Postille Nummer 188 · August 2014 Postfach: 2754 · 32717 Detmold Telefon: 0 52 31 | 911 9 Telefax: 0 52 31 | 911 503 E-Mail: [email protected] Internet: www.cvua-owl.de Liebe Leserin, Leserin, lieber Leser, erstmalig haben wir bei Wildkaninchen in Ostwestfalen-Lippe die erst vor wenigen Jahren neu entdeckten Erreger der Hämorrhagischen Kaninchenkrankheit RHDV-2 festgestellt. Unsere Abteilungsleiterin für Tiergesundheit und Fachtierärztin für Virologie, Frau Dr. Silvia Blahak, hat Ihnen aus diesem Grund in dieser Postille viele interessante und wissenswerte Erkenntnisse über diese Krankheit, die im Volksmund auch als „Chinaseuche“ bekannt geworden ist, zusammengestellt. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen dieser informativen Lektüre. Auch an uns gehen die neue Informationstechnik und der Umweltschutz nicht spurlos vorüber. In Zukunft werden wir unsere Prüfberichte und Gutachten elektronisch übermitteln. Dies spart eine große Menge an Papier und darüber hinaus stehen Ihnen Ihre Ergebnisse schneller zur Verfügung. Sofern uns Ihre aktuelle EmailEmail-Adresse noch nicht vorliegt, möchten wir Sie bitten, uns diese per Email unter poststelle@cvua poststelle@[email protected] oder per Telefon unter 05231/9119 mitzuteilen. mitzuteilen Noch etwas in eigener Sache. Wie in unsere Postille vom April dieses Jahres berichtet, ist Herr Dr. Hackmann in den wohlverdienten Ruhestand gegangen. Über seine außerordentlichen Verdienste für unser Haus brauche ich Ihnen nichts zu erzählen, die sind Ihnen, so glaube ich, hinlänglich bekannt. Ich möchte mich kurz auf diesem Wege als sein Nachfolger vorstellen. Ich bin Lebensmittelchemiker und habe mein zweites Staatsexamen an den Untersuchungsämtern in Köln, Bonn und Leverkusen absolviert. Nach meiner anschließenden Promotion in der Lebensmittelmikrobiologie in Bonn wechselte ich als Division Manager für den Bereich Food & Beverage an das Institut Fresenius in Taunusstein. In den letzten fünf Jahren war ich dann als Geschäftsführer der Eurofins Österreich und Ungarn in Wien tätig. Seit dem 01. Mai habe ich nun die Nachfolge von Herrn Dr. Hackmann angetreten und freue mich auf eine fruchtbare und erfolgreiche Zusammenarbeit mit Ihnen. Ihr (Dr. Ansgar Ferner) Postille Nr. 188· August 2014 Seite 2 von 4 Rabbit Haemorrhagic Disease (Hämorrhagische (Hämorrhagische Kaninchenkrankheit, RHD) in OstOstwestfalen (Dr. Silvia Blahak) Im Mai dieses Jahres wurden in der Nähe von Lage tot aufgefundene Wildkaninchen zur Untersuchung ins CVUA-OWL eingeliefert. Das pathologische und histologische Bild sprachen für das Vorliegen von RHD. Für eine weitere Typisierung des Virus wurde Organmaterial von zwei Tieren zum Friedrich-Löffler-Institut auf die Insel Riems geschickt. Dabei stellte sich heraus, dass die beiden Kaninchen mit dem erst vor wenigen Jahren neu in Frankreich entdeckten RHDV-2 infiziert waren. Dieser Virustyp war zuvor noch nicht in Ostwestfalen nachgewiesen worden. Dieser Nachweis ist Anlass, hier bekannte Fakten und neue Erkenntnisse über diese seit ca. 30 Jahren vorkommende Krankheit zusammenzufassen. RHD wird von einem Virus aus der Familie der Caliciviridae und dem Genus Lagovirus hervorgerufen. Zuerst wurde das Virus 1984 in China nachgewiesen, wo es in einem Import von Angorakaninchen aus Deutschland festgestellt wurde; daher stammt auch der Trivialname „Chinaseuche“. Durch weitere Untersuchungen in den letzten Jahren kristallisierte sich heraus, dass das Virus tatsächlich aus Europa stammt und sich dort in den Jahren zuvor unerkannt in der Wildpopulation verbreitete. Als Ursprung wird die Mutation eines zuerst apathogenen Virus zum pathogenen RHDV angenommen. Mittlerweile ist das Virus in Europa, Amerika, Kanada, Australien, Neuseeland und dem asiatischen Raum endemisch. Die klassische RHD wurde bis jetzt nur bei Kaninchen nachgewiesen, nicht bei Hasen. Der europäische Hase (Lepus europaeus) wird von einem anderen Virus aus dem Genus Lagovirus infiziert, das sehr ähnliche Symptome und Pathologien auslöst (European Brown Hare Syndrome, EBHS). Dieses Virus ist nicht auf Kaninchen übertragbar. RHD kann zu einer Mortalität bis zu 90 % führen, allerdings gibt es auch deutlich weniger pathogene Stämme. Die Inkubationszeit beträgt ein bis drei Tage. Bei der perakuten Form sterben die Tiere sehr schnell ohne äußere Anzeichen. Eine akute Infektion zeigt sich durch Fieber, Anorexie, Apathie und häufig zentralnervöse Symptome. Blutiger Nasenausfluss oder Blutungen in der Sklera können ebenfalls vorkommen. Einzelne Virusstämme können eine subakute Verlaufsform hervorrufen, dabei treten die beschriebenen Symptome in milderer Form auf. Selten kommt es zu chronischen Formen mit Anzeichen von Leberschädigung (Ikterus). Überlebende Kaninchen entwickeln Antikörper. Die pathologischen Befunde geben häufig schon einen Hinweis auf die Erkrankung. Typisch sind eine vergrößerte, gelbliche, brüchige Leber, Blutungen in Lunge und Trachea und/oder Nieren. In der histologischen Untersuchung fallen vor allem die Leberveränderungen auf. Es sind regelmäßig hochgradig akute Zellnekrosen mit eosinophilem Zytoplasma (Koagulationsnekrosen der Proteine) festzustellen. Der Leberschaden führt zu Störungen der Blutgerinnung, weshalb eine disseminierte Postille Nr. 188· August 2014 Seite 3 von 4 intravasale Gerinnung (Mikrothromben) und eine hämorrhagische Diathese (Blutungen in den Organen) zu beobachten sind. Da das Virus nicht in der Zellkultur anzuzüchten ist, kann der Nachweis nur über die Pathologie in Kombination mit Histologie, Hämagglutination oder PCR erfolgen. RHDViren agglutinieren humane Erythrozyten. Diese Reaktion lässt sich auch an Lebersuspensionen darstellen und gibt einen weiteren Hinweis auf die Infektion. Die Übertragung kann oral, nasal oder über blutsaugende Insekten (als mechanischer Vektor) erfolgen. Das Virus bleibt in Tierkadavern bis zu 3 Monate infektiös. Typischerweise erkranken nur adulte Kaninchen über 2 Monate. Jungtiere besitzen eine Art natürlicher Resistenz. Die Leberzellen sind in dieser Altersgruppe weniger gut vom Virus zu infizieren, da etwas andere Zellrezeptoren vorliegen. Gleichzeitig kommt es zu einer sehr schnellen Antikörperbildung, die das Virus innerhalb von nur wenigen Tagen eliminiert. Maternale Antikörper können ebenfalls eine Rolle spielen. Sie schützen Jungtiere und mildern eine Feldvirusinfektion ab, erlauben aber die Ausbildung einer spezifischen Immunantwort, die auch nach Abbau der maternalen Antikörper vorhanden bleibt. Schutz vor der Erkrankung bietet eine Impfung, wobei mehrere unterschiedliche Impfstoffe auf dem Markt sind. Sie enthalten entweder aus Organsuspensionen inaktivierte Viren oder antigen wirkende Proteine, die von gentechnisch veränderten Viren (z.B. Myxomatosevirus) präsentiert werden. Die jährliche Auffrischung der Impfung ist notwendig. Wie bei vielen RNA-Viren existieren auch bei RHD unterschiedlich pathogene Virusstämme. Bekannt sind derzeit 6 Genogruppen des klassischen RHD, dazu eine antigenetisch abweichende Variante RHDVa, die 1997 in Italien festgestellt wurde, sowie apathogene Caliciviren. Pathogene Stämme vermehren sich vorwiegend in der Leber und verursachen schwere akute Zellschäden, nicht pathogene Stämme vermehren sich vorwiegend im Darm. Interessant ist die Coevolution von Virus und Wirt am Beispiel Australien. Das Virus wurde bewusst nach Australien eingeschleppt, um die dort importierten Kaninchen zu dezimieren. Allerdings sank die Mortalität im Verlauf des Seuchenausbruches, resistente Tiere vermehrten sich wieder. In diesem Zusammenhang stellte sich heraus, dass in Australien ein apathogenes Calicivirus in der Kaninchenpopulation kursiert, das eine gewisse Immunität gegenüber RHDV hervorruft. Untersuchungen in Europa zeigten, dass auch hier apathogene Caliciviren in der Kaninchenpopulation vorhanden sind und einen gewissen Schutz gegenüber der Ausbreitung des Virus bieten. Mittlerweile ist in verschiedenen Gebieten in Australien wieder eine ansteigende Mortalität zu beobachten, da sich auch das Virus verändert hat. Ein neues RHDV aus Spanien zeigt ebenfalls neue Pathogenitätseigenschaften. Dieses Virus tötet auch Jungtiere im Alter unter 30 Tagen. Es wurde Ende 2011 in kommerziellen Kaninchenhaltungen festgestellt, wo ein großer Teil der Tiere geimpft war, was allerdings keine Schutzwirkung gegenüber diesem neuen Virus hatte. Postille Nr. 188· August 2014 Seite 4 von 4 Das jetzt auch in Ostwestfalen nachgewiesene RDHV2 wurde 2010 in Frankreich entdeckt. Es verursacht eine geringere Mortalität und weniger schwere Krankheitsverläufe als das klassische RHDV und unterscheidet sich genetisch deutlich von diesem, deshalb wurde es als RHDV2 bezeichnet. Es weist nur eine partielle Kreuzreaktion mit dem klassischen RHDV auf, deshalb mildert eine Impfung den Krankheitsausbruch, schützt aber nicht vollständig. Der neue Virustyp hat sich innerhalb kurzer Zeit in ganz Frankreich in der Wildpopulation und der kommerziellen Kaninchenhaltung ausgebreitet und den klassischen Typ verdrängt. Mittlerweile wurde das Virus auch in Italien nachgewiesen. Es gibt eine Beschreibung aus Sardinien über eine Infektion von sardischen Hasen (Lepus capensis mediterraneus) mit RHDV2, im Gegensatz zu klassischem RHDV, das Hasen nicht infiziert. Aus diesem Grund ist es auch von Interesse, europäische Hasen auf das neue RHDV2 zu untersuchen.