Aufschluss über das Leben im ewigen Eis

Werbung
Powered by
Seiten-Adresse:
https://www.biooekonomiebw.de/de/fachbeitrag/aktuell/aufschluss-ueber-das-lebenim-ewigen-eis/
Aufschluss über das Leben im ewigen Eis
Zuweilen findet sich auch an Orten Leben, an denen man es nicht vermutet – beispielsweise
im arktischen und antarktischen Eis. Die Biodiversität in diesen Gegenden untersucht die
Konstanzer Biologin Anique Stecher – von der Probensammlung auf einem Forschungsschiff
bis zur Datenauswertung mit einer speziell entwickelten Software. Dadurch wird eine
umfassende Bestandsaufnahme der arktischen und antarktischen Lebewesen und ihrer
Beziehungen untereinander gewährleistet. Die Forscherin leistet damit einen wichtigen
Beitrag zu einem tieferen Verständnis der untersuchten Ökosysteme, ist gleichzeitig aber
auch kälteadaptierten Enzymen auf der Spur, die etwa in der Lebensmittelchemie und
Waschmittelentwicklung hilfreich sein können.
Mit dem Forschungsschiff Polarstern war die Konstanzer Biologin Anique Stecher bereits zweimal unterwegs, um
Proben für ihre Erforschung der Lebewesen in Arktis und Antarktis zu sammeln. © privat
„Obwohl es sich bei Meeresalgen um wesentliche Bestandteile der polaren Ökosysteme
handelt, fehlen bisher Biodiversitätsstudien über die Meeresalgengemeinschaft“, erläutert
Anique Stecher. Daher befasst die Konstanzer Wissenschaftlerin sich nun selbst mit dieser
Aufgabe, nimmt an Bord eines Forschungsschiffs Proben und erstellt daraufhin mit einer
speziellen Software DNA-Sequenz-Bibliotheken. Ihr Forschungsprojekt realisiert sie in
Zusammenarbeit mit dem Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und
Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Nach ihrer ersten Beschäftigung mit der
Molekularbiologie im Rahmen ihrer Masterarbeit an der Universität Bremen wechselte sie an
die Universität Konstanz, nutzt aber weiterhin die Ausstattung des Alfred-Wegener-Instituts für
1
ihre Forschung.
Zwei Forschungsreisen in die Arktis und Antarktis hat sie bereits hinter sich. Zur
Probenentnahme bohrten die Forscher Eiskerne aus Eisschollen, die auf dem Schiff in etwa
zehn Zentimeter große Teile zersägt wurden. Diese wurden anschließend mit einer
Natriumchloridlösung geschmolzen, deren hohe Salzkonzentration die Zellen vor einem
osmotischen Schock und einer damit einhergehenden Änderung des Transkriptoms schützen
sollte. Anschließend erfolgte eine Filtration durch Polykarbonatfilter, durch die alle Zellen der
Gemeinschaft extrahiert werden sollen. Bis zur weiteren Analyse in Deutschland werden die
Filter schockgefroren und bei -80 Grad Celsius gelagert.
RNA und DNA geben Auskunft über Biodiversität
Nach der Probenentnahme folgt in Deutschland ihre Analyse. Dazu wird die RNA der Lebewesen extrahiert und
analysiert. © privat
„Die Untersuchung der Biodiversität gliedert sich in zwei Bereiche“, erläutert Stecher. „Wir
wollen nicht nur die totale Biodiversität analysieren, sondern auch herausfinden, welcher Teil
der Gemeinschaft mit seinen Genen im Eis aktiv ist.“ Zudem interessieren die Forscher sich für
die Phylogenese der Algenarten, also für den Grad ihrer Verwandtschaft untereinander. Für die
verschiedenen Untersuchungsbereiche ergeben sich dabei unterschiedliche
Forschungsmethoden. Um einen Überblick über die totale Biodiversität zu erhalten,
analysieren die Forscher bestimmte Teile der ribosomalen DNA, also des Abschnitts der DNA,
2
der für die ribosomale RNA kodiert. Allerdings werden so auch Zysten und Übergangsstadien
erfasst, die nicht in situ aktiv sind. Um den aktiven Teil der Gemeinschaft zu erfassen,
untersuchen Anique Stecher und ihre Kollegen Teile der rRNA der Lebewesen. Diese ist
wesentlicher Bestandteil der Ribosomen innerhalb einer Zelle, deren Aufgabe die Synthese von
Proteinen anhand der DNA ist. Da Proteine essenzielle Bestandteile von aktiven Zellen sind,
lassen sich aus der Analyse der rRNA wichtige Rückschlüsse über den aktiven Teil der
Algengemeinschaft in Arktis und Antarktis ziehen.
Effizientere Auswertung dank Software-Entwicklung
Auf die Sequenzierung von DNA und RNA folgt die Auswertung der einzelnen Daten, die
allerdings eine wesentliche Schwierigkeit mit sich bringt: „Es entsteht eine enorm große
Datenmenge, zu deren Verarbeitung eine geeignete Software benötigt wird“, schildert Stecher.
Speziell zur Untersuchung phylogenetischer Beziehungen zwischen den einzelnen Arten
musste bisher ein großer Anteil der Datenauswertung manuell bewältigt werden. Mit dem
PhyloAssigner wurde vom Forscherteam nun am Alfred-Wegener-Institut eine neuartige
Software entwickelt, um eine schnellere Klassifizierung und phylogenetische Zuordnung von
DNA-Sequenzen zu ermöglichen. Grundlage der Software ist eine Referenzdatenbank aus
bekannten Sequenzen, mit denen das neue Datenmaterial abgeglichen wird.
Die Sequenzen der Datenbank liegen dabei bereits in Form eines Stammbaums vor. So können
auch die neuen Daten in dieser Form angeordnet werden. „All dies geschieht automatisch,
sodass bei der Auswertung viel Zeit gespart werden kann“, versichert die Biologin. Des
Weiteren ist die Software außer für Anique Stechers Projekt auch für andere
Forschungsprojekte zur Erfassung phylogenetischer Beziehungen zwischen Organismen
anwendbar. An die Auswertung mit Hilfe der Software soll sich die Erstellung von Datenbanken
anschließen.
Kälteadaptierte Enzyme mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten
Bis Oktober 2014 arbeitet Anique Stecher an ihrer Studie. „Da wir im Bereich der
Grundlagenforschung arbeiten, kann unsere Arbeit die unterschiedlichsten Resultate
hervorbringen“, erläutert sie. Ihre Arbeit könnte einen wichtigen Beitrag für ein tieferes
Verständnis der arktischen und antarktischen Ökosysteme leisten. Um diese vollständig
verstehen zu können, müssen sowohl ihre biotischen als auch ihre abiotischen Elemente
gründlich erfasst werden. Auf dieser Grundlage können dann Prognosen über ihre
Veränderung, etwa im Zusammenhang mit der globalen Erwärmung, gestellt werden.
Von besonderer Relevanz sind aber auch bestimmte Enzyme, die einige Meeresalgen
aufweisen. Eisstrukturierenden Proteine (AFPs) oder nukleosierende Proteine (INPs)
beispielsweise wirken der Formation von Eiskristallen entgegen und werden bereits zum
Frostschutz von Lebensmitteln oder zur Erhaltung der Konsistenz von Speiseeis eingesetzt.
Auch für die Entwicklung von Waschmitteln oder Reinigern können die kälteadaptierten
Enzyme der Lebewesen in Arktis und Antarktis interessant sein, da sie den Ablauf chemischer
Prozesse bei niedrigeren Temperaturen ermöglichen und somit energieeffizientere
Reinigungsvorgänge ermöglichen.
3
Energiesparende Waschprozesse dank Proteinen
„Die meisten bisher gut untersuchten Proteine stammen aus Tieren, oft aus Warmblütern, und
sind bei moderaten Temperaturen aktiv, menschliche Proteine arbeiten beispielsweise optimal
bei 37 Grad Celsius“, bemerkt Anique Stecher. Sie verlieren bei einer Temperaturabsenkung
um zehn Grad etwa die Hälfte ihrer Aktivität und denaturieren bei Temperaturen über ca. 45
bis 50 Grad Celsius. Bei sehr niedrigen Temperaturen sind sie häufig gar nicht mehr aktiv.
Anders gestaltet es sich bei Proteinen aus Eisalgen, die bereits bei -5 bis 5 Grad Celsius optimal
arbeiten. „Man könnte mit Hilfe solcher Proteine technische Prozesse oder Reinigungen in
kaltem Wasser ablaufen lassen und so Energie sparen“, blickt die Forscherin voraus. Wie
Anique Stecher schildert, sind Enzmye nicht nur Ketten von Aminosäuren, sondern sie sind
dreidimensional gefaltet zu einer sogenannten Sekundär- und Tertiärstruktur. Außerdem
bilden auch mehrere Proteinketten zusammen erst ein aktives Enzym, die Quartärstruktur. Für
diese Faltungen und Zusammenlagerungen sind Wechselwirkungen wie beispielsweise ionische
oder Wasserstoffbrücken-Bindungen verantwortlich. Diese müssen umso stabiler sein, je
wärmer es ist. Somit muss ein im Warmen arbeitendes Protein anders aufgebaut sein als eines,
das im Eis noch aktiv sein soll. „In diesem Bereich würde sich die Zusammenarbeit mit
Unternehmen anbieten“, äußert sich Anique Stecher.
Fachbeitrag
18.03.2013
Iria Sorge-Röder
BioLAGO
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Anique Stecher
Universität Konstanz / Alfred-Wegner-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
E-Mail: [email protected] oder anique.stecher(at)uni-konstanz.de
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Biodiversität in der Krise
4
5
Herunterladen