Kapitel 11: ELEKTROPHYSIOLOGIE Inhalt: EINFÜHRUNG .......................................................................................................................... 149 PASSIVE ELEKTRISCHE EIGENSCHAFTEN VON MEMBRANEN ............................................................. 152 GRUNDLAGEN DER ERREGBARKEIT BIOLOGISCHER MEMBRANEN .................................................... 158 ELEKTROPHYSIOLOGISCHE MESSTECHNIK.................................................................................... 164 LITERATUR .............................................................................................................................. 179 LINKS ..................................................................................................................................... 180 Einführung Unter Elektrophysiologie verstehen wir die Untersuchungen von elektrischen Phänomenen in biologischen Systemen, der sog. Bioelektrizität. Heute verstehen wir in der Biologie darunter vorwiegend die Theorie elektrischer Messungen an Membranen. Historische Entwicklung • Erste Hälfte des 18. Jh. (vorgalvanische Periode): Erfolgloser Versuch, die Nerven- und Muskeltätigkeit durch Prinzipien der Mechanik zu erklären Frankreich, Deutschland: Vermutungen über Existenz tierischer Elektrizität (Zitteraal, Zitterrochen) • Luigi Galvani (1737 - 1798) 1780: Reizexperimente an komplexen Nerv-Muskelpräparaten von Fröschen 1786: Zufallsbeobachtung: miteinander leitend verbundene Metalle (Cu, Zn) können Muskelzuckungen auslösen, postuliert irrtümlich die Entdeckung der "tierischen Elektrizität" • Volta (1745 - 1827) Klärt die Ursache der Reizauslösung: Berührung des Präparates mit Metallkombinationen erzeugt eine Batterie (Voltasche Zelle) → Reizwirkung • Kontroversen: Galvani/Volta 1794: Entdeckung der "Zuckungen ohne Metalle" durch Galvani. Geburtsstunde der wissenschaftlichen Bioelektrizitätslehre und damit der modernen quantitativ messenden Physiologie • Instrumentelle Periode der Elektrophysiologie • Matteucci (1811 - 1868), Du Bois-Reymond (1818-1896) 1843: Du Bois-Reymond: Entdeckung des Aktionspotentials in Form einer 149 ELEKTROPHYSIOLOGIE vorübergehenden Verringerung des Verletzungsstroms Präexistenztheorie: Potential in intakten Muskelzellen und in Nervenzellen vorhanden 150 • Hermann v. Helmholtz (1821 - 1894) 1850: erste exakte Messungen der Erregungsleitungsgeschwindigkeit im N. ischiadicus des Frosches: 25 - 30 m/s • Ludimer Herrmann (1838 - 1914) 1868: Erste brauchbare Theorie der Bioelektrogenese und Erregungsleitung: Strömchentheorie (elektrischer Lokalstrom, der durch Cytoplasma und Außenmedium fließt) • Julius Bernstein (1839 - 1917) 1902: Membrantheorie der Erregung — Die ruhende Zellmembran ist selektiv permeabel für Kaliumionen (Grundlage ist die NERNSTsche Theorie der elektrochemischen Spannungsreihe) • Loewi (1921), Dale (1934) Entdeckung der chemischen Erregungsübertragung mittels Transmittersubstanzen • Stagnation in der Elektrophysiologie: Erst die Entwicklung neuer leistungsfähiger Messgeräte bringt die Erforschung der Bioelektrizität weiter: - Elektronenröhren - Brownsche Röhren: Gasser, Erlangen • Cole & Curtis (1939) Entscheidende Fortschritte bei Potentialmessung und Ermittlung der Leitungsgeschwindigkeit in verschiedenen Nerven Untersuchungen ursprünglich am ganzen Nerven und später auch an einzelnen Nervenfasern und seit Ende der 30er Jahre am Riesenaxon des Tintenfisches (- große Vorteile bei biophysikalischen Untersuchungen) • Hodgkin & Huxley (1939) Erregung führt nicht nur zum Verschwinden des Ruhepotentials, sondern zur vorübergehenden Potentialumkehr (1939) Ionenselektivität — Modifikationen von Bernsteins Membrantheorie (GHKGleichungen) (1949) Einführung der Voltage-Clamp und Isotopentechnik Ionentheorie der Erregung; heute das allgemein anerkannte theoretisches Fundament der Elektrophysiologie. Erstmalige Erwähnung von "gated ion channels" als Grundlage der Membranerregung • Ling & Gerard (1949) Einführung von Glaskapillar-Mikroelektroden • Katz & Miledi (1971) Rauschmessungen an Endplattenpotentialen geben erste experimentelle Hinweise für das Vorhandensein von Ionenkanälen in biologischen Membranen. • Neher und Sakmann (1978) Einführung der Patch-Clamp Technik. Damit ist zum ersten Mal der direkte Nachweis von Einzelkanalströmen an lebenden Zellen gelungen. BIOPHYSIK DER ZELLE • MacKinnon (1998) Erste Röntgenstruktur eines Ionenkanals, des KcsA Kaliumkanals aus S. lividans. Vereinfachte Betrachtung der Elektrophysiologie, Ersatzschaltbilder Die Grundlagen der Elektrophysiologie sind einfache Prinzipien der chemischen Energetik und der Elektrizitätslehre. Deshalb verwendet man zum besseren Verständnis der Elektrophysiologie einfache Modelle, meist in Form von Ersatzschaltbildern bzw. Ersatzschaltungen. Sie bestehen aus einfachen elektronischen Bauteilen, wie Widerstände, Batterien und Kondensatoren und erlauben somit eine Vorhersage über die Messergebnisse eines elektrophysiologischen Experiments. Ersatzschaltbilder sind in den meisten Fällen recht gute Modelle für elektrische Vorgänge an der Zellmembran I2 I1 Gj 1 Rmem 1 2 Rmem 2 Abb. 105 Beispiel für ein Ersatzschaltbild. Näheres im Kapitel Informationsübertragung. Ersatzschaltbilder sind "gute" Modelle, da sich die verwendeten Bauteile physikalischen Komponenten einer biologischen Membran zuordnen lassen und Messergebnisse gut beschreiben. Aber auch diese Modelle haben ihre Grenzen. 151 ELEKTROPHYSIOLOGIE Passive elektrische Eigenschaften von Membranen Das Grundgesetz der Elektrophysiologie Aufgrund der in die Membran eingelagerten Transportproteine für Ionen ist die Membran für Ladungsträger durchlässig, d.h. sie leitet den elektrischen Strom und hat somit einen Widerstand R bzw. einen Leitwert G. R Abb. 106 Ein sehr einfaches Ersatzschaltbild: Die Membran als Ohmscher Widerstand. Damit gilt auch für biologische Membranen das Ohmsche Gesetz: U =RI oder R= U I Dieser Zusammenhang wird oft durch eine Strom-Spannungskennlinie dargestellt, bei der der Strom über die Spannung abgetragen wird. U Für einen Ohmschen Leiter ( R = I = const. )sieht dieses Diagramm so aus: 152 BIOPHYSIK DER ZELLE 0,2 I / mA 0,1 0,0 R -0,1 -0,2 -150 R = 1 kOhm R = 2 kOhm R = 5 kOhm -100 -50 0 50 100 150 Kennlinie eines U / mV Abb. 107 Strom-Spannungs Ohmschen Widerstands. Der Leitwert ist der Kehrwert des Widerstands G= 1 I = R U er wird in der Elektrophysiologie häufig verwendet, da die verschiedenen Leitfähigkeiten in der Membran parallel geschaltet vorliegen, wodurch sich die Gesamtleitfähigkeit einer Membran bei dieser Darstellung durch einfache Addition der Einzelleitfähigkeiten ergibt. Kapazitive Eigenschaften von Membranen Biologische Membranen bestehen aus einem Nichtleiter – der Lipiddoppelschicht, die zwischen zwei elektrolytischen Leitern – dem Zytoplasma und dem extrazellulären Medium – eingeschlossen ist. Diese Anordnung wirkt elektrisch als ein Kondensator. C Abb. 108 Noch ein einfaches Ersatzschaltbild: Die Membran als Kondensator. Die Kapazität eines Kondensators berechnet sich nach: 153 ELEKTROPHYSIOLOGIE C = εr ε0 A d C µF einer Lipidmembran berechnen. = 2 A cm Daraus kann man die spez. Kapazität • die Dielektrizitätskonstante von Vakuum ist • die Dielektrizitätskonstante von Öl (Lipiddoppelschicht ) ist ε r ≈ 2 • und die Dicke einer Lipiddoppelschicht ist d ≈ 5 nm ε 0 = 8.86 × 10 - 12 As Vm C 1 As 1 = 8,86 × 10 - 12 × 2 -9 A 5 × 10 V m m As ≅ 4 × 10 - 3 V m2 µF ≅ 0,4 cm 2 Biologische Membranen haben dagegen eine etwas höhere spezifische Kapazität von ca. 1µF/cm 2 . Damit lässt sich durch eine Kapazitätsmessung relativ leicht die Oberfläche der Zellmembran bestimmen. Kleine Säugerzellen (z.B. HeLa-Zellen) haben eine Membrankapazität von 25-30 pF d.h.: 30 × 10 −12 F A= 1 × 10 −6 F 2 cm −6 = 30 × 10 cm 2 = 3 × 10 3 µm 2 diese Zellen haben also eine Membranoberfläche von ca. 3000 µm2 . Dieser Wert ergibt sich auch, wenn man die Zelle als eine Kugel mit einem Radius von 15 µm betrachtet: A = 4π r 2 . Dieser Wert ist aber zu hoch (HeLa-Zellen haben einen Radius von 6 µm ), weil die Zelle keine ideale Kugel ist und ihre Plasmamembran zahlreiche Ausstülpungen zeigt. Die Ladungsverschiebung über einen Kondensator berechnet sich nach: Q=C U • 154 spezifische Kapazität 1µ F/cm2 BIOPHYSIK DER ZELLE • Zelloberfläche ~ 3 × 10- 5cm2 • Zellkapazität ~30 pF • Membranpotential ~ -90 mV Q = 30 pF 90 mV = 2,7 × 10 −12 C ≅ 3 × 10 -17 Mol d.h. um ein Membranpotential von -90 mV zu erzeugen, müssen ca. 3 × 10-17 mol oder 150 Millionen Ladungsträger (z.B. K+-Ionen) über die Membran transportiert werden. Der dazu notwendige Verschiebestrom ist zeitabhängig: I=C dU dt I U d.h. die Spannung der Membran reagiert auf das Ein- und Ausschalten eines Stroms ebenfalls mit einem exponentiellen Zeitverlauf, der sich asymptotisch der Maximalspannung annähert. Die Membran verzerrt also den Zeitverlauf eines angelegten (Stimulations-) Signals. U I t Abb. 109 Ladestrom und Spannung an einem Kondensator. Ersatzschaltbild für eine Biologische Membran Biologische Membranen verhalten sich daher wegen der relativ hohen Ionenpermeabilität wie eine Parallelschaltung von Widerstand und Kondensator. Aufgrund dieser Überlegungen lässt sich somit ein erstes vereinfachtes Ersatzschaltbild einer biologischen Membran aufzeichnen, das aber bereits alle wesentlichen Elemente (Lipidmembran und Transportproteine) elektrisch repräsentiert. 155 ELEKTROPHYSIOLOGIE C R Lipid Kanal Abb. 110 Einfaches biologischen Membran Ersatzschaltbild einer Kabeleigenschaften der Membran Zellen besitzen darüber hinaus aber noch eine räumliche Ausdehnung, häufig mit langen dünnen Fortsätzen. Axon Abb. 111 Kabeleigenschaften von biologischen Membranen in Zellfortsätzen z.B. dem Axon bei Neuronen. Verknüpft man diese Eigenschaften mit dem hohen Widerstand einer Elektrolytlösung, so verhalten sich besonders die dünne Zellfortsätze (z.B. Axone oder Dendriten) wie ein Überseekabel in der Telegraphie. D.h. die Stärke eines an einem Ende eingespeisten Signals (Reizspannung U0) nimmt über die Länge x des Fortsatzes (= Kabels) exponentiell mit einer Längskonstanten λ ab. U (x ) = U 0 e − x λ Kabelgleichung 156 BIOPHYSIK DER ZELLE rel. Signalamplitude % 100 80 60 40 20 0 -40 -20 0 x 20 40 Abb. 112 Verlauf der Signalamplitude entlang eines Kabels. Die Kabelkonstante λ ergibt sich aus den Eigenschaften des Kabels λ= r Rm 2 Ri Zähler: Flächenwiderstand der Hülle (Membran) [ Ω cm2] Nenner: spez. Widerstand des Kerns [ Ω cm] Für das Riesenaxon des Tintenfischs gilt: • Radius r ~ 0,25 mm • 2 spezifischer Membranwiderstand Rm ~ 700 Ω cm • spezifischer Innenwiderstand Ri ~ 30 Ω cm => Kabelkonstante ~ 3 mm Bei Nervenfasern sind wie bei Überseekabeln möglichst große Kabelkonstanten erwünscht. Dies erhält man über den Querschnitt (z.B. Riesenaxon bei Invertebraten) λ∝ r oder über die Isolierung (Hüllwiderstand z.B. durch Myelinisierung bei Vertebraten) λ ∝ Rm da Ri konstant (intrazelluläres Milieu) 157 ELEKTROPHYSIOLOGIE Zusammenfassung • Lipidmembranen sind gute Isolatoren zwischen zwei "Leiterplatten" aus Elektrolyt, d. h. sie wird im Ersatzschaltbild als Kondensator dargestellt • Ionentransportsysteme leiten Strom, d.h. verhalten sich wie ein Widerstand. • An biologischen Membranen besteht ein elektrochemischer Gradient für bestimmte Ionen. Viele Transportproteine sind sehr selektiv für bestimmte Ionensorten. In Verbindung mit der Kondensatorfunktion der Membran ergibt sich daraus eine Spannungsquelle (mit einem spezifischen Umkehrpotential), dies wird als Batterie dargestellt. • Biologische Membranen sind Flächenleiter, Zellfortsätze (z.B. Nervenfasern ) verhalten sich bei der Signalweiterleitung wie ein isoliertes Kabel, weil das Zytoplasma einen wesentlich geringeren Widerstand hat als die umgebende Membran. Grundlagen der Erregbarkeit biologischer Membranen Erregbare Zellen (z.B. Nervenzellen oder Muskelfaserzellen) können abhängig von äußeren Stimuli (z.B. Depolarisierung oder Neurotransmittern) typische zeitliche Änderungen in ihrem Membranpotential generieren (Aktionspotential, postsynaptisches Potential) und weisen in weiten Bereichen des physiologischen Spannungsbereichs eine nichtlineare StromSpannungskennlinie auf; d.h. sie verhalten sich nicht wie ein Ohmscher Leiter. Insbesondere bei Nervenfasern ist die Leitfähigkeit deutlich Spannungsabhängig und ähnelt entfernt einer Diodenkennlinie, d.h. sie ist gleichrichtend. 5 INa IK Iges 4 3 Imem / nA 2 1 0 -1 -2 -3 -100 -80 -60 -40 -20 0 20 40 60 80 100 Umem / mV Abb. 113 Strom-Spannungskennlinie Nervenmembran. einer Die Fragestellung, durch die um 1935 die zweite große Phase der Elektrophysiologie einleitete war demnach: 158 BIOPHYSIK DER ZELLE Was ist die Ursache für die Erregbarkeit des Axons? Diese Fragestellung wurde vor allem von Kenneth Cole und Howard Curtis in Woods Hole und später von Alan Hodgkin, Andrew Huxley und Bernhard Katz in Cambridge am Riesenaxon des Kalmars Loligo untersucht. Hierzu mussten eine Reihe von neuen Experimentiertechniken wie z.B. die Voltage-Clamp Technik entwickelt werden, wofür Hodgkin und Huxley 1963 den Nobelpreis verliehen bekamen. Die Ionentheorie des Aktionspotentials Hodkin und Huxley bemerkten nach genauen Analysen des Verlaufs eines APs, dass das Ruhepotential einer Nervenmembran nahe dem K+-Gleichgewichtspotential liegt, während die Spitze des Aktionspotentials ungefähr dem Na+-Gleichgewichtspotential entspricht. Weiterhin konnten sie zeigen, dass man das Ruhepotential durch eine Veränderung der Außenkonzentration für Kaliumionen, die Amplitude des Aktionspotentials dagegen durch de Konzentration für Natriumionen verändern konnte. Gleichzeitig wusste man aus den Arbeiten von Cole und Curtis, dass der Membranwiderstand während eines Aktionspotentials dramatisch abnahm. Die Hypothese von Hodgkin, Huxley und Katz besagte demnach, dass Erregungsvorgänge in der Nervenmembran durch Änderung der Membranleitfähigkeiten für spezifische Ionen hervorgerufen werden. K Cl - Na EK ECl ENa + + - + CMem + Abb. 114 Ersatzschaltbild Nervenmembran. für eine Man kann die Ionenleitfähigkeit getrennt bestimmen, indem man • die Membranleitfähigkeit mittels der Voltage-Clamp Technik misst 159 ELEKTROPHYSIOLOGIE und dann selektiv • jeweils nur eine Ionensorte im Außenmedium zugibt • die Transportproteine blockiert Für Na+- und K+-Kanäle gibt es sehr spezifische Blocker: TTX: Tetrodotoxin für spannungsabhängige Na+-Kanäle TEA: Tetraethylammonium für spannungsgesteuerte K+-Kanäle HH-K+ Ströme HH-Na+ Ströme Sannung Abb. 115 Na+- und K+-Ströme für eine Nervenmembran (nach A. L. Hodgkin, A. F. Huxley and B. Katz, J. Physiol. (London), 116 (1952) 424). Die Natrium-Leitfähigkeit zeigt ein besonders Phänomen: Das Gating d.h. die Leitfähigkeit der Nervenmembran spricht wie bei einer Vakuumröhre oder einem Transistor auf eine äußere Spannung an. Hodgkin, Huxley und Katz konnten mit ihren Experimenten nicht nur zeigen, dass das Membranpotential durch die Leitwerte für verschiedene Ionen reguliert werden kann, sie konnten auch eine Serie von bemerkenswert einfachen Differentialgleichungen aufstellen (die H-H Gleichungen), die nicht nur den Zeitverlauf des Aktionspotentials sehr gut beschreiben sondern auch zeigten, dass dieses sich wie eine Welle gerichtet entlang des Axons ausbreitet. 160 BIOPHYSIK DER ZELLE Ionenkanäle: Molekulare Grundlagen der Membranerregbarkeit Mit der Ionentheorie der Erregung ließ sich Entstehung und Ausbreitung des Aktionspotentials und weiterhin auch die synaptische Übertragung erklären. Was jedoch noch fehlte war eine Erklärung für die Ursache der Leitfähigkeitsänderungen, die eigentlich zu schnell und zu groß für einen klassischen Transportermechanismus waren. Hypothese von Hodgkin, Huxley & Katz: 1952 Die Leitfähigkeitsänderungen bei erregbaren Zellen sind molekular durch das Öffnen und Schließen von Poren bedingt, die auf äußere Reize reagieren können. z.B.: Spannung, Neurotransmitter, mechanische Reize => Gated Ion Channels Ihr Nachweis ist messtechnisch schwierig, da man einzelne Kanäle in der Membran messen müsste. Durch indirekte Messungen konnte man in den 70er Jahren auf deren Existenz schließen. =>Rauschanalyse, Rekonstitution in Lipid Bilayers 1976 gelang Neher & Sakmann erstmals der direkte Beweis für Ionenkanäle in der Muskelzellmembran, indem sie die Stromfluktuation durch einzelne Acetylcholinrezeptoren messen konnten. Dies war nur mittels einer neuen Messmethode möglich, der Patch-Clamp Technik. Auch hierfür gab es 1991 einen Nobelpreis „für ihre Entdeckungen betreffend der Funktion von einzelnen Ionenkanälen in Zellen“. Ionenkanäle (oder ganz allgemein Kanäle) sind in die Membran eingelagerte Proteine, die eine Pore durch die Membran bilden, durch die ihr Substrat praktisch ungehindert von einer Seite zur anderen diffundieren kann. Die Eigenschaften der Pore bestimmen, welche Ionen bzw. Moleküle durch einen Kanal passieren können, wirken also als eine Art Selektivitätsfilter. Diese Selektivität kann sehr ausgeprägt sein, Na+-Kanäle im Axon haben z.B. für Na+-Ionen eine mehr als 1000 mal höhere Leitfähigkeit (Permeabilität ) als für die sehr ähnlichen K+Ionen! 161 ELEKTROPHYSIOLOGIE Pore Selektivitätsfilter + + Schliessmechanismus Abb. 116 Struktur von Ionenkanälen. Entsprechend ihrer Selektivität werden Ionenkanäle oft nach dem unter physiologischen Bedingungen überwiegend permeablen Ion bezeichnet. In Nerven- und Muskelzellen findet man z.B. • Na+-Kanäle • K+-Kanäle • Ca++-Kanäle • Cl--Kanäle Die Regulation erfolgt über Öffnen und Schließen der Pore, die in der Regel nur zwei Zustände erlaubt – offen (leitend) und geschlossen (nicht leitend). offen geschlossen Abb. 117 Regulationsmechanismus Permeabilität von Ionenkanälen. für die Messungen des Stromflusses durch einzelne Ionenkanäle haben daher das typische Aussehen von Rechteckpulsen gleicher Amplitude, aber zufälliger Dauer. Die beobachteten Stromverläufe ergeben sich aus der Überlagerung vieler solcher Einzelkanalströme. 162 BIOPHYSIK DER ZELLE geschlossen offen inaktiv 1 Kanal 5 pA 2 Kanäle 10 pA 5 Kanäle 10 pA 25 pA 10 Kanäle 0,2 nA 200 Kanäle 1 ms Abb. 118 Der Membranstrom als Summe von Einzelkanalströmen. Die Regulation von Ionenkanälen durch äußere Stimuli wird heute üblicherweise als Gating bezeichnet. Entsprechend ihrer Aktivierungsmechanismen werden hier ebenfalls zwei prizipielle Gruppen von Ionenkanälen unterschieden: • Spannungsgesteuerte Ionenkanäle (voltage gated ion channels); z.B. die Na+- und K+Kanäle der Axonmembran. • Ligandgesteuerte Ionenkanäle (ligand gated ion channels); z.B. typische sog. ionotrope Neurotransmitter-Rezeptoren wie der nikotinische Acetylcholin-Rezeptor der neoromuskulären Endplatte oder der NMDA-Rezeptor (Glutamat) des ZNS. Daneben gibt es noch andere Mechanismen zur Regulation z.B. so genannte Mechanorezeptoren, die auf mechanische Reize ansprechen und z.B. beim Hörvorgang und der Osmoregulation beteiligt sind. Wir wissen inzwischen vor allem durch Patch-Clamp Untersuchungen, dass Ionenkanäle nicht nur auf die Nervenzellmembranen beschränkt sind. Ganz im Gegenteil: Ionenkanäle sind ein sehr wichtiger Bestandteil vieler zellulärer Regulationsmechanismen und daher als ein wichtiges Ziel für pharmakologische Anwendungen auch medizinisch sehr relevant. Dies wird unterstrichen durch die Entdeckung von mehr und mehr Erbkrankheiten, die auf dem Ausfall bestimmter Ionenkanäle beruhen sog. Channelopathies. Ein prominentes Beispiel hierfür ist die Mukoviszidose, eine der häufigsten Erbkrankheiten unter Menschen kaukasischer 163 ELEKTROPHYSIOLOGIE Abstammung, die auf dem Ausfall eines Chloridkanals, dem CFTR (Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator), beruht. Elektrophysiologische Messtechnik Messprinzipien Die Elektrophysiologie beschäftigt sich mit der Messung elektrischer Größen d.h. von: • Spannungen U [V] • Strömen I [A] • Widerständen R [ Ω ] • Leitfähigkeiten G [S] Für diese Messgrößen benötigen wir geeignete Messgeräte, die die besonderen Eigenschaften von biologischem Material berücksichtigen. Je nach Art der Ladungsträger unterscheidet man bei stromleitenden Materialien zwischen • Leiter 1. Ordnung: elektronische Leiter, Ladungsträger sind Elektronen in Metallen • Leiter 2. Ordnung: ionische Leiter, Ladungsträger sind Ionen, Elektrolyte, Salzschmelzen Messgeräte sind Leiter 1. Ordnung; Zellen sind Leiter 2. Ordnung d.h. man braucht Mittler, die auf elektrochemischem Wege zwischen diese beiden Leitertypen verbinden. Diese Mittler nennt man Elektroden. Elektroden: Analog zu den beiden Leitertypen gibt es zwei Typen von Elektroden: • Elektroden 1. Art (Metallelektroden) sind polarisierbar: Beim Eintauchen in einen Elektrolyt, kann sich eine Galvanispannung aufbauen, die nicht zeitkonstant ist. • Elektroden 2. Art sind nicht polarisierbar und bestehen in der Regel aus einer Verbindung eines Metalls mit seinem (schwer löslichen) Salz. Silber/Silberchlorid-Elektrode Eine in der Elektrophysiologie weit verbreitete Elektrode 2. Art ist die Silber/SilberchloridElektrode. In ihrer einfachsten Form ist dies ein mit Silberchlorid überzogener Silberdraht, der in eine Lösung getaucht wird, die Cl- -Ionen enthält (z.B. KCl-Lösung). Dabei ergeben sich die folgenden elektrochemischen Reaktionen: Kathodenreaktion: 164 BIOPHYSIK DER ZELLE AgCl + e- Ag + Cl- Reduktion von Silber, Cl- geht in Lösung Anodenreaktion: Ag+ + e- Ag Ag+ + Cl- AgCl Da Silber und Silberchlorid Feststoffe sind, bleiben ihre "Konzentrationen" über die Zeit konstant und es bildet sich kein veränderliches Galvanipotential. Verstärker Der Innenwiderstand biologischer Signalquellen ist meist zu hoch, um direkt mit Messgeräten wie Oszilloskopen gemessen werden zu können. Es ist deshalb notwendig, diese Signale durch einen Verstärker mit hohem Eingangswiderstand zu verstärken. Verstärkerschaltungen werden heute meist mit Operationsverstärkern in integrierten Schaltkreisen (IC's = Integrated Circuits) realisiert. Dabei kann die komplette Verstärkerschaltung (oder mehrere!) in einer Baugröße hergestellt werden, die früher für einzelne Transistoren üblich war. Moderne Operationsverstärker sind ausgereifte elektronische Bauteile. Kenntnisse über Transistorgrundschaltungen sind für ihre Anwendung nicht mehr notwendig. Preiswerte Operationsverstärker können in geeigneter Weise in einen Schaltkreis einbezogen werden und dadurch eine Vielzahl unterschiedlicher Aufgaben bei der Aufbereitung und Verstärkung analoger Signale erfüllen. nicht invertierender Eingang invertierender Eingang + + - LF411 Ausgang - Abb. 119 Operationsverstärker. Typische Daten von Operationsverstärkern am Beispiel des LF411: 165 ELEKTROPHYSIOLOGIE Betriebsspannung: ±10 - 36 V Ruhestrom: 3,4 mA Leerlaufspannungsverstärkung: 104 Ausgangsleistung: 1 mW - 1 W Obere Grenzfrequenz: 10 Hz Offsetspannung: 0,8 mV Offsetstrom: 25 pA Eingangswiderstände auf Null: 1012 Ohm Ausgangswiderstand: 40 Ohm Arbeitstemperatur: -55 C bis +150 C (optimal: +10 C bis +60 C) Operationsversärker werden meist nicht mit ihrer Nennverstärkung betrieben (sog. open-loop gain) sondern durch externe Beschaltung mit Widerständen und Kondensatoren als Rückkopplungsverstärker. Je nach Beschaltung des Operationsverstärkers können Verstärkerschaltungen mit unterschiedlichen Eigenschaften, wie invertierender Verstärker, Impedanzwandler (oder Kathodenfolger), Subtrahierer (Differenzverstärker), aktiver Hochund Tiefpaßfilter u.a. aufgebaut werden. Nachfolgend sind einige für elektrophysiologische Experimente wichtige Schaltungen im Prinzip beschrieben. Nicht invertierender Verstärker , Kathodenfolger Beim nicht invertierenden Verstärker wird das Eingangssignal auf den + -Eingang gelegt. Das Eingangssignal erscheint phasenrichtig am Ausgang. Die Spannungsverstärkung wird über eine Gegenkopplung am invertierenden Eingang eingestellt. R2 R1 Abb. 120 Nicht invertierende Verstärkerschaltung, Impedanzwandler. Die Schaltung hat den Vorteil eines sehr hohen Eingangswiderstandes (1010 Ohm bei FeldEffekt-Transistor-Eingängen). Sind RK und RE gleich groß, so ist die Spannungsverstärkung V = 1. Der Verstärker zeigt dennoch eine Leistungsverstärkung, da ein kleiner Strom einer 166 BIOPHYSIK DER ZELLE Signalquelle am hochohmigen Eingang in einen größeren Strom am niederohmigen Ausgang umgewandelt wird. D.h. es findet eine Widerstandsanpassung (Impedanzwandlung) eines niederohmigen Messgerätes an eine hochohmige Signalquelle statt. Ein solcher Verstärker wird auch als Impedanzwandler oder historisch bedingt als Kathodenfolger bezeichnet. Diese Schaltung findet in der Elektrophysiologie vor allem bei der intrazellulären Ableitung von Membranpotentialen bzw. bei Messungen mit ionensensitiven Mini- und Mikroelektroden ihre Anwendung. Invertierender Verstärker, Strom-Spannungswandler Bei invertierenden Verstärkern wird das Eingangssignal am –Eingang angelegt. Sie drehen die Phasenlage einer Wechselspannung so, dass sie am Ausgang um 180° verschoben erscheint. Das Signal wird also umgekehrt. R2 R1 Abb. 121 Schaltung für einen invertierenden Verstärker. Durch Rückkopplung des Ausgangssignals auf den invertierenden Eingang über den Widerstand RK (Gegenkopplung) wird der Faktor der Spannungsverstärkung V bestimmt. Derartige Verstärkerschaltungen mit einem Rückkopplungswiderstand nennt man auch Strom-Spannungswandler, da durch den Rückkopplungswiderstand am Ausgang eine Spannung abgegriffen werden kann, die proportional ist zum (Rückkopplungs-) Stromfluß am Ausgang. Dies ist die Grundschaltung für den Eingangsverstärker von Voltage-Clamp Verstärkern. Differenzverstärker Durch Kombination von invertierendem und nicht invertierendem Verstärker erhält man einen Differenzverstärker. Beide Eingangsspannungen werden voneinander abgezogen und am Ausgang erscheint die Differenz. 167 ELEKTROPHYSIOLOGIE R2 R1 R1 R2 Abb. 122 Schaltung für einen Differenzverstärker. Differenzverstärker werden häufig bei hochohmigen Signalquellen eingesetzt, wo die Gefahr einer Einstreuung durch elektromagnetische Felder aus der Umgebung groß ist (Antennenwirkung), oder um kleine Signale, die einer verhältnismäßig großen Konstantspannung (Offset-Spannung) aufgelagert sind, sichtbar zu machen. Als Beispiele sind Ableitungen bei EKG, EMG und EEG mit am Körper befestigten Elektroden zu nennen. Bei solchen Ableitungen werden die Leitungen zu beiden Eingängen parallel hingeführt. Dadurch wirken sich Einstreuungen durch elektromagnetische Felder auf beide Leitungen gleichermaßen - aber gegensinnig - aus. Am Ausgang des Differenzverstärkers bleiben daher nur die Unterschiede übrig, die von der Signalquelle herrühren. Rauschen in elektrophysiologischen Messungen – Frequenzfilter Bei einer realen elektrophysiologischen Messung ist das eigentliche Signal (z.B. Aktionspotential) immer durch einen mehr oder weniger zufällig variierenden Signalanteil übergelagert, das Rauschen. Dieses Rauschen entsteht z.T. durch kapazitive oder induktive Kopplung externer Signale (z.B. den sog. 50 Hz-Brumm aus der Stromleitung), kann aber auch als Widerstandsrauchen im Messgerät oder in der Signalquelle selbst entstehen. Dieses Rauschsignal überdeckt das Nutzsignal und ist bei hohen Frequenzen häufig größer als dieses. Um dieses Rauschen zu unterdrücken bedient man sich daher sog. Frequenzfilter. Die einfachste Realisierung eines Frequenzfilters ist das RC-Glied, bei dem ein Ohmscher Widerstand und ein Kondensator in Reihe geschaltet werden. Je nachdem über welchem Bauteil man nun das Spannungssignal abgreift wirkt ein RC-Glied als Hochpass- oder TiefpassFilter. 168 BIOPHYSIK DER ZELLE Hochpass R Tiefpass C Abb. 123 Einfache Frequenzfilter mit einem RCGlied. Kondensatoren wirken für Wechselspannungen als frequenzabhängiger Widerstand, man spricht dann vom kapazitiven Blindwiderstand. Das RC-Glied wirkt also wie ein frequenzabhängiger Spannungsteiler. Bei niedrigen Frequenzen (Spezialfall: Gleichspannung) wirkt der Kondensator im Stromkreis wie ein sehr hoher Widerstand, d.h. man greift über dem Kondensator die maximale Spannung ab. Bei hohen Frequenzen nimmt dieser Widerstand ab und folglich auch die Spannungsamplitude. Greift man die Signalspannung also über dem Kondensator ab, erhält man einen Tiefpass-Filter. Der Ohmsche Widerstand ändert seinen Wert bei unterschiedlichen Frequenzen der Wechselspannung nicht. Es ändert sich aber das Widerstandsverhältnis der Bauteile R und C und somit auch das Verhältnis der über die einzelnen Teile abfallenden Spannung. D.h. für hohe Frequenzen fällt der Hauptteil der Signalspannung am Ohmschen Widerstand ab, man erhält also einen Hochpass-Filter. 169 ELEKTROPHYSIOLOGIE 1,0 0,8 U/U0 0,6 0,4 Tiefpass Hochpass 0,2 0,0 1 10 100 1000 10000 100000 f / Hz Abb. 124 Frequenzgang eines einfachen RCHochpass- bzw. Tiefpassfilters. Hat man ein Wechselspannungsgemisch aus verschiedenen Frequenzen, möglicherweise noch mit Gleichspannungsanteilen, so kann man über den Tiefpass die Spannungen mit den niedrigen Frequenzen am Kondensator abgreifen. Über einen Hochpass greift man am Widerstand die hochfrequenten Wechselspannungen ab. Bei einem Radio filtert man also mit einer Tiefpassschaltung hochfrequente Pfeiftöne heraus, mit einer Hochpassschaltung störende Brummgeräusche. Ein RC-Filter kann außerdem Spannungsformen verändern, z.B. rundet er bei Rechteckspannung die Ecken ab. Dies ist der Fall, wenn eine Nervenmembran (Tiefpasswirkung durch ihren Bau) mit unterschwelligen Rechteckspannungen gereizt wird (kein Aktionspotential ausgelöst), sie werden als "Haifischflosse" registriert. Für elektrophysiologische Messungen sind diese einfachen (passiven) Filterschaltungen nicht geeignet. Hier verwendet man z.T. sehr aufwendige aktive Tiefpass-Filterschaltungen mit Operationsverstärkern, die eine wesentlich bessere Frequenzunterscheidung um die Grenzfrequenz erlauben. Die Aufbereitung des Messsignals z.B. durch Frequenzfilter bzw. zusätzliche Spezialverstärker nennt man auch Signalkonditionierung. Das Oszilloskop Ein Oszilloskop kann zum Beobachten von Schwingungen und zeitlich sich ändernden Spannungssignalen verwendet werden. Mit Hilfe dieses Gerätes ist es möglich, den zeitlichen Verlauf von Messgrößen sichtbar zu machen und zu speichern (Kathodenstrahloszillograph). Die betrachtete Größe bildet das Eingangssignal für das Gerät. Kleine Eingangssignale werden durch einen Messverstärker in vorgegebenen Stufen verstärkt. Das Eingangssignal erzeugt ein unmittelbar beobachtbares Ausgangssignal, dessen zeitlicher Verlauf mit dem des Eingangssignals übereinstimmt, jedoch unter Umständen zeitlich verzögert sein kann (Beeinflussung durch Messgerät). 170 BIOPHYSIK DER ZELLE Als "Zeiger" dient ein Elektronenstrahl, der von einer Kathode emittiert wird. Da das gesamte System in einer Vakuumröhre eingebaut ist, tritt keine nennenswerte Dämpfung der Signalamplituden auf. Die zeitliche Auslenkung erfolgt über horizontal ablenkende Platten, die vertikale (Signal-) Auslenkung des Elektrodenstrahls geschieht über vertikale Ablenkplatten. Beim Auftreffen der Elektronen auf den Schirm der Vakuumröhre wird sichtbares Licht aus der aufgedampften Zinksulfidschicht abgestrahlt. Vertikalablenkung (Signal) Wehnelt-Zylinder Elektronenstrahl Anode Kathode Zinksulfidschirm Heizstromkreis Anodenspannung (Beschleunigungsspannung) Horizontalablenkung (Kippspannung) Abb. 125 Prinzip des Kathodenstrahloszilloskops (Brownschen Röhre). Digitaloszilloskope Moderne Oszilloskope haben neben der analogen Bildaufzeichnung häufig einen digitalen Speicher, mit dem sich der momentane Bildschirminhalt festhalten lässt. Dies entspricht der Speicherung des Bildschirminhalts durch eine verlängerte Nachleuchtzeit bei reinen Analogoszilloskopen. Neben dieser Bildschirmspeicherung bieten einige Digitaloszilloskope auch noch einen Rollmodus an, mit dem besonders langsame Signale noch auf der Anzeige dargestellt werden können. Dieser Komfort wird allerdings auch mit einigen Nachteilen bezahlt. Die Digitalisierung des analogen Spannungssignals erfolgt nämlich über einen sog. Analog-Digital-Wandler, dessen Zeitauflösung in der Regel wesentlich geringer ist als beim Analogteil des Oszilloskops. Da die Analog-Digital-Wandlung mit einer festgelegten Frequenz erfolgt — der Abtastrate — kann es für Signale mit höherer Frequenz als die Abtastrate zu einer erheblichen Verzerrung kommen. Man nennt diesen Vorgang Aliasing, wenn Signal und Wandlerfrequenz nahe beieinander liegen (Schwebungen). Rechnergestützte Datenaufnahme und Auswertung Heute werden in vielen elektrophysiologischen Labors Oszilloskope durch Arbeitsplatzrechner ersetzt, die mit geeigneten Laborinterfaces zur digitalen Messdatenerfassung ausgestattet sind. Solche Geräte verhalten sich im Wesentlichen wie Digitaloszilloskope, sie gestatten aber neben der Darstellung der Messdaten zusätzlich noch die Speicherung und nachträgliche Auswertung. Außerdem kann man mit geeigneten 171 ELEKTROPHYSIOLOGIE Verstärkern und Zusatzausstattung experimentelle Größen wie z.B. das Membranpotential bei Voltage-Clamp Messungen durch den Rechner steuern lassen. Moderne elektrophysiologische Methoden währen ohne Rechnerunterstützung nicht sinnvoll anwendbar, da diese Experimente häufig eine statistische Analyse einer ganzen Serie von Einzelmessungen erfordern. Die Elektrische Messkette Zellen, Elektroden, Messverstärker, Filter und Messgeräte bilden eine sog. Messkette von miteinander verbundenen Leitern und elektronischen „Bauteilen“. Das Konzept der Messkette ist insbesondere für das Verständnis von Fehlern bzw. Abweichungen der Messergebnisse von der zu erwartenden Messgröße (z.B. Membranpotential) wichtig. Solche Fehler sind z.B. zusätzliche Spannungsquellen, nichtstationäre Signale (Drift) und Rauschen. Im Messkreis befinden sich verschiedene Phasenübergänge, an denen Potentiale auftreten können z.B.: • elektrochemisches Potential der Elektrode: Ag/AgCl • Konzentrationszelle: 3M KCl / Medium • Diffusionspotential: an der Pipettenspitze • Spitzenpotential (der Elektrode, möglichst klein) • Membranpotential: das Signal Durch geeignete Anordnung dieser Phasengrenzen (symmetrische Anordnung) lassen sich die Einflüsse dieser Störpotentialquellen minimieren und z.B. zeitlich variable Offsetspannungen aufgrund von Elektrodenpolarisierung vermeiden ( → indifferente Elektrode). Wichtig für praktische Messungen: Für elektrische Messungen muss der Stromkreis immer geschlossen sein! Im folgenden werden einige in der Elektrophysiologie gebräuchlichen Messketten nun erleutert. Messung von Transmembranpotentialen (Spannung) Extrazelluläre Ableitung z.B. EKG, EEG, ERG Apparativ wenig aufwendig, aber nur beschränkt aussagekräftig. 172 BIOPHYSIK DER ZELLE Messverstärker (Differenzverstärker) Reizelektroden Ableitelektroden Nervenbündel Abb. 126 Extrazelluläre Ableitung an einem Nerven. Die Messung erfolgt an Elektrode 1 gegen Elektrode 2, ergibt also ein biphasisches Potential, da nur die Spitze des Aktionspotentials gemessen wird, wenn es kurzzeitig auch außen zu einer Ladungsverteilung kommt. Leitet man z.B. an ganzen Nerven ab so erfolgt eine Messung von Summenpotentialen d.h. die Überlagerung der Aktionspotentiale aller durch den Reiz angeregter Nervenfasern. Intrazelluläre Ableitung Bei der intrazellulären Ableitung wird das Transmembranpotential abgeleitet, d.h. die Potentialdifferenz (eine elektrische Spannung!) zwischen dem Zellinneren und dem umgebenden Medium, dessen Potential als Referenzpotential willkürlich als null definiert wird (Erdpotential). 173 ELEKTROPHYSIOLOGIE Signal-Verstärkungsfaktor ist 1! “Impedanzwandler” positive Rückkopplung! + - Ableitelektrode (Glasmikroelektrode) Operationsverstärker Spannungsmessgerät (Osziloskop) indifferente Elektrode über Strombrücke ins Bad eingekoppelt Abb. 127 Intrazelluläre Ableitung mit einer GlasMikroelektrode. Hierbei wird mit einer Glasmikroelektrode abgeleitet. Diese besteht aus einer miniaturisierten Silber-Silberchlorid-Elektrode am Fuß eines Elektrodenhalters, in dem über eine KCl-Lösung der Kontakt zu einer mit KCl-Lösung gefüllten Glasmikropipette hergestellt wird. Dies ist eine sehr fein ausgezogene Gaskapillare mit einem Öffnungsdurchmesser von ca. 500 nm, mit der man in das Zellinnere stechen und so daraus ableiten kann. Ag/AgCl-Elektrode (Pellet) Glasmikropipette Elektrodenhalter Abb. 128 Glas-Mikroelektrode bestehend aus Elektrodenhalter und Glasmikroelektrode. Diese Elektroden haben einen sehr hohen Widerstand von ca. 100 MOhm. Die Zelle ist zudem eine sehr schlechte Spannungsquelle, d.h. man benötigt einen Verstärker. Da die Signalamplitude mit mehreren Millivolt verhältnismäßig groß ist wählt man ~ 1 als Verstärkerstufe, muss aber einen hohen Eingangswiderstand (Spannungsmessgerät) von ~ 1012 - 1021 Ω an einen geringeren Lastwiderstand am Ausgang anpassen (Schreiber ~ 100 Ω - 1 kΩ ; Oszilloskop ~1 MΩ ) . D.h. man benötigt einen Leistungsverstärker oder Impedanzwandler. 174 BIOPHYSIK DER ZELLE Messung von Leitfähigkeiten/Widerständen — Die Voltage-Clamp Technik Zur Messung von Widerständen müssen Spannung und Strom gleichzeitig bestimmt werden. Daraus ergibt sich ein messtechnisches Problem: • ideales Spannungsmessgerät • ideales Strommessgerät → hoher Innenwiderstand R a ∞ → geringer Innenwiderstand R a 0 Beides ist also nur mit Tricks in einem Messgerät möglich. Die Lösung dieses Problems ist ein Verstärkermesskreis mit Rückkopplung, die sog. Spannungsklammer oder Voltage-Camp Technik Rückkopplungswiderstand Strom-Spannungswandler Rf Spannungsmessgerät (Osziloskop) negative Rückkopplung! stromführende Elektrode + Operationsverstärker Spannungsmessende Elektrode indifferente Elektrode Abb. 129 Prinzipschaltbild einer Voltage-Clamp Anordnung. Prinzip: • Die Spannungselektrode misst am invertierenden Eingang des Operationsverstärkers das Membranpotential (Istwert) • Der Verstärker vergleicht diesen Wert mit dem Klammerpotential (Sollwert) am nicht invertierenden Eingang. Ist dieser unterschiedlich, wird am Ausgang so lange Strom fließen, bis Ist- und Sollwert übereinstimmen. • Das Membranpotential wird konstant gehalten (geklammert); dabei wird der benötigte Strom gemessen =>Strom - Spannungswandler. Der Rückoplungsverstärker reagiert sehr schnell, damit lassen also auch sich sehr schnelle Leitfähigkeitsänderungen (~ms) wie während des Nervenaktionspotentials messen. 175 ELEKTROPHYSIOLOGIE Messung von Stromfluktuationen durch einzelne Membrankanäle Lipid Bilayer Lipid-Bilayer Anordnungen eignen sich nicht nur zur Messung der passiven elektrischen Eigenschaften reiner Lipidmembranen. Man kann sie auch mit Kanalproteinen dotieren, die aus biologischen Membranen isoliert und mit Lipid rekonstituiert wurden. Lipidbilayer sind relativ stabil und man kann zudem alle Umgebungsparameter (Badkonzentration, Lipidzusammensetzung…) kontrollieren. Sie eignen sie sich daher sehr gut zur physikochemischen Charakterisierung von Ionenkanälen. Da man dort auch meist mit sehr hohen Ionenstärken arbeitet (ca. 1M Salz) kann man mit relativ einfacher Verstärkertechnik auch Stromfluktuationen messen, die durch das Öffnen und Schließen von einzelne Poren hervorgerufen werden Messverstärker (Strommessgerät) Lipid-Bilayer Ableitelektroden Abb. 130 Lipid-Bilayer Messanordnung. Der große Nachteil dieser Anordnung ist, dass sie besonders bei der Messung einzelner Ionenkanäle besondere Aufmerksamkeit zur Vermeidung von Artefakten erfordert. Die Patch-Clamp Technik Die Messung von Einzelkanalströmen in biologischen (Zell-) Membranen ist nur mit einer Mikroelektrodentechnik möglich. Dabei muss aus der Zellmembran ein einzelner Kanal so isoliert werden, dass man den Stromfluss durch seine Pore mit sehr hoher Auflösung messen kann. Dies konnte erstmals 1981 mit der Patch-Clamp Technik durchgeführt werden. 176 BIOPHYSIK DER ZELLE Rückkopplungswiderstand sehr hoch (GOhm) Rf Spannungsmessgerät (Osziloskop) negative Rückkopplung! + Saugpipettenelektrode führt Strom und mißt gleichzeitig die Spannung! Operationsverstärker indifferente Elektrode Abb. 131 Prinzipschaltbild einer Patch-Clamp Messanordnung. Prinzip: • Voltage-Clamp mit einer Mikroelektrode. • Dies war allerdings eine völlig neuartige Mikropipette, die so genannte Patch- oder Saugpipette. Sie besitzt einen Öffnungsdurchmesser von ungefähr 1 µ m2. Abb. 132 Rasterelektronenmikroskopisches Bild der Spitze einer Saugpipette für Patch-Clamp Messungen. 177 ELEKTROPHYSIOLOGIE • Ihre Spitze ist durch gezieltes Erhitzen glatt poliert. Sie wird an die Membran gepresst, bzw. die Membran wird eingesaugt. Somit isoliert man ein kleines Membransegment (Patch) vom Rest der Membran. • Durch diese kleine Fläche erhält man nun: o wenige Kanäle o hohen Abdichtwiderstand durch Anpressen der Lipidschicht an das Innere der Pipette (Giga-Seal), Stromfluß nur durch die Poren im Patch o weniger Rauschen Signal-Rausch-Verhältnis bei S = 10 : 1 Signalamplituden N im Bereich ~ 1 - 10 pA => 10-12A Abb. 133 Elektrophysiologischer Arbeitsplatz für Patch-Clamp Messungen. Dies bedeutet einen sehr hohen experimentellen Aufwand und einen sehr hohen Informationsgehalt. Man kann das Zeitverhalten eines einzelnen Proteins (Kanal) beobachten. Das Gigaseal ist auch mechanisch stabil d.h. man kann den Patch aus der Membran herausnehmen. Man unterscheidet zwischen 4 Konfigurationen: 178 BIOPHYSIK DER ZELLE inside-out patch Pipettenspitze durch die Flüssigkeitsoberfläche auf und ab bewegen ansaugen abziehen cell-attached patch Membranvesikel durchsaugen abziehen whole-cell recording outside-out patch Abb. 134 Konfigurationen bei der Patch-Clamp Ableitung. • cell attached • whole-cell recording • inside out • outside out Die beiden letzten Konfigurationen sind zellfrei. Man hat jeweils freien Zugang zu einer Membranseite für pharmakologische Interventionen. Tight seal whole cell recording ermöglicht Voltage-Clamp Messungen an sehr kleinen Zellen. Literatur 1. Molecular Biology of the Cell B. Alberts, D. Bray, J. Lewis, M. Raff, K. Roberts, J.D. Watson Garland Publishing Inc., New Jork & London, 1994 (3. Auflage) (auch auf deutsch bei VCH) 2. Molecular Cell Biology H. Lodish, A. Berk, S.L. Zipursky, P. Matsudaira, D. Baltimore, J. Darnell Scientific American Books, New York, 1999 (4. Auflage) 3. Cell Physiology Source Book N. Sperelakis (ed.); Academic Press New York 2001 (3. Auflage) 179 ELEKTROPHYSIOLOGIE Links 180 • Microelectrode Techniques - The Plymouth Workshop Handbook • The Axon Guide