PRAXIS Die Parabolrinnen prägen auch die Decke des Obergeschosses Gewächshaus-Bauweise: Green Building der anderen Art Während viele Architekten zugunsten einer thermisch besser isolierten Gebäudehülle heute Abstand von gläsernen Fassaden nehmen, gingen die Planer bei der ‚Villa Flora‘ einen anderen Weg: Sie schufen, ganz im Sinne des Energiesparens, ein vollverglastes Gebäude, das Wärmeüberschuss im Sommer nutzt, um Energie für den Winter zu bevorraten und sie via Wärmepumpe verfügbar zu machen. Die Heiz- und Klimatisierungslösung funktioniert so gut, dass die thermische Energie nicht nur für die Villa, sondern auch für das benachbarte Gebäude genügt und noch Kapazität für ein drittes Gebäude zur Verfügung steht. D ie ‚Villa Flora‘ entstand zur Weltgartenbau-Ausstellung Floriade 2012, die in Venlo, Niederlande, stattfand. In Zukunft ist sie Bestandteil eines Gewerbeparks, der auf diesem Gelände nahe der Autobahn entstehen soll. Der Gebäudekomplex besteht aus einem hölzernen Vordach, einem Gewächshausteil mit etwa 7.500 m² Nutzfläche und einem Bürotrakt mit etwa 4.000 m². Während der Gartenbausausstellung diente der mehrgeschossige Gewächshausteil als Ausstellungsflä- Autor Ralf Dunker, Journalist, München 22 KI Kälte · Luft · Klimatechnik · 12 2012 che. In Zukunft soll dieser Gebäudeteil einen ‚Fooddome‘ beherbergen sowie Venlos ‚Kids University of Cooking‘. Bei diesem Nutzungskonzept finden Agrarwesen, Bildung, Gastronomie und Einzelhandel – also quasi alle Bereiche rund um die Themen Nutzpflanzen und Ernährung – unter einem Dach zusammen. Der etwa 30 m hohe Büroteil der Villa ist bereits bezogen und vollständig vermietet. Verschmelzung zweier Welten Schon die Mischung einer Gewächshausbauweise mit einem Bürogebäude ist ungewöhnlich, doch noch bemerkenswerter ist das Objekt aufgrund des ökologischen Anspruchs, den Architekt und technische Planer hier umgesetzt haben: Die Idee basiert auf Plänen des Architekten und Planers Professor Jón Kristinsson. Er hatte zunächst eine deutlich größere Villa Flora geplant, die drei Merkmale besitzen sollte: Die Zusammenführung von Arbeitswelt und Pflanzen, eine nachhaltige Bauweise aus wiederverwendbaren Materialien und Bauelementen (cradle to cradle, C2C) sowie einen energieautarken Betrieb. Kristinsson wollte mit seinem Ansatz keine begrünte Bürolandschaft entwerfen, wie es sie vielenorts bereits gibt, sondern Gewächshaus und Arbeitswelt bewusst zusammenführen www.ki-portal.de Bild: Volantis WÄRMEPUMPEN PRAXIS WÄRMEPUMPEN Optimaler Kompromiss aus Effizienz und Klimaschutz Thermische Nachbarschaftshilfe Bei der thermischen Energie ist die Situation umgekehrt: Hier produziert die Villa einen so großen Überschuss, dass sie sogar das Nachbargebäude ‚Innovatoren‘ – ehemals als Eingangsgebäude der Weltgartenausstellung genutzt – mit der Wärme heizen kann. Möglich ist dies durch ein Wärmekonzept, das thermische Energie im Sommer sammelt und für den Winter einspeichert. Wichtigster Baustein dieses Konzepts ist ein über zwei Doppelbrunnen-Anlagen erschlossener Wärmespeicher in etwa 80 m Tiefe. Zum Speichern bringt der Betreiber warmes Wasser in dieses Aquifer (eine grundwasserführende Gesteinsschicht) ein. Das Wasser bewegt sich im Aquifer mit etwa 150 m pro Jahr. Aufgrund der Wasserbewegung wurde der unterirdische Wärmespeicher von vielen als nicht sinnvoll angesehen, doch das Team rund um Jan Houwen, Direktor des Ingeni- eurbüros Volantis B.V., hat durch die Doppelbrunnenanlage eine praktikable Lösung geschaffen. Im Sommer entnimmt die Anlage im ersten Brunnen der in Flussrichtung vorderen Anlage etwa 12 °C kühles Grundwasser, das zur Klimatisierung des Gebäudes nutzt. Dies geschieht unter anderem über aktive Betonteile – Villa Flora nutzt Doppelböden mit Fußbodenheizung beziehungsweise Deckenkühlung – und im Gewächshaus mit Hilfe von 85 Gebläsekonvektoren GEA Flex-Geko von GEA Air Treatment. Von den Konvektoren sind je Ebene des Ausstellungsbereichs mehrere Geräte auf Stahlträgern montiert und bedienen so die Schau- und Gewerbeflächen mit kühler Luft. Zusätzlich befinden sich unter dem Dach weitere Feindraht-Wärmetauscher, die einen besonders guten Luft-Wasser-Wärmeübergang ermöglichen. Bei diesen Fiwihex-Konvektoren sind die wasserführenden Rohre statt mit Lamellen mit einem Geflecht aus 0,1 m starkem Kupferdraht versehen, so dass bei Teillast nur 1 bis 2 K, bei Volllast bis maximal 4 K Temperaturdifferenz zwischen Luft und Wasser entstehen. Mit Hilfe der diversen Gebläsekonvektoren lässt sich die Wärme im Glashaus mit einem hohen Wirkungsgrad auf den Wasserkreislauf der Klimaanlage übertragen. Damit die unter dem Dach montierten Konvektoren die Wärme im Glashaus bestmöglich ‚einfangen‘ können, ist unterhalb des Pultdachs eine Plane gespannt, die die warme Luft effektiv den Konvektoren zuführt. Hoher Wärmepumpen-Wirkungsgrad Das kühle Wasser nimmt die durch die Sonneneinstrahlung eingebrachte Wärme so quasi im ganzen Gebäude auf und gelangt mit 20 °C oder mehr über den zweiten Brunnen in das Aquifer. Dort fließt es bis zur Heizperiode etwa Bild: PNR Während die Bauverantwortlichen die C2C-Bauweise durch das Stahlskelett und vorgefertigte Betonmodule in der Villa Flora umsetzen konnten, mussten sie auf die Offenheit zwischen Glashaus und Büro verzichten: Aus brandschutztechnischen und anderen praktischen Gründen sind die beiden Gebäudeteile durch eine Glaswand voneinander getrennt. Geblieben ist jedoch das, wenn auch jetzt mechanisch unterstützte, Lüftungsprinzip. Solange der CO2-Gehalt der Gewächshausluft niedrig genug ist, um dem Büroteil als ‚Frischluft‘ zu dienen, führt die Lüftungsanlage sie (anstatt konditionierter Außenluft) den Büroetagen zu. Verworfen wurde auch das Prinzip der Energieautarkie. Eine Entscheidung, die wirtschaftlich und ökologisch positiv zu sehen ist. Denn statt autonom zu sein, ist die Villa Flora nun, bei Zusammenführen von Strom- und Wärmebilanz, ein Plus-Energie-Haus. Damit das Bauwerk (wie auch das nahegelegene Eingangsgebäude der Floriade ‚Innovatoren‘) zu einem nachhaltigen und wirtschaftlichen Teil des entstehenden Gewerbeparks wird, hat das Planungsbüro Volantis B.V. das Gebäudekonzept noch einmal überarbeitet und das Verhältnis zwischen Wirtschaftlichkeit und Umwelt- beziehungsweise Klimaschutz verbessert. Das Nutzen von Regenwasser ist hier selbstverständlich, ebenso das Erzeugen von Strom. Letzte- ren produzieren etwa 1.000 m² Photovoltaik(PV)-Module, die auf dem hölzernen Vordach aufgestellt sind und bis zu 138 kWp Leistung liefern. Dies ergibt eine Jahresproduktion von etwa 100.000 kWh. Ergänzend liefern die Personenaufzüge bei den Abwärtsfahrten Strom. Die Erzeugungsleistung soll künftig noch steigen, dazu trägt das Dach des Bürotrakts bereits Parabolrinnen. Eine Auskleidung der Parabolrinnen mit spiegelndem Material könnte die Sonnenstrahlen im unten liegenden Scheitelpunkt bündeln und so die Möglichkeit schaffen, hier PV-Module oder eine solarthermische Anlage zu installieren. Da PV-Module beim Bau der Villa noch relativ teuer waren, verzichteten die Bauherren auf diesen Ausbau zunächst. Die Eigenproduktion an Strom genügt daher derzeit nicht, um den Bedarf vollständig zu decken. Eine Plane unter dem Dach führt die anfallende Wärme direkt zu Gebläsekonvektoren 24 KI Kälte · Luft · Klimatechnik · 12 2012 Bild: PNR und voneinander profitieren lassen. Aus diesem Grund hatte sein Entwurf auf eine Trennwand zwischen dem Gewächshaus und den Büroetagen verzichtet – Pflanzen sollten das von den Menschen erzeugte CO2 aufnehmen und der Luft wieder Sauerstoff zuführen können. Die Wärmepumpe ist direkt neben dem Eingang in einem verglasten Technikraum aufgestellt www.ki-portal.de PRAXIS WÄRMEPUMPEN Bild: GEA 150 m weit zu der zweiten gen sind recycelbare, vorgeferBrunnenanlage. Dabei verliert tigte, hohle Betonmodule – also das Wasser kaum an TemperaDoppelböden – verbaut, welche tur und kann somit im Winter die Funktion einer Fußbodenals Quelle für die Wärmepumpe heizung, einer Kühldecke und der GEA Refrigeration Technoeines Lüftungskanals vereinen. logies dienen, insbesondere Zum angenehmen Raumklima zum Decken der Spitzenlast. im Gewächshaus trägt außerWegen der gegenüber normadem die Verwendung von PCM lem Grundwasser relativ hohen (Phase Change Materials) in der Quelltemperatur arbeitet die Zentrallüftung bei. Die hier verWärmepumpe auf Basis des wendeten Latenz-WärmespeiKolbenkompressors GEA Grascher sind auf eine Temperatur so V700 besonders effizient: Ihr von etwa 20 °C abgestimmt und COP (Coefficient of Perforverfügen über eine hohe Speimance) liegt zwischen 7 und Mit einem COP von 7 bis 11 erreicht die Ammoniak-Wärmepumpe cherleistung pro Kilogramm. 11. „Das bedeutet, dass mit einer einen hohen Wirkungsgrad Beim Phasenübergang von fest Kilowattstunde Strom bis zu elf nach flüssig beziehungsweise Kilowattstunden Wärme erzeugt werumgekehrt nimmt das Material Wärme Hauses. Diese vergärt Grünabfälle und den können“, erklärt Houwen. Einen auf oder gibt sie ab. Auf diese Weise lässt Fäkalien (aus der Toilettenspülung) und COP von 7 erreicht die Wärmepumpe sich die Luft konditioniert und mit einer erzeugt so das Brenngas für einen Brenbereits bei einer Vor-/Rücklauftemperaangenehmen Temperatur in das Gebäuner, der das ganze Jahr über Wärme für tur des Grundwassers von 12/7 °C, den de leiten. In der Nacht, wenn die FördeHeizung und Warmwasserbereitung Wert von 11 erzielt sie bei 20/15 °C. Ein rung von Außenluft ins Gebäude deaktispendet. Im Sommer dient sein überGrund für diese hohe Effizienz ist der viert ist, speichert das PCM-Material schüssiger Output zum Aufwärmen des geringe Unterschied zwischen der Temwieder Energie ein, lädt sich also sozusaGrundwassers. peratur der Wärmequelle und den magen mit Hilfe der thermischen Energie im ximal 35 °C Vorlauftemperatur der FläGebäude für den kommenden Tag auf. Natürliche und mechanische chenheizung. Neben dem WirkungsLüftung kombiniert grad der Wärmepumpe spricht auch das Besonders ist auch, dass die KlimatisieDynamisches Anpassen verwendete Kältemittel für den Einsatz rung der Villa ganz ohne einen Kaltwasder Temperatur in dem ‚grünsten Bürogebäude der NieEin weiteres Merkmal der Klimatisiesererzeuger auskommt. Zu einer stabilen derlande‘, wie Houwen die Villa Flora rung in der Villa Flora ist, dass beispielsTemperatur im Gebäude und einem ausnennt: Das Kältemittel Ammoniak weise das sommerliche Kühlen der reichenden Luftaustausch setzten die Er(auch bekannt als Kältemittel R717) Räume nicht einem festen Sollwert gebauer ein hybrides Lüftungskonzept um. hat kein Ozonabbaupotenzial und trägt horcht. Vielmehr soll die Temperatur im Im Gewächshaus-Teil findet das Belüften nicht zum Treibhauseffekt bei (GWP Gebäude den natürlichen Tagesablauf sowohl über Dachluken als auch durch und ODP gleich null). Eine eventuell widerspiegeln, so dass eine gewisse Erzwei Zentrallüftungsgeräte GEA Cair mit auftretende Leckage hätte somit keinen wärmung bis zu den Nachmittagsstun9.500 beziehungsweise 7.500 m³/h maEinfluss auf das Klima. Das Gebäude den toleriert, genau gesagt sogar erximalem Luftvolumenstrom statt. Die gehört zu den wenigen Bürogebäuden wünscht ist. Houwen dazu: „Durch Geräte verfügen über Rotationswärmein Mitteleuropa, das eine Ammoniakdiese Art der Klimatisierung wird das tauscher zur Rückgewinnung von WärLösung zum Beheizen einsetzt. Oft beRaumklima als natürlicher empfunden me aus der Abluftstrecke sowie Frestehen gegenüber dem – in der Industals bei einer starren Temperaturvorgaquenzumformer. Letztere ermöglichen, rie durchaus etablierten – Kältemittel be. Das ist für das Wohlbefinden ein dass die Anlage die Drehzahl der VentilaVorbehalte, weil es giftig ist. Da das wesentlicher Faktor und vermeidet autoren dem jeweiligen Lüftungsbedarf Ammoniak jedoch nur in der Wärmeßerdem, dass die Menschen im Sommer stufenlos und ressourcenschonend anpumpe steckt und die thermische Enernach getaner Arbeit einem Temperaturpassen kann. Lüftungsgeräte aus der gie an einen anderen Kälteträger, hier schock ausgesetzt sind, wenn Sie das gleichen Serie unterstützen außerdem an einen Wasserkreislauf, übergibt, sind Gebäude verlassen.“ Das Konzept beden oben erwähnten Luftaustausch zwidie gesundheitlichen Risiken für die weist, dass nachhaltiges Bauen sowie schen Gewächshaus und Bürogebäude, Gebäudenutzer minimal. ein Zusammenführen von Mensch und um die von Pflanzen mit Sauerstoff anPflanze durchaus Potenzial für den gereicherte Luft zu den Arbeitsplätzen zu Städtebau von morgen hat. Zugleich ist Toiletten liefern Heizenergie befördern, und ermöglichen einen ausdie in der Villa Flora umgesetzte TechDie Vielzahl der positiven Eigenschaften reichenden Luftwechsel in den Büroetanologie wirtschaftlich: Aufgrund der macht die Wärmepumpenlösung zu eigen. In dem Bürotrakt findet die Luft konsequenten Nutzung von Energienem der technischen Highlights der Villa durch Bodenluftauslässe den Weg in die spartechnik und der positiven EnergieFlora. Daher ist sie direkt neben dem Räume. Aufgrund der niedrigen Luftgebilanz ist die ‚zweite Miete‘, also die Eingang in einem verglasten Technikschwindigkeit am Auslass geschieht dies Nebenkosten eines Gebäudes, gering. ■ raum aufgestellt, so dass jeder Besucher ohne Zugerscheinungen. Auf ein Luftkasich das ‚Herz der Heizung‘ ansehen nal-System können die Betreiber weitwww.gea.com kann – ebenso wie die Biogasanlage des gehend verzichten, denn in den Büroetawww.ki-portal.de KI Kälte · Luft · Klimatechnik · 12 2012 25