Hausarzt Medizin In Infekti Pneumokokken – u nterschätzte Erreger Streptococcus pneumoniae ist ein gefürchteter Erreger lebensgefährlicher Infektionen wie Meningitis, Sepsis oder schwerer ambulant erworbener Pneumonie. Die Impfung gegen Pneumokokken Die häufigste Ursache ­e iner ambulant erworbenen Pneumonie ist eine Infektion mit Streptococcus pneumoniae. 48 Infektionen durch Pneumokokken treten vor allem im Kleinkindesalter bis zum vollendeten 2. Lebensjahr und bei älteren Patienten ab dem 60. Lebensjahr auf (Indikation für die Standardimpfung). Darüber hinaus besteht eine besondere Gefährdung für Patienten mit angeborenen und erworbenen Störungen des Immunsystems inklusive Asplenie und Patienten mit chronischen Grunderkrankungen (Indikationsimpfung unabhängig vom Alter). Das Spektrum der Pneumokokken-Infektionen ist breit und umfasst invasive Erkrankungen (IPD) mit Nachweis des Erregers in sterilen Körperflüssigkeiten wie Blut, Liquor, Pleuraflüssigkeit und nicht invasive Pneumokokken-Erkrankungen wie die nicht bakteriämische Pneumonie, Sinusitis und Otitis media (Abb. 1). Allerdings wird die Krankheitslast der Pneumokokken-Pneumonie häufig unterschätzt. Man muss davon ausgehen, dass auf 1 Fall einer Pneumonie mit Bakteriämie durch Streptococcus pneumoniae wenigstens 3 zusätzliche Fälle von Pneumokokken-Pneumonien ohne Erregernachweis im Blut auftreten. Daten des Deutschen Kompetenznetzwerks für die ambulant erworbene Pneumonie (CAPNETZ) beDer Hausarzt 03/2015 Foto: Mauritius Images / phototake ist die beste Möglichkeit zur Prävention. iologie legen, dass Streptococcus pneumoniae nach sie bei Kleinkindern mit noch unreifem Imwie vor der häufigste Erreger der ambulant munsystem weitgehend wirkungslos. Daerworbenen Pneumonie (CAP) ist. Pneurüber hinaus induziert PPV23 eine „Hypomokokken wurden bei ca. 30 % aller Patienresponsiveness“, d. h. wenn ein Patient 1 x ten mit Erregernachweis mit PPV23 geimpft wurde, identifiziert und waren mit kommt es bei einer 2. ImpPneumokokken-Infek­ schweren klinischen Verfung gegen Pneumokoktionen sind mit schweläufen assoziiert. Ausgeken (mit PPV23 oder dem ren klinischen Verläufen hend von der HochrechKonjugat-Impfstoff) zu eiambulant erworbener nung für Deutschland mit ner schwächeren Immun­ Pneumonien assoziiert. 400.000 bis 680.000 neuen antwort als bei der Erst­ CAP-Fällen jährlich, entwiimpfung. Ursache ist eine ckeln zumindest 36.000 PaDeple­tion, also der Vertienten pro Jahr in Deutschland eine Pneubrauch von Pneumokokken-spezifischen mokokken-Pneumonie. B-Zellen, aus denen sich wegen der fehlenIm Unterschied dazu treten andere IPD deut- den T-Zell-Hilfe keine langlebigen Gedächtlich seltener auf. Laut aktuellen Zahlen melniszellen entwickeln. Im Unterschied dazu det das Deutsche Nationale Referenzzentkommt es nach einer Impfung mit der Konrum einen rückläufigen Trend an IPD mit jugat-Vakzine zu einem signifikanten An1676 Fällen im Jahr 2007 gegenüber 1414 Fälstieg der serotypspezifischen B-Gedächtnislen im Jahr 2013 und nur 1051 Fällen im Jahr zellen. Die Hyporesponsiveness und starke 2014 (Stand 20.11.2014). Lokalreaktionen nach der Impfung mit PPV23 sind der Grund, warum die STIKO die Wiederholungsimpfung mit PPV23 seit 2009 Erreger nur noch in Einzelfällen empfiehlt. Pneumokokken sind gram-positive DiploPneumokokken-Konjugat-Vakzinen entkokken, deren Hauptreservoir der Nasen-­ Rachen-Raum gesunder Träger, insbesonhalten weniger Serotypen und wurden dere von Kleinkindern, ist. Im Unterschied deutlich später als die Polysaccharid-Impfdazu sind Erwachsene nur zu einem gerinstoffe eingeführt, da ihre Herstellung und gen Prozentsatz mit Pneumokokken besieEntwicklung schwieriger ist. Die 7-valendelt. te proteinkonjugierte Vakzine (PCV7) wurde 2000 in den USA für Kleinkinder zugelassen. Es folgte die 10-valente Konjugatvakzine Impfstoffe (PCV10) 2009 und bereits 1 Jahr später die 13-valente Konjugat-Vakzine (PCV13). Seit Derzeit stehen zwei unterschiedliche Impf2013 ist PCV13 auch für Erwachsene (alle Alstofftypen zur Verfügung: ▪▪ eine Pneumokokken-Polysaccharid-Vaktersgruppen ab 6 Wochen) zugelassen. zine mit breitem Wirkspektrum gegen 23 Bei der Konjugat-Vakzine ist jedes KapselSerotypen (PPV23) sowie polysaccharid an ein hoch immunogenes ▪▪ die Pneumokokken-Konjugat-Vakzine geTrägerprotein (z. B. Diphterie-Toxoid) gegen 13 Serotypen (PCV13) mit Ausbildung koppelt bzw. konjugiert. Da die Impfung einer B- und T-Zellantwort. nicht nur eine B-Zell-Antwort sondern auch eine T-Zell-Antwort induziert, werden BGedächtniszellen ausgebildet. Die 23-valente Polysaccharid-Vakzine wurErst mit dem Konjugat-Impfstoff war eine de 1989 zugelassen und ist nach wie vor bei wirksame Impfung von Kleinkindern mit Patienten ab 2 Jahren im Einsatz. Wie andenachfolgendem deutlichen Rückgang der re Polysaccharid-Impfstoffe induziert PPV23 Trägerrate für die 7 bzw. 13 Serotypen mögnur eine B-Zellantwort ohne Differenzierung von B-Gedächtniszellen. Daher bleibt lich, die zu einer Unterbrechung der InfekDer Hausarzt 03/2015 Hausarzt Medizin Prof. Dr. med. Mathias W. Pletz Zentrum für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene, Universitätsklinikum Jena, E-Mail: mathias.pletz@ med.uni-jena.de Dr. med. Christina Forstner Universitäts­klinikum Jena 49 Hausarzt Medizin tionskette Kleinkinder – Erwachsene geführt hat. Effektivität der Impfstoffe Eine Cochrane-Analyse von 18 Studien mit nahezu 65.000 Patienten belegt, dass PPV23 eine hohe Effektivität von 72 % gegen IPD hat. Allerdings zeigten sich widersprüch- Abb. 1: Spektrum der Pneumokokken-Erkrankungen Inzidenz Schweregrad der Erkrankung invasiv Meningitis Pneumonie Otitis media, Sinusitis nicht invasiv Bakteriämie Modifiziert nach Pletz, Eur Resp Monographs, 2014 Abb. 2: Serotypen bei invasiven Pneumokokken-Erkrankungen ◼ Non-PCV ◼ PCV13 ◼ PCV10 ◼ PCV7 80 % 60 % 40 % ≤ 4 Jahre 5 – 15 Jahre 16 – 59 Jahre Altersgruppe und Meldejahr 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 0 % 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 20 % 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Anteil an serotypisierten Fällen 100 % ≥ 60 Jahre Quelle: Robert Koch-Institut, PneumoWeb, Stand: 20.11.2014 50 liche Ergebnisse bei der nicht bakteriämischen Pneumokokken-Pneumonie, mit einer Effektivität der PPV23 von 54 % in Entwicklungsländern mit hohem Anteil an jüngeren Patienten, aber fehlender Effektivität in Industrienationen mit hohem Anteil an älteren Patienten bzw. Patienten mit chronischen Erkrankungen. Darüber hinaus scheint die Wirksamkeit von PPV23 bei immunsupprimierten Patienten gegenüber IPD reduziert zu sein. Im Unterschied dazu zeigte die 7-valente Konjugat-Vakzine bei Patienten mit Zustand nach IPD, von denen 88 % HIV-positiv waren, eine Effektivität von 74 % gegenüber einer neuerlichen IPD-Episode durch einen der Vakzin-Serotypen und dem Serotyp 6A. Daten aus den USA belegen, dass 7 Jahre nach der Einführung der Konjugat-Vakzine bei Kindern nicht nur die Rate an IPD in der Altersgruppe unter 5 Jahren (–76 %), sondern durch Herdenprotektion in allen Altersstufen um insgesamt 45 % reduziert werden konnte. Darüber hinaus zeigen Daten des Deutschen Nationalen Referenzzentrums, dass durch die Einführung der Konjugat-Vakzine die Makrolidresistenz bei Pneumokokken, die bei Kindern isoliert wurden, von 30 % auf 15 % reduziert werden konnte. Ursache ist die Reduktion der in der Vakzine enthaltenen Serotypen, die häufiger als andere Serotypen für eine Makrolidresistenz verantwortlich sind. Als Folge der Eradikation der in der Konjugat-Vakzine enthaltenen Serotypen bei den Kleinkindern kommt es allerdings zum Anstieg von Besiedelungen und auch von Infektionen durch Serotypen, die nicht in der Impfung enthalten sind (Replacement). In Deutschland wurden 2013 noch ca. 50 % der IPD bei Erwachsenen durch Serotypen ausgelöst, die in der 13-valenten Vakzine enthalten sind (Abb. 2). Bei Kindern unter 4 Jahren wurden bereits 80 % der weiterhin auftretenden IPD durch Nicht-Vakzin-Serotypen verursacht. Die CAPITA-Studie zeigte sich, dass durch PCV13 nicht nur die Gesamtanzahl der durch die Vakzin-Serotypen verursachten Pneumokokken-Pneumonien, sondern auch die Rate Der Hausarzt 03/2015 Hausarzt Medizin nicht bakteriämischer, durch die 13 VakzinSerotypen verursachter Pneumonien signifikant um 45 % reduziert werden konnte. Impfempfehlungen 2014 Die Impfung gegen Pneumokokken wird von der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) sowohl als Standard- als auch als Indikationsimpfung sowie von der Sächsischen Impfkommission (SIKO) zusätzlich bei erhöhtem beruflichen Risiko (medizinisches Personal mit Patientenkontakt bzw. Laborpersonal) empfohlen. Für die Impfung von Erwachsenen stehen ein mehrere Serotypen erfassender, aber weniger effektiver Impfstoff (PPV23) einem effektiven, aber schmaler wirkenden Impfstoff (PCV13) gegenüber. Hinzu kommt, dass durch die Impfung von Kleinkindern die 13 VakzinSerotypen auch bei Erwachsenen von Jahr zu Jahr seltener auftreten. Trotz der neuen Datenlage sieht die STIKO derzeit keine ausreichende Evidenzgrundlage für die Änderung der geltenden Empfehlung zur Standardimpfung bei Personen ab 60 Jahren anstelle des Polysaccharid-Impfstoffs den Konjugat-Impfstoff PCV13 einzusetzen. Im Unterschied zur STIKO empfiehlt die SIKO bereits die einmalige Standardimpfung mit PCV13 ab dem 60. Lebensjahr. Foto: ursule / fotolia Erstattung Der Gemeinsame Bundesausschuss legt vor dem Hintergrund der bestehenden Zulassung des 13-valenten Konjugat-Impfstoffs für Erwachsene nicht mehr fest, ob die Impfung durch PCV13 oder PPV23 erfolgen soll, sondern spricht von einem „zugelassenen Pneumokokken-Impfstoff“. Somit obliegt es der Entscheidung des Arztes, welchen Impfstoff er bei älteren Patienten als Standard­ impfung einsetzen möchte – beide werden erstattet. Für die Standardimpfung im Kleinkindes­ alter bleibt es natürlich bei PCV13. Für die Indikationsimpfungen bei immun­ supprimierten und chronisch kranken Pa­ tienten soll laut STIKO-Empfehlung bis zum Der Hausarzt 03/2015 4. Lebensjahr die Impfung mit PCV13 erfolgen, ab dem 5. Lebensjahr kann entweder PCV13 oder PPV23 eingesetzt werden. Falls nach einer Indikationsimpfung eine zusätzliche Vakzinierung mit dem Polysaccharid-Impfstoff in Betracht gezogen wird, um einen Schutz gegen die weiteren Serotypen zu induzieren (sequenzielle Impfung), sollte ein Mindestabstand von 2 Monaten eingehalten werden. Darüber hinaus empfiehlt die STIKO seit diesem Jahr erstmals, bei Patienten mit Asplenie eine sequenzielle Impfung zuerst mit PCV13 und 2 Monate später mit PPV23 durchzuführen. Um eine Hyporesponsiveness zu vermeiden, sollte bei impfnaiven Patienten, die aufgrund einer Begleiterkrankung oder Immunsuppres­sion eine sequenzielle Impfung erhalten sollen, immer zuerst mit PCV13 geimpft werden. Ist der Patient bereits PPV23 vorgeimpft, kann dennoch die nächste Wiederholungsimpfung (nur noch zu erwägen bei Immunsuppression und chronischer Niereninsuffi­zienz) mit PCV13 erfolgen. Erstattung Es obliegt der Entscheidung des Arztes, welchen Impfstoff er bei älteren Patienten einsetzt: Sowohl PCV13 als auch PPV23 wird erstattet. Literatur bei den Verfassern Interessenkonflikte: Matthias Peltz hat an nationalen und internationalen Advisory Boards von Pfizer, Basilea, ­Astra Zeneca, Novartis und Cubist teilgenommen sowie Vortragshonorare von Pfizer, Astra Zeneca, Astellas und MSD erhalten. Christina Forstner hat Vortragshonorare von Pfizer und Gilead erhalten. Fazit ▪▪ Die Impfung gegen Pneumokokken ist eine effektive Maßnahme zur Prävention von invasiven Pneumokokken-Erkrankungen und schweren Verläufen ambulant erworbener Pneumonien. ▪▪ Der reine Polysaccharid-Impfstoff PPV23 reduziert die Rate an Blutstrom­ infektionen mit Pneumokokken, allerdings induziert er kein immunologisches Gedächtnis, führt zur Hyporesponsiveness nach Erstimpfung und hat eine schlechte Wirksamkeit bei immunsupprimierten Patienten und nicht bakteriämischer Pneumokokken-Pneumonie. ▪▪ Der Konjugat-Impfstoff PCV13 ist für alle Altersklassen ab 6 Wochen zugelassen, induziert ein immunologisches Gedächtnis, zeigt eine bessere Wirksamkeit bei Immunsuppression und schützt auch vor der nicht bakteriämischen Pneumokokken-Pneumonie. ▪▪ Für Patienten mit einem besonders hohen Risiko für invasive Pneumokokken-Erkrankungen (z. B. aufgrund einer Asplenie) bietet eine sequenzielle Impfung (PCV13 gefolgt von PPV23) den derzeit besten Schutz. 51