Beitrag BackhausMaul Nährlich

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Holger Backhaus-Maul / Stephan Nährlich
Corporate Citizenship in Deutschland
Holger Backhaus-Maul (Vorstand) und Dr. Stephan Nährlich (Geschäftsführung) der
Aktiven Bürgerschaft - Kompetenzzentrum für Bürgerengagement der Volksbanken und
Raiffeisenbanken (www.aktive-buergerschaft.de). Im Herbst erscheint ihr Buch: Corporate
Citizenship in Deutschland. Bestandsaufnahmen, Analysen und Perspektiven.
Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften (zusammen mit Christiane Biedermann
und Judith Polterauer).
Die Diskussion über das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen
wird in Deutschland – trotz wohlklingender globaler Begriffe – bisweilen
eher
„konventionell“
geführt:
Ein
geringes
Vertrauen
in
die
Selbstregelungskompetenz von Unternehmen, latente Erwartungen an den auch
in diesem Politikfeld eher „nackten“ Staat und eine unternehmensferne
Zivilgesellschaft, die sich auf der öffentlichen Zuschauertribüne niedergelassen
hat, markieren das Spielfeld.
Und Unternehmen, die eigentlichen Spieler in diesem Engagementfeld, sind oder
wirken bemerkenswert abwesend. Die Spiele der vergangenen Jahre waren für
Unternehmen aber auch nur mäßig attraktiv. So berichten kluge und anerkannte
Schiedsrichter/innen von staatsbürgerlicher Pflichtenrhetorik, kultiviertem Neid,
ritualisierten Kooperationsbehauptungen, manifesten Erwerbsinteressen und
wirtschaftlicher Naivität.
Diese unübersichtliche Gemengelage beginnt sich mittlerweile aber zumindest
stellenweise zu lichten und engagierte Unternehmen begeben sich selbst auf die
Suche nach ihrer neuen Rolle in einer sich ändernden Gesellschaft.
1. Die deutsche Debatte über das gesellschaftliche Engagement von
Unternehmen: Es ist viel passiert, aber hat sich auch etwas verändert?
Über Unternehmen wurde und wird in Deutschland in der Öffentlichkeit häufig
gesprochen. Seit einigen Jahren erfreuen sich „die“ Wirtschaft und „die“
Unternehmen geradezu einer gewissen Popularität, die mit einer eigenartigen
Mischung
aus
öffentlicher
Verantwortungszuweisung einhergeht.
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Aufmerksamkeit,
Ablehnung
und
Nach dem Zweiten Weltkrieg richtete sich in der kritischen Öffentlichkeit der alten
Bundesrepublik das Augenmerk auf die politische Mitverantwortung von Wirtschaft
und Unternehmen; zeitgleich wurden in der DDR Unternehmen aufgrund
ideologischer Präferenzen verstaatlicht. In der alten Bundesrepublik wurde mit der
Studentenbewegung der 1970er Jahre kapitalistisches Wirtschaften grundlegend
diskreditiert und dann mit den Mitteln eines investigativen Journalismus
„demaskiert“. In Teilen der deutschen Öffentlichkeit – so etwa die anschaulichen
Beobachtungen des Berliner Sozialhistorikers Paul Nolte – hat sich eine
grundlegend ablehnende Haltung gegenüber Wirtschaft und Unternehmen
verfestigt. Begriffe wie „Neo-Liberalismus“ und „Heuschrecken“ markieren die
vorläufigen Endpunkte dieses einfachen, mittels der Prädikate „gut“ und „böse“
sortierenden Weltverständnisses. „Passend“ dazu tragen einige namhafte
Unternehmen in Deutschland durch ihr Handeln und Unterlassen - sei es in
Siegerpose oder in Feudalherrenart - mit dazu bei, dass der Öffentlichkeit und den
Medien die Anlässe zur Kritik nicht ausgehen.
Gleichzeitig zeigt sich seit Ende der 1990er Jahre in Deutschland – so die
politischen Analysen etwa von Warnfried Dettling - ein wachsendes öffentliches
Interesse an wirtschaftlichen Fragen und unternehmerischen Entwicklungen; die
„stille Popularität“ der Wirtschaftszeitschrift BRANDEINS bringt diese Entwicklung
treffend zum Ausdruck. Mit dem offensichtlichen Bedeutungsverlust staatlichen
Handelns und Entscheidens einerseits und der bis ins Alltagsleben von Bürgern
wirkenden Globalisierung des Wirtschaftens andererseits rücken Wirtschaft und
Unternehmen
–
insbesondere
im
Vergleich
gegenüber
Parteien
und
Interessenverbänden - in den Mittelpunkt öffentlichen Interesses.
Damit wird die grundsätzliche Frage nach der Rolle von Unternehmen in der
heutigen Gesellschaft virulent. In Deutschland trifft die Suche von Unternehmen
nach ihrer neuen Rolle in der Gesellschaft auf ein traditionsreiches, (sozial-)
staatlich geprägtes Verständnis von Wirtschaft und Gesellschaft („Soziale
Marktwirtschaft“), demzufolge Unternehmen im Gesetzgebungsverfahren zu
beteiligt sind, Tarifverträge mit Gewerkschaften aushandeln, sich im dualen
Ausbildungssystem
engagieren,
Menschen
mit
Behinderungen
bevorzugt
beschäftigen sowie in erheblichem Umfang Beiträge an das System der sozialen
Sicherung abführen und - abhängig von Unternehmensform und -größe – Steuern
zahlen. Darüber hinaus engagieren sich – was oft in Vergessenheit gerät - Klein-,
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Mittel- und Großunternehmen in beachtlichem Maße freiwillig mittels Geld-, Sachund Dienstleistungen.
Gesellschaftliches Engagement von Unternehmen ist in Deutschland einerseits
eine staatlich auferlegte Pflicht und andererseits – für einen nennenswerten Teil
deutscher Unternehmen – eine in der Unternehmenstradition und -kultur
begründete Selbstverständlichkeit. Vor diesem Hintergrund einer traditionsreichen
Unternehmenspraxis aus Pflicht- und freiwilligem Engagement wurde in
Deutschland die internationale Debatte, die unter Begriffen wie Corporate
Citizenship und Corporate Social Responsibility geführt wird, zunächst schlicht
ignoriert oder als modische Erscheinung ohne substanziellen Neuigkeitswert
interpretiert. Im Ergebnis wurde damit – gesellschaftspolitisch äußerst folgenreich
– zugleich der kritisch-liberale und zivilgesellschaftliche Gehalt der Corporate
Citizenship-Debatte US-amerikanischer Prägung ausgeblendet, der u. a. in der
Wahrnehmung von Freiheit und Verantwortung in der Community, der Pflege von
Entrepreneurship- und Selbstorganisationskompetenzen sowie Respekt und
Anerkennung gegenüber „Fremden“ gründet. Stattdessen dominieren in der
deutschen (Medien-) Öffentlichkeit schlicht positive Darstellungen der "guten
Taten
von
Unternehmen"
oder
Interpretationen
des
gesellschaftlichen
Engagements von Unternehmen als Versuche der Kompensation inakzeptablen
Fehlverhaltens. Das in Deutschland traditionell gepflegte und von Matthias Beltz
treffend herausgearbeitete „deutsche Muster“ der naiven Belobigung („gut“)
einerseits und der skeptischen Pauschalverdächtigung („böse“) andererseits,
verfehlt den eigentlichen Kern von Corporate Citizenship. Vielmehr bedient dieses
mittlerweile in unzähligen Veranstaltungen und Publikationen, Reden und
Grußworten, Praxis- und Modellprojekten reproduzierte Interpretationsschema
allenfalls gewohnte Sichtweisen und versperrt den Blick auf Neues.
2. Gesellschaftliches Engagement von Unternehmen im wohlverstandenen
Eigeninteresse.
Und tatsächlich gibt es Neuigkeiten. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
wirtschaftlichen und unternehmerischen Handelns befinden sich im Umbruch.
Angesichts
globaler
wirtschaftlicher
Prozesse
und
entsprechend
tätiger
Unternehmen erodieren die Handlungsspielräume von Nationalstaaten, die Teile
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ihrer staatlichen Entscheidungs- und Steuerungsfähigkeiten abgeben oder
verlieren und zunehmend Private mit der Erbringung öffentlicher Aufgaben
beauftragen oder zumindest daran beteiligen, wie die so unterschiedlichen
Arbeiten etwa von Jens Beckert, Stefan Leibfried, Wolfgang Streeck, Paul Windolf
und Michael Zürn im Ergebnis einhellig verdeutlichen. Vor diesem Hintergrund
stehen auch die „Soziale Marktwirtschaft“ und die traditionelle Unternehmensrolle
des Sozialpartners als kostenträchtige, Löhne und Unternehmensgewinne
belastende Faktoren zur Disposition.
Infolgedessen
können
sich
Unternehmen
aber
nicht
einfach
auf
ihr
wirtschaftliches Kerngeschäft zurückziehen. Sie sind nach wie vor wirtschaftliche
Organisationen in je spezifischen, sich dynamisch wandelnden Gesellschaften.
Zweifelsohne ist die wirtschaftliche Tätigkeit Ausgangs- und Bezugspunkt
unternehmerischen Handelns. Der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens
entscheidet
über
dessen
Aufstieg und
Fortbestand.
Gegenüber diesem
wirtschaftlichen Primärziel ist gesellschaftliches Engagement für Unternehmen
nachrangig, gleichwohl aber nicht als „schmückendes Beiwerk“, „gelebtes
Brauchtum“ oder „Organisationsfolklore“ fehl zu deuten.
Mit
dem
sukzessiven
Bedeutungswandel
und
Steuerungsverlust
von
Nationalstaaten stehen Unternehmen vor der Herausforderung, eigene Beiträge
zur Human- und Sozialkapitalbildung sowie zur Gestaltung und Steuerung von
Gesellschaft zu leisten. So kann das Wirtschaftssystem nicht mit der gleichen
Selbstverständlichkeit wie früher einfach davon ausgehen, dass das Bildungs- und
das Erziehungssystem in für Unternehmen ausreichender Menge und Qualität zur
Human- und Sozialkapitalbildung beitragen. Oder noch grundlegender formuliert:
Dem
Wirtschaftssystem
Reproduktion
wirtschaftlichen
seiner
selbst
eigenen
Handelns
zu.
fällt
sukzessiv
sozialkulturellen
Darüber
hinaus
Mitverantwortung
Grundlagen
eröffnet
für
die
erfolgreichen
gesellschaftliches
Engagement Unternehmen – jenseits der ausgetretenen Pfade politischer
Einflussnahme - neuartige gesellschaftliche Möglichkeiten der Mitentscheidung
und Mitgestaltung, die - zumindest punktuell - dazu beitragen können,
Steuerungsdefizite des politischen Systems zu kompensieren.
Die internationale Debatte über die neue Rolle von Unternehmen in der
Gesellschaft bricht mit der konventionellen Sichtweise, dass Unternehmen rein
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wirtschaftliche Organisationen sind. Stattdessen verweisen zunehmend mehr
Einzelunternehmen auf ihr Selbstverständnis und ihre Expertise als eigenständige
und eigensinnige wirtschaftliche Organisationen, die bestrebt sind, sich in ihrer
gesellschaftlichen
Umwelt
zu
verorten.
Genau
diese
selbstbestimmten
Suchbewegungen von Unternehmen nach einer zeitgemäßen Rolle in der
Gesellschaft bringt der Begriff Corporate Citizenship zum Ausdruck.
Soll Corporate Citizenship auch in Deutschland Erfolg haben und das
gesellschaftliche Engagement von Unternehmen ein dauerhafter Bestandteil in
der gesellschaftlichen Aufgabenteilung sein, sind diese Suchbewegungen
unerlässlicher
Bestandteil
der
Entwicklung
dieses
Feldes.
Hier
suchen
Unternehmen nach Handlungsoptionen, schätzen Erfolgsaussichten und Risiken
ein und kalkulieren den notwendigen Investitionsbedarf. Dabei verschließen sich
unternehmerische Suchbewegungen direkten politischen Interventionen und
Lenkungsversuchen.
Vielmehr
kann
eine
wirtschaftliche
informierte
Zivilgesellschaft darauf vertrauen, dass Unternehmen in einem wohlverstandenen
Eigeninteresse – gerade im Engagementbereich, in dem es im Kern um die
Entwicklung von Human- und Sozialkapital geht – lohnende Investitionsbereiche
erkennen und erschließen.
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