Kapitel 12: ELEKTRISCHE POTENTIALE AN MEMBRANEN

Werbung
Kapitel 12: ELEKTRISCHE POTENTIALE AN MEMBRANEN
Inhalt:
EINLEITUNG ............................................................................................................................ 181
PHYSIKOCHEMISCHE GRUNDLAGEN DES MEMBRANPOTENTIALS .................................................... 181
DAS MEMBRANPOTENTIAL ........................................................................................................ 192
LITERATUR .............................................................................................................................. 199
LINKS ..................................................................................................................................... 200
Einleitung
An der Zellmembran fast aller lebender Zellen lassen sich elektrische Spannungen ableiten
(sog. Transmembranpotentiale), die sich z.T. auch sehr schnell zeitlich ändern. Man spricht z.B.
von
•
Ruhepotential bei (fast) allen lebende Zellen
•
Aktionspotentialen bei Nerven-, Muskel- und Drüsenzellen
•
Rezeptorpotentialen bei Sinneszellen
•
Synaptischen Potentialen zur funktionellen Kopplung von Nerven u. Muskeln
untereinander
Physikochemische Grundlagen des Membranpotentials
Elektrochemische Potentiale
Taucht man zwei Platten aus unterschiedlichem Metall in eine Lösung ihrer Salze und
verbindet diese leitend, so lässt sich zwischen den Platten eine Spannung messen.
181
ELEKTRISCHE POTENTIALE AN MEMBRANEN
U
Zn
Cu
1 M CuSO4
1 M ZnSO4
Abb. 135: Galvanische Zelle
Die gemessene Spannung ist dabei umso größer, je edler das eine Metall und je unedler das
andere Metall ist.
Zn
↔
Zn2+ + 2e-
Cl + e-
↔
Cl-
Solche Redoxpaare werden nach den Halbzellenpotentialen unter Standardbedingungen in
der elektrochemische Spannungsreihe angeordnet. Diese Normalpotentiale werden gegen die
Normalwasserstoffelektrode gemessen.
Das tatsächliche Halbzellenpotential ergibt sich nach dem Nernstschen Gesetz:
Ψ = E = Eo +
RT c ox
ln
zF c red
E0: Normalpotential; R: Gaskonstante
T: absolute Temperatur; z: Wertigkeit
Feststoffe haben dabei die Konzentration 1.
Die elektrochemische Potentialdifferenz (also eine elektrische Spannung!) zweier Redoxpaare
ergibt sich aus der Summe ihrer Halbzellenpotentiale d.h.:
RT c aA c bB
U = ∆E = ∆E +
ln
zF c cC c dD
0
182
BIOPHYSIK DER ZELLE
Der Term
c Aa c Bb
entspricht hier der Gleichgewichtskonstanten K der Reaktion. Mit dieser
cCc c Dd
Form der Nernstgleichung lassen sich also nur Potentialdifferenzen im chemischen
Gleichgewicht bestimmen.
U
Cu
Cu
1 M CuSO4
10 mM CuSO4
Abb. 136: Konzentrationszelle
Taucht man zwei gleiche Metallplatten in Salzlösungen unterschiedlicher Konzentration, so
ergibt sich für die gemessene Spannung:
U = ∆Ψ =
RT c1
ln
zF c 2
Nernst für Biologen
Transport von Ionen im elektrischen Feld
Elektrolytische Leitung
Elektrolyte sind Stoffe, deren Moleküle zu Ionen dissoziieren können und daher elektrischen
Strom leiten. Elektrolyte sind z.B. wässrige Lösungen von Säuren und Basen sowie deren
Salze, aber auch Salzschmelzen. Taucht man Drähte oder Platten ("Elektroden") aus einem
Metall (z.B. Platin, Silber) in einen Elektrolyten ein, so fließt beim Anlegen einer
Gleichspannung U ein elektrischer Strom I. Dieser Ladungstransport kommt dadurch
zustande, dass in der wässrigen Lösung positive Ionen (Kationen) zur einen Elektrode
(Kathode), negative Ionen (Anionen) zur anderen Elektrode (Anode) wandern.
183
ELEKTRISCHE POTENTIALE AN MEMBRANEN
- +
+
H2
-
+ Cl
-
-
H
+
-
I
+
-
+
+
+
+
-
Cl2
+
-
+
-
-wässrige HCl-Lösung -
+
Abb. 137: Elektrolyse und elektrolytische Leitung
Im Gegensatz zur elektrolytischen "Ionenwanderung" werden in metallischen Leitern die
Ladungen über die Elektronen (e-) transportiert. An der Grenzfläche Elektrode/Lösung findet
also ein Übergang von einem "elektronischen" zu einem "ionischen" Leitungsmechanismus
statt. Dieser ist mit einer chemischen Reaktion an den Elektroden ("Elektrolyse") verbunden. In
einem solchen System (Abb. 137) laufen folgende Reaktionen ab:
Kathode :
2 H (+gelöst ) + 2e (−Metall)
Anode :
2 Cl (−gelöst )
→ H 2 ( gasförmig ) ↑
→ 2e (−Metall) + Cl 2 ( gasförmig ) ↑
Fließt während der Zeit t ein konstanter Strom I, so wird insgesamt die Ladung Q = I t
transportiert. Q wird in der Einheit Coulomb angegeben (1 C = 1 As). Die an den Elektroden
umgesetzten Stoffmengen sind proportional zur transportierten Ladung Q. Für die
Abscheidung von 1 Mol einer einwertigen Ionensorte benötigt man 96500 C; diese Zahl
bezeichnet man als FARADAY-Konstante:
F = e0 N A
= 96500
C
mol
wobei
e0 = 1,602 10-19As (Elementarladung)
NA = 6,023 1023 mol-1 (Avogadrokonstante)
184
BIOPHYSIK DER ZELLE
Für eine Ionensorte der Wertigkeit z benötigt man zur Abscheidung von N mol die Ladung
Q=N z F
Faradysches Gesetz
Wird an einen Elektrolyten von außen eine Spannung U angelegt, so baut sich im Elektrolyt
ein Elektrisches Feld der Feldstärke E
E=
dΨ
= konst.
dx
Dieses Feld wird die Ionen des Elektrolyts zunächst beschleunigen bis sie durch innere
Reibung eine konstante Wanderungsgeschwindigkeit annehmen mit
r
dΨ
v=u
dx
u ist die Beweglichkeit des Ions und abhängig vom Reibungskoeffizienten fi und der Ladung
des Ions
u=−
z e0
fi
 cm 2 


 V sec 


Nach Einstein ist der Reibungskoeffizient mit der Diffusionskonstanten verknüpft nach
RT
kT
=
N A f i 6πηr
D=
d.h.
ze 0 N A D
RT
zF
= −D
RT
u=−
Der Beitrag einer Ionensorte am Gesamtstrom durch den Elektrolyten ist dann:
I ion =
dN ion
dQ
= e0
dt
dt
mit
185
ELEKTRISCHE POTENTIALE AN MEMBRANEN
dN
r
= A v cion
dt
d.h.
I ion = A z F u cion E
Elektrodiffusion
Analog zum Diffusionsflux lässt sich im elektrischen Feld auch ein Ladungsflux definieren
J el , x =
r
dN
= cion v A
dt
mit einer Flussdichte
φ x , el =
Jx
A
= − z u cx
dψ
dx
Ionen in Lösung werden sich bei angelegtem Feld sowohl diffus (d.h. ungerichtet) als auch
entlang des Feldes (also gerichtet) bewegen. Betrachtet man den Gesamtflux so erhält man die
Nernst-Planck Gleichung
φx , ges = φx , diff + φx , el
= −D
dc
dψ
− z ucx
dx
dx
 dc zF dψ 
= − D +
cx

dx 
 dx RT
Diffusionspotentiale
Eine Anwendung für die Nernst-Planck Gleichung stellt die Ableitung der Größe von
Diffusionspotentialen dar. Diffusionspotentiale entstehen immer dann, wenn zwei Lösungen
eines Elektrolyten mit unterschiedlichen Konzentrationen aneinandergrenzen.
Im Normalfall sind positive und negative Ionen in einer Lösung in gleicher Anzahl vorhanden
und gleichmäßig verteilt. Die Lösung erscheint nach außen hin neutral. Ist allerdings ein
Konzentrationsgradient vorhanden, so werden die Ionen in den weniger konzentrierten
Raum einwandern und einen Ausgleich der Konzentrationsdifferenz herbeiführen.
186
BIOPHYSIK DER ZELLE
Sind jedoch die mittleren Diffusionsgeschwindigkeiten von Anionen und Kationen
unterschiedlich, so werden die beweglicheren Ionen schneller in das Gebiet der kleineren
Konzentration wandern. Es kommt zur Ladungstrennung. Dadurch baut sich aber entlang des
Konzentrationsgradienten ein elektrischer Potentialgradient auf, der dieser Ladungstrennung
entgegenwirkt und das schnellere Ion "abbremst".
Diffusionspotentiale werden gemessen, indem man Gefäße mit unterschiedlich konzentrierten
Elektrolytlösungen durch eine dünne Kapillare als Diffusionsstrecke verbindet. Die Lösungen
in den Vorratsgefäßen werden durch Rührer gut durchmischt, ihre Konzentration verändert
sich also über den Messzeitraum nicht merklich.
+
-
+
+
+
-
+
-
-
-
+
-
-
+
+
+
+ +-
-
-
-
+
-
+
-
+
+
-
+
+
+
-
-
+
-
+
-
+
-
+
Abb. 138: Entstehung eines Diffusionspotentials
D
− DAnion  RT c1

ln
U Diff =  Kation
 DKation + DAnion  zF c2
u
− u Anion  RT c1

=  Kation
ln
 u Kation + u Anion  zF c2
Für 18°C und z = 1 gilt:
187
ELEKTRISCHE POTENTIALE AN MEMBRANEN
Kationen
Anionen
 cm 2 

 Vsec 
 cm 2 

 Vsec 
u in 
u in 
H+
Na+
K+
31,80 × 10-4
4,35 × 10-4
6,47 × 10-4
OHCl-
17,40
6,54
Für ein Konzentrationsverhältnis von 10 : 1 ergibt sich dann z.B. für HCl UDiff = 38 mV, für
NaCl UDiff = -12 mV und für KCl UDiff = -3 mV !
Ideal selektive Membran
Ein Spezialfall eines Diffusionspotentials tritt auf, wenn man zwei Räume V1 und V2 durch
eine ideal selektiv permeable Membran trennt, die z.B. nur für eine Ionensorte z.B. K+
durchlässig ist (z.B. Bilayermembran mit Valinomycin, einem K+Carrier, dotiert).
Hier ersetzen wir die Diffusionsstrecke (die Kapillare) durch die Membran.
-
+
+
+
+
-
+
+
-
+
+
+
-
-
+
+
+
-
-
-
-
+
+
-
-
-
+
-
+
-
+
-
+
-
+
-
+
+
-
+
+ - +- -
+
-
+
+
-
+
+
+
+
-
+ +
+
+
Abb. 139: Ideal selektiv permeable Membran
Füllt man die beiden Räume mit einer Elektrolytlösung z.B. KCl unterschiedlicher
Konzentration c1 und c2, so wird sich nach kurzer Zeit eine Spannung (Potentialdifferenz ∆Ψ )
messen lassen. Diese Potentialdifferenz ergibt sich dadurch, dass die Ionen entlang ihrem
188
BIOPHYSIK DER ZELLE
Konzentrationsgefälle von der Lösung höherer Konzentration zur niedrigeren Konzentration
wandern. Hierbei wird osmotische Arbeit verrichtet. Da die Membran für Chloridionen aber
nicht durchlässig ist, kommt es zu einer Ladungstrennung über die Membran. Es baut sich ein
elektrisches Feld auf, das dem "Diffusionsdruck" entgegen wirkt. Da die Membran für Cl- nicht
durchlässig ist, ist uAnion = 0 (keine Beweglichkeit des Anions in der Membran). Somit ist
u
− 0  RT c1

U =  Kation
ln
u
+
0
 Kation
 zF c2
RT c1
ln
zF c2
=
und wir erhalten das Membranpotential als die Gleichgewichtsspannung nach Nernst für das
permeable Ion.
Gibbs-Donnan Gleichgewicht
Ein weiterer Spezialfall stellt sich ein, wenn die Membran für alle bis auf eine der beteiligten
Ionensorten permeabel ist. In einer lebenden Zelle liegt der pH-Wert des Cytosols in der Regel
um 7. Da der isoelektrische Punkt der Zellproteine in der Regel ca. bei pH 5 liegt, kommen
diese in der Zelle vorwiegend als Anionen (Pr-) vor. Die Zellmembran ist in erster Näherung
für die großen Proteinmoleküle (Pr -) impermeabel, für die kleineren Kationen und Anionen
(z.B. K+, Cl -) aber weitgehend permeabel.
Wir können diese Situation nachstellen, indem wir auf eine Seite einer Dialysemembran eine
Salzlösung wie z.B. 100 mM KCl geben und auf die andere Seite eine äquimolare Lösung eines
Proteins mit seinen Gegenionen.
∆ϕ = 0
∆π = 0
Osmolarität
200 mOsM
-
100 +
+
+
+
+
+
100 mM +K
+
+
±0
Ladung
+
+
+
100 -
200 mOsM
-
100 mM P
+
-
+
-
+
innen
-
+
+
100 +
-
+
+
-
+ Cl
100 mM
-
+
-
-
+
100
+ mM K
+
+
+
+
+
+
-
+
+
100 -
-
+
-
+
±0
aussen
Abb. 140: Ausgangsbedingungen für die Einstellung eines
Donnangleichgewichts
Das permeable Anion Cl- wird nun seinem Konzentrationsgradienten folgen und in das
andere Kompartiment hineindiffundieren, da die Dialysemembran ja für kleine Teilchen
189
ELEKTRISCHE POTENTIALE AN MEMBRANEN
durchlässig ist. Da innerhalb einer Elektrolytlösung stets Elektroneutralität herrschen muss
(d.h. es müssen im Mittel gleichviele positiven wie negativen Teilchen da sein), müssen die
K+-Kationen diesem
Cl --Einstrom folgen. K+ wird also gegen seinen
Konzentrationsgradienten wandern.
Der unidirektionale Flux für diese Anionen-Kationenpaare über die Membran ist
[ ] [M ]
r
J = −P A −
+
1
1
[ ] [M ]
w
J = −P A −
+
2
2
Im Gleichgewicht heben sich diese Fluxe gerade auf, d.h. für die Konzentration der
permeablen Anionen [A-] und Kationen [M+] im Raum V1 und V2 gilt dann die folgende
Beziehung:
r w
J=J
[A ] [M ] = [A ] [M ]
−
+
1
1
−
+
2
2
Diesen Fall bezeichnet man auch als Donnan-Gleichgewicht. Dieses Gleichgewicht ist
charakterisiert durch den sog. Donnankoeffizienten g
[M ] = [A ]
[M ] [A ]
+
+
−
1
−
2
2
=g
1
Wäre die Membran für alle beteiligten Ionensorten permeabel, würde sich mit der Zeit ein
Konzentrationsausgleich einstellen und der Donnankoeffizient wäre g = 1.
Im oben gezeigten Experiment ist dies jedoch nicht der Fall.
[ ]
[ ]
Setzen wir Pr − = X und die ausgewanderten Cl- Ionen A − 1= n dann ergeben sich die
Konzentrationen zu
[Pr ] = X
[M ] = X + n
[A ] = n
[M ] = X − n
[A ] = X − n
−
+
−
+
−
oder
190
1
1
2
2
BIOPHYSIK DER ZELLE
[M ]
[M ]
+
+
1
2
[ ]
[ ]
−
X+n A
=
= −
X−n
A
2
X−n
=g
n
=
1
Im Gleichgewichtszustand wird daher die Gesamtkonzentration der freibeweglichen
intrazellulären Ionen größer sein als die der freibeweglichen extrazellulären Ionen. In
lebenden Zellen gilt daher stets g < 1.
∆ϕ < 0
∆π > 0
Osmolarität
266 mOsM
+
+
+
+
33 -
100 ±0
Ladung
+
mM Cl
-
-
+ 33
+
-
+
+
-
+
-
+
+
+
+
67 -
67 mM Cl-
-
-
67 +
+
-
-
+
+
+
+
+
-
-
100 mM P
67 mM K
+
+
-
-
+
+
+
+
+
133 -mM K+
+
134 mOsM
-
+
+
133 +
-18 mV
-
+
±0
aussen
innen
Abb. 141: Ionenverteilung beim Donnangleichgewicht
Dieses Ungleichgewicht der Ionen hat ein Transmembranpotential, das sog Donnan-Potential
UD zur Folge, das sich mit der Nernst-Gleichung für z-wertige Ionen quantitativ angeben lässt:
UD =
[ ]
[ ]
RT M +
ln +
zF
M
1
=
2
[ ]
[ ]
RT A −
ln −
zF
A
2
=
1
RT
ln g
zF
Definitionsgemäß ist der extrazelluläre Raum auf Potential 0 gelegt, damit ist der intrazelluläre
Raum für alle g < 1 auf negativem Potential. Für Zimmertemperatur und monovalente Ionen
gilt die Abschätzung:
U D = 59mV log g
Das Donnan-Gleichgewicht ist ein thermodynamisches Gleichgewicht, das durch reine
Diffusion ohne äußere Energiezufuhr zustandekommt.
Für die jeweiligen Gesamtkonzentrationen O1 und O2 an osmotisch wirksamen Teilchen gilt:
[ ] [ ] + [Pr ]
O1 = M + 1 + A −
1
[ ] + [A ]
O2 = M+
2
−
−
1
2
Es gibt also im Zellinneren (Pr - + n) mehr Ionen als außerhalb der Zelle. Der
Konzentrationsunterschied bewirkt einen höheren osmotischen Druck in der Zelle:
191
ELEKTRISCHE POTENTIALE AN MEMBRANEN
∆π = RT ∆O
= RT ∆n
Dieser kolloidosmotische Druck wird nicht von den Proteinmolekülen, sondern nur von den
Gegenionen verursacht. Tierische Zellen verfügen über keine Zellwand, die diesem
osmotischen Druck entgegenwirken kann. Bei tierischen Zellen darf sich daher nie ein echtes
Donnan-Gleichgewicht ausbilden, da die Zellen dann Wasser aufnehmen und platzen
würden. Lebende Zellen sind daher auf die Aufrechterhaltung eines Fliessgleichgewichts
(steady-state) unter Aufwendung von metabolischer Energie (Na+/K+-ATPase) angewiesen.
Dies ist auch der Grund, weshalb alle tierische Zellen ein negative Membranpotential
aufweisen, da dieses einem Chlorideinstrom und so dem Erreichen des DonnanGleichgewichtes entgegenwirkt.
Das Membranpotential
Bei praktisch allen lebenden Zellen besteht zwischen Zellinnenraum und dem Außenmedium
eine Potentialdifferenz, das Membranpotential. Unter normalen Bedingungen ist dabei das
Zellinnere gegenüber dem Außenmedium negativ geladen. Dem Außenmedium wird
außerdem per Konvention das Potential Null (also Erde) zugeordnet. Durch die Na+/K+Pumpe befinden sich die Ionen nicht im Gleichgewicht (s. Tabelle 4).
Tabelle 4. Konzentrationsverteilung und Permeabilität der
wichtigsten Ionen an der Nervenzellmembran
Ionen
+
K
Na+
Cl-
Außen
Innen
E
κ
4,5 mM
145 mM
100 mM
160 mM
15 mM
5 mM
-94 mV
+60 mV
-80 mV
1,0
0,02
0,2
κ Permeabilität des Ions X relativ zum K+ Ion.
An der Entstehung des Membranpotentials sind also mehrere Ionensorten beteiligt, die aber
unterschiedlich zum Gesamtpotential beitragen. Wie wir schon beim Diffusionspotential und
bei der ideal selektiv permeablen Membran gesehen haben, ist dabei der Beitrag der einzelnen
Ionenspecies umso größer, je größer ihre Beweglichkeit bzw. ihre Permeabilität ist. Für
geladene Teilchen ist die Permeabilität außerdem direkt proportional zur Leitfähigkeit G.
Dies lässt sich daher in einem Ersatzschaltbild veranschaulichen:
192
BIOPHYSIK DER ZELLE
Aussen
K
Cl
-
Na
EK
ECl
ENa
+
+
+
-
CMem
+
Innen
Abb. 142: Ersatzschaltbild für eine
Nervenmembran
oder anders in der sog. Goldmann-Gleichung
U Mem
[ ]
[ ]
[ ]
[ ]
[ ]
[ ]
+
+
−
RT PK + K a + PNa + Na a + PCl − Cl
ln
=
zF P + K + i + P + Na + i + P − Cl −
K
Na
Cl
[ ]
[ ]
[ ]
[ ]
[ ]
[ ]
+
+
−
RT K a + κ Na + Na a + κ Cl− Cl
=
ln +
zF
K i + κ Na + Na + i + κ Cl− Cl −
i
a
i
a
Das Ruhepotential
Wie aus der Tabelle 4 oben zu entnehmen ist, verhalten sich die Leitwerte unter
Ruhebedingungen wie
GK+:GCl-:GNa+ = 1 : 0.2 : 0.02
Die Strom-Spannungskennlinie für dieses Ersatzschaltbild sieht dann so aus:
193
ELEKTRISCHE POTENTIALE AN MEMBRANEN
K
Na+
ClGesamt
Strom
300
+
250
200
150
100
50
0
-100
-80
-60
-40
-20
0
20
40
-50
60
80
Spannung
100
-100
Abb. 143: Strom-Spannungskennlinie einer
Modellmembran im Ruhezustand
Unter Ruhebedingungen ist das K+-Ion das bei weitem durchgängigste Ion, bestimmt daher
das Gesamtpotential. Zur Schätzung des Ruhepotentials einer Zelle kann daher in erster
Näherung das Gleichgewichtspotential für K+ nach Nernst herangezogen werden
U Mem ≈
[ ]
[ ]
R T K+
ln +
zF
K
aussen
innen
Zähler und Nenner des Konzentrationsverhältnisses ergeben sich daher, dass bei
elektrophysiologischen Messungen immer gegen das Badmedium als Referenz gemessen
wird. Das Potential des Extrazellulärraumes wird daher per Konvention dem Erdpotential
gleichgesetzt d.h. es hat das Potential 0. Da das Membranpotential innen negativ ist, muss der
Bruch einen Wert kleiner als 1 ergeben. Da außerdem die Kaliumkonzentration im Innern
höher ist als Außen, ergibt sich, dass für Kationen stets das Verhältnis [Aussen ] [Innen ] , für
Anionen stets [Innen ] [Aussen ] eingesetzt wird.
Das Aktionspotential (AP)
Bei einigen Zellen ist das Membranpotential zeitlich nicht konstant, man spricht dann von
erregbaren Zellen.
Nervenaktionspotential
Insbesondere bei Nervenfasern kann sich das Membranpotential sprunghaft ändern, mit
einem charakteristischen Zeitverlauf.
194
BIOPHYSIK DER ZELLE
relative Refraktärperiode
absolute
40
Repolarisation
0
Aufstrich,
Depolarisation
-50
Schwellwert
Schwellwert
“Overshoot”
Reiz
-100
0
1
2
3
4
t / msec
Abb. 144: Zeitverlauf eines
Nervenaktionspotentials
Aktionspotentiale folgen einem Alles oder Nichts Gesetz, d.h. wenn ein bestimmter
Schwellwert überschritten wird, läuft der Vorgang immer und ganz stereotyp ab.
Während des Aktionspotentials kommt es durch Aktivierung spannungsgesteuerter Na+Kanäle kurzfristig zu einem Anstieg der Na+-Leitfähigkeit, die wiederum eine Depolarisation
bewirkt und sich so selbst verstärkt.
U
GNa
G
GK
t
Abb. 145: Leitfähigkeitsänderungen beim
Nervenaktionspotential
Im Peak des Aktionspotentials ist daher die Na+-Leitfähigkeit bestimmend und die StromSpannungskennlinie der Membran ließe sich etwa so modellhaft darstellen
195
ELEKTRISCHE POTENTIALE AN MEMBRANEN
Strom
K+
Na+
ClGesamt
300
250
200
150
100
50
0
-100
-80
-60
-40
-20
0
20
-50
40
60
80
100
Spannung
-100
Abb. 146: Strom-Spannungskennlinie einer
Modellmembran am Peak des Aktionspotentials
Nach einiger Zeit inaktivieren diese Kanäle und schließen dann wieder. Gleichzeitig kommt es
zu einem verzögerten Anstieg der K+-Leitfähigkeit (durch Aktivierung sog. delayed rectifier K+Kanäle), die das Membranpotential wieder auf seinen ursprünglichen Wert oder sogar
darüber hinaus zurückregulieren.
Nach Ablauf des Aktionspotentials kann kurzfristig kein neues Aktionspotential mehr
ausgelöst werden. Die Dauer dieser Periode nennt man absolute Refraktärzeit. Sie beträgt ca.
1 ms. Danach ist die Auslösung eines neuen Aktionspotentials abhängig von der Reizstärke.
Die wird dadurch verursacht, dass die spannungsgesteuerten Na+-Kanäle ja noch inaktiviert
sind und einige Zeit benötigen, um wieder in den aktivierbaren Zustand zurückzukehren.
Diese Refraktärzeit stellt sicher, dass sich das Aktionspotential gerichtet im Axon ausbreitet.
Refraktäre Zone
Kreisströmchen
Abb. 147: Erregungsausbreitung entlang eines
nicht myellinisierten Axons
Die Ausbreitungsgeschwindigkeit ist abhängig von der Längskonstanten der Membran, d.h.
vom Axondurchmesser bzw. vom Querwiderstand. Bei Vertebraten sind Nervenfasern daher
mit einer isolierenden Myelinscheide aus Schwannschen Zellen umgeben. Bei myelinisierten
Fasern sind nur die Membranen im Bereich der Ranvierschen Schnürringe erregbar (der Rest
ist isoliert) => saltatorische Erregungsleitung
196
BIOPHYSIK DER ZELLE
Herzaktionspotential
In Cardiomyocyten findet man eine besondere Form des Aktionspotentials. Viele Herzzellen
sind autorhythmisch, d.h. sie erzeugen sich den Reiz für die Auslösung eines
Aktionspotentials selbst. Solche Zellen findet man in den sog. Schrittmacherzentren des
Herzens (z.B. im AV-Knoten). Sie fallen besonders dadurch auf, dass sie eine hohe Na+Leckleitfähigkeit besitzen und daher spontan depolarisieren.
40
Plateau
0
-50
Schwellwert
spontane
Depolarisation
-100
0
500
1000
t / msec
Abb. 148: Herzaktionspotential
Ein weiteres Merkmal von Herzaktionspotentialen ist eine extrem lange Plateauphase, die
durch eine Ca2+ Leitfähigkeit erzeugt wird. Diese erzeugt den Ca2+ Einstrom, der für die
Kontraktion der Muskelfasern benötigt wird. Herzzellen haben auch eine sehr lange
Refraktärperiode, was die maximale Schlagfrequenz beschränkt. Herzaktionspotentiale mit
Refraktärperiode dauern ca. 300-1000 ms, die normale Herzfrequenz beträgt also ca.
1
oder 1
s
Hertz´.
Das Rezeptorpotential
Rezeptoren sind spezielle Zellen, die es uns ermöglichen, Umweltreize aufzunehmen und zu
verarbeiten (z.B. Stäbchen und Zapfen in der Retina, Chemorezeptoren auf der Zunge,
Schmerzrezeptoren in der Haut). Diese Zellen besitzen einen Sensormechanismus, der äußere
Signale wie z.B. Licht in eine Änderung des Membranpotentials umwandelt, das
Rezeptorpotential. Im Gegensatz zum Axon, bei dem die Information über die Frequenz der
Abfolge von Aktionspotentialen kodiert wird (Frequenzmodulation) ist die Information über
die Stärke z.B. eines Lichtreizes bei Rezeptorpotentialen direkt in der Potentialänderung
enthalten, die er auslöst. Rezeptorpotentiale sind also amplitudenmoduliert.
197
ELEKTRISCHE POTENTIALE AN MEMBRANEN
Synaptische Potentiale und Informationsverarbeitung an Nervenzellen
Eine besondere Form des Rezeptorpotentials findet man an den Verbindungspunkten zweier
Nervenzellen, den sog. Synapsen.
Präsynapse
synaptische Bläschen
mit Neurotransmitter
Aktionspotential
excitatorisches
postsynaptisches
Potential (EPSP)
synaptischer Spalt
postsynaptische
Membran
Postsynapse
inhibitorisches
postsynaptisches
Potential (IPSP)
Abb. 149: Aufbau und Funktion einer chemischen
Synapse
Bei chemischen Synapsen löst ein Aktionspotential an der präsynaptischen Membran die
Freisetzung einer Botensubstanz (dem sog. Neurotransmitter) aus synaptischen Vesikeln aus.
Dieser Transmitter diffundiert über den synaptischen Spalt, d.h. den Interzellulärraum, der an
dieser Stelle nur ca. 200 nm breit ist. An der postsynaptischen Membran bindet der
Transmitter an chemische Rezeptoren, die dann eine Leitfähigkeitsänderung für bestimmte
Ionen und damit eine (zunächst lokale) Änderung des Membranpotentials zur Folge hat, das
postsynaptischen Potential. Dieses dauert nur sehr kurz, da der Neurotransmitter im
synaptischen Spalt sofort deaktiviert wird, indem er z.B. enzymatisch gespalten wird.
Abhängig davon, welche Leitfähigkeiten verändert werden können diese postsynaptischen
Potentiale depolarisierend (d.h. erregend = excitatorisch) oder hyperpolarisierend (d.h.
hemmend = inhibitorisch) sein. Entsprechend spricht man dann von hemmenden bzw.
erregenden Synapsen. Ob eine Synapse erregend oder hemmend wirkt, hängt vornehmlich
von ihren Neurotransmittern bzw. deren Rezeptoren ab z.B.:
Acetylcholin (Neuromuskuläre Endplatte, erregend)
Glutamat (ZNS, erregend)
GABA ( γ - Aminobuttersäure, ZNS, hemmend)
Die Wirkung eines Neurotransmitters auf die Membranleitfähigkeit kann entweder indirekt
oder direkt erfolgen.
Bei einer direkten Wirkung ist der Rezeptor und der Effektor identisch. Man spricht dann von
einem ionotropen Rezeptoren oder einem ligandengesteuerte Ionenkanal (z.B. der nikotinische
Acetylcholinrezeptor).
198
BIOPHYSIK DER ZELLE
Bei einer indirekten Wirkung sind Rezeptor und Effektor nicht identisch. Man spricht dann
von metabotropen Rezeptoren (z.B. der muscarinische Acetylcholinrezeptor). Diese wirken
dann z.B. über G-Protein Kaskaden auf second Messenger gesteuerte Ionenkanäle.
Generatorpotential
Postsynaptische Potentiale breiten sich auf dem Zellleib einer Nervenzelle elektroton aus und
summieren sich dort zum sog. Generatorpotential. Überschreitet dieses Generatorpotential am
Axonhügel wieder den Schwellwert, kann dort ein neues Aktionspotential ausgelöst werden.
Da eine Nervenzelle sehr viele synaptische Eingänge besitzt, die zudem noch in
unterschiedlichem Abstand zum Axonhügel ankommen, werden diese Eingänge zeitlich und
räumlich gewichtet aufsummiert und verrechnet. Man spricht von einer räumlichen und
zeitlichen Summation.
Σ
Schwellwert
überschritten ?
Abb. 150: Signalverarbeitung am Neuron
Literatur
1. Molecular Biology of the Cell
B. Alberts, D. Bray, J. Lewis, M. Raff, K. Roberts, J.D. Watson
Garland Publishing Inc., New Jork & London, 1994 (3. Auflage)
(auch auf deutsch bei VCH)
2. Physikalische Chemie und Biophysik
G. Adam, P. Läuger, G. Stark
Springer-Verlag, Berlin - Heidelberg - New York, 1995 (3. Auflage)
3. Neurobiologie
H. Reichert
Georg Thieme Verlag Stuttgart - New York, 2000 (2. Auflage)
4. Cell Physiology Source Book
N. Sperelakis (ed.)
Academic Press, New York 2001 (3. Auflage)
5. Ionic Channels of Excitable Membranes
B. Hille
Sinauer Associates, Sunderland MA, 1992 (2. Auflage)
199
ELEKTRISCHE POTENTIALE AN MEMBRANEN
Links
200
•
Biophysics Textbook online der Biophysical Society ()
•
The Nerve Impulse. (F. Bezanilla; )
Herunterladen