1 Zahlen 1.1 Natürliche Zahlen Über natürliche Zahlen N = {1, 2, 3, . . . } (1.1.1) kann man viel berichten, wir setzen diese trotz allem sowohl konzeptionell als auch inhaltlich voraus1 und beschäftigen uns mit weiterführenden Zahlkonzepten. Die natürlichen Zahlen hat der liebe Gott gemacht, alles andere ist Menschenwerk. (Leopold Kronecker) 1.2 Zahl und Maß Die natürlichen Zahlen treten natürlich beim Zählen von Objekten auf. Ein neuartiger und von den natürlichen Zahlen abweichender Zahlbegri↵ tritt auf, wenn man statt (zählbarer) Entitäten geometrische Objekte in ihrer Größe vergleichen will. Damit verbundene Probleme sind typisch für die Mathematik der griechischen Antike. Wir müssen dazu etwas ausholen und einen Exkurs zur Geometrie unternehmen. Unser Ziel ist es, die Länge einer Strecke im Vergleich zu einer gegebenen Strecke (einer Längeneinheit) zu bestimmen. Dazu nutzen wir • ein Lineal, welches es uns erlaubt durch zwei gegebene Punkte eine Gerade zu zeichnen; • einen Zirkel, der es uns nur erlaubt Längen zu übertragen; sowie zum wirklichen messen eine vorgegebene Referenzstrecke. Wir nehmen an, dass Punkte und Geraden Objekte der ebenen Euklidischen Geometrie sind. Andere Geometrien waren den Griechen der Antike auch nicht bekannt... 1 Zu bemerken ist allerdings, dass natürliche Zahlen in zwei Konzepten auftreten. Sie sind einerseits Ordinalzahlen und beschreiben als solche die Anordnung von Objekten. Verstanden als Ordinalzahlen beginnen die natürlichen Zahlen bei Eins und das ist die Konvention der wir hier folgen werden. sowie andererseits Kardinalzahlen und beschreiben in dieser Eigenschaft Anzahlen von Objekten. Verstanden als Kardinalzahlen ist es natürlich, die natürlichen Zahlen bei Null beginnen zu lassen. 7 1 Zahlen Die erlaubten Operationen beschränken sich damit auf (1) das Zeichnen eines beliebigen Punktes; (2) das Zeichnen einer Geraden durch zwei gegebene Punkte; (3) das Bestimmen des Schnittpunktes zweier gegebener Geraden (so existent); (4) das Aufnehmen des Abstandes zweier Punkte in den Zirkel und Abtragen des Abstands von einem gegebenen Punkt einer Geraden in eine vorgegebene (durch ein Punktepaar bestimmte) Richtung; (5) das Feststellen, dass zwei Punkte übereinstimmen. (6) das Feststellen, ob ein Punkt auf einer Geraden zwischen zwei anderen Punkten liegt. Das ist im Gegensatz zu sonst üblichen Konstruktionen mit Zirkel und Lineal eine eingeschränkte Nutzbarkeit des Zirkels. Für unser Messproblem ist sie allerdings ausreichend. Für Konstruktionen nutzt man einen besseren Zirkel. Dieser kann zusätzlich (7) um einen gegebenen Punkt einen Kreis mit einem vorher aufgenommenen Abstand als Radius zeichnen; (8) die Schnittpunkte des Kreises mit schon vorher gezeichneten Kreisen oder Geraden (so existent) bestimmen. Man beachte, dass das ideale Lineal sehr mächtig ist. Es kann insbesondere zu zwei gegebenen Geraden (also zwei Punktepaaren) bestimmen, ob sich die beiden Geraden schneiden oder ob sie parallel sind. Ebenso ist der Zirkel mächtig, er kann bestimmen ob eine Gerade weiter als der aufgenommene Abstand von einem Punkt entfernt ist. Alle diese Operationen sind nicht als näherungsweise ausgeführt sondern als exakt zu verstehen. Im folgenden bezeichne P die Menge der Punkte der Ebene. Unter einer Strecke verstehen wir ein Paar von Punkten. Die Gesamtheit aller Strecken sei mit S bezeichnet, es gilt also S = {A, B} : A, B 2 P, A 6= B , (1.2.1) manchmal sollten Strecken orientiert sein, dann nutzt man alternativ So = (A, B) : A, B 2 P, A 6= B . (1.2.2) Durch vergessen der Orientierung kann man Elementen von So Elemente aus S zuordnen. Weiter nennen wir zwei Strecken a 2 S und b 2 S kongruent, in Zeichen a ' b, wenn sie mit dem Zirkel aufeinander abtragbar, also von gleicher Länge, sind. Kongruenz von Strecken ist eine Äquivalenzrelation auf S. O↵enbar gilt stets a ' a. Weiterhin ist die Symmetrie der Relation a'b gilt genau dann, wenn b'a (1.2.3) eine direkte Folgerung aus der Symmetrie des Zirkels (also den beiden ununterscheidbaren Spitzen des Zirkels). Ebenso ist die Transitivität der Relation a'b und b'c impliziert a'c (1.2.4) konstruktionsbedingt klar. Wir können Operationen für Strecken definieren. Dazu verwenden wir zuerst orientierte Strecken und definieren zu a 2 So und b 2 So ihre Summe a + b als diejenige (orientierte) Strecke, die entsteht, wenn man die im Zirkel aufgenommene Strecke b auf der durch a bestimmten Geraden über den Endpunkt hinaus abträgt. 8 1.2 Zahl und Maß Proposition 1.2.1. Für a, b 2 So gilt a + b ' b + a. (1.2.5) Motivation und Beweis. Für einen Beweis siehe nachfolgendes Bild. Die Strecken a und b sind dazu parallel gewählt, sich entsprechende Dreiecke sind aufgrund einer übereinstimmenden Seite und gleicher Winkel kongruent. Proposition 1.2.2. Seien a, b, c 2 So und gelte a ' b. Dann folgt a + c ' b + c. Proposition 1.2.3. Seien a, b, c 2 So gilt a + (b + c) ' (a + b) + c. Weiter sei zu einer Strecke a 2 So und einer natürlichen Zahl n durch n·a 2 So die Strecke, die durch n-faches Abtragen ihrer Länge auf der durch die Strecke verlaufenden Geraden entsteht, bezeichnet. Es gilt also 1 · a := a, (n + 1) · a := n · a + a. (1.2.6) Wie zu erwarten gilt dann Proposition 1.2.4. Seien a, b 2 So und n 2 N. Dann gilt n · (a + b) ' n · a + n · b. Beweis. Wir zeigen dies per Induktion über n. Für n = 1 gilt o↵enbar a + b ' a + b. Für den Induktionsschritt nehmen wir an, für ein n 2 N sei n · (a + b) ' n · a + n · b (1.2.7) gezeigt. Dann gilt nach Definition und Proposition 1.2.2 (n + 1) · (a + b) ' n · (a + b) + a + b ' n · a + n · b + a + b ' (n + 1) · a + (n + 1) · b (1.2.8) und die Behauptung folgt per Induktion. 9 1 Zahlen Das Rechnen mit natürlichen Zahlen überträgt sich auf Strecken, es gilt Proposition 1.2.5. Für a, b 2 So und m, n 2 N gilt m · a + n · a ' (m + n) · a ' n · a + m · a, (1.2.9) m · (n · a) ' (mn) · a ' n · (m · a). (1.2.10) sowie Beweis.2 Wir beginnen mit der Addition. Da wir nach Proposition 1.2.1 schon m · a + n · a ' n · a + m · a wissen, genügt es, die erste der Identitäten zu zeigen. Da die Strecke n · a für a 2 So und n 2 N rekursiv definiert ist, bietet sich hier ein Induktionsbeweis an. Wir führen Induktion über n, der Induktionsanfang ist durch die Aussage m · a + a ' (m + 1) · a (1.2.11) gegeben, diese entspricht der Definition. Sei nun weiter schon für ein n m · a + n · a ' (m + n) · a (1.2.12) gezeigt. Dann gilt nach Definition und Proposition 1.2.2 und 1.2.3 m · a + (n + 1) · a ' m · a + n · a + a ' (m + n) · a + a ' (m + n + 1) · a (1.2.13) und die Behauptung folgt per Induktion. Für die Multiplikation und die erste Identität nutzen wir Induktion über m. Als Induktionsanfang haben wir für m = 1 1 · (n · a) ' (1n) · a = n · a ' n · (1 · a) (1.2.14) nach Definition von 1 · a := a. Nehmen wir also an, die Identität gelte für ein m, m · (n · a) ' (mn) · a ' n · (m · a). (1.2.15) Dann folgt (m + 1) · (n · a) ' m · (n · a) + (n · a) ' (mn) · a + n · a ' (mn + n) · a ' ((m + 1)n) · a (1.2.16) sowie analog mit Proposition 1.2.4 n·((m+1)·a) ' n·(m·a+a) ' n·(m·a)+n·a ' (nm)·a+n·a ' (nm+n)·a ' (n(m+1))·a. (1.2.17) Wiederum folgt die Behauptung per Induktion. Statt auf So und mit der dort wohldefinierten Addition von Strecken rechnen wir im folgenden mit Äquivalenzklassen modulo '. Da die Äquivalenzklassen von So modulo ' und die entsprechenden Klassen von S modulo ' übereinstimmen, betrachten wir auch wieder nichtorientierte Strecken aus S und rechnen mit diesen.3 2 3 Die Beweise sind zur Vollständigkeit mit angegeben. Wem das zu abenteuerlich klingt, der nutze auch weiter orientierte Strecken. Das Ergebnis wird dasselbe sein. 10 1.2 Zahl und Maß Definition 1.2.6 (Euklid). Zwei Strecken a, b 2 S heißen kommensurabel , falls es eine weitere Strecke c 2 S (die gemeinsame Einheit) und natürliche Zahlen m, n 2 N mit a'm·c und b'n·c (1.2.18) gibt. Es stellen sich zwei Fragen: (1) Wie entscheidet man, ob zu gegebenen a, b 2 S eine solche Strecke c 2 S und entsprechende Zahlen m, n 2 N gibt? (2) Wie findet man dann die gemeinsame Einheit c 2 S und die Zahlen m, n 2 N? Zumindest auf die zweite Frage gibt es eine einfache algorithmische Antwort. Dazu eine weitere Definition. Sind a, b 2 S zwei Strecken so gilt entweder a ' b oder eine der Strecken ist kürzer. Wir sagen a b wenn a beim Abtragen in b (vom Anfangspunkt aus) im Inneren von b endet. Weiter sagen wir a b, falls b a. In diesem Fall endet das Abtragen von a in b (vom Anfangspunkt aus) außerhalb b. Damit kommen wir zum Algorithmus von Euklid : Gegeben seien zwei Strecken a1 , b1 2 S. (S1) Gilt a1 ' b1 , so endet der Algorithmus mit dem Rückgabewert a1 . (S2) Sei a1 b1 (sonst vertausche a1 und b1 ). Wir tragen a1 so oft wie möglich im Inneren von b1 ab und bezeichnen den dann auftretenden Rest mit b2 , b 1 ' k 1 · a1 + b 2 mit b2 a1 oder b2 ' a1 . (1.2.19) Gebe k1 aus und beginne wieder mit dem Paar der Strecken b2 , a1 . Angenommen, a, b 2 S sind kommensurabel. Es gibt also ein c 2 S mit a ' m · c und b ' n · c. Dann impliziert a b o↵enbar m < n und da k · a ' (km) · c b ' n· c gilt, folgt b1 ' (n km) · c und die Strecken b1 und a sind kommensurabel zur selben Einheit c 2 S. Der Trick des Algorithmus besteht also darin, Paare kommensurabler Strecken in kürzere Paare kommensurabler Strecken zur selben Einheit zu transformieren. Terminiert der Algorithmus, so liefert er eine (endliche) Folge natürlicher Zahlen k1 , k2 , ..., kN und die letzte bestimmte Reststrecke c. Ausgeschrieben erhalten wir also Darstellungen (mit sinnvoller Änderung der Bezeichnungen und vorausgesetzt der Algorithmus stoppt nach einer endlichen Anzahl Schritten) ' k 1 · a1 + b 2 ' k2 · b2 + a2 ' k 3 · a2 + b 3 ' k 4 · b 3 + a3 .. . b N ' k N aN + aN b1 a1 b2 a2 (1.2.20) oder aN 1 ' kN · bN + bN . Iterativ ineinander eingesetzt liefert dies Darstellungen aller ak und aller bk als Vielfache des Restes c ' aN (oder c ' bN ). 11 1 Zahlen k=1 k=2 k=1+1 Abbildung 1.1: Schematisches Beispiel. Der Algorithmus entspricht hier der Bestimmung des größten gemeinsamen Teilers von 5 und 7. Satz 1.2.7. Für a, b 2 S sind folgenden Aussagen äquivalent: (1) Die Strecken a und b sind kommensurabel, es existieren also ein c 2 S und m, n 2 N mit a ' m · c und b ' n · c. (2) Der Euklidische Algorithmus zum Startpaar a, b 2 S terminiert nach endlich vielen Schritten. Beweis. Aus (1) folgt (2): Seien dazu a und b kommensurabel. Dann existiert c 2 S und m, n 2 N mit a ' m · c und b ' n · c. Wir ersetzen das Paar (a, b) 2 S2 durch das Zahlenpaar (m, n) 2 N2 . Dann ist entweder m = n oder der Algorithmus von Euklid liefert in einem Schritt ausgehend von m < n eine Zahl k 2 N mit km < n und n km m, transformiert das Paar (m, n) also in (n km, m). Würde der Algorithmus nicht terminieren, wäre nun in jedem Schritt n km < m. Da es aber nur endlich viele Paare natürlicher Zahlen kleiner (m, n) gibt, kann dies nicht sein. Widerspruch. Aus (2) folgt (1): Terminiert umgekehrt der Algorithmus, so liefert die letzte Reststrecke nach der vor dem Beweis gegebenen Argumentation die Einheit, mit welcher a und b gemessen werden können und a und b sind kommensurabel. Wir betrachten ein Beispiel. Sei a ' 5 · c und b ' 7 · c als Beispiel zweier kommensurabler Strecken a und b. Dann liefert der Algorithmus a b Rest k 5·c 7·c 2·c 1 2·c 5·c 1·c 2 1·c 2·c 1·c 1 1·c 1·c — 1 und somit die Folge [1, 2, 1, 1] für k, sowie die gemeinsame Einheit c. Schematisch dargestellt ist das Beispiel in Abbildung 1.1. Nicht alle Paare von Strecken sind kommensurabel. Das wohl bekannteste Beispiel geht wahrscheinlich auf Hippasos von Metapont (ca. 500 v.u.Z.) zurück. Wir nutzen zum Beweis die 12 1.2 Zahl und Maß Abbildung 1.2: Beispiel zum Algorithmus Euklids. Hier liefert er die Zahlen k1 = 2, k2 = 4, k3 = 3, .... und wahrscheinlich noch einige mehr. Charakterisierung kommensurabler Strecken durch den Algorithmus von Euklid. Satz 1.2.8 (Hippasos). Seite und Diagonale in einem regelmäßigen Fünfeck sind inkommensurabel. Beweis. Wir zerlegen den Beweis in drei Schritte. Zuerst zeigen wir, dass einige der Strecken im Fünfeck in Abbildung 1.3 kongruent sind. Danach wenden wir den Algorithmus an und in einem dritten Schritt zeigen wir, dass der Algorithmus (aufgrund der Ähnlichkeit auftretender Figuren) nicht terminieren kann. Schritt 1. Wir bestimmen einige der auftretenden Winkel. Da die Außenwinkel den Vollkreis in fünf Teile teilen, ergibt sich der Innenwinkel eines regulären Fünfecks zu \BAE = 180 1 360 = 108 5 (1.2.21) und dieser Winkel stimmt ebenso mit \HGF und \BGA überein. Weiter gilt \BGH = 180 \BGA = 180 108 = 72 (1.2.22) 72 = 36 = \GAF (1.2.23) was wiederum mit \BHG übereinstimmt. Damit folgt \GBH = 180 \BGH \BHG = 180 72 Da aus Symmetriegründen weiterhin \BAG = 1 \BAE 2 \GAF = 1 108 2 72 ) = 36 (1.2.24) 13 1 Zahlen D E J C I F H G A B Abbildung 1.3: Zur Existenz inkommensurabler Strecken gilt, folgt \ABH = \ABG + \GBH = 36 + 36 = 72 = \BHA und das Dreieck 4ABH ist gleichschenklig. Schritt 2. Wir wissen also nun, dass die Strecken AB ' AH kongruent sind. Weiter sind auch AG ' HC kongruent. Damit kann man die ersten Schritte des Algorithmus anwenden. Dieser liefert a b Rest k AB AC HC 1 HC AH GH 1 ... ... ... ... Schritt 3. Die Strecken AG und GI sind kongruent. Um das zu sehen, nutzen wir aus dem ersten Schritt \ABG = 36 und \GBH = \GBI = 36 (1.2.25) und damit sind wegen AB ' AH ' BI auch die Dreieck 4ABG und 4BIG kongruent. Also gilt AG ' GI und (bis auf eine Skalierung) sind wir wieder bei der Ausgangssituation angelangt und wenden für die weiteren Schritte wiederum den Algorithmus auf eine Seite und eine Diagonale eines regelmäßigen Fünfecks an. Das widerspricht der Terminiertheit des Algorithmus.4 4 Was der Algorithmus aber liefert ist eine unendliche Folge [1, 1, 1, . . .]. 14 1.2 Zahl und Maß Was hat all das mit messen zu tun? Wir nehmen nun an, wir haben eine Strecke a 2 S und eine zweite, festgelegte, Einheit e 2 S. Sind beide kommensurabel, so existiert eine ’fiktive’ Einheit c und Zahlen m, n 2 N mit a ' m·c und e ' n·c. Da uns c nicht interessiert, schreiben wir das formal als m a' · e, (1.2.26) n nutzen also Brüche als Vielfache der Einheit. Eine Strecke ist zu e kommensurabel genau dann, wenn sie in diesem Sinne rationales Vielfaches von e ist. Das Rechnen rationaler Zahlen überträgt sich, wichtige Regeln sind zumindest m ·b n a' und m · n ✓ k a ` ◆ b' gilt genau dann, wenn ' mk · a, n` n ·a m m k m` + kn ·a+ ·a' · a. n ` n` (1.2.27) (1.2.28) Mit dieser Vereinbarung kann man das Messen der Strecke a in Bezug auf eine gegebene Einheit e auf die Anwendung von Euklids Algorithmus reduzieren. Wir betrachten nur ein Beispiel und nehmen an der Algorithmus terminiert nach vier Schritten, er liefert also a ' k 1 · e + a1 , e ' k 2 · a1 + a2 , a1 ' k 3 · a2 + a3 , a2 ' k 4 · a3 + a3 a1 a2 a3 e, a1 , a2 , (1.2.29) und damit nach Einsetzen (im Prinzip und selber nachzurechnen) explizite Formeln für a als rationales Vielfaches von e. Schlauer ist das schrittweise aufzubauen. Es gilt a2 ' (k4 + 1) · a3 . Also gilt auch a3 ' und damit (1.2.30) 1 · a2 k4 + 1 1 a1 ' k 3 · a2 + · a2 ' k4 + 1 ✓ (1.2.31) 1 k3 + k4 + 1 ◆ · a2 (1.2.32) ! (1.2.33) sowie im nächsten Schritt 1 e ' k 2 · a1 + · a1 ' k3 + k41+1 sowie a ' k1 · e + 1 k2 + 1 k3 + k 1+1 4 0 1 k2 + k3 + k41+1 · e ' @k 1 + 1 k2 + 1 k3 + k 1+1 4 · a1 1 A·e (1.2.34) Das Prinzip sollte klar geworden sein, eine genauere Betrachtung von Kettenbrüchen folgt im nächsten Abschnitt. 15 1 Zahlen 1.3 Kettenbrüche Wir betrachten zuerst reguläre und endliche Kettenbrüche. Dies sind Ausdrücke der Form k1 + 1 k2 + 1 k3 + k4 + (1.3.1) 1 1 ... 1 kN mit natürlichen Zahlen k1 , k2 , . . . , kN 2 N. Es sinnvoll für k1 auch 0 oder allgemeiner ganze Zahlen zuzulassen, ebenso ist es aus rein praktischen Gründen zum Rechnen sinnvoll, rationale oder reelle Zahlen ungleich Null für die ki , i > 1, zu erlauben. Wir vereinbaren eine Kurzschreibweise 1 [k1 , k2 , . . . , kN ] = k1 + (1.3.2) k2 + k3 + 1 1 1 k4 + ... 1 kN und, um alle Unklarheiten zu beseitigen, definieren diese noch explizit rekursiv durch [k1 , k2 ] := k1 + sowie für 2 n N 1 k2 [k1 , k2 , . . . , kn 1 , kn ] := k1 , k2 , . . . , kn (1.3.3) 1 + 1 . kn (1.3.4) Man zeigt leicht, dass dann ebenso [k1 , k2 , . . . , kn ] = k1 + ⇥ ⇤ 1 = k1 , [k2 , . . . , kn ] [k2 , . . . , kn ] (1.3.5) gilt. Die Zahlen ki werden als Teilnenner des Kettenbruchs bezeichnet. Proposition 1.3.1. Seien die (endlichen) Folgen pn und qn durch die Rekursion p 1 = k1 , q1 = 1, p2 = k2 k1 + 1, q2 = k2 , definiert. Dann gilt für 1 n N [k1 , k2 , . . . , kn ] = pn = k n p n qn = k n q n + pn 1 + qn 1 pn . qn 2 (1.3.6) 2 (1.3.7) Sind alle kn , 1 n N natürliche Zahlen, so sind auch die pn und qn natürlich. Die Zahlen pn und qn werden als Zähler und Nenner des n-ten Näherungsbruchs des Kettenbruchs bezeichnet. Beweis. Wir zeigen dies per Induktion über n. Induktionsanfang: Es gilt p1 = k1 , q1 16 p2 k1 k2 + 1 1 = = k1 + . q2 k2 k2 (1.3.8) 1.3 Kettenbrüche Induktionsschritt: Angenommen, die Aussage ist für ein n gezeigt. Dann gilt also [k1 , . . . , kn ] = pn kn p n = qn k n qn + pn 1 + qn 1 2 , (1.3.9) 2 wobei auf Grund der Rekursionsvorschrift die Zahlen pn 1 , pn 2 , qn 1 , qn von kn abhängen. Also folgt 1 [k1 , . . . , kn , kn+1 ] = k1 , . . . , kn + k ⌘ n+1 ⇣ 1 kn + kn+1 pn 1 + pn 2 ⌘ = ⇣ 1 kn + kn+1 q n 1 + qn 2 kn+1 (kn pn 1 + pn 2 ) + pn kn+1 (kn qn 1 + qn 2 ) + qn kn+1 pn + pn 1 = kn+1 qn + qn 1 = 2 nicht vom Wert (1.3.10) 1 1 und die zu zeigende Aussage ist bewiesen. Die Rekursionsformeln sehen einfacher aus, wenn man sie als Matrixmultiplikation schreibt. Es gilt für n 2 pn qn kn 1 p n 1 qn 1 = (1.3.11) p n 1 qn 1 1 0 p n 2 qn 2 Bildet man jeweils Determinanten, so folgt wegen kn 1 p 2 q2 k k + 1 k2 det = 1, det = det 1 2 =1 1 0 p 1 q1 k1 1 (1.3.12) insbesondere: Korollar 1.3.2. Die Zähler und Nenner der Näherungsbrüche eines Kettenbruchs erfüllen p n qn 1 pn 1 qn = ( 1)n . (1.3.13) Im Weiteren nehmen wir wieder an, dass alle Teilnenner kn , 1 n N , natürliche Zahlen sind. Dann folgt insbesondere Korollar 1.3.3. Zähler pn und Nenner qn der Näherungsbrüche sind teilerfremd. Beweis. Sei d ein Teiler von pn und qn . Dann impliziert Korollar 1.3.2, dass d ein Teiler von ( 1)n sein muss. Damit ist aber d = 1. Weiter impliziert die Rekursionsvorschrift für pn und qn im Falle natürlicher kn sofort pn+1 = kn pn + pn 1 > pn , n 1, (1.3.14) qn+1 = kn qn + qn 1 > qn , n 1, (1.3.15) sowie und beide Folgen pn und qn sind streng monoton wachsend. Insbesondere ergibt sich pn > n, qn+1 > n, n 4. (1.3.16) 17 1 Zahlen Proposition 1.3.4. Die Näherungsbrüche eines Kettenbruchs erfüllen pn qn pn+1 1 1 = < 2 qn+1 qn qn+1 qn (1.3.17) Beweis. Folgt direkt aus Korollar 1.3.2 zusammen mit der Monotonie der qn . Proposition 1.3.5. Für die Näherungsbrüche eines Kettenbruchs gilt p1 p2n < ··· < q1 q2n 1 p2n+1 p2n+2 p2n p2 < ··· < < < ··· < . q2n+1 q2n+2 q2n q2 < 1 (1.3.18) Beweis. Folgt wiederum direkt aus Korollar 1.3.2, die Di↵erenzen pn qn pn qn 1 1 = ( 1)n qn qn 1 (1.3.19) sind alternierend und betragsmäßig monoton fallend. Also gilt p2n q2n da 1 < 1 1 p2n+1 p2n+2 p2n < < q2n+1 q2n+2 q2n > q2n 1 q2n 1 1 > q2n q2n+1 q2n+1 q2n+2 (1.3.20) (1.3.21) gilt. Bezeichnet man nun den dargestellten Kettenbruch mit so haben wir insbesondere x = [k1 , . . . , kN ] (1.3.22) p2n q2n (1.3.23) 1 1 <x< p2n q2n für alle 2n < N gezeigt. Um die Approximationseigenschaften genauer zu beschreiben, untersuchen wir den Abstand der Näherungsbrüche zu x. Dazu nutzen wir die n-ten vollständigen Quotienten kn0 = [kn , . . . , kN ] (1.3.24) des Kettenbruchs. Es gilt also insbesondere x= k10 1 k20 k1 + 1 = k1 + 0 = k2 k20 (1.3.25) und nach nochmaligem Einsetzen von k20 = k2 + 1/k30 x= k30 (k2 k1 + 1) + k1 k30 p2 + p1 = . k30 k2 + 1 k30 q2 + q1 Analoge Formeln gelten auch für spätere vollständige Quotienten. Es gilt 18 (1.3.26) 1.3 Kettenbrüche Proposition 1.3.6. Für die durch einen Kettenbruch dargestellte Zahl gilt x= kn0 pn kn0 qn + pn 1 + qn 1 2 , n 3, (1.3.27) 2 mit den Teilzählern und -nennern pn und qn und den vollständigen Quotienten kn0 . Beweis. Dies zeigen wir wieder per Induktion. Der Induktionsanfang für n = 3 wurde oben schon angegeben. Angenommen, die Aussage ist für ein n gezeigt. Dann gilt ⇣ ⌘ 1 kn + k 0 pn 1 + pn 2 k 0 pn 1 + pn 2 n+1 ⌘ x = n0 = ⇣ k n q n 1 + qn 2 k n + k 0 1 qn 1 + q n 2 (1.3.28) n+1 0 0 k (kn pn 1 + pn 2 ) + pn 1 k pn + pn 1 = n+1 = n+1 0 0 kn+1 (kn pn 1 + pn 2 ) + pn 1 kn+1 qn + q n 1 und die Behauptung folgt. Betrachtet man nun die Di↵erenz von x zu den Näherungsbrüchen, so ergibt sich x 0 kn+1 pn + pn pn = 0 qn kn+1 qn + qn pn = qn 1 1 0 0 und mit der Bezeichnung qn+1 = kn+1 qn + qn 1 p n qn 1 p n 1 q n 0 qn (kn+1 q n + qn 1 ) (1.3.29) damit pn ( 1)n+1 = , 0 qn qn qn+1 (1.3.30) pn 1 1 = < 2, 0 qn qn qn+1 qn (1.3.31) x 0 also insbesondere wegen qn+1 > qn x für alle n 2. Korollar 1.3.7. Von zwei aufeinanderfolgenden Näherungsbrüchen eines Kettenbruches erfüllt mindestens einer p 1 x < 2. (1.3.32) q 2q Beweis. Angenommen, die Abschätzung wäre für beide Näherungsbrüche pn /qn und pn+1 /qn+1 falsch. Dann würde, da die Näherungsbrüche abwechselnd größer und kleiner als x sind pn 1 = qn qn+1 qn pn+1 = x qn+1 pn + x qn pn+1 qn+1 1 1 + 2 2 2qn 2qn+1 (1.3.33) oder (qn qn+1 )2 0 (1.3.34) folgen. Dies kann aber nur für n = 0 und q0 = q1 = k2 gelten. 19 1 Zahlen Proposition 1.3.8. Die Folge qn0 ist streng monoton wachsend. Damit gilt für die Näherungsbrüche pn /qn eines Kettenbruchs x = [k1 , . . . , kN ] pn < x qn x pn qn 1 , (1.3.35) pn 1 | (1.3.36) 1 sowie für alle n |qn x 2. pn | < |qn 1 x Beweis. Es bleibt die Monotonie zu zeigen. Dazu nutzen wir, dass für n < N kn < kn0 < kn + 1 gilt. Damit folgt einerseits für alle n qn0 = kn0 qn (1.3.37) 3 1 + qn 2 > kn qn 1 + qn 2 = qn (1.3.38) und andererseits qn0 = kn0 qn 1 + qn 2 < kn qn 1 + qn 2 + qn 1 = qn + qn 1 k n qn + qn 1 = qn+1 . (1.3.39) Also gilt qn < qn0 < qn+1 und da die qn streng monoton wachsend sind, sind auch die qn0 streng monoton wachsend. Die Näherungsbrüche eines Kettenbruches sind die besten Approximationen des Kettenbruchs durch rationale Zahlen mit kleineren Nennern. Genauer gilt Satz 1.3.9 (Bestapproximationseigenschaft). Seien p, q 2 N mit 1 q qn und p/q 6= pn /qn . Dann gilt pn p x < x , (1.3.40) qn q sowie |qn x pn | < |qx p|. (1.3.41) Beweis. Die zweite Ungleichung impliziert die erste, da ja 0 < q qn gilt. Wir beschränken uns also auf den Beweis der zweiten. Dieser besteht aus drei Schritten. Schritt 1. Wir nehmen an, q = qn . Dann gilt wegen (1.3.30) x pn 1 , qn 2qn (1.3.42) sowie auf Grund von pn /qn 6= p/qn pn qn p qn 1 . qn 1 2qn x (1.3.43) Also folgt x 20 p q pn qn (1.3.44) 1.4 Unendliche Kettenbrüche und damit die Behauptung. Schritt 2. Wir zeigen die Aussage für qn 1 < q < qn und schreiben dazu p = µpn + ⌫pn 1 , q = µqn + ⌫qn (1.3.45) 1 mit noch zu bestimmenden µ und ⌫. Die Zahlen µ und ⌫ sind eindeutig bestimmt, es gilt wegen Korollar 1.3.2 pqn 1 pn 1 q = (µpn + ⌫pn 1 )qn 1 pn 1 (µqn + ⌫qn 1 ) = ( 1)n µ (1.3.46) (µpn + ⌫pn 1 )qn = ( 1)n ⌫. (1.3.47) und pn q pqn = pn (µqn + ⌫qn 1 ) Damit sind µ und ⌫ ganzzahlig und haben also insbesondere auch verschiedene Vorzeichen. Also haben µ(qn x pn ) und ⌫(qn 1 x pn 1 ) gleiches Vorzeichen und folgt aus qx p = µ(qn x pn ) + ⌫(qn 1 x pn 1 ) (1.3.48) pn |. (1.3.49) die Behauptung |qx p| > |qn 1 x Schritt 3. Nun folgt die Aussage, für q qn damit |qx p| > |qm x pn 1 | > |qn x 1 existiert ein m < n mit qm pm | > |qn x pn | 1 < q qm und (1.3.50) unter Ausnutzung von Proposition 1.3.8. 1.4 Unendliche Kettenbrüche Wir betrachten nun allgemeiner Kettenbrüche mit unendlich vielen Teilnennern, also Brüche der Form 1 [k1 , k2 , k3 , . . .] = k1 + , k1 2 Z, ki 2 N, i > 1. (1.4.1) k2 + k3 +1 1 .. . Die meisten der im vorigen Abschnitt getro↵enen Aussagen übertragen sich direkt. So bestimmt die Folge der kn Folgen pn und qn über die Rekursion aus Proposition 1.3.1, die wiederum sich schachtelnde, gekürzte Näherungsbrüche pn /qn mit p2n q2n und 1 < 1 pn qn p2n+1 p2n+2 p2n < < q2n+1 q2n+2 q2n pn+1 1 = qn+1 qn qn+1 liefern. Wir wollen jedem unendlichen Kettenbruch eine/die reelle Zahl \ ✓ p2n 1 p2n ◆ x2 , q q2n 2n 1 n (1.4.2) (1.4.3) (1.4.4) 21 1 Zahlen zuordnen. Da qn ! 1 gilt, ist die Zahl x eindeutig bestimmt. Die zu fordernde Existenz der Zahl x entspricht der Vollständigkeit der reellen Zahlen. Bezeichnet nun wieder kn0 = [kn , kn+1 , . . .] (1.4.5) den n-ten vollständigen Quotiententen als die dem bei kn startenden Kettenbruch zugeordnete reelle Zahl, so übertragen sich die weiteren Aussagen des vorigen Abschnitts. Es gilt insbesondere die Darstellung aus Proposition 1.3.8 und damit die Fehlerabschätzung pn 1 1 = < 2, 0 qn qn qn+1 qn x n 2, (1.4.6) 0 0 wobei wiederum qn+1 = kn+1 qn + qn 1 gesetzt wurde, sowie die Bestapproximationseigenschaft der Näherungsbrüche aus Satz 1.3.9. Satz 1.4.1. (1) Jeder rationalen Zahl x 2 Q entsprechen zwei endliche Kettenbruchsdarstellungen x = [k1 , . . . , kn ] = [k1 , . . . , kn 1, 1] (1.4.7) mit kn 6= 1; umgekehrt sind alle endlichen Kettenbrüche rational. (2) Jeder irrationalen Zahl x 2 R \ Q entspricht ein eindeutig bestimmter unendlicher Kettenbruch; umgekehrt ist jedem unendlichen Kettenbruch eine Irrationalzahl zugeordnet. Solche unendlichen Kettenbrüche sind uns schon begegnet. Sind zwei Strecken inkommensurabel, so liefert der Algorithmus Euklids eine nicht abbrechende Folge von Teilnennern kn und damit eine unendliche Kettenbruchsdarstellung der Länge der zweiten Strecke als Vielfaches der ersten. Wir haben dies für die Diagonale in einem regelmäßigen Fünfeck gesehen. Falls die Seitenlänge des Fünfecks 1 ist, ergibt sich damit für die Diagonale ⌧ = [1, 1, 1, . . .] = [1]. Die Zahl ⌧ erfüllt also ⌧ =1+ 1 1 =1+ [1, 1, 1, . . .] ⌧ (1.4.8) (1.4.9) und damit die quadratische Gleichung ⌧ 2 = ⌧ + 1. Diese kann man zur Bestimmung der Diagonalenlänge ⌧ lösen, es ergibt sich durch quadratisches Ergänzen ✓ ◆2 1 5 2 ⌧ ⌧ 1= ⌧ (1.4.10) 2 4 und damit, da ⌧ > 1 gelten muss, p 1+ 5 ⌧= . (1.4.11) 2 Die Zahl ist als goldener Schnitt bekannt. Der goldene Schnitt ist die am schlechtesten durch rationale Zahlen approximierbare reelle Zahl. p Um die Kettenbruchsentwicklung der Zahl 2 zu bestimmen, gehen wir wie folgt vor. Da p 1 < 2 < 4 gilt, folgt 1 < 2 < 2. Damit liefert der Algorithmus Euklids, diesmal auf reelle Zahlen angewandt, p p p p ( 2 1)( 2 + 1) 1 1 p p =1+ p (1.4.12) 2 = 1 + ( 2 1) = 1 + =1+ 2+1 1+ 2 2 + ( 2 1) 22 1.4 Unendliche Kettenbrüche und somit p 2 = [1, 2, 2, 2, . . .] = [1, 2]. (1.4.13) Der entstehende Kettenbruch ist wieder periodisch. Das gilt allgemeiner. Jeder periodische Kettenbruch entspricht einer quadratischen Irrationalzahl und umgekehrt ist jede solche durch einen periodisch endenden Kettenbruch darstellbar. Dies wurde von Lagrange gezeigt, seine Ideen wollen wir kurz zusammenfassen. Wir bezeichnen zwei Zahlen ⇠, ⌘ 2 R als äquivalent, falls es ganze Zahlen a, b, c, d 2 Z mit ⇠= a⌘ + b , c⌘ + d ad bc = ±1, (1.4.14) gibt. Proposition 1.4.2. Die so definierte Äquivalenz von Zahlen ist eine Äquivalenzrelation. Beweis. Aus ⇠= a1 ⌘ + b 1 c1 ⌘ + d 1 und folgt ⇠= mit ⌘= a2 ⇣ + b 2 c2 ⇣ + d 2 a3 ⇣ + b 3 c3 ⇣ + d 3 (1.4.15) (1.4.16) a3 b 3 a2 b 2 a1 b 1 = c3 d 3 c2 d 2 c1 d 1 (1.4.17) als Matrixmultiplikation. Damit ergibt sich der Beweis. Die Relation ist 1 0 • reflexiv. Dazu nutzt man Einheitsmatrix . 0 1 • symmetrisch. Dies folgt, da die inverse Matrix 1 1 a b d = c d c ad bc b a (1.4.18) ganzzahlige Einträge mit derselben Determinante besitzt. • transitiv. Dies ergibt sich direkt aus obiger Matrixmultiplikation und der Ganzzahligkeit aller Matrixeinträge. Korollar 1.4.3. Jede rationale Zahl ist zu 0 äquivalent. Beweis. Sei p/q gekürzter Bruch. Dann liefert der Euklidische Algorithmus Zahlen k und ` mit pk q` = 1 (1.4.19) und damit die gewünschte Darstellung p `·0+p = q k·0+q (1.4.20) und die Aussage ist bewiesen. 23 1 Zahlen Dass Äquivalenz mit Kettenbrüchen zu tun hat, lässt folgende Aussage vermuten. Proposition 1.4.4. Angenommen, für eine reelle Zahl x gilt x= P⇣ + R Q⇣ + S (1.4.21) mit ⇣ > 1 reell und ganzzahligen P, Q, R, S 2 Z mit P S QR = ±1 und Q > S > 0. Dann sind R/S und P/Q aufeinanderfolgende Näherungsbrüche aus der Kettenbruchsentwicklung von x. Darüberhinaus ist ⇣ der zu P/Q gehörende vollständige Quotient des Kettenbruchs. Beweis. Wir schreiben die rationale Zahl P/Q als Kettenbruch P pn = [k1 , k2 , . . . , kn ] = Q qn (1.4.22) QR = ±1 = ( 1)n (1.4.23) und wählen dabei n so, dass PS gilt. Dann sind P und Q teilerfremd und wegen Q > 0 ist auch P = pn und Q = qn . Also folgt pn S qn R = P S QR = pn qn 1 p n 1 qn (1.4.24) und damit auch pn (S qn 1 ) = qn (R pn 1 ). (1.4.25) Da pn und qn teilferfremd sind, muss damit aber qn ein Teiler von S qn 1 sein. Wegen qn = Q > S > 0 und qn qn 1 > 0 impliziert dies aber schon S qn 1 = 0 und damit S = qn 1 . Analog folgt R = pn 1 und somit gilt x= pn ⇣ + pn qn ⇣ + qn 1 , (1.4.26) 1 also auch x = [k1 , . . . , kn , ⇣] = [k1 , . . . , kn , kn+1 , . . .] (1.4.27) mit der Kettenbruchsentwicklung ⇣ = [kn+1 , . . .] und unter Ausnutzung von ⇣ > 1, also kn+1 2 N. Damit ist die Aussage bewiesen. Proposition 1.4.5. Zwei irrationale Zahlen ⇠, ⌘ sind genau dann äquivalent, wenn ihre Kettenbruchsentwicklungen bis auf endlich viele Teilnenner übereinstimmen. Beweis. Wenn die Kettenbruchsentwicklung bis auf endliche viele Teilnenner übereinstimmt, dann sind die Zahlen äquivalent. Das folgt direkt aus [k1 , k2 , k3 , . . .] = k1 + 1 k1 [k2 , k3 , . . .] + 1 = [k2 , k3 , . . .] [k2 , k3 , . . .] + 0 (1.4.28) zusammen mit Transitivität und Symmetrie der Relation. Zu beweisen ist die Rückrichtung. Gelte also a⌘ + b ⇠= (1.4.29) c⌘ + d 24 1.4 Unendliche Kettenbrüche mit Zahlen a, b, c, d 2 Z und mit ad c⌘ + d > 0 gilt. Wir schreiben ⌘ als bc = ±1. Wir wählen die Vorzeichen der Zahlen so, dass ⌘= pn ! + pn qn ! + qn 1 (1.4.30) 1 für hinreichend groß gewähltes n. Dann gilt ! > 1. Für ⇠ erhalten wir daraus ⇠= (apn + bqn )! + (apn (cpn + dqn )! + (cpn mit ganzen Zahlen P, Q, R, S 2 Z und P S pn = ⌘qn + qn , + bqn 1 ) P! + R = Q! + S 1 + dqn 1 ) 1 (1.4.31) QR = ±1. Weiterhin gilt wegen (1.3.30) pn 1 = ⌘qn 1 + 0 qn (1.4.32) 1 mit | | < 1 und | 0 | < 1 und damit Q = (c⌘ + d)qn + c , qn S = (c⇠ + ⌘)qn 1+ c qn 0 . (1.4.33) 1 Also gilt für hinreichend großes n auch Q > S > 0 und Proposition 1.4.4 ist anwendbar. Damit gilt ⇠ = [`1 , . . . , `m , !] für geeignetes m und wegen ⌘ = [k1 , . . . , kn , !] folgt die Behauptung. Satz 1.4.6 (Lagrange). Jede quadratische Irrationalzahl ist äquivalent zu einem periodischen Kettenbruch und umgekehrt. Beweis. Rückrichtung. Sei x durch einen periodischen Kettenbruch x = [k1 , . . . , kL ] = [k1 , . . . , kL , x] (1.4.34) mit Periode L dargestellt. Dann gilt x= pL x + pL qL x + q L 1 (1.4.35) 1 und damit qL x2 + (qL 1 pL 1 )x + pL 1 = 0. (1.4.36) Also löst x eine quadratische Gleichung mit ganzzahligen Koeffizienten und ist (da irrational) quadratische Irrationalzahl. Sei nun allgemeiner y äquivalent zu x, gelte also mit Zahlen a, b, c, d 2 Z und ad bc = ±1 ax + b y= . (1.4.37) cx + d Das implizert aber dy b x=± (1.4.38) a cy und somit nach Einsetzen in obige quadratische Gleichung ✓ ◆2 ✓ ◆ dy b dy b a ±b + c = 0. a cy a cy (1.4.39) 25 1 Zahlen cy)2 eine quadratische Gleichung für y und somit Das ist aber nach Multiplikation mit (a auch y quadratische Irrationalzahl. Hinrichtung. Jede quadratische Irrationalzahl löst eine quadratische Gleichung der Form ax2 + bx + c = 0 (1.4.40) mit ganzzahligen Koeffizienten a, b, c 2 Z und mit b2 6= 4ac. Wir schreiben die Zahl x als Kettenbruch x = [k1 , k2 , . . . , kn 1 , kn , kn+1 , . . .] = [k1 , k2 , . . . , kn 1 , kn0 ] (1.4.41) und dies wiederum als x= pn 1 kn0 + pn qn 1 kn0 + qn 2 (1.4.42) 2 durch den n-ten vollständigen Quotienten kn0 . Eingesetzt in die quadratische Gleichung für x liefert dies ✓ ◆2 ✓ ◆ pn 1 kn0 + pn 2 pn 1 kn0 + pn 2 a +b +c=0 (1.4.43) qn 1 kn0 + qn 2 qn 1 kn0 + qn 2 und damit nach Umformen eine quadratische Gleichung für y = kn0 , An y 2 + Bn y + Cn = 0. (1.4.44) Dabei sind die Koeffizienten (wie man durch Nachrechnen leicht findet) durch An = ap2n 1 + 2bpn 1 qn 1 + cqn2 1 Bn = 2apn 1 pn 2 + b(pn 1 qn 2 + pn 2 qn 1 ) + 2cqn 1 qn Cn = ap2n 2 + 2bpn 2 qn 2 + cqn2 2 = An 1 2 (1.4.45) ac) (1.4.46) gegeben. Damit gilt Bn2 4An Cn = (b2 4ac)(pn 1 qn pn 2 qn 1 )2 = (b2 2 unabhängig von n. Weiter gilt wegen (1.3.30) pn mit Zahlen | n 1| < 1. Das impliziert ✓ n An = a xqn 1 + qn 1 1 ◆ = (ax2 + bx + c)qn2 = 2ax n 1 +a 2 n 1 qn = xqn 1 1 + ✓ + 2b xqn 1 + 2ax +b n 1 n 1 qn 1 (1.4.47) 1 + +a n 1 qn 1 2 n 1 qn ◆ qn +b 1 + cqn2 1 n 1 (1.4.48) 1 n 1 1 schon |An | < 2|ax| + |a| + |b| 26 und |Cn | = |An 1 | < 2|ax| + |a| + |b|. (1.4.49) 1.5 Die Suche nach ⇡ Weiter folgt damit Bn2 4|An Cn | + |b2 4ac| < 4(2|ax| + |a| + |b|)2 + |b2 4ac| (1.4.50) Also sind die Beträge von An , Bn und Cn gleichmäßig in n beschränkt. Damit gibt es aber nur endlich viele verschiedene solche Tripel (An , Bn , Cn ) und damit auch nur endlich viele verschiedene Lösungen y zugehöriger quadratischer Gleichungen (1.4.44). Damit gibt es aber Zahlen m und L, so dass die vollständigen Quotienten 0 0 km = km+L (1.4.51) erfüllen, also insbesondere 0 0 x = [k1 , . . . , km 1 , km ] = [k1 , . . . , km 1 , km , . . . , km+L 1 , km ] = [k1 , . . . , km 1 , km , . . . , km+L 1 ] (1.4.52) gilt. Der Satz ist bewiesen. Kettenbrüche rationaler Zahlen und Kettenbrüche quadratischer Irrationalzahlen haben also eine einfache und gut zu beschreibende Struktur. Ähnliches lässt sich über Kettenbrüche zu Kubikwurzeln oder interessanten anderen mathematischen Konstanten wie ⇡ nicht aussagen. Wir enden den Abschnitt mit einigen Beispielen. Es gilt, wie leicht nachzurechnen ist, p 2=1+ 1 2+ 1 2+ 2+ = [1, 2], (1.4.53) = [1, 1, 2], (1.4.54) = [2, 4], (1.4.55) = [2, 1, 1, 1, 4]. (1.4.56) 1 1 2+ 1 ... p 3=1+ 1 1+ 1 2+ 1+ 1 1 2+ 1 .. p 5=2+ . 1 4+ 1 4+ 4+ 1 1 4+ 1 .. p 7=2+ 1 1+ 1 1+ 1+ . 1 1 4+ 1 ... 1.5 Die Suche nach ⇡ In diesem Abschnitt werden wir einige klassische Approximationen für die Zahl ⇡ kennenlernen. Wir gehen dabei von der ‘naiven’ Definition der Zahl 2⇡ als der Länge eines Kreisbogens vom Radius 1 beziehungsweise als Fläche vom Radius 1 aus. Dass ein Kreisbogen eine Länge haben muss, war in der Antike zumindest intuitiv klar; ein Beweis und eine entsprechend saubere Definition des Längenbegri↵s entstammt der Analysis des 19. Jahrhunderts. Dass beide 27 1 Zahlen B B E C H D C F M M A A G Abbildung 1.4: Zur Bestimmung von ⇡ nach Archimedes Definitionen von ⇡ dieselbe Zahl liefern, ergibt sich aus den nachfolgenden Betrachtungen und wurde rigoros von Archimedes von Syrakus (287–212 v.u.Z.) gezeigt. Wir approximieren einen Kreis durch eine Folge regelmäßiger Polygone, sowohl von innen als auch von außen. Wir betrachten dazu ein dem Kreis einbeschriebenes Sechseck, sowie ein dem Kreis umbeschriebenes vom Radius 1) den p Sechseck. Ersteres besitzt (für einen Kreis p p Umfang 6 und die Fläche 3 3/3, während letzteres den Umfang 4 3 und die Fläche 2 3 besitzt. In jedem Schritt verdoppeln wir die Seitenzahl des ein- und umbeschriebenen regelmäßigen Polygons und bestimmen erneut Umfang und Fläche. Im Folgenden bezeichne sn die Seitenlänge eines einbeschriebenen regelmäßigen 3 · 2n -Ecks, n die Seitenlänge des zugehörigen umbeschriebenen 3 · 2n -Ecks und hn den Abstand der Seiten zum Mittelpunkt. In den Bezeichnungen von Abbildung 1.4 gilt also sn = AB = 2AH, hn = M H, n = 2AC, ⌘n = M C. (1.5.1) Wir beginnen mit einigen Beziehungen zwischen diesen Größen. Alle Resultate basieren auf der Normierung M A = 1. Proposition 1.5.1. Es gilt n hn sowie n+1 n n+1 = 1 = hn , ⌘n = sn , und (1.5.2) 2hn+1 sn+1 = sn . (1.5.3) Beweis. Da die Dreiecke 4M AC und 4M HA ähnlich sind, folgt AC : 1 = HA : M H und damit (1.5.2). Weiterhin gilt, da M F Winkelhalbierende zu \AM C ist, die Identität AF : F C = M A : M C und damit die erste Gleichung aus (1.5.3). Für die zweite Betrachten wir das Dreieck 4GDB. Da GB parallel zu M E ist, ist das Dreieck rechtwinklig und es gilt 28 1.5 Die Suche nach ⇡ GB = 2hn+1 . Weiter gilt DB = sn+1 . Damit ist sein Flächeninhalt sowohl durch hn+1 sn+1 , als auch durch 1 · sn /2 gegeben und die zweite Gleichung aus (1.5.3) folgt. Korollar 1.5.2. Es bezeichne an den Umfang des einbeschriebenen Polygons und bn den Umfang des umbeschriebenen Polygons mit 3 · 2n Seiten. Dann gilt p 2an bn bn+1 = , an+1 = an bn+1 (1.5.4) an + b n p zusammen mit den Startwerten a1 = 6 und b1 = 4 3. Beweis. Wegen an = 3 · 2n · sn und bn = 3 · 2n · n+1 = hn hn + 1 n folgt die Behauptung direkt aus n sn sn + n n+1 sn+1 = = n und s2n+1 = hn+1 1 2 = sn n sn + n (1.5.5) n+1 sn (1.5.6) nach Multiplikation mit 3 · 2n+1 beziehungsweise (3 · 2n+1 )2 . Korollar 1.5.3. Es bezeichne An den Flächeninhalt des einbeschriebenen Polygons und Bn den Flächeninhalt des umbeschriebenen Polygons mit 3 · 2n Seiten. Dann gilt p 2An+1 Bn An+1 = An Bn , Bn+1 = (1.5.7) An+1 + Bn p p zusammen mit A1 = 3 2 3 und B1 = 2 3. Darüberhinaus gilt p 2 3 1 n An < ⇡ < B n , Bn An < 4 . (1.5.8) 3 Beweis. Die Rekursion folgt wiederum direkt aus An = 3 · 2n · sn h n = 3 · 2 n 2 sn 2 1 = an 2 1 (1.5.9) und bn (1.5.10) 2 2 kombiniert mit den gerade gezeigten Formeln für an und bn . Weiterhin gilt, da das innere 3 · 2n -Eck im Kreis enthalten ist und dieser im äußeren 3 · 2n -Eck liegt B n = 3 · 2n · n = 3 · 2n 1 n = An < ⇡ < Bn (1.5.11) für die Kreisfläche ⇡. Ebenso ist An monoton wachsend (da jeweils Dreiecksflächen hinzugefügt werden) und Bn monoton fallend, da Dreiecksflächen abgeschnitten werden. Damit folgt insbesondere sn (⌘n hn ) = 3 · 2n 1 (1 2 p 1 2 3 < B13 = n 9·4 3 · 4n 1 und damit die Behauptung. Bn An = 3 · 2n h2n ) n = 3 · 2n 2 1 sn 4 n = 1 A2n+1 Bn n 9·4 (1.5.12) 29 1 Zahlen Archimedes hat auf diese Weise mit n = 5, also den Umfängen der ein- und umbeschriebenen 96-Ecke, die Abschätzung 10 1 3+ <⇡ <3+ (1.5.13) 71 7 gezeigt. Dies bestimmt ⇡ auf zwei Nachkommastellen genau. Für bessere Approximationen ist entsprechend größeres n zu wählen, pro Iterationsschritt verbessern sich zwei Zi↵ern der Binärdarstellung von ⇡. Das (numerische) Ergebnis für n = 20 ist in der folgenden Tabelle angegeben. n 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 An 2.59807621135 3.00000000000 3.10582854123 3.13262861328 3.13935020305 3.14103195089 3.14145247229 3.14155760791 3.14158389215 3.14159046323 3.14159210600 3.14159251669 3.14159261937 3.14159264503 3.14159265145 3.14159265306 3.14159265346 3.14159265356 3.14159265358 3.14159265359 Bn 3.46410161514 3.21539030917 3.15965994210 3.14608621513 3.14271459965 3.14187304998 3.14166274706 3.14161017660 3.14159703432 3.14159374877 3.14159292739 3.14159272204 3.14159267070 3.14159265787 3.14159265466 3.14159265386 3.14159265366 3.14159265361 3.14159265359 3.14159265359 B n An 0.866025403784 0.215390309173 0.0538314008673 0.0134576018502 0.0033643965985 0.000841099089315 0.000210274771387 0.0000525686928321 0.0000131421732079 0.00000328554330142 0.000000821385825134 0.000000205346456283 0.0000000513366140709 0.0000000128341537398 0.00000000320853832392 0.000000000802134358935 0.0000000002005329236 0.0000000000501332309 0.0000000000125330856804 0.0000000000031334934647 Die letzte berechnete Zi↵er in Zeile 20 ist numerisch bedingter Rundungsfehler, korrekt wäre eine 8. 1.6 Algebraische und transzendente Zahlen Dazu untersuchen wir zuerst Approximationsordnungen von Irrationalzahlen. Definition 1.6.1. Eine Zahl ⇠ 2 R heißt zur Ordnung n 2 N approximierbar, falls es eine (nur von ⇠ abhängende) Konstante K gibt, so dass p q ⇠ K qn unendlich viele teilerfremde Lösungen p, q 2 Z, q > 0, besitzt. 30 (1.6.1) 1.6 Algebraische und transzendente Zahlen Satz 1.6.2. Jede rationale Zahl ⇠ 2 Q ist zur Ordnung 1 approximierbar, aber nicht zu höherer Ordnung. Beweis. Sei ⇠ = a/b mit ggT(a, b) = 1. Dann besitzt die Gleichung bq aq = 1 (1.6.2) Lösungen p, q (erweiterter Euklidischer Algorithmus) und damit auch unendlich viele Lösungen q + ka, p + kb mit k 2 Z. Damit besitzt aber p q a 1 b bq (1.6.3) unendlich viele Lösungen und ⇠ ist zur Ordnung 1 approximierbar. Umgekehrt impliziert a |aq bp| = b bq p q zusammen mit p q 1 bq (1.6.4) a K n b q (1.6.5) schon die Abschätzung q n 1 Kb. Damit kann es für n > 1 nur endlich viele verschiedene q geben, als insgesamt auch nur endlich viele Lösungen p, q zu diesem Approximationsproblem und die Aussage ist gezeigt. Satz 1.6.3. Jede quadratische Irrationalzahl ⇠ 2 R \ Q ist zur Ordnung 2 approximierbar, aber nicht höher. Beweis. Die Approximierbarkeit zur Ordnung 2 haben wir für alle Irrationalzahlen schon mit Abschätzung (1.4.6) an die Näherungsbrüche der Kettenbruchsnäherung gezeigt. Wir zeigen, dass es keine bessere Approximierbarkeit geben kann. Dazu nutzen wir, dass nach Satz 1.4.6 eine quadratische Irrationalzahl eine periodisch endende Kettenbruchsdarstellung ⇠ = [k1 , k2 , . . . , km , km+1 , . . . , km+L ] (1.6.6) besitzt. Insbesondere existiert also eine Zahl M mit 1 ki < M, i 2. (1.6.7) Damit folgt aber aus 0 0 qn+1 = kn+1 qn + qn 1 < (kn+1 + 1)qn + qn 1 < (M + 2)qn (1.6.8) und entsprechend qn+1 < (M + 2)qn , für alle q mit qn p q ⇠ 1 qn < (M + 2)qn (1.6.9) 1 < q qn die Abschätzung pn qn ⇠ = 1 0 qn+1 qn > 1 1 > (M + 2)qn2 (M + 2)3 qn2 > 1 1 (M + 2)3 q 2 (1.6.10) aus der schon gezeigten Bestapproximationseigenschaft der Kettenbruchsnäherungen. Also ist ⇠ nicht zu höherer Ordnung approximierbar. 31 1 Zahlen Wir bezeichnen das höchste n, so dass ⇠ zur Ordnung n approximierbar ist, also die Approximationsordnung von n. Zahlen der Approximationsordnung 1 sind rational, quadratische Irrationalzahlen haben Approximationsordnung 2. Nicht jede Zahl der Approximationsordnung 2 ist eine quadratische Irrationalzahl. Das sieht man direkt aus obigem Beweis, die Argumentation hat nur genutzt, dass die Kettenbruchsentwicklung beschränkte Teilnenner besitzt. Definition 1.6.4. Eine Zahl ⇠ 2 R heiße algebraisch vom Grad kleiner oder gleich m 2 N, falls es ganze Zahlen a0 , a1 , . . . , am 2 Z mit am ⇠ m + · · · a1 ⇠ + a0 = 0 (1.6.11) gibt. Eine Zahl heißt transzendent, falls sie nicht algebraisch ist. p Beispiele algebraischer Zahlen sollten klar sein. Die Zahl 2 ist algebraisch vom Grad 2, ebenso p ist 3 7 algebraisch vom Grad 3. Dass nicht alle reellen Zahlen algebraisch sind, folgt schon aus Cantor’s zweitem Diagonalargument. Da die ganzen Zahlen abzählbar sind, ist die Menge der Gleichungen zur Bestimmung algebraischer Zahlen abzählbar und somit insbesondere auch die Menge der algebraischen Zahlen. Die Menge R ist aber nicht abählbar. Damit sind die meisten Zahlen transzendent. Allerdings weiß man es von den wenigsten bekannten Zahlen, dass sie transzendent sind. So ist zum Beispiel nicht bekannt, ob ⇡ e transzendent ist. Ein interessantes Transzendenzkriterium liefert Satz 1.6.5 (Liouville). Eine irrationale algebraische Zahl vom Grad m lässt keine Approximation höherer Ordnung als m zu. Beweis. Sei ⇠ 2 R algebraisch vom Grad m mit f (⇠) = am ⇠ m + · · · a1 ⇠ + a0 = 0. (1.6.12) Damit f ein Polynom ist, existiert insbesondere ein M , so dass f 0 (x) < M für jedes ⇠ 1<x<⇠+1 gilt. Sei nun p/q 6= ⇠ eine rationale Näherung mit p ⇠ 1 < < ⇠ + 1, q (1.6.13) (1.6.14) welche näher an ⇠ als an jeder anderen Nullstelle von f liegt. Insbesondere gilt f (p/q) 6= 0. Dann folgt ✓ ◆ p |am pm + am 1 pm 1 q + · · · + a1 pq m 1 + a0 q m | 1 f = , (1.6.15) m q q qm sowie wegen ✓ ◆ ✓ ◆ p p =f f q q für ein x zwischen p/q und ⇠ auch p q ⇠ l= f (⇠) = |f (p/q)| |f 0 (x)| ✓ ◆ (1.6.16) 1 . M qm (1.6.17) p q ⇠ f 0 (x) Damit ist aber Approximierbarkeit höherer Ordnung ausgeschlossen, da nur endlich viele q zu solchen höheren Approximationsordnungen existieren können. 32 1.6 Algebraische und transzendente Zahlen Beispiel 1.6.6 (Liouville). Die durch den Kettenbruch ⇠ = [10, 102! , 103! , 104! , . . .] (1.6.18) dargestellte Zahl ist transzendent. Dazu zeigen wir, dass die Zahl zu jeder Ordnung approximierbar ist. Seien pn /qn die n-ten Näherungsbrüche der Kettenbruchsentwicklung. Wegen pn qn ⇠ = 1 0 qn+1 qn 0 0 unter Ausnutzung von qn+1 = kn+1 q n + qn 1 < 1 0 kn+1 qn2 < 1 kn+1 0 > kn+1 qn und qn > 1. Wegen qn+1 qn 1 = kn+1 + < kn+1 + 1 qn qn q1 < k1 + 1, (1.6.19) (1.6.20) impliziert kn = 10n! die Abschätzung qn < (k1 + 1)(k2 + 1) · · · (kn + 1) = (1 + 1 1 1 )(1 + ) · · · (1 + )k1 · · · kn k1 k2 kn 1 1 1 )(1 + 2 ) · · · (1 + n! )101!+2!+···+n! 10 10 10 2(n!) 2 < 2 · 10 = kn . = (1 + (1.6.21) Also gilt, wiederum wegen kn = 10n! , pn qn ⇠ < 1 kn+1 = 1 (kn2 )n+1 < 1 1 1 < n/2 < N/2 2 kn qn qn (1.6.22) für jedes n > N . Damit gibt es aber zu jedem geraden N unendlich vieler Näherungsbrüche mit Approximation an ⇠ zur Ordnung N/2. Da N beliebig ist, impliziert Liouville’s Theorem die Transzendenz von ⇠. Eine Zahl, die zu beliebiger Ordnung rational approximierbar ist, wird als Liouvillezahl bezeichnet. Jede Liouvillezahl ist transzendent. Allerdings sind nicht alle interessanten transzendenten Zahlen Liouville, der Transzendenzbeweis interessanter mathematischer Konstanten wird damit oft wesentlich schwerer. Satz 1.6.7 (Hermite). Die Eulersche Zahl e ist transzendent. Beweis. Bevor wir mit dem Beweis beginnen, einige Vorbemerkungen. Für ein Polynom f (x) = m X ak x k (1.6.23) k=0 vom Grad m und mit Koeffizienten ak aus R (oder später C) betrachten wir Integrale I(t) = Z t et x f (x) dx. (1.6.24) 0 33 1 Zahlen Mit partieller Integration erhält man die Darstellung I(t) = et m X m X f (j) (0) j=0 f (j) (t) (1.6.25) j=0 als Kombination von Ableitungen des Polynoms. Bezeichne nun f¯(x) = m X k=0 |ak |xk (1.6.26) das Polynom mit Koeffizienten |ak |. Dann gilt |f (x)| f¯(|x|) f¯(|t|) für |x| < |t|. Also folgt Z t |I(t)| |et x f (x)| dx |t|e|t| f¯(|t|). (1.6.27) 0 Nun zum eigentlichen Beweis. Angenommen, die Zahl e ist algebraisch. Dann existieren also ganze Zahlen b0 , . . . , bn 2 Z mit b0 + b1 e + · · · + bn en = 0. (1.6.28) Sei nun I(t) definiert wie oben durch das Polynom f (x) = xp 1 (x 1)p · · · (x n)p (1.6.29) für eine große Primzahl p und bezeichne J = b0 I(0) + b1 I(1) + · · · + bn I(n). (1.6.30) Wir schätzen nun J sowohl nach oben und als auch nach unten ab. Einerseits gilt aufgrund von (1.6.25) und (1.6.28) ! ! m m m m X X X X (j) (j) (j) (j) J = b0 f (0) f (0) + b1 e f (0) f (1) + j=0 j=0 · · · + bn = m X n X en m X j=0 f (j) (0) j=0 m X f (j) (n) j=0 ! j=0 (1.6.31) bk f (j) (k) j=0 k=0 mit m = (n + 1)p 1 und die hier auftretenden Summanden sind einfach zu untersuchen. Einerseits gilt für j < p und k > 0 beziehungsweise j < p 1 und k = 0 stets f (j) (k) = 0. Damit ist aber für alle j und k mit Ausnahme von j = p 1 und k = 0 die Zahl f (j) (k) ganz und durch p! teilbar. Für j = p 1 gilt f (p 1) (0) = (p 1)! ( 1)np (n!)p und für p > n ist dies durch (p 1)!, aber nicht durch p! teilbar. Damit teilt (p J, die Zahl p! aber nicht. Insbesondere ist J 6= 0 und damit |J| 34 (p 1)! (1.6.32) 1)! die Zahl (1.6.33) 1.6 Algebraische und transzendente Zahlen Andererseits gilt für Polynome f, g o↵enbar f g(x) f¯(x)ḡ¯(x) und damit f¯(k) k 2p 1 (k + 1)p · · · (k + n)p < (2n)m , m = (n + 1)p 1 (1.6.34) und somit |J| |b1 |ef¯(1) + · · · + |bn |nen f¯(n) < (|b1 |e + · · · + |bn |nen )(2n)m = cp (1.6.35) mit einer nur von e und den Zahlen b1 bis bn abhängenden Konstanten c. Das widerspricht für p ! 1 aber der unteren Schranke (p 1)!, die ja schneller wächst. Also ist e transzendent. Eine Bemerkung zum gezeigten Resultat. Ganz analog folgt auch, dass e⇡ transzendent ist. Wäre e⇡ algebraisch, gäbe es ganze Zahlen b0 , . . . , bn mit b0 + b1 e⇡ + b2 e2⇡ + · · · + bn en⇡ = 0. (1.6.36) J = b0 I(0) + b1 I(⇡) + b2 I(2⇡) + · · · + bn I(n⇡), f (x) = xp 1 (x ⇡)p · · · (x n⇡)p (1.6.37) Setzt man nun so folgt ganz analog die untere Schranke |J| wiederum ein Widerspruch. (p 1)! und eine obere Schranke |J| cp , also Satz 1.6.8 (Lindemann). Die Zahl ⇡ ist transzendent. Beweis. Wir versuchen analog zum vorigen Beweis vorzugehen, müssen dazu aber etwas ausholen. Zur Definition von ⇡ verwenden wir die (hier nicht gezeigte) Eulersche Identität ei⇡ + 1 = 0, (1.6.38) benötigen also insbesondere komplexe Zahlen. Wir benötigen auch einige Aussagen zu Polynomen mit komplexen ganzen Koeffizienten, diese werden wir später im nächsten Kapitel noch beweisen. Wäre ⇡ nun algebraisch, so auch die Zahl ✓ = i⇡. Angenommen, diese besitzt den Grad d, es gibt also ein Polynom vom Grad d mit ganzen Gaußschen Zahlen (also aus Z + iZ) als Koeffizienten, welches ✓ als Nullstelle besitzt. Seien ✓1 = ✓, ✓2 ,. . . , ✓d alle Nullstellen des Polynoms und bezeichne ` den führenden Koeffizienten des Polynoms. Dann folgt (1 + e✓1 )(1 + e✓2 ) · · · (1 + e✓d ) = 0, (1.6.39) da der erste Faktor ja schon Null ist. Ausmultipliziert gibt dies eine Summe von 2d Termen der Form e⇥ mit ⇥ = ✏1 ✓1 + · · · + ✏n ✓n und ✏j 2 {0, 1}. Es sind sicher nicht alle dieser ⇥ gleich Null. Seien ↵1 ,. . . , ↵n die von Null verschiedenen Zahlen ⇥. Dann folgt mit q = 2d n e↵1 + · · · + e↵n + q = 0. (1.6.40) Wir betrachten nun wieder die Zahl J = I(↵1 ) + I(↵2 ) + · · · I(↵n ) + qI(0), (1.6.41) 35 1 Zahlen wobei I(t) analog zum letzten Beweis definiert ist, allerdings für das Polynom f (x) = `np xp 1 (x ↵1 )p · · · (x ↵n )p (1.6.42) mit komplexen Koeffizienten und großer Primzahl p. Analog zu vorher sieht man, dass auch für komplexes ↵ die Abschätzung |I(↵)| |↵| e|↵| f¯(|↵|) (1.6.43) gilt. Damit folgt aus der Darstellung (1.6.25) und damit J= q m X f (j) (0) j=0 m X n X f (j) (↵k ) (1.6.44) j=0 k=1 die obere Abschätzung |J| |↵1 |e|↵1 | f¯(|↵1 |) + · · · + |↵n |e|↵n | f¯(|↵n |) (|↵1 |e|↵1 | + · · · + |↵n |e|↵n | )(2M )(n+1)p 1 cp (1.6.45) mit M = maxk |↵k | und einer damit von p unabhängigen Konstanten c. Andererseits sind die Terme n X f (j) (↵k ) (1.6.46) k=1 symmetrische Polynome mit ganzen Koeffizienten in den Variablen `↵1 bis `↵n . Diese sind (nach dem noch zu beweisenden Hauptsatz über symmetrische Polynome) wiederum Polynome in den elementarsymmetrischen Polynomen `↵1 + · · · + `↵n , `2 ↵1 ↵2 + `2 ↵1 ↵3 + · · · + `2 ↵n 1 ↵n bis `n ↵1 · · · ↵n . Diese elementarsymmetrischen Polynome sind selbst wiederum symmetrische Polynome in den Variablen ✓1 , . . . , ✓n mit ganzen Koeffizienten, also auch durch Polynome in den zugehörigen elementarsymmetrischen Polynomen darstellbar. Diese sind aber gerade die Koeffizienten des Ausgangspolynoms und damit nach Voraussetzung ganz. Also folgt, dass alle Summen der Form (1.6.46) ganze Zahlen aus Z + iZ liefern. Damit kann man wie im vorigen Beweis argumentieren, es gilt für j < p stets f (j) (↵k ) = 0 und damit ist p! ein Teiler von f (j) (↵k ) für alle j. Weiter ist f (j) (0) ganz und durch p! teilbar solange j 6= p 1 und f (p 1) (0) = (p 1)! ( `)np (↵1 · · · ↵n )p (1.6.47) ist durch (p 1)! teilbar, aber nicht durch p! falls p > |`n ↵1 · · · ↵n |. Ist nun auch p > q, so folgt insbesondere |J| (p 1)! und wir erhalten einen Widerspruch zur oberen Schranke, wenn wir p gegen Unendlich gehen lassen. Also ist ⇡ transzendent. Damit haben wir gezeigt, dass die Zahlen e, e⇡ und ⇡ transzendent sind. Für die Zahl ⇡ e ist bis heute nicht einmal bekannt, ob sie irrational ist. 36