Fruchtbarkeits- und Trächtigkeitsstörungen

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FRUCHTBARKEITSSTÖRUNGEN BEIM KANINCHEN
von Lorenz Paulus, Clausthal-Zellerfeld- Schulungsleiter KV Südharz
In diversen Ausgaben unserer Fachzeitschrift sind immer wieder Artikel nachzulesen, in
denen sich fachkundige Autoren und erfahrene Züchter Gedanken über mangelnde
Paarungsbereitschaft oder Unfruchtbarkeit der Kaninchen, aber auch über Trächtigkeits- und Geburtsstörungen gemacht haben. Manch ein Artikel enthielt gute praktische
Hinweise für den Züchter, in anderen Berichten wurde das seit Jahren bewährte Hausmittel
verraten.
Alle Autoren hatten jedoch das gemeinsame Ziel vor Augen, ihr Wissen, auch wenn es von
derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen abwich, über die Fachzeitschrift einem
möglichst breiten Züchterkreis zu vermitteln.
Jetzt ist man geneigt, zu denken, dass ja letztendlich über dieses Thema in vorangegangenen
Ausgaben sicher schon alle Aspekte berücksichtigt worden sind. Dies mag sein, jedoch besteht mein Anliegen darin, die Komplexität und Vielschichtigkeit aller in Frage kommenden
Ursachen für diese Störungen aufzuzeigen, damit jeder Züchter erkennt, dass selbst für Fachleute und Tierärzte eine eindeutige Ursachenforschung schwierig sein kann.
1. Hormonelle Steuerung des Geschlechtszyklus
Um unterschiedliche Symptome und Beobachtungen bei der Paarung und bei der Trächtigkeit
von Häsinnen richtig deuten zu können, ist es wichtig, zu wissen, dass die Auslösung der
Brunst, die Heranreifung der Eier im Eierstock und die Entwicklung der Embryonen in der
Gebärmutter sowohl endogen durch Hormone als auch exogen durch das Zusammenwirken
verschiedenartiger Umweltfaktoren, z. B. durch Ernährung und Haltung, aber auch durch,
Licht- und Temperatureinflüsse bedingt sein kann.
Beim Kaninchen ist gegenüber den übrigen Haustieren meist keine periodisch wiederkehrende Brunst vorhanden. Man kann in der Regel davon ausgehen, dass im Eierstock einer
jungen Häsin immer reife Eier vorhanden sind, die ein erfolgreiches Decken gewährleisten.
Durch den Reiz des Deckaktes wird bei der Häsin ein komplexes Zusammenspiel
verschiedener Hormone ausgelöst, das ich kurz darstellen will. Bedingt durch die Erregung
bei der Begattung werden von der Hirnanhangdrüse im Zwischenhirn Hormone in die
Blutbahn abgegeben, die zu einer vollständigen Reifung der Eier führen. Jede Eizelle reift in
einem flüssigkeitsgefüllten Bläschen, dem sog. Follikel, heran. Etwa 10 Stunden nach der
Begattung erfolgt der Eisprung, indem der Follikel im Eierstock platzt und die Eizelle mit
Hilfe von Flimmerhärchen in den Eileiter aufgenommen wird, wo die Befruchtung erfolgen
kann.
Diese Tatsache erklärt auch, dass einige Züchter nach ca. 10 Stunden die Häsin nochmals
decken lassen, um eine Trächtigkeit sicherzustellen. Nach dem Eisprung bilden sich die
Follikelreste zum Gelbkörper um, der selbst nun Hormone produziert, die zum einen eine
weitere Eireifung verhindern soll, zum anderen die Gebärmutterschleimhaut auf die
Einnistung befruchteter Eizellen vorbereiten sollen.
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2. Mangelnde Paarungsbereitschaft oder Unfruchtbarkeit
Da die Brunst der Häsin durch Hormone ausgelöst wird, kann bei länger andauernder
Paarungsunwilligkeit eine hormonelle Störung vorliegen. Eine Injektion von Hormonen, die
den Eisprung auslösen, kann hierbei Abhilfe bringen.
Auch psychische Einflüsse, z. B. Stress bei Massenhaltung im Freigehege können ebenso wie
mangelhafte Belichtung, zu niedrige oder zu hohe Temperaturen die Paarungsbereitschaft
mindern. So ist es nicht verwunderlich, dass während der kurzen, lichtarmen Wintertage mit
zumeist geringen Temperaturen bei Häsinnen keine Brunst einsetzt. Mit einer Stallklimaregulierung und künstlicher Belichtung können bedingt Erfolge erzielt werden.
Eine Verfettung der inneren Organe bei Zuchttieren ist sicher die häufigste Ursache für die
fehlende Brunst; ein raufaserreiches, jedoch kohlenhydratarmes Futter, das zudem die
wichtigsten Mineralstoffe und Vitamine enthält, kann dieses Problem lösen helfen.
Dies bedeutet für den Züchter in der Praxis eine Reduzierung des Fertigfutters; Gaben von
gutem Wiesenheu und vitaminreichem Beifutter, v. a. verschiedene Kräuter, sollten verstärkt
gefüttert werden. In den Wintermonaten kann es bei Zuchttieren oftmals notwendig werden,
ein Vitaminkonzentrat in das Trinkwasser einzumischen.
Für Züchter sollte es selbstverständlich sein, dass eingeschränkte Zuchtkondition und damit
verbunden mangelnde Paarungsbereitschaft bei deutlichem Haarwechsel und bei Allgemeinerkrankungen wie Verdauungsstörungen vorliegt. Grundsätzlich sollten alle Häsinnen vor
Zuchtbeginn vorbeugend gegen Kokzidiose behandelt werden.
Bei Unfruchtbarkeit liegen meist Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane vor.
Eine Gebärmutterentzündung aufgrund einer bakteriellen Infektion, nach vorzeitigem
Fruchttod oder bei Frühgeburten kann ebenso Unfruchtbarkeit nach sich ziehen wie eine
Eierstockentzündung.
Wenig bekannt ist bei Züchter die Treponematose (= Kaninchensyphilis), eine chronisch
verlaufende Geschlechtskrankheit der Kaninchen. Die Übertragung der Erreger erfolgt durch
direkten Kontakt, v. a. durch den Deckakt.
Nach einer Rötung und Schwellung der Scheiden- bzw. Penisschleimhaut erfolgt die
Absonderung eines wässrigen, später schleimig-eitrigen Sekretes. Ein Spätstadium ist gekennzeichnet durch Knötchen und Geschwüre nicht nur an den äußeren Geschlechtsorganen,
sondern auch an anderen Körperstellen wie Lippen, Nase, Gesäuge u. a. in der Umgebung der
Geschwüre besteht Haarausfall.
Eine Behandlung mit Penicillin, die der Tierarzt durchführen muss, erscheint mir nur bei sehr
wertvollen Zuchttieren angebracht.
Paarungsunfähigkeit ist bei Rammlern nur selten zu beobachten; ein angewachsener Penis,
eine Erkrankung der Begattungsorgane, z. B. bei Treponematose sowie eine Hoden- oder
Nebenhodenentzündung können die Ursache sein.
Rammler mit gestörter Hodenentwicklung, z. B. bei Kleinhodigkeit oder bei Einhodigkeit,
können grundsätzlich Häsinnen begatten; eine Befruchtung der Eizellen ist jedoch wegen
mangelnder Spermaqualität nicht gewährleistet.
Da diese Missbildungen der Geschlechtsorgane, zu denen auch Spaltpenis gehört, erblich
sind, müssen diese Tiere von der Zucht ausgeschlossen werden.
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3. Trächtigkeitsstörungen
3.1 Scheinträchtigkeit
Sicher ist allen Züchtern bekannt, dass nicht alle Paarungen gezwungenermaßen zur
Trächtigkeit führen.
Häsinnen, die nach einem erfolgreichen Deckakt in den ersten beiden Wochen typisches
Trächtigkeitsverhalten zeigen, aber nicht werfen, werden als scheinträchtig bezeichnet.
Scheinträchtigkeit tritt auf, wenn nach einem Eisprung eine Befruchtung der Eizellen
unterbleibt. Ursache kann hierbei schlechte Spermaqualität sein, aber auch ein frühzeitiges
Absterben der Embryonen, die vom Organismus resorbiert werden, kann nicht ausgeschlossen
werden.
Da während der Scheinträchtigkeit dieselbe hormonelle Steuerung wie bei einer echten
Trächtigkeit einsetzt, wodurch eine weitere Eireifung verhindert wird, kann die Häsin erst
16 - 20 Tage nach dem ersten Deckakt wieder fruchtbar gepaart werden.
Da selbst für den erfahrenen Züchter das Verhalten trächtiger und scheinträchtiger Häsinnen
nicht zu unterscheiden ist, kann nur das vorsichtige Abtasten der Bauchgegend nach 12 bis
14 Tagen Sicherheit bringen. Die Früchte lassen sich je nach Rasse als haselnuss- bis
walnuss-große Gebilde zu beiden Seiten des Darms liegenden Gebärmuttersträngen ertasten.
3.2 Trächtigkeitstoxämie
Sehr selten kann v. a. während der letzten Trächtigkeitsphase eine durch Giftstoffe
verursachte Erkrankung, die sog. Trächtigkeitstoxämie, eintreten. Wenige Tage vor dem
Geburtstermin setzt bei der Häsin Appetitlosigkeit, Mattigkeit und Kurzatmigkeit ein.
Verwerfen, Auffressen der Jungtiere (= Kannibalismus) sowie Bewusstlosigkeit und Tod des
Tieres können die Folge sein.
Die Ursache ist nicht völlig geklärt, neben einer Stoffwechselvergiftung kann auch eine
hormonelle Störung verantwortlich sein.
3.3 Kalkarmut
Während der letzten Trächtigkeitswoche treten gerade bei hochtragenden Häsinnen
Verdauungsstörungen auf, die von schwersten Durchfällen, jedoch nicht von Blähungen
begleitet sind; die Tiere verenden meist an kollapsartigem Kreislaufversagen.
Ursache ist hierbei eine Unterversorgung des Organismus mit Kalk (= Hypokalzämie) bei
gleichzeitigem Vitamin-D-Mangel.
Deshalb kann es ratsam sein, v. a. während der Wintermonate dem Futter vorbeugend ein
Mineralstoffgemisch, das gleichzeitig Vitamin D und A enthält, beizumischen.
Auch während der Säugezeit, so v. a. bei gut säugenden Häsinnen, sollten vorbeugende
Futterkalkgaben beibehalten werden.
4. Geburtsstörungen und Fehlgeburten
Allgemeinerkrankungen, die zur Schwächung der körperlichen Verfassung kurz vor der
Geburt, aber auch Schwergeburten bei zu großen Früchten können für die eintretende
Wehenschwäche verantwortlich sein. Eine zu starke Entwicklung der Föten tritt meist nur bei
zahlenmäßig kleinen Würfen auf; die Trächtigkeitsdauer von 30 - 32 Tagen wird zudem
überschritten.
Durch die Injektion eines Hormons, das die Wehen auslöst oder verstärkt, können die
Jungtiere gerettet werden.
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Meine persönliche Erfahrung in einem solchen Fall zeigte, dass bei der Häsin ca. 15 - 30
Minuten nach der Hormonbehandlung abrupt die Wehen und damit der Geburtsvorgang
einsetzte.
Die Häsin zeigte während der Geburt normales Fürsorgeverhalten, beleckte die Jungen und
fraß die Nachgeburt auf. Da die Jungen aber nicht in Nestnähe geboren wurden, mussten sie
von mir in das bereits vorbereitete, mit Wolle ausgepolsterte Nest gelegt werden. Die
Aufzucht der Jungen verlief ohne Probleme.
Die Ursachen für Fehlgeburten können ebenso vielschichtig sein wie bei fehlender
Paarungsbereitschaft.
Frühgeburten, also vor dem 28. Tag der Tragezeit geborene Jungtiere, treten meist bei
zahlenmäßig großen Würfen auf; die Jungen sind meist nicht lebensfähig. Spät- oder auch
Totgeburten sind bei zahlenmäßig kleinen Würfen mit meist großen, bereits behaarten Föten
zu beobachten.
Während bei Frühgeburten die Ursache in Gebärmutterentzündungen und in psychischen
Einflüssen, z. B. schockartigen Zuständen, zu suchen wären, können Spätgeburten bei
Wehenschwäche verursacht sein.
5. Störungen der Milchsekretion
Bereits bei der Auswahl der Zuchttiere muss darauf geachtet werden, dass nur Häsinnen aus
Zuchtlinien mit guter Milch- und damit guter Aufzuchtleistung eingesetzt werden; bei
Missachtung dieses Auswahlkriteriums kann es schnell zur Festigung eines erblich
programmierten Milchmangels kommen. In diesem Fall hilft auch keine Hormonbehandlung,
wie sie bereits bei Wehenschwäche und Paarungsunwilligkeit in Ausnahmefällen angezeigt
sein kann.
Eine Gesäugeentzündung infolge einer Verletzung oder auch einer Infektion kann die
Milchsekretion deutlich mindern.
Das Gesäuge kann sich sogar so stark entzünden, dass die Häsin nur unter deutlichen
Schmerzäußerungen oder letztlich gar nicht mehr ihre Jungen versorgt.
In den meisten Fällen schafft das vorsichtige Massieren der Zitzen mit entzündungshemmenden Salben eine deutliche Linderung; die Milchleistung steigt wieder an, was an der
Jungtierentwicklung deutlich zu erkennen ist.
Bei bakteriellen Infektionen ist meist die Anwendung von Lokalantibiotika notwendig.
Züchter, die der Anwendung von Medikamenten ablehnend gegenüberstehen, bleibt in vielen
Fällen nur die Tötung des Tieres übrig. Wegen der Gefahr der Erregerübertragung sollte
auf das Säugen der Nestjungen bei einer Amme verzichtet werden!
Abschlussbemerkungen
Wie bereits eingangs erwähnt, war es meine Absicht, den Züchtern eine Übersicht über die
Ursachenvielfalt bei Fruchtbarkeits- einschließlich Aufzuchtstörungen bei Kaninchen zu
geben.
Eine Behandlung soll, wenn schon notwendig, immer nur einsetzen, wenn es der Gesundung
oder vorbeugend der Gesunderhaltung des Organismus dient.
Züchter, die jegliche medikamentelle Behandlung ablehnen, müssen sich aber fragen lassen,
ob die Schmerzen, die sie eventuell ihren Tieren zumuten, nicht an Tierquälerei grenzen
können.
Das Geheimnis einer erfolgreichen Zucht liegt aber sicher nicht nur in einem ausreichendem
Fachwissen des Züchters begründet, sondern auch in der richtigen Zuchtauswahl, die
sich nicht nur auf Ausstellungserfolg stützen darf, sondern v. a. die Zuchtleistung,
wozu Nestbauverhalten, Wurf- und Milchleistung gehören, berücksichtigen muss.
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