137 © 2015 Schattauer GmbH, Stuttgart Editorial Psychoanalytisch-interaktionelle Therapie D ie psychoanalytisch-interaktionelle Arbeitsweise wurde – beginnend in den 1970erJahren – vor dem Hintergrund der Probleme entwickelt, vor die sich Psychoanalytiker und Psychotherapeuten gestellt sahen, die mit der therapeutischen Versorgung erheblich beeinträchtigter Patienten betraut waren. Um psychoanalytische Erfahrungen und Konzepte für die psychotherapeutische Behandlung von Patienten mit sogenannten strukturellen Störungen und schweren Persönlichkeitsstörungen nutzen zu können, war es erforderlich, verschiedene Modifikationen vorzunehmen, die vor allem die psychoanalytische Behandlungstechnik betrafen. Ursprünglich als Gruppentherapie entwickelt (Heigl-Evers, Heigl 1983) wurde die psychoanalytisch-interaktionelle Methode kontinuierlich weiterentwickelt und hat sich in dem lange Zeit vernachlässigten Versorgungsbereich schwer gestörter Patienten seit vielen Jahren als effektive Behandlungsmethode bewährt. Strukturelle Störungen bzw. Persönlichkeitsstörungen zeigen sich vor allem im Zusammensein mit Anderen. Darum wurden Persönlichkeitsstörungen auch „Störungen des Sozialen“ genannt (z.B. Möller et al. 1996). Ähnlich haben Heigl-Evers et al. (1993) die Beeinträchtigungen von Patienten mit strukturellen Störungen treffend als „Beziehungspathologie“ bezeichnet. Die Beziehungserfahrungen der Patienten sind zu körperlichem, implizitem Wissen geronnen und finden in den sprachlichen Äußerungen oftmals keinen Ausdruck (Boston Change Process Study Group 2007). Dagegen zeigen sie sich im Zusammensein mit Anderen, in interpersonellem Geschehen. Darum liegt es nahe, Interpersonalität ins Zentrum der psychotherapeutischen Arbeit mit Patienten mit strukturellen und Persönlichkeitsstörungen zu rücken und die therapeutische Situation in einer Weise zu gestalten, die es erlaubt, dieses interpersonelle Ge- schehen zu untersuchen und therapeutisch zu handhaben. Psychotherapie fokussiert zumeist ganz überwiegend auf die mentale Welt des Patienten. Das ist auch dann der Fall, wenn die Beeinträchtigungen des Patienten in erster Linie seine Beziehungen mit Anderen betreffen. Gegenstand der Therapie ist dann nicht interpersonelles oder intersubjektives Geschehen, nicht das Geschehen zwischen Akteuren, sondern das Erleben des Patienten von interpersonellem Geschehen.1 Als „intersubjektiv“ oder „interpersonell“ wird dann meist nicht mehr als der triviale Umstand ausgedrückt, dass sich Patient und Therapeut gegenseitig beeinflussen. Die Therapie bleibt auf den individuellen Patienten bezogen, der in seiner mentalen Welt lebt und befangen ist, zu der nur mit Einschränkungen und mit Hilfe besonderer therapeutischer Mittel wie freien Einfällen und Deutungen Zugang zu erlangen ist. Die psychoanalytisch-interaktionelle Arbeitsweise fokussiert demgegenüber auf die interpersonelle Welt des Patienten und auf implizites Beziehungswissen. Interpersonelle Verhältnisse trägt der Patient aber nicht in seiner psychischen Binnenwelt mit sich herum; soziale Lebenswelten kann eine Person nicht alleine hervorbringen. Interpersonelles Verhalten ist immer Verhalten im Kontext des Verhaltens von Anderen, ob diese Anderen real anwesend sind oder nicht. Das Verhalten des Patienten ist zumindest an ei1 Auch in der Psychotherapieforschung wird nur selten Interpersonalität untersucht. Vielmehr wird dort als Untersuchung von interpersonellen Beziehungen ausgegeben, was in Wirklichkeit – meist mittels Fragebogen erhobene – Feststellungen des Patienten über Erfahrungen mit interpersonellen Beziehungen sind. Auf diesem Weg kann aber allenfalls explizites Wissen von Beziehungserfahrungen erfasst werden, nicht jedoch das implizite Beziehungswissen, das in sozialen Situationen aktualisiert wird und immer wieder zu den Problemen des Patienten im Zusammensein mit Anderen führt. Downloaded from www.pdp-online.info on 2017-08-20 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 138 Editorial ne andere Person adressiert, die sich ihrerseits zuvor im Verhältnis zu ihm, dem Patienten, geäußert hat und im Weiteren sich wiederum auf das vorangegangene Verhalten des Patienten beziehen wird, explizit oder implizit, in jedem Fall unvermeidlich. Ebenso ist das implizite Beziehungswissen so nicht „in dem Patienten“ auffindbar vorhanden, sondern kommt erst in der interaktiven Gestaltung interpersonellen Geschehens zur Geltung. „Interpersonelle Verhältnisse“ aber heißt wiederum: im Kontext bestimmten Verhaltens von Anderen. Der Schwerpunkt der therapeutischen Arbeit liegt deshalb auf dem „Wie“ der Gestaltung interpersoneller Beziehungen und auf den Mitteln und Prozeduren, mit denen Patient und Therapeut ihre gemeinsame interpersonelle Situation fortlaufend gestalten und weiterentwickeln. Wie die psychoanalytisch-interaktionelle Arbeitsweise auf Interpersonalität bezogen ist, zeigt sich besonders deutlich an der Art und Weise, wie der Psychotherapeut das Geschehen im Behandlungszimmer mitgestaltet. Anders als üblich, gibt sich der Psychotherapeut als Teilnehmer zu erkennen, als Person im Gegenüber des Patienten, die mit Gefühlen und Handlungsbereitschaften auf das Verhalten des Patienten antwortet und auf das der Patient seinerseits in bestimmter Weise antwortet. Der Therapeut zeigt sich hier somit als Teilnehmer und Beteiligter, als Reagierender und Mitgestalter an dem interpersonellen Geschehen, das sich zwischen dem Patienten und ihm bzw. zwischen den Anwesenden in der Gruppe entfaltet. Die fortlaufenden und sich fortlaufend verändernden interpersonellen Situationen sind so präsent – nicht sprachlich-symbolisch repräsentiert, sondern in der Situation gegenwärtig – und ihre interaktive Gestaltung kann in den Mittelpunkt der gemeinsamen Aufmerksamkeit rücken. Der Psychotherapeut äußert sich nicht zu dem oder über den Patienten und dessen Erleben, sondern gibt dem Patienten soweit Einblick in jene Aspekte seines eigenen Erlebens und seiner Handlungsbereitschaften, die der Patient induziert hat. Das zu erkennen, ermöglicht es dem Patienten, für sich selbst im Zusammensein mit Anderen und An- derer mit ihm aufmerksam zu sein und besser zu verstehen, wie es immer wieder zu den schwierigen und belasteten interpersonellen Situationen kommt, die ihn in seinem sozialen Alltag belasten (Streeck, Leichsenring 2015). Beiträge dieser Ausgabe In ihrem einleitenden Beitrag stellen Ole Falck und Ulrich Streeck vor dem Hintergrund langjähriger Erfahrungen mit der Behandlung von schwer gestörten Patienten mit sogenannten strukturellen Störungen und Persönlichkeitsstörungen grundlegende Aspekte der psychoanalytisch-interaktionellen Methode dar und erläutern, wie die Praxis der therapeutischen Arbeit gestaltet werden kann. Andreas Dally zeigt, dass die Vielfalt interpersoneller Situationen, in denen die Patienten in stationärer psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung sich bewegen, besondere Chancen bietet, um die Störungen der Patienten mit der psychoanalytischinteraktionellen Vorgehensweise zu behandeln. Anke Valkyser stellt die Ergebnisse einer naturalistischen Studie vor, mit der die gute Wirksamkeit insbesondere hinsichtlich der Verbesserung interpersoneller Probleme der Patienten von psychoanalytisch-interaktioneller Gruppentherapie in einer allgemeinpsychiatrischen Klinik untersucht und mit einer Kontrollgruppe verglichen wurde, die mit Dialektisch-Behavioraler Therapie stationär psychiatrisch behandelt wurde. In einer randomisierten kontrollierten Studie bei jugendlichen Patienten mit einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen, die sich vor dem Hintergrund schwerwiegender negativer Beziehungserfahrungen entwickelt hatten, konnten Simone Salzer, Carola Cropp und Annette Streeck-Fischer die Wirksamkeit der psychoanalytisch-interaktionellen Methode im stationären Behandlungsrahmen belegen. Ursula Fennen stellt in ihrem Beitrag ihre Erfahrungen mit der psychoanalytisch-interaktionellen Therapie in der Behandlung von suchtkranken Patienten dar, wo die Methode seit Langem eingesetzt wird. Abschlie- Downloaded from www.pdp-online.info on 2017-08-20 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 139 Editorial ßend berichten Falk Leichsenring und Christiane Steinert in einer Übersichtsarbeit über die Evidenz verschiedener Methoden, die für die Behandlung struktureller Störungen eingesetzt werden. Vielleicht kann das vorliegende Heft der PDP zur psychoanalytisch-interaktionellen Methode dazu beitragen, die Leserinnen und Leser zu ermuntern, dass sie sich der psychotherapeutischen Behandlung von Patienten mit schweren entwicklungsbedingten Störungen stellen. Die vorliegenden weit über vierzigjährigen und umfangreichen Erfahrungen mit der psychoanalytisch-interaktionell ausgerichteten psychotherapeutischen Versorgung von Patienten in verschiedenen psychotherapeutischen Sektoren sprechen nicht nur dafür, dass es sich um eine dankbare Tätigkeit handeln, sondern dass die interaktionell ausgerichtete Arbeitsweise auch höchst befriedigend sein und Freude machen kann. Ulrich Streeck, Göttingen Fall- und Teamsupervision, Gruppensupervision Fortbildung in Gruppenanalyse und Gruppentherapie. Ein- bis zweitägige Fortbildungen zur psychoanalytisch-interaktionellen Methode für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in psychotherapeutischen und psychosomatischen Abteilungen und Kliniken werden sowohl vor Ort durchgeführt wie regelmäßig in Göttingen angeboten (www.streeck.net) Literatur Heigl-Evers A, Heigl F (1983). Das interaktionelle Prinzip in der Einzel- und Gruppenpsychotherapie. Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie 29, 1–14. Heigl-Evers A, Heigl F, Ott J (1993). Lehrbuch der Psychotherapie. Stuttgart, Jena: Gustav Fischer. Möller H-J, Laux G, Kapfhammer H-P (Hrsg) (1996). Psychiatrie. Stuttgart: Hippokrates. Boston Change Process Study Group (2007). The foundational level of psycho-dynamic meaning: Implicit process in relation to conflict, defense, and the dynamic unconscious. International Journal of Psychoanalysis 88, 843–860. Streeck U, Leichsenring F (2015). Handbuch psychoanalytisch-interaktionelle Therapie. Behandlung von strukturellen Störungen und schweren Persönlichkeitsstörungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Anzeige Downloaded from www.pdp-online.info on 2017-08-20 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved.