der kapitalismus zerstört seine grundlagen

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Bericht zur Veranstaltung am
19.01.2016 in München
DER KAPITALISMUS ZERSTÖRT
SEINE GRUNDLAGEN
In Kooperation mit der Evangelischen
Stadtakademie München
München, 19.01.2016. Die Probleme rund um
das Wirtschaftssystem Kapitalismus sind nicht
erst seit der Finanz- und Wirtschaftskrise von
2008 bekannt. Jedoch hat das Platzen der
Immobilienblase mitsamt seiner Folgen wohl die
Bedeutung und Tragweite der Krise klar
aufgezeigt. Der soziale
Kapitalismus
–
wie
Prof. Dr. Dr. h.c.
Streeck die aktuelle
Form des Kapitalismus
nennt, welcher durch
staatliche
Steuerung
gekennzeichnet ist –
gerate aus den Fugen.
Zum
Auftakt
der
Veranstaltung
führte
Wolfgang Streeck, der emeritierter Direktor am
Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung
in Köln ist, historisch ein: Der Krisenzustand
der Wirtschaften der OECD-Staaten habe schon
in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts
begonnen und sei heute, nach einer Phase der
Inflation gefolgt von einer Staats- und
Privatverschuldungsphase, in seiner vierten
Phase angelangt, die vor allem durch die
Finanzund
Wirtschaftskrise
von
2008
gekennzeichnet sei. Die „drei apokalyptischen
Reiter“
sinkendes
Wachstum,
steigende
Ungleichheit und zunehmende Verschuldung
bezeichnet er als Trends, die sich gegenseitig
verstärkten und dadurch eine Komplexität
entwickelten, die es in besonderem Maße
erschwerten, ihnen entgegenzuwirken. Die
Kontrollierbarkeit des kapitalistischen Systems
leide
demnach
besonders
unter
der
Globalisierung, die die staatliche Regulierung
der drei sogenannten fiktiven Waren Arbeit,
Geld und Natur schwierig bis unmöglich mache.
Die entscheidendste Folge dieser Entwicklungen
sei, drastisch ausgedrückt, die Zerstörung der
Gesellschaft. Der Verlust der Steuerbarkeit
durch Regierungen führe beispielsweise zu einer
geringeren Wahlbeteiligung. Dies wird vor allem
deutlich, schaut man sich die sozioökonomisch
schlechter gestellten Schichten an: Hier fällt
auf, dass die Wahlbeteiligung umso niedriger
ist, je höher die Arbeitslosenquote ausfällt.
Weitere Aspekte der Gesellschaftszerstörung
sieht Streeck in der Entwicklung einer
neofeudalistischen Demokratie, bei der die Top
400 der Reichen ein um ein Vielfaches höheres
Vermögen anhäuften als die unteren 90
Prozent.
Zudem
käme
es
zu
einer
Destabilisierung
und
Flexibilisierung
der
Lebenswelt.
Im Gespräch mit Moderator Alexander
Hagelüken, dem Leitenden Redakteur beim
Wirtschaftsressort der Süddeutschen Zeitung,
sowie dem Publikum verdeutlicht Streeck, dass
derzeit auch ein „Agenturproblem“ hinzukäme.
Selbst wenn jemand eine Lösung für die
derzeitige Krise des Kapitalismus hätte, an wen
würde er sich wenden? Wer hätte genug
Durchsetzungskraft,
um
den
Plan
zu
realisieren?
Auf die Anmerkung Hagelükens hin, dass sich
der Trend zur Ungleichheit seit den 2000er
Jahren gebremst habe, reagierte Streeck mit
dem Hinweis, dass auch Fluktuationen um
bestimmte Trends, die zu beobachten seien,
noch lange keine Trendwende darstellten. Er
kommt daher zu dem Schluss, dass die
kapitalistische Zeit ein Ende haben könne. Marx
und andere Theoretiker hätten dies zwar schon
vor Langem vorhergesagt, ohne dass Derartiges
geschehen ist, Streeck sieht jedoch keinen
Beweis dafür, dass das bedeutet, dass auch er
falsch
liegen
könnte.
Er
betont
die
Unvorhersehbarkeit der Entwicklung und auch
die aktuell fehlenden Möglichkeiten, nach Krisen
wieder „aufzuräumen“. Dass dieses Aufräumen
nicht mehr möglich ist, ist laut Streeck seit
2008 offensichtlich. Zudem unterstreicht er,
dass die Ressourcen, die die Welt hergibt, nicht
unendlich sind und irgendwann ausgeschöpft
seien, selbst wenn sie durch Fracking, Erfindung
neuer künstlicher Materialien und andere
Innovationen bis zu einem gewissen Grad
gestreckt werden können.
Auf die Frage, was anstelle des Kapitalismus
kommen soll, hat Streeck keine abschließende
Antwort. Allerdings hofft er, dass die Menschen
wieder die kollektive Kontrolle über ihr
Schicksal übernähmen, wobei eine solche
Wiederherstellung der Demokratie nur dezentral
zu realisieren sei. Ziel wäre hierbei, dass es den
schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft durch
Teilnahme an den politischen Prozessen besser
ginge, als wenn sie nicht teilnähmen. Er sieht
jedoch auch die Wichtigkeit der Organisation
von Wahlen. Streeck verdeutlicht, dass viele
Stadtviertel von politischen Parteien von
vornherein abgeschrieben werden, in denen
daher auch kein Wahlkampf mehr betrieben
wird. Dies suggeriere den Bürger_innen
Machtlosigkeit,
die
sie
z.B.
zu
rechtspopulistischen Parteien hindränge. Diese
Spirale müsse aufgebrochen werden.
Für Streeck steht fest, dass der Kapitalismus
nicht von heute auf morgen abzuschaffen ist.
Alternative Wirtschaftsmodelle, die manche als
Möglichkeit für die Zukunft sehen, gäbe es laut
Streeck zu tausenden und sie müssten
akzeptiert und gefördert werden. Allerdings
sieht er in ihnen nicht das eine zukünftige
Wirtschaftssystem, das sich global durchsetzen
werde, sondern viel mehr eine Möglichkeit für
die Menschen die Selbstverwaltung wieder zu
erlernen.
Auch wenn er selbst keine Patentlösung parat
habe, betont er die Notwendigkeit, dass
Menschen
zumindest
als
ersten
Schritt
beginnen die schwierige Lage zu erkennen und
Alternativen zum Kapitalismus zu diskutieren.
Dem hofft er mit der Veranstaltung einen
Schritt näher gekommen zu sein.
Text: Julia Stuckenberg, 20.01.2016
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