Neue Influenza A (H1/N1) („Schweinegrippe“) – Relevant für HIV-Infizierte? HIV-im-Dialog 2009 11.09.2009 Dr. Ulrich Marcus, Robert Koch-Institut HIV und neue Influenza A (H1/N1) – Übersicht • Eigenschaften des Erregers • Risiken einer Influenza A (H1/N1) Infektion • Welche Risikofaktoren für einen schweren Krankheitsverlauf sind bekannt? • Was weiss man über InfluenzaKrankheitsverlauf bei HIV-Infizierten? • Medikamenteninteraktionen zwischen ART (HIV) und AVT (Influenza-Virus) • Nebenwirkungen antiviraler Medikamente gegen Influenza-Viren • Wirksamkeit einer Influenza-Impfung bei HIVInfizierten HIV und neue Influenza A (H1/N1) Übersicht • Auswirkungen einer Influenza auf HI-Viruslast • Verhaltenspräventive Maßnahmen zum Schutz vor Influenza-Transmission • Chemoprophylaxe einer Influenza-Virusinfektion • Wirksamkeit antiviraler Therapie mit NeuraminidaseInhibitoren • Influenza-Erkrankungsdauer, Dauer der Virusausscheidung, Resistenzentwicklung • Wann sollte ein Arzt konsultiert werden? • Sonstige Probleme, die im Rahmen einer InfluenzaPandemie auftreten könnten • Welche Aussagekraft haben die epidemiologischen Zahlen? Eigenschaften des Erregers (I) • Influenza A-Viren vom Typ H1N1 werden seit Jahrzehnten während der normalen Saison auf der Nordhalbkugel beobachtet. • Gegen den „neuen Typ“ sind „jüngere“ Menschen immunologisch naiv. • Auch mehrere frühere Impfungen, bei denen stets ein A-Typ H1N1 im Impfstoff enthalten war, haben keine Kreuzprotektion erzeugt Eigenschaften des Erregers (II) •Influenzaviren „überleben“ im Wasser Wochen, auf unbelebter Oberfläche Stunden bis Tage (Geldscheine) und auf der Haut Minuten • Mundschleimhaut ist weniger empfänglich für eine Infektion als Nasen- und Bronchialschleimhaut • Kleine Tröpfchen (beim Sprechen) werden tiefer inhaliert als große • Speichel enthält weniger Viren als Nasen-Rachen-Sekrete • Lediglich Influenzaviren aviären Ursprungs infizieren den Gastrointestinaltrakt Mandell GL, Bennett JE, Dolin R. Infectious Diseases 6th Ed 2 Bände, garantiert mehr als 8 kg • Jeffrey Taubenberger: „Das Influenzavirus ist sehr empfindlich. Bei Raumtemperatur ist es nach einer Stunde tot“ Gina Kolata. Influenza S. Fischer 2001, S. 268 Eigenschaften des Erregers (III) • Das Hämagglutin humanpathogener Influenza A-Viren benötigt zur Anheftung an eine Wirtszelle ein Enzym, dass es so nur am Epithel der Atemwege (beim Menschen) gibt • Der Hauptübertragungsweg für Influenza sind Tröpfchen > 5 µm. • Auch eine Übertragung durch „Tröpfchenkerne“ ist möglich und durch experimentelle Studien belegt. • Infektionen durch Kontakte mit belebten und unbelebten Flächen wird postuliert; die Häufigkeit dieses Übertragungsweges ist aber nicht zu quantifizieren. Risiken einer Influenza A (H1/N1) Infektion • Normaler Verlauf wie bei saisonaler Influenza • Plötzlicher Beginn mit Fieber und Gliederschmerzen, Atemwegssymptomatik (Husten, Schnupfen) • Schwere Krankheitsverläufe: virale/ bakterielle Lungenentzündung u. a. durch Hämophilus influenzae mit Beatmungspflicht (Intensivstation), Herz-/Kreislaufversagen Risikofaktoren für einen schweren Krankheitsverlauf • • • • Schwangerschaft Asthma Übergewicht Chronische Erkrankungen der Lunge, des Herzens, der Niere, der Leber • Bei Kindern: neurologische/ZNSEntwicklungsstörungen • Chemotherapie bei malignen Erkrankungen • Immunsuppression Influenza-Erkrankungsdauer, Dauer der Virusausscheidung, Resistenzentwicklung • Inkubationszeit (zwischen Infektion und Symptombeginn): 2-5 Tage • Erkrankungsdauer nach Symptombeginn: ca. 5-7 Tage • Virusausscheidung bei immundefizienten Patienten evtl. verlängert Wann sollte ein Arzt konsultiert werden? • Fieber • Schweres Krankheitsgefühl • Husten, Schnupfen (Rhinorrhoe) • Kopf- und Gliederschmerzen (Vorgenannte Symptome werden als influenzalike illness – ILI – beschrieben) Andere Symptome können sein: • Atemnot • Erbrechen • Verwirrtheit, Sehstörungen, Krämpfe • Unregelmäßiger Puls, Brustschmerzen • Blutiges Sputum Influenza-Krankheitsverlauf bei HIV-Infizierten • Bisher keine Berichte über außergewöhnlich schwere Krankheitsverläufe bei HIVInfizierten • Evtl. längere Ausscheidungsdauer von Influenza-Viren • Evtl. höheres Risiko für schwere Krankheitsverläufe bei nicht ARTbehandelten immunsupprimierten HIVInfizierten Medikamenteninteraktionen zwischen ART (HIV) und AVT (Influenza-Virus) • Potentielle Interaktionsmöglichkeit zwischen Oseltamivir (Tamiflu) und PIs (Neurotoxizität?) • Potentielle Interaktionsmöglichkeit zwischen Rimantadine und PIs+NNRTIs+FIs+IntInh (Leberverstoffwechslung) • Keine Interaktionen mit Zanamivir • Potentielle Interaktionsmöglichkeit zwischen Tenofovir, FTC, 3TC und Oseltamivir und Amantadin (Ausscheidung über Niere) Nebenwirkungen antiviraler Medikamente gegen Influenza-Viren • Oseltamivir (Tamiflu) – Übelkeit, ggf. mit Erbrechen – Bauchschmerzen – Kopfschmerzen Wirksamkeit einer Influenza-Impfung bei HIV-Infizierten • Impferfolg möglicherweise vermindert bei HIV-Infizierten ohne ART/ mit schlechten CD4-Werten Weitere prophylaktische Möglichkeiten • Pneumokokkenimpfung (ohnehin empfohlen bei HIV-Grunderkrankung) zur Verminderung der Komplikationsrate durch bakterielle Lungenentzündung ?(Wirksamkeit umstritten!) Schutzimpfung gegen saisonale und „neue“ Influenza • Es handelt sich um Totimpfstoffe, die wahrscheinlich gleichzeitig aber auch getrennt gegeben werden können. • Der Pandemieimpfstoff enthält weniger Antigen, dafür aber ein (bekanntes (!) Adjuvanz. • Er erzeugt sicherlich mehr Lokalreaktionen und muss 2 Mal gegeben werden. • Die Durchführung der Impfungen – wer kommt zuerst? – wird durch die Länder festgelegt. Auswirkungen einer Influenza auf HI-Viruslast • Eine akute Influenza kann bei HIVInfizierten ohne ART/ mit instabiler ART zu einem Anstieg der HI-Viruslast führen (erhöhtes HIVTransmissionsrisiko?) Verhaltenspräventive Maßnahmen zum Schutz vor Influenza-Transmission • Vermeiden von Menschenansammlungen • Reduktion intimer Kontakte zu unbekannten Personen • Häufiges Händewaschen • Vermeiden Hand- Mund-/Nase-Kontakt • Niesen in Armbeuge statt in die Hand • Mundschutz • Kontaktminimierung bei Erkrankung (ca. 1 Woche) Zwei Dauerbrenner: Atemschutz für alle? – Händedesinfektionsmittel für alle? Atemschutz = Mund-Nasen-Schutz? • Die Wirksamkeit von Atemschutzmasken ist nicht eindeutig belegt. • Mund-Nasen-Schutz dient nicht dem Träger sondern dem Gegenüber. • Wer sich schützen möchte, sollte eine FFPMaske tragen. Das ist richtig anstrengend. Händedesinfektionsmittel • Internetportal wir-gegen-viren • Die Reduktion von Influenzaviren durch Händewaschen, ist ebenso gut wie Händedesinfektion • Richtige Händedesinfektion muss erlernt sein. • Das Propagieren der Verwendung von Desinfektionsmitteln lenkt von wichtigeren Maßnahmen (z. B. Hustenetiquette) ab. • Es wird über Lieferschwierigkeiten der Mittel berichtet. Chemoprophylaxe einer InfluenzaVirusinfektion • Möglichkeit der prophylaktischen Oseltamivir-Gabe nach engem Kontakt mit einer Influenza-erkrankten Person • Ggf. indiziert bei CD4-Werten <200 oder anderen/ zusätzlichen Risikofaktoren • Gefahr der Resistenzentwicklung Wirksamkeit antiviraler Therapie mit Neuraminidase-Inhibitoren • Studien zur Wirksamkeit von Oseltamivir / Zanamivir bei saisonaler Influenza zeigen ein um einen halben (0,5) bis dreiviertel (0,7) Tag früheres Ende der Symptome • Die Wirksamkeit ist höher, wenn früher mit einer Therapie begonnen wird (<12 h) Sonstige Probleme, die im Rahmen einer Influenza-Pandemie auftreten könnten • Störungen der med. Versorgung durch Überlastung von Krankenhäusern/ Intensivstationen/ Praxen • Störung bei der kontinuierlichen Medikamentenversorgung (ART) • Fehldiagnosen anderer schwerwiegender Erkrankungen (z.B. PcP, akute HIV-Infektion) Aussagekraft epidemiologischer Zahlen • Nur ein Teil der tatsächlichen Erkrankungen wird diagnostiziert und gemeldet • Keine Einzelfallmeldungen und Einzelfalldiagnostik mehr bei großen Fallzahlen • Beispiel UK: – 18.08.09 kumulativ gemeldet 12.903 Fälle – geschätzte Zahl von 100.000 Neuinfektionen /Woche Mitte Juli Beispiel Australien • Bevölkerung 21 Mio. • Offiziell bis Ende Juli 28.000 bestätigte Fälle • 95 (bestätigte) Todesfälle, Altersmittel 51 Jahre (vs. 83 bei saisonaler Influenza) • Geschätzt 1.000 Influenza-bedingte Todesfälle vs. 1.500 – 3.000 bei normaler saisonaler Influenza • 3.300 Krankenhauseinweisungen • Zum Vergleich: „Spanische Grippe“ 1918/19 mit 15.000 Todesfällen auf 6 Mio. Einwohner Beispiel Neuseeland • Bevölkerung 4,14 Mio. • Geschätzt 325.000 symptomatische Erkrankungen bis Mitte August; gemeldete Fälle 3.200, • Zahl der hospitalisierten Fälle 972 • 114 intensivstationspflichtige Fälle (am Peak der Welle ca. 25% der Intensivbetten) • 16 (bestätigte) Todesfälle Bisheriger Verlauf in Deutschland Verteilung gemeldeter Fälle Influenza A/H1N1, pro Meldewoche (28.-35.) nach wahrscheinlichem Infektionsort, Deutschland Stand 2. September 2009, N=16261 Fälle 100% Unbekannt Afrika Asien Australien/Ozeanien Nord- & Südamerika Sonst. Europa Spanien autochthon 80% 60% 40% 20% 0% 28 29 30 31 32 Meldewoche 33 34 35 Bisheriger Verlauf in Deutschland Gemeldete Fälle Influenza A/H1N1, pro Meldewoche nach Bundesland, Deutschland Stand 2. September 2009, N=16261 Fälle 4000 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 Thüringen Schleswig-Holstein Sachsen-Anhalt Sachsen Saarland Rheinland-Pfalz Nordrhein-Westfalen Niedersachsen Mecklenburg-Vorpommern Hessen Hamburg Bremen Brandenburg Berlin Bayern Baden-Württemberg 0 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 Meldewoche 28 29 30 31 32 33 34 35