IIA Institut für Interaktions- und Affektforschung Göttingen Direktor: Prof. Dr. Max L. Hilaris Die generalisierte Heiterkeitsstörung – Neue Die generalisierte Heiterkeitsstörung – Neue Daten und Daten und Forschungsergebnisse Forschungsergebnisse Ulrich Streeck Ulrich Streeck Interdisziplinäres psychoanalytisches Forum (IPF) »Vergängliche Heiterkeit – Heitere Vergänglichkeit« Zürich, 20. Dezember 2012 1 Frühe Beschreibungen Demokrit: „Über die Heiterkeit“ (5. / 4. Jhdt. v. Chr.) Seneca: „De tranquillitate animi“ (etwa 50 n. Chr.) 2 3 pp 4 Diagnostik Generalisierte Heiterkeitsstörung (GHKS) Definition nach ICD 10/Q, Version II b Wiederholte, mindestens über zwei Tage meist schleichend, seltener akut einsetzende (akut rezidivierende Verlaufsform) oder chronisch gleichbleibende Heiterkeitszustände (chronische Verlaufsform), die im Vergleich zum Durchschnitt der Bevölkerung situationsunangemessen und schwer einfühlbar erscheinen, ohne dass der Betroffene die Unangemessenheit seines Zustandes und/oder seines Verhaltens erkennt. 5 Mindestens drei der im folgenden genannten Kriterien müssen gleichzeitig erfüllt sein: Psychische Symptome Ausgeglichene Stimmungslage selbst angesichts von belastenden und schwer wiegenden Umständen Gefühle des Getröstetseins, ohne dass die betreffende Person Trost von Anderen erhält Auffälliger Mangel an ängstlich-unruhiger Besorgtheit Inadäquat erscheinende Haltung von Vertrauen angesichts der Erfahrung des Abgründigen menschlicher Existenz Verhaltenssymptome Gelassenheit angesichts von gravierenden Ereignissen Relativer Mangel an Anspannung unter alltäglichen Belastungen Mangel an fröhlich-optimistischem Fortschrittsglauben Körperliche Symptome Häufiges, unter Umständen kaum sichtbares Lächeln Motorik kann im Vergleich zum Durchschnitt verlangsamt sein (nicht obligat) 6 Screening-Instrument Serene-Calmness-Scale (SCS; Berman et al. 1998) (deutsche Übersetzung: Dupe 2004) 7 Differentialdiagnostik Leichtere akute oder chronische Alkoholintoxikation (alkoholtoxisches Heiterkeitssyndrom) Drogeninduzierte Veränderungen der Stimmungslage Cannabis-Intoxikation (bei Heiterkeitsstörung fehlen vegetative Symptome wie Tachykardie, Mundtrockenheit, psychomotorische Unruhe) Manische Episode (bei GHKS fehlen Gereiztheit, übersteigertes Selbstwertgefühl, Größenideen, übermäßige Betriebsamkeit oder Rededrang) 8 Epidemiologie Manifestation bevorzugt jenseits des 50. Lebensjahres (Erstmanifestieren im dritten und vierten Lebensjahrzehnt selten) Häufigkeit gleich bei Männern und Frauen Häufiger in hochtechnisierten Ländern und dicht besiedelten Gebieten als in Agrarländern und dünn besiedelten, ländlichen Gegenden Inzidenz in westlichen Ländern zwischen 2% bis 3% (z.B. Leskamp, Scholl 1995; Verschooren et al. 1998) Häufiger bei Angehörigen von akademischen und künstlerischen Berufen (Dommerik 1997; aber: hohe Dunkelziffer!) 9 Neurobiologische Grundlagen Aktivierung spezifischer Kern- und Projektionssysteme im Gehirn beteiligt Störung betrifft die subcorticalen Regelsysteme (Beteiligung von Amygdala, ventralem Striatum, Septum, Hypothalamus und – fakultativ - orbitofrontalem Cortex) Weitere Befunde: Van der Gilb et al. (1997): Umschriebene hyperämische Bezirke in medialer Amygdalaregion (acht Patienten mit GHKS; fMRT-Studie) Gerdchen, Meyer und Blasius (2000): Erniedrigtes NE-turnover (noradrenerge Neurone ) im Bereich des locus coeruleus Hambacher et al. (1999): Konzentration von 5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIAA, Hauptmetabolit von Serotonin 5-HAT) im Liquor von GHKS-Patienten erniedrigt (Unterstimulation der Amygdala? Imbalance noradrenerger/serotonerger Neurone?) Bliston et al. (1998) GABA (Gamma-Aminobuttersäure, inhibitorischer Transmitter) an der Entstehung von übermäßiger Heiterkeit beteiligt 10 Therapie (vgl. ‚Leitlinie GHKS’ der AWMF) Ziel: Senkung des Heiterkeitsniveaus; Wiedergewinnung von Fähigkeit zur Realitätsprüfung Randomisierte Studien: Kombinationsbehandlung von Benzodiazepinen und Verhaltenstherapie wirksam (Hermann 1996; Klabunde, Tucher 1996; Sartini 1998; Wasilowski, Sheesum 1999) Katamnestische Studien: Diazepam morgens und abends je 10 mg plus verhaltensmedizinisches, heiterkeitsinhibitorisches Trainingsprogramm (N=178; N=96) über einen Zeitraum von drei Monaten noch nach 5 Jahren bei 67% deutliche Senkung der SCS-Werte (Whing 1998; Petzold et al. 1998). Katamnestische Einzelfallstudien: Psychoanalytische Langzeitbehandlungen nicht indiziert, da Heiterkeit eher noch fixiert wird (z.B. Gaston 1997; Burkard 1999). 11 Erzählstudie 12 Erzählstudie 13 Detektorsystem (Informationsaufnahme und –verarbeitung) Kognitives System (Fähigkeiten, sich zu regulieren, eine Situation frühzeitig zu berechnen, zu planen) Affektives System (mit Regionen verbunden, die auf Belohnung und Strafe reagieren) nach Nelson et al. (2005) Neurobiologie (Amenita et al. 2012) Fragestellung: Neurobiologisches Korrelat für mangelnde Reaktion auf affektive Reize bei Patienten mit GHKS 6 Patienten mit GHKS 6 gesunde Probanden, parallelisiert nach Alter und Geschlecht, alle derzeit oder ehemals in akademischen und künstlerischen Berufen tätig Affektiver Stimulus: ‚Entscheidungsfreiheit ist eine Illusion‘ Untersuchung; fMRT Videographie der Mimik während der Stimuluspräsentation 15 16 17 18 19 20 Treatment-outcome-Studie Tonterias et al. (2012) Fragestellung: Wirkung der Reduktion von Bestätigungssignalen in Therapien bei Patienten mit generalisierter Heiterkeitsstörung. Probanden: Fünf Gruppen mit jeweils 12 Patienten mit generalisierter Heiterkeitsstörung Bestätigungssignale: verbal (continuer, z.B. hmm), averbal (nodding) 21 Treatment-outcome-Studie Tonterias et al. (2012) Fünf Bedingungen (A – E) 22 23 IIA Institut für Interaktions- und Affektforschung Göttingen Direktor: Prof. Dr. Max L. Hilaris Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit! 24