Ayurveda Journal – September 2004 Das faszinierende Organ „Haut“ aus Sicht des Ayurveda Autor und © Copyright: Ralph Steuernagel Wer schätzt und genießt nicht das Gefühl, mit warmem Pflanzenöl gesalbt oder gar übergossen zu werden? Für viele Ayurveda-Patienten und –Kurgäste stellen die Ölungen doch immer ein Highlight der Behandlung oder des Kuraufenthaltes dar. Die nervliche und körperliche Anspannung weicht einem Gefühl des Wohlbefindens, tiefer Entspannung und innerer Fülle. Nicht selten stellen sich jedoch Stunden, Tage oder gar Wochen nach intensiven Ölungen unerwünschte Zeichen auf der Haut ein: ausgeprägte Trockenheit, Juckreiz, Unreinheiten, Rötungen bis hin zu allergischen ekzematösen Erscheinungen sind hier häufig Grund zur Sorge. Nach Rückfrage bei den behandelnden Therapeuten hört man meist, diese Symptome stellen Zeichen der Aktivierung und Entgiftung des Organismus dar – man brauche sich hierbei keine Sorgen zu machen. Im Gegenteil: jetzt komme erst alles so richtig heraus, man solle darüber nur froh sein. Gedanklich geprägt vom allgemeinen Verschlackungsmythos nehmen Konsumenten diese Erklärungen überzeugt an und stellen die entwickelten Symptome nicht weiter in Frage. Wie reagiert jedoch die Haut tatsächlich auf Änderungen der Ernährungsgewohnheiten, Ölungen, Ausleitungsverfahren oder die Einnahme pflanzlicher Nahrungsergänzungen? Sind Symptome der oben geschilderten Art tatsächlich als positiv und wünschenswert zu bewerten oder handelt es sich hierbei nicht in Wirklichkeit um unerwünschte Nebenwirkungen einer unsachgemäß geplanten bzw. durchgeführten Therapie? Welche Möglichkeiten zur Behandlung und Pflege der Haut stehen im Ayurveda zur Verfügung ? Um diese Fragen beantworten zu können, lohnt sich ein Blick auf den Aufbau, Funktionen und Reaktionsmuster des oft unbeachteten Organes Haut. Die Haut ist nicht nur ein lebenswichtiges Schutzorgan, sondern auch eine Art „direkte Leitung“ zu unserem Innersten. Schon im alltäglichen Spachgebrauch werden Verbindungen von Haut und Geist deutlich: ob wir „aus der Haut fahren“ oder etwas „hautnah“ erleben – viele Gemütszustände zeigen sich direkt auf der Haut. Erröten durch Verlegenheit, Blasswerden vor Zorn oder Schwitzen aus Unsicherheit seien hier nur einige Beispiele. FUNKTIONEN DER HAUT SINNESFUNKTION KONTAKT- UND SCHUTZFUNKTION - BARRIEREFUNKTION MECHANISCHER SCHUTZ SCHUTZ VOR UV-LICHT SCHUTZ GEGENÜBER HITZE UND KÄLTE = THERMOREGULATION SCHUTZ GEGENÜBER MIKROORGANISMEN IMMUNOLOGISCHER SCHUTZ SINNESFUNKTIONEN ALS SCHUTZ AUFBAU DER HAUT CUTIS EPIDERMIS = OBERHAUT Obere Schicht: Hornschicht = Stratum corneum Mittlere Schicht: Differenzierungs-/Verhornungsschicht Bestehend aus äußerer Glanzschicht (Stratum lucidum) und Körnerzellenschicht (Stratum granulosum) Untere Schicht: Regenerations-/Keimschicht = Stratum germinativum Bestehend aus Stachelzellschicht (Stratum spinosum) und Basalzellschicht (Stratum basale) BASALMEMBRAN – dermoepidermale Verbundzone / Junction Zone CORIUM/DERMIS = LEDERHAUT Infrastruktur (Bindegewebe, Nervensystem) Stratum papillare corii Festigkeit Stratum reticulare corii SUBCUTIS Polster, Wärmeschutz, Wasser- und Nährstoffspeicher, Haarursprung Auch im traditionellen Ayurvedischen System werden sieben Schichten der Haut differenziert, deren Beschreibung verblüffend dem modernen System ähnelt. Störungen der Haut werden dem externen Krankheitsweg (Bahya Rogamarga) zugeordnet und finden ihre Ursachen in fehlerhaften Ernährungs- und Lebensgewohnheiten. Unzuträgliche Nahrungsmittel-kombinationen (typisches Beispiel: Milch mit Saurem), Konsum ohne Verdauung der vorherigen Mahlzeit, übermäßiger Verzehr öliger, heißer, saurer, salziger und scharfer Speisen sowie vermehrte Sonnen- und Hitzeexposition können zu einer Verunreinigung des Blutes mit einhergehenden Hauterscheinungen führen. Man differenziert 18 Arten von Hauterscheinungen, die in der komplexen dermatologischen Behandlung erkannt werden müssen. Die meisten Hauterkrankungen werden über eine Reinigung des Blutes durch vorwiegend bittere Nahrungs- oder Heilmittel wie etwa Curcuma oder Rubia Cordifolia (Manjishtha) sowie Guggulu (Commiphora mukul) Präparate behandelt. Chronische Störungen stellen häufig eine Indikation für Panca Karma dar, hier erweisen sich auch lokale Behandlungen durch Aderlässe oder der Einsatz von Blutegeln erfolgreich. Folgende Reaktionen lassen sich ayurvedisch in Folge jeglicher Behandlungen oder gesundheitlicher Maßnahmen verifizieren: 1. Zeichen der Heilung bestehender Hauterscheinungen Im Falle wunder, offener oder sezernierender Hautpartien kommt es durch korrekte ayurvedische Behandlung zu einer Abheilung und Sekretionsstopp. Dies wird v.a. durch „Stambhana Cikitsa“, adstringierende Therapieformen über externe Applikationen und internen Einsatz herber Nahrungs- und Heilmittel, erreicht. Entzündungen der Haut lassen sich zusätzlich durch bittere und süße Substanzen verringern. 2. Zeichen physiologisch nachvollziehbarer Reaktionen Die Zunahme von Trockenheit einer Haut durch regelmäßige Ölung mit kaltgepressten Speiseölen, bsp. aus Sesamsaat, lässt sich physiologisch über die mangelnde Zufuhr und Penetrationskraft feuchtigkeitsspendender Substanzen durch eine geölte Haut erklären. 3. Zeichen der Verschlimmerung von bestehenden Hauterscheinungen Die meisten ayurvedischen Pflanzenöle weisen eine erhitzende Wirkung auf, was zu einer Reizung entzündeter Hautpartien führen kann. Öligkeit ist zudem eine der Qualitäten von Pitta-bedingten Hauterscheinungen, die somit durch Ölanwendungen ebenfalls verstärkt werden können. Im Falle einer Stoffwechselschwächung mit Bildung adhäsiver Rückstände (Āma) stellen Ölungen den stärksten kontraindizierten Faktor dar, was sich häufig in der Behandlung chronischer Hauterkrankungen wie Psoriasis zeigt. 4. Zeichen durch Nebenwirkungen in der Behandlung extradermaler Problemfelder Im Falle innerer Erkrankungen können im Rahmen eingeschränkter Diäten und stoffwechselkorrigierender Rezepturen Hauterscheinungen wie Trockenheit oder vorübergehende Unreinheiten entstehen. Dies ist manchmal in Kauf zu nehmen, um zunächst das innere Milieu zu korrigieren. Nach Beendigung der Maßnahmen stellt sich wieder ein gesundes Hautbild ein. 5. Zeichen in Reinigungsprozessen, bsp. während Ausleitungskuren wie Panca Karma Während solcher Reinigungen kommt es stetig zu Verschiebungen der Durchblutung und des Milieus im Körper mit der Folge vorübergehender Hauterscheinungen. Diese vergehen jedoch unbehandelt automatisch, wenn die Wirkung der reinigenden Maßnahmen wieder nachlässt. Ein typisches Beispiel ist das Öligwerden der Haut in der vorbereitenden Phase einer Panca Karma Kur mit innerer Ölung – hier stellt der Hautzustand sogar ein wesentliches diagnostisches Kriterium dar. 6. Zeichen von Allergien oder Überempfindlichkeiten Im Falle von Allergien lassen sich zwei Arten differenzieren. Die Allergie vom Soforttyp (Typ 1) tritt als Reaktion innerhalb weniger Minuten nach Kontakt mit einem auslösenden Allergen auf. Die Allergie vom verzögerten Typ (Typ 4) reagiert hingegen erst nach 48-72 Stunden, häufig stellt der Betroffene dann keinen Bezug mehr zu den auslösenden Faktoren her. Dieser Typ 4 ist meist nach Ölungen anzutreffen, die mit für den Kunden potenten allergenen Substanzen durchgeführt wird. Eine Typ 1 – Reaktion hingegen tritt seltener auf, sollte jedoch sofort erkannt und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden. Ein wichtiger Aspekt bei allen Ayurvedischen Ölanwendugen ist die adäquate Reinigung der Haut vor und nach einer Behandlung. Vor der Behandlung sollte der Kunde unbedingt duschen, um Schweiß- und Schmutzrückstände auf der Haut zu entfernen. Geschieht dies nicht, kann es zu unerwünschten Reaktionen mit den verwendeten Ölen kommen, die durch vorherige Reinigung hätten vermieden werden können. Für die Reinigung vorab sollten milde Waschlotionen verwendet werden, Seifen könnten irritative und alkalisierende Effekte erzeugen, die insbesondere bei höheren Härtegraden des Wasser zu Kalkseifenbildungen beitragen, welche als Rückstände auf der Haut verbleiben. Das Gesicht bedarf der besonderen Aufmerksamkeit und sollte mit einem individuell geeigneten Reinigungsgel oder –milch vorbereitet werden. Nach einer Ölung muß die Haut wiederum sanft aber gründlich gereinigt werden, um einer Rückresorption von gelösten Stoffen sowie einer unerwünschten Reaktionsbereitschaft und behinderten Thermoregulation vorzubeugen. Aus diesem Grunde sollte eine Massagepraxis grundlegend mit Nasszellen zur anschließenden Reinigung ausgestattet sein. Natürlich stellt sich anhand der skizzierten Problemfelder die grundlegende Frage nach dem Nutzen der Ölungen. Hier möchte ich auf die zahlreichen Wirkspektren ayurvedischer Anwendungen hinweisen, die Jahrtausende der Tradition und Erfahrung aufweisen (lesen Sie hierzu auch den Artikel Massage in der letzten Ausgabe). Als Vorbehandlung vor ausleitenden Therapien im Rahmen des Panca Karma, der Tiefenreinigung des Ayurveda, sind äußere Ölungen unabdingbarer Therapiebestandteil. Ölungen als gesonderte Therapieform bei Dominanz des Luftelementes bzw. Funktionsprinzipes Vata sind unersetzlich. Vorsicht ist hingegen bei Dominanz der Elemente Feuer und Wasser bzw. der Funktionsprinzipien Pitta und Kapha angezeigt, da diese durch Öl nicht ausgeglichen, sondern gereizt werden können – medizinierte Öle stellen hier meist einen Kompromiß dar. Vorsicht ist allgemein bei Ölungen der Gesichtshaut geboten, da diese talgdrüsenreiche Region besonders zu Irritationen und Unreinheiten einlädt. Durch einen okklusionsähnlichen Effekt von Öl als Lipidfilm und die zusätzliche manuelle Massage kommt es zur Mehrdurchblutung in der geölten Region, die entstandene Wärme kann jedoch nicht optimal entweichen mit der Folge potenzieller Rötungen. Reines Öl auf trockene Erde gegossen ist nicht in der Lage, diese zu befeuchten. Im Gegenteil, danach aufgegossenes Wasser kann nicht mehr in die Erde durch das Öl penetrieren – gleichermaßen kann Feuchtigkeit nicht in eine durch Öl blockierte Haut eindringen. Wir vermuten, dass medizinierte Öle hier wie eine Art Wasser-in-Öl-Emulsion wirken, die vor allem für trockene Haut empfohlen wird. Im Panca Karma Verfahren spielt die Haut eine untergeordnete Rolle, da Transportvorgänge vorwiegend im Innern des Körpers ablaufen und die wesentliche Reinigung nicht über die Haut, sondern den Magen-Darm-Trakt stattfindet. Die Auswahl der Öle spielt eine zentrale Rolle. Medizinierte Pflanzenöle, deren Herkunft und Verarbeitung hygienischen und biologischen Kriterien entspricht, sind den häufig eingesetzten kaltgepressten Speiseölen wie Sesam-, Sonnenblumen- oder Olivenöl vorzuziehen. Die ausgiebige Verarbeitung und Medizinierung dieser Öle trägt zu besserer Aufnahme und intensiverer Wirkung bei und beugt potenziellen Überempfindlichkeitsreaktionen im Vorfeld vor. Voraussetzung hierfür ist natürlich die korrekte Auswahl eines Öles durch den gut ausgebildeten Therapeuten.