Bakterielle Endosymbiosen in Insekten

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B I O S P E K T R U M • 5. 0 0 • 6. J A H R G A N G
Christina Sauer1,2, Bert Hölldobler2 und
Roy Gross1
1
Lehrstuhl für Mikrobiologie und 2Lehrstuhl für
Soziobiologie und Verhaltensphysiologie,
Theodor-Boveri-Institut, Biozentrum, JuliusMaximilians-Universität Würzburg
Bakterielle Endosymbiosen in Insekten
Symbiosen mit intrazellulären Bakterien
als einem Partner haben sich in der
Entwicklungsgeschichte in großer Zahl
gebildet und stellen einen maßgeblichen
Motor der Evolution dar. Auffallend viele
solcher Symbiosen finden sich bei den
Insekten. Die Bakterien sind dabei häufig
in spezialisierten Zellen des Wirtstieres
angesiedelt, die als Myzetozyten bezeichnet werden. Die Übertragung der Symbionten erfolgt auf maternalem Wege. Da diese
Symbiosen oftmals obligat für beide
Partner sind, waren sie für experimentelle
Analysen lange Zeit nahezu unzugänglich.
Erst in den letzten Jahren erlaubte die
Entwicklung neuer molekulargenetischer
und biochemischer Methoden viele
faszinierende Einblicke in diese Lebensgemeinschaften.
쑺 Endosymbiosen von intrazellulären Bakterien und Insekten sind weit verbreitet.
Nach groben Schätzungen leben wenigstens
15 bis 20 Prozent aller Insekten in solchen
Lebensgemeinschaften. Einige Insekten
wie Schaben (Blattaria), Blattläuse (Homoptera), Hautflügler (Hymenoptera) oder Käfer
(Coleoptera) scheinen besonders zur Ausbildung solcher Symbiosen befähigt zu sein [7].
In vielen Fällen ermöglichen derartige Symbiosen die Erschließung neuer Nahrungsquellen und ökologischer Nischen. Symbiontische Beziehungen mit Bakterien hatten
sicherlich maßgeblichen Anteil an dem außergewöhnlichen stammesgeschichtlichen
Erfolg dieser riesigen Organismengruppe.
Auch bei den Bakterien gibt es bestimmte verwandtschaftliche Linien, die besonders häufig symbiontische Lebensgemein-
schaften eingegangen sind. Vor allem innerhalb der Proteobakterien leben viele Vertreter in engen und für beide Seiten vorteilhaften Lebensgemeinschaften mit Eukaryonten. Innerhalb der α-Untergruppe der
Proteobakterien sind die Mitochondrien das
bekannteste Beispiel, deren freilebende
Vorläufer nach der Endosymbiontentheorie
die Entstehung der typischen eukaryontischen Zelle überhaupt erst einleiteten [20].
Viele der endosymbiontischen Bakterien
von Insekten, etwa die Wolbachien, gehören zu den α-Proteobakterien und stehen
den Rickettsien sehr nahe, einer wichtigen
Gruppe von Pathogenen vieler Invertebraten und Vertebraten [12, 22].
Auch innerhalb der γ-Untergruppe der
Proteobakterien gibt es viele symbiontische
Bakterien, darunter die obligaten (primären)
Myzetozyten-assoziierten Symbionten von
Blattläusen, Tsetse-Fliegen und Ameisen.
Weitere in der γ-Untergruppe klassifizierte
Symbionten finden sich in Zecken und sind
wiederum eng verwandt mit intrazellulären
pathogenen Keimen wie Coxiella burnetii,
dem Erreger des Q-Fiebers, und dem Erreger der Tularämie, Francisella tularensis [12].
Beispiele für Symbionten aus der β-Untergruppe sind den pathogenen Bordetellen
nahestehende Endosymbionten von Flagellaten der Gattung Crithidia und intrazelluläre Symbionten von Mehlkäfern. Auch außerhalb der Proteobakterien finden sich symbiontische Vertreter, darunter einige mit Insekten vergesellschaftete Mikroorganismen
wie etwa Blattabacterium aus der CytophagaFlavobacterium-Bacteroides-Gruppe bei Schaben [2]. Für einen umfassenden Überblick
über Symbiosen mit Mikroorganismen sei
auf einige Übersichtsartikel verwiesen [4,
12].
Abb. 1: Die mehrfache horizontale Übertragung von Wolbachien zwischen nicht verwandten Wirtsorganismen wird durch den Vergleich der phylogenetischen Stammbäume der Bakterien (rot) und der
Wirtstiere (blau) belegt. Die phylogenetischen Abstände sind nur schematisch und nicht maßstabsgetreu dargestellt.
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Abb. 2: Schematische Darstellung der durch
W. pipientis induzierten zytoplasmatischen
Inkompatibilität. Nur bei Paarungen nicht
infizierter Elterntiere (blau) oder bei Paarungen
von infizierten Weibchen (rot) kommt es zur
erfolgreichen Vermehrung. W = mit Wolbachia
infiziert.
sche, neutrale oder parasitäre Beziehungen
handelt, ist die Auseinandersetzung von
Wirtsorganismen mit den sie besiedelnden
Mikroorganismen sicherlich eine der wichtigsten Triebkräfte der Evolution, die beispielsweise zum Aufbau so komplexer Strukturen wie des adaptiven Immunsystems der
Vertebraten führte [6].
Wolbachia – Symbiont oder Parasit?
Die oftmals enge stammesgeschichtliche
Verwandtschaft von symbiontischen und
parasitären Mikroorganismen läßt vermuten,
daß diese in ihrem Endergebnis so unterschiedlichen Assoziationen viele grundlegende Gemeinsamkeiten besitzen. Es ist
deshalb denkbar, daß unangepaßte, parasitäre Keime durch schrittweise Adaptation
von Erreger und Wirt langsam ihre Virulenzeigenschaften verlieren und sich sogar zu
harmlosen Mitbewohnern (Kommensalen)
oder Symbionten entwickeln könnten. Umgekehrt könnte eine kommensale Beziehung auch zu einem parasitären Verhältnis
führen, wenn ursprünglich harmlose Keime
durch horizontale Übertragung bestimmte
für Virulenzfaktoren kodierende genetische
Elemente, beispielsweise „Pathogenitätsinseln“, in ihr Genom inkorporieren [27]. Unabhängig davon, ob es sich um mutualisti-
Wolbachia pipientis gehört zur α-Untergruppe der Proteobakterien und steht den
Rickettsien systematisch sehr nahe. Wolbachien sind bei wirbellosen Tieren weit verbreitet und man schätzt, daß etwa 15 Prozent aller Insekten mit Wolbachien infiziert
sind [28]. Kürzlich wurden Wolbachien auch
in einigen parasitischen Nematoden nachgewiesen [18]. Unter diesen Nematoden finden sich medizinisch bedeutsame Parasiten
wie die Erreger der Elefantiasis, Wuchereria
bancrofti und Brugia malayi, die selbst wiederum von Insekten (z.B. Anopheles spp.)
übertragen werden. Die Analyse der bakteriellen 16S rDNA-Sequenzen ergab, daß die
Systematik der Gattung Wolbachia außerordentlich komplex ist. Beispielsweise wurde
erkannt, daß die früher als W. persica bezeichneten Symbionten von Zecken gar nicht mit
W. pipientis sondern mit den Gattungen Coxiella und Francisella in der γ-Untergruppe
der Proteobakterien verwandt sind [28].
Während die pathogenen Rickettsien in
verschiedenen Geweben der Wirtstiere aber
normalerweise nicht in den Gonaden zu finden sind, kommt W. pipientis hauptsächlich
in den Ovarien und Testikeln von infizierten Arthropoden vor. Die Bakterien sind
immer intrazellulär lokalisiert und von einer
mehrschichtigen Membran der Wirtszellen
umgeben [28]. In den Ovarien von Hymenopteren findet sich W. pipientis in Nährzellen, in denen sie sich auch vermehren können. Von diesen Nährzellen gelangen die
Bakterien dann über Plasmabrücken in die
sich entwickelnden Eier. Gelegentlich werden sie auch in Malpighi-Gefäßen, im Muskelgewebe, in Hämocyten und in Einzelfällen sogar in Nervenzellen gefunden [28].
Die langfristige transovarielle Weitergabe der Wolbachien durch ihre Wirte läßt eine
eng aneinander geknüpfte evolutionäre Entwicklung der Bakterien und ihrer Wirtstiere
Abb. 3: Die Kospeziation der Myzetozytenassoziierten Bakterien der Gattungen Buchnera,
Wigglesworthia, Blochmannia und ihrer
Wirtstiere wird durch den Vergleich der phylogenetischen Stammbäume der Bakterien (rot) und
ihrer Wirte (blau) deutlich. Die systematische
Stellung von zwei sekundären Symbionten ist
ebenfalls dargestellt. Die phylogenetischen
Abstände sind nur schematisch und nicht
maßstabsgetreu gezeichnet.
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bis hin zur Artbildung (Kospeziation) erwarten. Deswegen kam der Befund sehr überraschend, daß die auf 16S rDNA-Sequenzen
basierende phylogenetische Struktur der
Wolbachien erhebliche Unterschiede zur
Phylogenie der Wirtstiere aufweist. Diese
Unterschiede können nur durch wiederholte horizontale Weitergabe der Wolbachien
zwischen systematisch nicht verwandten
Wirten erklärt werden (Abb. 1) [28, 30]. Im
Gegensatz dazu weisen die in den Nematoden lebenden Wolbachien weitgehend dekkungsgleiche Stammbäume mit ihren Wirtstieren auf, was auf eine stabilere Interaktion der Wolbachien mit Nematoden als mit
Arthropoden hinweist [18].
In den letzten Jahren wurde erkannt, daß
Wolbachien die Reproduktion ihrer Wirtstiere auf vielfältige Weise zu ihren Gunsten
beeinflussen können. Mehrere schon seit
langem bekannte Phänomene können durch
diese Bakterien verursacht werden, darunter die zytoplasmatische Inkompatibilität,
die Induktion von Parthenogenese, die Verweiblichung von genetischen Männchen
oder auch eine spezifische Abtötung von
Männchen [28, 30]. Die zytoplasmatische
Inkompatibilität führt zu einer Kreuzungsinkompatibilität zwischen mit Wolbachien
infizierten Männchen und nicht-infizierten
Weibchen (Abb. 2). Solche Kreuzungen können nach der Befruchtung zur Eliminierung
der väterlichen Chromosomen und damit zu
haploiden Embryonen führen, die bei diploiden Insektenarten und in einigen haplodiploiden Milbenarten absterben. In einigen
haplodiploiden Insektenarten wie den Wespen können sich daraus normale haploide
Männchen entwickeln. Die zytoplasmatische Inkompatibilität führt damit zu einer
relativen Zunahme des Anteils von infizierten Weibchen in einer Population, was für
die maternal vererbten Wolbachien natürlich
vorteilhaft ist.
Ein Vorteil für die infizierten Wirtstiere
ist nicht offensichtlich. Immerhin scheinen
die Bakterien in der Regel keinen drastischen Einfluß auf die Lebensfähigkeit ihrer Wirtstiere zu haben. Allerdings gibt es
Fälle, in denen Wolbachien eindeutig als
Parasit zu bezeichnen sind, etwa bei den die
Männchen abtötenden Infektionen oder einem kürzlich beschriebenen neurotrophen
Stamm, der die Lebenserwartung von Drosophila melanogaster deutlich verringert [21].
Andererseits deuten neue Befunde von mit
Wolbachien infizierten Nematoden eher auf
eine symbiontische Wechselwirkung hin,
denn mit Antibiotika behandelte Filarien
waren unfruchtbar und zeigten schlechteres
Wachstum [18]. Da die Vererbung der Wolbachien in den Nematoden im Gegensatz zu
den Arthropoden ausschließlich vertikal zu
verlaufen scheint [18], stützt dieser Befund
die interessante These, daß eine strikt ver-
tikale Vererbung von Symbionten im Gegensatz zu Beziehungen mit horizontaler Übertragung langfristig neutral oder sogar mit
positiver Wirkung auf den Wirtsorganismus
verlaufen müßte [16].
Myzetozyten-assoziierte Endosymbiosen
von Insekten
Eine Myzetozyten-assoziierte Symbiose
ist durch drei charakteristische Merkmale
gekennzeichnet [13]: a) die Bakterien sind
intrazellulär in spezialisierten Zellen, den
Myzetozyten, lokalisiert; b) die Bakterien
werden vertikal übertragen; c) Wirtstier und
Symbiont können ohne einander nicht längerfristig existieren.
Gut untersucht sind bislang die Myzetozyten-Symbiosen von Blattläusen mit Bakterien der Gattung Buchnera [3], von TstseFliegen (Glossina spp.) mit Bakterien der
Abb. 4: Elektronenoptische Aufnahme eines
Schnittes durch das Mitteldarmepithel von C.
floridanus. Deutlich erkennbar ist eine Epithelzelle, die von zwei bakteriengefüllten Myzetozyten
eingegrenzt wird. Abkürzungen: ez: Epithelzelle;
mv: Mikrovilli; my: Myzetozyte; nu: Nukleus. 1 cm
entspricht 3 µm.
Gattung Wigglesworthia [9] und von Ameisen
(Camponotus spp.) mit ihren Symbionten der
neu vorgeschlagenen Gattung Blochmannia
[24, 25]. Die phylogenetische Analyse dieser Bakteriengattungen legt nahe, daß sie
sich von einem gemeinsamen Vorfahren ableiten und einen gemeinsamen Ahnen mit
den Enterobakterien besitzen (Abb. 3).
Buchnera hält sich in den Blattläusen intrazellulär in den Zellen eines speziellen
Organs auf, dem Myzetom, das sich in einer
Körperhöhle befindet und aus einem polyploiden Zellverband mit rund 60 bis 90 Zellen besteht. In den Zellen sind die Bakterien in membranumschlossenen Vesikeln, den
Symbiosomen, lokalisiert [3]. Auch in den
Tsetse-Fliegen finden sich die Symbionten
in einem Myzetom. Im Gegensatz dazu
kommt es bei den bislang untersuchten
Ameisen der Gattung Camponotus zu keiner
Myzetombildung. Die Bakterien finden sich
in einzelnen Myzetozyten, die gemeinsam
mit Enterocyten das Mitteldarmepithel aufbauen (Abb. 4). Die Symbionten der Ameisen sind auch nicht in Symbiosomen eingeschlossen, sondern liegen wie die Mitochondrien frei im Zytoplasma vor [25].
Die Analyse der 16S rDNA der symbiontischen Bakterien verschiedener Blattlausarten ergab im Gegensatz zu den Wolbachien eine Übereinstimmung der phylogenetischen Stammbäume der Symbionten
und ihrer Wirtstiere (Abb. 3) [4]. Diese Kospeziation weist auf eine strikt vertikale
Übertragung der Symbionten hin. Da fossile Funde belegen, daß der letzte gemeinsame Vorläufer aller Blattläuse wahrscheinlich
vor 150 bis 250 Millionen Jahren gelebt hat,
muß die erste Infektion von Blattläusen
durch einen möglicherweise noch freilebenden Vorläufer von Buchnera vor wenigstens
ebenso langer Zeit erfolgt sein [4]. Auch bei
den Symbiosen der Tsetse-Fliegen und
Ameisen der Gattung Camponotus wurde
eine derartige Kospeziation der Wirtstiere
und ihrer Symbionten festgestellt (Abb. 3)
und ein entsprechend hohes Alter der Symbiosen vorgeschlagen [9, 24, 25]. In Übereinstimmung mit ihrer vertikalen Übertragung konnten die symbiontischen Bakterien oftmals in den Ovarien und Eiern der
Insekten nachgewiesen werden. Besonders
eindrucksvoll ist dies bei Eiern von Camponotus floridanus zu beobachten (Abb. 5).
Während der Larvenentwicklung der Ameisen assoziieren sich die Bakterien bereits
frühzeitig mit endodermalem Gewebe, aus
dem sich später der Mitteldarm ableitet
(Abb. 6) [Sauer, Hölldobler und Gross, unveröffentlicht].
Myzetozyten-assoziierte Symbiosen mit
streng vertikaler Weitergabe der Mikroorganismen sind nicht nur auf Bakerien der γUntergruppe der Proteobakterien beschränkt,
sondern finden sich auch bei Vertretern der
β-Untergruppe, wie etwa Symbionten der
Mehlkäfer [4]. Auch Bakterien aus phylogenetisch weit entfernten Bakteriengruppen
werden in derartigen Symbiosen gefunden.
So konnten im Falle der im Fettkörper von
Schaben lokalisierten Myzetome Symbionten
(Blattabacterium spp.) aus der Cytophaga-Flavobacterium-Bacteroides-Gruppe nachgewiesen
werden. Auch bei dieser Symbiose ähneln sich
die phylogenetischen Stammbäume der Bakterien und Wirtstiere so sehr, daß sie eine
Kospeziation nahelegen [2]. Diese Untersuchungen belegen, daß bakterielle Infektionen, die zu Endosymbiosen in verschiedenen
Wirtsorganismen geführt haben, mehrfach in
der Evolution und mit unterschiedlichen freilebenden Bakteriengruppen stattgefunden
haben.
Myzetozyten-assoziierte Symbionten
scheinen meist einen Beitrag an der Ernäh-
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Enterobakterien (Abb. 3). Es wird angenommen, daß diese Bakterien erst vor relativ
kurzer Zeit und unabhängig voneinander in
die verschiedenen Wirtstiere gelangt sind.
Im Falle der Tsetse-Fliegen werden die sekundären Symbionten wahrscheinlich über
„Milchdrüsen“ im Uterus der Tiere auf die
Nachkommen übertragen. Zusätzlich wurden in einigen dieser Insekten Wolbachien
als dritter intrazellulärer Mikroorganismus
nachgewiesen. Diese Tiere tragen also zusätzlich zu den Mitochondrien noch drei
weitere zytoplasmatisch vererbte endosymbiontische Genome.
Abb. 5: Elektronenoptische Aufnahme einer mit
Symbionten gefüllten Eizelle von C. floridanus
mit angrenzender Follikelzelle. Abkürzungen: fz:
Follikelzelle; nu: Nukleus; oz: Eizelle. 1 cm
entspricht 3,75 µm.
rung der Wirtstiere zu leisten, da sie besonders häufig bei Nahrungsspezialisten beobachtet werden. Blattläuse ernähren sich beispielsweise von Pflanzensaft, der zwar reich
an Kohlenhydraten, aber arm an Stickstoffverbindungen ist. Die Eliminierung der
Endosymbionten der Blattläuse durch Hitze- bzw. Antibiotikabehandlung wirkt sich
negativ auf Gewicht und Wachstumsrate der
Tiere und ihre Fortpflanzung aus, was ein
wichtiger Beleg für die mutualistische Natur dieser Symbiose ist [31]. In der Tat beweisen verschiedene experimentelle Befunde den besonderen Beitrag der bakteriellen
Methionin-, Leucin- und Tryptophansynthese an der Ernährung der Wirtstiere [13].
So weisen die Symbionten einiger Tiere eine
starke Amplifikation von Leucin- und Tryptophan-Biosynthesegenen auf [4]. Hinweise für eine Beteiligung von Symbionten an
der Wiedergewinnung von Stickstoff aus
metabolischen Abfallprodukten des Wirtsmetabolismus wurden für die Schabensymbiose erbracht [11]. Der Produktion von Vitaminen des B-Komplexes wird eine Bedeutung bei der Myzetozyten-Symbiose der
Tsetse-Fliegen zugeschrieben [23]. In vielen Fällen ist die biologische Bedeutung der
Symbiose allerdings noch unklar und oftmals
liegt, wie etwa bei den Camponotus-Symbionten, kein direkter Bezug zu einer spezialisierten Ernährungsweise der Wirtstiere vor.
Die Myzetozyten-assoziierten Symbionten stellen nicht die einzigen maternal übertragenen intrazellulären Bakterien dieser
Insektengruppen dar. Sowohl in vielen Blattläusen als auch in Tsetse-Fliegen wurden
zusätzlich zu den bisher beschriebenen primären Symbionten morphologisch unterscheidbare kleinere Bakterien gefunden, die
nicht in den Myzetozyten vorliegen [3, 10].
Die Analyse der 16S rDNA-Sequenzen dieser sekundären Symbionten belegte ihre
enge Verwandtschaft zu den freilebenden
Genetische Konsequenzen einer obligaten
Endosymbiose
Da das intrazelluläre Milieu in der Regel von großen Schwankungen seiner biochemischen und physikalischen Bedingungen verschont bleibt, muß erwartet werden,
daß eine langfristige Anpassung an dieses
Milieu zu einem Verlust von nicht mehr benötigten metabolen Eigenschaften und der
Fähigkeit zu einer flexiblen Reaktion auf
sich verändernde Umweltbedingungen
führt. Die damit verbundene Reduktion der
Genomgröße ist für Endosymbionten, obligate Parasiten und Organellen, die kleine
effektive Populationsgrößen und kaum Rekombinationsmöglichkeiten haben, ein bereits mehrfach belegtes Phänomen [1]. In der
Tat umfaßt das Genom von Buchnera nur
etwa 650 kb und liegt damit im Bereich der
kleinsten bislang bekannten Genome wie
beispielsweise das Genom des obligaten
Parasiten Mycoplasma genitalium, das nur 580
kb groß ist [8, 17]. Von dieser Reduktion betroffen sind auch die rRNA-Gene von Buchnera, von denen nur noch eine Kopie erhalten blieb. Dies stellt wahrscheinlich eine
Anpassung an das langsame Wachstum der
Wirtszellen dar [3]. Von den bislang von
Buchnera charakterisierten 130 offenen Leserahmen (ORFs) besitzen alle eng verwandte homologe Gene in E. coli, was bedeuten könnte, daß das Buchnera-Genom
sich aus einem gemeinsamen Vorläufer mit
E. coli durch bloße Reduktion des Genoms
entwickelt hat. Die vollständige Genomsequenz von Buchnera wird derzeit ermittelt
und wird wichtige Hinweise auf die Evolution der Symbionten erlauben [http://
buchnera.gsc.riken.go.jp/].
Die Verfügbarkeit von Blattlausfossilien
erlaubte die Kalibrierung einer molekularen
Uhr, die auf die Rate der Nukleotidsubstitutionen in der 16S rDNA der Symbionten
rückschließen ließ. Dabei erwies sich die
Mutationsrate bei den Symbionten als etwa
doppelt so hoch wie der für freilebende Bakterien bestimmte Wert [19]. Eine Erklärung
für diese beschleunigte Mutationsrate könnte in der maternalen Übertragungsroute lie-
gen, die zu einer ständig wiederkehrenden
starken Reduktion der Populationsgröße
führt. Selbst schädliche Mutationen können
sich durch genetische Drift bei maternal
übertragenen Symbionten eher manifestieren als bei freilebenden Bakterien mit ihren
großen Populationen [1, 4, 19]. Tatsächlich
belegte der Vergleich der Häufigkeit und
Lokalisierung von Basensubstitutionen in
der 16S RNA, daß Buchnera, Wigglesworthia
und Blochmannia unabhängig voneinander
aufgetretene destabilisierende Substitutionen in solchen Bereichen der 16S RNA aufweisen, die in freilebenden Bakterien hochkonservierte Sekundärstrukturen ausbilden
[19].
Interessanterweise produzieren die
Myzetozyten-assoziierten Endosymbionten
große Mengen des Chaperonproteins GroEL, das sogar in hoher Konzentration in der
Hämolymphe von Blattläusen nachgewiesen
werden kann. Dieses Protein wird bei freilebenden Bakterien nur unter Streßbedingungen induziert, von den Symbionten aber
aus unbekannten Gründen konstitutiv exprimiert [4]. Das GroEL-Protein von Buchnera hat eine zusätzliche phytopathologische
Bedeutung, da es an der effizienten Ausbreitung phytopathogener Luteoviren beteiligt
ist, für die die Blattläuse als Vektoren dienen. GroEL kann die Luteoviren nach deren Aufnahme offenbar solange in den Blattläusen stabilisieren, bis sie bei erneuter Nahrungsaufnahme der Tiere wiederum in eine
Pflanze gelangen [29].
Abb. 6: In situ-Hybridisierung mit einer für die
16S rRNA der Symbionten spezifischen Oligonukleotidsonde und einer Larve von C. floridanus
im vierten Larvenstadium (entspricht etwa 6 mm
Länge der Larve).
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Neue Ansätze zur biologischen
Schädlingsbekämpfung
die entsprechenden Arthropoden hervorgerufen werden, lohnenswert sein kann.
Viele Arthropoden sind Schädlinge und
verursachen erhebliche Probleme in der
Landwirtschaft, beispielsweise Heuschrekken, Borkenkäfer oder Blattläuse, oder aber
sie stellen Vektoren für die Übertragung von
Krankheitserregern dar, wie etwa die Tsetse-Fliege oder die Zecken. Da die langjährige Verwendung von Insektiziden zu massiven Resistenz- bzw. Umweltproblemen
geführt hat, wird intensiv nach alternativen
Bekämpfungsstrategien gesucht, bei denen
auch symbiontische Mikroorganismen eine
Rolle spielen könnten [5]. So könnten die
durch Wolbachien verursachten reproduktiven Störungen bei infizierten Arthropoden
direkt zu ihrer Bekämpfung eingesetzt werden [15, 26]. Zudem wurde kürzlich gezeigt,
daß die in vitro kultivierbaren sekundären
Symbionten für genetische Manipulationen
zugänglich sind. Damit könnte es künftig
möglich werden, in den Vektor-Tieren Genprodukte zu exprimieren, die für die Krankheitserreger toxisch sind oder deren Übertragung hemmen [5,10]. Das Einbringen
derartiger genetisch veränderter Symbionten in Wolbachia-infizierte Vektor-Tiere
könnte durch den Einfluß der zytoplasmatischen Inkompatibilität zu einer Vektorpopulation mit deutlich verringerter Parasitenlast führen [5].
Ein vielversprechendes Beispiel für den
Einsatz von Vektoren-Tieren mit genetisch
veränderten Symbionten ist kürzlich im Falle der durch Trypanosoma cruzi verursachten
und durch Raubwanzen (v.a. Rhodnius prolixus) übertragenen Chagas-Krankheit beschrieben worden. In diesem System konnte durch genetische Manipulation eines extrazellulären symbiontischen Actinomyceten
(Rhodococcus rhodnii), der für Wachstum und
Entwicklung der Raubwanzen essentiell ist,
das antimikrobielle Peptid CecropinA exprimiert und sezerniert werden [14]. In Laborversuchen erwiesen sich die mit den rekombinanten Symbionten besiedelten Raubwanzen als weitgehend resistent gegenüber
der Infektion durch T. cruzii.
Die Bekämpfung von Schadinsekten
durch den „Symbionten-Ansatz“ liegt sicherlich noch in weiter Ferne, und eine große Zahl an technischen Schwierigkeiten und
Sicherheitsproblemen bleibt zu überwinden.
So fehlen weitgehend geeignete Mikroorganismen zur Manipulation der jeweiligen
Schädlinge. In den meisten Fällen sind die
bislang charakterisierten Bakterien einer
genetischen Manipulation (noch) nicht zugänglich. Trotzdem könnte der „Symbionten-Ansatz“ zu interessanten Entwicklungen führen, deren Weiterverfolgung unter
Berücksichtigung der medizinischen Probleme und wirtschaftlichen Schäden, die durch
Danksagungen
Die Autoren danken D. Beier für die
kritische Durchsicht des Manuskriptes und
der Deutschen Forschungsgemeinschaft
und dem Fonds der Chemischen Industrie
für finanzielle Unterstützung.
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Roy Gross
geboren 1956, Studium der Biologie in Tübingen,
Promotion 1985 bei Volkmar Braun. 1985 - 1990
Postdoc und wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Forschungszentrum der Sclavo S.p.A., Siena, Italien,
bei Rino Rappuoli. 1990 - 1991 Forschungsaufenthalt
am Institut Pasteur bei Agnes Ullmann. 1991 - 1994
wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für
Mikrobiologie der Universität Würzburg bei Werner
Goebel, dort 1994 Habilitation im Fach Mikrobiologie.
Seit 1997 Professur für Mikrobiologie an der
Universität Würzburg. Forschungsschwerpunkte:
Regulation und Evolution von bakteriellen Virulenzfaktoren; Symbiosen von Bakterien und Insekten.
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Korrespondenzadresse
Roy Gross
Lehrstuhl für Mikrobiologie
Biozentrum der Universität Würzburg
Am Hubland
D-97074 Würzburg
Tel.: 0931-888 4403
Fax: 0931-888 4402
eMail: [email protected]
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