schließlich werden die Leichenteile auch noch in den Nil geworfen, was geradezu eine völlige Auflösung der Identität des Verstorbenen impliziert. (Formen sind unterscheidbar. Formlosigkeiten nicht.) Auf der anderen Seite scheint in einem Übergang in das Nicht-Sein auch das Potential der vollkommenen Regeneration zu stecken. So ergeht es dem überfluteten Land, welches als fruchtbare Erde wieder hervorsteigt. So ergeht es der Sonne auf ihrer Nachtfahrt durch die Unterwelt. Sie tritt alt und müde in den Westen ein und erscheint vollkommen erneuert am östlichen Horizont. Das heißt also, das die Unterweltfahrt der Sonne eine Notwendigkeit darstellt, welche die Ordnung des Universums aufrecht erhält. Durch die ständige Erneuerung, ist der Bestand des Lebens gesichert. Dies ist der Pulsschlag der Welt. Unter dem Einfluss des Sonnenkultes von Heliopolis haben die meisten, der eigentlich chthonischen Urgötter mit der Zeit solaren Charakter angenommen. Allen voran der Schöpfergott von Heliopolis selber, der fortan als Atum-Re das offenbare Objekt der Anbetung am Himmel darstellt. Der unleugbare Zusammenhang zwischen Sonnenlauf und Werden und Vergehen der Natur scheint gleichsam der Beweis der Verbindung der Sonne zum Urschöpfer gewesen zu sein. Der Weltschöpfer nimmt mit seiner beständigen Aktivität nun die vorrangige Rolle des Welt-Erhalters an. Der Wechsel von Tag und Nacht ist der Herzschlag des Universums. Der erdige Gott wird somit umgedeutet zum ersten Licht, welches das Urwasser erleuchtete. Der Urhügel wandelt sich, quasi in Kombination beider Vorstellungen, zur Feuerinsel (Re-Tatenen in Memphis). Zwischen den Horizonten Drum bleibt der Schöpfergott Atum auch in seiner Gestalt als Sonnengott den Tiefen der Wasser erhalten. In den Unterweltsbüchern ist es die Gestalt des Atum-Widders, welche auf der Nachtbarke die Wasser der Unterwelt durchfährt. Bei bestimmten Auffassungen kann die Gestalt 31 des Widders auch hier wieder mit dem Ba zusammenfließen. Aus dem Atum-Re wird das Ba des Re. Oder wird die Sonne als das Ba des Osiris verstanden, welches diesen wie auch alle anderen Toten in der Unterwelt aus dem Schlaf erweckt. Denn die Nacht der diesseitigen Welt ist der Tag der Unterwelt. Umgekehrt wird Osiris auch als das Ka der Sonne verstanden, zu der diese in der Nacht zurückkehrt. Links die Hieroglyphe für "Ostgebirge" oder auch einfach "Gebirge". Rechts die Hieroglyphe für das Wort "Westgebirge" oder auch "Wüste". Gemeint ist die Libysche Wüste. Sie ist ein Attribut des Gottes Ha, der Gott der Libyer. Beide Hieroglyphen stehen auch synonym für "Osten" und "Westen". Der Westen, "Ament" selber ist wiederum ein Synonym für "Das Reich der Toten". Der Totengott Osiris erscheint daher auch als Einwohner vom Westen, Amenty: "der vom Westen". In der Mitte die Hieroglyphe für "Horizont". Sie wird gebildet aus den Hieroglyphen für "Ostgebirge" und "Sonne". Daher ist es legitim, die Hieroglyphe als "aufgehende Sonne" zu verstehen. Man sagt auch: "Horus vom Lichtland". Da Horus ein Lichtgott ist, sagt man auch: "Horus ist im eigenen Haus". Das Reich der Toten wird auch mit dem Ort des Sonnenuntergangs gleichgesetzt: Amentet, der Westen. Hier zeigt sich wieder die Neigung des Ägypters für die gleichen Aussagen verschiedene Metaphern und Bilder zu verwenden. Und diese Bilder werden auch simultan eingesetzt. Osiris, der "Herr des Westens" lebt in der Unterwelt. Auch die Toten werden auch als "Bewohner des 32 Westens", Amenty beschrieben. Und genau so, wie die Sonne das Totenreich in der Gestalt des Atum-Re durchreist, so steht auch Atum als Synonym für die Sonne im Westen. Da der Horizont zu den Dingen gehört, die paarweise auftreten, kann der Name des Harachte, dessen Name eigentlich aus grammatikalischen Gründen mit einer Verdoppelung der Horizont-Hieroglyphe eventuell auch als "Horus der zwei Horizonte" gelesen werden. Der Horizont ist ein Ort des Übergangs. namentlich eines Übergangs zwischen Unterwelt und Tag, Jenseits und Diesseits. Da auch der Tempel ein Ort des Übergangs ist, an dem man den Gott einlädt, im Diesseits anwesend zu sein, kann es vorkommen, dass auch der Tempel als "Horizont" bezeichnet wird. Der "Horus vom Horizont" währe demnach auch der "Horus vom Tempel". So wie der Westen Heimstatt der Toten ist, so ist der Osten der Ort der Geburt, vor allem der Wiedergeburt der Sonne, einer Sonne die sich wenige 31 D.h. hier wird die phonetische Gleichheit von Ba für "Widder" und Ba für "Vogelseele" verwendet. 32 Eigentlich "die Westlichen" oder "die vom Westen". Man beachte die "ty"-Endung. Der 6000jährige Falke 14 14 25.10.2008 Drei Zeichen für verwandte Begriffe. Links das Zeichen für Achu oder (Khu): "Licht, Glanz (der Sonne)", Stut: "Strahlen", Weben: "sich erheben" und Henememet: "Gottesvolk des Atum". Letzteres ist eine Art "Aristokratie des Jenseits", eine theologische Erfindung aus Heliopolis. In der Mitte der Ach-Vogel, ein Schopfibis, der für "Geistermacht, Geistwesen, Lichtwesen" steht. Achu ist eigentlich der Plural von Ach. Stunden zuvor in der Unterwelt vollkommen regeneriert hat. Für die Sonne im Osten setzte man komplementär ebenfalls symbolisch die Gestalt eines Urgottes ein. Chepre bietet sich als Ideales Symbol der Erneuerung an. Im Grunde repräsentiert Chepre hier die Morgendämmerung, das erste Licht ohne die erkennbare Sonne, genau wie die Käfer, die noch nicht der Dungkugel entschlüpft sind. Im Unterweltbuch Amduat wird Chepre denn auch als Bezeichnung der 33 letzten beiden Nachtstunden angesetzt. Er repräsentiert also das ungeborene Sonnenkind. Rechts der Ba-Vogel, der für die Vogel-Seele spielt. Vermutlich sind die Begriffe des Ach und des Ba parallel aus ähnlichen Vorstellungen entstanden. Die Gestalt des Sonnenkindes selber, ist jedoch eine Erscheinungsform des Gottes Horus. Man kennt ihn als Harpokrates, ein Kleinkind, dass auf den Krokodilen des Nils steht oder auch als Harsiesis, Sohn von Isis und Osiris, der auf einer Lotosblüte sitzt. Das dieses Sonnenkind ein Horus ist, kommt nicht von ungefähr. Denn der Horizont ist auch die Heimstatt des Horus. An dieser Stelle ist es zunächst einmal wichtig zu betonen, dass Horus nicht im engen und ursprünglichem Sinne als Sonnengott zu verstehen ist, sondern, dass er Charaktereigenschaften besitzt, die ein Zusammenfließen mit der Sonnensymbolik begünstigen. In kosmischen Zusammenhängen ist Horus jedoch ein Licht- wie auch ein Himmelsgott. Im Gegensatz zum dunklen Nachthimmel der Nut offenbart sich der Himmelsgott Horus als hellblauer Taghimmel. Als Lichtgott, zeigt er sich in Lichtern aller Art, also nicht nur der Sonne, sondern auch dem Mond, den Sternen und allem Leuchten des Himmels. Dies könnte auch das Leuchten des blauen Taghimmels selber mit einbeziehen. Gerade die Gestalt des Horus-Behdety, dessen Fittiche sich schützend über die Welt unter ihm ausbreiten und der dabei gleichsam die Sicht auf die über ihn gebeugte Göttin Nut verdeckt, legt die Assoziation zum blauen Taghimmel nahe, der seinerseits tatsächlich die Sicht auf die Sterne verdeckt. Dieses "Verdecken" ist in Dämmerungen bei klarem Himmel gut zu beobachten. Zu einem echten Erlebnis wird das Leuchten des Himmels jedoch in den Morgen- und Abendröten, deren Schönheit ja weniger an dem "Licht-Objekt" Sonne selber festzumachen ist, als in dem Lichtspiel zwischen der Luft und den Wolken. Und sicher werden auch die Lichtstrahlen, welche die feuchte Luft sichtbar macht, sobald die Sonne hinter einer Wolke oder einer Zwei Schreibweisen des Namens "Horus vom Horizont" Bergsilhouette steht, der Beobachtung des Ägypters (gr. Re-Harachte). Die Hieroglyphe für "Horizont" ist erst nicht entgangen sein. (vgl. die Hieroglyphe für Achu, seit der 5ten Dynastie belegt. Daher handelt es sich der Sonnenscheibe mit Strahlen im Kasten nebenan.) oben um die ältere Schreibweise, die Heru-Re-Achety Gerade hier kommt das Motiv des Horizonts zum (Horus-Sonne-vom-Horizont) zu lesen ist. Der Verweis "vom Horizont" (achety) wird durch eine Verdoppelung tragen, denn das Licht selber offenbart sich in seinem der Hieroglyphe für Insel dargestellt (Gardiner N19). Spiel, ohne das die Quelle ersichtlich ist. Und Inseln, derer es im Nil viele gab und die sich von Jahr solcherart Beobachtungen erklärt vielleicht auch die zu Jahr veränderten, galten dem Ägypter als Symbol für Symbolik des Horizonts als Heimstatt des Lichtgottes. den Urhügel, auf/mit dem der Schöpfergott (nunmehr durch die Sonne repräsentiert) erstmals erschien. Das Licht selber wäre demnach gemeint und nicht dessen Quelle. Umgekehrt gibt es auch Die Verdoppelung verschwindet mit der neueren Schreibweise jedoch nicht. Die zweite HorizontInterpretationen, in im Begriff des Horizonts eine Hieroglyphe ist jedoch als (nicht gesprochenes) Betonung der "verborgenen Sonne" erkennen wollen. Determinativ zu lesen, welches aus dem Gegenstand Diese Interpretation nimmt Bezug auf das Wort für Achet in eine Substantivierte Eigenschaft Achety Horizont selber: Achet. Dieses Wort gehört mit Ach, wandelt. Da der Horizont jedoch zu den Dingen gehört, die paarweise auftreten, darf diese Schreibweise auch einem Wort für "Geistermacht, Verklärtheit, als "Horus der zwei Horizonte", nämlich Ost und West, Geistwesen", zu einem gemeinsamen semantischen aufgefasst werden. Feld, dass einerseits den Bedeutungsbereich "leuchten, glänzen" abdeckt, bei dem im religiösen 34 Kontext die Bedeutung einer "Wirksamkeit mit verborgener Ursache" grundlegend ist . Wieder ein Kreis schließt sich, wenn man davon ausgeht, dass die Begriffe Ach und Ba sehr miteinander 33 Unsere Einteilung des Tages in 24 Stunden stammt ursprünglich von den Ägyptern. Diese teilten den Tag in 12 Tagstunden und 12 Nachstunden. Je nach Jahreszeit, fiel die Tag- oder Nachthälfte und damit auch die Stunden größer oder kleiner aus. Im Unterweltbuch Amduat ist jeder Nachtstunde ein eigenes Kapitel gewidmet. Der 6000jährige Falke 15 15 25.10.2008 verwandt sind. Die Sterne als Ba-Seelen der Toten, das Leuchten, der Glanz, die Geistwesen, Wirkung mit unbekannter Ursache, der Horizont: Dies alles sind Begriffe, die wir nunmehr in vielfältige Beziehung zueinander setzen können. Auch das Symbol des Horizonts, der die aufgehende Sonne verbirgt und des Skarabäus, der in der 10ten Nachtstunde die (mit der Sonne Identifizierten) Dungkugel, welche die werdenden Käfer verbirgt, in Richtung Himmel schiebt, gehen erstaunlich harmonisch ineinander über. Und es sind zwei Urgötter, welche die verborgene Sonne im Osten (Chepre) und Westen (Atum) repräsentieren. Der Urgott ist es, der das erste mal auf dem, bzw. als Urhügel erschien. Die Ägypter sahen in Hügeln und Anhöhen, die sich in den Überschwemmungszeiten oft zu Inseln verwandelten, wie auch in Inseln aller Art, Symbole für den Urhügel. Hügel sind daher auch bevorzugte Orte für den Bau von Tempeln. Ein Tempel ist ein Ort, der zwei Welten angehört: Dem Diesseits und dem Jenseits. Genau dasselbe trifft natürlich erst recht auf Grabstätten zu. Wir erinnern uns, dass Totenkult und Götterkult zumindest rein technisch oft ineinander fließen. In Tempeln und Grabstätten erkennen wir Orte, an dem der Diesseitige Mensch auf jenseitige Wesen, also Verstorbene oder Götter, trifft. Sie sind somit gleichsam Orte des Übergangs. Und genau so versteht der Ägypter auch den Horizont als einen Ort des Übergangs, der Ort, an dem die Sonne der Unterwelt zur Tagwelt, vom Jenseits zum Diesseits wechselt. Und tatsächlich nennt der Ägypter seine Die Sonne, sich über einem Hügel erhebend, Tempel und Grabstätten auch Horizont. Ein Osiris-Tempel ist steht hieroglyphisch (Gardiner N28) für "Hügel", also der Horizont des Osiris. Mit dem Zeitpunkt der Weihe des "Urhügel", "sich erheben" und "erscheinen". Es Tempels ist der Gott in seinem Horizont. Ähnlich redet man von beinhaltet offenbar die Vorstellung des ersten Erscheinens des Schöpfergottes. dem Horizont des Pharaos, wenn man von seiner Grabstätte redet. Tempel sind also Horizonte und Tempel werden bevorzugt auf Anhöhen errichtet, die in Erinnerung an den Urhügel auch als Inseln zu verstehen sind. Und tatsächlich besteht die alte hieroglyphische Schreibweise für den Begriff "Horizont" aus der Kombination von zwei "Insel"-Hieroglyphen. Das Alter der Sonne: Vater und Sohn Die Ägypter markierten den Tageslauf der Sonne mit drei Kardinalpunkten. Zwei davon haben wir in den vergangenen Abschnitten intensiven Betrachtungen unterzogen: Chepre steht für Osten und Atum für Westen, also Morgen- und Abenddämmerung. Der dritte Kardinalpunkt liegt auf der Hand: Der Mittag, die Sonne im Zenit. Dieser Kardinalpunkt wird bemerkenswerter Weise mit nichts weiter markiert, als dem Gestirn selbst: Der Sonne, also Re. Denn Name der Gestirns und Name des die Sonne personifizierten Gottes sind (das liegt in der Natur der Personifikation) identisch. In dieser Dreigliederung des Tagesbogens (Osten, Zenit und Westen) sehen einige Forscher auch den 35 Ursprung des Rätsels der Sphinx von Theben : Der Mensch, der als Kind auf allen vieren krabbelt, als Erwachsener auf zwei Beinen steht und als Greis mit Krückstock ein dreibeiniges Wesen darstellt. Diese drei Metaphern für die drei Menschenalter, korrespondieren mit den drei eben genannten Kardinalpunkten, die der Ägypter ebenfalls mit den drei Lebensabschnitten gleichsetzt. Dem Sonnenkind im Osten steht der Sonnen-Greis im Westen gegenüber. Auch wir verwenden heute eine ähnliche Symbolik, etwa wenn wir vom Lebensabend reden. In der Mitte zwischen Kind und Greis steht der erwachsene Mensch in der Blüte seiner Jahre. Auf der Höhe seiner Kraft ist er der Sonne zu Mittag gleich, die zu diesem Zeitpunkt ganze Fülle ihrer Kraft entfaltet. Diese Kraft ist nicht unbedingt sonderlich angenehm für das Leben auf der Erde. Es ist die drückende und zehrende Hitze, die beißende Trockenheit der Wüste. Hier begegnen wir dem aggressiven und lebensfeindlichen Charakter der Sonne. Es ist also bei weitem nicht so, dass die Lichthälfte der 24 Stunden ausschließlich etwas Positives bedeutet. Und es erscheint einleuchtend, wenn manche Forscher in der Mittagssonne den kriegerischen Charakter des Horus suchen. Horus-Behdety etwa, der als Flügelsonne stets im Zenit des Himmels dargestellt wird, könnte mit seinem kriegerischen Naturell tatsächlich der Mittagssonne entsprechen. Die Ägypter setzten neben dem Tageslauf auch gerne andere Zeitspannen mit dem Leben eines Menschen gleich, so etwa den Lauf des Jahres. Wieder ist es die Sonne, welche menschliche Lebensalter annimmt. Dies ist die Sonne der Jahreszeiten. Am Ende des Jahres sind ihre Kräfte durch das ewige auf und ab und von den nicht enden wollenden Kämpfen gegen die Unterweltschlange Apophis verbraucht. Hier darf man sich nicht allzu sehr an dem Widerspruch zur Vorstellung der sich 34 vgl. Karl Jansen-Winkeln: "Horizont und Verklärtheit: Zur Bedeutung der Wurzel Ach", in "Studien zur Altägyptischen Kultur" Nr. 23 (1996), S. 201-215. 35 Gemeint ist die Sphinx aus der Ödipus-Sage. Der 6000jährige Falke 16 16 25.10.2008 allnächtlich vollständig regenerierenden Sonne reiben. Dies gehört zu der bereits erwähnten Neigung des Ägypters, die Geschichten immer wieder neu aus einer anderen Perspektive zu erzählen. Aus der jetzt geschilderten Perspektive ist die Sonne deshalb ein Greis, weil das Jahr sich dem Ende zuneigt. Einen solchen "Jahres-Greis" mögen wir etwa in dem senilen Re sehen, der sich von der Isis überlisten lässt. Isis ließ den tattrigen Re von einer Giftschlange beißen und erpresste den geheimen Namen des Gottes mit der Androhung der Verweigerung ihrer Heilkünste. Ein anderer berühmter "Sonnen-Greis" ist der Re-Harachte (der bereits erwähnte "Horus vom Horizont") in der Legende von Edfu. Dieser kehrt als müder König und Feldherr nach nicht enden wollenden Kämpfen gegen die Kräfte des Chaos heim. Er beauftragt seinen Sohn Horus-Behdety, in Stellvertreterschaft nunmehr die Rolle des Feldherrn gegen die Feinde der kosmischen Ordnung und Ägyptens einzunehmen. Als Flügelsonne schwingt sich Behdety gen Himmel. Das heißt, er nimmt die Position seines Vaters ein. Von dort erspäht er die Feinde und stürzt sich auf sie. Das Motiv des Nachfolgers, des Thronfolgers, der als Krieger seinen Vater vertritt, erinnert freilich wieder an den Sohn des Osiris, der seinen Vater rächt. Allerdings ist der Osiris-Sohn scheinbar ein kriegerischer Thronfolger eines friedfertigen Königs, während Behdety ein Feldherr in der Nachfolge eines Feldherrn ist. Das allerdings stimmt nicht ganz. Denn eine der großen Taten des Osiris ist die Vereinigung des Reiches, also die Vereinigung von Ober- und Unterägypten, die wohl nicht ohne kriegerische Handlungen vonstatten gegangen sein wird. Und an dieser Stelle muss das Motiv der Einigung des Reiches nochmals betont werden. Dies ist eine zentrale Handlung, die allen Göttern zugeschrieben wird, sobald sie im Rahmen einer lokalen Legendenbildung die Rolle von vorgeschichtlichen Gott-Königen einnehmen! Die Einigung des Reiches ist ein zentraler Bestandteil der nationalen Identität Ägyptens! Denn die Reichseinigung stellt den entscheidenden Schritt zur Bildung der Nation Ägyptens dar. Die Möglichkeit, dass hinter verschiedenen Legenden der Reichseinigung tatsächliche vorgeschichtliche Herrscher stehen könnten, die einst mit Eroberungskriegen lediglich einzelne Fürstentümer zu kleineren Staatsgebilden zusammengeführt hatten, tut dem Motiv der "Bildung einer Nation" selber keinen Abbruch. Horus und Königtum 36 Auf nationaler Ebene jedoch gibt es nur einen Gott, der symbolisch für die Gründung der Nation steht und das ist der falkenköpfige Gott Horus! Drum dürfen wir getrost in dem Kern, der hinter der Legende von Edfu steht, die ältere Version der Rolle des Horus als Feldherrn ansehen, denn sie kommt sogar ohne die Figur des persönlichen Gegenspielers Seth aus. Die Osiris-Legende dagegen 37 ist ganz offensichtlich, wie bereits angedeutet, aus mehreren Legenden zusammengesetzt . Wie und warum wird im Folgenden noch zu klären sein. Zunächst ist es jedoch bedeutender hervorzuheben, dass wir bei der Edfu-Legende auf zwei HorusGötter treffen: Re-Harachte und Horus-Behdety. Der erstere ist in dem Falle der Vater des zweiten. Aber auch die Neunheit von Heliopolis kennt zwei Horus-Götter. Der berühmtere ist der Isis-Sohn Harsiesis. Der ältere Haroeris (Heru-Ur) ist Bruder von Osiris, Isis und Seth. Er spielt jedoch in der Osirislegende bestenfalls eine Nebenrolle. Sein Name bedeutet "Horus der älter". Er scheint dem Bedürfnis entsprungen zu sein, den alten, ursprünglichen, eigentlichen und von aller Legendenbildung unabhängigen Horus seinen ihm zustehenden Platz im Pantheon bereitzustellen. Wer soll dieser Horus sein? Betrachten wir noch mal das Vater-Sohn-Verhältnis: Der Sohn ist entweder Nachfolger seines Vaters als Herrscher oder auch einfach der Stellvertreter seines Vaters als Feldherr. Man könnte meinen, der junge Horus-Stellvertreter sei sozusagen die Exekutive, während der Vater selber Gesetzgeber ist, jedoch im Hintergrund bleibt. Der junge Horus ist also ein Garant für die Beständigkeit der Ordnung, während der Vater die Ordnung vorgegeben hat. Natürlich fühlt man sich unweigerlich wieder an das Wesen der Gottkönige erinnert, an deren Person das Schicksal des Volkes hängt und an die Notwendigkeit der Erhaltung der Kraft dieser Könige, die bei fortgeschrittenem Alter nach einer jungen Nachfolge verlangt. Schließlich ist der erschöpfte Re-Harachte ein alter Sonnen-Greis, der sich über das Jahr verbraucht hat. 36 Sema-Taui, die "Vereinigung der beiden Reiche", bzw. verkörpert durch einen Falkengott ("Der Vereiniger der beiden Reiche") gleichen Namens (gr. Somtus), der auch in eine Form des Horus übergeht, genannt Har-Semataui (Harsomtus). 37 Zu allem Überfluss vermischen die Texte aus dem Horus-Heiligtum in Edfu die Edfu-Legende mit der Osiris-Legende. Das wird allerdings nachvollziehbar, wenn man mit einbezieht, dass der Edfu-Tempel aus der Ptolemäerzeit stammt. Der 6000jährige Falke 17 17 25.10.2008 Und tatsächlich ist es der Gott Horus, in dem sich das ganze Wesen des ägyptischen Königtums nicht nur wiederspiegelt, sondern unmittelbar manifestiert! Wir haben es in Ägypten mit einem Gottkönigtum reinsten Wassers zu tun! Der Pharao ist nicht etwa nur durch die Götter legitimiert, nein, er ist selber ein Gott. Dies mag uns heute, die wir aus der christlichen Kultur kommen maßlos überheblich erscheinen. Jedoch müssen wir uns bei den Gottkönigen immer wieder bewusst machen, dass die Götter antiker Kulturen dem Menschen bei weitem nicht so fern waren, wie der Allgott der Erben Abrahams. Der Pharao nimmt die vielfältigen Rollen des Horus ein. Er ist zunächst mal der Sohn. Er ist zu einem der Sohn seines Vaters. Er ist damit aber gleichzeitig auch tatsächlich Stellvertreter seines Vaters. Schließlich ist Der Horusname: Der Horusfalke der Vater nicht einfach im Nichts verschwunden, sondern weilt sitzt auf einer Ansicht und Draufsicht verbindende nunmehr bei den Göttern. Entweder ist er ein Osiris in der Unterwelt Darstellung des Königspalastes. geworden oder er ist zu seinem Vater Re-Harachte in die In dem von der Draufsicht Himmelsbarke gestiegen. Während der verstorbene Vater fortan in der gebildeten Feld ist der Name des Welt der Götter weilt, übernimmt der Sohn stellvertretend die Geschäfte Königs verzeichnet. Die Position des Vogels "auf" dem Gebäude im Diesseits. Der Pharao ist zugleich ein Gottessohn. Nicht allein ist Hieroglyphisch als "in dem wegen seines Eigennamens oder Thronnamens, der ihn als Sohn des Palast befindlich" zu lesen. Thoth oder Sohn des Seth bezeichnen kann. Der Pharao ist mit seinem Insgesamt ist das Zeichen als "im Amtsantritt der Sohn des Reichsgottes Horus und somit sein Vertreter Palast wohnender Horus, auf Erden. Er ist auch Feldherr im Namen des Horus. Das namens NN" zu verstehen. Niederschlagen der Feinde und die Einigung des Reiches sind von so immenser Bedeutung, dass diese Dinge in Friedenszeiten in Ritueller Form oder durch schriftliche Fixierung vollzogen wurden. Auf diese Motive werden wir später noch mal zurückkommen. An dieser Stelle will ich betonen, dass die Meisterung der Schlachten und die Reichseinigung die Taten des Horus sind. Damit gelangen wir zu der letzten Steigerung der Beziehungen des Königs zum Reichsgott: Der Pharao ist eine Erscheinungsform des Reichsgottes Horus selber! Der Begriff "Horus" als Königstitel ist bereits bei den vorgeschichtlichen Königen bezeugt. Dieser Titel wird mittels eines Falken bezeichnet, der auf einer schematisch dargestellten Palastfassade (Setech) sitzt. Zu lesen ist das als "Der Horus im Palast". Die geschichtliche Zeit setzt mit den ersten Königen ein, welche in dieser Horus-Titulatur ihren persönlichen Namen einsetzen. Man spricht in der Folge vom sogenannten Horus-Namen: Horus-Scorion, Horus-Narmer, etc.. Man kann also den Begriff "Horus" beinahe synonym für "König" einsetzen. Jedoch ist damit umgehrt auch festgesetzt, dass der "König" ein fleischgewordener Gott ist. Man darf dies auch so auffassen, dass der Gott im Körper des Königs wohnt, ähnlich einem Kultbildnis, in dem die Gottheit Wohnung bezogen hat. Das weist auf eine Auffassung hin, in der die Vergöttlichung erst mit dem Amtseinritt einsetzt und nach dem Tode an den Thronfolger übergeht. Der Horus ist also immer der regierende König. Und das ist er sowohl im Staat, wie auch in der Götterwelt. Horus ist der regierende König unter den Göttern. Das veranschaulichen auch die Listen der sogenannten Götterdynastien, den bereits erwähnten Königsanalen jener Zeiten, als die Götter auf Erden regierten. Der Thron von Ägypten nennt sich nach dem ersten Throninhaber "Thron des Geb". Es ist die Rede von der Regierungszeit des Geb, des Re, des Osiris, etc. ohne das diese genauer datiert werden. Die Listen variieren von Kultort zu Kultort. Im Memphis setzt man Ptah an erste Stelle. In Heliopolis ist das Re. Jedoch die letzte Position ist in allen diesen Listen dieselbe: Horus. In Memphis nimmt man sogar eine doppelte Nennung des Horus in Kauf. Somit ist festgesetzt, dass immer der Horus der gegenwärtig waltende Götterkönig ist, wie auch der gegenwärtig regierende Gottkönig ein Horus ist. In späteren Zeiten kann es passieren, dass auch andere Persönlichkeiten temporär den Horus-Titel annehmen. Das kann etwa bei hochgestellten Priestern der Fall sein, die im königlichem Auftrage agieren. Dies hat einen praktische Bewandtnis, denn das oberste Priesteramt im Reich hat der König inne. Gottheiten verkehren nur mit ihresgleichen. Insofern steht der direkte Umgang mit den Gottheiten allein dem König zu. Dies hat zur Folge, dass jene Priester, die tagtäglich die Kulthandlungen im Allerheiligsten am Gottesbild vollziehen, ihren königlichen Auftrag bekunden müssen. Auch die Sem-Priester, die das Mundöffnungsritual an einem neuen Kultbild vollziehen, handeln im königlichen Auftrage. Später wandelt man solche Modalitäten dahingehend ab, dass ein Priester im Rahmen des Rituals die Rolle des Königs annimmt und daher innerhalb dieses Kontextes den Horus-Titel führt. Der Falkengott Horus ist offenbar einer der frühesten Ortsgottheiten gewesen, deren Kult sich über das ganze Niltal hinweg verbreitete. Diese Entwicklung mag durch eine großflächige Verbreitung von Der 6000jährige Falke 18 18 25.10.2008 Falkenkulten begünstigt worden sein, die in der Folge von dem Horuskult vereinnahmt wurden. Andere suchen den Ursprung in einem vorgeschichtlichen Herrscher, der die Reichseinigung herbeigeführt haben könnte. Kurt Sethe meinte in dem Patron des 3ten unterägyptischen Gaues, dem sogenannten "Horus von Libyen" einen möglichen solchen Ursprung gefunden zu haben. Immerhin war dieser "Horus", bekannt unter dem Namen Ash einer der frühersten nachweisbaren theriomorphen Götter. Andere gehen von einem oberägyptischen Ursprung des Horuskultes aus. Was den Falken letztlich zum Licht- und Himmelsgott gemacht hat oder welche Umstände die große Verbreitung der Falkenkulte gefördert haben, darüber lässt sich nur spekulieren. Einerseits wird sein Name als "der Ferne" gedeutet, was man im Bezug zu den Jagdgewohnheiten des Falken setzt. Der Falke erspäht seine Beute aus lichten Höhen heraus, auf die er sich dann quasi im Sturzflug stürzt. Dabei wagt er sich auch an Beutetiere, die seine eigene Körpergröße übertreffen. Dies mag ihn einerseits zum Herr des Himmels prädestiniert haben, der höher fliegt, als jedes andere Tier und andererseits zu einem geeignetem Fetisch für Jäger und Krieger, denen er unbesiegbar erschienen sein mag. Budge wiederum griff die phonetische Gleichheit des Gottesnamens Heru mit dem Wort für "Gesicht" auf, was er als "Gesicht des Himmels" mit den beiden Horusaugen Sonne und Mond deutete. Vielleicht waren es auch die frühen Bauern, welche die Falkenkulte begründeten, da die Anwesenheit des Falken herbeisehnten, damit er Jagt auf Kleintiere mache, welche sich an Saat und Früchte des Feldes vergingen. Allerdings reduzierte sich die Königstitulatur nicht nur auf Horus. Die zweitwichtigste galt "den beiden Herrinnen" (Nebti), der Geiergöttin Nechbet für Oberägypten und der Uräusschlange Uto für 38 Unterägypten . In ihnen verkörpert sich der Dualismus der beiden Reichshälften. In der Gestalt der beiden Kronen von Ober- und Unterägypten, setzen sich die beiden Herrinnen dem König und damit auch dem Horus unmittelbar aufs Haupt. Nechbet nenn man auch "die weiße von Nechen" wegen der weißen oberägyptischen Krone, die sie verkörpert. Uto dagegen entspricht nicht nur der roten unterägyptischen Krone, sondern auch dem Schlangendiadem. Denn die Kobra der Uto ist auch identisch mit der feuerspeienden Stirnschlange, welche im zusammengerollten Zustand verweilt, jedoch jederzeit zum Hervorschnellen und Feuerspeien bereit ist. Sie ist auch die Schlange, welche sich um die Sonnenscheibe auf den Häuptern vieler Götter windet. Nechbet nimmt gelegentlich ebenfalls oft die Gestalt einer Uräus an, aus der bisweilen die Flügel des Geiers wachsen. Beide Uräen treten auch paarweise auf, etwa wenn sie sich um die Sonnenscheibe des Horus-Behdety winden. Beide Göttinnen gehören als Reichsherrinen natürlich zu den vorrangigsten, die mit den beiden Horusaugen gleichgesetzt werden, also Sonne und Mond. Die Vorschnellende Feuerschlange ist die Kraft, welche in dem Horusauge selber wohnt. Diese Symbolik begründet sich in der alten Vorstellung, dass die Kräfte, welche zum sehen befähigen, vom den Augen her ausstrahlen. Diese Strahlen können neben der Sicht auch andere magische Kräfte bergen. Solcherart Vorstellungen haben sich auch in späterer Zeit in Europa, etwa in der Angst vor dem bösen Blick fortgesetzt. In seiner Rolle als Königsgott ist Horus freilich nicht ohne Konkurrenz geblieben. Mit jedem Wechsel der Hauptstadt drängte sich der jeweilige Stadtpatron in den Vordergrund. Horus wurde jedoch, wenn er nicht schon längst in der Hauptstadt heimisch geworden war, in den jeweiligen Götterkreis integriert. Für solche Integrationskonstrukte wurden sogar Widersprüche in Kauf genommen. Der einzigste Gott jedoch, der soweit in die Königsymbolik vorzudringen vermochte, dass seine Gestalt sich neben dem Horus auf dem Setech des Horusnamens gesellte, war Seth. Beide, Horus und Seth sind Schutzgötter des Königs. Beide gießen sie ihren Segen über den göttlichen Herrscher aus. Beide stehen sie am Bug der Sonnenbarke um der Unterweltschlange Apophis mit der Harpune zuzusetzen. Noch im Neuen Reich erlebt der Kult des Seth unter des Ramessiden (19te & 20te Dynastie, 1300 1070 v. Chr.) eine Renaissance. Und das obwohl er in der zweiten Zwischenzeit unter der Fremdherrschaft der Hyksos, den Rang eines Staatsgottes, den die Eroberer mit Baal gleichsetzten, genossen hatte. Er war zwar ein Gott der Unwetter, diese ließen sich jedoch auch als der Kampf zwischen guten und bösen Mächten interpretieren. Er war zwar ein Gott der Wüste, jedoch auch ein Patron der Oasen, sowie ein Beschützer der Wanderer, Karawanen und Seefahrer. Die Rivalität zwischen Horus und Seth ist alt. Über die Gründe, auf welche diese Rivalität zurückzuführen sein könnten, gibt es verschiedene Theorien. Es könnten zwei verfeindete Reiche der Vorzeit gewesen sein, zwischen denen jedoch ein Friedensschluss sattgefunden haben scheint, denn die alten Legenden berichten von einem Ausgleich, der vor einem Göttergericht geschlossen wurde. Oder es steht die Rivalität zweier ähnlich gearteter Kulte dahinter, die um Vorherrschaft rangen. Auch in den Hochburgen des Osiris-Kultes wurde Seth keinesfalls verfemt. Allenfalls wurde Distanz gehalten. Bonnet vermutet allerdings, dass der Widerwille gegen ihn im Volk schon lange Zeit größer gewesen sein muss, als Tempelinschriften vermuten lassen. Die endgültige Verfemung Seths zum Anti-Gott, 38 Zwei weitere Namen gesellen sich dazu: Der Goldhorus und der Thronname. Der 6000jährige Falke 19 19 25.10.2008 der schließlich sogar mit der Apophisschlange gleichgesetzt wurde, die er ursprünglich einmal selber bekämpft hatte, setzte denn auch erst in der Spätzeit ein. Atum-Re und Re-Harachte Die größte Konkurrenz für den Königsgott Horus ging jedoch von einer Kultstätte aus, die nie jemals zu einer Hauptstadt des Reiches gehört hat, dessen Theologie jedoch dem religiösen Leben des Landes so nachhaltig ihren Stempel aufgedrückt hat, dass der Leihe geneigt ist, sie für eine Staatsreligion zu halten. Die Rede ist von der Stadt On, besser bekannt unter ihrem griechischen Namen Heliopolis. Ihr Hauptgott ist eigentlich eine Personifikation der Sonne: Gestirn wie Gott heißen Re. Beinahe jeder, der sich einmal rudimentär mit den Ägyptern beschäftigt hat, wird von dem Sonnenkult gehört haben. Auch in dem vorangegangenen Text, ließ es sich nicht vermeiden, bereits vorab Aspekte des Sonnenkultes in die Erklärungen mit einzubeziehen. Das Re der ursprünglich Hauptgott in On gewesen ist, darf man wohl bezweifeln. Die Gestalt des widderköpfigen Demiurgen Atum, fügt sich wesentlich besser in die Landschaft der ägyptischen Ortsgottheiten ein. Jedoch ist eine Ortsgottheit nicht automatisch ein Demiurg, sondern zunächst primär eine Art Schutzpatron der Ortschaft. Es lässt sich auch keine Notwendigkeit ablesen, warum ein Schutzpatron gleich die ganze Welt geschaffen haben sollte. Wir können also festhalten, dass die Verehrung eines uranfänglichen Wesens als Gottheit bereits einen besonderen Entwicklungsschritt darstellt, die ein hohes Abstraktionsvermögen voraussetzt. Der Mensch war zwar von Anfang an ein scharfer Naturbeobachter, der es verstand, Zusammenhänge zwischen verschiedenen Beobachtungen zu erkennen und diese in Bezug zueinander zu setzen. Der Rückschluss auf eine Uranfänglichkeit, auf eine vergangene Zeit, in der es sozusagen "keine Dinge" gegeben hat, bedingt jedoch Gedankenschritte, die weit über das Beziehungsgeflecht alltäglicher steinzeitlicher Ratio hinausgehen. Ältere matriarchalisch-kosmische Demiurginnen, die man etwa in der Himmelskuh Hathor erkennen könnte, kennen einen Anfang "ohne Dinge" noch nicht. Es wäre daher falsch anzunehmen, dass solche uranfängliche Wesen eine Grundvoraussetzung für die Entstehung von Religionen seien. Somit ist es sehr unwahrscheinlich, dass in den ägyptischen Ortsgottheiten bereits in ihren Anfängen als Weltenschöpfer verehrt wurden. Wenn nun die eigene Ortsgottheit als das uranfängliche Wesen begriffen wird, wie beim heliopolitanischen Atum der Fall ist, so stellt dies zweiten Entwicklungsschritt nach der Erfindung des Weltenschöpfers dar. Wo dieser Schritt erstmals vollzogen worden sein mag und wie, lässt sich nicht sagen. Neben dem Atum in Heliopolis kommen zum Beispiel noch Tatenen in Memphis, Chnum in Esna und selbstverständlich Chepre als sehr alte Demiurgen in Frage. Die spätere Dominanz der heliopolitanischen Theologie scheint es jedoch andere Theologien dazu herausgefordert zu haben, die eigenen Ortsgottheiten in Ur- und Schöpfergötter umzudeuten und damit aufzuwerten. Aber was macht nun das Besondere an der Sonnengottheit Re aus? Wie konnte Re den alten Ortsgott und Demiurgen verdrängen? Wie kommt es zu der landesweiten Bedeutung des Re? Gewiss haben wir es hier nicht mit der ersten Sonnengottheit zu tun und deshalb auch nicht mit die einzigen. Allerdings sind auch schwer Gottheiten auszumachen, über die ganz unmittelbar die Sonne angesprochen wird. In der Regel ist es doch ein Tier, über welches ein Gott angesprochen wird, der im Bezug zur Sonne steht. So zum Beispiel diverse Falkengötter, allen voran Behdety oder auch der Skarabäus. Ähnlich wird auch bei der Himmelskuh, das Tier angesprochen, welches den Bezug zu jener Urmutter herstellt, die man auch im Himmel verkörpert sieht. Jedoch wird nicht der Himmel direkt angesprochen. Allerdings wird man nicht ausschließen können, dass unberührt von den offiziellen, durch schriftliche und archäologische Zeugnisse belegbaren Kulten, "inoffizielle" Kulte existiert haben, deren Praxis auch in einer unmittelbaren Verehrung kosmischer Erscheinungen bestand. Das könnten private Kulte gewesen sein, Freiluftkulte ohne Kultstätte, alter Volksglauben oder auch einfach Splittergruppierungen von Laienpriestern. In diesem Lichte könnte man den Re-Kult vielleicht auch als Rückschritt betrachten. Nachdem sich die Religion von den alten Tierkulten wegentwickelt hat, nachdem also die kultische Verehrung von Tieren zu einer Vergöttlichung von inneren Kräften abstrahiert worden ist, wird nunmehr wieder ein weithin sichtbares Objekt unmittelbar der kultischen Verehrung zugeführt. Der Dienst am Kultbild, körperliche Wohnstätte des Gottes, welches im Allerheiligsten vor den Blicken der Profanen verborgen gehalten wird, fällt beim Kult des Re aus. Stattdessen wird in Re das Gestirn direkt angesprochen. Eine Annäherung an Volksglauben ist also nicht auszuschließen. In der Tat gab es in Heliopolis offenbar große Anstrengungen, den Kultort landesweit und kultüberschreitend attraktiv zu machen. Die Einbindung des Osiriskultes, auf die wir später noch einmal zu sprechen kommen werden, nahm sogar den Umstand in Kauf, dass Heliopolis nunmehr zwei verschiedene, sich in ihren Jenseitsvorstellungen gar widersprechende Religionen "im Programm" hatte. Der 6000jährige Falke 20 20 25.10.2008 Wenn man mal von den Erwägungen über volkstümliche Kulte absieht, sollte man die obigen Ausführungen nicht dahingehend missverstehen, dass die Elemente des Kosmos in offiziellen Kulten als gänzlich unwichtig angesehen worden seien. Es ist jedoch auffällig, wie wenig Spuren eines eigenen Kultes bislang auffindbar waren. Nehmen wir etwa das kosmische Paar Nut und Geb, die in Heliopolis immerhin Eltern solcher bedeutender Götter wie Re, Seth, Osiris, Isis, usw. sind. Geb ist, wie bereits erwähnt, sogar Urahn der Throninhaber. Doch trotz ihrer Bedeutsamkeit sind keine Spuren eines eigenen Kultes aus älterer Zeit nachzuweisen. Jedoch erfüllt vor allem die Nut hervorragende Aufgaben im kultischen Leben, nicht zuletzt als Schutzgöttin der Toten. Die Elemente des Kosmos sind vor allem als Komponenten des Tempels oder der Grabstätte selber eingebunden, denn diese sind dem Aufbau des Kosmos nachempfunden. So finden wir den Sternenhimmel der Nut an der Decke, den Mund des Geb in der Grabhöhle, das Wasser des Nils in den welligen Ziegellagen der Umfassungsmauern, die Vegetation in der Ausgestaltung der Säulen, den Urhügel im Standort des Tempels, usw.. Jedoch eigene Kultstätten dieser Götter kennen wir nur vereinzelt und wenn, dann aus späterer Zeit. Im Falle des Re wird jedoch ein Himmelsobjekt unmittelbar als Gott angesprochen und als lebendiges allseits sichtbares Objekt der kultischen Verehrung zugeführt. Vielleicht stimmt diese Aussage nicht ganz, denn auch der Re-Kult hat einen Mittler zwischen Mensch und Gott. Dieser Mittler ist jedoch kein Tier mehr, sondern der Begriff, das Wort und seine hieroglyphische Erfassung: Die Personifikation. Mit der heliopolitanischen Theologie haben Personifikationen wohlmöglich überhaupt erst höhere Würden erfahren. Die Göttin Maat, deren Kult mit seinen Besonderheiten sich eigentlich erst erklären lässt, nachdem man das Wesen der Personifikationen erklärt hat, könnte ein Hinweis in diese Richtung sein. Denn die Maat tritt in ihrer hervorragenden Rolle als Personifikation der Ordnung erst in Verbindung mit dem Re-Kult auf. Dies währe zumindest ein Ansatz, die heliopolitanische Theologie als Innovation zu verstehen. Bonnet betont den kosmisch-solaren Charakter des Re-Kultes, der die alten fetischistischen Kulte der Ortsgottheiten ablöste. Vielleicht sollte man dem "kosmischsolar" noch ein "logisch begründet mit abstrakten Begriffen" hinzufügen. Dies wäre in der Tat eine Innovation, die jedoch noch weiterer Erklärungen bedarf. Denn die "Logik" dient letztendlich der Begründung von zwei ganz entscheidenden Heraufwürdigungen der Sonnenpersonifikation Re. Beide werden mittels synkretistischer Verknüpfungen erreicht. Die erste und insgesamt bedeutendere dieser Verknüpfungen ist die Zusammenführung des Sonnengottes mit dem Schöpfergott, also der Fusion von Re und Atum. Damit erweitert sich der Wirkungsbereich des Weltenschöpfers zum dem des Weltenerhalters. Um den Unterschied zu verdeutlichen, wollen wir uns noch mal kurz der Figur des Urgottes vergegenwärtigen. Dieser schafft das erste Götterpaar. An den folgenden Schritten der Schöpfung scheint er persönlich nicht weiter beteiligt. Der Weltenschöpfer an sich gehört somit zunächst einmal zu den Wesen der Vergangenheit. Darin ähnelt er ganz den legendären vorzeitlichen Gottkönigen vom Schlage eines Osiris. Er gehört also nicht mehr in dem Sinne zu den "Lebenden". Dieser Charakterzug tritt beispielsweise in einer späten Urgott-Gestalt der thebanischen Theologie wieder zutage: Der Schlangengestaltige AmunKematef, dessen Namens-Zusatz "der seine Zeit hinter sich hat" bedeutet. Schlangen, denen man ähnlich den Skarabäen die Selbsterzeugung nachsagt, sind immer wieder auftauchende Erscheinungsformen des Urgottes, gerade auch als chthonische Wesen, die dem Urgott grundsätzlich nahe stehen. Auch Chepre nimmt gelegentlich Schlangengestalt an. In einem Pyramidentext droht Atum sogar, die Schöpfung wieder vernichten zu wollen und sich selber, nachdem das Universum wieder in den Urzustand der Wasserflut zurückgekehrt sei, wieder in einer Schlange verwandeln zu wollen. Es ist also gar nicht mal abwegig, in der Apophis-Schlange, die mit der Aufhebung der kosmischen Ordnung droht, einen Urgott erkennen zu wollen. Das Wesen, dem die Macht der AllErzeugung gegeben ist, hat gleichsam auch die Macht für den umgekehrten Vorgang in der Hand. Damit soll jedoch nicht gesagt sein, dass dies eine der verbreiteten Sichtweisen auf den Urgott gewesen sei. Es ist lediglich ein Hinweis darauf, dass Denken der Ägypter diese Sichtweise sehr wohl zuließ. Jedoch konzentrierten sich die Priester von Heliopolis weniger auf das, was zu befürchten stände, als auf das, was sie zu erhalten gedenken. Denn mit der Zusammenführung von Schöpfergott und Sonnengott, wandelt sich also der Jenseitige vergangener Zeiten in einen allgegenwärtigen Garant für das Jetzt und die Zukunft. Der Sieg der Sonne über die Kräfte des Chaos ist eine Art Garantie, denn der Aufgang der Sonne ist erfahrungsgemäß noch nie ausgeblieben. Diese Garantie ist jedoch in einen dramatischen Kontext eingebunden, der selbstverständlich seine Begründing in Naturbeobachtungen wie etwa den Sonnenfinsternissen, Unwettern und auch den Mondphasen hat. Der Sieg ist zwar garantiert. Jedoch erfolgt kein Sieg ohne Anstrengung. In der Bewegung der Himmelskörper sind ganz offenbar starke Kräfte am Werk. Wer sonnst sollte über diese Kräfte gebieten, als jener Gott, der diese geschaffen hat? Der garantierte Sieg des Re ist Teil einer Der 6000jährige Falke 21 21 25.10.2008 magischen Formel, der seine Entsprechung in den garantierten Siegen des Pharaos findet. Dem Pharao irgendwie Schwäche oder Niederlagen zuzugestehen, währe zumindest während der Regierungszeit ein fataler Fehler. Denn mit dem Zugeständnis dieser Möglichkeiten, werden diese Möglichkeiten selber erst erzeugt. So ist zumindest das Magische Auffassung des Königtums angelegt. Somit bietet sich die Sonne also auch als Königliches Symbol an. Die Verbindung von Sonnensymbolik und Königtum greift jedoch weiter, als soeben angeführte Garantie. Neuschöpfung und Neu-Ordnung sind die entscheidenden Schlagworte. Die Sonne in ihrem Jahreslauf und die Natur in ihrem zyklischen Werden und Vergehen verhalten sich parallel zueinander. Dies ist ein weiterer Beweis dafür, dass sich die Schöpferkraft des Urgottes in der Sonne manifestiert. Die ständige Regeneration der Sonne, ihre beständig geführten Kämpfe gegen die Kräfte des Chaos, sind ein Garant für die Aufrechterhaltung der kosmischen Ordnung. Die Personifikation der Ordnung selber, die bereits erwähnte Göttin Maat, hockt vorne am Bug der Sonnenbarke, als wolle sie den Elementen ihre Plätze im Kosmos zuweisen, wenn nicht gerade Horus oder Seth am Bug mit der Harpune gegen die Feinde der Ordnung vorgehen. Die Formulierung "Aufrechterhaltung der Ordnung" trifft allerdings nicht ganz den Punkt. "Neuschöpfung" und zwar eine zyklisch sich wiederholende Neuschöpfung ist hier der passendere Begriff. Die Ordnung muss ständig neu geschaffen werden, so wie sich die Sonne an jedem Morgen selber neu erschafft. Ein Ausbleiben des ordnenden Wirkens der Sonne würde einen Rückfall in das vorweltliche Chaos bedeuten. Ähnlich würde ein inaktiver Pharao das Land dem Zerfall aussetzen. Die Regentschaft des Weltgottes Re im Kosmos entspricht also insgesamt dem Wirken des Pharaos auf Erden. Beide sorgen in ihrem jeweiligen Wirkungsbereich für Ordnung. Der Ägypter versteht dieses Schaffen von Ordnung als ein "Erzeugen von Maat". Dies ist unabhängig davon, ob es sich um die kosmische oder die gesellschaftliche Ordnung handelt. Hiermit hätten wir die Parallelen im Wirken des Sonnengottes und des Pharaos schon eingehender beschrieben. Und auf diesen Parallelen fußt das Königtum des Re. Traditionellerweise wird das Königtum jedoch in dem Falkengott Horus verkörpert, der gleichsam auch der eigentliche Vernichter der Feinde des Staates ist. Der Pharao ist immer auch ein Feldherr. Diese Komponente scheint vom magischen Standpunkt so entscheidend zu sein, dass das Feldherrentum in Friedenszeiten in ritueller Form zelebriert wurde. Der Horus ist schlussendlich die Vergöttlichung eines Imperator-Rex und somit Patron der geeinten ägyptischen Nation. Es hätte wenig Sinn gemacht, sich über dieses grundlegende nationale Symbol, diesen Fetisch des vereinigten Reiches, hinwegsetzen zu wollen. Wenn nun eine Kultstätte das Anliegen hat, den Sonnengott zum König zu erheben, dann liegt es auf der Hand, dass die Priesterschaft den Sonnengott zum Horus aufwürdigt. Diese Heraufwürdigung erfährt der -in seiner Eigenschaft als Personifikation eigentlich rein menschengestaltige- Sonnengott Re in der Gestalt des falkenköpfigen Re-Heru-Achety, eben dem bereits ausführlicher beschriebenen "Horus vom Horizont" bzw. dem "Horus der zwei Horizonte", zu griechisch: Re-Harachte. Die "zwei Horizonte" werden auch dahingehend interpretiert dass sie die beiden Grenzen des Tagesbogens der Sonne markieren, d.h. sie stehen auch synonym für den Tagesbogen selber. Das Aufsteigen im Osten und das sich Niederneigen im Westen sind jedoch auch die gefährlichsten Momente im Tagesbogen. Hier sind die Orte, wo die Schlange Apophis zum Angriff ansetzt. Zunächst genießt Harachte an der Seite von Ra einen lokalen Kult in Heliopolis. Die erstmalige 39 Wertschätzung des Götterkönigs Re-Harachte von Seite realer Monarchen zeichnet sich bei den Nachfolgern der Pyramidenbauer im Alten Reich erstmals ab. Die Könige der fünften Dynastie scheinen sich schließlich unmittelbar aus der Priesterschaft von Heliopolis zu rekrutieren. Denn obwohl Memphis immer noch Hauptstadt ist, löst nunmehr Re-Harachte den Ptah als Reichsgott ab. Von dieser Periode an hat der Sonnenkult der ägyptischen Religion seinen unauslöschbaren Stempel aufgesetzt. Fortan nennt sich der Pharao "Sohn des Re", sind Mond und Sonne "Augen des Re", während der Charakter des Horus nunmehr zunehmend durch das Wesen des Sonnengottes geprägt wird. Hier setzt nun die Verdoppelung der Figur des Horus an: Horus der Alte, der Gebietende, Horus der Junge, der Ausführende; der thronende Kapitän und der Harpunist am Bug; Vater und Sohn; Verstorbener und Nachfolger; Gott und Stellvertreter auf Erden. Diese Konstellation, die eigentlich eine Herabwürdigung der Horus bedeuten könnte, wird somit durch das Wesen des Königtums zusätzlich unterstützt. Und umgekehrt stützt das Wesen der Götter das Wesen des Königtums. In den bildlichen Darstellungen der göttlichen Barke ist es meist die falkenköpfige Gestalt des ReHarachte, die auf der Tagesbarke abgebildet ist, während die widderköpfige Gestalt des Atum-Re vornehmlich der auf der Nachtbarke fährt. An der königlichen Titulatur sowohl im realen Ägypten, wie 39 In der Fachwelt wird diskutiert, ob man in der Gestalt des Re-Harachte tatsächlich eine synkretistische Mischform erkennen soll oder ob der Zusatz des Horus eher als königlicher Titel zu verstehen ist. Da jedoch "König" und "Horus" als Begriffe beinahe synonym ineinander gehen, braucht uns dies im hier gesteckten Rahmen nicht weiter zu stören. Der 6000jährige Falke 22 22 25.10.2008 auch in der Götterwelt ändert sich insgesamt nichts. Der Regent ist schließlich auch weiterhin ein Horus, auch wenn er nun vorzugsweise ein Re-Heru-Achety ist. Re-Harachte bleibt die stärkste unter den unzähligen synkretistischen Verbindungen des Re, welche allenorts in die lokalen Theologien integriert wird. Die falkenköpfige Gestalt des Sonnengottes wurde auch von dem Bilderstürmer Amenophis IV (Echnaton) nicht angekratzt. Oft wird heutzutage in der Aton-Kult des Amenophis IV als Beispiel einer frühen monotheistischen Religion beschworen und zum Vorreiter des Monotheismus der Erben Abrahams hochstilisiert. Die Erkenntnis, dass es unabhängig von Israel ebenfalls Monotheismen gegeben hat, mag auf den ersten Blick aufregend sein. Was wir dabei jedoch schnell übersehen, ist der Unstand, dass wir hierbei von vorne herein vorgeben, dass der Monotheismus der entscheidende revolutionäre Schritt in der Entwicklung der Religion zu sein hat. Somit haben wir bereits vorgegeben, welche Antwort wir hören wollen. Wenn man die Reduktion auf einen einzigen Gott für den entscheidenden Schritt erachtet, dann wird man sich zwangsläufig auf das Intermezzo des Echnaton konzentrieren und dieses für eine religiöse Revolution ansehen, eine gescheiterte allerdings. In dem heliopolitanischen Atum-Re-Harachte (die Dreier-Kombination gab es tatsächlich) finden wir jedoch bereits einen All-Gott-Vater, welcher das Universum uranfänglich geschaffen hat, der allgegenwärtig ist, der das Universum und all seine Geschöpfe durch sein Wirken am Leben erhält, der wie ein irdischer Monarch ein König unter den Göttern ist, der Recht spricht und in seiner Rechtsprechung unbestechlich ist, der mit der Maat die Grundlage einer Ethik liefert, die sowohl in der kosmischen Ordnung wie auch in der göttlichen Gerechtigkeit begründet ist und die durch des Gottes Stellvertreter auf Erden den Menschen zur Nahrung gereicht wird. Die kosmische Ordnung wird somit zum Vorbild der Ordnung im Staate. Eine weitere bedeutsame Besonderheit dieser kosmischen Religion ist der erwähnte Umstand, dass bei ihr kein Dienst am Götterbildnis stattfindet. Dies ist essentiell, da bislang der Gott über das Götterbildnis Wohnung im Allerheiligsten nimmt. Der Dienst am Bildnis hat den Zweck, die Anwesenheit des Gottes im Tempel zu halten. Er orientiert sich im Wesentlichen am Vorbild der Gastfreundschaft. Es wird morgens frisch angekleidet und geschminkt und erhält über den tag hinweg weitere Opfergaben, die dem Gott zur Nahrung gereichen. [...] In Sonnenkult ist das Gestirn selber Objekt der Anbetung. Freilich ist auch der Kult des Re nicht frei von Fetischen. Herausragend ist hier den Benben-Stein, der seinerseits wiederum ein Modell des Urhügels darstellen soll. Man mag sich nun das soeben Gesagte auf der Zunge zergehen lassen und dann entscheiden, wo man die tiefergreifende Wende in der Religion sehen will: In der Wendung zum kosmisch dimensionierten All-Schöpfer-König-Gott oder in der monotheistischen Reduktion desselbigen. Der Kult von Heliopolis selber ist jedoch alles andere als monotheistisch. Denn keinesfalls verlangt er die Ausschaltung anderer Gottheiten. Der Götter-König der nun in Ra angesprochen wird, ist letztlich immer noch der alte Götterkönig Horus. Auch der Schöpfergott in Heliopolis heißt weiterhin Atum. Die synkretistischen Verknüpfungen mit ihren Doppel- und Dreifachnamen, bedeuten nicht etwa ein unumkehrbare Verschmelzung. Die verknüpften Götter behalten weiterhin ihren eigenen Kult. Re und Atum sind keine unumkehrbare Fusion eingegangen. Die Reihenfolge der verknüpften Namen macht je nachdem eine Nuance aus. In Atum-Re wird der Schöpfergott angesprochen, der sich in der Sonne manifestiert. In dem Namen Re-Atum dagegen der Sonnengott, dessen Weltherrschaft sich auf seinem Schöpfertum begründet. In Re-Harachte finden wir den Sonnengott, der zum Götterkönig hochgewürdigt wird. Andernorts wird der Ausgleich mit der mächtigen Figur des Re versucht, was zu allerlei Konstruktionen führt, die zunehmend verwirrender anmuten können. Die Kultstätte Heliopolis selber scheint sich zum Ziel gemacht zu haben, auch die verschiedenartigsten Bedürfnisse zu decken. In Heliopolis hat die Ausarbeitung der Osirislegende stattgefunden, die zu der Form führte, wie wir sie auch aus der Vermittlung durch Plutarch kennen. Nachdem der Sonnenkult das Wesen der Ortsgottheiten in den Hintergrund geschoben hat, mag ein Bedarf nach der Verehrung einer legendären Gottkönigsfigur verblieben sein, der mit der Figur des Osiris nicht besser besetzt hätte werden können. Die heliopolitanische Fusion von mindestens drei hauptlegenden führte denn auch zu der Rolle des Horus als Kind, welche auch anderen Auffassungen nicht fremd ist, hier jedoch offenbar auch ein Mittel war, die Position des Horus als letzten Thronfolger und in Gegenwart regierenden Götterkönig zu unterstreichen. Letztlich kann man sogar sagen, dass in Heliopolis zwei sich eigentlich wesensfremde Religionen gleichzeitig angeboten wurden. Dies lässt sich vor allem am Totenkult festmachen. Grundsätzlich kennt der Ägypter vier unterschiedliche Jenseitsvorstellungen: Der 6000jährige Falke 23 23 25.10.2008 1. Chtonisch: Der Tote lebt mit seinen Körper weiter, wie er dies auch im realen Leben tat. Daher Mumifizierung zur Erhaltung des Körpers. Alle Tricks zur Bereitstellung von Lebensstandart (Totendienst, wie auch magischer Ersatz dafür). 2. Stellar: Der Tote wird von der Nut als Stern wiedergeboren oder steigt als Stern im Osten auf,bzw. die Sterne sind die Bas der Toten. 3. Osiriswerdung: Der tote König in seiner Eigenschaft als Gott-König IST Osiris in leibhaftiger Form. Die Osiriswerdung brauchte länger, bis sie in den privaten Gebrauch gelangte. 4. Solar: Der tote König, der Sohn des Re(-Harachte) ist, steigt (über die Himmelsleiter) zu seinem Vater auf und begleitet diesen auf seiner Barke und tut dort Dienst. Später nehmen auch Privatlaute die Rolle des Königs an. Der 6000jährige Falke 24 24 25.10.2008 Material und Trash An dieser Stelle möchte ich noch mal die wichtigsten Motive der vorhergehenden Absätze rekapitulieren, denn die sind entscheidend für das Verständnis des Folgenden. 1. Die Urgötter, die ursprünglich eher erdhaften Charakters waren, werden unter dem Einfluss des Sonnenkultes von Heliopolis mit der Sonne in Verbindung gebracht. Die in früheren Auffassungen des vergangenen, verborgenen und somit dunklen Gottes werden zu jenen des offenbaren, gegenwärtigen und leuchtenden Gottes umgedeutet. 2. In theologischen Deutungszusammenhängen werden der Himmel und der Gegenhimmel (Unterwelt) sehr oft als Wasser aufgefasst. Diese Vorstellungen gehen zum Teil mit der Gestalt von Göttinnen einher, in denen wir alte Demiurginnen aus matriarchalischer Zeit zu erkennen vermögen, die als Muttergötter, Himmelskühe oder einfach großes Wasser als Mütter oder Geburtsstatt der Götter genannt werden. 3. In den weiterentwickelten Kosmogenien geschichtlicher Zeit, sind es männliche Demiurgen, die dem Urwasser entsteigen. Diese Vorstellungen sind geprägt durch die Beobachtung der ersten Erdhügel, die das sich zurückziehende Überschwemmungswasser des Nils freilegt. 4. Grundlegend für alle Schöpfungsvorstellungen ist die Idee der Ursubstanz. Die Idee des absoluten Nichts existiert noch nicht. An das Überschwemmungswasser angelehnt, spricht man bei der Ursubstanz von der Urflut, in der das Potential der Schöpfung angelegt ist. Hätte man Crowley gefragt, wie ein grausamer Herrscher aussieht, er hätte gewiss kein Phantombild von Aldolf Hitler anfertigen lassen. Auch die Theogenie der Neunheit von Heliopolis selber weist wohlmögliche Spuren solcher Zurechtrückungen auf, etwa wenn das Götterpaar Shu und Tefnut vor den offenbar sehr alten Demiurgenpaar Nut und Geb gesetzt werden. Auch was die kosmischen Charakterzüge des Königsgottes Horus betrifft, so dürfen wir bezweifeln, dass diese ursprünglich sind. Er wird zunächst ein Bewohner des Himmels gewesen sein, bevor er als der Himmel selber aufgefasst worden sein mag (wobei man nie mit Sicherheit sagen kann, ob dem überhaupt so war). Inwiefern die Eigenschaften des Horus als Lichtgott, sich von Ideen wie die des Ach ableiten, was dann semantisch in Richtung "Geist" verweisen würde oder ob er die lichtbezogenen Charakteristika von Re vererbt bekommen hat, muss ebenso offen bleiben. Hier setzt nun die Verdoppelung der Figur des Horus an: Horus der Alte, der Gebietende, Horus der Junge, der Ausführende; Kapitän und Harpunist; Vater und Sohn; Verstorbener und Nachfolger; Gott und Stellvertreter auf Erden. Der 6000jährige Falke 25 25 25.10.2008 Wer war Horus? Literatur Claire Lalouette: "Weisheit und Wissen im Vorderen Orient"; Artemis & Winkler, Düsseldorf/Zürich 1999; ISBN 3-538-07088-1 Erik Hornung: "Geist der Pharaonenzeit"; Artemis, Zürich und München 1989; ISBN 3-7608-1005-5 Hans Bonnet: "Lexikon der ägyptischen Religionsgeschichte"; Walter de Gruyter, Berlin 1952; ISBN 3937872-08-6 Cynthia Giles: "Tarot: Geschichte, Geheimnis und Überlieferung"; Walter, Solothurn und Düsseldorf 1994; ISBN 3-530-26733-3 E.A. Wallis Budge: "The Gods Of The Egyptians" Dover, New York 1969, Original erschienen 1904 Der 6000jährige Falke 26 26 25.10.2008 Der 6000jährige Falke 27 27 25.10.2008 Auf der Jagt nach den Zeitaltern Age of Aqurius Bereits um 150 v. Chr. entdeckte der bedeutende griechische Astronom Hipparchos beim Vergleich älterer und neuerer Daten, das über die Jahrhunderte verschiedene Sterne die des Polarsterns eingenommen haben. Der Polarstern ist der einzige Stern am Firmament, der sich nicht bewegt. Er stellt sozusagen die Verlängerung der Erdachse dar. Der Wechsel des Polarstern bedeutet in der Konsequenz, dass die Erdachse sich bewegt. Diese Bewegung nennt die Astronomie Präzession. Wie wir heute wissen, wird diese durch die Anziehungskräfte von Sonne und Mond verursacht. Sonne und Mond "versuchen" sozusagen, die schrägstehende Erdachse senkrecht zur Planetenebene zu stellen und versetzen sie dabei in eine kreiselförmige Bewegung. Eine Umdrehung dieser Bewegung, das sogenannte Platonische Jahr, benötigt etwa 25850 Jahre. Die Präzessionsbewegung der Erde: Eine kreiselförmige Rotation der schrägstehenden Erdachse verursacht einen Wechsel der Polarsterne. Die Schrägstellung der Erdachse ist bekanntlich der Verursacher der Jahreszeiten. Markiert werden diese durch die beiden Tag- und Nachgleichen zu Frühjahrs- und Herbstbeginn (den Äquinoktien), wie durch die Sommersonnenwende und Wintersonnenwende. Der in der Astrologie verwendete Tierkreis ist vom Ursprung her eigentlich nichts anderes als ein altes chaldäisches Kalendersystem, der auf einem Gürtel von 30° breiten Sternbildern, auf dem die Bewegungen der "wandernden Sterne", also 40 der Planeten beobachtet werden . Sonne und Mond zählten in der klassischen geozentrischen Astronomie ebenfalls zu den Planeten, da sie sich wie die wandernden Sterne ebenfalls durch den Zodiak bewegten. Der Frühlingsbeginn wird mit dem Eintritt der Sonne in das Zeichen Widder markiert. Der Tag des Eintritts der Sonne in das Zeichen Widder, der in etwa auf den 21 März fällt, ist 41 in Nachfolge der Chaldäer und Babylonier auch heute noch der Neujahrstag vieler Völker . Analog dazu wird der Widder als der Anfang des Tierkreises aufgefasst. Der Übergang der Sonne in das Zeichen Widder wird Frühlingspunkt benannt. Bedingt durch die Präzession bewegt sich dieser Frühlingspunkt quasi "rückwärts" (also der Bewegungsrichtung der Planeten entgegengesetzt) durch den Tierkreis. Seitdem macht man einen Unterschied zwischen den Sterbildern der Tierkreises und den kalendarischen Tierkreiszeichen. Während der letzten 2000 Jahre bewegte sich der Frühlingspunkt durch das Sternbild Fische. 42 Mittlerweile geht der Frühlingspunkt in das Sternbild Wassermann über. Dieser Übergang wird von verschiedenen Esoterikbewegungen als der Beginn des Wassermannzeitalters gefeiert. Das Symbol des Tierkreiszeichens "Fische" wird mit dem Erkennungszeichen der frühen Christen, dem Fisch gleichgesetzt. Die Ära des Christentums, das Fischezeitalter neigt sich demnach dem Ende zu und ein neuer Strom der Spiritualität, der des Wassermannes erfasst das menschliche Geschlecht. Erstmals popularisiert wurde die Idee des Wassermannzeitalters von der Begründerin der Theosophischen Gesellschaft Helena Blavatsky, die deshalb auch gerne als Mutter der New-Age Bewegung tituliert wird. Auch Edward Alexander Crowley, der dem Umstand, dass sein Geburtsjahr mit dem Gründungsjahr der Theosophischen Gesellschaft im Jahr 1875 zusammenfällt einige Bedeutung beimaß, ließ sich von offenbar Blavatsky inspirieren. Er stellte sein 1904 durch eine Intelligenz namens Aiwass gechanneltes Poem, das "Liber (A)L vel Legis" ("Das Buch L des Gesetzes") und seine nach eigenem Bekunden von seiner Mutter ausgehende Identifikation mit dem Tier 666 aus der Apokalypse des Johannes ganz und gar in den Geiste dieser Idee und deklarierte seine Person zum Träger des "Genius des neuen Äons". 40 Eigentlich könnte man sagen, dass mit der Entdeckung des Zodiakgürtels die Planetenebene entdeckt worden ist, ohne dass die "Entdecker", die von einer kugelförmigen Erde nichts ahnen konnten, in der Lage gewesen währe, diese als solche zu benennen. Diese "Entdeckung" hat freilich in vorgeschichtlicher Zeit an verschieden Orten der Welt stattgefunden. 41 Iran, Indien und alle Zentralasiatischen Länder, deren Namen mit der Silbe "stan" endet. 42 Die offiziellen Sternbildgrenzen haben sich jedoch mittlerweile geändert. Nach den heute gültigen Begrenzungen würde der Übergang erst im Jahre 2600 erfolgen. Der 6000jährige Falke 28 28 25.10.2008 Inspiriert von dem 1904 (angeblich) erfolgten Diktat des "Buch des Gesetzes" ("Liber (A)L vel Legis") und seiner magischen Ausbildung beim Hermetischen Orden der Goldenen Dämmerung (Golden Dawn), die in Symbolik und Ritualistik stark vom alten Ägypten (oder was man dafür hielt) geprägt worden ist, entwickelte Crowley seine Theorie von der Abfolge der Äonen. (Äon, von griechisch "aion": Zeitalter.) Den Kern dieser Theorie bildet eine Abfolge von drei Zeitaltern, die er den drei ägyptischen Göttern zuordnete: Isis, Osiris und Horus. Die drei ägyptischen Protagonisten Diese drei Götter sind berühmt geworden als Protagonisten der Osiris-Legende. Diese Legende war dank der Vermittlung durch Plutarch eines der wenigen Stücke ägyptischer Literatur, die dem christlichen Europa vor der Entschlüsselung der Hieroglyphen durch Champollion zur Verfügung standen. Die Handlung dreht sich um Osiris, der als sagenhafter vorzeitlicher gottgleicher Herrscher den Menschen die Segnungen der Zivilisation bescherte und auf der Höhe seines Ruhmes von seinem Bruder Seth erschlagen und in den Nil geworfen wird. Seine trauernde Schwester und Gattin Isis, sucht verzweifelt im ganzen Land nach dem Leichnam. Nachdem sie diesen gefunden hat, erweckt sie mit ihren Zauberkräften noch einmal die Manneskraft des Toten und zeugt mit ihm ihren Sohn Horus, der als erwachsener Mann den Mord seines Vaters an Seth und seinen Anhängern rächen und die gerechte Thronnachfolge seines Vaters antreten wird, während sein Vater selber als König der Unterwelt die Herrschaft über das Totenreich übernimmt. Die Trias, in der Crowley drei aufeinaderfolgende Zeitalter repräsentiert sah: (v.r.n.l.) Isis, Osiris und Horus. Von dieser Legende leitet Crowley seine Äonen-Theorie ab. Die ägyptische Theologie habe, so sagt er, den Fortschritt der Menschheit vorrausgesehen und in dieser Trias 43 symbolisiert . Das vergangene, mit unserer Zeitrechnung beginnende christliche Zeitalter wird der Theorie folgend durch den getöteten Gott Osiris repräsentiert. Der wohltätige König Osiris wird mit dem menschlichen Erlöser Jesus gleichgesetzt. Die reale Welt wird als Hort des Leides verstanden. Die Religion fokussiert sich auf das Jenseits. Der Erlöser ist der König im Totenreich. Das Leben wird an dem Wohlgefallen Gottes ausgerichtet, um den Eingang ins Paradies zu erlangen. Das gegenwärtige Äon, welches mit sprunghaften Entwicklungen in der Wissenschaft, den Kommunikationsmitteln, der Technologie, den beiden Weltkriegen eingeläutet wurde, die einen Kopfstand der alten europäischen Wertesysteme (Gott, Vaterland und Familie) auslösten, wird durch das "gekrönte und erobernde Kind" Horus repräsentiert. Das Leben ist ein Ausdruck der Freude jener ursprünglichen Schöpferkraft (griechisch mit "Thelema", d.h. "Wille" bezeichnet), die einerseits die Existenz des Universums ausgelöst hat und andererseits als individuelle Instanz in einem jeden Menschen wohnt. Diese Instanz wird der "wahre Wille" genannt. Die Religion fokussiert sich auf das Diesseits. Das Leben ist der Ort, an dem der Wille seine Schöpferkraft offenbaren kann und an dem er mit seinem Werk wachsen, sich entwickeln, sich entfalten will. Da die göttliche Instanz als in einem jeden Individuum wohnend erkannt wird, lautet die darauf folgende Doktrin: "Tu was Du willst!" Der Charakter des diesen beiden Zeitaltern vorangegangenen Isis-Äons ist eigentlich nie plausibel beschrieben worden. Crowley selber betonte gerne den Familiencharakter der Trias um Osiris. Osiris steht demnach für eine an einem Gott-Vater ausgerichtete Religion und für eine patriarchalische Gesellschaft, Isis für die Gottes-Mutter und eine matriarchalische Gesellschaft und Horus für den 44 Gottes-Sohn und eine bislang unbekannte Form der Gesellschaft . Leider werden wir mit diesen Annahmen der Klärung des "Zeitalters der Mutter" werden wir wohl kaum weiterkommen. Denn obwohl es grundsätzlich zutrifft, dass die patriarchalischen Gesellschaftsformen 43 Diese Trias könnte sich in der christlichen Trinität von Vater, Sohn und heiligem Geist wiederspiegeln, insofern man gnostische Auffassungen einbezieht, dass der heilige Geist eine weibliche Komponente der Trinität sei. 44 Mancher aufmerksame Leser wird bei diesem Satz sicher ins stutzen gekommen sein mit der berechtigten Frage: "Haben wir nicht damals in der Schule gelernt, dass Jesus Gottes Sohn gewesen sei?" Ich darf schon mal vorwarnen, dass die Wirrungen um die beiden Vater- und Sohn-Figuren wiederholt Thema dieser Abhandlung sein werden und bitte für die folgenden Absätze um ein wenig Geduld. Der 6000jährige Falke 29 29 25.10.2008 auf die matriarchalischen gefolgt sind, geht das resultierende Schema nicht mit der geschichtlichen Entwicklung konform, sobald wir den Versuch unternehmen, es in das Raster der wissenschaftlich vorgeschriebenen Längen von "platonischen Monaten" a 2154 Jahren (25850 geteilt durch 12) pressen. Bereits das Ägypten zu Beginn der geschichtlichen Zeit (etwa 3200 vor Chr.) ist voll und ganz patriarchalisch ausgerichtet. Auch wenn man von der "matriarchalischen" Theorie absieht, ist keine Lösung in Sicht. Eine Zeit lang wurde das biblische Israel als Repräsentant des dem Osiris vorausgegangenen Zeitalters gehandelt. Jedoch weisen die gegenwärtigen Befunde der Geschichtsforschung eher in eine Richtung, die das biblische Israel als eine aus verschiedenen Quellen schöpfende Mythenbildung entlarven könnten, die ursprünglich das Ziel der Bereitstellung einer Nationalidentität für eine durch Vielstaaterei und Fehden zerrüttete Region verfolgte. Der skeptische Leser wird sich wohlmöglich schon länger fragen, auf welcher Grundlage die Idee beruht, dass gerade ägyptische Gottheiten aufeinander folgende Erdzeitalter repräsentieren sollen. Die Synkretismen der antiken Weltreiche Um dies nachvollziehbar zu machen, wird es notwendig einen Blick auf die Synkretismen des Mittelmeerraumes im Altertum zu werfen. Als Synkretismus bezeichnet man die Vermischung mehrerer Religionen. Solche Vermischungen haben bei der Entstehung größerer Religionen, insbesondere des Christentums, eine Hermanubis: nicht unerhebliche Rolle gespielt. Sie Eine synkretistische Götterentstehen in aller Regel beim Fusion aus dem Aufeinadertreffen verschiedener griechischen Hermes und Kulturen und führen etwa dazu, dass dem ägyptischen Anubis. fremde Götter in eine heimische Kultur importiert oder fremde Völker von der eigenen Religion assimiliert werden. So ist der griechische Gott Zeus mit der Indogermanischen Völkerwanderung in die Ägäis "importiert" worden und darf daher guten Gewissens mit dem germanischen Thor gleichgesetzt werden. Aphrodite ist vom Ursprung her eine über Kreta aus Persien importierte Astarte. Der Import des fremden Gottes wird oft durch die Identifikation mit einem lokalen Gott mit ähnlichen Zuständigkeiten begünstigt. Oft kommt es über die Zeit zu Vermischungen. Manchmal sind diese Götter-Mischungen auch vorsätzlich entstanden. Etwa vermischten die Griechen ihren Gott Hermes unter Betonung seines Patronats für die Heilkunst mit dem ägyptischen Totengott Anubis, indem sie Serapis, der Stadtpatron von Alexandria (der von Alexander dem dessen Patronat für die Kunst des Einbalsamierens betonten. Das Großen gegründeten Hauptstadtdes Ergebnis war der Hybrid Hermanubis. Im Rom der Zeitenwende hellenistischen Ägyptens) war eine waren Figurinen mit Mischformen griechischer und ägyptischer dem griechischen Verständnis Götter außerordentlich beliebt. angenäherte Variation des Osiris-Apis, Die makedonischen und römischen Weltreiche haben Vielvölkerstaatsgebilde geschaffen, in denen eine Vielzahl von Religionen in den kulturellen Austausch gezogen wurden. Die Römer stellten die Hauptgötter von eroberten Völkern in ihr eigenes Pantheon, um somit Kontrolle über deren Patronat zu realisieren. Etwa 300 Jahre früher hat sich der Makedonier Alexander in Ägypten zum Pharao und Sohn des Amun-Re ausrufen lassen, nachdem ihm das Land mit der Unterwerfung des Perserreiches quasi kampflos zugefallen war. In der mit Alexander beginnenden hellenistischen Zeit (336 - 30 v. Chr.) nahm die Popularisierung der ägyptischen Kultur über den ganzen Mittelmehrraum merklich zu. Es waren die Griechen, welche die Legende vom alten Ägypten als Wiege der Zivilisation und Quelle 45 ältester Weisheit in die Welt trugen . woraus sich auch der Name ableitet (Usar-Apis). Serapis wurde als Herrscher der Unterwelt und chtonischer Fruchtbarkeitsgott dem Griechischen Pluton gleichgesetzt. Osiris selber identifizierten die Griechen mit dem Wein, rausch und Fruchtgott Dionysos. Der makedonische General Ptolemaios, Begründer der Dynastie 45 Die heute gebräuchlichen Namen der ägyptischen Götter sind ebenfalls griechisch. (gräzisierte Namen) Der 6000jährige Falke 30 30 25.10.2008 der Ptolemäer, führte den Kult des Serapis ein und erhob somit indirekt den Osiris-Kult zu 46 Staatsreligion. Sicherlich setzte er dabei auf den volkstümlichen Charakter und die große Beliebtheit des wohltätigen Gottes und behielt damit recht. Der Kult des Serapis breitete sich bis in die Römerzeit über den ganzen Mittelmeerraum aus. Weit übertroffen wurde dies jedoch von der Verbreitung des Isis-Kults. Isis hatte sich über die Jahrtausende von einer etwas farblosen Gattin des Osiris zur Universalmutter gemausert, die sich die Charaktere vieler anderer 47 Göttinnen einverleibte. Ihre Rolle als Patronin der Seefahrer förderte bereits vor der Hellenisierung die Verbreitung ihres Kults, die bis in das 3te nachchristliche Jahrhundert unaufhaltsam schien. Zwischenzeitlich sah sich der römische Senat aus Angst vor Überfremdung genötigt, Heiligtümer der Göttin zerstören zu lassen. Hiermit teilt der Isiskult jedoch lediglich ein Schicksal mit dem persischen stammenden Mithraskult und den frühen Christen. Aber auch "modernere" religiöse Vorstellungen spielen in den Mittelmeersynkretismus hinein. Der Jüdische Glaube, welcher mit Deportation und babylonischen Exil allen Erwartungen zum Trotz an Stärke und Identität gewonnen hatte, war mit ihrer Diaspora ganzen hellenistischen Weltreich vertreten. Hier bildete sich eine eigenständige Bewegung, die den jüdischen Glauben in der hellenistischen Welt verbreiten wollte. Im Zuge dieser Bewegung wurde die Bibel erstmals ins Griechische übersetzt (die Septuaginta). Vordenker wie Philo von Alexandria übten sich in der Überzeugungsarbeit, dass die jüdische Weltanschauung der aristotelischen oder platonischen Philosophie viel näher stünde. 48 Der um die Zeitenwende im römischen Reich um sich greifende Isiskult, ist unmittelbarer Vorläufer der Marienverehrung. Die Ikonographie der das Gotteskind säugenden Gottesmutter ist prägend für die christliche Kunst. Auch die ungewöhnlichen Umstände der Zeugung des Gotteskindes, wie auch die Nachstellungen der Feinde des Königkindes bilden eine offensichtliche Parallele. Dieser Wettstreit der Religionen und Philosophien im Mittelmehrraum und der alexandrinische Synkretismus stellen letztlich die Hauptquelle der westlichen esoterischen Traditionen dar und bilden gleichsam den Humus, 49 auf dem die geistige Kultur des Christentums gewachsen ist . Das Aufeinandertreffen, die Mischung und die gegenseitige Identifikation von Göttern, Kulten, Legenden, Traditionen, Kosmologien und Systeme verschiedener Herkunft sowie die Innovationen der klassischen griechischen Philosophie bereiteten den Weg zu Metasystemen, die später in der modernen Astrologie, der Kabbala, des Tarot usw. ihre uns bekannte Form annahmen. Das weltweite Phänomen der verstorbenen Götter Die Gründung des hermetischen Ordens der Goldenen Dämmerung basiert auf den emsigen Bemühungen des Samuel Mathers und seiner Frau Moina, 50 ein alle westliche Traditionen umfassendes systematisches und lebendiges Metasystem aufzubauen, oder besser gesagt: Ein in der Summe der abendländischen Systeme verborgenes 51 Metasystem zu entschleiern, welches in der Summe ein eigene lebendige Intelligenz darstellt . Diese "Entschleierung" geht mit dem einher, was Mathers unter der Bezeichnung "Kontaktaufnahme zu den Geheimen Oberen des Ordens" anstrebte und was Crowley später nach dem Diktat des "Liber L Vel Legis" für sich in Anspruch nahm. Eine der tragenden Säulen des angestrebten Metasystems war die Ägyptische Götterwelt. Es war seinerzeit ein Allgemeinplatz ,das alte Ägypten als Wiege der abendländischen Zivilisation, Weisheit, 52 Spiritualität aufzufassen . Hinzu kommt die Hervorragende Rolle, welcher der Magie im religiösen Leben, aber auch im ganzen Denken der alten Ägypter spielte. Insofern erscheint es plausibel, dass quasi-ägyptische magische Rituale für die Ausführenden als eine Form praktizierten gnostischen 46 ... welche sicherlich in der wirtschaftlichen Not der einfachen Bevölkerung während der Spät- und Perserzeit begründet ist. 47 Darin ähnelt Isis der griechischen Aphrodite 48 ... der im vorliegenden Text nicht einmal ausreichend skizziert, sondern nur angedeutet ist. 49 Crowley ging gar so weit zu behaupten, das Christentum sei eine ganz und gar synthetische Religion. 50 Er sah sich mit der Betonung der abendländischen Systeme im Kontrast zu Helena Blavatsky, die sich stark an fernöstlichen Lehren orientierte. 51 In der Terminologie der jungschen Psychologie würde man vom kollektiven Unterbewusstsein sprechen. 52 Damit bewegte sich Mathers ganz im Fahrwasser des Zeitgeistes, denn die intellektuelle Welt der Belle Epoche war seinerzeit geradezu von einer Ägypten-Hysterie erfasst. Der 6000jährige Falke 31 31 25.10.2008 Christentums darstellten. Im Zentrum dieses des von Mathers entwickelten magischen Systems steht Osiris, der als erschlagener wohltätiger Gott Christus, den getöteten, sich selbst opfernden Erlöser repräsentiert. Vom Standpunkt der Vergleichenden Religionswissenschaften ist diese Gleichsetzung von Christus mit Osiris nicht ganz unbegründet. Um dies nachzuvollziehen muss man sich ein Stück weit von der historischen Figur Jesu entfernen und die Betrachtung auf die Ideen des Gottessohnes, des GottMenschen, des verstorbenen Gottes und des erschlagenen Königs lenken. Diese Ideen sind keinesfalls so ungewöhnlich, wie sie anfangs vielleicht anmuten mögen. Bedingt durch unsere europäische Geistesgeschichte, die sich (grob ausgedrückt) über die Jahrhunderte von der Vorstellung eines monolithischen und ewigen Schöpfer-Allgotts zur "gottlosen" Menschheit auf der Suche nach dem Ursprung des Universums bewegt hat, sind wir GottVorstellungen gewohnt, die primär kosmische Kräfte oder Naturphänomene repräsentieren und die daher auch unsterblich sind. Jedoch treffen diese Eigenschaften nicht unbedingt im ursprünglichen Sinne auf alle Gottheiten zu. Viele Götter der Welt waren in früheren Erscheinungsformen sterblich. So sind uns Zeugnisse über Grabstätten von Zeus, Dionysos und Apollon überliefert. [Mehr Beispiele] In Alexandria wurde alljährlich der Tod des Adonis betrauert. Ähnlich die alljährlichen Riten des ermordeten Osiris. Auch ein Grab der Isis ist bezeugt. Die Ägypter berichten von ihren Göttern, dass sie einst unter den Menschen gelebt und diese regiert haben und genau so wie die Menschen verstorben sind. An den wichtigen Kultzentren Ägyptens wurden gar Listen über die Thronfolge der Götter geführt. Man spricht 53 von der "Zeit des Re", "Zeit des Osiris" oder der "Zeit des Horus" . Auch vom Pharao sagt man, dass er mit seinem Tode in die Welt der Götter übertritt. Überhaupt hat man den Eindruck, dass im alten Ägypten die Welt der Götter mit der Welt der Toten nahezu identisch ist. Verhärtet wird dieser Eindruck durch den Umstand, dass die Opferritualistik für Tote und für Götter auf denselben Grundlagen beruht. Am Leichnam wie auch am Götterbildnis muss das Ritual der Mundöffnung vollzogen werden, um den Gott wie auch den Toten in die Lage zu versetzen, fortan die Opergaben entgegen zu nehmen. Das bedeutet, sowohl im Grab wie auch im Allerheiligsten des Tempels wird das selbe Ritual vollzogen, um den Kult in einen lebenden Zustand zu versetzen. 54 Die Faktensammlung in James George Frazers Monumentalwerk "Der Goldene Zweig" demonstriert eindrucksvoll, dass die Idee des toten Gottes, wie auch des getöteten Gottkönigs ein weltweites Phänomen ist, der tief in der Natur der Religion selber begründet zu sein scheint. Dieser Umstand mag auch die Verbreitung des Christentum ein Stück weit vereinfacht haben. So waren beispielsweise die frühen Missionare in Mexiko völlig überrascht von der Ähnlichkeit zwischen den aztekischen und christlichen Riten. 55 Der Umstand der Sterblichkeit jener Götter , sowie der offenbar menschliche Charakter derselben und die Kunde vom Königtum der toten Götter verweist auf einen Ursprung der Religionen, der gerne unterschätzt wird: Der sogenannte Ahnenkult. Die früheste uns bekannte Form von Ritualen, sind die Begräbniszeremonien des Neandertalers. Das Verabschieden und Gedenken der Toten ist offenbar 56 ein urmenschliches Bedürfnis . Für die modernste Form des Ahnkults könnte vielleicht das Andenken 57 an große Staatsmänner, Künstler, Wissenschaftler und Denker herhalten . Jedoch hat man in vielen Kulturen nicht nur die toten Könige sondern auch die lebenden Könige als göttliche Wesen verstanden. Einerseits fällt den göttlichen Königen eine Mittlerrolle zwischen der Welt der Götter und der Welt der Menschen zu. In einer älteren Auffassung nach scheint Frazer zufolge der König oder Stammesfürst ein Magier gewesen zu sein, dessen oberste Aufgabe es war, mit magischen Mitteln Unheil von seinen Untergebenen abzuwenden und Heil zuzuführen. Das Königtum ist demnach im ursprünglichsten Sinne ein Priesteramt. Auch diese Auffassung ist auf der ganzen Welt wiederzufinden. In weiteren Entwicklungsstufen wandelt sich der König selbst zu einem regelrechten Fetisch. Das Schicksal seiner Untergebenen ist abhängig von seiner Stärke, seiner Unversehrtheit und seiner Reinheit. Dies führt etwa dazu, dass alles Profane für ihn Tabu wird. Er wird in einer Sänfte getragen, 53 Die Ägypter kannten keine durchgehende, sich über die Jahrhunderte fortsetzende, Zeitrechnung wie wir. Die Zählung begann mit jeder Regierungszeit eines Königs neu. 54 Ein Klassiker auf dem Gebiet der vergleichenden Religionswissenschaften. Dieses Buch war eine maßgebliche Inspiration für Crowleys "Buch Thoth". 55 Die wir gemeinhin eher bei den Halbgöttern und Helden ansiedeln würden. 56 Es ist offenbar in der den Säugetieren eigenen Fähigkeit zur Empathie begründet. 57 Man beachte, wie wichtig solcherart Andenken auch heute noch für die Erhaltung einer nationalen Identität ist. Der 6000jährige Falke 32 32 25.10.2008 damit er nicht den profanen Boden berührt. Selbst sein Name darf nicht aus den Mündern der Profanen kommen. [mehr Beispiele] Aufgrund dieser engen sympathetisch-magischen Verknüpfung von König und Untergebenen stellt das Altern des Königs eine Gefahr für die Gemeinschaft dar. Aus dieser Situation begründet sich der rituelle Königsmord. Dieser kann ganz verschiedene Formen annehmen. Ein junger Nachfolger mag auftreten und den König herausfordern. [mehr Beispiele] Auch in der Ermordung des Osiris scheinen sich Echos von einem rituellen Königsmord finden, obwohl eine derartige Praxis als solche nicht aus Ägypten überliefert ist. Frühere Versionen der Osirislegende sprechen davon, dass der Gott schlicht ertrunken und nicht etwa einem Mord zum Opfer gefallen sei. Jedoch kannten auch die Ägypter Methoden zur Sicherung der Kräfte des Pharaos: Sie wurden nach 30 Jahren Regierungszeit mit dem Sedfest erneuert. Das berühmte "INRI" am Kreuze Christi dagegen, welches einer Auffassung folgend für "Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum", also "Jesus von Nazareth, König der Juden" stehen soll, könnte als esoterische christliche Botschaft der Königsmord-Symbolik 58 entsprechen . Nun ist uns allerdings der angeklagte Christus nicht als alter Mann überliefert, sondern als Mann in der Blüte seines Lebens. Dieser Umstand weist zunächst eher in Richtung der Opfersymbolik, die ja auch für das christliche Dogma essenziell ist. Das es weltweit in "unzivilisierten" Kulturen Menschenopfer gegeben hat, um die Götter günstig zu stimmen ist allgemein bekannt. In der Regel handelte es sich dabei um junge erwählte Erwachsene. Darin steckt der Wunsch, etwas sehr Wertvolles zu opfern, einen Hoffnungsträger der Zukunft sozusagen. Jesus Christus: Ein Symbol des erschlagenen Königs? Gelegentlich handelte es sich dabei auch um Kinder, wobei die sexuelle Unberührtheit eine Rolle spielt. Diese Motive vermischen sich gegebenenfalls mit dem Königsmord, allerdings mit dem Unterschied, dass nicht der König, sondern der erstgeborene Sohn 59 des Königs geopfert wird , um den Bestand des Königtums zu sichern. Hier setzt auch das sogenannte Scheinkönigtum an, welches auch hierzulande noch als Echo der römischen Saturnalien nachhallt, wenn zur Fastnacht die Narren symbolisch die Regierungsgeschäfte übernehmen. Das Scheinkönigtum ist eine Regelung mit der Zielsetzung, die Tötung des alten Königs vorzutäuschen. Oft ist es ein zum Tode verurteilter Strafgefangener oder ein Leibeigener, der für eine kurze Zeit sämtliche Privilegien des Königs genießt und der nach Ablauf dieser Frist hingerichtet wird. Freilich sind nicht etwa sämtliche Götter der Welt auf legendäre Königsgestalten zurückzuführen. Gerade die wirkenden Kräfte der Natur, die Vegetation, Berge, die Erde selber, der Himmel, die Gestirne, der Regen, die Hitze, die Jahreszeiten sind in göttlichen Die römische Ceres: Eine typische Figuren verehrt, angefleht, beschworen oder verdammt worden. Es bäuerliche Vegetationsgottheit. entspricht der menschlichen Beobachtungsgabe wie auch der Fähigkeit, verschiedene Dinge in Bezug zueinander zu setzen, um dahinter Grundsätzliches zu erkennen, dass die belebte Natur wie auch der Kosmos mit dem Menschen das Schicksal als Geborener, Lebender und Verstorbener zu teilen scheint. Das Werden und Vergehen der Vegetation, die Aussaht und die Ernte, der Sonnenaufgang und der Sonnenuntergang, der abnehmende und der zunehmende Mond, all diese Erscheinungen scheinen einen Anfang und ein Ende aufzuweisen. Allerdings bleibt auch der Neuanfang nie aus. Der nächste Frühling kommt bestimmt und wir brauchen nur auf den Morgen zu warten. Wenn wir diese Beobachtung des ewigen Kreislaufs der Natur, mit dem Werden und Vergehen eines Menschen in Bezug setzen, dann haben wir eine der wahrscheinlichsten Quellen für die Entstehung der Ideen von der Wiedergeburt oder dem Weiterleben der Verstorbeben in einer anderen Welt lokalisiert. 58 Ich bin sicher, dass dies Crowley so aufgefasst hat. 59 Dieses Motiv erscheint auch in der Bibel in der Gestalt von Isaak auf der seinen einzigen Sohn Jakob opfern soll. (2. Mose 22) Der 6000jährige Falke 33 33 25.10.2008 Die soeben beschriebene Gleichsetzung von menschlichem Schicksal mit dem Kreislauf der Natur hat ganz offenbar die Entwicklungsgeschichte vieler Gottheiten beeinflusst. Denn in ähnlicher Weise wie Werden und Vergehen von Mensch und Natur gleichgesetzt wurden, werden sich legendäre Heldenund Königsgestalten an die Charaktere von Naturgeistern und -Göttern angenähert und schließlich zu neuen Gottheiten vermischt haben. Auf diese weise haben viele Fruchtbarkeits- und Vegetationsgötter die Gestalt von jugendlichen Helden angenommen: Der von einem Eber getötete Adonis, der von Thronneidern ermordete und zerstückelte Zeussohn Dionysos oder auch die in die Unterwelt entführte Persephone. Die Verbindung von Vegetation und Nahrung liegt auf der Hand. Der Umgang mit dem Vegetationsgeist geht nicht selten mit der Verspeisung desselben einher, etwa in der gestalt von Broten oder Kuchen, die in Menschen- oder Tierform dargereicht werden. Setzen wir dies wieder in Bezug zu den Menschenopfern, so mögen in Ritualen der Verspeisung des Gottes das Echo von kannibalistischen Praktiken aus uralter Vergangenheit mitschwingen. Beide Vorstellungen sind fester Bestandteil der christlichen Liturgie geworden. Crowleys Berufung Als Crowley auf seiner Hochzeitsreise in Kairo ankam, hatte er als abtrünniges Golden Dawn-Mitglied die ägyptische Götterwelt weit hinter sich gelassen. Er hatte Der von einem Eber getötete Adonis: Sowohl auf seinen Reisen durch das jugendlicher Held als auch Vegetationsgott. Himalaja, Indien und China den Buddhismus als 60 Alternative zur Religion für sich entdeckt. Mit seinem früheren Meister Samuel Mathers, der einst große Hoffnungen in das junge Talent setzte, hatte er sich überworfen. Völlig unerwartet -so schildert Crowley- offenbarte seine Frau Rose in Kairo ihre seherischen Fähigkeiten. Der ägyptische Gott Horus würde nach ihm verlangen. Rose Kelly hatte nach Crowley befinden nicht die geringste Ahnung von Ägyptologie. Jedoch beantwortete sie alle Fragen nach diesem Gott (die offen gestanden jeden professionellen Ägyptologen amüsieren würden) korrekt. [Bulaq, und Stele 666, muss noch rein] Mit Horusanrufungen, die Crowley seinerzeit im Mathers Orden gelernt hatte, jedoch nunmehr am offenen Fenster vollziehen sollte, führte er schließlich das Diktat des "Buches des Gesetzes" herbei, dass an den drei Tagen vom 8. bis 10. April 1904 jeweils zur Mittagszeit von einer diskarnierten Intelligenz namens Aiwass gegeben wurde. 61 Re-Harachte: Eine Mischung von Re, der Personifikation der Sonne und dem alten Königs- und Lichtgott Horus. Diese Göttergestalt ist eine Kreation der Priesterschaft von Heliopolis. Sie hatte den Zweck, den kosmischen Kult der Sonne, mit dem obersten göttlichen Patron von Ägypten zu verknüpfen. Der Sonnenkult wird mittels dieses Kunstgriffes mit dem Staatskult verbunden. Im Diktat wird Crowley als "ausdrücklich erwählt" und darüber hinaus noch als "Tier 666" angesprochen. Angeblich hatte seine 62 Mutter ihn bereits ironisch "Tier der Apokalypse" genannt. Solcherart Hinweise können jedoch bestenfalls für Crowley persönlich Beweise darstellen. Es lässt sich beispielsweise nicht überprüfen, zu welchen Zeitpunkt Edward Alexander Crowley das Pseudonym Aleister E. Crowley angenommen hat, welches im hebräische Buchstaben transkribiert, den Wert 666 ergeben kann. Dies mag durchaus zu seiner Zeit bei Mathers Orden passiert sein. Auch Mathers hatte seinen Namen mehrfach modifiziert, um eine höhere schottische Herkunft zu suggerieren. Crowley zufolge soll dieses Diktat eine Kontaktaufnahme zu jenen "Geheimen Oberen" darstellen, die Mathers so zielstrebig 60 Der Buddhismus kennt eigentlich keine Götter und fällt -je nachdem wie man den Begriff Religion klassifiziert- deshalb nicht in den Bereich der Religionen. 61 Die Frage ist, wenn dem tatsächlich so ist, ob denn in jedem Fall für alle Zeiten ausschließlich Crowley gemeint ist. 62 Crowleys Eltern waren fromme Angehörige der Plymouth Brethren (zu deutsch: der Brüdergemeinde), einer sehr evangelischen Freikirche. Der 6000jährige Falke 34 34 25.10.2008 gesucht hatte. Dennoch war er zunächst von dem Ergebnis regelrecht angewidert: "Ich widersetzte mich heftig den Prinzipien dieses Buches in fast jedem Punkt, der etwas mit Moral zu tun hat. Das dritte Kapitel erschien mir auf sinnlose Weise scheußlich. Meine Seele, unendlich bekümmert ob des 63 universellen Leids , war leidenschaftlich begierig, die Menschheit zu erheben. Und siehe! Die Magische Formel lehnt Mitleid als verdammenswert ab, verkündete den Krieg als etwas vortreffliches 64 und stand in auch fast jeder Hinsicht im Widerspruch zu meinen eigenen Vorstellungen." Der Gottesname des Re-Harachte in Hieroglyphen: "Re-Heru-Achety". Dieser lässt sich sowohl als "Horus vom Horizont" bzw. "Horus der Horizontische" oder als "Horus der zwei Horitonte " lesen. Crowley vermutete gar eine Aktion seitens Mathers gegen ihn. Mathers hatte eine Obsession für den Gott Mars und alles Militärische. Und Horus der Rächer, der Krieg gegen den Osiris-Mörder Seth und seine Verbündeten führt, wurde von den Griechen mit Ares, also Mars gleichgesetzt. [überprüfen] Es ist bemerkenswert, dass Crowley diese Erwägung nicht mehr weiter verfolgt hat. Denn jener Protagonist des dritten Kapitels des Liber Legis, scheinbar ein ganz spezieller Horus, der sich im Diktat Ra-Hoor-Khuit nennt, lässt sich anhand der Stele eindeutig und anhand der Schreibweise im Diktat annähernd als Re-Heru-Akheti 65 identifizieren. Bekannter ist der Gottesname freilich in gräzisierter Form: Re-Harachte. Der Name Re-Heru-Akheti bedeutet übersetzt: "Horus vom Horizont" oder "Horus im Lichtland". Dies ist ein sehr eindeutiges Symbol der Morgenoder auch der Abendröte. Der von Mathers geführte Orden, dessen Aleister Crowley abtrünnig geworden ist heißt "Golden Dawn". Es ist ganz außerordentlich bemerkenswert, dass soweit keine Zeile von Crowley bekannt ist, die auf den Namen des ReHarachte eingeht. Vielmehr stellt er seine Unkenntnis wiederholt plakativ zur schau, etwa wenn er die Götterfigur auf der Stele folgendermaßen kommentiert: "Es handelt sich nicht um die übliche Form von Horus, sondern um Ra66 Hoor-Khuit." Dabei stellt Ra-Harachte genau jene Form des Horus dar, die den Sonnekult in die Nähe eines Staatskultes rücken sollte, die Horus und Sonne zu einem Symbol verschmolz. Wir dürfen es ihm nachsehen, denn selbst der damalige Leiter der ägyptischen Abteilung des Britischen Museums, E. A. Wallis Budge, verwechselte in seinem 67 Standartwerk "The Gods of The Egyptians" Harmachis mit Harachte. Links die Hieroglyphe für "Ostgebirge" oder auch einfach "Gebirge". Rechts die Hieroglyphe für das Wort "Westgebirge" oder auch "Wüste". Gemeint ist die Libysche Wüste. Sie ist ein Attribut des Gottes Ha, der Gott der Libyer. Beide Hieroglyphen stehen auch synonym für "Osten" und "Westen". Der Westen, "Ament" selber ist wiederum ein Synonym für "Das Reich der Toten". Der Totengott Osiris erscheint daher auch als Einwohner vom Westen, Amenty: "der vom Westen". In der Mitte die Hieroglyphe für "Horizont". Sie wird gebildet aus den Hieroglyphen für "Ostgebirge" und "Sonne". Daher ist es legitim die Hieroglyphe als "aufgehende Sonne" zu verstehen. Man sagt auch: "Horus vom Lichtland". Da Horus ein Lichtgott ist, sagt man auch: "Horus ist im eigenen Haus". Da der Horizont zu den Dingen gehört, die paarweise auftreten, kann der Name des Harachte, dessen Name eigentlich aus grammatikalischen Gründen mit einer Verdoppelung der Horizont-Hieroglyphe eventuell auch als "Horus der zwei Horizonte" gelesen werden. Der Horizont ist ein Ort des Übergangs. namentlich eines Übergangs zwischen Unterwelt und Tag, Jenseits und Dieseits. Was bleibt, ist das Bild zweier Männer, die Spielball Da auch der Tempel ein Ort des Übergangs ist, an dem man der Ereignisse wurden. Mathers wurde quasi um die den Gott einlädt, im Diesseitsanwesend zu sein, kann es Früchte seiner Arbeit gebracht, indem der Kontakt vorkommen, dass auch der Tempel als "Horizont" bezeichnet mit den Geheimen Oberen nicht ihm zuteil wurde. wird. Der "Horus vom Horizont" währe demnach auch der Crowley machte sich gewissermaßen zum Narren, "Horus vom Tempel". indem er versuchte, die abstruse Nachricht, die das Diktat transportierte, im Kontext mit dem Zeitgeschehen zu deuten und daraus eine neue religiös begründete Ethik abzuleiten, während er zeitlebens über die Grundlagen des ägyptischen Denkens und der Anatomie der ägyptischen Religion in Unkenntnis verblieb. Ithel Colquhoun wägt die Wahrscheinlichkeit einer Reise der Eheleute Mathers nach Ägypten [wann] ab, ohne diese Frage abschließend klären zu können. Aus der Sicht der Geheimen Oberen könnte man unken, das sie einerseits der Akribie und der Disziplin eines Mathers bedurften, der eine erste solidere Basis schuf, auf der eine alte Götterwelt wieder gedeihen konnte und andererseits eines Rotzlöffels der Dichtkunst, der eine alte Botschaft als etwas vollkommen Neues in die Welt zu transportieren vermochte. 63 Eine der acht edlen buddhistischen Wahrheiten. [Fakten checken] 64 Crowley: "Confessions", S. 459 [Korrekt zitieren] 65 d.h. ins Griechische Umgewandelte ... 66 Crowley: "Confessions", S. 447 [Korrekt zitieren] 67 Von dessen Benutzung seitens des Museums dringend abgeraten wird. Es erschien im Jahre des Diktates: 1904 Der 6000jährige Falke 35 35 25.10.2008 Crowleys Deutungen [unfertig, lose Sammlung] "Das gekrönte und erobernde Kind Horus", so Crowley, soll die Formel des toten Gottes Osiris, welche er in der Figur des gekreuzigten Jesus verkörpert sieht ablösen. Die beiden Weltkriege des vergangenen Jahrhunderts, welche mit dem dritten Kapitel des Liber Legis zu korrespondieren scheinen, stellen gewissermaßen die Launen, des neugeborenen, egoistischen, unmoralischen und trotzdem in Kontakt zur Wahrheit stehenden Kindes dar. In der Tat muten die Verse des Liber Legis muten auf provozierende Weise anti-christlich an. Die christliche "Sklavenmoral" (um eine vielzitierte Formulierung Nietzsches zu gebrauchen) des Gehorsams gegenüber dem einzigen und wahren Gott, wird mit einem "Tu was Du willst" in einer Welt der Vielgötterei und Götzenverehrung gekontert. Der Keuschheit und der Körperfeindlichkeit des christlichen Klerus, werden die Wonnen körperlicher Liebe gegenübergestellt. Enthaltsamkeit und Bescheidenheit werden mit der Aufforderung zum Anhäufen von Gütern, Genuss und Rausch ... Mitleid und Trauer wird als verachtenswert bewertet. Der christlichen Gebot der Hochachtung auch nur des geringsten der Mitmenschen gegenüber, wird eine zutiefst aristokratische Haltung gegenübergestellt, von der aus vor allem nach unten getreten, auf gleicher Ebene gekämpft oder innig geliebt wird. An die Stelle von der christlichen Vergebung, tritt die gnadenlose Rache des Horus. Dem Gebot "Du sollst nicht töten" steht ein klares "tötet und foltert" gegenüber. Der Vorstellung, dass die Welt und das Leben ein Hort des Leides und der Mensch sündhaft ist, wird ... Existenz ist reine Freude ... (2.22) fürchte nicht, dass ein Gott dich dafür abweisen wird. Hier ist nicht der Raum, sich allzu lange mit den bisherigen Interpretationen aufzuhalten. Sie reichen von klaren Bekenntnissen zu einem das natürliche Recht des Stärkeren beschwörenden Sozialdarwinismus, über Beteuerungen, dass die Brutalität verschiedener Verse lediglich den Schleier des Nichtverstehens darstelle, der (quasi in Fortführung der Tradition der Bibelexegese) durch die "richtige" Interpretation (gegebenenfalls begleitet von Ausübungen verschiedener Praktiken) durchbrochen werden müsse, bis zu Positionen, welche die Möglichkeit eines eigentlichen Verstehens verneinen und dazu tendieren, das Buch zu einer Kombination aus Fetisch und Divinationsmittel reduzieren. Vom Grundtenor her entfernen sie sich jedoch selten von den crowleyanischen Positionen, wie der Verkündung des Eintritts eines neuen Äons des Horus, welches das Äon des Osiris ablöst, das Thelema eine Bewegung oder Religion sei, deren Anhänger sich Thelemiten (Thelemités) nennen, oder auch, dass der Protagonist des dritten Kapitels, eine Form des falkenköpfigen Gottes Horus, die sich Ra-Hoor-Khuit nennt, der Sohn der Protagonisten der Kapitel eins und zwei, Nuit und Hadit sei. Nun sind diese Positionen nicht unproblematisch. Erstens macht das Liber Legis zu diesen Positionen keine eindeutigen Aussagen. Zweitens steht die Theorie der Osiris- und Horus-Zeitalter im Konflikt zu Befunden der Ägyptologie. Der Horusname: Der Horusfalke sitzt auf einer Ansicht und Draufsicht verbindende Darstellung des Königspalastes. In dem von der Draufsicht gebildeten Feld ist der Name des Königs verzeichnet. Die Position des Vogels "auf" dem Gebäude ist Hieroglyphisch als "in dem Palast befindlich" zu lesen. Insgesamt ist das Zeichen als "im Palast wohnender Horus, namens NN" zu verstehen. Der 6000jährige Falke 36 36 25.10.2008 Der große Gott Amun tritt auch als schlangengestaltiger Schöpfergott Amun-Kematef auf. Der Name Kematef bedeutet: "Der seine Zeit hinter sich hat". .... Neben den kosmischen Gottgestalten gibt es einen anderen Typus von Göttern, Klump und Asche Horus Blala .. einen Großteil der Symbolik seines eigenen Offenbarungsbuches zu Klump und Asche gehauen. Übrig blieb das Geplätscher der kabbalistischen Korrespondenzen an der Oberfläche eines tiefen Sees von Geheimnissen, deren Entschlüsselung es wohl tatsächlich einiger Jahrhunderte befürfe. Aber immerhin war die Qualität der Korrespondenzen ausreichend genug, um Crowley von der Überlegenheit des Wissens der Autoren zu beeindrucken. Trash Nüchtern und etwas oberflächlich betrachtet ließe sich vielleicht feststellen, dass hier die Suche nach einer Spiritualität außerhalb der Enge der institutionalisierten Kirchen in fremden Religionen, sowie das vom Verdruss über die materialistische Weltsicht genährte Interesse am Übersinnlichen und die allgemeine Ägypten-Hysterie Hand in Hand gingen, ohne dass man sich endgültig aus der christlichen Heimat verabschieden wollte. Der 6000jährige Falke 37 37 25.10.2008