WISSEN DAS OHR. DER LÄRM. DER GEHÖRSCHUTZ. GRUNDLAGENWISSEN ZUM PRÄVENTIONSPROGRAMM „JUGEND WILL SICH-ER-LEBEN“ 2016/17 ZUM THEMA „KRACH UNTER KONTROLLE“ Lärm und Lärmwirkung – eine definitorische Sammlung Zu den Waffen! Das Wort „Lärm“ stammt aus dem Italienischen. Die Formulierung „all‘arme“ heißt „zu den Waffen!“, und ist auch mit dem Wort „Alarm“ verwandt. Lärm ist ein unerwünschtes Geräusch. Lärm ist störend, belästigend und/oder schädigend. Lärm beeinträchtigt die Gesundheit. Lärm erhöht die Unfallgefahren. Lärm verursacht bleibende Schäden. Lärm schränkt die Arbeitsfähigkeit für bestimmte Aufgaben ein oder führt zum Ausschluss für bestimmte Aufgaben. Lärm mindert die Arbeitsleistung. Lärm stört die Kommunikation. Lärm führt zur Ermüdung. Lärm beansprucht Lebensenergie. Lärm mindert die Lebensqualität. TIPP Eine Tabelle mit Schallereignissen und den dazugehörigen Dezibelangaben finden Sie auf dem Arbeitsblatt 2A „Was ist Lärm“ auf Seite 26 in diesem Unterrichtskonzept. 18 Das Gehör des Menschen. Der Hörsinn ist einer der klassischen fünf Sinne des Menschen, neben dem Tastsinn, dem Geschmackssinn, dem Geruchssinn und dem Sehsinn. Darüber hinaus verfügt der Mensch noch über den Gleichgewichtssinn, der ebenfalls im Innenohr verortet ist, den Schmerzsinn, den Bewegungssinn und den Temperatursinn. Der Hörsinn ist stets aktiv – die Ohren sind, nicht wie die Augen, verschließbar. Das Hören ist der Wachsinn des Menschen, er funktioniert im Schlaf und bei Dunkelheit. Wir sind in der Lage, eine Vielzahl von Stimmen und Klängen zu unterscheiden. Über den Klang der Stimme kann der Mensch auch Gefühle wahrnehmen. Hören kann der Mensch in alle Richtungen gleichzeitig, auch „um die Ecke“. Der Hörsinn dient ebenfalls zur Orientierung und zum Abschätzen von Entfernungen zu Schallquellen. WISSEN Konzentration, Isolation, Resignation ÜBER DIE UNTERSCHIEDE ZWISCHEN AURALEN UND EXTRA-AURALEN LÄRMWIRKUNGEN. 1 Der Lombard-Effekt Aurale Lärmwirkungen sind schädliche Auswirkungen direkt auf das Ohr. Extra-aurale Lärmwirkungen sind Auswirkungen auf den psychischen und physischen Gesamtorganismus. WARUM ES SO LAUT IN KNEIPEN IST. Der Lombard-Effekt ist benannt nach einem Versuch von Étienne Lombard im Jahre 1911. Der französische Wissenschaftler entdeckte: Sprechende erhöhen bei störenden Hintergrundgeräuschen unbewusst die Lautstärke der Stimme, meist auch die Tonhöhe. Grund ist, dass sich Sprechende unwillkürlich gegen die störenden Umgebungsgeräusche durchsetzen möchten. Dieser Effekt entsteht zum Beispiel in Kneipen. Gäste sprechen wegen der sie umgebenden Kneipengeräusche lauter, als sie müssten, um von ihren Gesprächspartnern oder Gesprächpartnerinnen gehört zu werden. Dadurch erhöht sich der Geräuschpegel in Kneipen insgesamt. Dies gilt auch in anderen privaten Lebensbereichen und der Arbeit. Psychosoziale Wirkungen von Lärm können zum Beispiel sein: Konzentrationsbeeinträchtigung Anspannung Nervosität Verärgerung, Reizbarkeit/Aggressivität Resignation Soziale Isolation Verringerung der Lebensqualität Schlafstörungen TIPP Einen Konzentrationstest unter Lärmeinwirkung finden Sie auf dem Arbeitsblatt 3A “Konzentration bei Krach: Das Lärmexperiment“ auf Seite 28 dieses Unterrichtskonzeptes. Eine Frage der Schwingung WAS SCHALL IST UND WIE TÖNE ENTSTEHEN. Von Schall ist die Rede, wenn sich mechanische Schwingungen wellenflörmig ausbreiten. Schallwellen brauchen immer eine Schallquelle und einen Stoff, in dem sie sich ausbreiten können. Das kann Luft sein (Gas), Wasser oder auch ein fester Stoff wie Holz oder Metall. Die Anzahl der Schallschwingungen pro Sekunde bezeichnet man als Frequenz. Sie wird in Hertz angegeben (Hz). Je höher die Frequenz – je schneller der Schall schwingt – desto höher der Ton. Denn die Tonhöhe ist abhängig von der Anzahl der Schwingungen pro Sekunde. Das menschliche Gehör kann Töne – also Schwingungen – wahrnehmen von etwa 20 Hz bis 20.000 Hz. TIPP Zur Anatomie und Funtionsweise des Ohrs siehe Arbeitsblatt 5A „Das Ohr: Anatomie und Funktion“ auf Seite 32 dieses Unterrichtskonzeptes. 19 WISSEN Wie Gefühle das Pegelempfinden beeinflussen? „Das Innenohr hat keine Schmerzrezeptoren.“ Das Ohr des Menschen hat ein immenses Pegelspektrum. Ab der Hörschwelle von null Dezibel kann es Töne bis etwa 140 Dezibel verarbeiten. Aber: Ob ein Pegel die Gesundheit gefährdet, hängt auch von der Dauer der „Beschallung“ ab. Es gibt auch noch eine subjektive Pegelempfindung. Denn Menschen haben nie exakt gleiche Ohren. Auch Gefühle beeinflussen das Pegelempfinden: Ein Rockmusikfan empfindet Rockmusik als weniger laut. Für jemanden, der sonst Klassik hört, ist Rockmusik gefühlt lauter. Warum das Gehör auch ohne Schmerzempfinden geschädigt wird. Ein großes Missverständnis ist: Der Mensch kann mit Hilfe seines Schmerzgefühls beurteilen, ob ein Schallereignis für das Gehör gefährlich ist. Das stimmt nicht. Die Schmerzschwelle am Trommelfell liegt zwischen 120 und 140 Dezibel. Im Innenohr hat der Mensch kein Schmerzempfinden, es wird jedoch bei weit weniger Schallbelastung geschädigt. Wiederholte Schallereignisse mit nur 85 Dezibel über acht Stunden am Tag können im Laufe von mehr als zehn Jahren zu einem bleibenden Gehörschaden führen – obwohl kein Schmerz zu spüren war. 20 Lärmpegel EMPFOHLENE PEGEL FÜR UNTERSCHIEDLICHE ARTEN VON ARBEIT Lärmpegel bei überwiegend geistigen Tätigkeiten < 55 dB Lärmpegel bei einfachen oder mechanisierten Büroarbeiten oder vergleichbarer Arbeit < 70 dB Lärmpegel an Werkstattarbeitsplätzen < 85 dB WISSEN 8 MERKSÄTZE ZU LÄRM UND GEHÖRSCHADEN L ÄRMSCHWERHÖRIGKEIT IST DIE HÄUFIGSTE ANERK ANNTE BERUFSK R A N K H E I T. A B E I N E M D U RC H S C H N I T T S W E R T VO N E T WA 85 D E Z I B E L U N D B E I Ü B E R AC H T S T U N D E N A R B E I T S Z E I T W I R D DA S G E H Ö R G E S C H Ä D I G T. F Ü R D E N E I G ENEN SCHUT Z VOR L ÄRM MUSS ZUERST EINMAL JEDER FÜR SICH SELBST SORGEN. D U R C H L Ä R M V E R U R S A C H T E G E H Ö RSCHÄDEN ENTSTEHEN MEIST ÜBER EINEN ZEITR AUM VON ZEHN JAHREN UND MEHR. SIE ENT WICKELN SICH OF T FÜR BE TROFFENE SCHLEICHEND U N D U N B E M E R K T. TIPP Zu den Arbeitsschutzvorschriften im Bereich „Lärm“ siehe Arbeitsblatt 1A „Lärm: Gesetze und Verordnungen“ auf Seite 24 dieses Unterrichtskonzeptes. TIPP Ansprechpersonen für den Bereich „Lärm“ und andere Themen des Arbeitsschutzes finden Sie auf dem Arbeitsblatt 1B „Die gesetzliche Unfallversicherung “ auf Seite 25 in diesem Unterrichtskonzept. DURCH LÄRM VERURSACHTE GEHÖRSCHÄDEN SIND UNHEILBAR. S C H O N 2 5 P ROZ E N T A L L E R 16- B I S 2 4- J Ä H R I G E N HABEN BEREITS EINEN HÖRSCHADEN. 2 Schon täglich 15 Minuten am Tag Arbeit mit dem Winkelschleifer (100 Dezibel) können einen Gehörschaden verursachen. 15 JAHRE x 240 TAGE x 8 STUNDEN x 85 DEZIBEL = KRITISCHE LEBENSLÄRMDOSIS AC/DC-Sänger mit Gehörschaden Schock für eine der erfolgreichsten und zugleich lautesten Bands der Welt: AC/DC-Sänger Brian Johnson droht der totale Gehörverlust. 2016 mussten mehrere Konzerte der Welttournee abgesagt werden. Nachholtermine wurden mit einem Gastsänger bestritten. Ob Johnson jemals wieder auf die Bühne darf, ist noch unklar. TIPP Eine Checkliste zum Lärmschutz finden Sie auf dem Arbeitsblatt 4A „Checkliste Lärmschutz am Arbeitsplatz“ auf Seite 30 dieses Unterrichtskonzeptes. Der Reflexionsschall WIE RÄUME LÄRMPEGEL BEEINFLUSSEN. Der von den Wänden eines Raumes zurückgeworfene Reflexionsschall ist zwar leiser als der Originalschall, jedoch erhöht der Reflexionsschall den Lärmpegel zusätzlich. Schallschluckende Maßnahmen in einem Raum reduzieren deshalb die Intensität eines Schallereignisses. 21 WISSEN Die Schallbelastung Die Lebenslärmdosis ÜBER DIE ZULÄSSIGE SCHALLBELASTUNG PRO TAG 3 ANZAHL DREISTÜNDIGER KONZERTBESUCHE BIS ZUM ÜBERSCHREITEN DER „KRITISCHEN LEBENSLÄRMDOSIS“ 4 125 Dezibel sofortiger Schaden möglich 120 Dezibel < 9 Sekunden Mittelungsschallpegel Anzahl Konzerte 115 Dezibel < 30 Sekunden 125 Dezibel 1* 110 Dezibel < 90 Sekunden 115 Dezibel 10* 105 Dezibel < 5 Minuten 105 Dezibel 100* 100 Dezibel < 15 Minuten 95 Dezibel 1.000 95 Dezibel < 48 Minuten 90 Dezibel < 2,6 Stunden 85 Dezibel < 8 Stunden 80 Dezibel zulässig 70 Dezibel unbegrenzt + 85 dB TIPP Informationen zum Thema „Gehörschutz“ finden Sie auf dem Arbeitsblatt 4B „Prävention durch Gehörschutz“ auf Seite 31 dieses Unterrichtskonzeptes. = 88 DEZIBEL UND DOPPELTE SCHALLBELASTUNG 85 dB Für Messungen mit einem Schallpegelmesser finden Sie Messtabellen auf dem Arbeitsblatt 2B „Messtabelle Lärm“ auf Seite 27 in diesem Unterrichtskonzept. *Akute Hörschäden möglich Ein Beispiel: Fünf Minuten bei 105 Dezibel entsprechen der gleichen Schallbelastung wie acht Stunden bei 85 Dezibel. Pegeladdition und Folgen für das Gehör 7 Für einen möglichen Ohrschaden oder die Gefährdung des Gehörs sind die Schallintensität und die Schalldauer entscheidend. Wird der Schallpegel um drei Dezibel erhöht, ergibt sich daraus eine Verdopplung der Schallenergie: Eine Verdopplung der Schallenergie verdoppelt die Gefährdung für das Gehör. Ein Beispiel: Addiert man die Pegel von zwei Instrumenten mit jeweils 85 Dezibel ergeben sich daraus zusammen 88 Dezibel. Ein Schallereignis mit einem Pegel von 88 Dezibel aber hat die doppelte Intensität wie ein Schallereignis mit 85 Dezibel. 115 Dezibel wiederum bedeuten eine 1000-mal höhere Belastung als 85 Dezibel. Einen Unterschied von etwa zwei bis drei Dezibel zwischen zwei Geräuschen kann unser Ohr gerade noch unterscheiden. Erst eine Steigerung von zehn Dezibel zwischen zwei Geräuschen empfinden wir als „richtige“ Verdopplung des Schallpegels. Allerdings entspricht dies einer Verzehnfachung der Schallintensität und damit der Gehörbelastung! 22 TIPP Typische Ausreden zur Vermeidung von Gehörschutz 6 „Es ist warm.“ „Es ist unbequem.“ „Ich bekomme Kopfschmerzen.“ „Für mich ist es eh schon zu spät!“ „Es juckt.“ „Es drückt.“ „Ich kann meine Maschine nicht hören.“ „Ich komme mir komisch vor.“ „Ich kann meine Kollegen nicht hören.“ „Ich schwitze.“ „An Lärm bin ich gewöhnt.“ WISSEN Schwerhörigkeit Das gezielte Hören 5 Menschen, die nicht hören können, lernen nur schwer das Sprechen. Erst durch das Hören, sind Gespräche möglich. Beim Lernen spielt Hören eine große Rolle. Auch im Austausch mit anderen Menschen und bei sozialen Interaktionen. Schwerhörige leiden vor allem an sozialer Isolation. Sie fühlen sich oft von den anderen Menschen getrennt. Das menschliche Gehirn besitzt eine außergewöhnliche Fähigkeit: Wenn in einer Gruppe mehrere Menschen gleichzeitig sprechen, in etwa der gleichen Lautstärke, dann kann sich ein Hörer auf exakt einen Sprecher konzentrieren und verstehen, was dieser sagt. Diese Fähigkeit des gezielten Hörens nutzt der Mensch in vielen Alltagssituationen. Bei einem Gehörschaden leiden zuerst die Funktionen zum Hören der hohen Frequenzen. Und genau die braucht man für das gezielte Hören. Das Knalltrauma nach kurzen, aber hohen Schallspitzen „88 Dezibel sind doppelt so gefährdend wie 85 Dezibel.“ Schallspitzen mit sehr hohen Pegeln sind für das Ohr besonders gefährlich. Man spricht von einem „akuten Lärmtrauma“ oder einem „Knalltrauma“. Sehr hohe Schallspitzen entstehen zum Beispiel durch Feuerwerkskörper und Schüsse, aber auch durch Spielzeuge, Ohrfeigen oder einen Sprung ins Wasser. Trillerpfeifen, Knackfrösche, Tröten oder Quietsche-Enten erzeugen in Ohrnähe Schallspitzen bis 130 Dezibel. Ein explodierender Böller in Ohrnähe oder der Knall einer Spielzeugpistole erzeugen Maximalpegel von über 160 dB. Treten nach einem Schallereignis mit hohem Pegel Beschwerden auf, muss ein Arzt konsultiert werden, um mögliche Dauerschäden zu vermeiden oder zu reduzieren. Kurze aber intensive Knallereignisse werden oft unterschätzt. 23