File - Ronald D. Gerste

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Reiseblatt
FRANKFU RT ER A L LG EM E I NE Z E I TU NG
Cappuccino in der Kunstwelt
Die Pariser Museen sind schön. Doch
ihre Cafés sind noch schöner: Ein
Streifzug mit Eiffelturmblick. Seite 2
Waffenstillstand in der Wildnis
Der Mensch will leben, das Wildtier
auch: Kenia sucht einen Ausweg aus
dem Dilemma – und findet ihn. Seite 3
N R. 3 4 · S E I T E R 1
DON N E RS TAG , 1 0 . F E B RUA R 2 011
Trauerhühner im Topf
Lyon sieht sich selbst als Welthauptstadt
der Feinschmecker. Doch die Küche der
Arbeiter hält es auch in Ehren. Seite 5
Wehmut in der Wüste
Menschliche Maschinen: Werner
Bartsch fotografiert Flugzeugfriedhöfe in Amerika. Seite 8
Der ewige Schmerz des Bruderkampfes
weisen. Noch heute, so hat man den Eindruck, drängen mancherorts weiße Südstaatler gern das Sklavereiproblem in den
Hintergrund, vor allem republikanische
Politiker mit Tea-Party-Neigung. Sie
beschwören irgendwelche hehren Ehrund Traditionsvorstellungen der Southern Gentlemen, die hoch zu Roß auf ihren Monumenten etwa in der konföderierten Hauptstadt Richmond stehen, während daheim auf den Plantagen der Generäle schwarze Amerikaner unter der Knute der Aufseher die konföderierte Wirtschaft in Gang halten mussten. In Orten
wie Charleston, tief im Süden, mag man
gelegentlich auch Bezeichnungen für den
Konflikt hören, die eine Umdrehung der
Schuldfrage bedeuten, wie „The War of
Southern Independence“ oder gar „The
War against Northern Aggression“.
Wer die Schauplätze des Bürgerkrieges
erkunden will, steht vor der Herausforderung, das Relevante vom Anekdotenhaften zu trennen. So hat auch der weit
vom Geschehen entfernte NeuenglandStaat Vermont einen Veranstaltungsreigen, doch ist sein Beitrag zur Chronik des
Civil War eher ein bescheidener: Aus Kanada kommend, überfielen konföderierte
Agenten eine Bank in der Stadt St. Albans
und gaben damit ein frühes Beispiel für
den heute so viel zitierten hausgemachten Terrorismus. Ergiebiger ist eine Bootsfahrt im Hafen von Charleston in South
Carolina.
Vor hundertfünfzig
Jahren begann der
amerikanische Bürgerkrieg. Daran erinnert
das Land mit einer Flut
von Veranstaltungen –
und kann dabei nicht
verleugnen, dass der
Krieg immer noch ein
Trauma ist.
Von Ronald D. Gerste
enn sich frühmorgens, lange
bevor die ersten Touristen
und die ersten Schulbusse eintreffen, die Nebelschwaden
allmählich über der weiten Ebene zu lichten beginnen und die Ruhe nur durch das
Krächzen der Raben unterbrochen wird,
kommt man dem Mysterium der Stätte so
nahe wie kaum sonst im Tageslauf. Fast
ist es dann, als vernähme man den dumpfen Marschtritt wie ein fernes Donnergrollen über dieser Farmlandschaft im Süden
Pennsylvanias. Dann löste sich aus dem
Schatten der Baumreihen etwas, was den
hier Lauernden, Wartenden wie eine einzige Gestalt erschien. Schemenhaft nahm
man es wahr, erkannte erst allmählich,
dass es nicht ein einzelnes Wesen war,
sondern eine sich langsam vorwärtsbewegende Wand, bestehend aus zwölftausend
Männern in grauer Uniform. Die Wartenden überkam ein Schauder – das gewaltige, aus so vielen Einzelnen bestehende
Monster erstreckte sich über fast zwei Kilometer Länge und kam langsam auf sie
zu. Doch der Schauder galt nicht nur der
Sorge um das eigene Wohl angesichts dieser feindlichen Front, sondern beruhte
auch auf einer Art Mitgefühl, einem Entsetzen über das Schicksal, das diese Feinde, die doch gleichzeitig auch Landsleute
waren, erwartete.
Denn auch heute noch ist dieses Feld
offen und weit, ohne Deckung, und aus
den Kanonen ergoss sich ein erbarmungsloser Geschosshagel auf die Vorrückenden. Dann gingen die Unionssoldaten
hinter den in der Nacht aufgeworfenen
Schanzen in Stellung und begannen zu
feuern. Sie rissen Lücken in das Monster,
doch die Grauen marschierten weiter, unerschrocken seinem Untergang entgegen. An einer kleinen Baumgruppe
brach sich der Angriff. Hier fielen jene,
die das Bombardement in dem scheinbar
eine Ewigkeit dauernden Vormarsch
überlebt hatten, im Nahkampf mit den
Soldaten in Blau. Dann schleppte sich
das Monster, längst nur noch aus einzelnen erschöpften, traumatisierten Individuen bestehend, zurück, vorbei an den
Toten und den nach Hilfe, nach Wasser
oder nach Gott schreienden Kameraden.
Es war vorbei.
Auf diesem Feld entschied sich das
Schicksal eines Staatswesens, das von keinem Land der Welt als solches anerkannt
war. Niemals zuvor und niemals danach
waren die Konföderierten Staaten von
Amerika so nah am Sieg und damit an ihrer Souveränität wie an diesem Punkt, an
dem die Spitze einer legendären Angriffswelle bis auf wenige Meter an die Unionslinien herankam, um dann zurückzufluten, sich nie wieder zu einer solchen
Macht, zu einer solchen Bedrohung für
den Fortbestand der Vereinigten Staaten
von Amerika zu erheben. Der Angriff der
zwölftausend am 3. Juli 1863 bei Gettysburg war der Höhe- und Wendepunkt
nicht nur der berühmtesten Schlacht des
W
itten in dessen Einfahrt liegt
auf einer kleinen Insel Fort
Sumter. Dieser Name elektrisierte einst die Nation, als
über die Telegrafendrähte im Norden gemeldet wurde, dass die „Rebellen“ das
von Bundeseinheiten gehaltene Fort am
12. April 1861 beschossen. Es war der Beginn des Bürgerkrieges und gemessen am
riesigen Blutopfer des Konflikts mit sechshundertzwanzigtausend Toten ein höchst
untypisches Ereignis. Lediglich ein Pferd
– auf Seiten des Südens – kam bei
dem mehr als vierundzwanzigstündigen
Schusswechsel ums Leben, bevor Festungskommandant Major Robert Anderson das Sternenbanner einzog.
Der Bürgerkrieg war zweifellos ein
großer Innovator und wird gern als
erster moderner Krieg bezeichnet. Die
zentrale Ausstellung in den National Archives in Washington erzählt von nie dagewesener Massenmobilisierung und von
einer ungeahnten Expansion des Staates.
Die Bundesregierung schwoll von einer
Handvoll Buchhalter in den wenigen Ministerien zu einem wahren Moloch an.
Und keine andere Stadt machte eine solche Veränderung wie Washington durch,
das vom verschlafenen Nest an den Sümpfen des Potomac zu einer wahren Regierungsmetropole heranwuchs; der Zweite
Weltkrieg bewirkte einen ähnlichen
Schub mit der Konstruktion des Pentagons als sichtbarstem Symbol. Zu den
technologischen Neuerungen gehörten
die Nutzung der Eisenbahn zur Verlegung Zehntausender Soldaten binnen
kürzester Zeit, die Luftaufklärung per
Ballon – allerdings hatten schon Napoleons Truppe diese eingesetzt – und vor
allem das Panzerschiff.
Das Gefecht zwischen der „Monitor“
der Union und der „Merrimac/Virginia“
der Konföderierten vor Hampton Roads
in Virginia am 9. März 1862 erschien den
Zeitgenossen wie der Kampf mythologischer Giganten: Die beiden vollständig
mit Panzerplatten bedeckten Schiffe, die
kaum über die Wasserlinie hinausragten,
beschossen sich vier Stunden lang, ohne
sich gegenseitig ernsthaft beschädigen zu
können – ein klassisches strategisches
Patt. Am Tag zuvor erst hatte die „Virgi-
M
Ein Krieg, der nur Verlierer kannte: stumme Zeugen des Brudermordens auf dem Schlachtfeld von Gettysburg
amerikanischen Bürgerkrieges, sondern
des Bruderkampfes an sich. Als „Pickett’s
Charge“ wird er hier in den Museen und
auf den Orientierungstafeln des großflächigen National Battlefield Park ebenso
wie in den Geschichtsbüchern bezeichnet, doch eigentlich hätte der vergebliche
Opfergang „Lee’s Charge“ heißen müssen. General Robert E. Lee aber, der
Oberkommandierende des Südens, der
Konföderierten, ist nach wie vor eine verklärte Gestalt, dem man so viel Falsches
und Sinnloses nicht zutraut. Dass das Massaker den Namen seines untergebenen
Generals trägt, hat dieser, George Pickett,
seinem Chef nie verziehen.
„Pickett’s Charge“ ist das dramatischste
Geschehen jener drei Tage im Juli 1863,
als Gettysburg ins Zentrum des Krieges
rückte. Der kleine Ort, dessen Innenstadt
sich seither kaum verändert hat, lebt dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr vom
Bürgerkrieg. Er ist eine pittoreske Ansammlung von Museen unterschiedlicher
Qualität, von Galerien mit CivilWar-Gemälden und der beste Orientierungspunkt
bei der Erkundung des Nationalparks. Gut
markierte Routen führen zu all jenen
Punkten, die für Bürgerkriegsenthusiasten
einen mythischen Klang haben, wie Devil’s Den, Litte Round Top, the Wheatfield
und natürlich das weite Feld, über das Picketts Männer in ihr Verderben marschierten. Der Geschichtspark ist gleichzeitig
ein reizvolles Naturschutzgebiet, das sich
erwandern oder mit dem Fahrrad erschließen lässt. Erst vor zwei Jahren hat sich
Gettysburg ein modernes Visitors Center
mit allerlei interaktiver Didaktik und zwei
Kinos gegönnt, in dem die Bedeutung der
Geschehnisse für das Wohl und Wehe der
amerikanischen Nation erklärt wird. Ein
weiteres Bauprojekt allerdings erhitzt seit
Monaten die Gemüter: Ein Kasino soll erbaut werden, um mehr Besucher nach Gettysburg zu bringen. Für geschichtsbewusste Amerikaner ist es ein Sakrileg, eine
Glücksspielstätte auf den Boden zu setzen, der vom Blut der Blauen und der
Grauen geweiht wurde. Die Gettysburger
sind nicht so einhellig gegen das Mini-LasVegas hinter den einstigen Unionslinien.
Die hohe Arbeitslosigkeit der Region lässt
die Menschen wenig wählerisch werden.
inen konjunkturellen Stimulus erhofft man sich in Gettysburg und
in zahlreichen anderen Orten, die
im Bürgerkrieg eine Rolle spielten oder sonst eine Beziehung zu dieser
großen Krise der amerikanischen Geschichte haben, vom Sesquicentennial,
dem Hundertfünfzig-Jahre-Jubiläum des
Bruderkampfes, das jetzt als große nationale Fest- und Gedächtnisveranstaltung
eingeläutet wird. Mit Ausstellungen und
den in Amerika so beliebten Re-Enactments der wichtigsten Schlachten sowie einer kaum überschaubaren Flut von Veranstaltungen wird dieses Ereignisses gedacht – und fast überall erhofft man sich
eine Belebung des Tourismus durch amerikanische und ausländische Geschichts-
E
fans. Selbst die Fremdenverkehrsämter,
die notorisch knapp bei Kasse sind, investieren momentan in Bürgerkriegsreklame.
Wie lange man das durchhält, bleibt abzuwarten. Der Konflikt dauerte immerhin vier Jahre, für Dauergedenken und
Freilichtinszenierungen ein langer Zeitraum. Doch wie vor hundertfünfzig Jahren gilt: Am Anfang ist die Spannung am
größten. Jubiläumsdaten hat man reichlich: Im Winter 1860/61 musste der neugewählte, aber noch nicht vereidigte Präsident Abraham Lincoln zusehen, wie die
Nation auseinanderbrach. Am 20. Dezember 1860 fiel South Carolina als erster
Staat von der Union ab, andere Staaten
des Südens, denen die Wahl Lincolns eine
Bedrohung jener Institution schien, auf
der ihre Wirtschaftskraft beruhte, der
Foto Ronald D. Gerste
Sklaverei, folgten in den nächsten Wochen. Im April kann man den Jahrestag
der ersten Schüsse begehen, die bei Fort
Sumter in South Carolina fielen, im Juli
den der ersten größeren Schlacht, bei Manassas. Danach reiht sich Jubiläum an Jubiläum – das erste Gefecht zwischen zwei
Panzerschiffen im März 1862, die Emanzipationsproklamation Lincolns am 1. Januar 1863, die unzähligen Schlachten an der
Hauptfront in Virginia und Pennsylvania
ebenso wie in Kentucky, Mississippi und
Alabama.
Deutlich wird eines bei dem Reigen:
Der Bürgerkrieg ist ein in der amerikanischen Seele nach wie vor sehr lebendiges
Trauma mit unterschiedlichen, oft zum
Politikum ausartenden Interpretationen
und teilweise höchst eigenwilligen Sicht-
Das blutigste Kapitel in der amerikanischen Geschichte
쐽 Information: Ein unerschöpflicher Rat-
geber ist die Website www.civilwartraveler.com. Hier werden alle zum Bürgerkrieg gehörenden Sehenswürdigkeiten
und Veranstaltungen der kommenden
Monate und Jahre beschrieben.
쐽 Schauplätze des Bürgerkriegs: Im
Internet gibt es auch gesonderte Informationen über alle relevanten Orte wie
Gettysburg (www.gettysburg.com), Fort
Sumter (www.nps. gov/fosu/), USS
Monitor Center/Mariners’ Museum
(www.marinersmuseum.org), CSS Hunley
(www.hunley.org), Antietam National
Battlefield (www.nps.gov/anti), Ford’s
Theatre (www.fordstheatre.org) und
Abraham Lincoln Presidential Library and
Museum (www.alplm.org).
쐽 National Archives, Washington:
Die Ausstellung „Discovering the Civil
War: Consequences“ läuft noch bis zum
17. April (www.archives.gov).
Fortsetzung auf Seite 3
Ich interessiere mich für die Reise
Grand Tour Deluxe im Süden Afrikas.
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