Falsche Herkunft! (Vom Ausreißen der Pflanze)

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Gt 08020 / p. 455 / 28.9.2007
Falsche Herkunft! (Vom Ausreißen der Pflanze)
Mt 15,13 (EvThom 40)
Jede Pflanze, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, wird ausgerissen werden.
Sprachlich-narrative Analyse (Bildlichkeit)
Die Parabel steht in der Perikope über Rein und Unrein (Mt 15,1-20) innerhalb einer
JüngerInnenbelehrung (Mt 15,12-20), in einem Abschnitt (Mt 15,12-14), der Jesu Ausführungen über Rein und Unrein mit einer direkten Pharisäerpolemik unterbricht (V. 15
schließt gut an V. 11 an!) und deshalb allgemein als sekundärer Einschub angesehen
wird. Anders als die Parabel von den blinden Blindenführern, mit der sie zusammensteht
(15,14, vgl. – jedoch in anderem Kontext – Lk 6,39), findet sich die Parabel von der
Pflanze, die ausgerissen werden wird, nur bei Mt.
Die generalisierende Formulierung mit emphatischem p”sa (pasa – jede) meint
ohne Ausnahme alle Pflanzen, die, wie der folgende Relativsatz durch eine Negation präzisiert, Jesu himmlischer Vater nicht gepflanzt hat. Dem »Pflanzen« steht oppositionell
das »Ausreißen« (wörtlich: »Entwurzeln«) gegenüber, dem Aorist das Futur. Implizit ist
dem himmlischen Vater als Pflanzer ein anderer Pflanzer entgegengesetzt. Diese implizite
Opposition erinnert an die explizite Opposition des Menschen und seines Feindes in Mt
13,24 f.37 ff. im weiteren Kontext (mit Baumbach 1963, 90 gegen Gnilka 2 1992, 25). In
Mt 13,24 ff. geht die zum »Menschen« oppositionelle Figur nach der Aussaat weg und der
Protagonist bleibt allein bestimmend (s. o. zu Mt 13,24-30.36-43). In Mt 15,13 dagegen
ist der Antagonist nicht explizit erwähnt, was die zentrale Bedeutung des Protagonisten
betont. Diese geht auch daraus hervor, dass der himmlische Vater Jesu nach Mt 15,13
(auch) an den Pflanzen handeln kann, die er gar nicht gepflanzt hat: »… jede Pflanze,
die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, wird ausgerissen werden.« Das Passiv
ist ein passivum divinum, verweist also auf Gott. Das ¥krizƒw (ekrizoō – entwurzeln,
ausreißen) erinnert wieder an die Parabel vom Unkraut: Mt 13,29 ist die einzige Stelle
im Matthäusevangelium, in der das Verb noch einmal verwandt wird. Ist Mt 13,24 f. der
Same über kalƒ@ (kalos – gut) explizit positiv und über ziz€nia (zizania – Unkraut) als
giftige Pflanze explizit negativ konnotiert, so wird in Mt 15,13 die Pflanze allein durch
die Herkunft (vom himmlischen Vater gepflanzt oder nicht) determiniert. Nur die negative Möglichkeit ist im Blick.
Das Bild kann sich nach dem Kontext auf die Satzungen der Pharisäer beziehen
(vgl. Mt 15,3.6.9), aufgrund des Bildgebrauchs ist der Bezug auf Menschen, hier: die
Pharisäer, jedoch wahrscheinlicher. Die indirekte Polemik gegen die Pharisäer in Mt
15,1-9, die in den Auseinandersetzungen Jesu mit den Pharisäern in Mt 12 vorbereitet
wurde, wird in Mt 15,13 zur Gerichtsansage zugespitzt.
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Parabeln im Matthäusevangelium
Analyse des Bedeutungshintergrunds (Bildfeldtradition)
»Vater« ist eine (konventionelle) Metapher für Gott, wie durch das Attribut »himmlisch«
klargestellt wird; das »mein« (in Mt nur noch in 18,35) macht die besondere Beziehung
zwischen Jesus und Gott deutlich.
Der Begriff futeffla (phyteia – Pflanze) begegnet zwar nur hier im Neuen Testament, das Verb »pflanzen« jedoch auch in Mt 21,33 (vom Hausherrn/Gott), sowie in
1Kor 3,6 ff. (von Paulus) jeweils im Hinblick auf eine Gemeinschaft. Das Bild rekurriert
auf ein – im Gegensatz zur Saatmetaphorik – verbreitetes traditionelles Teilbildfeld
(Quell 1990, 542 Z. 11 ff.), wonach Israel bzw. eine Gruppe in Israel als von Gott gepflanzt vorgestellt wird oder als Pflanzung bzw. Pflanze Gottes. Die Metaphorik hebt im
Alten Testament die Erwählung Israels hervor und ist ganz auf Gott bezogen: JHWH hat
sein Volk ins Land gepflanzt oder wird es dort wieder einpflanzen (Ex 15,17; 2Sam 7,10;
Jer 24,6; 32,41; u. ö.), bzw. seinen Weinstock (ein Gemeinschaftsbild für Israel: Jer 2,21;
Jes 5,2; vgl. Ps 80,9-16). Die Metaphorik des Pflanzens umschreibt JHWHs Heilshandeln
an seinem Volk, häufig seine Hineinführung in das verheißene Land (Bach 1961; von
Gemünden 1993, 50 mit Anm. 2; 66 mit Anm. 3). Ihm kann (so bei Jeremia) das Ausbzw. Niederreißen als Ausdruck der Verwerfung opponiert werden (von Gemünden
1993, 66 mit Anm. 6; Bach 1961, 28). Ein Antagonist, der Schlechtes pflanzt, fehlt im
Alten Testament. Seltener als »pflanzen« und im Bildempfängerkreis verengt ist der substantivische Gebrauch: Das Bild der Pflanzung (JHWHs) meint das eschatologische Gottesvolk, das nur aus Gerechten besteht (Jes 60,21; vgl. Jes 61,3). Ausgehend von Jes 60,21
wurde das Gemeinschaftsbild der Pflanzung (vgl. dazu: LibAnt 18,10) in der Folge häufig
weitergebildet zur eschatologisch konnotierten »Pflanze der Gerechtigkeit« (1Hen 10,16;
93,5.10; Jub 1,16; 16,26; 36,6; u. ö.), die mit Segen und Erwählung verbunden ist (von
Gemünden 1993, 95.105). Der Ausdruck signalisiert die Verengung auf das »wahre Israel« (Reese 1967, 74 f. Anm. 34). In den von pharisäischem Geist geprägten PsSal heißt es
in 14,4 f.: »Ihre [der Frommen] Pflanzung ist verwurzelt für die Ewigkeit, sie werden
nicht ausgerissen alle Tage des Himmels; denn Gottes Teil und Erbe ist Israel [im Sinn
von: die Frommen]« (Holm-Nielsen 1977, 91 Anm. 5a; Fujita 1976, 31). Die Qumrangemeinde verstand sich ganz analog als »ewige Pflanzung« (1QS 8,5; 11,8; vgl. CD 1,7),
war sich dabei aber der Spannung zwischen der bestehenden Gemeinschaft und der
eschatologischen »ewigen Pflanzung« bzw. der kommenden »Pflanze der Gerechtigkeit«
bewusst (von Gemünden 1993, 118). Das Selbstverständnis der Gemeinde ist durch
einen Dualismus geprägt (Baumbach 1963, 90) – ihre Mitglieder erfüllen demnach im
Gegensatz zu den Nichtmitgliedern wirklich das Gesetz (1QS 1,8 ff.; 2,2; 3,3 u. ö.). Die
positive Konnotation der Metaphorik wird in mSanh 10,1a aufgegriffen, wo unter Bezug
auf Jes 60,21 festgestellt wird, dass ganz Israel Anteil an der zukünftigen Welt haben wird.
Das Ausreißen ist ein Gerichtsbild. Auffälligerweise wird es in Mt 15,13 nicht mit
fehlender Frucht motiviert und zielt im Unterschied zu Mt 3,10 (vgl. Lk 13,7 ff.) auch
nicht auf eine Verhaltensänderung, sondern bestimmt die »Identität« und das Schicksal
der Pflanze ganz durch deren Herkunft.
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Falsche Herkunft! Mt 15,13
Zusammenfassende Auslegung (Deutungshorizonte)
In Mt 15,13 greift der mt Jesus mit der »Pflanze« ein Gemeinschaftsbild auf, welches
deutlich abgrenzend das elitäre Selbstverständnis Israels bzw. des »wahren« Israels ausdrückt, das sich von Gott gepflanzt und durch die rechte Toraauslegung ausgezeichnet
weiß. Das Bild entspricht dem kollektiven Selbstverständnis der Pharisäer. Im Kontext
eines Konflikts mit den »Pharisäern« wendet der mt Jesus es im Kreis seiner JüngerInnen
kritisch gegen jene. Er spricht den Pharisäern die Zugehörigkeit zur Gottespflanzung ab
und droht ihnen das Ausreißen (vgl. das Unkraut in Mt 13,29!), also das Gericht, an. Neu
gegenüber der Tradition ist die polemische Verwendung der Metapher der Pflanze/Pflanzung gegenüber Dritten. Dabei macht der mt Jesus durch die Formulierung »mein Vater«
deutlich, warum er mit solcher Autorität sprechen kann (Käsemann 1970, 240; Hagner
1995, 436). Die Parabel hat die Funktion, die Position des mt Jesus zu rechtfertigen
(Münch 2004, 70). Ist die dort ausgedrückte Distanzierung von den Pharisäern als Distanzierung des Christen Matthäus vom Judentum seiner Zeit zu verstehen? Oder zeichnet
sich diese Distanzierung in die allgemeine Distanzierung des rabbinischen Judentums
nach 70 n. Chr. von den Pharisäern ein? (Zu dieser Neubewertung der Pharisäer nach
70 n. Chr. vgl. P. Schäfer 1991, 126 ff.). Trotz der klaren Distanzierung macht die futurische Formulierung in Mt 15,13 deutlich, dass erst im künftigen Gericht die falsche Pflanzung ausgerissen und die »wahre« Pflanzung bestehen wird – weshalb sich auch die mt
Gemeinde nicht in Heilssicherheit wiegen darf.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte
Nach einem negativen Logion über die Pharisäer lesen wir in EvThom 40:
Jesus sagte: Ein Weinstock ist gepflanzt worden außerhalb des Vaters; und da er nicht
befestigt ist, wird er ausgerissen werden mit seiner Wurzel, (und) er wird verderben.
Statt von »jeder Pflanze« erzählt EvThom 40 von »einem Weinstock«; statt vom Pflanzenden ist lokal vom Pflanzen »außerhalb des Vaters« die Rede und es finden sich einige
Erweiterungen gegenüber Mt 15,13. Auch hier ist das Bild dualistisch und prädestinatianisch geprägt (vgl. EvThom 49; Schrage 1964, 105) und zeigt kein Interesse am Fruchtbringen. Hat es den Nichtgnostiker im Blick? EvPhil (NHC II, 3) 85,29 f. greift auf Mt
15,13 zurück, um deutlich zu machen, dass das Heil des Pneumatikers darin begründet
ist, dass er von Gott gepflanzt ist (von Gemünden 1993, 383 f. mit weiteren Parallelen).
Die Pflanze von Mt 15,13 wird in der Auslegungsgeschichte a) auf die Lehre der
Pharisäer, b) auf die Pharisäer oder c) auf beide interpretiert (Belege bei Fonck 3 1909,
300). Luther interpretiert sowohl auf die Gesetze Mose’s als auch kollektiv auf die Pharisäer (WA 38, 590,12 ff.). Selten wird das Bild individualisiert (so Th. v. Aquin 5 1951,
200 f., Nr. 1307: der falsche Wille wird ausgerissen werden). Interessanterweise kann in
der Auslegung trotz des deterministischen Bildes an der Möglichkeit zur Änderung festgehalten werden. So hat der Mensch nach Hieronymus nur nach der Abkehr seines freien
Willens von Gott aufgehört, eine Pflanzung Gottes zu sein (Hier. comm. in Matt.15,13
[SC 242]).
Petra von Gemünden
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Parabeln im Matthäusevangelium
Literatur zum Weiterlesen:
L. Fonck, Die Parabeln des Herrn im Evangelium exegetisch und praktisch erläutert. Dritte, vielfach verbesserte und vermehrte Aufl., Christus, lux mundi III/1, Innsbruck 3 1909, 299 f.
P. von Gemünden, Vegetationsmetaphorik im Neuen Testament und seiner Umwelt. Eine Bildfelduntersuchung, NTOA 18, Freiburg (Schweiz)/Göttingen 1993, 174-176, vgl. 50 f.;
66 f.; 81; 94 ff.; 105; 116; 118 f.; 340 ff.; 383 f.
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