CMD – das kranke Kiefergelenk Die Kiefergelenke gehören zu den am stärksten belasteten Gelenken unseres Körpers. Unsere Nahrung wird zwar immer weicher, aber der seelische Stress nimmt immer mehr zu. Darum kauen wir unsere täglichen Probleme nachts noch einmal durch. Fehlende oder falsch stehende Zähne verstärken diese "schlechten Angewohnheiten". Die Folgen sind Schäden an Zähnen, Muskeln und Kiefergelenken, die für derartig starke Dauerbelastungen nicht geschaffen sind. Das Knackgeräusch im Kiefergelenk ist das erste Zeichen für eine Veränderung, die unbehandelt meist mit Schmerzen und Bewegungseinschränkungen endet. Eine gründliche Untersuchung – die Funktionsanalyse – lässt das Ausmaß des Schadens erkennen. Eine individuell angepasste Schiene kann helfen, bleibende Schäden zu verhindern. Unter "Cranio-Mandibulärer-Dysfunktion", abgekürzt CMD, versteht man in der Medizin eine Reihe von Symptomen, die ihren Ursprung im Bereich der Muskulatur des Kopfes und Halses haben. Ursprünglich sah man im wesentlichen eine Problematik der Kiefergelenke: der Oberkiefer sitzt im Schädel=Cranium, der Unterkiefer heißt Mandibula, Dysfunktion bedeutet fehlerhafte Funktion. Heute hat man die Muskulatur als die treibende Kraft dieser Fehlfunktionen erkannt. Beteiligt ist dabei meist die gesamte Muskulatur des Kopfes und des Halses, die allerdings unterschiedlich stark und häufig angespannt wird. Die Normalfunktion dieser Muskeln ist abhängig von der Hauptaufgabe der jeweiligen Muskeln. Die Muskeln die die Kiefer schließen, also beim Beißen benötigt werden, können kurzzeitig sehr hohe Kräfte aufbringen. Die Muskeln des Halses sind für die Haltung des Kopfes da. Sie brauchen nicht so sehr kräftig zu sein, müssen dafür ausdauernder sein, denn diese Haltearbeit wird ja über lange Zeit gebraucht. Die mimische Muskulatur, also die Muskeln des Gesichts und die unter dem Haupthaar, werden zum Signalisieren unserer Stimmung an die Mitmenschen eingesetzt. Wenn wir glücklich sind und uns freuen und lachen aber auch bei Angst, Ärger, Wut oder im Trauerfall werden diese Stimmungen durch die unterschiedlichen Gesichtsausdrücke wiedergegeben. Allen diesen Muskeln ist eines gemein: bei Überbelastung verspannen sie und werden schmerzhaft. Der Kopfschmerz nach einer durchfeierten Nacht ist zum Beispiel eine Verspannung der Muskel auf dem Kopf, die dann oft als kappenartiger Schmerz beschrieben wird. Die Steuerung der Muskeln erfolgt über die Nerven durch das Gehirn. Da meist nicht ein einzelner Muskel vom Gehirn "eingeschaltet" wird, sondern mehrere, also Muskelgruppen und ein Muskel mehreren Gruppen angehören kann, kommt es oft auch zu Schaltfehlern, die sich darin äußern, dass mehrere Muskelgruppen gleichzeitig aktiv sind, obwohl das eigentlich für den Zweck nicht nötig ist. Die Muskeln des Kopfes, Halses und angrenzend auch der Schultern, die ja bei der Kopfhaltung als Widerlager eine wichtige Rolle spielt, sind sehr oft durch eigentlich unnötige Verspannungen betroffen. Dabei findet sich als Zentrum der Aktivität sehr oft das Kiefergelenk als zentraler Verknüpfungspunkt der uralten "Lebenserhaltungszentrale". Fressen, Trinken, Atmen, Kämpfen, Kommunizieren – fast alle lebenserhaltenden Funktionen sind mit den Kiefern verbunden. Die Funktionsdiagnostik des Kiefergelenks und der beteiligten Muskulatur ist eine erweiterte Untersuchung, die sich aus verschiedenen Teiluntersuchungen zusammensetzt. Im letzten Vierteljahrhundert hat sich die Gewichtung der einzelnen Komponenten in der Beurteilung der Fachleute sehr gewandelt. Sprach man in den 70er- und 80er-Jahren noch von der "Gnathologie" und legte fast ausschließlich auf die Gestaltung der Kauflächen der Zähne wert, also eine sehr technisch mechanische Sichtweise, rückte in den 80er- und 90er-Jahren die Muskulatur als die "treibende Kraft" der Haltung und Bewegung des Unterkiefers und des Kopfes in den Vordergrund. Folgerichtig wurden als Ursache der erhöhten Muskelaktivität die psychosozialen Belastungen, die uns alle vermehrt betreffen, in das zentrale Blickfeld gerückt. Man spricht heute von "Cranio-MandibulärerDysfunktion" (CMD) was übersetzt "Kiefergelenksfehlfunktion" bedeutet. aktuellen Rechtsprechung gewürdigt: auch wenn die Kosten der Funktionsanalyse nicht von den Gesetzlichen Krankenkassen getragen werden, ist eine solche Untersuchung auf Kosten des Patienten durchzuführen, wenn Zahnersatz, Kronen oder Füllungen angefertigt werden sollen und durch die Voruntersuchung der Verdacht auf eine Funktionsstörung vorliegt. Auch hier erkennt man die Bedeutung der Funktionsdiagnostik. Die Kiefergelenksdiagnostik, wie sie mit der Funktionsdiagnostik durch den weitergebildeten und erfahrenen Zahnarzt möglich ist, kann also nur ein Momentbild des Schadens aufzeigen, wie er sich zur Untersuchungszeit darstellt. Sie allein ist keine Untersuchung der Grundprobleme. Trotzdem ist sie von größter Bedeutung, weil erst durch sie das Ausmaß des Schadens ermessen werden kann und durch geeignete zahnärztliche Maßnahmen eine weitere Schädigung bis hin zur Zerstörung empfindlicher Gelenkstrukturen vermieden werden kann. Die Funktionsdiagnostik gliedert sich in einzelne Untersuchungsabschnitte auf, die je nach Schwere des Befundes kaskadenartig abgearbeitet werden müssen. Dabei ist nicht jeder Untersuchungsschritt auch bei jedem Patienten notwendig oder sinnvoll. Ausbildung und Erfahrung des Untersuchers ersparen Unbequemlichkeiten und Kosten. Denn, obwohl immer mehr Menschen von diesen psychosomatischen Problemen betroffen sind, wird ein großer Teil der Untersuchung nicht von den Kostenträgern der Gesetzlichen Krankenversicherung übernommen. Die Funktionsdiagnostik beginnt eigentlich schon mit der zahnärztlichen Grunduntersuchung. Hier sollte jeder Zahnarzt die auffälligsten Befunde einer Funktionsstörung erkennen und eine erweiterte Diagnostik einleiten. Leider ist das nicht immer so. Auch auffällige Befunde werden vielfach als "altersentsprechende Abnutzungserscheinung" oder "bedeutungslose Normvariante" verkannt. Um so gefährlicher wird es, wenn dann durch die zahnärztliche Behandlung, also durch Füllungen, Kronen oder Zahnersatz, die Probleme des Patienten verstärkt oder ausgelöst werden. Denn so weit gelten die Regeln der Gnathologie auch heute noch, dass eine ungünstige Gestaltung der Kauflächen eine Funktionsstörung verstärken oder vermeintlich auslösen kann, wenn sie denn nur als unterschwellige, also noch nicht schmerzhafte Schädigung, vorliegt. Peinlich, wenn dann der neue Zahnersatz nur noch für den Mülleimer taugt. Dieses wird auch von der Sollte also die zahnärztliche Untersuchung den Verdacht auf eine Funktionsstörung ergeben haben, wäre als nächster Schritt eine klinische Funktionsanalyse durchzuführen. Hierbei handelt es sich um eine erweiterte Untersuchung, die aus der Erhebung der speziellen Anamnese (Vorgeschichte), eine einfache Vermessungen der Bewegungen des Unterkiefers und das gezielte Abtasten der Muskulatur und Gelenke. Ein wichtiger Teil dieser klinischen Funktionsanalyse ist die Manuelle-Struktur-Analyse. Dieses Untersuchungsverfahren, gibt durch gezielte Druckund Zugbelastung mit den Händen des Untersuchers Aufschluss über den Zustand der Kiefergelenke und der Muskulatur, wie es kein anderes Verfahren vermag. Allerdings hängt das Ergebnis sehr von der Ausbildung und der Erfahrung des Untersuchers ab. Die räumliche Nähe der Kiefergelenke mit den Ohren macht es erforderlich, ggf. auch einen Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde hinzuzuziehen. Enge Verknüpfungen der als "Kaumuskulatur" bezeichneten Muskelgruppen mit der Muskulatur von Kopf und Hals, Schultern, Wirbelsäule bis hin zum Becken benötigen in vielen Fällen auch den Rat eines Facharztes für Orthopädie und den Einsatz der Physiotherapie. Da die Haltung von Kopf, Schultern und Wirbelsäule von den Augen gesteuert wird, ist eine mögliche Fehlsichtigkeit durch einen Facharzt für Augenheilkunde und einen Augenoptiker zu korrigieren. Falls erforderlich kann durch einen Facharzt für Radiologie ein Magnet-Resonanz-Tomogram (MRT) als bildgebendes Verfahren angefertigt werden. Möglicherweise sind die Ursachen von Schmerzen und Fehlfunktionen aber auch in einer Erkrankung des Gehirns oder der Nerven zu suchen, wofür ein Facharzt für Neurologie zu Rate gezogen werden muss. Letztendlich ist die Ursache von Schmerzen und Funktionsstörungen in psychischen Überlastungen und Stress zu sehen, so dass auch die Hilfe eines Facharztes für Psychotherapeutische Medizin erforderlich wird. Erste zahnärztliche Hilfe erfolgt in dieser Phase durch den Einsatz von sogenannten Schienen, die bei Schmerzen und Verspannungen der Muskulatur Linderung und Entspannung bringen und für die weitere Untersuchung und Behandlung möglicher Störungen in der Verzahnung der Zähne als Grundlage dienen. Zur Absicherung etwaiger unklarer Befunde kann eine instrumentelle Funktionsanalyse sinnvoll sein. Damit lassen sich die Bewegungen des Kiefergelenks präzise aufzeichnen und auswerten. Dieses Verfahren lässt sich auch mit computergestützter Aufzeichnung verbinden. Es wird deutlich, dass die Erkennung von Funktionstörungen im Zusammenspiel von Kopfmuskulatur, Kiefergelenken und Zähnen und möglicher verschleiernder Ursachen sehr komplex ist und eine gute Koordination erfordert. Da der häufigste erste Anlaufpunkt des Patienten die Zahnarztpraxis ist, hat es sich ergeben, dass von hier aus die Betreuung der Patienten erfolgt. Bedauerlicherweise wird dieser Bereich allerdings kaum in der Grundausbildung des Zahnarztes, also Studium und Assistenzzeit, ausgebildet. Kenntnisse können fast ausschließlich in Weiterbildungen an Universitäten und zahnärztlichen Fortbildungsinstituten erworben werden, was erheblichen Zeitaufwand und hohen finaziellen Einsatz erfordert. Die Ausbildung zum Kieferorthopäden, der eigentlich korrekt "Orthodontist" heissen müsste, umfasst diesen Bereich ebensowenig wie das vorhergegangene Studium der Zahnmedizin. Folglich gibt es noch einen großen Mangel an in diesem Fachgebiet weitergebildeten Zahnärzten. Für weitere Informationen: Dr. med. dent. Claus Nordmeyer Rischweg 3 D-30559 Hannover (Anderten) Tel.: 05 11 - 52 05 20 E-Mail: [email protected]