Kapitel 11 Elektrophysiologie

Werbung
Kapitel 11: ELEKTROPHYSIOLOGIE
Inhalt:
EINFÜHRUNG .......................................................................................................................... 149
PASSIVE ELEKTRISCHE EIGENSCHAFTEN VON MEMBRANEN ............................................................. 152
GRUNDLAGEN DER ERREGBARKEIT BIOLOGISCHER MEMBRANEN .................................................... 158
ELEKTROPHYSIOLOGISCHE MESSTECHNIK.................................................................................... 164
LITERATUR .............................................................................................................................. 179
LINKS ..................................................................................................................................... 180
Einführung
Unter Elektrophysiologie verstehen wir die Untersuchungen von elektrischen Phänomenen in
biologischen Systemen, der sog. Bioelektrizität. Heute verstehen wir in der Biologie darunter
vorwiegend die Theorie elektrischer Messungen an Membranen.
Historische Entwicklung
•
Erste Hälfte des 18. Jh. (vorgalvanische Periode):
Erfolgloser Versuch, die Nerven- und Muskeltätigkeit durch Prinzipien der Mechanik
zu erklären
Frankreich, Deutschland: Vermutungen über Existenz tierischer Elektrizität (Zitteraal,
Zitterrochen)
•
Luigi Galvani (1737 - 1798)
1780: Reizexperimente an komplexen Nerv-Muskelpräparaten von Fröschen
1786: Zufallsbeobachtung: miteinander leitend verbundene Metalle (Cu, Zn) können
Muskelzuckungen auslösen, postuliert irrtümlich die Entdeckung der "tierischen
Elektrizität"
•
Volta (1745 - 1827)
Klärt die Ursache der Reizauslösung: Berührung des Präparates mit
Metallkombinationen erzeugt eine Batterie (Voltasche Zelle) → Reizwirkung
•
Kontroversen: Galvani/Volta
1794: Entdeckung der "Zuckungen ohne Metalle" durch Galvani. Geburtsstunde der
wissenschaftlichen Bioelektrizitätslehre und damit der modernen quantitativ
messenden Physiologie
•
Instrumentelle Periode der Elektrophysiologie
•
Matteucci (1811 - 1868), Du Bois-Reymond (1818-1896)
1843: Du Bois-Reymond: Entdeckung des Aktionspotentials in Form einer
149
ELEKTROPHYSIOLOGIE
vorübergehenden Verringerung des Verletzungsstroms
Präexistenztheorie: Potential in intakten Muskelzellen und in Nervenzellen vorhanden
150
•
Hermann v. Helmholtz (1821 - 1894)
1850: erste exakte Messungen der Erregungsleitungsgeschwindigkeit im N. ischiadicus
des Frosches: 25 - 30 m/s
•
Ludimer Herrmann (1838 - 1914)
1868: Erste brauchbare Theorie der Bioelektrogenese und Erregungsleitung:
Strömchentheorie (elektrischer Lokalstrom, der durch Cytoplasma und Außenmedium
fließt)
•
Julius Bernstein (1839 - 1917)
1902: Membrantheorie der Erregung — Die ruhende Zellmembran ist selektiv
permeabel für Kaliumionen (Grundlage ist die NERNSTsche Theorie der
elektrochemischen Spannungsreihe)
•
Loewi (1921), Dale (1934)
Entdeckung der chemischen Erregungsübertragung mittels Transmittersubstanzen
•
Stagnation in der Elektrophysiologie: Erst die Entwicklung neuer leistungsfähiger
Messgeräte bringt die Erforschung der Bioelektrizität weiter:
- Elektronenröhren
- Brownsche Röhren: Gasser, Erlangen
•
Cole & Curtis (1939)
Entscheidende Fortschritte bei Potentialmessung und Ermittlung der
Leitungsgeschwindigkeit in verschiedenen Nerven Untersuchungen ursprünglich am
ganzen Nerven und später auch an einzelnen Nervenfasern und seit Ende der 30er
Jahre am Riesenaxon des Tintenfisches (- große Vorteile bei biophysikalischen
Untersuchungen)
•
Hodgkin & Huxley (1939)
Erregung führt nicht nur zum Verschwinden des Ruhepotentials, sondern zur
vorübergehenden Potentialumkehr
(1939) Ionenselektivität — Modifikationen von Bernsteins Membrantheorie (GHKGleichungen)
(1949) Einführung der Voltage-Clamp und Isotopentechnik
Ionentheorie der Erregung; heute das allgemein anerkannte theoretisches Fundament
der Elektrophysiologie.
Erstmalige Erwähnung von "gated ion channels" als Grundlage der Membranerregung
•
Ling & Gerard (1949)
Einführung von Glaskapillar-Mikroelektroden
•
Katz & Miledi (1971)
Rauschmessungen an Endplattenpotentialen geben erste experimentelle Hinweise für
das Vorhandensein von Ionenkanälen in biologischen Membranen.
•
Neher und Sakmann (1978)
Einführung der Patch-Clamp Technik. Damit ist zum ersten Mal der direkte Nachweis
von Einzelkanalströmen an lebenden Zellen gelungen.
BIOPHYSIK DER ZELLE
•
MacKinnon (1998)
Erste Röntgenstruktur eines Ionenkanals, des KcsA Kaliumkanals aus S. lividans.
Vereinfachte Betrachtung der Elektrophysiologie, Ersatzschaltbilder
Die Grundlagen der Elektrophysiologie sind einfache Prinzipien der chemischen Energetik
und der Elektrizitätslehre. Deshalb verwendet man zum besseren Verständnis der
Elektrophysiologie einfache Modelle, meist in Form von Ersatzschaltbildern bzw.
Ersatzschaltungen. Sie bestehen aus einfachen elektronischen Bauteilen, wie Widerstände,
Batterien und Kondensatoren und erlauben somit eine Vorhersage über die Messergebnisse
eines elektrophysiologischen Experiments.
Ersatzschaltbilder sind in den meisten Fällen recht gute Modelle für elektrische Vorgänge an
der Zellmembran
I2
I1
Gj
1
Rmem 1
2
Rmem 2
Abb. 105 Beispiel für ein Ersatzschaltbild. Näheres
im Kapitel Informationsübertragung.
Ersatzschaltbilder sind "gute" Modelle, da sich die verwendeten Bauteile physikalischen
Komponenten einer biologischen Membran zuordnen lassen und Messergebnisse gut
beschreiben. Aber auch diese Modelle haben ihre Grenzen.
151
ELEKTROPHYSIOLOGIE
Passive elektrische Eigenschaften von Membranen
Das Grundgesetz der Elektrophysiologie
Aufgrund der in die Membran eingelagerten Transportproteine für Ionen ist die Membran für
Ladungsträger durchlässig, d.h. sie leitet den elektrischen Strom und hat somit einen
Widerstand R bzw. einen Leitwert G.
R
Abb. 106 Ein sehr einfaches Ersatzschaltbild: Die
Membran als Ohmscher Widerstand.
Damit gilt auch für biologische Membranen das Ohmsche Gesetz:
U =RI
oder
R=
U
I
Dieser Zusammenhang wird oft durch eine Strom-Spannungskennlinie dargestellt, bei der der
Strom über die Spannung abgetragen wird.
U
Für einen Ohmschen Leiter ( R = I = const. )sieht dieses Diagramm so aus:
152
BIOPHYSIK DER ZELLE
0,2
I / mA
0,1
0,0
R
-0,1
-0,2
-150
R = 1 kOhm
R = 2 kOhm
R = 5 kOhm
-100
-50
0
50
100
150
Kennlinie
eines
U / mV
Abb. 107 Strom-Spannungs
Ohmschen Widerstands.
Der Leitwert ist der Kehrwert des Widerstands
G=
1 I
=
R U
er wird in der Elektrophysiologie häufig verwendet, da die verschiedenen Leitfähigkeiten in
der Membran parallel geschaltet vorliegen, wodurch sich die Gesamtleitfähigkeit einer
Membran bei dieser Darstellung durch einfache Addition der Einzelleitfähigkeiten ergibt.
Kapazitive Eigenschaften von Membranen
Biologische Membranen bestehen aus einem Nichtleiter – der Lipiddoppelschicht, die
zwischen zwei elektrolytischen Leitern – dem Zytoplasma und dem extrazellulären Medium –
eingeschlossen ist. Diese Anordnung wirkt elektrisch als ein Kondensator.
C
Abb. 108 Noch ein einfaches Ersatzschaltbild: Die
Membran als Kondensator.
Die Kapazität eines Kondensators berechnet sich nach:
153
ELEKTROPHYSIOLOGIE
C = εr ε0
A
d
 C µF 
einer Lipidmembran berechnen.
=
2 
 A cm 
Daraus kann man die spez. Kapazität 
•
die Dielektrizitätskonstante von Vakuum ist
•
die Dielektrizitätskonstante von Öl (Lipiddoppelschicht ) ist ε r ≈ 2
•
und die Dicke einer Lipiddoppelschicht ist d ≈ 5 nm
ε 0 = 8.86 × 10 - 12
As
Vm
C
1
As 1
= 8,86 × 10 - 12 × 2
-9
A
5 × 10 V m m
As
≅ 4 × 10 - 3
V m2
µF
≅ 0,4
cm 2
Biologische Membranen haben dagegen eine etwas höhere spezifische Kapazität von ca.
1µF/cm 2 . Damit lässt sich durch eine Kapazitätsmessung relativ leicht die Oberfläche der
Zellmembran bestimmen.
Kleine Säugerzellen (z.B. HeLa-Zellen) haben eine Membrankapazität von 25-30 pF d.h.:
30 × 10 −12 F
A=
1 × 10 −6 F 2
cm
−6
= 30 × 10 cm 2
= 3 × 10 3 µm 2
diese Zellen haben also eine Membranoberfläche von ca. 3000 µm2 . Dieser Wert ergibt sich
auch, wenn man die Zelle als eine Kugel mit einem Radius von 15 µm betrachtet: A = 4π r 2 .
Dieser Wert ist aber zu hoch (HeLa-Zellen haben einen Radius von 6 µm ), weil die Zelle keine
ideale Kugel ist und ihre Plasmamembran zahlreiche Ausstülpungen zeigt.
Die Ladungsverschiebung über einen Kondensator berechnet sich nach:
Q=C U
•
154
spezifische Kapazität 1µ F/cm2
BIOPHYSIK DER ZELLE
•
Zelloberfläche ~ 3 × 10- 5cm2
•
Zellkapazität ~30 pF
•
Membranpotential ~ -90 mV
Q = 30 pF 90 mV
= 2,7 × 10 −12 C
≅ 3 × 10 -17 Mol
d.h. um ein Membranpotential von -90 mV zu erzeugen, müssen ca. 3 × 10-17 mol oder 150
Millionen Ladungsträger (z.B. K+-Ionen) über die Membran transportiert werden.
Der dazu notwendige Verschiebestrom ist zeitabhängig:
I=C
dU
dt
I
U
d.h. die Spannung der Membran reagiert auf das Ein- und Ausschalten eines Stroms ebenfalls
mit einem exponentiellen Zeitverlauf, der sich asymptotisch der Maximalspannung annähert.
Die Membran verzerrt also den Zeitverlauf eines angelegten (Stimulations-) Signals.
U
I
t
Abb. 109 Ladestrom und Spannung an einem
Kondensator.
Ersatzschaltbild für eine Biologische Membran
Biologische Membranen verhalten sich daher wegen der relativ hohen Ionenpermeabilität wie
eine Parallelschaltung von Widerstand und Kondensator. Aufgrund dieser Überlegungen lässt
sich somit ein erstes vereinfachtes Ersatzschaltbild einer biologischen Membran aufzeichnen,
das aber bereits alle wesentlichen Elemente (Lipidmembran und Transportproteine) elektrisch
repräsentiert.
155
ELEKTROPHYSIOLOGIE
C
R
Lipid
Kanal
Abb. 110 Einfaches
biologischen Membran
Ersatzschaltbild
einer
Kabeleigenschaften der Membran
Zellen besitzen darüber hinaus aber noch eine räumliche Ausdehnung, häufig mit langen
dünnen Fortsätzen.
Axon
Abb. 111 Kabeleigenschaften von biologischen
Membranen in Zellfortsätzen z.B. dem Axon bei
Neuronen.
Verknüpft man diese Eigenschaften mit dem hohen Widerstand einer Elektrolytlösung, so
verhalten sich besonders die dünne Zellfortsätze (z.B. Axone oder Dendriten) wie ein
Überseekabel in der Telegraphie. D.h. die Stärke eines an einem Ende eingespeisten Signals
(Reizspannung U0) nimmt über die Länge x des Fortsatzes (= Kabels) exponentiell mit einer
Längskonstanten λ ab.
U (x ) = U 0 e
−
x
λ
Kabelgleichung
156
BIOPHYSIK DER ZELLE
rel. Signalamplitude %
100
80
60
40
20
0
-40
-20
0
x
20
40
Abb. 112 Verlauf der Signalamplitude entlang
eines Kabels.
Die Kabelkonstante λ ergibt sich aus den Eigenschaften des Kabels
λ=
r Rm
2 Ri
Zähler: Flächenwiderstand der Hülle (Membran) [ Ω cm2]
Nenner: spez. Widerstand des Kerns [ Ω cm]
Für das Riesenaxon des Tintenfischs gilt:
•
Radius r ~ 0,25 mm
•
2
spezifischer Membranwiderstand Rm ~ 700 Ω cm
•
spezifischer Innenwiderstand Ri ~ 30 Ω cm
=> Kabelkonstante ~ 3 mm
Bei Nervenfasern sind wie bei Überseekabeln möglichst große Kabelkonstanten erwünscht.
Dies erhält man über den Querschnitt (z.B. Riesenaxon bei Invertebraten)
λ∝ r
oder über die Isolierung (Hüllwiderstand z.B. durch Myelinisierung bei Vertebraten)
λ ∝ Rm
da Ri konstant (intrazelluläres Milieu)
157
ELEKTROPHYSIOLOGIE
Zusammenfassung
•
Lipidmembranen sind gute Isolatoren zwischen zwei "Leiterplatten" aus Elektrolyt, d. h.
sie wird im Ersatzschaltbild als Kondensator dargestellt
•
Ionentransportsysteme leiten Strom, d.h. verhalten sich wie ein Widerstand.
•
An biologischen Membranen besteht ein elektrochemischer Gradient für bestimmte
Ionen. Viele Transportproteine sind sehr selektiv für bestimmte Ionensorten. In
Verbindung mit der Kondensatorfunktion der Membran ergibt sich daraus eine
Spannungsquelle (mit einem spezifischen Umkehrpotential), dies wird als Batterie
dargestellt.
•
Biologische Membranen sind Flächenleiter, Zellfortsätze (z.B. Nervenfasern ) verhalten
sich bei der Signalweiterleitung wie ein isoliertes Kabel, weil das Zytoplasma einen
wesentlich geringeren Widerstand hat als die umgebende Membran.
Grundlagen der Erregbarkeit biologischer Membranen
Erregbare Zellen (z.B. Nervenzellen oder Muskelfaserzellen) können abhängig von äußeren
Stimuli (z.B. Depolarisierung oder Neurotransmittern) typische zeitliche Änderungen in ihrem
Membranpotential generieren (Aktionspotential, postsynaptisches Potential) und weisen in
weiten Bereichen des physiologischen Spannungsbereichs eine nichtlineare StromSpannungskennlinie auf; d.h. sie verhalten sich nicht wie ein Ohmscher Leiter. Insbesondere
bei Nervenfasern ist die Leitfähigkeit deutlich Spannungsabhängig und ähnelt entfernt einer
Diodenkennlinie, d.h. sie ist gleichrichtend.
5
INa
IK
Iges
4
3
Imem / nA
2
1
0
-1
-2
-3
-100
-80
-60
-40
-20
0
20
40
60
80
100
Umem / mV
Abb. 113 Strom-Spannungskennlinie
Nervenmembran.
einer
Die Fragestellung, durch die um 1935 die zweite große Phase der Elektrophysiologie einleitete
war demnach:
158
BIOPHYSIK DER ZELLE
Was ist die Ursache für die Erregbarkeit des Axons?
Diese Fragestellung wurde vor allem von Kenneth Cole und Howard Curtis in Woods Hole
und später von Alan Hodgkin, Andrew Huxley und Bernhard Katz in Cambridge am
Riesenaxon des Kalmars Loligo untersucht. Hierzu mussten eine Reihe von neuen
Experimentiertechniken wie z.B. die Voltage-Clamp Technik entwickelt werden, wofür
Hodgkin und Huxley 1963 den Nobelpreis verliehen bekamen.
Die Ionentheorie des Aktionspotentials
Hodkin und Huxley bemerkten nach genauen Analysen des Verlaufs eines APs, dass das
Ruhepotential einer Nervenmembran nahe dem K+-Gleichgewichtspotential liegt, während
die Spitze des Aktionspotentials ungefähr dem Na+-Gleichgewichtspotential entspricht.
Weiterhin konnten sie zeigen, dass man das Ruhepotential durch eine Veränderung der
Außenkonzentration für Kaliumionen, die Amplitude des Aktionspotentials dagegen durch de
Konzentration für Natriumionen verändern konnte.
Gleichzeitig wusste man aus den Arbeiten von Cole und Curtis, dass der Membranwiderstand
während eines Aktionspotentials dramatisch abnahm.
Die Hypothese von Hodgkin, Huxley und Katz besagte demnach, dass Erregungsvorgänge in
der Nervenmembran durch Änderung der Membranleitfähigkeiten für spezifische Ionen
hervorgerufen werden.
K
Cl
-
Na
EK
ECl
ENa
+
+
-
+
CMem
+
Abb.
114
Ersatzschaltbild
Nervenmembran.
für
eine
Man kann die Ionenleitfähigkeit getrennt bestimmen, indem man
•
die Membranleitfähigkeit mittels der Voltage-Clamp Technik misst
159
ELEKTROPHYSIOLOGIE
und dann selektiv
•
jeweils nur eine Ionensorte im Außenmedium zugibt
•
die Transportproteine blockiert
Für Na+- und K+-Kanäle gibt es sehr spezifische Blocker:
TTX: Tetrodotoxin für spannungsabhängige Na+-Kanäle
TEA: Tetraethylammonium für spannungsgesteuerte K+-Kanäle
HH-K+ Ströme
HH-Na+ Ströme
Sannung
Abb. 115 Na+- und K+-Ströme für eine
Nervenmembran (nach A. L. Hodgkin, A. F.
Huxley and B. Katz, J. Physiol. (London), 116
(1952) 424).
Die Natrium-Leitfähigkeit zeigt ein besonders Phänomen: Das Gating d.h. die Leitfähigkeit
der Nervenmembran spricht wie bei einer Vakuumröhre oder einem Transistor auf eine
äußere Spannung an. Hodgkin, Huxley und Katz konnten mit ihren Experimenten nicht nur
zeigen, dass das Membranpotential durch die Leitwerte für verschiedene Ionen reguliert
werden kann, sie konnten auch eine Serie von bemerkenswert einfachen
Differentialgleichungen aufstellen (die H-H Gleichungen), die nicht nur den Zeitverlauf des
Aktionspotentials sehr gut beschreiben sondern auch zeigten, dass dieses sich wie eine Welle
gerichtet entlang des Axons ausbreitet.
160
BIOPHYSIK DER ZELLE
Ionenkanäle: Molekulare Grundlagen der Membranerregbarkeit
Mit der Ionentheorie der Erregung ließ sich Entstehung und Ausbreitung des
Aktionspotentials und weiterhin auch die synaptische Übertragung erklären. Was jedoch noch
fehlte war eine Erklärung für die Ursache der Leitfähigkeitsänderungen, die eigentlich zu
schnell und zu groß für einen klassischen Transportermechanismus waren.
Hypothese von Hodgkin, Huxley & Katz:
1952
Die Leitfähigkeitsänderungen bei erregbaren Zellen sind molekular durch das Öffnen
und Schließen von Poren bedingt, die auf äußere Reize reagieren können. z.B.:
Spannung, Neurotransmitter, mechanische Reize => Gated Ion Channels
Ihr Nachweis ist messtechnisch schwierig, da man einzelne Kanäle in der Membran messen
müsste. Durch indirekte Messungen konnte man in den 70er Jahren auf deren Existenz
schließen. =>Rauschanalyse, Rekonstitution in Lipid Bilayers
1976
gelang Neher & Sakmann erstmals der direkte Beweis für Ionenkanäle in der
Muskelzellmembran, indem sie die Stromfluktuation durch einzelne
Acetylcholinrezeptoren messen konnten. Dies war nur mittels einer neuen
Messmethode möglich, der Patch-Clamp Technik. Auch hierfür gab es 1991 einen
Nobelpreis „für ihre Entdeckungen betreffend der Funktion von einzelnen
Ionenkanälen in Zellen“.
Ionenkanäle (oder ganz allgemein Kanäle) sind in die Membran eingelagerte Proteine, die eine
Pore durch die Membran bilden, durch die ihr Substrat praktisch ungehindert von einer Seite
zur anderen diffundieren kann. Die Eigenschaften der Pore bestimmen, welche Ionen bzw.
Moleküle durch einen Kanal passieren können, wirken also als eine Art Selektivitätsfilter.
Diese Selektivität kann sehr ausgeprägt sein, Na+-Kanäle im Axon haben z.B. für Na+-Ionen
eine mehr als 1000 mal höhere Leitfähigkeit (Permeabilität ) als für die sehr ähnlichen K+Ionen!
161
ELEKTROPHYSIOLOGIE
Pore
Selektivitätsfilter
+
+
Schliessmechanismus
Abb. 116 Struktur von Ionenkanälen.
Entsprechend ihrer Selektivität werden Ionenkanäle oft nach dem unter physiologischen
Bedingungen überwiegend permeablen Ion bezeichnet. In Nerven- und Muskelzellen findet
man z.B.
•
Na+-Kanäle
•
K+-Kanäle
•
Ca++-Kanäle
•
Cl--Kanäle
Die Regulation erfolgt über Öffnen und Schließen der Pore, die in der Regel nur zwei
Zustände erlaubt – offen (leitend) und geschlossen (nicht leitend).
offen
geschlossen
Abb. 117 Regulationsmechanismus
Permeabilität von Ionenkanälen.
für
die
Messungen des Stromflusses durch einzelne Ionenkanäle haben daher das typische Aussehen
von Rechteckpulsen gleicher Amplitude, aber zufälliger Dauer. Die beobachteten
Stromverläufe ergeben sich aus der Überlagerung vieler solcher Einzelkanalströme.
162
BIOPHYSIK DER ZELLE
geschlossen
offen
inaktiv
1 Kanal
5 pA
2 Kanäle
10 pA
5 Kanäle
10 pA
25 pA
10 Kanäle
0,2 nA
200 Kanäle
1 ms
Abb. 118 Der Membranstrom als Summe von
Einzelkanalströmen.
Die Regulation von Ionenkanälen durch äußere Stimuli wird heute üblicherweise als Gating
bezeichnet. Entsprechend ihrer Aktivierungsmechanismen werden hier ebenfalls zwei
prizipielle Gruppen von Ionenkanälen unterschieden:
•
Spannungsgesteuerte Ionenkanäle (voltage gated ion channels); z.B. die Na+- und K+Kanäle der Axonmembran.
•
Ligandgesteuerte Ionenkanäle (ligand gated ion channels); z.B. typische sog. ionotrope
Neurotransmitter-Rezeptoren wie der nikotinische Acetylcholin-Rezeptor der
neoromuskulären Endplatte oder der NMDA-Rezeptor (Glutamat) des ZNS.
Daneben gibt es noch andere Mechanismen zur Regulation z.B. so genannte
Mechanorezeptoren, die auf mechanische Reize ansprechen und z.B. beim Hörvorgang und
der Osmoregulation beteiligt sind.
Wir wissen inzwischen vor allem durch Patch-Clamp Untersuchungen, dass Ionenkanäle
nicht nur auf die Nervenzellmembranen beschränkt sind. Ganz im Gegenteil: Ionenkanäle
sind ein sehr wichtiger Bestandteil vieler zellulärer Regulationsmechanismen und daher als
ein wichtiges Ziel für pharmakologische Anwendungen auch medizinisch sehr relevant. Dies
wird unterstrichen durch die Entdeckung von mehr und mehr Erbkrankheiten, die auf dem
Ausfall bestimmter Ionenkanäle beruhen sog. Channelopathies. Ein prominentes Beispiel hierfür
ist die Mukoviszidose, eine der häufigsten Erbkrankheiten unter Menschen kaukasischer
163
ELEKTROPHYSIOLOGIE
Abstammung, die auf dem Ausfall eines Chloridkanals, dem CFTR (Cystic Fibrosis
Transmembrane Conductance Regulator), beruht.
Elektrophysiologische Messtechnik
Messprinzipien
Die Elektrophysiologie beschäftigt sich mit der Messung elektrischer Größen d.h. von:
•
Spannungen U [V]
•
Strömen I [A]
•
Widerständen R [ Ω ]
•
Leitfähigkeiten G [S]
Für diese Messgrößen benötigen wir geeignete Messgeräte, die die besonderen Eigenschaften
von biologischem Material berücksichtigen.
Je nach Art der Ladungsträger unterscheidet man bei stromleitenden Materialien zwischen
•
Leiter 1. Ordnung: elektronische Leiter, Ladungsträger sind Elektronen in Metallen
•
Leiter 2. Ordnung: ionische Leiter, Ladungsträger sind Ionen, Elektrolyte,
Salzschmelzen
Messgeräte sind Leiter 1. Ordnung; Zellen sind Leiter 2. Ordnung d.h. man braucht Mittler,
die auf elektrochemischem Wege zwischen diese beiden Leitertypen verbinden. Diese Mittler
nennt man Elektroden.
Elektroden:
Analog zu den beiden Leitertypen gibt es zwei Typen von Elektroden:
•
Elektroden 1. Art (Metallelektroden) sind polarisierbar: Beim Eintauchen in einen
Elektrolyt, kann sich eine Galvanispannung aufbauen, die nicht zeitkonstant ist.
•
Elektroden 2. Art sind nicht polarisierbar und bestehen in der Regel aus einer
Verbindung eines Metalls mit seinem (schwer löslichen) Salz.
Silber/Silberchlorid-Elektrode
Eine in der Elektrophysiologie weit verbreitete Elektrode 2. Art ist die Silber/SilberchloridElektrode. In ihrer einfachsten Form ist dies ein mit Silberchlorid überzogener Silberdraht, der
in eine Lösung getaucht wird, die Cl- -Ionen enthält (z.B. KCl-Lösung). Dabei ergeben sich die
folgenden elektrochemischen Reaktionen:
Kathodenreaktion:
164
BIOPHYSIK DER ZELLE
AgCl + e-
Ag
+ Cl-
Reduktion von Silber, Cl- geht in Lösung
Anodenreaktion:
Ag+ + e-
Ag
Ag+ + Cl-
AgCl
Da Silber und Silberchlorid Feststoffe sind, bleiben ihre "Konzentrationen" über die
Zeit konstant und es bildet sich kein veränderliches Galvanipotential.
Verstärker
Der Innenwiderstand biologischer Signalquellen ist meist zu hoch, um direkt mit Messgeräten
wie Oszilloskopen gemessen werden zu können. Es ist deshalb notwendig, diese Signale
durch einen Verstärker mit hohem Eingangswiderstand zu verstärken.
Verstärkerschaltungen werden heute meist mit Operationsverstärkern in integrierten
Schaltkreisen (IC's = Integrated Circuits) realisiert. Dabei kann die komplette
Verstärkerschaltung (oder mehrere!) in einer Baugröße hergestellt werden, die früher für
einzelne Transistoren üblich war.
Moderne Operationsverstärker sind ausgereifte elektronische Bauteile. Kenntnisse über
Transistorgrundschaltungen sind für ihre Anwendung nicht mehr notwendig. Preiswerte
Operationsverstärker können in geeigneter Weise in einen Schaltkreis einbezogen werden
und dadurch eine Vielzahl unterschiedlicher Aufgaben bei der Aufbereitung und Verstärkung
analoger Signale erfüllen.
nicht
invertierender
Eingang
invertierender
Eingang
+
+
-
LF411
Ausgang
-
Abb. 119 Operationsverstärker.
Typische Daten von Operationsverstärkern am Beispiel des LF411:
165
ELEKTROPHYSIOLOGIE
Betriebsspannung:
±10 - 36 V
Ruhestrom:
3,4 mA
Leerlaufspannungsverstärkung:
104
Ausgangsleistung:
1 mW - 1 W
Obere Grenzfrequenz:
10 Hz
Offsetspannung:
0,8 mV
Offsetstrom:
25 pA
Eingangswiderstände auf Null:
1012 Ohm
Ausgangswiderstand:
40 Ohm
Arbeitstemperatur:
-55 C bis +150 C (optimal: +10 C bis +60 C)
Operationsversärker werden meist nicht mit ihrer Nennverstärkung betrieben (sog. open-loop
gain) sondern durch externe Beschaltung mit Widerständen und Kondensatoren als
Rückkopplungsverstärker. Je nach Beschaltung des Operationsverstärkers können
Verstärkerschaltungen mit unterschiedlichen Eigenschaften, wie invertierender Verstärker,
Impedanzwandler (oder Kathodenfolger), Subtrahierer (Differenzverstärker), aktiver Hochund Tiefpaßfilter u.a. aufgebaut werden. Nachfolgend sind einige für elektrophysiologische
Experimente wichtige Schaltungen im Prinzip beschrieben.
Nicht invertierender Verstärker , Kathodenfolger
Beim nicht invertierenden Verstärker wird das Eingangssignal auf den + -Eingang gelegt. Das
Eingangssignal erscheint phasenrichtig am Ausgang. Die Spannungsverstärkung wird über
eine Gegenkopplung am invertierenden Eingang eingestellt.
R2
R1
Abb. 120 Nicht invertierende Verstärkerschaltung,
Impedanzwandler.
Die Schaltung hat den Vorteil eines sehr hohen Eingangswiderstandes (1010 Ohm bei FeldEffekt-Transistor-Eingängen). Sind RK und RE gleich groß, so ist die Spannungsverstärkung V
= 1. Der Verstärker zeigt dennoch eine Leistungsverstärkung, da ein kleiner Strom einer
166
BIOPHYSIK DER ZELLE
Signalquelle am hochohmigen Eingang in einen größeren Strom am niederohmigen Ausgang
umgewandelt wird. D.h. es findet eine Widerstandsanpassung (Impedanzwandlung) eines
niederohmigen Messgerätes an eine hochohmige Signalquelle statt. Ein solcher Verstärker
wird auch als Impedanzwandler oder historisch bedingt als Kathodenfolger bezeichnet.
Diese Schaltung findet in der Elektrophysiologie vor allem bei der intrazellulären Ableitung
von Membranpotentialen bzw. bei Messungen mit ionensensitiven Mini- und
Mikroelektroden ihre Anwendung.
Invertierender Verstärker, Strom-Spannungswandler
Bei invertierenden Verstärkern wird das Eingangssignal am –Eingang angelegt. Sie drehen die
Phasenlage einer Wechselspannung so, dass sie am Ausgang um 180° verschoben erscheint.
Das Signal wird also umgekehrt.
R2
R1
Abb. 121 Schaltung für einen invertierenden
Verstärker.
Durch Rückkopplung des Ausgangssignals auf den invertierenden Eingang über den
Widerstand RK (Gegenkopplung) wird der Faktor der Spannungsverstärkung V bestimmt.
Derartige Verstärkerschaltungen mit einem Rückkopplungswiderstand nennt man auch
Strom-Spannungswandler, da durch den Rückkopplungswiderstand am Ausgang eine
Spannung abgegriffen werden kann, die proportional ist zum (Rückkopplungs-) Stromfluß am
Ausgang. Dies ist die Grundschaltung für den Eingangsverstärker von Voltage-Clamp
Verstärkern.
Differenzverstärker
Durch Kombination von invertierendem und nicht invertierendem Verstärker erhält man
einen Differenzverstärker. Beide Eingangsspannungen werden voneinander abgezogen und
am Ausgang erscheint die Differenz.
167
ELEKTROPHYSIOLOGIE
R2
R1
R1
R2
Abb. 122 Schaltung für einen Differenzverstärker.
Differenzverstärker werden häufig bei hochohmigen Signalquellen eingesetzt, wo die Gefahr
einer Einstreuung durch elektromagnetische Felder aus der Umgebung groß ist
(Antennenwirkung), oder um kleine Signale, die einer verhältnismäßig großen
Konstantspannung (Offset-Spannung) aufgelagert sind, sichtbar zu machen.
Als Beispiele sind Ableitungen bei EKG, EMG und EEG mit am Körper befestigten Elektroden
zu nennen. Bei solchen Ableitungen werden die Leitungen zu beiden Eingängen parallel
hingeführt. Dadurch wirken sich Einstreuungen durch elektromagnetische Felder auf beide
Leitungen gleichermaßen - aber gegensinnig - aus. Am Ausgang des Differenzverstärkers
bleiben daher nur die Unterschiede übrig, die von der Signalquelle herrühren.
Rauschen in elektrophysiologischen Messungen – Frequenzfilter
Bei einer realen elektrophysiologischen Messung ist das eigentliche Signal (z.B.
Aktionspotential) immer durch einen mehr oder weniger zufällig variierenden Signalanteil
übergelagert, das Rauschen. Dieses Rauschen entsteht z.T. durch kapazitive oder induktive
Kopplung externer Signale (z.B. den sog. 50 Hz-Brumm aus der Stromleitung), kann aber auch
als Widerstandsrauchen im Messgerät oder in der Signalquelle selbst entstehen. Dieses
Rauschsignal überdeckt das Nutzsignal und ist bei hohen Frequenzen häufig größer als dieses.
Um dieses Rauschen zu unterdrücken bedient man sich daher sog. Frequenzfilter. Die
einfachste Realisierung eines Frequenzfilters ist das RC-Glied, bei dem ein Ohmscher
Widerstand und ein Kondensator in Reihe geschaltet werden. Je nachdem über welchem
Bauteil man nun das Spannungssignal abgreift wirkt ein RC-Glied als Hochpass- oder TiefpassFilter.
168
BIOPHYSIK DER ZELLE
Hochpass
R
Tiefpass
C
Abb. 123 Einfache Frequenzfilter mit einem RCGlied.
Kondensatoren wirken für Wechselspannungen als frequenzabhängiger Widerstand, man
spricht dann vom kapazitiven Blindwiderstand. Das RC-Glied wirkt also wie ein
frequenzabhängiger Spannungsteiler.
Bei niedrigen Frequenzen (Spezialfall: Gleichspannung) wirkt der Kondensator im Stromkreis
wie ein sehr hoher Widerstand, d.h. man greift über dem Kondensator die maximale
Spannung ab. Bei hohen Frequenzen nimmt dieser Widerstand ab und folglich auch die
Spannungsamplitude. Greift man die Signalspannung also über dem Kondensator ab, erhält
man einen Tiefpass-Filter.
Der Ohmsche Widerstand ändert seinen Wert bei unterschiedlichen Frequenzen der
Wechselspannung nicht. Es ändert sich aber das Widerstandsverhältnis der Bauteile R und C
und somit auch das Verhältnis der über die einzelnen Teile abfallenden Spannung. D.h. für
hohe Frequenzen fällt der Hauptteil der Signalspannung am Ohmschen Widerstand ab, man
erhält also einen Hochpass-Filter.
169
ELEKTROPHYSIOLOGIE
1,0
0,8
U/U0
0,6
0,4
Tiefpass
Hochpass
0,2
0,0
1
10
100
1000
10000
100000
f / Hz
Abb. 124 Frequenzgang eines einfachen RCHochpass- bzw. Tiefpassfilters.
Hat man ein Wechselspannungsgemisch aus verschiedenen Frequenzen, möglicherweise noch
mit Gleichspannungsanteilen, so kann man über den Tiefpass die Spannungen mit den
niedrigen Frequenzen am Kondensator abgreifen. Über einen Hochpass greift man am
Widerstand die hochfrequenten Wechselspannungen ab. Bei einem Radio filtert man also mit
einer Tiefpassschaltung hochfrequente Pfeiftöne heraus, mit einer Hochpassschaltung
störende
Brummgeräusche.
Ein RC-Filter kann außerdem Spannungsformen verändern, z.B. rundet er bei
Rechteckspannung die Ecken ab. Dies ist der Fall, wenn eine Nervenmembran
(Tiefpasswirkung durch ihren Bau) mit unterschwelligen Rechteckspannungen gereizt wird
(kein Aktionspotential ausgelöst), sie werden als "Haifischflosse" registriert.
Für elektrophysiologische Messungen sind diese einfachen (passiven) Filterschaltungen nicht
geeignet. Hier verwendet man z.T. sehr aufwendige aktive Tiefpass-Filterschaltungen mit
Operationsverstärkern, die eine wesentlich bessere Frequenzunterscheidung um die
Grenzfrequenz erlauben. Die Aufbereitung des Messsignals z.B. durch Frequenzfilter bzw.
zusätzliche Spezialverstärker nennt man auch Signalkonditionierung.
Das Oszilloskop
Ein Oszilloskop kann zum Beobachten von Schwingungen und zeitlich sich ändernden
Spannungssignalen verwendet werden. Mit Hilfe dieses Gerätes ist es möglich, den zeitlichen
Verlauf von Messgrößen sichtbar zu machen und zu speichern (Kathodenstrahloszillograph).
Die betrachtete Größe bildet das Eingangssignal für das Gerät. Kleine Eingangssignale werden
durch einen Messverstärker in vorgegebenen Stufen verstärkt. Das Eingangssignal erzeugt ein
unmittelbar beobachtbares Ausgangssignal, dessen zeitlicher Verlauf mit dem des
Eingangssignals übereinstimmt, jedoch unter Umständen zeitlich verzögert sein kann
(Beeinflussung durch Messgerät).
170
BIOPHYSIK DER ZELLE
Als "Zeiger" dient ein Elektronenstrahl, der von einer Kathode emittiert wird. Da das gesamte
System in einer Vakuumröhre eingebaut ist, tritt keine nennenswerte Dämpfung der
Signalamplituden auf. Die zeitliche Auslenkung erfolgt über horizontal ablenkende Platten,
die vertikale (Signal-) Auslenkung des Elektrodenstrahls geschieht über vertikale
Ablenkplatten. Beim Auftreffen der Elektronen auf den Schirm der Vakuumröhre wird
sichtbares Licht aus der aufgedampften Zinksulfidschicht abgestrahlt.
Vertikalablenkung
(Signal)
Wehnelt-Zylinder
Elektronenstrahl
Anode
Kathode
Zinksulfidschirm
Heizstromkreis
Anodenspannung
(Beschleunigungsspannung)
Horizontalablenkung
(Kippspannung)
Abb. 125 Prinzip des Kathodenstrahloszilloskops
(Brownschen Röhre).
Digitaloszilloskope
Moderne Oszilloskope haben neben der analogen Bildaufzeichnung häufig einen digitalen
Speicher, mit dem sich der momentane Bildschirminhalt festhalten lässt. Dies entspricht der
Speicherung des Bildschirminhalts durch eine verlängerte Nachleuchtzeit bei reinen
Analogoszilloskopen. Neben dieser Bildschirmspeicherung bieten einige Digitaloszilloskope
auch noch einen Rollmodus an, mit dem besonders langsame Signale noch auf der Anzeige
dargestellt werden können.
Dieser Komfort wird allerdings auch mit einigen Nachteilen bezahlt. Die Digitalisierung des
analogen Spannungssignals erfolgt nämlich über einen sog. Analog-Digital-Wandler, dessen
Zeitauflösung in der Regel wesentlich geringer ist als beim Analogteil des Oszilloskops. Da die
Analog-Digital-Wandlung mit einer festgelegten Frequenz erfolgt — der Abtastrate — kann es
für Signale mit höherer Frequenz als die Abtastrate zu einer erheblichen Verzerrung kommen.
Man nennt diesen Vorgang Aliasing, wenn Signal und Wandlerfrequenz nahe beieinander
liegen (Schwebungen).
Rechnergestützte Datenaufnahme und Auswertung
Heute
werden
in
vielen
elektrophysiologischen
Labors
Oszilloskope
durch
Arbeitsplatzrechner ersetzt, die mit geeigneten Laborinterfaces zur digitalen
Messdatenerfassung ausgestattet sind. Solche Geräte verhalten sich im Wesentlichen wie
Digitaloszilloskope, sie gestatten aber neben der Darstellung der Messdaten zusätzlich noch
die Speicherung und nachträgliche Auswertung. Außerdem kann man mit geeigneten
171
ELEKTROPHYSIOLOGIE
Verstärkern und Zusatzausstattung experimentelle Größen wie z.B. das Membranpotential bei
Voltage-Clamp Messungen durch den Rechner steuern lassen.
Moderne elektrophysiologische Methoden währen ohne Rechnerunterstützung nicht sinnvoll
anwendbar, da diese Experimente häufig eine statistische Analyse einer ganzen Serie von
Einzelmessungen erfordern.
Die Elektrische Messkette
Zellen, Elektroden, Messverstärker, Filter und Messgeräte bilden eine sog. Messkette von
miteinander verbundenen Leitern und elektronischen „Bauteilen“. Das Konzept der Messkette
ist insbesondere für das Verständnis von Fehlern bzw. Abweichungen der Messergebnisse von
der zu erwartenden Messgröße (z.B. Membranpotential) wichtig. Solche Fehler sind z.B.
zusätzliche Spannungsquellen, nichtstationäre Signale (Drift) und Rauschen.
Im Messkreis befinden sich verschiedene Phasenübergänge, an denen Potentiale auftreten
können z.B.:
•
elektrochemisches Potential der Elektrode: Ag/AgCl
•
Konzentrationszelle: 3M KCl / Medium
•
Diffusionspotential: an der Pipettenspitze
•
Spitzenpotential (der Elektrode, möglichst klein)
•
Membranpotential: das Signal
Durch geeignete Anordnung dieser Phasengrenzen (symmetrische Anordnung) lassen sich die
Einflüsse dieser Störpotentialquellen minimieren und z.B. zeitlich variable Offsetspannungen
aufgrund von Elektrodenpolarisierung vermeiden ( → indifferente Elektrode).
Wichtig für praktische Messungen:
Für elektrische Messungen muss der Stromkreis immer geschlossen sein!
Im folgenden werden einige in der Elektrophysiologie gebräuchlichen Messketten nun
erleutert.
Messung von Transmembranpotentialen (Spannung)
Extrazelluläre Ableitung
z.B. EKG, EEG, ERG
Apparativ wenig aufwendig, aber nur beschränkt aussagekräftig.
172
BIOPHYSIK DER ZELLE
Messverstärker
(Differenzverstärker)
Reizelektroden
Ableitelektroden
Nervenbündel
Abb. 126 Extrazelluläre Ableitung an einem
Nerven.
Die Messung erfolgt an Elektrode 1 gegen Elektrode 2, ergibt also ein biphasisches Potential,
da nur die Spitze des Aktionspotentials gemessen wird, wenn es kurzzeitig auch außen zu
einer Ladungsverteilung kommt. Leitet man z.B. an ganzen Nerven ab so erfolgt eine
Messung von Summenpotentialen d.h. die Überlagerung der Aktionspotentiale aller durch
den Reiz angeregter Nervenfasern.
Intrazelluläre Ableitung
Bei der intrazellulären Ableitung wird das Transmembranpotential abgeleitet, d.h. die
Potentialdifferenz (eine elektrische Spannung!) zwischen dem Zellinneren und dem
umgebenden Medium, dessen Potential als Referenzpotential willkürlich als null definiert
wird (Erdpotential).
173
ELEKTROPHYSIOLOGIE
Signal-Verstärkungsfaktor ist 1!
“Impedanzwandler”
positive Rückkopplung!
+
-
Ableitelektrode
(Glasmikroelektrode)
Operationsverstärker
Spannungsmessgerät
(Osziloskop)
indifferente Elektrode
über Strombrücke ins Bad eingekoppelt
Abb. 127 Intrazelluläre Ableitung mit einer GlasMikroelektrode.
Hierbei wird mit einer Glasmikroelektrode abgeleitet. Diese besteht aus einer miniaturisierten
Silber-Silberchlorid-Elektrode am Fuß eines Elektrodenhalters, in dem über eine KCl-Lösung
der Kontakt zu einer mit KCl-Lösung gefüllten Glasmikropipette hergestellt wird. Dies ist eine
sehr fein ausgezogene Gaskapillare mit einem Öffnungsdurchmesser von ca. 500 nm, mit der
man in das Zellinnere stechen und so daraus ableiten kann.
Ag/AgCl-Elektrode
(Pellet)
Glasmikropipette
Elektrodenhalter
Abb. 128 Glas-Mikroelektrode bestehend aus
Elektrodenhalter und Glasmikroelektrode.
Diese Elektroden haben einen sehr hohen Widerstand von ca. 100 MOhm. Die Zelle ist zudem
eine sehr schlechte Spannungsquelle, d.h. man benötigt einen Verstärker. Da die
Signalamplitude mit mehreren Millivolt verhältnismäßig groß ist wählt man ~ 1 als
Verstärkerstufe, muss aber einen hohen Eingangswiderstand (Spannungsmessgerät) von ~
1012 - 1021 Ω an einen geringeren Lastwiderstand am Ausgang anpassen (Schreiber ~ 100 Ω - 1
kΩ ; Oszilloskop ~1 MΩ ) . D.h. man benötigt einen Leistungsverstärker oder
Impedanzwandler.
174
BIOPHYSIK DER ZELLE
Messung von Leitfähigkeiten/Widerständen — Die Voltage-Clamp
Technik
Zur Messung von Widerständen müssen Spannung und Strom gleichzeitig bestimmt werden.
Daraus ergibt sich ein messtechnisches Problem:
•
ideales Spannungsmessgerät
•
ideales Strommessgerät
→ hoher Innenwiderstand R a ∞
→ geringer Innenwiderstand R a 0
Beides ist also nur mit Tricks in einem Messgerät möglich.
Die Lösung dieses Problems ist ein Verstärkermesskreis mit Rückkopplung, die sog.
Spannungsklammer oder Voltage-Camp Technik
Rückkopplungswiderstand
Strom-Spannungswandler
Rf
Spannungsmessgerät
(Osziloskop)
negative Rückkopplung!
stromführende Elektrode
+
Operationsverstärker
Spannungsmessende
Elektrode
indifferente Elektrode
Abb. 129 Prinzipschaltbild einer Voltage-Clamp
Anordnung.
Prinzip:
•
Die Spannungselektrode misst am invertierenden Eingang des Operationsverstärkers
das Membranpotential (Istwert)
•
Der Verstärker vergleicht diesen Wert mit dem Klammerpotential (Sollwert) am nicht
invertierenden Eingang. Ist dieser unterschiedlich, wird am Ausgang so lange Strom
fließen, bis Ist- und Sollwert übereinstimmen.
•
Das Membranpotential wird konstant gehalten (geklammert); dabei wird der benötigte
Strom gemessen =>Strom - Spannungswandler.
Der Rückoplungsverstärker reagiert sehr schnell, damit lassen also auch sich sehr schnelle
Leitfähigkeitsänderungen (~ms) wie während des Nervenaktionspotentials messen.
175
ELEKTROPHYSIOLOGIE
Messung von Stromfluktuationen durch einzelne Membrankanäle
Lipid Bilayer
Lipid-Bilayer Anordnungen eignen sich nicht nur zur Messung der passiven elektrischen
Eigenschaften reiner Lipidmembranen. Man kann sie auch mit Kanalproteinen dotieren, die
aus biologischen Membranen isoliert und mit Lipid rekonstituiert wurden. Lipidbilayer sind
relativ stabil und man kann zudem alle Umgebungsparameter (Badkonzentration,
Lipidzusammensetzung…) kontrollieren. Sie eignen sie sich daher sehr gut zur
physikochemischen Charakterisierung von Ionenkanälen. Da man dort auch meist mit sehr
hohen Ionenstärken arbeitet (ca. 1M Salz) kann man mit relativ einfacher Verstärkertechnik
auch Stromfluktuationen messen, die durch das Öffnen und Schließen von einzelne Poren
hervorgerufen werden
Messverstärker
(Strommessgerät)
Lipid-Bilayer
Ableitelektroden
Abb. 130 Lipid-Bilayer Messanordnung.
Der große Nachteil dieser Anordnung ist, dass sie besonders bei der Messung einzelner
Ionenkanäle besondere Aufmerksamkeit zur Vermeidung von Artefakten erfordert.
Die Patch-Clamp Technik
Die Messung von Einzelkanalströmen in biologischen (Zell-) Membranen ist nur mit einer
Mikroelektrodentechnik möglich. Dabei muss aus der Zellmembran ein einzelner Kanal so
isoliert werden, dass man den Stromfluss durch seine Pore mit sehr hoher Auflösung messen
kann. Dies konnte erstmals 1981 mit der Patch-Clamp Technik durchgeführt werden.
176
BIOPHYSIK DER ZELLE
Rückkopplungswiderstand
sehr hoch (GOhm)
Rf
Spannungsmessgerät
(Osziloskop)
negative Rückkopplung!
+
Saugpipettenelektrode
führt Strom und mißt gleichzeitig die Spannung!
Operationsverstärker
indifferente Elektrode
Abb. 131 Prinzipschaltbild einer Patch-Clamp
Messanordnung.
Prinzip:
•
Voltage-Clamp mit einer Mikroelektrode.
•
Dies war allerdings eine völlig neuartige Mikropipette, die so genannte Patch- oder
Saugpipette. Sie besitzt einen Öffnungsdurchmesser von ungefähr 1 µ m2.
Abb. 132 Rasterelektronenmikroskopisches Bild
der Spitze einer Saugpipette für Patch-Clamp
Messungen.
177
ELEKTROPHYSIOLOGIE
•
Ihre Spitze ist durch gezieltes Erhitzen glatt poliert. Sie wird an die Membran gepresst,
bzw. die Membran wird eingesaugt. Somit isoliert man ein kleines Membransegment
(Patch) vom Rest der Membran.
•
Durch diese kleine Fläche erhält man nun:
o wenige Kanäle
o hohen Abdichtwiderstand durch Anpressen der Lipidschicht an das Innere der
Pipette (Giga-Seal), Stromfluß nur durch die Poren im Patch
o
weniger Rauschen Signal-Rausch-Verhältnis bei
S
= 10 : 1 Signalamplituden
N
im Bereich ~ 1 - 10 pA => 10-12A
Abb. 133 Elektrophysiologischer Arbeitsplatz für
Patch-Clamp Messungen.
Dies bedeutet einen sehr hohen experimentellen Aufwand und einen sehr hohen
Informationsgehalt. Man kann das Zeitverhalten eines einzelnen Proteins (Kanal) beobachten.
Das Gigaseal ist auch mechanisch stabil d.h. man kann den Patch aus der Membran
herausnehmen. Man unterscheidet zwischen 4 Konfigurationen:
178
BIOPHYSIK DER ZELLE
inside-out patch
Pipettenspitze durch die
Flüssigkeitsoberfläche
auf und ab bewegen
ansaugen
abziehen
cell-attached patch
Membranvesikel
durchsaugen
abziehen
whole-cell recording
outside-out patch
Abb. 134 Konfigurationen bei der Patch-Clamp
Ableitung.
•
cell attached
•
whole-cell recording
•
inside out
•
outside out
Die beiden letzten Konfigurationen sind zellfrei. Man hat jeweils freien Zugang zu einer
Membranseite für pharmakologische Interventionen.
Tight seal whole cell recording ermöglicht Voltage-Clamp Messungen an sehr kleinen Zellen.
Literatur
1. Molecular Biology of the Cell
B. Alberts, D. Bray, J. Lewis, M. Raff, K. Roberts, J.D. Watson
Garland Publishing Inc., New Jork & London, 1994 (3. Auflage)
(auch auf deutsch bei VCH)
2. Molecular Cell Biology
H. Lodish, A. Berk, S.L. Zipursky, P. Matsudaira, D. Baltimore, J. Darnell
Scientific American Books, New York, 1999 (4. Auflage)
3. Cell Physiology Source Book
N. Sperelakis (ed.);
Academic Press New York 2001 (3. Auflage)
179
ELEKTROPHYSIOLOGIE
Links
180
•
Microelectrode Techniques - The Plymouth Workshop Handbook
•
The Axon Guide
Herunterladen