TAFELINFORMATIONEN-SPEZIAL Nr. 1/2015 (Juli) LIEBE TAFEL-FREUNDINNEN, LIEBE TAFELFREUNDE, INHALT: LEBENSMITTELGESETZ Einordnung Ansatz des Gesetzes in Frankreich Europäische Perspektiven Knackpunkt: Konsument Fazit das Thema Lebensmittelverschwendung ist momentan aktueller denn je. Dies betrifft nicht nur die derzeitige Berichterstattung zum kürzlich verabschiedeten Gesetz in Frankreich. In Deutschland haben die Tafeln in den vergangenen 22 Jahren bereits wertvolle Aufklärungsarbeit geleistet und beim Handel ein Umdenken erreicht. Zu Beginn der Tafelbewegung vor mehr als 20 Jahren spendeten wenige Händler, heutzutage ist die Mehrheit auf freiwilliger Basis Partner der Tafeln. Durch die Zusammenarbeit ist es uns gelungen, bei unseren Partnern einen Sensibilisierungsprozess anzustoßen bzw. diesen weiter voranzutreiben. Wir sind noch nicht am Ziel, keine Frage. Nach unserer Auffassung benötigen wir in Deutschland aber kein Gesetz nach französischem Modell, denn die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, dass Umdenken aus Überzeugung bei Handel und Hersteller zu besserer Zusammenarbeit führt. Was wir begrüßen würden, ist die Aufnahme des Faches Lebensmittelkunde in den Lehrplan der Schulen. In dieser Tafel-Information-Spezial geben wir Ihnen einen Überblick über den aktuellen Sachstand und eine Einschätzung zur französischen Gesetzesinitiative. Sommerliche Grüße Jochen Brühl Vorsitzender Bundesverband Deutsche Tafel e.V. Einordnung Nachdem Teile Belgiens Anfang 2014 ein Gesetz gegen die Verschwendung von Lebensmitteln beschlossen hat, folgt nun auch Frankreich. Das Ziel der Regierung in Paris ist es, die anfallenden Lebensmittelabfälle bis zum Jahr 2025 zu halbieren. Supermärkte dort dürfen seit der Verabschiedung des Gesetzes keine unverkäufliche Ware mehr wegwerfen. Sie sind nun per Gesetz dazu verpflichtet, die Ware an karitative Einrichtungen zu spenden und, wenn dies nicht möglich ist, die überzähligen Lebensmittel entweder zu kompostieren oder zu gewährleisten, dass die Lebensmittelabfälle in Tiernahrung umgewandelt werden. Der Bundesverband Deutsche Tafeln beobachtet diese Gesetzesinitiativen in anderen europäischen Ländern und hat sich mit Partnern wie FEBA (Sitz in Paris) und den Kollegen in Belgien, Österreich und den Niederlanden hierzu ausgetauscht. Wir finden es sehr begrüßenswert, dass das Thema Lebensmittelverschwendung durch den Gesetzesvorstoß in Frankreich erheblich mehr Aufmerksamkeit findet als bislang. Die Forderung nach einem ähnlichen Gesetz für Deutschland halten wir jedoch aus mehreren Gründen für unangebracht. Die Abgabe durch den Lebensmittelhandel an die Tafel funktioniert seit vielen Jahren weitestgehend gut. Sicherlich wird es immer Stellen geben, an denen Verbesserungen vorgenommen werden können. Dieser Aufgabe widmet sich der Bundesverband seit 20 Jahren intensiv. Die Grundlage unseres Systems basiert auf der freiwilligen Abgabe. Ansatz des Gesetzes in Frankreich Von den 7,1 Tonnen verschwendeten Lebensmitteln in Frankreich, stammen 67% von Endverbrauchern. Bei Restaurants fallen 15% an und im Handel 11%. Das Gesetz scheint also an sich kaum geeignet zu sein, um Lebensmittelverluste wirksam einzudämmen. Denn bei den vom Gesetz betroffenen Großsupermärkten (ab 400qm) fallen nur 5% der Lebensmittelabfälle an, und in Frankreich haben bereits 4.500 von ihnen Vereinbarungen mit karitativen Einrichtungen. Jährlich werden 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel verschwendet. Vom Acker bis zum Teller fallen im Lebensmittelhandel die geringsten Verluste aller Stufen der Lebensmittelkette an. Europäische Perspektiven In England gibt es seit 2013 eine freiwillige Selbstverpflichtung des Lebensmittelhandels, Verschwendung zu reduzieren. Fast 90% der Lebensmittelabfälle werden weiter verwertet, und der Rest besteht aus überschüssigen, einwandfreien Lebensmitteln, die an karitative Einrichtungen gespendet werden. In den Niederlanden arbeiten die karitativen Einrichtungen ebenfalls eng mit Supermärkten zusammen und streben kein solches Gesetz an. In Deutschland engagieren sich Unternehmen freiwillig. Zirka 80 bis 90 Prozent aller Lebensmittelgeschäfte spenden den mehr als 900 lokalen Tafelorganisationen regelmäßig überschüssige qualitativ einwandfreie Lebensmittel, die an sozial und wirtschaftlich Benachteiligte kostenlos oder zu einem symbolischen Betrag abgegeben werden. Eine Zwangsverpflichtung per Gesetz käme einer Geringschätzung dieses bereits bestehenden Einsatzes und einer Überregulierung gleich. nach oben 2/3 Handelsketten u.a. in Deutschland, Frankreich, Österreich und der Schweiz versuchen auch ein Umdenken bei den Endverbrauchern und Landwirten zu erzielen, wenn sie z.B. auch Obst und Gemüse mit Schönheitsfehlern verkaufen. Es gilt, beim Konsumverhalten von Endverbrauchern anzusetzen und weniger beim Handel. Gleichzeitig ändern die Supermärkte ihre Einkauf- und Vermarktungsstrategien. Maßnahmen wie eine verbesserte Warendisposition und der verstärkte Abverkauf von preisreduzierten, kurz vor MHD-Ablauf stehenden Artikeln, führen dazu, dass immer weniger überschüssige Lebensmittel anfallen. Ansatzpunkt: Konsument Maßnahmen, die einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln seitens des Verbrauchers bewirken, sind der zentrale Knackpunkt, um die massive Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Das neue französische Gesetz nimmt die Verbraucher nur zum Teil in den Blick. Es sieht vor, dass das Thema Lebensmittelverschwendung in die Lehrpläne der Schulen Eingang finden soll. Solche Schritte sind gut und richtig. Denn fast zwei Drittel aller Lebensmittel, die jährlich weggeworfen werden, stammen aus privaten Haushalten; im Durchschnitt wirft jeder Privatverbraucher jährlich 81 Kilogramm weg. Jedes 8. Lebensmittel, das eingekauft wird, landet in der Tonne und dies geschieht z.T. aus Unwissenheit (z.B. beim überschrittenen MHD). Deshalb wird von den Tafeln viel Aufklärungsarbeit im Bereich Lebensmittelverschwendung geleistet. Die Tafeln sind Partner der Initiative „Genießt uns“ und von „Zu gut für die Tonne!“ und leisten nachhaltige Aufklärungsarbeit gegen die Lebensmittelverschwendung. Fazit Das Gesetz aus Frankreich kann ein Anstoß sein, dass das Thema Lebensmittelverschwendung europaweit noch mehr ins Bewusstsein rückt. In Deutschland arbeiten Tafeln auf der Basis der freiwilligen Selbstverpflichtung seit 22 Jahren mit Lebensmittel-Handel und vermehrt auch Herstellern zusammen. In dieser Zeit haben ein großes Umdenken und eine Sensibilisierung stattgefunden: ein Verdienst der Tafeln. Zu Beginn haben nur wenige Händler gespendet, mittlerweile fast alle. In Deutschland wird ein solches Gesetz aus Sicht des Bundesverbandes nicht benötigt, da die Praxis bereits besser funktioniert als es über einen Spendenzwang geschehen würde. Nahezu alle Supermärkte und Discounter arbeiten eng, regelmäßig und eingespielt mit den Tafeln zusammen. Lebensmittel werden bereits durch die Tafeln im großen Stil weitergegeben. Wertschätzung von Lebensmitteln kann nicht „von oben“ verordnet werden – ebenso wenig wie die Spendenbereitschaft von Unternehmen. In dem Zusammenhang dürfen karikative Einrichtungen nicht als Entsorger für Unternehmen „missbraucht“ werden. Für uns ist es der nachhaltigere Weg bzw. sehr positiv zu bewerten, dass es auch ohne Gesetz funktioniert. nach oben 3/3