DR. GUIDO WESTERWELLE: Rede im Deutschen Bundestag am 8. Dezember 2000 NPD-Verbot Die F.D.P.-Fraktion wird einem Verbotsantrag gegen die NPD nicht zustimmen. Wir halten die Erfolgsaussichten eines solchen Antrages für fraglich, seine Nebenwirkungen für gefährlich, und selbst ein positiver Ausgang des Verbotsverfahrens würde das eigentliche Problem nicht lösen. Ein Verbot wäre das richtige Mittel im Falle einer Gefährdung der Demokratie durch eine extremistische Partei. In einer solchen Ausnahmesituation muß die wehrhafte Demokratie auch vorbeugend zum Mittel der Auflösung einer Partei greifen. Die Wahlergebnisse der NPD zeigen aber, daß diese Gefahr gegenwärtig nicht besteht. Die NPD ist von allen rechtsextremen Parteien die erfolgloseste. Worum es tatsächlich geht, ist die Bedrohung von Menschen durch rechtsextremistische Gewalt. Diese Kriminalität muß mit allen dem Rechtsstaat zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft werden, das heißt in erster Linie mit Polizei und Strafrecht. Niemand ist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt, weil er Mitglied einer Partei ist. Die strafrechtliche Verfolgung von NPD-Mitgliedern hängt nicht davon ab, ob diese Partei verboten wird oder nicht. Wir müssen die einschlägigen Jugendstrafverfahren durch eine bessere Ausstattung der Justiz beschleunigen. Polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Sondereinheiten müssen ausgedehnt werden auf alle Bundesländer, in denen sich rechtsextremistische Jugendszenen gebildet haben. Und vor allem müssen Strafen ausgesprochen werden, die den Taten angemessen sind und die ihre Wirkung auf die Szene nicht verfehlen. Wenn in Deutschland ein junger Mann von einer Horde rechter Gewalttäter zu Tode gehetzt wird und die Täter dann überwiegend mit Bewährungsstrafen und Verwarnungen davonkommen, dann ist dies die falsche Antwort des Rechtsstaates. Dies muß auch offen ausgesprochen werden dürfen. Gerichte sind in einer Demokratie nicht sakrosankt. Wenn die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts zu Recht feststellt, daß selbst das höchste deutsche Gericht sich selbstverständlich der öffentlichen Kritik stellen muß, dann gilt dies auch für andere Gerichte. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entscheidungen zu den Verboten der SRP und der KPD zu Recht hohe Maßstäbe angelegt. Damals, zu Beginn der fünfziger Jahre, stand unsere Demokratie noch nicht auf sicherem Boden. Das hat sich in den letzten fünfzig Jahren fundamental geändert. Deutschland ist seit langem eine gefestigte Demokratie. Es ist also überhaupt nicht zu erwarten, daß das Bundesverfassungsgericht die hohen Anforderungen an ein Parteiverbot herunterschrauben wird. Nach den uns zur Verfügung stehenden Unterlagen hat das Verbotsverfahren ein hohes Prozessrisiko. Das Scheitern der Klage wäre ein Desaster, weil die NPD gewissermaßen mit einem TÜV-Siegel anschließend in die Wahlkämpfe ziehen wird. Ein NPD-Verbotsverfahren wird sich über einen längeren Zeitraum, eventuell über mehrere Jahre, hinziehen und eine große Öffentlichkeitswirkung hervorrufen. Das zeigen die Verfahren der Vergangenheit. Das Verfahren gegen die SRP hat ein Jahr, das Verfahren gegen die KPD sogar fünf Jahre gedauert. Die entsprechende Medienwirkung wird für die NPD eine erhebliche Propaganda sein, was sich bereits jetzt im Ansatz zeigt. Die NPD hat in den letzten Monaten einen vergleichsweise starken Zulauf vor allem junger Menschen zu verzeichnen. Selbst im unsicheren Falle eines Verbots gehen die Anhänger dann zur DVU oder zu den Republikanern. Das Verbotsverfahren wird daher eher zur Stärkung der rechtsradikalen Szene beitragen als zu deren Schwächung. jetzt im Ansatz zeigt. Die NPD hat in den letzten Monaten einen vergleichsweise starken Zulauf vor allem junger Menschen zu verzeichnen. Selbst im unsicheren Falle eines Verbots gehen die Anhänger dann zur DVU oder zu den Republikanern. Das Verbotsverfahren wird daher eher zur Stärkung der rechtsradikalen Szene beitragen als zu deren Schwächung. Als ein wesentliches Argument für ein NPD-Verbot wird immer wieder der Empfang staatlicher Gelder aus der Parteienfinanzierung genannt. In der Tat ist es ein Ärgernis, daß diese Partei Steuermittel erhält. Es sind in diesem Jahr gut 800.000 Mark. Ich weise aber darauf hin, daß die DVU doppelt so viel (1,65 Millionen Mark) und die Republikaner fast das sechsfache (4,8 Millionen Mark) bekommen. Das belegt die relative Erfolglosigkeit der NPD gegenüber den anderen rechtsextremen Parteien. Das Entscheidende aber ist, daß ein Verbot der NPD rechtes Gedankengut nicht beseitigt. Die staatlichen Gelder würden also statt bei der NPD bei der DVU und den Republikanern landen. Noch schlimmer kann die Wirkung eines NPD-Verbotes auf die Parteienlandschaft sein. Es könnte geradezu das entscheidende Signal für einen Zusammenschluß der bisher zersplitterten rechten Szene sein - mit unabsehbaren Folgen gerade auch bei Wahlen. Schon jetzt nutzen die Republikaner in Baden-Württemberg das Vorgehen gegen die NPD gewissermaßen als Gütesiegel in eigener Sache. Die Konzentration auf ein Verbot der NPD lenkt schließlich von den eigentlichen Problemen des Rechtsextremismus ab. Es wird immer wieder gesagt, durch den Verbotsantrag müsse ein Zeichen gesetzt werden. Der gezielt vermittelte Eindruck entschlossenen staatlichen Handelns an diesem Punkt kann aber dazu führen, um nicht zu sagen: dazu verführen, die tatsächlich notwendigen Maßnahmen zu vernachlässigen. Ein Verbot trägt nichts dazu bei, die Ursachen des Rechtsextremismus zu bekämpfen. Sie sind nicht durch staatliche Anordnung zu beseitigen. Rechtsextremismus muß politisch bekämpft werden. Das ist vor allem dort aussichtsreich, wo Einflußnahme noch möglich ist, nämlich besonders bei jungen Menschen. Die Ursachen für Rechtsextremismus sind vielfältig: Defizite in Elternhaus, Ausbildung und Bildung, fehlende Infrastruktur für Jugendliche, soziales Umfeld, Perspektivlosigkeit durch Arbeitslosigkeit und gelegentlich auch Mitläuferschaft. In all diesen Bereichen müssen daher die Maßnahmen ansetzen. Entscheidend ist, daß junge Menschen zu mehr Mitmenschlichkeit, Toleranz und demokratischem Verhalten erzogen werden. Hier hat die Bundesregierung die falschen Signale gesetzt. Die Globalzuschüsse für die politischen Stiftungen sind im Vergleich zu 1998 um 20 Millionen Mark auf 167 Millionen Mark gekürzt worden. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat für ihre Bildungsarbeit mit 30 Millionen Mark rund 25 Prozent weniger Gelder zur Verfügung als 1998. Die F.D.P. hatte im Haushalt beantragt, ein Sonderprogramm für "Erziehung zu Mitmenschlichkeit und Toleranz" in Höhe von mindestens 300 Millionen Mark aufzulegen. Das hat die Mehrheit des Hauses leider abgelehnt. Ein NPD-Verbot kann solche Maßnahmen aber nicht ersetzen. Wer schon die rechte Gesinnung bekämpft, muß später nicht gegen rechte Gewalt vorgehen. Ein Parteienverbot trägt hierzu nichts bei. Es geht nicht darum, was wir von der NPD halten und wie wir sie politisch einschätzen. Daß die NPD eine widerwärtige und verfassungsfeindliche Partei ist, die mit allen politischen Mitteln bekämpft werden muß, darüber besteht in diesem Hause Einigkeit. Auch zum Verfahren möchte ich noch etwas sagen. Die Bundesregierung hatte ursprünglich angekündigt, zunächst sorgfältig die von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder zusammengetragenen Informationen auszuwerten und anschließend eine rechtliche und politische Beurteilung abzugeben. Dann hat sie sich aber ohne Not frühzeitig öffentlich auf ein Verbotsverfahren festgelegt. Noch im Sommer hatte Innenminister Schily seine Skepsis gegenüber einem NPD-Verbot zum Ausdruck gebracht. Ich zitiere ihn aus dem SPIEGEL Nr. 32/2000: „Ich neige eher zur Skepsis. Zumal man sich die Frage Informationen auszuwerten und anschließend eine rechtliche und politische Beurteilung abzugeben. Dann hat sie sich aber ohne Not frühzeitig öffentlich auf ein Verbotsverfahren festgelegt. Noch im Sommer hatte Innenminister Schily seine Skepsis gegenüber einem NPD-Verbot zum Ausdruck gebracht. Ich zitiere ihn aus dem SPIEGEL Nr. 32/2000: „Ich neige eher zur Skepsis. Zumal man sich die Frage stellen muß, wie führe ich dann die Auseinandersetzung mit einer solchen Partei, wenn sie in den Untergrund gedrängt wird? Die Gefahr ist groß, daß ich ihre Militanz noch weiter erhöhe.“ Ich bestreite niemandem das Recht, seine Meinung zu ändern. Aber ich halte es für unangebracht, denjenigen, die diese Auffassung des Bundesinnenministers heute noch für richtig halten, vorzuwerfen, sie würden sich einer gemeinsamen Initiative verweigern. Bis heute haben wir entscheidungserhebliches Material, nämlich Protokolle von Telefonüberwachungsmaßnahmen, nicht gesehen. Die Kollegen der Union halten einen eigenen Verbotsantrag des Deutschen Bundestages für falsch und begründen das hauptsächlich damit, daß dem Bundestag nur ein Ausschnitt des von den Verfassungsschutzbehörden gesammelten Materials zur Verfügung steht. Dann können sie aber auch nicht in dieser Unkenntnis einen Antrag der anderen Verfassungsorgane begrüßen. Die F.D.P. hat dagegen eine klare Haltung. Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus müssen konsequent bekämpft werden. Repressive Maßnahmen sind unverzichtbar, um deutlich zu machen, daß der Staat und der überwiegende Teil der Gesellschaft Intoleranz gegen Fremde und Minderheiten keinesfalls tolerieren. Prävention ist von noch größerer Bedeutung. Den Verbotsantrag halten wir für das falsche politische Mittel bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus. Er ist gut gemeint. Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut gemacht.