Pharmazeutische Chemie - Idebenon Idebenon (Raxone®) Das synthetische p-Benzochinon-Derivat Idebenon (Strukturformel s. Abbildung 1) sowie seine antioxidativen Eigenschaften sind schon lange Zeit bekannt (Suno und Nagaoka 1984, Okamoto et al. 1986). Nun ist Idebenon in Form des Fertigarzneimittels Raxone® bei der Leber-hereditären Optikusneuropathie (LHON) zugelassen worden. Die LHON ist eine neurodegenerative Erkrankung des Sehnervs, die durch einen plötzlichen, aber schmerzlosen Verlust des zentralen Gesichtsfeldes eines Auges gekennzeichnet ist. Wochen bis einige Monate später folgt das zweite Auge. Diese Symptome treten in der Regel in der dritten Lebensdekade auf. Die Prognose für LHON-Patienten ist schlecht, auch wenn es nach dem spontanen Sehverlust wieder zu Verbesserungen der Sehkraft kommen kann, bleiben die meisten Betroffenen deutlich beeinträchtigt (Meyerson et al. 2015). Abbildung 1 Ursächlich für die Erkrankung sind hauptsächlich drei verschiedene Punktmutationen in der Mitochondrien-DNS. Eine dieser Mutationen reicht für die Entstehung der Erkrankung aus, aber nicht alle Träger dieser Mutationen entwickeln die Erkrankung auch tatsächlich. Alle Mutationen treten in Genen auf, die für Untereinheiten des Komplexes I der Atmungskette kodieren, insbesondere für ND1- und ND6Untereinheiten. Die Defekte in der Atmungskette führen dazu, dass die ATPProduktion gestoppt wird und stattdessen vermehrt reaktive Sauerstoffspezies gebildet werden, die den Sehnerv schädigen (Chinnery et al. 2001, Valentino et al. 2004, Newman 2005, Meyerson et al. 2015). Die Therapie der LHON gestaltet sich schwierig. Neben verschiedenen VitaminKombinationen (z.B. B2, B12, C, E, Folsäure) und anderen Supplementen wie z.B. αLiponsäure sowie der topischen Applikation des α2-Agonisten Brimonidin sind es vor allem die Ubichinon-Analoga wie Idebenon, die seit einiger Zeit Hoffnung machen (Meyerson et al. 2015). Ubichinon (Coenzym Q) ist ein Molekül, das aufgrund seiner langen Isoprenoid-Seitenkette sehr lipophil ist und somit innerhalb der Lipiddoppelschicht der Mitochondrien-Membran frei diffundieren kann (s. Abbildung 2). Als p-Benzochinon ist es in der Lage über die Stufen des Semichinon-Radikals und der vollständig reduzierten Hydrochinon-Form Ubichinol, Elektronen von den Komplexen I und II der Atmungskette auf den Komplex III zu übertragen. Coenzym Q wurde versuchsweise bei mitochondriellen Erkrankungen eingesetzt, zeigte aber keine signifikanten Effekte (Pfeffer et al. 2012, Pfeffer et al. 2013). Da Coenzym Q mit einer Anzahl von 10 Isoprenoid-Einheiten sehr lipophil ist, ist es schwer vorstellbar, das bei oraler Applikation ausreichend Wirkstoff in den Mitochondrien ankommt. Das nun neu zugelassene Idebenon ist ein kürzerkettiges UbichinonAnalogon mit zwei reduzierten, nichtverzweigten Isopren-Einheiten an Position 2 des Chinon-Ringes (IUPAC: 2-(10-Hydroxydecyl)-5,6-dimethoxy-3-methyl-pbenzochinon) (s. Abbildung 2). Es konnte gezeigt werden, dass Idebenon den bei der 1 CA 7.11.2015 Pharmazeutische Chemie - Idebenon LHON defekten Komplex I der Atmungskette umgehen und Elektronen direkt auf den Komplex III übertragen kann. Dadurch wird die ATP-Produktion aufrechterhalten sowie die Lipidperoxidation, die zur Bildung schädigender, reaktiver Sauerstoffspezies führt, minimiert. Es wird vermutet, dass Idebenon auf diese Weise bislang inaktive retinale Ganglien reaktivieren und somit zu einer Verbesserung der Sehkraft führen kann (Giorgio et al. 2012, Fachinformation Raxone® 2015). Abbildung 2: Strukturvergleich des physiologischen p-Benzochinons Ubichinon mit dem synthetischen Arzneistoff Idebenon; Elektronenaufnahme des Chinons Ubichinon und Reduktion zum Hydrochinon Ubichinol Idebenon wurde bereits erstmals erfolgreich in 1992! an einem 10-jährigen Jungen mit LHON getestet (Meyerson et al. 2015). Nun ist das Chinon also in Form der Raxone®-Filmtabletten bei jugendlichen und erwachsenen LHON-Patienten zur Verbesserung der Sehkraft in Deutschland zugelassen. Idebenon ist peroral bioverfügbar. Durch gleichzeitige Nahrungsaufnahme wird die Bioverfügbarkeit um das 5- bis 7-fache erhöht. Deshalb sollten die Filmtabletten immer zusammen mit Nahrung eingenommen werden. Die Tabletten sollten weder geteilt noch zerkaut werden. Die empfohlene Dosierung für LHON-Patienten beträgt 900mg pro Tag aufgeteilt in drei Einzeldosen (3 x 300mg entsprechend 3 x 2 Filmtabletten) (Fachinformation Raxone® 2015). 2 CA 7.11.2015 Pharmazeutische Chemie - Idebenon Literatur: Chinnery, P.F. et al. Brain 2001, 124, 209 Fachinformation Raxone® 2015, Santhera Pharmaceuticals GmbH Giorgio, V. et al. Biochim Biophys Acta 2012, 1817, 363 Meyerson et al. Clin Ophthalmol 2015, 9, 1165 Newman, N.J. Am J Ophthalmol 2005, 140, 517 Okamoto, K. et al. Chem Pharm Bull (Tokyo) 1986, 34, 2821 Pfeffer, G. et al. Cochrane Database Syst Rev 2012, 4, 004426 Pfeffer, G. et al. Nat Rev Neurol 2013, 9, 474 Suno, M. und Nagaoka, A. Japan J Pharmacol 1984, 35, 196 Valentino, M.L. et al. Ann Neurol 2004, 56, 631 3 CA 7.11.2015