Populus, Plebs und Populäres in der römischen Republik

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Lukas Thommen
Populus, Plebs und Populäres in der römischen Republik
Der moderne Begriff .Populismus' bzw. .populistisch', wie er schon am Ende des
19 Th in der amerikanischen .Populist party' und im frühen 20. Jh. in der französischen Literaturbewegung des ,popularisme' zum Tragen kam, ist von dem
lateinischen populus abgeleitet und bringt generell eine enge Verbindung zum
Volk zum Ausdruck. Populismus umreißt heute eine opportunistische Politik,
welche die Gunst der Masse sucht und eher den persönlichen Erfolg als konkrete
Lösungen von Problemen anstrebt.1 Inwiefern schon die römische Republik
.Volksverbundenheit' kannte und politisch einsetzte, soll im Folgenden dargestellt werden. Dazu müssen einerseits die Begriffe populus, plebs und populäres
untersucht werden. Andererseits ist nach den Formen und Möglichkeiten zu fragen, mit dem Volk zu agieren, wie es insbesondere von den Volkstribunen (tribuni plebis) als Beamten der Plebs erwartet wurde.2 Allgemeiner geht es um die
Bedingungen politischen Handelns und den Nutzen des Volkes in der aristokratisch geprägten und vom Senat dominierten römischen Republik. Zum Schluss
erfolgt ein summarischer Ausblick auf das Fortleben der Volkstribunen in der
späteren europäischen Geschichte, womit deren propagandistischer Wert verdeutlicht werden soll.
Populus
Die Herkunft des Wortes populus ist nicht geklärt, könnte aber auf populari
(verwüsten) beruhen und damit das .Volk in Waffen', also die militärisch formierte Bürgerschaft, bezeichnen.3 Populus wurde in der römischen Republik zur
Bezeichnung der Gesamtheit der erwachsenen römischen Bürger (cives) und
damit auch des Staates als res publica, als öffentliche Sache und gemeinsame
Angelegenheit, verwendet. Der antike Bürger hatte durch sein militärisches und
'olitisches Engagement an der Gemeinschaft grundlegenden Anteil, so dass der
Jtaat kein abstraktes Gegenüber bildete, also auch keine unmittelbare Angriffsfläche für bürgerlichen Protest bot. Der Freistaat bzw. die Überlas galt als
wesentliche Errungenschaft gegenüber dem regnum, das durch die Vertreibung
de
r Könige um 500 v.Chr. überwunden worden war. Gemäß Cicero (de republica
J- Hemming, Populismus, in: Geschichte. Lexikon der wissenschaftlichen Grundbegriffe,
h
«g- v. M. Asendorf u.a., Reinbek bei Hamburg 1994, 503ff.
Polybios 6,16,5; vgl. Appian, bella civilia l,12,51f£.; Plutarch, Tiberius Gracchus l l,3f.
H. Galsterer, Populus, Der Neue Pauly 10, 2001, 156.
1,25,39) handelt es sich um einen Zusammenschluss der Menge im Hinblick auf
die Anerkennung des Rechts und des gemeinschaftlichen Nutzens.
Der Populus steht aber auch in einem gewissen Gegensatz zur Plebs, de
Gemeinschaft der Plebejer,4 sowie zum Senat, wie die Formel senatus populusqn
Romanus verdeutlicht. Die Selbstbezeichnung der Römer als populus Romanu
oder senatus populusque Romanus (SPQR) umfasste das Gesamtvolk, Patrizi er
und Plebejer, die der durch Gesetze gefügten Ordnung unterstanden. Dieser
Name des Staates bezeichnete also nur den Souverän und enthielt keinen Hinweis auf die Verfassung, welche nach römischer Auffassung gemischt war (permixta constitutio) und aus Senat, Magistratur und Volksversammlung bestand
Dennoch konnte populus auch allgemein Volksverbundenheit beinhalten, wie
möglicherweise schon der frühe römische Beiname ,Poplicola/Publicola' zum
Ausdruck bringt.5 Volksnähe eignete sich schon in der frühen römischen Republik zur Stärkung der eigenen politischen Stellung, musste aber v.a. gegenüber der
Plebs bewiesen werden, die sich gegen die Patrizier zu behaupten versuchte.
.
vor Übergriffen der (patrizischen) Magistrate beschützen, sie aber auch
Leinsamen Beschlüssen im concilium plebis versammeln. Diese Beschlüsse
zu
freilich auf Anerkennung durch die Patrizier im Senat angewiesen, um allmeine Gültigkeit zu erlangen.9
In der ersten Phase der Republik, die gemeinhin auch als Epoche des Ständekampfes bezeichnet wird, ist es der Plebs gelungen, sich von den übelsten
swirkungen der Verschuldung, insbesondere der Schuldsklaverei, zu befreien
\ Zugang zu sämtlichen politischen Ämtern und Priesterstellen zu finden;
letzt erlangten die Beschlüsse des concilium plebis bindende Wirkung für das
samte Volk - Patrizier und Plebejer - , so dass sie als leges, als Gesetze des
'ömischen Staates, galten. Die Volkstribunen wurden zugleich in die römische
Ämterlaufbahn integriert und betrieben dort in der Regel keine Sonderpolitik,
sondern amtierten mehrheitlich im Sinne bzw. im Auftrage des Senats, wie dies
auch von den anderen Magistraten erwartet wurde.10
Fortleben des Ständekampfes
Plebs und Tribuni plebis
Das Wort plebs ist verwandt mit plenus (voll) und bezeichnet somit schlicht die
Menge, genauer die Masse der römischen Bürger mit Ausnahme der Patrizier.'
Letztere hatten zu Beginn der römischen Republik die Führung des Staatswesens
übernommen und versuchten, ihre Privilegien gegen die wachsenden Ansprüche
nichtpatrizischer, plebejischer Bürger zu verteidigen, die als unqualifizierte Masse abgestempelt wurden. Zur Vertretung ihrer Interessen hatten sich die Plebejer
in der frühen Republik (angeblich 493 v.Chr.) im Anschluss an einen Aufstand
(secessio) eine eigene Organisation zugelegt und eine Sondergemeinde im Staat
gebildet, wie es später auch in mittelalterlichen Städten Deutschlands, Englands,
Italiens sowie Ostmitteleuropas zu beobachten ist.7
.l
Als führende Beamte der Plebejer fungierten die tribuni plebis, die Volkstribunen. Ein Tribun war grundsätzlich Führer einer tribus, einer lokalen Gliederungseinheit der Bürgerschaft, wovon es ursprünglich drei - zu Beginn der
Republik bereits 21 - gab.8 Die Volkstribunen galten durch den Schwur der Plebs
als sakrosankt bzw. unantastbar und konnten ihrerseits die Plebejer durch Inter-
Livius 2,56.
Livius 2,8,1; 3,33,7.
Hellegouarc'h 1972, 507.
Sondergemeinden und Sonderbezirke in der Stadt der Vormoderne, hrsg. v. P. Johanek,
Köln/Weimar/Wien 2004.
Livius 2,21,7; L.R. Taylor, The Voting Districts of the Roman Republic. The Thirty-fiv£
Urban and Rural Tribes, Rom 1960, 3ff.; J. Cels-Saint-Hilaire, La Republique des tribuS'
Du droit de vote et de ses enjeux aux debuts de la Republique Romaine (495—300 avant ]•'
C.), Toulouse 1995, lOlff.
32
Mit der Anerkennung der Plebiszite als Gesetzesbeschlüsse durch die lex Hortensia im Jahre 287 v.Chr. endet in den Darstellungen zur römischen Geschichte
gemeinhin der Ständekampf, während eine neue Etappe der Republik, die sog.
mittlere oder klassische Republik, beginnt. In dieser kam es zu den großen auswärtigen Kriegen, v.a. gegen die Karthager, so dass das römische Imperium
grundlegend ausgebaut wurde. In der römischen Historiographie kommt der lex
Hortensia freilich keine epochale Bedeutung zu. Trotz der Integration der plebejischen Organisation lebte nämlich die im Ständekampf erworbene Tradition
eigenständiger Politik und Propaganda fort. 11
Schon C. Flaminius brachte im Jahre 232 v.Chr. als Volkstribun ein Ackergesetz gegen den Willen des Senats durch und stellte sich damit in den Dienst
der Interessen breiterer Schichten. Als Censor des Jahres 220 v.Chr. errichtete er
den Circus Flaminius, an dem Ort, an dem die erste plebejische Volksversammlung zusammengetreten sein soll.12 Die Anlage wurde forthin als Monument der
l lebs für die ludi plebeii genutzt, trat also in Konkurrenz zum altehrwürdigen
Circus
Maximus.13 T n Vorfeld der Gracchenzeit legten sich im mittleren 2. Jh.
/""•*!
v.Chr. verschiedene Volkstribunen mit dem Senat an, um die angespannte Lage
der Bürger und Bauern zu verbessern, die durch langjährige Kriege stark belastet
und m ihrer Existenz gefährdet waren.14
Gaius 1,3.
Bleicken 1968; zur politischen Funktion des Volkstribunats Bleicken 1981.
von Ungern-Sternberg 1990/2005.
Livius 3,54,15.
Triebel 1980, 18ff. lOOff.; Thommen 1995, 367.
Taylor 1962.
33
Neu aufgegriffen wurde die Tradition des Ständekampfes durch das Brüder,
paar Tiberius und Gaius Sempronius Gracchus, Volkstribunen im Jahre 133 bzw.
123/22 v.Chr. Tiberius setzte sein Agrargesetz zur Ausstattung verarmter Bürger
mit Staatsland wiederum ohne Zustimmung des Senats durch. Dabei ließ er auch
einen interzedierenden Kollegen des Amtes entheben, bis er dann - wie später
auch sein Bruder - in Straßenkämpfen zu Tode kam.15 Der Auftritt der Gracchen, der die Möglichkeiten und Grenzen des Volkstribunats ins Bewusstsein
gerufen hatte, leitet in der modernen Geschichtsschreibung den letzten
Abschnitt der römischen Republik ein: die späte römische Republik bzw. das
sog. Zeitalter der Krise.
Populäres
Die Bezeichnung populäres leitet sich vonpopularis (zum Volk gehörend) ab und
umreißt in der späten römischen Republik eine Gruppe von Politikern, die
angeblich zugunsten des Volkes handelten und sich dazu auch dessen Unterstützung sicherten.16 Der Begriff taucht schon beim Dichter Accius (Pragmatica
fr.3-4 W) in der zweiten Hälfte des 2. Jh. v.Chr. auf und ist bei Cicero (pro Cluentw 77) im Jahre 66 v.Chr. erstmals für einen Politiker - den ehemaligen Volkstribunen L. Quinctius - belegt. Populäres Handeln wurde im l.Jh. v.Chr. mit
Bezug auf die Gracchen zu einer politischen Tradition geformt und propagandistisch eingesetzt, wobei aber auch an frühere Vorgänger bis zurück zum Beginn
der Republik erinnert wurde.17 Von den populäres grenzten sich dementsprechend die optimales ab, die im Sinne des mos maiorum (Sitte der Vorfahren; Herkommen) nach den Vorgaben des Senats handelten - angeblich zugunsten des
gesamten Staates.18
In ihren heterogenen Erscheinungsformen weisen die Populären durchaus
Parallelen mit modernen Populisten auf: Die Populären waren nie eine geschlossene Gruppe oder Partei mit festem Programm, sondern traten in wechselnder
personeller Besetzung und mit unterschiedlichen Anliegen auf. Konsumtiv ist
deshalb die Methode (popularis via oder ratio), bei der mit Hilfe des Volkes ohne
Zustimmung des Senats verbindliche Beschlüsse herbeigeführt wurden. Wiederkehrende Themen waren die Land- und Getreidefrage zur Versorgung der römischen Bürger, die in führenden Kreisen auf Widerstand stießen. Punktuell ging es
durchaus auch um Schutz und Erweiterung politischer Rechte - v.a. im Zusarn-
enhang mit der Abstimmungsordnung und der Berufung gegen magistratische
p tscheide (Provokationsrecht). 19 Dabei handelte es sich weitgehend um sachlihe Probleme, bei denen - im Gegensatz zum modernen Populismus - weder an
niedere Instinkte appelliert noch gegen Randgruppen gehetzt wurde. Ungelöste
soziale Probleme hatten generell zu einem Reformstau geführt, der letztlich auf
die führende Gruppe der Nobilität und den Senat als zentrale politische Institution zurückfiel und bedeutenden Einzelpersonen bzw. Feldherren Gelegenheit
zum selbständigen Handeln bot.
Populäre Politik diente in dieser Situation - ähnlich wie der moderne Populismus - nicht nur einer einzigen politischen Richtung. Von der populären
Methode konnten auch traditionalistisch gesinnte Politiker Gebrauch machen,
indem sie vorübergehend auf volksfreundliche Maßnahmen setzten. Ein erstes
Beispiel ist der senatstreue M. Livius Drusus (122 v.Chr.), der mit seinem überzogenen Kolonialprogramm C. Gracchus ausstechen sollte;20 auch sein gleichnamiger Sohn kündigte später (91 v.Chr.) Reformen im Sinne des Senats an,21
bevor dann Sulla als Diktator (82/1 v.Chr.) radikal gegen populäre Politik einschritt und das Volkstribunat vorübergehend einschränkte.22 Pompeius bediente
sich in den frühen 60er Jahren wiederum populärer Volkstribunen, um militärische Kommandos gegen die Seeräuber und Mithradates VI. von Pontos zu erhalten.23 Der optimatisch gesinnte Cicero versuchte in seinem Kampf gegen ein
Ackergesetz (lex Seruilia), sich als wahrhaft populär zu bezeichnen (de lege agraria 2,6-19) und damit die populäre Gegnerschaft zu überflügeln. 24 Das Volkstribunat wurde in den Auseinandersetzungen der ausgehenden Republik insgesamt
zu einem aristokratisch geprägten Kampfmittel innerhalb der Führungsschicht,
das sich mächtige Einzelpersönlichkeiten wie Marius, Pompeius und Caesar
nutzbar machen konnten. Dabei wurde nicht nur das tribunizische Antragsrecht,
sondern auch das Interzessionsrecht als Instrument politischer Obstruktion eingesetzt.25
Populäre Politik stieß in der römischen Republik aber immer wieder an
Grenzen, da die Bürger in festen ,Treu- und Nahverbindungen' standen und
daher nur schwer für politische Manöver zu rekrutieren waren.26 Dies führte zu
Meier, RE Suppl. 10, 1965, 599ff.; Seager 1972, 33If.
Plutarch, Gaius Gracchus 8f.; dazu Burckhardt 1988, 54ff.
Hackl 1987.
Valgiglio, Silla e la crisi repubblicana, Florenz 1956, 77ff.; Kunkel - Wittmann 1995,
654ff.
15
16
17
18
Einzelheiten bei D. Stockton, The Gracchi, London 1979.
Dazu Martin 1965; Ch. Meier, Populäres, Paulys Realencyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft, Suppl. 10, 1965, 549-615.
Cicero, Lucullus 13.
Vgl. Cicero,pro Sestio 96ff.; de re publica 1,31; zu den Optimalen H. Strasburger, Optimales, Paulys Realencyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft 18, 1942, 773—798>
Burckhardi 1988.
Thommen 1989, 98ff.
eager 1972, 333ff.
Thommen 1989, 140ff. 207ff.
ebhafi diskuiien wurde in den leizlen Jahren die Frage nach dem Einfluss des Volkes in
« römischen Republik. Während Millar 1998 die politische Bedeulung der Klienielen in
Himergrund ireien lässi und eine direkie Demokralie erkennen möchie, unierstreic
nen Hölkeskamp 2004 und Flaig 2004 anhand der hierarchischen Abhängigkeitsverhält-
S
25
dem Bemühen einzelner Politiker, Plebejer längerfristig an sich zu binden und
feste Gefolgschaftstruppen zu führen, wie das insbesondere der Volkstribun R
Clodius Pulcher in den 50er Jahren des 1. Jh. v.Chr. praktizierte.27 Er versuchte,
mittels seiner Anhänger und Banden, auch über das Amtsjahr hinaus in der
römischen Politik tonangebend zu bleiben, bis er von einer Truppe seines Gegners Milo erschlagen wurde. Die heterogen zusammengesetzte Plebs (plebs urbana, plebs rustica) wurde jedoch nie zu einem eigenständigen politischen Faktor,
sondern blieb in hierarchischen gesellschaftlichen Abhängigkeitsverhältnissen
verhaftet, die auch die populäre Politik nicht umgehen konnte.
Da das Volkstribunat der kollegialen Kontrolle unterstand und jeweils nach
einem Jahr endete, war trotz der großen verfassungsmäßigen Kompetenzen über
dieses Amt kaum längerfristige Politik zu machen. Das politische Establishment
geriet durch die Aktionen populärer Volkstribunen kaum in Gefahr, denn auch
die Populären strebten keine grundlegenden Änderungen an und waren trotz
ihres Rekurses auf das Volk selber Bestandteil der Oberschicht. Die Volkstribunen stammten nicht aus kleinen Verhältnissen, sondern gehörten zu einem
Großteil senatorischen Familien an.28 Sie suchten nur punktuelle Veränderungen
und ließen soziale und politische Grundstrukturen unangetastet. Zudem war der
Anteil der Populären am Volkstribunat relativ gering, so dass nur wenige Vertreter gegen den Willen des Senats handelten und sich die Mehrheit nach wie vor an
dessen Weisungen hielt.
Nach der Zeit der Ständekämpfe gibt das römische Volkstribunat daher über
weite Strecken der Republik ein schlechtes Vorbild für revolutionäre Aktionen
im Dienste des Volkes ab. Dennoch hat die populäre Propaganda die Volkstribunen als Vertreter des Volkes stilisiert. Der Populus war auch in der späten Republik ein wesentlicher Bezugspunkt geblieben, der bei dem Volkstribunen C.
Memmius - geradezu populistisch vereinfachend - als programmatischer Gegenpart zur Mobilität bezeichnet wird.29 Der revolutionäre Ursprung des Volkstribunats, das gemäß Cicero (de legibus 3,19) „in Aufruhr und zum Zwecke des
Aufruhrs geboren wurde", konnte in den Auseinandersetzungen der Oberschicht immer wieder neu instrumentalisiert werden. Durch die propagandistische Verklärung der Volkstribunen wurden diese schließlich auch für nachfolgende Zeiten zu geeigneten Vorbildern im Kampf für Volksrechte und Freiheit.
Fortleben des Volkstribunats
pie rechtlichten Grundlagen des Volkstribunats wurden nach den Bürgerkriegen
der ausgehenden Republik schon von Augustus für die neue Regierungsform
fruchtbar gemacht, indem der römische Kaiser seine innenpolitische Macht fortJiin auf die tribunicia potestas, die Amtsgewalt eines Volkstribunen, stützte und
damit sämtliche zivilen Handlungskompetenzen besaß. Das Volkstribunat selber
wurde gleichzeitig wesentlich ausgehöhlt, behielt aber seine sakrosankte Aura
bei.30 In ziviler Funktion existierte es seit dem 6. Jh. n.Chr. als Vertretung des
Dux, später des Grafen weiter, bevor es in der Neuzeit als revolutionäre Institution wiederbelebt wurde, zunächst von Cola di Rienzo (Rom 1347), dann von
Gracchus Babeuf (Paris 1794-96) und in der französischen Konsulatsverfassung
(1799-1807).
Im spätmittelalterlichen Rom trat Cola di Rienzo mit Duldung des Papstes
gegen die Adelsherrschaft an und rief 1347 als Verteidiger des Volkes die römische Volksrepublik aus, in der er sich zum Tribunen krönen ließ. Den anfänglich
angenommenen Titel ,Tribunus Romanus' ließ er bald in .Tribunus Augustus'
umwandeln, womit ein konkreter Bezug auf die antike kaiserliche Macht zum
Ausdruck kam. Bestärkt wurde er darin durch die von ihm öffentlich gemachte
römische Inschrift mit dem Bestallungsgesetz Vespasians (lex de imperio Vespasiani; 69 n.Chr.), das die kaiserlichen Kompetenzen definierte. Mit seinem Ziel
der Erneuerung des römischen Imperiums stieß Cola trotz seiner erfolgreichen
Reformen bei der Kurie aber bald auf Skepsis und musste noch im selben Jahr
aus Rom fliehen.31
J.-J. Rousseau wies später in seinem ,Contrat social' (1762; 4. Buch, 5. Kapitel) dem Tribunal eine spezielle Rolle außerhalb der Verfassung zu und empfahl
sogar, es nur mit zeitlichen Unterbrüchen einzusetzen. Das Tribunal dient dabei
einerseits als Verhinderungsgewalt, stützt andererseits aber die Gesetze bzw. die
gesetzgebende Gewalt und wirkt als ausgleichendes Mittel - sei es zwischen
Staatsoberhaupt und Regierung oder zwischen Regierung und Volk. In dieser
Funktion bedarf es jedoch auch einer gezielten Beschränkung, da das Tribunal
ansonsten in Tyrannei ausartet und wesentlich zum Untergang des Siaates beitragen kann, wie sich schon in Rom gezeigt habe.
Wenige Jahrzehnte darauf sah Babeuf, der sich 1794 den römischen Beinan
en Gracchus als Vornamen zulegte,32 in den römischen Volkstribunen Tiberius
ifn
nisse und ritualisierten Interaktionen zwischen Volk und Führungsschicht den aristokratischen Charakter des Systems (vgl. auch Jehne 1995).
' Einzelheiten bei Benner 1987; Nippel 1988, 108ff.; Spielvogel 1997; Tatum 1999.
28
Thommen 1989, 22ff.
29
Sallust, bellum lugurthinum 30,3.
Villers 1970.
Zuletzt A. Collins, Greater than Emperor. Cola di Rienzo (ca. 1313-54) and the World of
F
°urteenth-Century Rome, Ann Arbor 2002, 37ff. 65f. 82f.; R.G. Musto, Apocalypse in
Rome. Cola di Rienzo and the Politics of the New Age, Berkeley L.A./London 2003, 52.
f. Hlff. Vgl. auch A. Collins, Cola di Rienzo, the Lateran Basilica, and the Lex de imeno of Vespasian, Mediaeval Studies 60, 1998, 159-183 zu Colas Kenntnis weiterer Geset?
estexte (lex regia/Codex lustiniani).
'• Kühn, Die Französische Revolution, Stuttgart 1999, 131.
und Gaius Gracchus Beispiele für den Märtyrertod im Kampf gegen die Regierung. Die von ihm im Kampf gegen das Direktorium herausgegebene Zeitschrift
nahm den Namen ,Le Tribun du Peuple' an, wobei er sich auf die römischen
Volkstribunen als Verteidiger der Freiheit des Volkes berief.33 Dies entsprach freilich mehr der mit dem Volkstribunat verbundenen politischen Propaganda als der
Verfassungsrealität der römischen Republik, welche die Volkstribunen längst in
das aristokratische System der Republik eingebunden hatte.
Der heterogene Charakter des römischen Volkstribunats, das sowohl zum
Widerspruch als auch zum Ausgleich und Machterhalt im Staat dienlich sein
konnte,34 bot der Nachwelt viele Möglichkeiten, politisch nutzbar gemacht zu
werden. Dennoch war Politik, die sich auf das Volk berief, in den traditionellen
aristokratischen Abhängigkeitsverhältnissen der römischen Republik unter gänzlich anderen Voraussetzungen abgelaufen. Im damaligen Rom hatten populistische Maßnahmen im Kampf um das Volk, das in Klientelverhältnisse eingebunden war und staatliche Gemeinschaft verkörperte, nur beschränkte Erfolgsaussichten.
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33
34
Le Tribun du Peuple no.23 du 14 Vendemiaire an III de la Republique (= 5.Okt. 1794);
Babeuf, Ecrits. Introduction et annotations par Claude Mazaurie, Paris 1988, 52ff. Äff
30.Nov. 1795 erschien in der Nummer 35 ,Das Manifest der Plebejer', in dem absolute
Gleichheit gefordert wurde; dazu B.B. Rose, Gracchus Babeuf. The First Revolutionary
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