Das Geheimnis eines langen Lebens

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Quelle:
apotheken-umschau.de vom 21.10.2014 (Internet-Publikation, Baierbrunn)
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Das Geheimnis eines langen Lebens
Weltweit wächst die Zahl der Menschen, die ihren 100. Geburtstag erleben. Forscher untersuchen, welche Faktoren die Langlebigkeit beeinflussen
Weltweit gibt es immer mehr Hochbetagte
Hendrikje van Andel-Schipper
starb mit 115 Jahren an Magenkrebs. Hätten Ärzte den Tumor rechtzeitig erkannt, wäre
sie wohl noch älter geworden.
Die Niederländerin war bis kurz
vor ihrem Tod ziemlich gesund.
Noch im Alter von 100 Jahren
entfernten Ärzte ihr einen Tumor aus der Brust. Van AndelSchipper erholte sich von der
Operation und zog erst fünf
Jahre später in ein Altersheim,
als sie nahezu erblindet war.
Doch geistig war sie mit 114
Jahren noch so fit wie andere
mit 70, ergaben psychologische Tests.
Nach ihrem Tod im August 2005 untersuchten Ärzte ihren Körper. Weder ihr Gehirn noch ihre Blutgefäße zeigten Spuren einer Krankheit. Die Autopsie erfolgte auf Wunsch der Niederländerin. Im Alter
von 82 Jahren hatte sie verfügt, dass ihr Leichnam einmal wissenschaftlichen Untersuchungen dienen
sollte. Forscher der Universität Amsterdam nutzten die Chance und entschlüsselten auch van AndelSchippers Erbgut. Sie ist der älteste Mensch, bei dem das bislang vollständig geschah.
Anzahl der Stammzellen kann das Leben begrenzen
Die Forscher erhielten damit Hinweise darauf, was die menschliche Lebensspanne begrenzt. Hendrikje van Andel-Schippel hatte nämlich kurz vor ihrem Tod nur noch zwei Stammzellen, die ihr gesamtes Abwehrsystem aufbauten. Zum Vergleich: Bei jungen Menschen sichern Tausende Stammzellen
im Knochenmark einen stetigen Nachschub an Immunzellen im Blut. Die Lebensuhr der Hochbetagten
war also fast abgelaufen. Dieses Fazit zogen die Forscher im April in der Fachzeitschrift Genome
Research aus der Analyse.
Sterben Hochbetagte also an Immunschwäche? Dr. Matthias Platzer vom Leibniz-Institut für Altersforschung in Jena ordnet die oben genannte Studie so ein. „Natürlich altern auch Stammzellen. Doch
das betrifft viele Organe.“ Stammzellen befinden sich zum Beispiel auch in Muskeln, in der Leber und
in Blutgefäßen und erneuern dort Gewebe. Diese Fähigkeiten sinken ebenfalls mit den Jahren und
können die Lebenszeit begrenzen.
Keine Altersprognosen möglich
Viele Prozesse lassen Zellen altern (siehe Bildergalerie unten). So verkürzen sich mit jeder Zellteilung
die Endstücke (Telomere) der Chromosomen, in denen das Erbgut verpackt ist. Forscher haben verkürzte Telomere in Verbindung mit vielen altersbedingten Krankheiten gebracht. Und eine in der
Fachzeitschrift Lancet veröffentlichte Langzeitstudie von 2003 zeigte, dass 60-Jährige mit langen
Telomeren im Schnitt mehr Lebensjahre vor sich haben als Gleichaltrige mit kurzen Endstücken.
Platzer warnt aber davor, Letzteres zu verallgemeinern: „Es ist nicht möglich, aus den Telomeren
eines Menschen zu schließen, wie alt er wird.“ Professor Björn Schumacher von der Universität Köln
ergänzt: „Es kommt auf das kürzeste Telomer in der Zelle an, nicht auf ihre mittlere Länge. Und das
ist nur einer von vielen Faktoren, die das Altern ausmachen.“
Das Altern der Zelle
Mutierte Gen-Bausteine Gene enthalten den Bauplan für Eiweiße. Mit
den Jahren häufen sich Veränderungen von Genbausteinen (Mutationen).
Zudem beeinflussen chemische Anhängsel an den Bausteinen, wie aktiv Gene abgelesen werden. Auch diese chemischen Muster verändern sich
beim Altern.
Verkürzte Chromosomen Das menschliche Erbgut ist in 46 Chromosomen verpackt. Ihre Endstücke (Telomere) verkürzen sich mit jeder Zellteilung. Fehlen diese Schutzkappen, hört die Zelle auf sich zu teilen und stirbt.
Defekte Eiweiße Falsch gefaltete Eiweiße können schädliche Klumpen
bilden, etwa in Nervenzellen bei Alzheimer.
Schlappe Kraftwerke Mitochondrien erzeugen die Energie, die eine Zelle
braucht. Doch die Kraftwerke schwächeln im Alter und können sogar vollständig ausfallen, sodass die Zelle stirbt.
Gestörter Stoffwechsel Insulin und insulinähnliche Wachstumsfaktoren
beeinflussen den Stoffwechsel fast jeder Zelle. Mutierte Sensoren stören die Signale für die Zelle. Eine von vielen Folgen ist Diabetes.
Krankheiten treten verzögert auf
Schumacher erforscht, wie sich zellulärer Stress auf Krankheiten im
Alter auswirkt. Mehr als 400 Wissenschaftler beteiligen sich in Köln
an dem Projekt mit dem Kürzel Cecad. „Menschen altern vor allem
deshalb, weil sich Schäden in ihrem
Erbgut anhäufen“, erklärt Schumacher. Infolgedessen erfüllen Zellen
ihre Aufgaben nicht mehr, und es
können etwa Diabetes und HerzKreislauf-Erkrankungen entstehen.
Gealterte Zellen Mit den Jahren nimmt die Anzahl der Zellen zu, die in
Manche
Erbgutveränderungen
den Ruhezustand (Seneszenz) verfallen und dann meist absterben. Das
(Mutationen) haben einen besonbeeinträchtigt die Erneuerungskraft von Gewebe.
ders zerstörerischen Effekt: Zellen
vermehren sich unkontrolliert und
bilden bösartige Tumore. Das allgemeine Krebsrisiko steigt deshalb mit dem Alter.
Langlebige Menschen sind vor solcher Unbill nicht gefeit. „Doch Krankheiten wie Krebs, Demenz und Herzinfarkte treten bei ihnen verzögert
auf“, erläutert Schumacher. Immerhin sind rund 15 Prozent der Hundertjährigen bei guter Gesundheit, ergab eine Studie der Universität
Boston (USA) mit 1600 Freiwilligen. Und eine kürzlich in der Fachzeitschrift Plos Medicine erschienene Analyse aus England zeigte, dass
über 100-Jährige relativ selten an Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sterben. Die häufigste Ursache ist Altersschwäche.
Professor Björn Schumacher
arbeitet als Molekularbiologe
und Alternsforscher an der Universität Köln
Die Rolle der Gene
Studien an Hundertjährigen eignen sich auch dazu, um nach Erbanlagen für Langlebigkeit zu suchen. Mehrere Teams weltweit analysierten
bereits Hunderttausende Genabschnitte. Insgesamt fanden sie mehr
als 100 Auffälligkeiten. Jede Genvariante für sich genommen hatte allerdings nur einen kleinen Effekt. Platzer fasst die Ergebnisse so zusammen: „Es gibt sehr viele Genvarianten, die in verschiedenen Kombinationen zu ähnlicher Langlebigkeit führen.“
Zwei Varianten erwiesen sich jedoch in allen Studien als wichtig. Die eine verändert den Bauplan für
das Eiweiß ApoE, das am Cholesterinstoffwechsel beteiligt ist. Menschen mit günstigen ApoE-Varianten haben kaum Ablagerungen in ihren Blutgefäßen und dadurch ein relativ niedriges Risiko für
Herz- und Hirninfarkte. Die zweite Variante beeinflusst den Bauplan für das Eiweiß FoxO3, das im
Zellkern Gene aktiviert. Würmer, Taufliegen und Mäuse leben extrem lange, wenn ihre Zellen FoxO3
in großen Mengen bilden. Beim Menschen aktiviert unter anderem das Hormon Insulin dieses Eiweiß.
Oft ist das Insulinsignal im Alter gestört, was das Risiko für Diabetes erhöht.
Menschen werden heute viel älter als früher
Allerdings beeinflussen günstige Gene nur zu etwa einem Drittel die Chance auf ein besonders langes
Leben. Umweltfaktoren und der persönliche Lebensstil sind dafür ebenso wichtig. Dank medizinischer
Fortschritte, besserer Ernährung und Gesundheitsversorgung hat sich die Lebenserwartung in
Deutschland in den vergangenen 140 Jahren verdoppelt. So werden heute geborene Mädchen im
Durchschnitt etwa 83 Jahre alt, Jungen knapp 78. Die Lebenserwartung stieg in der Vergangenheit
um zweieinhalb Jahre pro Jahrzehnt – eine Entwicklung, die bislang ungebrochen ist. Forscher des
Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock sagen daher voraus, dass jeder zweite
Neugeborene in Deutschland seinen 100. Geburtstag erleben wird.
Dr. Annette Baudisch ist Mathematikerin am Max-PlanckInstitut für demografische Forschung in Rostock
Daraus ergibt sich die Frage nach der maximalen Lebenszeit, die Menschen unter besonders günstigen Umständen erreichen können. Den
Altersrekord hält bislang die Französin Jeanne Calment. Sie starb 1997
im Alter von 122 Jahren und 164 Tagen. Sie sei damit an die menschliche Altersgrenze gestoßen, meinen manche Experten. Dieser Ansicht
widerspricht jedoch die Mathematikerin Dr. Annette Baudisch vom oben
genannten Max-Planck-Institut. „Alle Erkenntnisse sprechen dagegen,
dass unsere Gene ein bestimmtes Limit vorgeben.“ Baudisch erforscht
das Altern, indem sie Sterbedaten analysiert und miteinander vergleicht.
„Wenn es eine Grenze gäbe, würde man erwarten, dass wir immer
dichter an sie heranrücken und ungefähr im gleichen Alter sterben.“
Tatsächlich erhöhe sich die Lebenserwartung aber auch bei Hochbetagten.
Gesunder Lebensstil wichtig
Mathematiker nehmen das Risiko, innerhalb eines Jahres zu sterben,
als Maß für das Altern. Das Sterberisiko liegt aktuell zu jeder Lebenszeit
niedriger als früher. So betrachtet, sind Menschen mit 50 Jahren heute ebenso fit wie ihre Großeltern
mit 40. Baudisch: „Wir haben das Altern nach hinten verschoben.“ Ungünstige Gewohnheiten machen
diesen Effekt jedoch für den Einzelnen zunichte. Wer seine Chancen bewahren will, möglichst gesund
zu altern, sollte daher wenig Alkohol trinken, nicht rauchen, sich ausreichend bewegen und auf sein
Gewicht achten. Fast alle Hundertjährigen haben weitgehend nach diesen Regeln gelebt, zeigten die
Studien dazu. Gesunde Lebensgewohnheiten bildeten die Grundlage dafür, dass sich die vorteilhaften
Erbanlagen entfalten konnten.
Dr. Achim G. Schneider / Apotheken Umschau; erstellt am 21.10.2014
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