„Und wo bleibt da die Ethik?“ Dipl.-Psych. M. Schröer Psycholog. Psychotherapeutin Psychoonkologin, Medizinethikerin 9.4.2014 1. Düsseldorfer multidisziplinäres Palliativkolloquium Entscheidungen am Lebensende „Entscheidungen über die Änderung des Therapieziels am Lebensende gehören zu den häufigsten und schwierigsten Herausforderungen für Ärzte und andere Gesundheitsberufe.“ Jox et al. 2012 Entscheidungen am Lebensende • Bevölkerung - 2 von 3 Todesfällen sind absehbar - bei 23-50% werden Entscheidungen über das Ausmaß lebenserhaltender Therapien getroffen von der Heide et al. 2003 • Intensivstationen - 50-90% der Todesfälle durch Therapieverzicht Sprung et al. 2003 • Palliativmedizin - 70% der Todesfälle nach Therapiebegrenzungen Schildmann et al. 2010/2011 Erfahrungen und Einstellungen • 48% der Ärzte fühlen sich unsicher bei Entscheidungen zur Therapiebegrenzung • 36% haben Angst vor Rechtsfolgen, wenn sie eine lebenserhaltende Behandlung abbrechen/ unterlassen Jox et al. 2012 (Fehlende) Kenntnisse der Rechtslage • 74% der Ärzte sind der Ansicht, dass es rechtlich einen Unterschied macht, ob eine lebenserhaltende Therapie abgebrochen oder gar nicht erst begonnen wird • 61% der Ärzte sind der Ansicht, dass das Abschalten eines Beatmungsgeräts nach dem Willen des Patienten eine Form der aktiven Sterbehilfe ist Jox 2012 Grundsätze der BÄK zur ärztlichen Sterbebegleitung • „Die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung besteht nicht unter allen Umständen. Es gibt Situationen, in denen sonst angemessene Diagnostik und Therapieverfahren nicht mehr angezeigt und Begrenzungen geboten sind.“ • „Bei Patienten, die sich zwar noch nicht im Sterben befinden, aber nach ärztlicher Erkenntnis … in absehbarer Zeit sterben werden, ist eine Änderung des Behandlungszieles geboten, wenn lebenserhaltende Maßnahmen Leiden nur verlängern würden oder die Änderung des Behandlungszieles dem Willen des Patienten entspricht.“ Kriterien für ethische Entscheidungsfindung Prinzipien nach Beauchamp und Childress • Respekt vor der Autonomie (Selbstbestimmung/ Wille des Patienten) • Nicht-Schaden (Nebenwirkungen/ Belastungen/ Nutzen-Risiko-Relation) • Gutes Tun (Fürsorge/ Lebensqualität) • Gerechtigkeit (Gleichheit/ Angemessenheit/ Ressourcen) Ethische Voraussetzungen medizinischer Maßnahmen • Wohl des Patienten 1. Nutzen (für Patienten erstrebenswertes Behandlungsziel), nicht Wirkung! • Einwilligung • Ausführung lege artis 2. Wille des Patienten 3. Wille vor Wohl/ Indikation Einbeziehen von Patienten in Entscheidungen am Lebensende • Ca. 50% wurden nicht in Entscheidungen zur Therapiebegrenzung einbezogen, obwohl sie entscheidungsfähig waren • Insbesondere die Patienten, deren Wünsche nicht mit dem ärztlichen Therapieziel übereinstimmten, wurden nicht einbezogen. Winkler et al. 2009 Schwierige Gespräche • Offene Gespräche mit Patienten und deren Nahestehenden (mit Einverständnis des Patienten!) über Therapiezielwechsel oder Therapiebegrenzung werden von befragten Ärzten in Studien als schwierig eingeschätzt. • Deshalb oft umgangen, indem Patient noch Behandlung angeboten wird, die aus fachlicher Perspektive fragwürdig ist. Verantwortung des Arztes • Der Arzt muss wertende Vorentscheidungen treffen, welche Diagnose- und Therapieoptionen er dem Patienten anbietet und welche nicht • Frage der Therapiezieländerung ist – ethisch gesehen – letztlich nicht ohne Werturteile zu beantworten • Diese Werturteile lassen sich nur mit Einbeziehung des Patienten erkennen und reflektieren, um zu „gemeinsamer Entscheidung“ zu kommen Ethikstrukturen im Gesundheitswesen Hilfe für einzelne „BehandlerInnen“ und Behandlungsteams, um in moralisch schwierigen Situationen (Patienten sowie An- und Zugehörige betreffend)- möglichst gemeinsam - ethisch reflektierte Lösungen zu finden und bei Werteabwägungen mit Hilfe ethischer Kriterien gut begründete Empfehlungen zu geben. Konzepte der Ethikberatung 1. Beratung eines Ratsuchenden durch „Ethikfachmann/frau“ vor Ort 2. Interdisziplinäre bzw. multiprofessionelle Teamberatung von KollegInnen z. B. mit Checklisten/ Anleitungen zum ethischen Diskurs mit möglichst allen am Fall Beteiligten (z. B. „METAP“, „Augsburger ethisches Basis-Assessment in der SAPV“, „7 Schritte Dialog“) 3. Ethische Fallberatung im Rahmen eines Klinischen Ethikkomitees Ethikkomitees 1. 2. 3. 4. 5. in Kliniken in Altenpflegeheimen in Einrichtungen der Behindertenhilfe in Hospizen Neu: ambulante Ethikberatung in 2 Landkreisen: Palliativstützpunkt Ammerland und Netzwerk Hospiz Traunstein Und wo bleibt Düsseldorf? Palliativmedizin und Ethik Kommunikation ist sowohl ein Kernelement von Ethik als auch von Palliative Care, denn einfühlsame Gespräche und reflektiertes gemeinsames Entscheiden sind die wichtigsten Elemente, um Menschen ein würdiges Sterben zu ermöglichen. nach H.C. Müller-Busch