Migalastat

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Pharmazeutische Chemie - Migalastat
Migalastat (Galafold®)
Mit dem Iminozucker Migalastat (= 1-Desoxygalactonojirimycin (=DGJ)) (Galafold®)
steht nun erstmals ein pharmakologisches Chaperon zur oralen Therapie des
Morbus Fabry und damit als echte Alternative zur intravenösen Enzymersatztherapie
zur Verfügung (Strukturformel s. Abbildung 1). Vorgesehen ist das Fertigarzneimittel
Galafold® für Patienten ab einem Alter von 16 Jahren als Dauertherapie, sofern ein
gesicherte Morbus-Fabry-Diagnose sowie eine auf die Behandlung mit Migalastat
ansprechende Mutation vorliegen (s. Fachinformation Galafold®). Die Galafold®Hartkapseln enthalten 123mg Migalastat in Form des Hydrochlorids. Es wird eine
Kapsel jeden zweiten Tag immer zur gleichen Uhrzeit eingenommen, wobei
gleichzeitige Nahrungsaufnahme die Migalastat-Aufnahme um 40% senken kann.
Demzufolge sollte zwei Stunden vor und zwei Stunden nach der Einnahme der
Kapsel keine Mahlzeit eingenommen werden. Die Kapseln werden als Ganzes
eingenommen, sie dürfen weder zerkaut, zerteilt noch zerkleinert werden (Johnson et
al. 2013, Fachinformation Galafold® 2016).
Abbildung 1
Der Morbus Fabry ist eine seltene lysosomale Speicherkrankheit (weltweite Inzidenz
1:40000 bis 1:117000), die X-chromosomal vererbt wird und vorwiegend Männer
betrifft. Heterozygote Frauen können aber auch erkranken. Das für die Krankheit
verantwortliche GLA-Gen liegt auf dem langen Arm des X-Chromosoms. Das GLAGen codiert für das 429 Aminosäuren umfassende Protein α-Galactosidase A
(Ceramid-Trihexosidase), ein lysosomales Enzym, das für den Stoffwechsel von
Glycoshingolipiden verantwortlich ist. Globotriaosylcaramid (Ceramidtrihexosid, Gb3,
GL-3) ist ein Substrat der α-Galactosidase A. Das Enzym spaltet Gb3 zu
Ceramidlactosid, indem eine Galactose entfernt wird (s. Abbildung 2). Allgemein
ausgedrückt katalysiert die Galactosidase A die Hydrolyse und damit die Abspaltung
einer terminalen α-glykosisch verknüpften Galactose aus Glycosphingolipiden. Eine
Vielzahl von Mutationen im GLA-Gen führen beim Morbus Fabry zu einem Mangel an
funktionsfähiger α-Galactosidase A. Dadurch kommt es zu einer Akkumulation des
Substrates Gb3 in einer Vielzahl von Organen. Die Diagnose des Morbus Fabry ist
häufig schwierig einerseits wegen der Seltenheit der Erkrankung an sich,
andererseits aber auch aufgrund oftmals diffuser, unspezifischer Symptome auch in
Abhängigkeit der jeweils betroffenen Organe. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die
Lebensqualiät der Erkrankten extrem schlecht ist. Bei den männlichen Patienten
treten die ersten Symptome bereits im Schulkindalter auf, bei den weiblichen
Patienten beginnt die Symptomatik meist später, im mittleren Lebensabschnitt, und
die Erkrankung verläuft in der Regel weniger heftig (Dingermann, Winckler und
Zündorf 2011, Seydelmann et al. 2015).
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Abbildung 2: Die α-Galactosidase A-Reaktion:
Das Enzym spaltet vom Substrat Globotriaosylceramid (= Ceramidtrihexosid, = Gb3)
eine terminale α-glykosidisch verknüpfte Galactose ab. Als Produkt resultiert
Ceramidlactosid.
(R = Fettsäure)
Anfallsartig auftretende, brennende Schmerzen in Füßen und Händen sind bei
Jungen häufig zu beobachten. Zusätzlich besteht ein permanentes unangenehmes
Gefühl an den Extremitäten, das durch Wärme oder Kälte noch verstärkt wird.
Besonders schwerwiegend sind Ansammlungen des Gb3 im kardiovaskulären
System und in den Nieren. Bei den meisten Patienten zeigen sich dann hinsichtlich
des
kardiovaskulären
Systems
Erregungsleitungsstörungen
sowie
eine
Klappeninsuffizienz. Die Ablagerungen in den Nieren bedingen zunächst eine
Proteinurie sowie eine Mikrohämaturie. Im fortgeschrittenen Stadium entwickelt sich
dann eine chronische Niereninsufizienz, die auch die häufigste Todesursache beim
Morbus Fabry darstellt (Dingermann, Winckler und Zündorf 2011, Thomas und
Hughes 2014).
Bis zur Jahrtausendwende konnten Patienten mit Morbus Fabry nur symptomatisch
therapiert werden, indem beispielsweise schmerzauslösende Reize so gut wie
möglich vermieden und hochdosiert Analgetika gegeben wurden (Schuller et al.
2016). Seit Anfang der 2000er Jahre gibt es für diese Patienten die Möglichkeit einer
Enzymersatztherapie. Dabei stehen in Deutschland seit 2001 zwei Fertigarzneimittel
zur Verfügung, die rekombinant hergestellte humane α-Galactosidasen A enthalten
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(s. Tabelle 1). Replagal® enthält als rekombinante Form des Enzyms Agalsidase
alfa, Fabrazyme® enthält Agalsidase beta. Beide Arzneimittel werden natürlich
aufgrund ihrer Proteinstruktur als intravenöse Infusion (in der Regel jede zweite
Woche) verabreicht (Fachinformation Fabrazyme® 2006, Fachinformation Replagal®
2006).
Arzneistoff/
Arzneimittel
Zulassung
Therapieart
Applikation
Häufigkeit der
Anwendung
Agalsidase alfa
(Replagal®)
2001
Enzymersatz
mit rekombinanter
humaner αGalactosidase
Intravenöse
Infusion
Jede zweite
Woche 1 Infusion
Agalsidase beta
(Fabrazyme®)
2001
Enzymersatz
mit rekombinanter
humaner αGalactosidase
Intravenöse
Infusion
Jede zweite
Woche 1 Infusion
Migalastat
(Galafold®)
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Pharmakologisches
Chaperon
peroral
Jeden zweiten
Tag 1 Kapsel
Tabelle 1: Arzneimittel zur kausalen Therapie des Morbus Fabry
Bislang fehlte eine Alternative (insbesondere eine peroral applizierbare Alternative)
zur Enzymersatztherapie beim Morbus Fabry. Eine solche Alternative steht nun mit
dem Migalastat zur Verfügung.
Für den Morbus Fabry sind wie oben ausgeführt Genveränderungen in dem für das
α-Galactosidase A-Protein codierenden Gen GLA verantwortlich. Über 500
Mutationen, die einen Morbus Fabry auslösen, sind bislang identifiziert worden,
darunter Splicing-Defekte, Missense- und Nonsense-Mutationen sowie Deletionen
kleiner Genabschnitte. Ungefähr 60 % davon sind Missense-Mutationen, d.h.
einzelne Basen sind substituiert und codieren für jeweils eine andere Aminosäure.
Die meisten der mutierten Genprodukte besitzen die gleiche Enzymaktivität wie die
nichtmutierte Form der α-Galactosidase A, zeigen aber aufgrund einer Fehlfaltung
eine thermische und pH-Instabilität (Ishii et al. 2007, Lukas et al. 2013). Obwohl in
ihrer Aktivität dem nichtmutierten Enzym gleichwertig, werden diese mutierten und
fehlgefalteten Enzyme im Endoplasmatischen Retikulum aussortiert, gelangen also
nicht zu den Lysosomen, sondern werden nach Transport ins Zytosol im Proteasom
abgebaut. Der Morbus Fabry wird demnach hauptsächlich durch eine Fehlfaltung der
α-Galactosidase A hervorgerufen (Ishii 2012).
Der neue Arzneistoff Migalastat ist nun ein sogenanntes pharmakologisches
Chaperon, das mit hoher Affinität an die aktiven Zentren mutierter, fehlgefalteter αGalactosidasen A binden kann, wodurch deren Fehlfaltung korrigiert wird. Durch die
nun richtige Konformation und Tertiärstruktur des Enzym-Migalastat-Komplexes
erfolgt keine Entsorgung durch die Qualitätskontrolle im Endoplasmatischen
Retikulum, sondern die nun stabilisierten Enzym-Migalastat-Komplexe werden
genauso wie die nichtmutierten Enzymformen an ihre Wirkorte, die Lysosomen,
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transportiert (Yam et al. 2005, Ishii et al. 2007, Ishii 2012). Die Bindung des
Migalastats im aktiven Zentrum erfolgt mit hoher Affinität selektiv und reversibel.
Migalastat ist ein kompetitiver Ligand der α-Glucosidase A (Asano et al. 2000). Ist
der Enzym-Migalastat-Komplex im Lysosom angekommen, muss eine Dissoziation
des Migalastats vom Enzym erfolgen, damit das aktive Zentrum wieder frei ist für die
natürlichen Substrate wie Gb3.
Die Mutationen, bei denen Migalastat als Chaperon wirksam ist und
dementsprechend auch als Arzneimittel eingesetzt werden darf, sind in der
Fachinformation aufgelistet oder über eine Webseite abrufbar (Fachinformation
Galafold® 2016, www.GalafoldAmenabilityTable.com).
Migalastsat ist ein Iminozucker, der bislang nicht in der Natur vorgefunden wurde und
synthetisch hergestellt wird. Er besitzt strukturell große Ähnlichkeit zum Spaltprodukt
der α-Galactosidase A, der Galactose (s. Abbildung 3). Galactose, das C-4-Epimer
der Glucose, verfügt über die typische, labile Halbacetal-Struktur, beim Migalastat als
Didesoxy-Derivat der Galactose fehlt diese labile Struktur. Stattdessen enthält es
lediglich eine basische, sekundäre Amino-Gruppe, die in den 6er-Ring integriert ist.
Dadurch ist Migalastat natürlich wesentlich stabiler als Galactose. Die
Konfigurationen an den übrigen C-Atomen stimmen mit der Galactose überein. Auch
die Galactose selbst könnte als pharmakologisches Chaperon der α-Galactosidase A
fungieren, allerdings sind die Konzentrationen, die für eine klinische Wirksamkeit
erforderlich sind aufgrund der niedrigen Affinität der Galactose für das Enzym viel zu
hoch, so dass eine Entwicklung der Galactose als klinisch wirksames Chaperon
ausgeschlossen ist (Frustaci et al. 2001, Guce et al. 2011, Ishii 2012).
Abbildung 3:
Strukturvergleich des Migalastats mit der Galactose in der Sesselkonformation
Migalastat besitzt eine sehr hohe Affinität zur α-Galactosidase A, so dass die
Bindung im aktiven Zentrum trotz der Reversibilität für den Transport ins Lysosom
ausreichend stabil ist. Im Lysosom muss dann allerdings eine Dissoziation erfolgen,
denn das aktive Zentrum des Enzyms muss für das Substrat frei sein. Für die
Dissoziation des Migalastats gibt es verschiedene Theorien. Sicherlich spielt eine
Rolle, dass das physiologische Substrat Gb3 in den Lysosomen in hoher
Konzentration vorliegt. Migalastat wird dann kompetitiv durch den großen
Überschuss an Gb3 aus seiner Bindung verdrängt. Zusätzlich scheint die Bindung im
aktiven Zentrum pH-abhängig zu sein. Die Wirksamkeit des Migalastats als
Chaperon ist im neutralen pH-Milieu größer als im sauren pH-Bereich. Im Lysosom
steigt der pH-Wert selten über 5, er liegt in der Regel bei pH = 4,5 bis 5 im schwach
sauren Bereich. Es wird vermutet, dass die pH-Abhängigkeit der Migalastat-Bindung
durch das im aktiven Zentrum gelegene Aspartat an Position 170 der αGalactosidase A hervorgerufen wird (s. Abbildung 4). Bei neutralem pH-Wert von
etwa 7 wird die Carboxyl-Gruppe der Seitenkette des Aspartats 170 deprotoniert
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vorliegen und die Amino-Gruppe des Migalastats mit einem pKs-Wert von 7,1
zumindest zu einem großen Anteil protoniert, wodurch eine starke ionische
Wechselwirkung zustandekommt.
Abbildung 4:
pH-Abhängigkeit des Migalastat-Enzym-Komplexes und der Wirksamkeit des
Migalastats als pharmakologisches Chaperon nach Guce et al. 2011
Im Lysosom, bei einem pH-Wert von 4,5, wird die Carboxyl-Gruppe eher protoniert
vorliegen (genauso wie die Amino-Funktion des Migalastats), wodurch die ionische
Bindung verlorengeht. Auch die hohe Affinität und starke Bindung des Migalastats im
aktiven Zentrum der Galactosidase - insbesondere im Vergleich zur Galactose sowie
dem physiologischen Substrat Gb3 - scheint durch diese spezifische
Wechselwirkung zustande zu kommen. Liegt eine D170A-Mutation vor, ist also das
Aspartat durch ein Alanin ohne Seitenketten-Carboxyl-Gruppe substituiert, bindet
Migalastat wesentlich schwächer an das mutierte Enzym, und die Wirksamkeit als
Chaperon ist vergleichbar mit der der Galactose. (Fantur et al. 2010, Guce et al.
2011)
Literatur:
Asano, N. et al. Eur J Biochem 2000, 267, 4179
Dingermann, T., Winckler, T und Zündorf, I. in Gentechnik Biotechnik - Grundlagen
und Wirkstoffe 2011, 2. Aufl., WVG Stuttgart
Fachinformation Fabrazyme® 2006, Genzyme Europe B.V.
Fachinformation Galafold® 2016, Amicus Therapeutics UK Ltd.
Fantur, K. et al. Mol Genet Metab 2010, 100, 262
Guce, A.I. et al. Chem Biol 2011, 18, 1521
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Fachinformation Replagal® 2006, Shire Human Genetic Therapies AB
Frustaci, A. et al. N Engl J Med 2001, 345, 25
Johnson, F.K. et al. Clin Pharmacol Drug Dev 2013, 2, 120
Ishii, S. et al. Biochem J 2007, 406, 285
Ishii, S. Proc Jpn Acad Ser B Phys Biol Sci 2012, 88, 18
Lukas, J. et al. PLoS Genet 2013, 9: e1003632
Schuller, Y. et al. BMC Neurol 2016, 16, 25
Seydelmann, N. et al. Best Pract Res Clin Endocrinol Metab 2015, 29, 195
Thomas, A.S. und Hughes, D.A. Pediatr Endocrinol Rev 2014, 12 Suppl 1: 88
Yam, G.H. et al. FASEB J 2005, 19, 12
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