(20) Tod u. Wiederauferstehung des DUMUZI .rtf

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TOD und WIEDERAUFERSTEHUNG des DUMUZI
und das GOTT-KÖNIGTUM
Anmerkungen zu S.N. KRAMER (1969) : "The Sacred Marraiage Rite.
Aspects of Faith, Myth, and Ritual in Ancient Sumer".
I. Zum historischen Umfeld und zur Datierung:
1) Das Ableben oder der (vorübergehende) Tod des Gottes DUMUZI wurde
in fast allen sumerischen Stadtstaaten alljährlich in feierlichen Zeremonien
beklagt. (S. 132).
( Insofern fühlen wir uns erinnert an Ägypten, wo der Tod des Osiris jährlich
beklagt wurde).
2) In manchen anderen mesopotamischen Städten, in denen Jährliche Rituale
einen "sterbenden und wiederauferstehenden Gott " zum Gegenstand hatten,
trug dieser Gott zwar einen anderen Namen , wurde aber dennoch zum
Dumuzi-Ritual in Beziehung gebracht. (S, 132) : In ISIN z.B. war es der Gott
DAMU, der als "Gott der Heilkraft" in jenem Ritual verehrt wurde, in der
Stadt DER ging es um den Tod des Gottes SATARAN, der als "Gott der
Rechtsprechung" galt ( S.158,n.45) und in ADAB wurde der sterbende und
wieder auferstehende Gott LIL genannt, der dort als Sohn der alt-sumerischen
Mutter-Göttin NINMAH / NINHURSAG verehrt wurde. (S. 159, n. 47).
3) Kramer schreibt eingangs:
" Die unerbittliche Wahrheit war, dass für ein halbes Jahr alle Vegetation
verdorrte und abstarb, und auch das Leben in den Ställen und Schafhürden
unfruchtbar und steril wurde; und das konnte nur bedeuten, dass der für
diese so wesentliche Aktivität verantwortliche Gott gestorben und in die
Unterwelt entschwunden war.
Wie aber war es zu erklären, dass dies geschah (d.h. dass der dafür
verantwortliche Dumuzi starb) obwohl die allmächtige Göttin INANNA ihren
Gatten DUMUZI durch die Heilige Hochzeit unsterblich gemacht hatte ?
(S. 107).
Dies Paradox zu erklären, so Kramer, hätten sich die Mythographen und
Dichter vorgenommen.
Trotz dieser zutreffenden Erkenntnis, dass es sich um das jährliche ,
zeremoniell bejammerte, Absterben des Vegetationsgottes und dessen darauf
folgende Wiederauferstehung handelt, schreibt Kramer in einer Anmerkung
dass die Auffassung Frazers , Dumuzi verkörpere, wie Adonis, Attis , Osiris
u.a. den Typus des archaischen Vegetationsgottes, unhaltbar sei , weil dies der
Komplexität des Problems nicht gerecht werde. (so S. 160, n. 48).
- 2 Gründe für seine Ablehnung führt Kramer nicht an , und sie ist auch nicht
einleuchtend. Bei allen unterschiedlichen Details , die bei einigen der Götter
von den Mythographen im Laufe der geschichtlichen Veränderungen
angebracht wurden, bleibt doch das gemeinsame Kriterium , dass das Ableben
des Gottes in einem eindeutigen Zusammenhang mit der Vegetation steht und
seine Wiederauferstehung an das Wiedererwachen der Natur gebunden ist.
4) Da die von Kramer präsentierte, in sumerischer Sprache verfasste , Dichtung
von "Inannas Abstieg in die Unterwelt" eine bestimmte Erklärung dafür
geben möchte, warum und auf welche Weise es zunächst zum Tod und sodann
zur Wiederauferstehung des Dumuzi kam, hält Kramer sich schlicht und
unkritisch an diese mythographische Deutung (S.107 ff. : "Death and
Resurrection".)
Leider gibt Kramer keine genaue Datierung der von ihm präsentierten, in
sumerischer Sprache verfassten, Version. Er teilt nur mit, dass der von ihm so
genannte sumerische Mythos "Inannas Descent to the Netherworld" älter sei
als die schon früher entdeckte und übersetzte sogen. "akkadische" Version
"Ishtars Descent to the Netherworld", die eine inkomplette Nachbildung der
von ihm vorgelegten sumerischen Dichtung sei. (S. 154, n. 3).
Jene, schon länger bekannte, "akkadische" Version habe zu der falschen
Interpretation geführt, dass Inanna sich in die Unterwelt begeben habe , um
ihren Gatten Dumuzi aus der Unterwelt zu befreien und ihn zurück ins Leben
zu bringen. Diese Interpretation sei jetzt durch den "sumerischen" Mythos
erwiesen als "entirely erroneous" (S. 154 , n. 4). Das Gegenteil sei der Fall:
Inanna habe Dumuzi erst in die Unterwelt ausgeliefert. (aaO.).
Durch den Buchtitel "Aspects of Faith, Myth, and Ritual in ANCIENT
SUMER", erweckt Kramer den Eindruck, es handle sich bei der sogen.
"sumerischen" Version um einen Mythos aus alt-sumerischer Zeit , also aus
vor-akkadischer, mindestens aber aus der Zeit vor dem Untergang der III.
Dynastie von Ur.
Das Bedauerliche ist, dass sich in Kramers Abhandlung weder eine genauere
historische Datierung der sogen. "akkadischen" Version noch der sogen.
"sumerischen" Version findet. Über die historische Entstehungszeit kann der
Leser deshalb nur Vermutungen anstellen:
5) In seiner Abhandlung weist Kramer mehrfach auf die grosse Zahl
verschiedener Versionen des Mythos vom Tod des Dumuzi hin (z.B. S. 126 ff.)
und datiert jene Texte, auf die er sich bezieht, auf den "Beginn des 2.
Jahrtausends".
Daraus folgt:
Die Texte sind frühesten nach dem
Untergang der III.Dynastie von Ur, (S.133) d.h. nach dem Untergang der
Kultur Sumers, oder in der späteren ISIN-Zeit (S. 157, n. 28), vielleicht sogar
- 3 erst zur Zeit des babylonischen Königs Hammurabi entstanden, also um 1720
v.Chr. , was ja auch noch in den "Beginn des 2.Jahrtausends" fällt.
Kramer geht also -wie so oft- historisch aüsserst sorglos vor.
Immerhin warnt er den Leer in einer Fußnote, dass in vielen Fällen
Übersetzungen jener als " sumerisch-akkadisch" bezeichneten Texte, die
"oft erst aus babylonischer Zeit" stammten, mit Skepsis zu betrachten seien
und erst recht die daran geknüpften Interpretationen. ( S. 158 , n. 46 ).
Diesem Rat folgend werde ich den von Kramer präsentierten "sumerischen"
Text sehr genau auf verräterische Details untersuchen und dabei immer
bedenken, dass jene Version, die zwar in sumerischer Sprache verfasst ,
vielleicht aber erst zur Zeit des babylonischen Amoriter-Königs Hammurabi
gedichtet wurde. Man möge meine wissenschaftliche Genauigkeit nicht als
Pedanterie abtun.
Verräterisch ist , dass der in sumerischer Sprache schreibende Dichter den Gott
ENKI die sumerische Göttin INANNA nicht, wie es üblich war, " QUEEN
of Heaven" nennen läßt, sondern "HIERODULE of Heaven" (S. 115).
Dies für jeden Sachkenner so bemerkenswerte Detail bedarf einer genauen
Analyse.
Was die Griechen als
HIERODULEN (wörtlich als "Heilige Sklaven/
Diener") bezeichneten, waren im Alten Orient die TEMPEL-SKLAVEN, auf
Frauen bezogen diejnigen Tempel-Sklavinnen, die dort, im heiligen Bezirk,
die niederen Arbeiten verrichteten und die sich in späteren Zeiten auch der
sogen. "Tempel-Prostitution" hingaben . Zur Zeit Hammurabis wurden dann
auch diejenigen Priesterinnen so genannt, die sich im Ziqqurat des
babylonischen Stadt-Gottes Marduk bereit hielten, um dem Gott als "Sklavin
der Lust" zu dienen. Die Dienstbezeichnung der Sklavin einer Priesterin ging
also über auf die Priesterin selbst, die zur Sklavin des Gottes wurde. Auf
jeden Fall ist dadurch eine menschliche oder göttliche Sklavin gekennzeichnet.
Dass die Grosse Göttin INANNA, die "HERRIN des Himmels und der Erde"
von einem Dichter oder Mythographen im Alten Sumer , in "ANCIENT
SUMER", als "SKLAVIN des Himmels" bezeichnet worden wäre, wie dies
der Mythograph dem Gott ENKI in den Mund legt, ist völlig undenkbar.
Selbst die Göttin ISHTAR, die der Akkad-König Sargon ab 2.200 v.Chr. an
Inannnas Stelle zu setzen versuchte, liess der König noch verehren als "Starke
Königin der Erd-Götter , Höchste unter den Himmels.Göttern", und mit
Ishtar begann schon die Reduktion der Göttlichen Grösse der INANNA, die in
Sumer schon vor 3.000 v.Chr. verehrt wurde.
- 4 Dass Kramer eine solche, die Göttin verunglimpfende, Wortwahl wie
"Hierodule" kommentarlos hinnimmt, zeigt wiederum, wie historisch sorglos
und ungenau er arbeitet.
Kramers Vorurteil und sein Bemühen, Inanna in ein dubioses und möglichst
negatives Licht zu setzen, wird ferner erschreckend deutlich, wenn er anmerkt,
Inanna sei allgemein bekannt für ihre verschlagene Hinterlist (S. 117). Als
Beleg für diese Herabwürdigung führt Kramer das Gilgamesh-Epos an, (S.
155, n. 12 ) das , wie wir wissen, erst um 1.100 v. Chr. vom babylonischen
Priester SIN- LEQUE UNNINI verfasst wurde und in welchem der Dichter
seinem Helden Gilgamesh die übelsten Beschimpfungen der Inanna in den
Mund legt.
Dass Schmähungen und Verunglimpfungen der Göttin Inanna/Ishtar, die ein
Priester Gilgamesh 1.500 Jahre nach dessen Tod in den Mund legt, hier von
Kramer angeführt werden, um zu belegen, dass INANNA schon im Alten
Sumer eine berüchtigte 'femme fatale' gewesen sei, ist nicht nur unhaltbar,
sondern, das muss man Kramer vorwerfen, zeigt eine skandalöse
Geschichtsfeindlichkeit..
Wir wissen damit, was wir von der kulturwissenschaftlichen Qualität dieses
Autors zu halten haben.
II. Inhalt der Dichtung
(Nach Kramer, aaO. Kapitel 6: "Death and Resurrection".)
1) Da es "im Alten Sumer" die Heilige Hochzeit mit INANNA , ( der Göttin
des Himmels und der Erde, zugleich Göttin der Fruchtbarkeit,) war , die einen
König legitimierten , gab es , nach den alten Mythen, zwei Rivalen, die sich
um die Hochzeit mit INANNA bewarben: Den Hirten DUMUZI und den
Ackerbauern ENKIMDU. Dumuzi , Sohn der SIRTUR (S. 169) , dessen
Vater , nach Kramer, der Wassergott ENKI war (S. 156, n. 25), erreichte sein
Ziel und wurde durch die Heilige Hochzeit zum "HIRTENKÖNIG", der aber
alsbald zugleich alle Qualitäten des unterlegenen Ackerbauern annahm. (S.
154, n. 1 ). INANNA machte durch die Heilige Hochzeit ihren Bräutigam
Dumuzi zum GOTT und verlieh ihm UNSTERBLICHKEIT (S. 107). Die
Dichtung betont, dass König Dumuzi kein sterblicher Mensch, sondern ein
Gott sei, weil er der Gemahl der Göttin war. (S. 126).
Der Gott-König DUMUZI trägt eine "Heilige Krone" (S.129) und erfreut
sich auch des königlichen Sexualvorrechtes des ius primae noctis (S. 128),
wie es uns ja auch von König Gilgamesh überliefert ist.
- 5 2) INANNA ist , nach Kramer, die Tochter der NINGAL (S. 130, 168), der
"Grossen Göttin", und als ihren Vater bezeichnet Kramer den Mondgott von
Ur, NANNA (S. 112, 168), ohne anzugeben, von welchem historischen
Zeitpunkt ab die schon seit 3.000 v. Chr. verehrte "Göttin des Grossen
Oben", die "Queen of Heaven and Earth" von den Mythographen
umgeschrieben wurde zur Tochter des Mondgottes. Dass diese Genealogie nicht
aus der sumerischen Frühzeit stammt, habe ich in Anm. 20 meines Buches
"Di Erfindung der Götter" ausgeführt. ( S 398 ff.).
In der Dichtung, die Kramer uns präsentiert, wird Inanna jedenfalls nicht nur
als "Tochter des Nanna", sondern auch als "Tochter des Enlil" und als
"Tochter des Enki" bezeichnet (S. 109, 112). Nach und nach werden der
Grossen Göttin des ALLS (AN.KI) drei Väter zugeordnet. Relikte einer
anderen Genealogie.
INANNA ist, nach Kramers eigenwilliger Interpretation, nicht damit zufrieden,
nur die "Herrin des Grossen Oben" , d.h. des " Himmels und der Erde" zu
sein. Machtgierig greift die "Queen of Heaven and Earth" auch nach der
Herrschaft über das "Grosse Unten", die Unterwelt, dessen Königin die
Göttin ERESHKIGAL, Inannas Schwester , ist. ( S. 108, 112, 154, n. 4 ).
Eine solche Usurpationsabsicht wird in der Dichtung selbst indessen mit
keinem Wort erwähnt.
Um in das "Grosse Unten", das "Land ohne Wiederkehr", zu gelangen, muss
Inanna die " 7 Tore zur Unterwelt" durchschreiten, an jedem Tor ein
königliches Schmuck- oder Kleidungsstück ablegen, zuerst die shigurra, die
"Krone der Steppe" (S. 109, 113), danach ihren gesamten königlichen
Schmuck und schliesslich ihr Prachtgewand, so dass die Göttin, alles Irdischen
entblösst, völlig nackt in die Unterwelt eintritt. (S. 109, 113).
3) In der Unterwelt herrscht die Göttin ERESHKIGAL, Schwester der
Inanna und deren "erbitterte Feindin" (S. 109, 113).
Kramer führt aus, dass Ereshkigal identisch sei mit der Göttin NIN.LIL, der
Gattin des sumerischen Haupt-Gottes EN.LIL und erklärt, wie NINLIL in die
Unterwelt kam: ENLIL hatte einst NINLIL, als diese noch JUNGFRAU war,
vergewaltigt. Als Strafe für dieses Verbrechen hatten die
"GÖTTER
NIPPURS" ENLIL verurteilt und in das " Land ohne Wiederkehr"
verbannt. Von Liebe entbrannt war NINLIL, die ach so treue EHE-Frau , ihm
dahin gefolgt, wo sie dann drei göttliche Kinder zur Welt brachte (S. 155, n.
10).
Zu welcher historischen Zeit der Höchste der sumerischen Götter, "VATER
ENLIL", der "KÖNIG DER GÖTTER", in der Vorstellung der Mythographen
so tief gefallen und hierarchisch abgesunken war, , dass seine vormaligen
- 6 Untertanen, die "Götter von Nippur" ihren König aburteilen und in die
Unterwelt verbannen konnten, erläutert Kramer nicht, und er hält es, in seiner
a-historischen Oberflächlichkeit, auch nicht für erklärungsbedürftig.
4) In der Unterwelt tritt Inanna nackt vor die auf ihrem Thron sitzende
Ereshkigal/Ninlil. Die ist umgeben von " 7 Richtern der Unterwelt", den
ANUNNA. Diese verurteilen Inanna zum Tode und durch ihren
"Todesblick" und einen Schlag verwandelt Ereshkigal die an sich ja
"unsterbliche"
Inanna in einen Leichnahm, den sie an einem Nagel
aufhängen lässt. (S. 114).
Die in der Dichtung erwähnten ANUNNA sind , so Kramer, identisch mit den
ANUNNAKI ( S. 155, n. 9 und S. 163).
Auch hier arbeitet Kramer sehr oberflächlich: Er erwähnt zwar im Glossar,
dass die "Anunna" ursprünglich einmal "Himmels-Götter" gewesen seien,
von denen einige "in Ungnade fielen und in die Unterwelt verbannt
wurden". ( S. 163). Welche Gottheit zu welcher Zeit die Macht hatte, ein
solches Straf-Urteile über andere Götter zu fällen, teilt Kramer dem Leser
nicht mit, was unbedingt notwendig gewesen wäre:
Dass zur Zeit der sumerischen Kultur INANNA , als "HERRIN des
Himmels" logischerweise "die Stolzeste aller ANUNNA-Gottheiten war,
deren Befehle alle anderen Anunna zum Kriechen veranlassten"
und dass " Ohne Zustimmung der INANNA kein Rechtsbeschluss der Anunna
wirksam ist"
(so Gebhard J. SELZ :"Sumerer und Akkader", CH Beck,
2005, S.68) erfährt der Leser bei Kramer nicht.
Auch dieses Detail macht deutlich, dass es zur Zeit der sumerischen Kultur
undenkbar gewesen wäre, dass Inanna , als "Höchste der Anunna" sich
selbst zum Tode verurteilt.
Diese aufschlussreichen Details zeigen uns wiederum , dass Kramers
"sumerischer" Text nicht aus der Zeit des Alten Sumer, des "Ancient
Sumer" , wie der Autor vorgibt, stammen kann.
Völlig unverständlich ist desweiteren, dass die sumerische Hochgöttin
INANNA, die sich ja den "sterblichen Menschen" gegenüber durch ihre
"Unsterblichkeit" auszeichnet und sogar fähig ist, ihrem Gemahl Dumuzi
Unsterblichkeit zu verleihen (vgl. oben II.,1 ), plötzlich als gewöhnliche
Sterbliche dargestellt wird, gerade so, als wäre sie eine menschenartige
"Sklavin", eine "Hierodule", die den Tod erleiden und in einen Leichnahm
verwandelt werden kann.
-- 7 Durch alle diese Ungereimtheiten, die absolut nicht auf die "Queen of Heaven
and Earth" passen, die Inanna in der alt-sumerischen Kultur war, bevor
Himmel und Erde von EN.LIL
getrennt und anderen, männlichen Göttern
zugewiesen wurden, lässt sich Kramer indessen nicht beirren.
(Die Entmachtung der Inanna, die Übertragung ihres Himmels auf An und
ihrer Erde auf Enlil, später Enki, habe ich in Anm. 20 meines Buches
dargelegt , S. 398 ff.).
5) Weiter in der Dichtung : Inanna hatte vorsorglich ihre treue Vizirin
Ninshibur beauftragt, falls sie nach " 3 Tagen und 3 Nächten" nicht aus dem
Land ohne Wiederkehr zurückkäme, für Rettung zu sorgen. (S. 114).
Weisungsgemäss bittet die Vizirin im analysierten Mythos zunächst den GötterVater ENLIL , der die Rettung der Göttin ablehnt , danach den Mondgott
NANNA, der ebenfalls die Hilfe verweigert. (S. 114).
Nach Kramers
eigenwilliger Interpretation verweigern sie die Wiederauferstehung der
Inanna, "weil die Göttin unrechtmäßig die Herrschaft über die Unterwelt an
sich reissen wollte" (S. 114), obwohl die Dichtung selbst auf eine solche
Ambition keinen Hinweis gibt.
Beim dritten Versuch hat die Vizirin Erfolg: Aus Gründen, die in der Dichtung
nicht erklärt werden, erbarmt sich ENKI, der zu jener Zeit als der klügste und
raffinierteste der Hochgötter gilt, und entwirft einen sehr merkwürdigen
Rettungsplan (S. 115), den ich referieren möchte, weil jener Text, den der
Dichter uns zumutet, als verschrobenes priesterliches Konstrukt erscheint:
Enki nimmt etwas von dem Dreck, den er unter seinen Fingernägeln hat
und erschafft daraus zwei geschlechtslose Kreaturen: KALATUR und
KURGARRA , denen er folgendes Vorgehen einschärft:
"In der Unterwelt werdet ihr Ereshkigal nackt und in grossen Schmerzen sich
windend vorfinden, weil sie gerade ihre Kinder zur Welt bringt." (S. 116).
(Sie ist ja NINLIL, wie Kramer uns belehrt hatte, - s. oben Ziffer 3 ).
Enki fährt fort:
" Ereshkigal wird folgende Klage äussern: > WOE, my inside ! <
Darauf antwortet: < You who sigh, our queen, OH, your inside>.
Sodann wird sie klagen : > WOE, my outside! <
Darauf antwortet: < You who sigh, our queen, OH, your outside > (S. 116).
Darauf wird die Gebärende zu euch sagen: >Whoever you are, as you have
said : 'From my inside to y o u r inside, from my outside to y o u r
outside' , if you are Gods, I shall pronounce a word for you, if you are men I
shall decree a fate for you.>. "
- 8 "Sobald sie dies zu euch gesagt hat, lasst sie bei Himmel und Erde schwören,
dass sie ihr Versprechen halten wird. Trinkwasser und Getreide wird sie euch
anbieten, lehnt es ab. Dann sagt zu ihr:
< Give us the corps hung from the nail> und sprüht sofort das 'Wasser des
Lebens' und die 'Speise des Lebens' , die ich euch jetzt gebe, auf den
Leichnahm und sofort wird Inanna auferstehen. " (S. 116).
In der Unterwelt läuft alles nach Enkis Plan, und Inanna kehrt
wiederauferstanden in ihr Reich, das "Grosse Oben", zurück.
Aber der Dichter hat noch weitere Überraschungen bereit: Der weise Enki
hatte ein göttliches Gesetz übersehen, welches vorschreibt, dass selbst eine
Gottheit das "Grosse Unten" nur verlassen kann, wenn sie einen Ersatz stellt
(S. 116) und der Substitut muss ebenfalls eine Gottheit sein (S. 117). Um
sicherzustellen, dass Inanna diesen Ersatz stellt, verfolgen fünf oder sieben
GALA, schreckliche Unterwelt-Dämonen, die Göttin und bedrängen sie
unaufhörlich (S. 117).
Inannas Söhne, der Gott SHARA von UMMA und der Gott LULAL von
BADTIBIRA zerreißen sich beim Anblick ihrer von Dämonen gehetzten
Mutter die Kleider und brechen in Tränen und Wehklagen aus. (S. 118). Nicht
so, als die Göttin zuhause ankommt , in Kullab, dem Heiligen Bezirk von
Uruk:
Dort sitzt ihr Gemahl Dumuzi zufrieden und kaltherzig auf seinem
Königsthron, ohne dass ihn der herzzerreißende Anblick der von den
schrecklichen Dämonen bedrängten Inanna rührt . (S. 119). Um Dumuzi für
seine "Undankbarkeit und Treulosigkeit" zu strafen, meint Kramer (S. 119,
121) liefert sie ihren Gemahl den Dämonen aus. Es hilft Dumuzi nicht, dass er
ihnen entgegenhält, er sei "kein sterblicher Mensch, sondern ein Gott und der
Gemahl einer Göttin" (S. 126).
Jetzt nutzt der Dichter die Chance zum thriller und schildert in grosser
Ausführlichkeit die vergeblichen Fluchtversuche, Verfolgungsjagden und
qualvollen Folterungen.
Diese Verfolgung des Dumuzi durch die Dämonen, so lässt uns Kramer wissen,
gibt es in vielen Versionen. (S 127).
Für uns ist aber nur noch wichtig, welche Rolle GESHTINANNA, der
Schwester des Dumuzi, vom Mythographen zugeschrieben wird: Sie versucht
nämlich , ihrem Bruder auf jede Weise zu hefen, den Dämonen zu entkommen,
wird selbst gefoltert, aber schweigt und verrät nicht Dumuzis Versteck.
- 9 Als die Gala den unsterblichen Dumuzi schliesslich dann doch finden und
töten und in die Unterwelt verbringen wollen, bietet sich die liebende
Schwester als Ersatz-Opfer an.
Inanna fällt ein salomonisches Urteil: Dunuzi und seine Schwester sollen
einander in der Unterwelt ablösen, so dass jeder von beiden jeweils nur ein
Halbjahr dort verbringen muss, während der andere jeweils aufersteht zu den
Lebenden. ( S. 121).
Der kritische Leser spürt die Absicht dieser Dramaturgie:
INANNA soll als hartherzige und selbstsüchtige Ehefrau hingestellt werden,
die , nur darauf bedacht, ihre eigene Haut zu retten, ihren Gatten opfert.
Alle Achtung des Dichters (und auch die Kramers) gebührt dagegen Dumuzis
edler Schwester, die , ganz weibliches Ideal, großherzig und voller selbstloser
Liebe die Opferrolle annimmt, bereit
" to save him by making the supreme sacrifice- she offers to take Dumuzis
place in the Land of no return. Inanna can hardly refuse this generous
gesture"
(so formuliert Kramer seine Begeisterung S.121).
Hier fällt aufmerksamen LeserINNEN auf, dass keiner der Herren daran
Anstoß nahm, dass ENLIL , um seiner Verbannung in die Unterwelt zu
entkommen, die von ihm geschwängerte NINLI als Substitutin dort sitzen
liess. (vgl. oben Ziffer 3 ) und ihr Opfer als selbstverständlich hinnahm.
Patriarchale Ideologie: Ein liebend Weib opfert sich selbst-los dem Mann : Die
Schwester dem Bruder und eine treue Ehefrau folgt liebend ihrem Ehe-Herrn
in den Tod. Wir fühlen uns erinnert an die "Witwenfolge", die SATI der
Arier.
6) Soweit die Geschichte, die wir als aitiologischen "Mythos" erkennen, der
den Menschen die Ursache erklären soll, wie es vor langer Zeit dazu kam, dass
der Gott DUMUZI jedes Jahr wieder "stirbt" oder, genauer, für das
vegetationslose Halbjahr in die Unterwelt entschwindet und ein halbes Jahr
später wiederaufersteht und für ein Wiedererwachen der Vegetation sorgt.
Es ist erstaunlich, dass Kramer nicht erkennt, dass es sich bei dieser Dichtung
um einen klassischen "ätiologischen" Mythos handelt, der verfasst wurde,
nachdem der Glaube an den archaischen Fruchtbarkeits- und Vegetations-Gott
bereits verblasst und obsolet geworden war, weil zu jener Zeit männliche
Götter für weit mehr und für Wichtigeres verantwortlich waren, als für die
Vegetation und deshalb mussten die Priester nach -weit hergeholtenGründen für ein einst selbstverständliches Geschehen suchen.
- 10 Dabei erkennt Kramer das Dilemma der Mythographen
denn er schrieb ja:
weitgehend richtig:
"Die unerbittliche Wahrheit war, dass für ein halbes Jahr alle Vegetation
abstarb und auch das Leben in den Ställen und Schafhürden unfruchtbar
und steril wurde, und das konnte nur bedeuten , dass der für diese Aktivität
verantwortliche Gott Dumuzi gestorben und in die Unterwelt entschwunden
war. Wie aber war es zu erklären, dass dies geschah, obwohl die allmächtige
Göttin INANNA den für jene Aktivitäten verantwortlichen DUMUZI durch
die Heilige Hochzeit zu einem UNSTERBLICHEN gemacht hatte". (S.
107).
Kramer erkennt also , dass Dumuzi in gerade zu klassischer Weise dem
Archetypus des Vegetationsgottes entspricht. Dennoch wehrt er sich dagegen,
ihn als typischen Vegetationsgott gelten zu lassen. ( s. oben I. Ziffer 3 ).
Diese Weigerung führt ihn zum Schluss seiner Abhandlung zu der Erkenntnis:
"Wenn Dumuzi nicht durch seinen Tod die Göttin der Fruchtbarkeit,
INANNA, aus der Unterwelt erlöst hätte, wäre alles Leben auf Erden zu
einem Ende gekommen". ( S.133).
Im Klartext heisst das : Inanna musste Dumuzi opfern, denn SIE ist es, die
alljährlich die Fruchtbarkeit und die Vegetation wieder zu neuem Leben
erweckt und damit auch den Vegetations-Gott Dumuzi, der ja für das Leben
und die Fruchtbarkeit in den Ställen und Schafhürden die Verantwortung trägt
(so S . 130).
Was also soll das Ganze? Was bleibt?
+ Die Göttin, die einst so gross und " die Stolzeste war, dass alle ANUNNA
vor ihr krochen", wird so weit degradiert, dass die ihr einst hörigen AnunnaGötter sie jetzt zum Tode verurteilen.
+ Inanna wird in der Götterhierarchie so tief nach unten herabgesetzt , dass
sie , wie eine billige Hierodule ihre Unsterblichkeit einbüßt.
+ Statt ihrer ist ENKI Herr über Leben und Tod: ER verfügt über das
"Wasser des Lebens" , IHM verdankt die Göttin ihre Wiederauferstehung.
All dies zeigt hsitorisch sachkundigen KulturwissenschaftlerINNEN , dass die
vorliegende, in sumerischer Sprache verfasste , Dichtung mit der INANA der
sumerischen Kultur nichts mehr gemein hat.
- 11 7) Es ist nur ein schwacher Trost, dass Kramer seinen Lesern nicht
vorenthält, dass es mehrere Mythen gibt, die Inanna nicht als für die am
Tode Dumuzis Schuldige hinstellen, sondern als liebevolle Gattin, die
jedes Jahr Dumuzis Entschwinden in die Unterwelt beklagt. (S. 127 bis
132).
Interessant an den von Kramer präsentierten Texten ist, dass Inanna klagt:
"My husband has been turned over to the pants." (S. 128) und während sie
ihre grosse Liebe beteuert, lassen die Mythographen die Göttin an sechs
Stellen des vorliegenden Textes Dumuzi ihren "Gatten und Sohn" und ihren
"Bräutigam und Sohn" nennen , "der zu den Planzen gegangen" sei und
"einen falschen Schlaf schläft". (S. 129).
All dies steht
-als Relikt- im Einklang mit den religionshistorischen
Befunden, dass der Typus des Vegetations-Gottes ein Aspekt des archaischen
Fruchtbarkeits-Gottes ist, der als " SOHN- Geliebter" mythographiert wurde ,
der die Heilige Hochzeit mit der Göttin der irdischen Fruchtbarkeit, seiner
Mutter, zelebrierte.
Hätte Kramer die tiefschürfenden Arbeiten des britischen Religionshistorikers
E.O. James rezipiert, wäre ihm dieser offensichtliche Zusammenhang nicht
unbekannt , und er hätte dem Leser nicht eingeschärft, "dass Dumuzi nicht
Inannas Sohn gewesen sei, sondern dass dies nur bedeute, sie liebe ihren Gatten
so, wie eine Mutter ihren Sohn liebt." (so S. 156, n. 24). si tacuisses !
Denn: Dass selbst noch die griechische Göttin GAIA als "Mutter aller
Götter" auch die Mutter ihres Gatten Uranos ist, des Himmelsgottes, mit dem
sie
im historischen Verlauf das erste Ur-Elternpaar bildet, belegt dies
religionshistorische Faktum eindeutig.
Zu meiner Kritik an Kramer vgl. auch * Kapitel X. 12. 1. sowie zum Thema
meine Anmerkungen 18 d ; 19 ; 20 ; 20 a .
III. GOTT-Königtum in den sumerischen Stadtstaaten
Der vorstehende Mythos ist zudem ein Hinweis darauf, dass die
frühdynastischen sumerischen Könige vergöttlicht wurden, es gibt für diese
Annahme folgende Gründe :
DUMUZI wird in der, aus semitischer Zeit stammenden , sogen "Königsliste"
erwähnt als König von Uruk und herrschte , nach Auffassung der
Sumerologen , irgendwann in der Zeit zwischen 3.200 und 2.800 v.Chr. , auf
- 12 jeden Fall vor Gilgamesh. Dumuzi war ja mit Sicherheit ein vergöttlichter
König, über den uns die Mythographen berichten, dass er von der
Himmelsgöttin INANNA erwählt und zum König erhoben wurde. (Heilige
Hochzeit).
Dumuzi war durch diese Verbindung mit der Göttin, unsterblich geworden ,
wie ein Gott; denn nach seinem Tod als sumerischer König lebte er weiter als
unsterblicher Gott, und zwar die eine Hälfte des Jahres bei der "Göttin des
Grossen Oben", im Himmel und auf der Erde , die andere Hälfte bei der
"Göttin des Grossen Unten", bei Inannas Schwester Erishkigal, in der
Unterwelt. Der ehemalige König wurde also deifiziert , und zwar mit den
Merkmalen eines Vegetations-Gottes.
Bei dieser Vorstellung haben wir davon auszugehen, dass ein solcher Mythos
von den königlichen Mythographen mit der Absicht verfasst wurde, dass allen
sumerischen Königen das gleiche Schicksal der göttlichen Unsterblichkeit von
der Göttin, die sie erwählt und auf den Thron gehoben hatte, zuteil werden
würde. (Ähnlich,wie jeder Gott-König Ägyptens im Tode zu Osiris wurde.)
Daraus müssen wir den Schluss ziehen, dass der Dumuzi-Mythos, der seit
spätestens 2.700 v.Chr. verfasst war, auch in UR das Denken bestimmte:
Auch die Könige von UR nahmen (wie die von URUK und den anderen
Stadtstaaten) , das göttliche Privileg der Unsterblichkeit für sich in Anspruch,
um ihren Untertanen ihre Auserwähltheit vor Augen zu führen.
Dass es den Mythos gab, dass auch die Könige von Ur - wie der vergöttlichte
Köng von Uruk , Dumuzi - nach ihrem Tod als Götter fortleben würden,
beweisen die "Königsgräber von Ur".
Nur wegen der Vergöttlichung der Könige und Königinnen ist es zu erklären,
dass Untertanen die Hoffnung schöpfen konnten, teilzuhaben am göttlichen
Schicksal der Unsterblichkeit,
wenn sie auch im Tode in der Nähe des
Unsterblichen blieben. GOTT-Könige garantierten auch ihren Gefährten
im Grabe das ewige Leben, die Unsterblichkeit. Deshalb gingen die
Gläubigen ohne äusseren Zwang mit ihrem Gott-Köng ins Grab.
Wer von Inannas für die königliche "Heilige Hochzeit" erwählt worden ist,
und das waren alle Könige Sumers, hat schon dadurch an INANNAS
Göttlichkeit und Unsterblichkeit teil.
ENMERKAR , König von Uruk (ca. 2.800 v. Chr.) vor Gilgamesh und dessen
Vater
LUGALBANDA
, sowie die anderen frühdynastischen Könige,
verdanken der Göttin nicht nur ihre Köngswürde, sondern durch die Heilige
Hochzeit mit ihr haben sie auch teil an dem göttlichen Privileg der
Unsterblichkeit.
Dies ist das grosse Geschenk der Göttin: denn sie ist
schliesslich die Schicksalsgöttin des Lebens und des Todes.
- 13 Erst in dem von Semiten, fast zwei Jahrtausende später, verfassten
Gilgamesh-Epos, werden Zweifel daran laut, ob der Uruk-König Gilgamesh in
seiner Suche nach Unsterblichkeit wirklich Erfolg hat.
Das "Gilgamesh-Epos" wurde ja erst sechs Jahrhunderte nach der Herrschaft
des Amoriter-Königs Hammurabi verfasst, als der Glaube an ein GottKönigtum bereits zerbröckelt war.
Die Annahme, erst die Akkader hätten ihre Könige vergöttlicht, nicht
hingegen die Sumerer, beruht auf der irrigen Annahme von H. Frankfort der
meint , die sumerischen Könige seien demokratisch gewählte Könige gewesen
und die Königsgräber von Ur seien in Wahrheit gar keine Königsgräber
gewesen. Eine Annahme deren Unhaltbarkeit ich ja eingehend dargestellt habe.
( *S. 199 ff.)
Gerhard Bott *
*Die Erfindung der Götter. Essays zur politischen Theologie.
ISBN 978-3-8370-3272-7
vgl. ferner in diesem Blog:
"Sumerische" Götter-Genealogien ,
Lilith und "Lilithisierung" ,
Reflexionen zur Sozialpsychologie des GOTT-Königtums ,
Sumerer, Semiten , Indoeuropäer : Streitwagen-Krieger .
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