Frank W. Heuberger/Susanne Lang Ein neuer Trend des Wirtschaftens – Geschäftsstrategie Verantwortung Frank Heuberger ist Vorstandsmitglied und Mitbegründer des Centrums für Corporate Citizenship Deutschland (CCCD) und hat zahlreiche Beiträge zum Thema Interdependenz von ökonomischem und sozialem Wandel veröffentlicht. Susanne Lang ist Mitbegründerin des Arbeitskreises „Bürgergesellschaft und Aktivierender Staat“ der Friedrich-Ebert-Stiftung und Mitglied des Vorstandes des CCCD. Wir stehen nicht mehr am Anfang. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Unternehmen in Deutschland durchaus bereit sind, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. In der Praxis von Corporate Citizenship in Deutschland herrscht allerdings eine gewisse Unübersichtlichkeit vor. Die vielen guten Beispiele unternehmerischen gesellschaftlichen Engagements verfangen sich im Dickicht terminologischer Ungenauigkeiten und ihrer unklaren Einordnung und Bedeutung für die tatsächliche Unternehmenswirklichkeit. Oft ist nur schwer auszumachen, was Unternehmen mit ihrem Engagement tatsächlich bezwecken wollen und mit welcher Ernsthaftigkeit gesellschaftliche Verantwortung hier wahrgenommen wird. Auf eine einfache Formel gebracht: Je mehr Corporate Citizenship im Alltagsgeschäft eines Unternehmens vorhanden ist und je mehr Mitarbeiter bei der Umsetzung der Programme beteiligt sind, desto glaubhafter ist die gesellschaftliche Verantwortung und damit auch strategisch wirksamer die Unternehmensperformance am Markt. Wie Unternehmen dazu kommen, diesen Weg zu beschreiten, bleibt bisher jedoch weitgehend im Dunklen. Dabei liegt gesellschaftliches Engagement im ureigenen Interesse von Unternehmen, denn auch sie sind – wie etwa BP es formuliert – „Teil der Gesellschaft“. Im Zeichen fortschreitender Globalisierung werden jedoch nicht nur den Unternehmen, sondern vor allem auch den abhängig Beschäftigten ständige Anpassungsleistungen abverlangt. Die erhöhten Forderungen nach Flexibilität und Mobilität bergen durchaus Gefahren misslingender sozialer Integration bis hin zur Anomie in sich. Gesellschaftliche Stabilität und Solidarität aber sind Grundbedingungen erfolgreichen Wirtschaftens. Funktionsfähige Märkte basieren auf Vorrausetzungen, die der Markt nicht selbst erzeugen kann. Neben den natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen, der Rechtssicherheit, der Verbindlichkeit von Verträgen, sind es vor allem die Verlässlichkeit gemeinsam geteilter Regeln, Normen und Werte, die Verbundenheit zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft und nicht zuletzt das Vertrauen in die Institutionen des Staates, -2die unser Zusammenleben verbindlich koordinieren. Corporate Citizenship ist eine notwendige und sinnvolle Investition in das Sozialkapital der Gesellschaft, eine Investition in die außerökonomischen Bedingungen der Möglichkeit wirtschaftlichen Erfolgs. Damit liegt Corporate Citizenship nicht an der Peripherie, sondern im Zentrum eines genuinen Eigeninteresses der Unternehmen. Corporate Citizenship steht für einen neuen Trend des Wirtschaftens. Es geht um Nachhaltigkeit und Verantwortung – einschließlich ihres Nachweises mit neuen Instrumenten wie dem Dow Jones Sustainability Index oder der „triple bottom line“, die neben der ökonomischen auch die soziale und die ökologische Performance eines Unternehmens bilanzieren. Es geht um bewussteres Verbraucherverhalten und den gezielten Einsatz von Marktmacht zur Sanktionierung sozial und ökologisch verantwortungslosen Verhaltens eines Anbieters durch Konsumentscheidung. Und es geht um neue Netzwerke und Partnerschaften auf internationaler ebenso wie auf nationaler, regionaler und auch kommunaler Ebene. Gute Beispiele für neue Allianzen zwischen politischen Institutionen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Unternehmen bietet der UN Global Compact als internationales, das „Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement“ (BBE) als nationales Netzwerk. Über die positiven Einzelbeispiele hinaus steht eine breite Debatte über Corporate Citizenship in Deutschland jedoch noch aus. Unternehmensverbände, Bundesregierung und organisierte Zivilgesellschaft sind noch nicht in einen offenen Dialog miteinander getreten. Weder ist von Seiten der Politik eine klare Strategie in Sachen Corporate Citizenship erkennbar, noch sind bereits Rahmenkonzepte für Partnerschaften zwischen Staat und Zivilgesellschaft sei es mit oder ohne Einbindung von Unternehmen entwickelt worden. Dabei geht es nicht um gesetzliche Regelungen, sondern um Plattformen für neue Modelle der Kooperation der drei Sektoren. Umgekehrt ist von Seiten der Wirtschaft die zögerliche Haltung noch nicht ad acta gelegt, Corporate Citizenship noch immer als moralisch erzwungene und als vom eigentlichen Geschäftsinteresse ablenkende Verpflichtung anzusehen. Unterdessen entzieht sich die Komplexität gesellschaftlicher Lebensprozesse immer stärker staatlicher Steuerung, bedingt vor allem durch die wachsende Differenzierung und Individualisierung von Bedürfnis- und Interessenslagen der Bürger. Entscheidungen, in staatlicher Planungshoheit getroffen, werden diesen Interessenslagen immer weniger gerecht. Zu passgenauen Leistungen werden sie erst durch die Zusammenarbeit mit den betroffenen bürgerschaftlichen Akteuren. Damit ist grundsätzlich auch der Weg frei für Unternehmen, in die CoProduzentenrolle sozialer und gesellschaftlicher Leistungserbringung zu treten. -3Die offensichtliche Erschöpfung der Problemlösungsfähigkeit des deutschen Sozialstaats, nicht zuletzt bedingt durch die strukturelle Finanzschwäche öffentlicher Haushalte, beschleunigt einen Umdenkungsprozess, der bei einigen unserer europäischen Nachbarn schon vor über einem Jahrzehnt einsetzte. Wir werden in Zukunft davon ausgehen müssen, dass die Produktion öffentlicher Güter wie Bildung und soziale Sicherheit immer weniger vom Staat allein garantiert werden kann. Neue Formen der sektorenübergreifenden, partnerschaftlichen Zusammenarbeit werden unerschlossene Potentiale freisetzen und alternative Strukturen entwickeln – ein Prozess, der viele Chancen in sich birgt. Allen Beteiligten – Bürgern, Staat, drittem Sektor, Zivilgesellschaft und Unternehmen – wachsen dabei neue Rollen zu, für die es bisher keine anerkannten Regeln gibt. In der Diskussion um eine Neuverteilung gesellschaftlicher Aufgaben und Verantwortlichkeiten zwischen Staat, Unternehmen und Bürgern steht letztlich die Beantwortung der Frage an: Wer kann und sollte in welcher Art und Weise zur Produktion gesellschaftlicher Wohlfahrt beitragen? Hier müssen die Weichen für die Zukunft noch gestellt werden.