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DeutschlandRadio Kultur
Forschung und Gesellschaft am 27. Mai 2010
Redaktion: Peter Kirsten
Wie viele Arten braucht ein Ökosystem?
-Zum Stand einer alten Debatte im Jahr der Biodiversität –
Von Peggy Fuhrmann
____________________________________________________________
Regie
Atmo 1 (Morgen/erste Kraniche), frei stehen lassen, dann unter folgenden
Text legen und am Ende kreuzblenden mit Atmo 2
Spr.in
Ein Februarmorgen an der Ostsee-Boddenküste südlich der Halbinsel
Fischland-Darß-Zingst. Im seichten Wasser steht eine riesige Ansammlung
großer graugefiederter Vögel: 19.000 Kraniche haben dort übernachtet;
und die ersten sind nun erwacht. Kurz darauf kommt Bewegung in die
gesamte Schar.
Regie
Atmo 2: (Morgenflug der Kraniche) frei stehen lassen, dann unter
folgenden Text legen
Spr.in
Während ein zartes Rot am Himmel den Sonnenaufgang ankündigt, fliegen
die Kraniche in großen Gruppen zu ihren Futterplätzen auf dem Festland.
Die Köpfe weit vorgestreckt, die Beine nach hinten gelegt, nahen sie mit
mächtigen Flügelschlägen. Jede Schar in der charakteristischen
Keilformation. In wenigen Tagen werden die meisten weiterziehen nach
Skandinavien in ihre Brutgebiete.
Regie
Atmo 2: (Morgenflug der Kraniche) noch einmal hochziehen, dann unter
Text legen
2
Spr.in
Es ist in unseren Regionen das spektakulärste Naturereignis überhaupt,
wenn im Frühjahr und Herbst etwa 100.000 im Norden beheimatete Watund Wasservögel – darunter auch die Kraniche - während ihres Zuges im
Nationalpark ”Vorpommersche Boddenlandschaft” rasten. Mit seinen
Flachwasserzonen, Windwatten, Salzwiesen, Schilfgürteln und den Feldern
im Hinterland ist er der wichtigste Rastplatz der Vögel in Mitteleuropa.
Viele Zugvögel, aber auch dauerhaft im Nationalpark lebende Tiere, hat
das riesige Naturschutzareal vor dem Aussterben bewahrt.
Spr.
1400 Nationalparks gibt es heute weltweit. Mit diesen besonders
großräumigen Schutzarealen setzte sich rund um den Globus der Gedanke
durch, Tiere und Pflanzen durch die Bewahrung ihrer Lebensräume zu
erhalten - während früher statt komplexer Ökosysteme vor allem einzelne
bedrohte Tiere und Pflanzen unter Schutz gestellt wurden. Mit ihrer 1992
beschlossenen „Convention of Biological Diversity“ verliehen die UNOMitgliedsstaaten diesem Konzept des Ökosystemschutzes Nachdruck. Den
rasanten Artenschwund konnten sie dennoch bisher nicht stoppen. Heute
sind von den geschätzten 15 Millionen Arten weltweit etwa ein Drittel aller
Tiere und 70 Prozent der Pflanzen gefährdet.
Spr.in
Mit dem „Jahr der Biodiversität“ fordert die UNO nun weltweit größeres
Engagement für die Bewahrung der biologischen Vielfalt. Wobei der
Begriff der Biodiversität neben der Vielfalt der Arten auch die genetische
Vielfalt innerhalb der einzelnen Arten sowie die Vielfalt von Ökosystemen
umfasst. Das Artensterben gefährdet auch diese weiteren Elemente der
natürlichen Vielfalt.
Spr.
Neben verstärktem Naturschutz soll weltweite Forschung helfen, die
Biodiversität zu bewahren. In Deutschland widmet sich neben anderen
wissenschaftlichen
Instituten
das
Helmholtz-Zentrum
für
Umweltforschung diesem Ziel besonders intensiv.
Spr.in
Eine grundlegende Frage ist, wie stark die Stabilität eines Ökosystems von
seiner Artenvielfalt abhängt, erklärt Dr. Stefan Klotz. Er leitet die
Abteilung Biozönoseforschung am Helmholtz-Zentrum:
3
Regie
Wort-Take 1 (Stefan Klotz)
Es gab vor Jahren schon die ersten Experimente, wo man die
Artenzahl in Systemen bewusst manipuliert hat. Man hat also
verglichen, Systeme nur aus einer Pflanzenart, aus zwei Arten, drei
Arten bis über 30. Und hat dann geguckt, wie produktiv sind diese
Systeme. Und da hat man sehr klar feststellen können, da jede Art
andere Ansprüche hat und eine andere Nische im System nutzt,
kann beim Fehlen dieser Art ein Teil der möglichen Ressourcen
nicht ausgenutzt werden. Und man hat sehr klar gefunden einen
positiven Zusammenhang Artenvielfalt und Produktivität des
Systems. Mit anderen Worten konnte da experimentell der
Nachweis geführt werden, dass Artenverlust zum Leistungsverlust
in Systemen führt.
Spr.
Die Leistungsfähigkeit einer Lebensgemeinschaft aus Bodenorganismen,
Pflanzen und Tieren zeigt sich auf verschiedene Weise: Intakte
Ökosysteme produzieren viel Biomasse, sorgen für sauberes Trinkwasser,
für natürliche Schädlingsbekämpfung und Bestäubung von Pflanzen.
Regie
Wort-Take 2 (Stefan Klotz)
Generell gilt: je mehr Arten, umso höher die Leistungsfähigkeit.
Aber es ist nicht egal, welche Arten das sind, da die einzelnen Arten
unterschiedliche Nischen einnehmen, bzw. auch unterschiedlich
leistungsfähig sind. Sodass die Frage der Vielfalt nicht nur allein
gestellt werden kann, sondern, welche Arten leisten welchen Beitrag
im Ökosystem. Beispielsweise die Schmetterlingsblüte - wo unsere
Bohne, Erbse dazu gehören - aber auch der Rotklee, Weißklee, leben
ja in Symbiose mit Knöllchenbakterien, die Luftstickstoff fixieren.
Also die leisten einen großen Beitrag zur Produktivität der Systeme,
weil sie ne zusätzliche Stickstoffquelle erschließen.
Spr.
Dieser Stickstoff ist ein natürlicher Dünger und bewirkt, dass auch weitere
Pflanzen gut gedeihen können. Und Pflanzenvielfalt ist wiederum die
Basis jedes funktionierenden Ökosystems. Denn:
Regie
Wort-Take 3 (Stefan Klotz)
Die Pflanzen sind die Grundlage für viele Nahrungsketten von
Insekten oder auch von Säugetieren, sodass natürlich auch
Pflanzenartenvielfalt oder Vielfalt bei den Primärproduzenten
immer Vielfalt auch bei Konsumenten, also bei Tieren und
Mikroorganismen nach sich zieht.
4
Spr.
Wegen dieser wechselseitigen Abhängigkeiten setzt das Sterben einer Art
oft eine Negativspirale in Gang. Denn die auf sie angewiesenen
Organismen haben dann ebenfalls keine Überlebenschance mehr.
Regie
Wort-Take 4 (Stefan Klotz)
Wenn man schaut, man möchte bestimmte Schmetterlingsarten
oder Tierarten erhalten, die sind angebunden an bestimmte
Pflanzenarten. Da liegt es natürlich daran, ist eine bestimmte
Pflanzenart da, damit dieses Tier überleben kann. Für andere Arten
z.B. sind bestimmte Baumarten wichtig, weil bestimmte
Holzqualitäten, bestimmte Durchmesser sowohl von Zweigen und
von Ästen wichtig sind, damit bestimmte Vögel sich dort aufhalten
und dort leben können, oder dass Totholz vorhanden ist für
Höhlenbrüter.
Regie
Atmo 3 (Möwen/Gänse)
Spr.in
Im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft gewährt der Deich
südlich von Zingst Ausblick auf die grün bewachsene Vogelinsel Kirr.
Dort flattern immer wieder Gruppen von Silbermöwen, Graugänsen und
Seeschwalben auf, fliegen weg, landen. Ab und an ziehen Schwäne mit
schwerem Flügelschlag über das Wasser.
Regie
Atmo 3 (Möwen/Gänse)
Spr.in
Die meisten Vögel werden in wenigen Tagen weiterziehen. Ein kleiner Teil
bereitet sich auf die Brutzeit vor.
Regie
5.55
Wort-Take 5 (Ingolf Stodian)
Die Brutvögel im Nationalpark haben in den letzten 15 Jahren um
mehr als die Hälfte abgenommen, das heißt, die Bedingungen, die
die Vögel hier vorfinden, sind nicht mehr so ideal, dass sie dieses
hier als Brutgebiet wählen.
Spr.in
Der Biologe Dr. Ingolf Stodian ist für den Arten- und Biotopschutz im
Nationalpark zuständig. Er nennt einige Gründe für den starken Rückgang
der Brutvögel:
Regie
Wort-Take 6 (Ingolf Stodian)
Das wäre einmal ne Änderung im Bruthabitat, das heißt, die
Landschaft verändert sich durch Nutzungsauflassung, das Gebiet
verbuscht und ist dann nicht mehr geeignet. Aber auch die
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Landwirtschaft trägt deutlich dazu bei, dass auch durch
Pflanzenschutzmittel die Nahrungskette verseucht wird und die
Tiere gesundheitlichen Schaden nehmen.
Spr.
Nicht einmal der Schutzstatus eines Nationalparks verhindert solche
negativen Einflüsse. Und global gesehen vernichtet heute Landnutzung
durch intensive Landwirtschaft oder Bebauung die meisten Arten und
zerstört damit auch viele Ökosysteme. Verloren geht dadurch gleichzeitig
eine Fülle kostenloser so genannter Ökosystemdienstleistungen, die der
Mensch nutzt.
Stefan Klotz nennt Beispiele:
Regie
Wort-Take 7 (Stefan Klotz)
Dienstleistungen der Systeme sind natürlich Erosionskontrollen.
Gehen wir in die Alpen oder generell in Bergländer. Oft wurden
Bergwälder gerodet. Weil man Skipisten und sonst was haben
wollte. Und dann wundert man sich, wenn Schlammlawinen
herunter gehen, die bis hin zu Todesopfern führen. Und dann
versucht man wieder mit Betonmauern, das zu stabilisieren. Aber
ein artenreicher stabiler Wald leistet das von allein. Und das ist
letztlich eine Dienstleistung für den Menschen. Andere
Dienstleistungen sind z.B. Sicherung der Bestäubung. Ein Großteil
unserer Früchte, die wir essen, hängt davon ab, dass die Blüten
bestäubt werden. Da wir gegenwärtig einen Rückgang an
Bestäubern sehen, geht letztendlich diese Dienstleistung, die
eigentlich kostenlos ist, zurück. Und da ist die Frage, wie kann ich
letztlich ein System der Bestäuber sichern. Weil ich die für diese
Leistungen natürlich brauche.
Spr.in
Eine Ursache für den Rückgang von Bestäubern wie Bienen, Hummeln,
Schwebfliegen und Schmetterlingen liegt in der intensiven Landwirtschaft.
Zum einen, weil sie auf blütenreiche Wiesen und Feldraine angewiesen
sind, die der intensiven Nutzung zum Opfer fielen. Außerdem stehen die
eingesetzten Pestizide im Verdacht, die Bestäuber zu dezimieren. Einer
aktuellen europaweiten Studie zufolge sind Pestizide die Hauptursache
dafür, dass generell immer weniger Tier- und Pflanzenarten auf Feldern
und Obstplantagen leben.
Spr.
Der Klimawandel wird den Rückgang der Bestäuber noch beschleunigen.
Zwar könnten sie in Regionen abwandern, die ihnen klimatisch besser
zusagen. Aber, so Dr. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum:
6
Regie
Wort-Take 8 (Josef Settele)
Es gibt da schon einige hoch spezialisierte Bienenarten, die nur ganz
bestimmte Pflanzen bestäuben. Wenn die Pflanze weniger wird,
wird der Bestäuber weniger - wird der weniger, wird die Pflanze
weniger. Also das ist so eine Rückkopplungszyklus, der beides Mal
ins Negative geht. Von daher bestärken sie sich gegenseitig im
Rückgang.
Spr.in
Der Ökologe arbeitet im ALARM-Projekt, dem größten europäischen
Projekt zur Erforschung der Biodiversität. Das Kürzel ALARM steht für
„Assessing Large scale environmental Risks for Biodiversity with tested
Methods“. Eines der wichtigsten Projekt-Themen: Die Wissenschaftler
untersuchen, wie sich der Klimawandel auf Tiere und Pflanzen auswirken
wird.
Spr.
Um das heraus zu finden, haben die Forscher zunächst analysiert, unter
welchen vom Klima abhängigen Umweltbedingungen bestimmte Pflanzen
und Tiere gedeihen. Dabei geht es unter anderem um Bodenbeschaffenheit,
Wärme und Regenhäufigkeit. Wie sich diese Umweltaspekte in
verschiedenen geografischen Zonen durch die Erderwärmung wandeln
werden, haben Klimaforscher bereits berechnet. Auf der Grundlage dieser
Klimamodelle entwarfen die Biologen Zukunftsszenarien für verschiedene
Arten. Ein Ergebnis:
Spr.in
Viele Tiere und Pflanzen müssten in andere Regionen übersiedeln, um
Klimaänderungen zu überleben. Und im Prinzip kann so ein Ortswechsel
sogar Pflanzen gelingen:
Regie
Wort-Take 9 (Josef Settele)
Die ganzen Beeren tragenden Pflanzen haben natürlich gute Karten,
wenn ein Vogel so etwas mitnimmt. Und auf der Darmpassage dann
son Teil überhaupt erst zum Keimen kommt, dann irgendwo
abgelegt wird, sag ich mal dezent, dann hab ich wenn dort die
Bedingungen stimmen, gute Chancen, dass die Pflanze hochkommt.
Spr.in
Andere Pflanzensamen „wandern“ im Gefieder von Vögeln mit. Auf diese
Weise sind beispielsweise Palmen aus Italien und Frankreich inzwischen in
die Schweiz eingewandert – wo sie gut gedeihen. Doch so unproblematisch
umsiedeln werden nur wenige Pflanzen und Tiere. Denn:
7
Regie
Wort-Take 10 (Josef Settele)
Die meisten Organismen, Pflanzen wie Tiere, haben
Schwierigkeiten, sich allein der Geschwindigkeit des Wandels durch
Migration anzupassen. Das sind zwei Komponenten, die da rein
kommen, zum einen die Möglichkeit sich aktiv oder passiv
auszubreiten überhaupt, und zum zweiten dann dort, wo ich hin
komme, auch den Lebensraum zu finden, den ich brauch. Das sind
die zwei wesentlichen Faktoren, die es dann für die Art schwer
machen dürften, diesen Klimaraum, der dann irgendwo weiter weg
sich befindet, auch wirklich zu erreichen.
Spr.in
Dass Zugvögel beginnen, sich der bereits spürbaren Erwärmung
anzupassen, berichten Ornithologen. Die Vögel ziehen weniger weit oder
bleiben sogar in Deutschland. Im Nationalpark Vorpommersche
Boddenlandschaft überwintern beispielsweise immer mehr Kraniche.
Wenn es dann unverhofft doch kalt wird – wie dieses Jahr – vereisen ihre
Übernachtungsplätze und das übliche Futter wird knapp. Mit solchen
Bedingungen zurecht zu kommen, haben die Vögel nicht gelernt. Und so
gefährdet der Klimawandel selbst so mobile Tiere wie Vögel oder
Schmetterlinge.
Stefan Klotz beschreibt am Beispiel der Schmetterlinge, warum
„Auswanderungen“ selten gelingen:
Regie
Wort-Take 11 (Stefan Klotz)
Schmetterlinge brauchen bestimmte Pflanzen, um ihren Nektar zu
bekommen, sie brauchen aber zum Teil wieder andere Pflanzen, wo
die Raupen der Schmetterlinge von leben können. Das heißt, oft
müssen dann sehr verschiedene Pflanzen vorhanden sein, damit
eine Schmetterlingsart überlebt. Und wenn man das unter dem
Aspekt des Klimawandels sieht: Die Pflanzen reagieren anders auf
das Klima wie die Tiere selbst. Da ist die Frage, ob bei verändertem
Klima die günstigen Klimabedingungen für das Tier noch mit den
günstigen Klimabedingungen für die Pflanze übereinstimmen, also
mit anderen Worten, dass beide noch nebeneinander vorkommen
können.
Regie
Atmo 4 (Vogelzwitschern / Summen von Bienen)
Spr.in
Über Schmetterlinge wissen die Forscher inzwischen sehr viel. Folge einer
Volkszählung der besonderen Art: In ganz Europa hatten die
Wissenschaftler Freiwillige angeworben, die auf Wiesen, an Feldsäumen
und in Wäldern Schmetterlinge beobachteten. Wo und unter welchen
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Umweltbedingungen leben welche Arten? Im Laufe der Zeit erfassten die
ehrenamtlichen Falterfreunde 300 Schmetterlings-Arten.
Regie
Atmo 4 (Vogelzwitschern / Summen von Bienen)
Spr.
Hintergrund der Aktion: Schmetterlinge haben eine Indikatorfunktion. An
ihrem Beispiel lässt sich erkennen, wie landschaftliche und klimatische
Veränderungen auch andere Tiere beeinflussen.
Spr.in
Anhand der gesammelten Daten zeichneten ALARM-Mitarbeiter in
Landkarten ein, wo welche Schmetterlinge heute verbreitet sind und wie
sich die Lebensräume durch den Klimawandel verschieben werden. Die
Untersuchung von Insekten ist so aussagekräftig, weil deren Lebenszyklen
schnell ablaufen, und sich deshalb genetische Anpassungen oder auch
Rückgänge der Bestände schneller zeigen als bei größeren Tieren. Das
Ergebnis lässt sich dann auf andere Spezies übertragen:
Regie
Wort-Take 12 (Josef Settele)
Der Haken ist, dass es eher drei Viertel der Arten schlechter gehen
wird und einem Viertel der Arten besser. Und da kann man schwer
abschätzen, was das wirklich bedeutet für uns. Aber wenn ich mal
die Biodiversität als Versicherungskomponente nehme. Vielfalt
durch Puffermöglichkeiten, durch Einspringen einer Art, wenn
irgendwann was ausfällt. Je weniger Arten da sind, umso weniger
hab ich diese Option einfach mir offen gehalten. Und das ist schon
an sich ein Grund, sich bis zu einem gewissen Grad zumindest um
die Artenvielfalt zu kümmern. Dass ich durch Vielfalt einen
gewissen Rückhalt auch hab.
Spr.
Unter den wenigen Arten, deren Lebensraum wachsen wird, überwiegen
solche, die heute schon weit verbreitet sind.
Regie
Wort-Take 13 (Josef Settele)
Die seltenen werden seltener. Und die häufigen werden häufiger.
Also die Armen ärmer und die Reichen reicher. Das kennen wir aus
verschiedenen Welten. Das ist eine, wo das auch stattfindet. Das ist
ganz eindeutig so. Liegt natürlich daran, dass diese Nischen eben
auch geografisch nur eng begrenzt vorkommen und durch
klimatische Veränderungen noch stärker begrenzt werden. Beispiel
wäre bei uns Moorgebiete. Hochmoore sind schon selten und
natürlich durch die Klimaveränderung mit weniger Niederschlägen
ist ein Hochmoor einfach am Ende. Und damit natürlich auch die
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ganzen Arten, die vorkommen. Und da gibt’s n paar Arten, die sehr
selten geworden sind, der so genannte Hochmoorgäbling ist eine
davon. Die nächsten Moore gibt’s in Skandinavien. Und
zwischendrin ist ganz lang ziemlich wenig. Und so weit kommen die
beim besten Willen nicht.
Spr.
Weil es vielen Tieren und Pflanzen nicht gelingen wird, neue Habitate
aufzusuchen, diskutieren Biologen inzwischen, ob es sinnvoll und machbar
wäre, Arten zu exportieren, deren angestammter Lebensraum schwindet.
Die Chancen derartiger Eingriffe haben Wissenschaftler des ALARMProjekts bereits an einigen Pflanzen getestet:
Regie
Wort-Take 14 (Josef Settele)
Wir haben auf gewissen Flächen Samen ausgebracht von Arten, die
dort noch nicht angekommen sind, die aber vom Klima her dort
wachsen können. Und zu 80 % haben die Vorhersagen ganz gut
geklappt. Das heißt, dass in den Bereichen, die wir vom Modell her
für möglich hielten, die auch in der Lage sind, dort sich zu
etablieren. Also da ist die Frage dann nur: wie komm ich dorthin als
Pflanze, als Organismus insgesamt, und wenn ich da bin, und die
Bedingungen sind ok, dann klappts auch. Was wir als Experiment
gemacht haben mit unserer Forschung, kann man natürlich auch als
Maßnahme machen, muss man sicher gut drauf achten, wie man so
was macht. Es ist sicher nicht von vorneherein abzulehnen, wenn
ich genau weiß, die Ansprüche sind erfüllt, die Art kommt nicht hin,
dass ich dann vielleicht auch drüber nachdenke, entsprechend tätig
zu werden. Muss aber immer in Abstimmung laufen auch mit den
Behören und den ganzen genetischen Hintergründen der Art, dass
ich nix vermische, irgendwas dadurch erst ins Chaos führe, oder da
irgendwas durcheinander bringe etc.
Spr.
Neben den klimatischen Veränderungen machen Pflanzen und Tieren
immer massiver Fremdlinge aus anderen Kontinenten zu schaffen. So sind
Samen von Pflanzen, Insektenlarven und andere Organismen zufällig im
Gepäck Reisender oder in den verschiedensten Fahrzeugen nach
Deutschland gelangt. Und bestimmte Zierpflanzen wurden eingeführt, um
Balkone und Gärten zu verschönern. Einige haben sich selbst ausgewildert
und wuchern nun im Freien.
Spr.in
Weil die meisten Invasoren in ihrer neuen Umgebung keine Feinde haben,
die sie bedrohen, können sie sich rasant vermehren – auf Kosten der
einheimischen Flora und Fauna.
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Stefan Klotz erklärt:
Regie
Wort-Take 15 (Stefan Klotz)
Es ist nicht nur eine Frage, dass Arten verschwinden. Invasive Arten
können zum Teil natürlich auch Nahrungsnetze verändern. Das ist
eine Frage, wenn Bestäuber vorhanden sind, die plötzlich merken,
die neu eingewanderte Art liefert mehr Nektar, dann bestäuben sie
erst die fremdländische Art und die einheimische Art geht leer aus.
Die produziert dann weniger Samen am Ende. Es gibt solche
Untersuchungen beim Drüsigen Springkraut. Das ist eine Pflanze
mit wunderschönen roten Blüten, wird in den Gärten zum Teil
angebaut, verwildert aber auch an Fluss- und Bachufern und
stammt aus dem Himalaja. Jeder sieht natürlich, dass auch viele
Arten, die als Zierpflanzen ursprünglich eingeführt wurden, sehr
stark Schmetterlinge anlocken können wie z.B. der Sommerflieder,
ich glaube im Volksmund wird er auch Schmetterlingsstrauch dann
genannt, eine Art, die aus China kommt, und jetzt auch an
Bahndämmen insbesondere in den wärmeren Teilen Deutschlands
ganz stark verwildert.
Spr.
Wirtschaftswissenschaftler und Biologen erforschen seit einigen Jahren,
welche ökonomischen Vorteile Menschen der biologischen Vielfalt
verdanken. So ist beispielsweise die „Arbeit“ der immer stärker
gefährdeten Bestäuber sehr kostbar:
Regie
Wort-Take 16 (Josef Settele)
Da haben wir eine Studie publiziert, wo wir nur den Wert
genommen haben, den bestäuberabhängige Früchte und Gemüse
auf weltweiter Basis haben. Dazu haben wir die Weltpreise 2005
genommen und alle gehandelten Güter mit dieser Eigenschaft –
bestäuberabhängig. Da waren 151 Milliarden Euro der Marktwert
für das Jahr 2005. Natürlich kann ich Wert völlig anders
ausdrücken. Also wenn ich jetzt zum Beispiel den Bestäuber nicht
hab und müsste das künstlich machen, der Mensch als Bestäuber,
was das dann kosten würde, dann wär das ganze viel viel viel mehr
wert natürlich, weil die Arbeitsstunde pro Mensch ist etwas teurer
als die pro Biene für das gleiche Produkt. Das wären 150 Milliarden
für das Produkt plus den Arbeitsaufwand, den die Tiere für uns
gratis übernehmen.
Spr.
Im Auftrag des Umweltprogrammes der Vereinten Nationen – UNEP –
haben Wissenschaftler inzwischen weltweit die verschiedensten
Ökosysteme
einer
ökonomischen
Prüfung
unterzogen.
Sie
dokumentierten, welche Funktionen die Ökosysteme übernehmen und
11
berechneten anschließend, was es kosten würde, wenn Menschen die
jeweiligen Dienste selbst erbringen müssten. Die Ergebnisse wurden in der
TEEB-Studie publiziert. Das Kürzel steht für „The Economics of
Ecosystem Services and Biodiversity“.
Spr.
Das generelle Fazit: Die natürlichen Lebensräume zu bewahren und ihre
Ökosystemdienstleistungen nachhaltig zu nutzen bringt erhebliche
finanzielle Vorteile. Denn durch intensive Bewirtschaftung der
Ökosysteme lässt sich zwar eine Zeit lang Geld verdienen, doch letztlich
entstehen sehr hohe Kosten, weil die Ökosystemdienstleistungen dann
durch andere Maßnahmen ausgeglichen werden müssen.
Spr.in
Global gesehen schaffen tropische Regenwälder besonders hohe
ökonomische Werte. Unter anderem, weil sie die weltgrößten CO2Speicher sind.
Wie diese Dienstleistung berechnet wurde, erklärt der Volkswirt Christoph
Schröter-Schlaack:
Regie
Wort-Take 17 (Christoph Schröter-Schlaack)
Was leistet ein bestimmter Ausschnitt dieses Waldes, z.B. ein
Hektar, wie viel CO2 kann der speichern, wie viele Tonnen sind das?
Man kann das beispielsweise dann in Wert setzen mit dem Preis für
so ein CO2-Zertifikat, bzw. Vermeidungszertifikat. Das weiß man
also, eine Tonne CO2-Vermeidung kostet etwa 15, 20 Dollar, wenn
mein Wald so und soviel Tonnen von diesem CO2 binden und
speichern kann, dann könnte man den Wert dieser CO2Speicherkraft eben so berechnen. So kann man herangehen, solche
Ökosysteme und die ganze Biodiversität zu versuchen, mit solchen
Dienstleistungen abzudecken, aber es ist auch klar, dass man
sozusagen das Gesamte damit nicht abbilden kann, sondern immer
nur einzelne Teilausschnitte.
Spr.in
Ebenfalls besonders wertvoll sind Ökosysteme, die Überflutungsschutz
bieten, zumal durch den Klimawandel Extremereignisse wie Sturmfluten
und heftige Regenfälle deutlich zunehmen werden.
Regie
Wort-Take 18 (Christoph Schröter-Schlaack)
Mangroven zum Beispiel. Also in Thailand gibt’s eine Untersuchung,
wo geschaut wird, Mangroven werden dort sehr häufig
eingeschlagen und verändert, um Shrimpfarmen anzulegen, da
werden kleine Tümpel bewirtschaftet, da wird die natürliche
12
Vegetation gerodet, diese Shrimpzucht ist sehr stark subventioniert,
das heißt, es lohnt sich für den einzelnen Landbesitzer, so eine
Shrimpfarm anzulegen. Allerdings nach etwa fünf Jahren ist sone
Farm abgeerntet sozusagen, dann gehen diese Erträge deutlich
zurück, und in der Regel wird dann diese Shrimpfarm verlassen.
Spr.
Für die TEEB-Studie haben die Wissenschaftler berechnet: Was leisten
intakte Mangroven, welche finanziellen Vorteile bringt die
Shrimpzüchtung? Und welche Kosten entstehen durch die Zerstörung der
Mangrovenwälder?
Regie
Wort-Take 19 (Christoph Schröter-Schlaack)
Dann stellt man fest, dass der Mangrovenwald deutlich mehr
Nutzen schafft, er ist unter anderem eben auch ein ganz wichtiger
Sturmflutbarriere, also die Wellen können nicht so hoch
anschlagen, es kommt nicht so stark zur Bodenerosion, und das ist
ein ganz ganz wichtiger Faktor, wenn man jetzt eine Küste anschaut,
die eben sehr stark von solchen Shrimpfarmen zersetzt ist, dann ist
die Schutzwirkung dieser Mangroven deutlich herab gesetzt, und
das kann im Zweifelsfall zu sehr sehr hohen Schäden führen. Von
daher, hier ist es deutlich sinnvoller, den Mangrovenwald zu
erhalten und nicht diese Shrimpfarmen subventioniert auszubauen
und nur in kurzer Zeit einen wirtschaftlichen Erfolg zu haben, aber
langfristig eben hohe Kosten in Kauf zu nehmen.
Spr.
Vor Überflutung schützen auch Korallenriffe – die außerdem als
Touristenattraktion hohen wirtschaftlichen Wert besitzen. Hinzu kommt:
Regie
Wort-Take 20 (Christoph Schröter-Schlaack)
Sie sind vor Ort ganz ganz wichtige Habitate, weil dort sehr viele
Fischarten laichen, also Fortpflanzung betreiben, also sehr wichtig
für die Regenerierung der Fischstöcke.
Spr.in
In der TEEB-Studie untersuchten die Wissenschaftler auch, was es kostet,
die weltweit ausgewiesenen rund 100.000 Naturschutzgebiete zu erhalten.
Dabei wurden auch Investitionen berücksichtigt, die notwendig wären, um
die vielen bisher nur auf dem Papier existierenden Schutzregionen endlich
wirksam vor Eingriffen zu bewahren. Diesen Kosten stellten die Forscher
den Gewinn durch intakte Schutzgebiete gegenüber. Ergebnis:
Spr.
45 Milliarden Dollar müssten jährlich investiert werden, unter anderem als
Entschädigungen für Landwirte, die in Schutzgebieten nur eingeschränkt
13
wirtschaften dürfen. Doch dafür bieten die 100.000 Schutzareale dann
Dienstleistungen im Wert von etwa fünf Billionen US-Dollar pro Jahr!
Regie
Wort-Take 21 (Christoph Schröter-Schlaack)
Das ist natürlich viel mehr als das, was man wirtschaftlich zum Teil
in diesen Schutzgebieten machen könnte. Also wenn man diese
Gegenüberstellung hat, kann man sagen: Es lohnt sich sehr wohl,
Schutzgebiete auszuweisen, denn dort entstehen auch ganz ganz
hohe ökonomische Werte.
Spr.
Einen Haken gibt es dennoch: Von vielen der positiven Effekte profitieren
Menschen in anderen Regionen. Wie etwa von der CO2-Pufferung durch
Regenwälder. Die Einschränkungen aber treffen die Bevölkerung vor Ort.
Regie
Wort-Take 22 (Christoph Schröter-Schlaack)
Da ist es natürlich unter Umständen so, dass es sehr sehr starke
Interessen gibt, auch bestimmte wirtschaftliche Entwicklungen
durchzuführen. Also da kann man mit ner Kosten-Nutzenanalyse
kommen wie man möchte, es gibt eben bestimmte politische
Prioritäten, die dann auch durchgesetzt werden. Und diese 45
Milliarden, die müssen ja auch erstmal aufgebracht werden. Da ist
auch die Frage, wer bereit ist, das zu zahlen, weil, ganz oft ist es so,
dass diese Nutzen auf ner anderen Ebene anfallen als die Kosten
dieser Einschränkungen. Also z.B. der Landwirt vor Ort, der muss
dann eben bestimmte Auflagen beachten, kann nicht mehr so
wirtschaften wie bisher und die Frage ist sozusagen, ob diejenigen,
die davon profitieren, das kann unter Umständen auch die ganze
Welt sein, ob die bereit sind, dafür zu bezahlen, die Landwirte zu
entschädigen. Und daran scheitert es am meisten sozusagen, dass
eben einfach die Finanzierung fehlt.
Spr.
Ausgangspunkt für die TEEB-Studie war die Vermutung der
Wissenschaftler, dass sich Naturschutzmaßnahmen besser durchsetzen
lassen, wenn sie ökonomische Gewinne versprechen. Tatsächlich weckt die
Studie weltweit große Aufmerksamkeit und wird derzeit in vielen Ländern
intensiv diskutiert.
Stefan Klotz gibt dennoch zu bedenken:
Regie
Wort-Take 23 (Stefan Klotz)
Das Artensterben sollte man nicht nur unter dem Blickwinkel sehen,
ja, was verlieren wir da an wichtigen Leistungen oder eventuellen
finanziellen Vorteilen, ich glaube wir haben auch eine ethische
Verpflichtung, Leben auf der Erde zu erhalten und über die
Bedeutung und Wirkung einzelner Arten fehlt uns auch noch
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Wissen, welche Konsequenzen Artensterben hat. Es gibt viele offene
Fragen. Von vielen Arten kennen wir eben nicht ihre ökologische
Bedeutung. Kennen wir nicht die Ansprüche, die sie haben. Das, was
wir nicht wissen, ist wirklich noch sehr sehr viel.
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