Grundgesetz hat das Gebot der gleichberechtigten demokratischen

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Fachbereich
Wirtschaftswissenschaften
Prof. Dr. Silke Ruth Laskowski
Universität Kassel – Diagonale 12 - 34127 Kassel
Landtag Rheinland-Pfalz
Enquete-Kommission 16/2
Bürgerbeteiligung
Leiterin des Fachgebiets
Öffentliches Recht,
Völkerrecht und Europarecht
Schwerpunkt Umweltrecht
Diagonale 12 (R. 2130 B)
34127 Kassel
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Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung der EnqueteEnquete-Kommission 16/2
„Bürgerbeteiligung“ des Landtags RheinlandRheinland-Pfalz am 10.02.2012
Thema: Gendergerechte Demokratie
A. Vorbemerkung
Vorbemerkung
Indem der Landtag das Thema „Gendergerechte Demokratie“ aufgreift, weist er auf
Leistungsschwächen und Strukturprobleme der repräsentativen parlamentarischen
Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland hin. Ein grundlegendes Problem ist
die seit jeher mangelnde Repräsentanz von Frauen in den deutschen Parlamenten.
Dieser Umstand widerspricht dem Demokratiekonzept des Grundgesetzes im Sinne
von Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG („Volkssouveränität“), das die gleichberechtigte
demokratische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger voraussetzt. Denn das
Grundgesetz hat das Gebot der gleichberechtigten demokratischen Teilhabe von
Frauen und Männern in Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Art. 21 Abs. 1 S. 3 und Art. 3 Abs. 2
GG verankert. Insoweit gilt es vor allem, den Anteil der Frauen in den Parlamenten
auf einen für das „Wahlvolk“ repräsentativen Anteil zu erhöhen.
Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich vor allem auf Punkt 2 LTDrucksache 16/543 unter dem Aspekt „Stärkung der Frauen im Wahlverfahren –
Stichwort Parité-Gesetz“.
Prof. Dr. Silke Ruth Laskowski
I. Genderdemokratisches Defizit und mangelnde demokratische Legitimation
Der Anteil weiblicher Abgeordneter in den deutschen Parlamenten ist von jeher
gering, stagniert jedoch seit Mitte der 1990er Jahre bei etwa 30 %. Insbesondere der
Deutsche Bundestag, der aktuell nur 30 % weibliche Abgeordnete aufweist, spiegelt
seit Jahren in keiner Weise das Wahlvolk wider. Denn dieses besteht mehrheitlich
aus Frauen: 32 Millionen Wählerinnen stehen hier 30 Millionen Wählern gegenüber. 1
Die Mehrheit des Wahlvolks und deren Präferenzen, Perspektiven und Interessen also die der Wählerinnen – werden daher nicht angemessen im 17. Deutschen
Bundestag repräsentiert.
Die
infolgedessen
eintretenden
genderdemokratischen
Defizite
politischer
Entscheidungen führen zu einem Mangel an demokratischer Legitimation. Denn als
Kerngehalt des
Demokratiegebots
Gleichheitssatz.
Er
stellt
eines
(Art. 20 GG)
der
tragenden
gilt heute der
allgemeine
Konstitutionsprinzipien
der
freiheitlich-demokratischen Verfassung dar und wird insbesondere durch die
speziellen Gleichheitssätze des Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG konkretisiert. Vor
diesem Hintergrund zielt die in der repräsentativen parlamentarischen Demokratie
über Parteien vermittelte „Volksherrschaft“ aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts
zwingend auf eine faire, gleichberechtigte, demokratische Teilhabe von Frauen und
Männern an der politischen Herrschaftsausübung.
Dieser genderdemokratische Gehalt des Demokratieprinzips ist im Europäischen
Rechtsraum bereits anerkannt. So stellt etwa auf EU-Ebene das „Netzwerk der
Europäischen Kommission zur Förderung von Frauen an der Mitwirkung von
Entscheidungen in Politik und Wirtschaft“ in einem aktuellen Arbeitsbericht vom 11.
Juni 2011 fest:
„Democratic legitimacy of decision-making: As a principle of democracy, in
which all citizens are equal, the composition of elected bodies representing
its citizens should reflect the diversity of the electorate. This ensures that
their decisions have legitimacy. Since half of Europe´s population consists of
women, their voices should be heard equally at all levels.”2
Dieses
Demokratieverständnis
korrespondiert
mit
dem
europarechtlichen
Gleichheitsgebot, das in Art. 23 der Europäischen Grundrechte-Charta (GRC)
1
Bei der Bundestagswahl 2009 waren insgesamt knapp 62,2 Millionen Bürgerinnen und Bürger wahlberechtigt,
davon 29,9 Millionen Bürger und 32,3 Millionen Bürgerinnen, vgl.
http://www.bundeswahlleiter.de/de/bundestagswahlen/BTW_BUND_09 (05.02.2011).
2
Abrufbar auf der Website der Europäischen Kommission (Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft),
http://ec.europa.eu/justice/gender-equality/files/quota-working_paper_en.pdf.
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verankert ist und der Querschnittsklausel zur Gleichstellung von Frauen und
Männern in Art. 8 AEUV. Beide Regelungen legen ein umfassendes, materiellrechtliches Verständnis der Geschlechtergleichheit zugrunde, das sich auf alle
Bereiche bezieht und in der Realität (nicht nur formellrechtlich) sicherzustellen ist.3
Ergänzend stellt Art. 23 Abs. 2 GRC die generelle Zulässigkeit spezifischer
Vergünstigungen für das benachteiligte Geschlecht klar.
II. Auswirkungen auf politische Entscheidungen
Die Zusammensetzung der Parlamente mit Mandatsträgerinnen und -trägern kann
sich auf den Inhalt politischer Entscheidungen auswirken, insbesondere auf die
Gesetzgebung. Hier zeigen sich die Verbindungslinien zwischen Gleichberechtigung
und Demokratie sowie die Bedeutung von „gendergerechter Demokratie“. Eine
unausgeglichene parlamentarische Männer-Frauen-Bilanz hat eine bislang in der
Rechtswissenschaft kaum beachtete, gleichwohl weit reichende Konsequenz. Ein
Blick auf die Erkenntnisse der Politikwissenschaft zeigt, dass die Qualität politischer
Entscheidungen nicht zuletzt vom Vorverständnis und den Präferenzen der an der
Entscheidung – Gesetzgebung - Beteiligten abhängt. Sind diese überwiegend
männlich, so ist anzunehmen, dass deren Vorverständnis und Präferenzen –
unausgesprochen – durch männliche Erfahrungen und Erwartungen auch an das
Rollenverhalten von Frauen und Männern geprägt ist. Diese liegen allen politischen
Entscheidungen unausgesprochen und mehr oder weniger bewusst zugrunde. Dies
kann dazu führen, dass sich die mit einer politischen Entscheidung verbundenen
Kosten
sowie
der
Nutzen
auf
unterschiedliche
Bevölkerungsgruppen
in
unterschiedlicher Weise verteilen, also auch in unterschiedlicher Weise auf Frauen
und Männer.
Es ist bekannt, dass auch in der jüngeren Vergangenheit vielfach gesetzliche
Regelungen zu Lasten von Frauen getroffen wurden („mittelbare Diskriminierung“) ,
wie das BVerfG immer wieder feststellt.4 Entsprechendes gilt für gesetzgeberisches
Unterlassen, wie das prägnanteste Beispiel zeigt: die anhaltende Entgeltungleichheit
(„Lohnungleichheit“)
zwischen
Frauen
und
Männern.
Obgleich
das
Entgeltgleichheitsgebot seit 1949 (63 Jahre!) in Art. 3 Abs. 2 GG und seit 1972 auch
in Art. 141 EGV, jetzt Art. 157 Abs. 1 AEUV, verankert ist, verdienen Frauen im
3
Näher Vedder/Heintschel von Heinegg-Folz, Europäisches Unionsrecht, 2012, Art. 23 GR-Charta Rn. 1:“ Art.
23 begründet ein umfassendes Gleichheitsrecht von Frauen und Männern, das über das bisherige primäre und
sekundäre Gemeinschaftsrecht hinausgeht.“; Meyer-Hölscheidt, Charta der Grundrechte der Europäischen
Union, 3. Aufl. 2011, Art. 23 Rn. 17 f.
4
So etwa die Entscheidung zum öffentlichen Dienst, in der das BVerfG die Regelung über den
Versorgungsabschlag für ehemals teilzeitbeschäftigte Beamtinnen und Beamte nach dem BeamtenVersorgungG
als mittelbar diskriminierend gegenüber Frauen gewertet hat, BVerfG (2. Senat) v. 18.06.2008, E 121, 241.
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Vergleich
zu
Männern
bei
gleicher
oder
gleichwertiger
Tätigkeit
in
der
Bundesrepublik Deutschland aktuell fast 25 % weniger („Gender Pay Gap“) – bezogen
auf ein Jahr arbeiten Frauen also von Januar bis einschließlich März gratis. Hier fehlt
es bis heute an der gebotenen einfachgesetzlichen Ausgestaltung zur Durchsetzung
des
Entgeltgleichheitsgebots.
Der
bekannte
„Gender
Pay
Gap“
ist
damit
vorprogrammiert und wird statistisch jedes Jahr neu belegt. Ursächlich sind meist
intransparente Leistungsbewertungen von Unternehmen, die sich im jeweiligen
Entgelt
geschlechtsspezifisch
niederschlagen.
Nicht
individuelles
Verhandlungsgeschick, sondern verdeckte diskriminierende Entgeltstrukturen sind
entscheidend. Diese ließen sich durch eine gesetzliche Pflicht zur Offenlegung der
Bewertungsverfahren und Strukturen ändern. Aber der (Bundes-)Gesetzgeber schaut
trotz verfassungsrechtlicher Pflicht zur Durchsetzung der Entgeltgleichheit seit mehr
als 60 Jahren untätig zu. Die Bereitschaft der Abgeordneten (des Deutschen
Bundestages) hier tätig zu werden, tendiert also seit mehr als 60 Jahren gen Null.
Dies lässt auf ein wirtschafts- und gleichstellungspolitisches Verständnis schließen,
das die bestehenden Entgeltstrukturen für Frauen und Männer offenbar angemessen
findet.
In diesem Zusammenhang ist zudem darauf hinzuweisen, dass die Erwerbstätigkeit
von
Frauen
überproportional
durch
prekäre
Beschäftigungsverhältnisse
im
Niedriglohnsektor gekennzeichnet ist, die zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht
ausreichen – der Gesetzgeber verweigert auch hier seit Jahren eine angemessene
Mindestlohngesetzgebung, die vor allem Frauen zugute käme. Zudem wirken sich
die
immer
noch
fehlenden
Kinderbetreuungseinrichtungen
auf
den
Erwerbslebensverlauf gerade von allein erziehenden Müttern verheerend aus, denn
dadurch werden sie in Teilzeitbeschäftigungen gedrängt, die nicht nur schlecht
bezahlt, sondern auch Karriere hindernd sind. Um das Bild abzurunden, ist
schließlich auf das neue Scheidungsrecht hinzuweisen, das nun von geschiedenen
Frauen zwingend verlangt, den Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu
bestreiten. Damit werden vor allem geschiedene Frauen mit Kindern und ältere
Frauen, für die der Arbeitsmarkt in Deutschland – wenn überhaupt - vor allem
prekäre Erwerbstätigkeiten zu Niedrigstlöhnen, in „Hartz IV“ und die staatliche
Grundversorgung gedrängt. Daran schließt sich konsequent die Altersarmut an.
Dies alles ist – wissenschaftlich abgesichert – im Ersten Gleichstellungsbericht der
Bundesregierung nachzulesen, der 2011 vom Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) veröffentlicht wurde.5
Damit wird deutlich, wie einseitig Recht bzw. gesetzgeberisch verweigertes Recht
5
Abrufbar unter http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/Publikationen/publikationen.
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wirken kann – mittelbar
diskriminierend.
Darauf
hat
z.
B. der
Deutsche
Juristinnenbund im Übrigen immer wieder hingewiesen und vom Gesetzgeber
Abhilfe gefordert – ohne Erfolg.6 Die Kosten der Entgeltungleichheit etc. (s.o.) und
der pflichtwidrig verweigerten Gesetzgebung trägt weiterhin ausschließlich die
weibliche Bevölkerung – gerade im Alter. Denn der aus dem „Gender Pay Gap“ für
Frauen resultierende „Gender Pension Gap“ beträgt heute tatsächlich knapp 60 %.7
III. Parlament und kommunale Vertretungskörperschaften in RheinlandRheinland-Pfalz
1. Landtag RheinlandRheinland-Pfalz (Landtagswahlen)8
Im Landtag von Rheinland-Pfalz stieg die Quote der weiblichen Abgeordneten
erstmals 1996 auf knapp 30 %, fiel 2001 leicht auf 29%, erreichte 2006 einen Anteil
von knapp 36 % und liegt nun seit der Landtagswahl 2011 erstmals bei fast 40 %
(39,6 %). Von den 101 Abgeordneten sind 61 Männer und 40 Frauen. Von diesen
gehören 18 der SPD-Fraktion an (43 %), neun der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
(50 %) und 14 der CDU-Fraktion (34 %). Die Wahlbeteiligung stieg auf 61,8 %.
Damit hebt sich der 16. Rheinland-Pfälzische Landtag „genderdemokratisch“ zwar
vom parlamentarischen Bundesdurchschnitt positiv ab. Gleichwohl spiegelt auch die
aktuelle Männer-Frauen-Bilanz (noch) nicht das Wahlvolk wider. Unter den knapp
3,1 Millionen Wahlberechtigten (Landtagswahl am 27.03.2011) waren gut 1,6
Millionen wahlberechtigte Bürgerinnen und knapp 1,5 Millionen wahlberechtigte
Bürger. Somit wird die Mehrheit des rheinland-pfälzischen Wahlvolks und deren
Präferenzen, Perspektiven und Interessen - also die der Wählerinnen - nicht
angemessen im 16. Landtag repräsentiert. Eine angemessene Frauen-Männer-Bilanz
kann letztlich nur in einer paritätischen Besetzung des Landtags gesehen werden.
Zudem: Die „gleichstellungsfreundliche“ Besetzung des Landtags in Rheinland-Pfalz
wird nur aufgrund parteiinterner Gleichstellungsquoten der Parteien Bündnis 90/Die
Grünen und SPD erreicht, deren Satzungen im Kern auf eine paritätische Besetzung
der Parlamente abzielen. Zu diesem Zweck schreiben sie insbesondere quotierte
Kandidatenlisten vor: während die SPD in § 11 ihrer Satzung eine Mindestquote von
6
Vgl. die zahlreichen Stellungnahmen und Pressemitteilungen unter http://www.djb.de/.
Genau sind es 59,6 %, so BMFSFJ, Gender Pension Gap, 2012, S. 12.
8
Insoweit defizitär die Angaben des Statistischen Landesamts Rheinland-Pfalz, Statistische Analysen 2011 Nr.
23, die zwar die Zahl der Wahlberechtigten mit 3.088.199 angibt, jedoch keine geschlechtsspezifische
Aufschlüsselung der Zahl nach weiblichen und männlichen Wahlberechtigten enthält, vgl.
http://www.wahlen.rlp.de/ltw/wahlen/2011/veroeff/repraes-wahlstatistik-lw2011.pdf; anders die Statistik des
Bundeswahlleiters zur BT-Wahl 2009, die die Wahlberechtigten nach Bundesländern differenziert angibt Rheinland-Pfalz (2009): insgesamt 3.109 900, davon 1.497 800 wahlberechtigte Männer und 1.606 100
wahlberechtigte Frauen. Die Zahl der Wahlberechtigten hat sich seit 2009 kaum verändert, so dass
Entsprechendes für die 2009 ermittelten differenzierten Zahlen gelten dürfte.
7
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Prof. Dr. Silke Ruth Laskowski
40 % für Frauen und Männer regelt, schreiben Bündnis 90/Die Grünen in §§ 11, 27
Bundessatzung i.V.m. dem Frauenstatut grundsätzlich eine paritätische Besetzung
(alternierend) mit Frauen und Männern vor, ein Frauenanteil von mehr als 50 % und
reine Frauenlisten sind zulässig. Nicht an Parität orientiert ist die CDU, die lediglich
ein sog. Quorum von 30 % kennt. Die in früheren Landtagen noch vertretene FDP
kennt hingegen weder Quoten noch Quoren zugunsten von Frauen.9
Interessant: In den 1980er und 1990er Jahre wurde das Thema „Quotierung“ bei der
Aufstellung von Kandidatenlisten als Mittel zum Abbau faktischer Ungleichheiten
zwischen Männern und Frauen diskutiert. Kurz vor der Verfassungsreform 1994,
durch die Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG („Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung
der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitiung
bestehender
Nachteile
hin.“)
in
das
GG
eingefügt
wurde,
endetet
der
rechtswissenschaftliche Diskurs abrupt. Während seinerzeit noch umstritten war, ob
die durch Parteistatut geregelte und insoweit (nur) parteiintern verbindliche
frauenfördernde Quotierung verfassungsgemäß ist, wird die verfassungsrechtliche
Zulässigkeit satzungsrechtlicher Quoten heute in der Literatur bejaht.10
2. Kommunale Vertr
Vertretungskörperschaften (Kommunalwahlen)
Die Kommunalwahlen 2009 führten zu einem durchschnittlichen Anteil an
Mandatsträgerinnen von lediglich 16,8 %. Diese Frauen-Männer-Bilanz ist bei 1,6
Millionen wahlberechtigten Bürgerinnen und 1,5 Millionen Bürgern mehr als dürftig.
Im Übrigen ist seit der Kommunalwahl 1994 bis heute der Frauenanteil um lediglich
4,1 % gestiegen.11 Bedenklich gering auch die Wahlbeteiligung von nur 55,1 %.
9
Die bislang noch (nicht) im Rheinland-Pfälzischen Landtag vertretene Partei Die Linke hat in ihrer Satzung
eine auf Parität zielende Gleichstellungsquote von mindestens 50 % („hinwirken“) geregelt, reine Frauenlisten
sind möglich, § 10 Satzung.
10
Klein, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG Band III Art. 17-27, Stand: 2006, Art. 21 Rn. 353, der unter
Bezugnahme auf die einschlägigen Verfassungsnormen – Art. 3 Abs. 2 , Abs. 3 S. 1; Art. 21 Abs. 1 S. 2, S. 3;
Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG – zu dem Ergebnis gelangt, dass „die gewichtigeren Gründe für die Zulässigkeit einer
Quotierung“ sprechen; ebenso Trute, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG Band 2 Art. 20-69, 4./5. Aufl.
2001/2003, Art. 38 Rn. 62; Achterberg/Schulte, in: Starck (Hrsg.), GG Band 2, Art. 20 – 82, 5. Aufl. 2005, Art.
144 ff., 146, die im Hinblick auf Art. 21 und Art. 38 GG schlussfolgern, dass eine innerparteiliche
Quotenregelung „nicht ohne weiteres“ als Verstoß gegen den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit zu werten ist;
Schreiber, Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, Kommentar zum Bundeswahlgesetz, 7. Aufl.
2002, § 27 Rn. 13a S. 463, der im Hinblick auf die innerparteiliche Quotierungen zur Vergabe von
Landeslistenplätzen bei „vernünftiger“ satzungsmäßiger Ausgestaltung „keine durchschlagenden
verfassungsrechtlichen Bedenken“ hat; zuvor bereits Lange, NJW 1988, 1183; a. A. mglw. Pieroth, in:
Jararss/Pieroth, GG, 11. Aufl. 2010, Rn. 22a, der ohne weitere Begründung unter Bezugnahme auf die vor der
Verfassungsnovelle 1994 publizierte ablehnende Literatur einen Verstoß gegen die Wahlrechtsgleichheit gem.
Art. 38 GG annimmt, wohl aber bezogen auf gesetzliche Quotenregelungen (unklar).
11
Vgl. die Ergebnisse der Kommunalwahl unter http://www.mehr-frauen-in-die-politik.rlp.de.
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IV. Verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Hintergrund
1. Grundgesetz
Das Demokratiekonzept des Grundgesetzes im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG
setzt die gleichberechtigte demokratische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger
voraus. Es basiert auf dem Gedanken der Volkssouveränität und dient der
Legitimation staatlicher Herrschaft, die in der Bundesrepublik „vom Volke“ ausgeht –
in Wahlen und Abstimmungen und durch die Organe der drei Staatsgewalten, Art.
20 Abs. 2 Satz 2 GG. „Das Volk“ soll primär durch Parlamentswahlen, darüber hinaus
aber auch außerhalb der Wahlen stets präsent bleiben.
Das Demokratiekonzept wird ergänzt durch Art. 38 GG, der in Absatz 1 die
Volkswahl
zum
Deutschen
Bundestag
normiert.
Die
hier
verankerten
Wahlrechtsgrundsätze (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) sichern die allgemeine, unmittelbare,
freie, gleiche und geheime Wahl. Die Wahlrechtsgrundsätze gelten gem. Art. 28 Abs.
1 S. 2 GG als objektives Recht auch für die Wahlen in den Ländern, Kreisen und
Gemeinden12 - vgl. auch Art. 76 Abs. 1 Verfassung Rheinland Pfalz (LV). Sie stellen
eine wichtige Ausprägung des Demokratieprinzips dar. Darüber hinaus normiert
Satz 2 das Repräsentationsprinzip. Abgeordnete sind danach Vertreterinnen und
Vertreter des „ganzen Volkes“. Der Deutsche Bundestag
wird anstelle und im
Namen des Volkes tätig, er repräsentiert und vertritt die Gesamtheit der Bürgerinnen
und Bürger. Entsprechendes gilt für den Landtag von Rheinland-Pfalz gem. Art 79
Abs. 1, Abs. 2 LV.
Eine weitere wichtige Ergänzung erfährt Art. 20 GG durch Art. 21 GG, der den
politischen Parteien einen verfassungsrechtlichen Status einräumt und ihnen die
Aufgabe zuweist, an der Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Erst die
Gründungsfreiheit und der freie Wettbewerb der Parteien, so das BVerfG, „machen
Demokratie erst möglich“13. Politischen Parteien kommt demnach eine besondere
Funktion
in
der
repräsentativen
Demokratie
zu.
Parteien
werden
verfassungsrechtlich als politische Handlungseinheiten betrachtet, deren die heutige
Demokratie bedarf, um den Wählerinnen und Wählern wirksamen Einfluss auf das
staatliche Geschehen zu ermöglichen. Nur deshalb erkennt das Grundgesetz die
Parteien als notwendige Instrumente der politischen Willensbildung des Volkes an
und erhebt sie in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution. Gemeinsam mit
Art. 20 GG sichert Art. 21 GG also die moderne parteienstaatliche Demokratie in
Bund und Ländern.
12
Jarass/Pieroth, GG, Art. 38 Rn. 2 m. w. N. Zudem gelten sie als allgemeine Rechtsprinzipien für Wahlen zu
allen Volksvertretungen und für politische Abstimmungen, BVerfGE 60, 162, 167.
13
BVerfGE 111, 382, 404.
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Prof. Dr. Silke Ruth Laskowski
Um ihrer Funktion gerecht zu werden, bedürfen politische Parteien daher einer
innerparteilichen Organisation, die im Rahmen der repräsentativen Demokratie den
Willen der Bürgerinnen und Bürger politisch effektiv zum Ausdruck bringen kann,
um die Legitimationsvermittlung zwischen Volk und Staatsgewalt zu gewährleisten.
Hier wird das Gebot der innerparteilichen Demokratie in Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG
relevant.
Danach
muss
die
innere
Ordnung
der
Parteien
demokratischen
Grundsätzen entsprechen. Es stellt die notwendige Ergänzung der den Parteien
zugewiesenen Mitwirkungsaufgabe dar. Es zielt darauf, dem Volk, also der
Gesamtheit aller Bürgerinnen und Bürger, „einen effektiven Einfluss auf die
Ausübung der Staatsgewalt durch die staatlichen Organe“ zu vermitteln. Hier zeigt
sich der enge Zusammenhang des Art. 21 GG mit dem Demokratieprinzip in Art. 20
GG und dem parlamentarischen Regierungssystem.
Mit anderen Worten: Das Parteiwesen genießt nur deshalb den durch Art. 21 GG
vermittelten verfassungsrechtlichen Schutz, weil das GG an die Parteien die
Erwartung und die Forderung stellt, dass sie mit Hilfe ihrer innerparteilichen
Struktur
und
Organisation
die
verfassungsrechtlich
gebotene
effektive
Einflussnahme der Bürgerinnen und Bürger auf die Staatsorgane anstreben und
sichern. Dann müssen Organisation und Struktur der Parteien aber auch so
ausgestaltet sein, dass die effektive Einflussnahme durch eine repräsentative
„Spiegelung“ des gesamten Volkes und seiner Interessen über die Parteien im
Parlament möglich wird.
Um die hinreichende Legitimation durch „das Volk“ sicherzustellen, verlangt das
BVerfG14 hier ein bestimmtes Legitimationsniveau. Zentrales Element ist die
Legitimationskette,
die
erstens
sicherstellen
soll,
dass
die
politische
Herrschaftsgewalt auf das Volk rückführbar ist und zweitens, dass „das Volk“
effektiven Einfluss auf die Ausübung der politischen Herrschaft hat.15 Dabei legt das
BVerfG
in
neueren
Entscheidungen
in
Bezug
auf
das
Staatsvolk
als
Legitimationssubjekt eine deutlich individualistischere Sicht zugrunde. So spricht es
etwa in der sog. Wasserverbandsentscheidung16 ausdrücklich von der „Gesamtheit
der Bürger“ – und meint damit selbstverständlich die Gesamtheit der Bürgerinnen
und Bürger.
Um die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erforderliche
Rückbindung der Staatsgewalten an den „Volkswillen“ zu gewährleisten, bedarf es
14
BVerfGE 93, 37, 66; 107, 59, 87.
BVerfGE 93, 37, 66.
16
BVerfGE 107, 59, 87.
15
Seite 8
Prof. Dr. Silke Ruth Laskowski
also
des
effektiven
(tatsächlich
wirksamen)
Einflusses
der
Gesamtheit
der
Bürgerinnen und Bürger auf die Gewaltausübung durch die staatlichen Organe.
Das verfassungsrechtliche Gebot der effektiven Partizipation erfordert daher
Verfahren, Maßnahmen und Strukturen, die es dem Wahlvolk ermöglichen, gerade
mittels
gewählter
Präferenzen
und
Repräsentantinnen
Interessen
der
und
Repräsentanten
wahlberechtigten
die
Frauen
Perspektiven,
und
Männer
„gleichberechtigt“ in die politischen Entscheidungsprozesse einzubringen.
Spätestens seit der Verfassungsänderung von 1994, durch die das staatliche
Fördergebot in Art. 3 Abs.2 S. 2 GG eingefügt wurde („Der Staat fördert die
tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und
wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“), geht das Grundgesetz ebenso
wie das EU-Recht von einem materiell-rechtlichen Verständnis der Gleichstellung
von Frauen und Männern aus. Ziel ist die tatsächliche Durchsetzung der
Gleichberechtigung im gesamten gesellschaftlichen Leben, einschließlich des
politischen Lebens.17 Daran anknüpfend lassen sich gleichstellungsfördernde
Maßnahmen
rechtfertigen,
um
die
Repräsentanz
von
Frauen
in
der
parlamentarischen Demokratie erhöhen (s. u. zu B.)
2. Europarecht
Gleichstellungsdemokratische Impulse könnten nach Inkrafttreten der Europäischen
Grundrechte-Charta vor allem für die Kommunalwahlen ausgehen, namentlich von
Art. 23 GRC, Art. 51 GRC und Art. 8 AEUV, Art. 22 AEUV sowie Art. 40 GRC i.V.m.
der Kommunalwahlrichtlinie 94/8018. Die EU-Kommunalwahlrichtlinie räumt EUAngehörigen in den Mitgliedstaaten, in denen sie ihren Wohnsitz haben, das
Kommunalwahlrecht ein. Die Richtlinie wurde in Deutschland durch Landesrecht
umgesetzt, u. a. in Rheinland-Pfalz durch das Kommunalwahlgesetz.
Nach Art. 51 Abs. 1 GRC sind die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung und
Anwendung des EU-Rechts an die Europäische Grundrechte-Charta gebunden. Das
materiell-rechtliche Gleichberechtigungsverständnis von Art. 23 GRC (s. o. zu I.)
i.V.m. Art. 40 GRC („Aktives und passives Wahlrecht bei den Kommunalwahlen“)
bindet insoweit auch das Land Rheinland-Pfalz. Hier bietet Art. 23 S. 2 GRC i.V.m.
Art. 51 Abs. 1 GRC ein starkes Argument für gesetzlich geregelte „positive
Maßnahmen“, um ein ausgewogenes Verhältnis von Frauen und Männern in den
Kommunalvertretungen zu erreichen.
17
18
Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 90.
ABl. 1994 L 368/38; zul geändert durch RL 2006/106.
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Prof. Dr. Silke Ruth Laskowski
B. Leitfragen der EnqueteEnquete-Kommission
I. Welche
Welche Maßnahmen und Instrumente sind dazu geeignet, die politische
Repräsentanz von Frauen zu erhöhen?
Landtag und kommunale Vertretungen: Es bedarf solcher Maßnahmen und
Instrumente, die wirksam („effektiv“) steuern können und daher eine erkennbare
Erhöhung
der
Anzahl
von
Frauen
in
politischen
(Entscheidungs-)Gremien
(Parlamente, Regierung etc.) tatsächlich und in kurzer Zeit erwarten lassen. Die
größte Steuerungskraft geht von verbindlichen gesetzlichen Regelungen aus, die
positive Maßnahmen zugunsten von Kandidatinnen vorschreiben. Es handelt sich
dabei
um
Maßnahmen
zur
Förderung der
tatsächlichen
Durchsetzung der
Gleichberechtigung i.S.v. Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG, Art. 17 Abs 3 S. 2, S. 3 LV.
Im Vordergrund stehen Regelungen, die die Aufstellung der Kandidatinnen und
Kandidaten
für
die
Landtagswahlen
und
die
Kommunalwahlen
betreffen
(Landeswahlgesetz, Kommunalwahlgesetz).
Denkbar wäre eine Art landesrechtliches „Parite-Gesetz“ in Anlehnung an das 2001
in Kraft getretene französische Parité-Gesetz. Gesetzliche Quotenregelungen dieser
Art gelten inzwischen auch in Belgien, Polen, Portugal, Slowenien, Spanien und
Griechenland.19
In Frankreich wurde im Jahr 2000 das „Gesetz über den gleichen Zugang von Frauen
und Männern zu Wahlmandaten und auf Wahl beruhenden Ämtern“ vom 30.06.2000
(„Paritätsgesetz“) verabschiedet. Es betrifft die Europawahlen, Parlamentswahlen
(Nationalversammlung),
einen
Teil
der
Senatswahlen,
die
Regionalwahlen,
Kommunalwahlen in Gemeinden ab 3500 Einwohnerinnen und Einwohnern sowie die
Wahlen zur Volksvertretung von Korsika.
20
Damit gilt seit 2001 angesichts einer
fortwährenden parlamentarischen Unterrepräsentanz von Frauen eine gesetzliche
Regelung für die Kandidatenaufstellung. Alle Kandidatenlisten der Parteien müssen
paritätisch besetzt sein. Bei einer Partei, die in mehr als 50 Wahlkreisen
Direktkandidatinnen und -kandidaten aufstellt, darf der Unterschied zwischen der
19
European Commission´s Network to Promote Women in Decision-making in Politics and the Economy, S.
17f., http://ec.europa.eu/justice/gender-equality/files/quota-working_paper_en.pdf.
20
Loi n° 2000-493 du juin 2000 tendant à favoriser l’égal accès des femme et des hommes aux mandats
électoraux et fonctions électives, Journal officiel de la République française (JORF) du 7 juin 2000, 8560. Nicht
anwendbar ist das Gesetz unter anderem für den Teil der Senatswahlen, die nach dem Mehrheitswahlrecht
vorgenommen wird; vorgeschrieben in Départements mit Recht auf mehr als vier Senatoren, vgl.
Wissenschaftliche Dienste/Deutscher Bundestag, Ausarbeitung vom 29.01.2008, WD 3 - 008/08, S. 17; siehe
auch Zypris/Holste, NJW 2008, 3400, 3402.
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Anzahl von Direktkandidatinnen und -kandidaten nur maximal 2 % betragen.
Die Einhaltung der Quotierung ist bezüglich der Liste zwingend, ein Verstoß führt zu
ihrer Nichtzulassung. Verstöße gegen die Wahlkreiskandidaten-Quote werden
dagegen nur nachträglich durch die Kürzung der staatlichen Parteienfinanzierung
sanktioniert.
Die mit Sanktionen verknüpfte Regelung zur Quotierung der Kandidatenlisten hat
sich bewährt, wie die Zahlen zeigen (2010): Regionalparlamente: 47,6 % weibliche
Abgeordnete, Kommunalparlamente: 48,5 % weibliche Abgeordnete, Senat: 21,5 %
weibliche Abgeordnete (Quote kann hier nur eingeschränkt wirken, da das
Wahlkollegium panaschieren darf); Europaparlament: 44,4 % weibliche Abgeordnete.
Hinzu kommt, dass seit der Einführung der Quote durch das „Loi sur la parité“ die
Wahlbeteiligung der Bevölkerung deutlich gestiegen ist.
Anders fällt die Bilanz bei der Wahlkreiskandidaten-Quote aus. Diese Regelung ist
hinsichtlich
der
Höhe
der
Nationalversammlung bereits
Sanktionen
nachbesserungsbedürftig,
wie
die
erkannt hat. Denn die französischen Parteien
verzichten bislang lieber auf Geld (UMP: ca. 20 Mio. Euro; Sozialistische Partei: mehr
als 2,5 Mio Euro) als auf Männer. Daher finden sich in der Nationalversammlung
aktuell nur 18,9 % weibliche Abgeordnete.
Ein landesrechtliches „Parite-Gesetz“ würde die innerparteiliche Demokratie i.S.v.
Art.
21
Abs.
1
S.
2
GG
ausgestalten,
indem
sie
allen
Parteien
ein
geschlechterdemokratisches Verfahren bei der Aufstellung ihrer Kandidatinnen und
Kandidaten
im
Vorfeld
von
Wahlen
vorschreiben
würde.
In
Bezug
auf
Kandidatenlisten käme eine gesetzliche Verpflichtung zur paritätischen Besetzung
der Listen mit Kandidatinnen und Kandidaten (alternierend) in Betracht. In Bezug auf
Wahlkreise könnte die Verpflichtung zur Benennung von je einer Kandidatin und
einem Kandidaten – also eine „Doppelbesetzung“ – in Betracht kommen.
Die Existenz der (nur) zum Teil vorhandenen parteiinternen Gleichstellungsquoten
spricht nicht gegen eine gesetzliche Regelung, da ein Gesetz verbindliche Vorgaben
für alle Parteien enthielte und daher weitaus wirksamer steuern könnte. Denn
satzungsmäßige Gleichstellungsregelungen gelten bislang nicht in allen Parteien (sie
fehlen vollständig in den Statuten der FDP), die jeweilige Steuerungsqualität ist
unterschiedlich (die 30%-Quorenregelung der CDU erscheint zur Erreichung
paritätischer Verhältnisse wenig geeignet, denn ihr fehlt die nötige Steuerungskraft)
und zudem sind sie auf freiwillige Befolgung der Parteimitglieder angewiesen. Die
parteiinterne Nichtbeachtung bleibt für die nach außen wirkende Wahl folgenlos.
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Dass parteiinterne Quoten letztlich nicht ausreichen, um gerade die politische
Repräsentanz von Frauen auf kommunaler Ebene zu erhöhen, zeigt vor allem das
Ergebnis
der
Kommunalwahlen
von
2009.
Obgleich
die
parteiinternen
Gleichstellungsquoten z.B. von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auch die
Kommunalwahlen betreffen, haben sie nicht zu einer angemessenen Repräsentanz
der Frauen oder zu einer erkennbaren Erhöhung des Frauenanteils in den
kommunalen Vertretungskörperschaften führen können.
Freiwillige, parteiinterne Quotierungsregelungen, die die Parteien in ihren Satzungen
vorsehen und auf freiwillige Befolgung durch die Parteimitglieder angewiesen sind,
dienen der Selbstbindung und sind ein wichtiges Signal, sie reichen allein jedoch
nicht aus und bedürfen der Unterstützung durch eine gesetzliche Verankerung.
Kumulieren
und
Panaschieren:
Soweit
nach
dem
Kommunalwahlgesetz
das
Panaschieren und Kumulieren von Stimmen möglich ist (§ 32), kann dies dazu
führen, dass die Quotierung der Listenplätze „gelockert“ wird. Diese Lockerung kann
sich auf die Anzahl der gewählten Frauen und Männer auswirken und eine
paritätische Besetzung der kommunalen Vertretungen erschweren.
Hier ist zu gewährleisten, dass auch direktdemokratische Elemente des Wahlrechts
mit dem Ziel der gendergerechten Demokratie in Einklang stehen.
Gremienbesetzung: Darüber hinaus eignen sich gesetzliche Quotenregelungen auch,
um eine paritätische Besetzung politischer (Entscheidungs-)Gremien sicherzustellen
und dadurch die politische Repräsentanz, Mitsprache und Mitentscheidung von
Frauen auf ein angemessenes genderdemokratisches Maß zu erhöhen.
II. Welche Parameter sind dafür verantwortlich, dass Frauen in Parlamenten
unterrepräsentiert sind? Wie kann dieses Problem Ihrer Ansicht nach wirksam gelöst
werden?
Die Unterrepräsentanz von Frauen stellt zunächst eine Auswirkung ihrer historisch
zu erklärenden „demokratischen Verspätung“ dar, die einen bis heute anhaltenden
demokratischen Vorsprung von Männern in allen politischen Bereichen zur Folge
hat, der sich zum Nachteil von Frauen auswirkt. Maßgeblich sind insoweit vor allem
verkrustete Parteistrukturen und intransparente Verfahren, die Frauen (mittelbar)
benachteiligen.
Ein Blick auf die historische Entwicklung des demokratischen Parlamentarismus
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zeigt, dass sich dieser bis Anfang des 20. Jahrhunderts ausschließlich auf Männer
bezog. Das Verständnis von Parlamentarismus und dessen Funktion im Rahmen
eines repräsentativen Systems – ebenso wie der Gedanke der Repräsentation des
ganzen Volkes – änderte sich in Deutschland erst durch die Einführung des aktiven
und
passiven
Wahlrechts
von
Frauen
am
12.11.1918
im
Zuge
der
„Novemberrevolution“ und dessen spätere Verankerung in Art. 22 WRV. Zu diesem
Zeitpunkt hatten sich die bis dahin Männern vorbehaltenen politischen Vereine des
19. Jahrhunderts bereits zu politischen Parteien entwickelt, die ausschließlich von
Männern dominiert wurden.
Erst 1908, nach Änderung des Vereinsrechts, erhielten Frauen die Möglichkeit,
Mitglied einer politischen Partei zu werden. Sie mussten sich seither in die
verfestigten Strukturen einfügen. Die demokratische Verspätung von Frauen in
politischen
Institutionen
führte
dazu,
dass
diese
bis
heute
durch
Geschlechterhierarchien und mangelnde Chancengleichheit geprägt sind. Vor allem
dadurch erklärt sich der deutlich höhere Anteil von Männern in allen politischen
Entscheidungsgremien.
Lediglich in vergleichsweise jungen Parteien wie z.B. Bündnis 90/Grüne konnten
Frauen von vornherein Einfluss nehmen und die Parteistrukturen und –verfahren
geschlechterdemokratisch mitgestalten – dadurch erklärt sich auch ihre große
Anzahl an weiblichen Abgeordneten im Rheinland-Pfälzischen Landtag.
Als problematisch erweist sich für Frauen zudem die häufig in den Abendstunden
stattfindende politische Arbeit (Gremiensitzungen etc.), die mit der Wahrnehmung
von
Familienpflichten
gegenüber
Kindern
oder
pflegebedürftigen
Familienangehörigen kollidieren kann. Hier sehen sich Frauen traditionell meist
stärker
in
der
Pflicht
als
Männer
–
auch
deshalb,
weil
entsprechende
Betreuungsmöglichkeiten fehlen. Hier sind die Rahmenbedingungen der politischen
Arbeit betroffen, die insgesamt stärker auf Familienpflichten von politisch
Engagierten Rücksicht nehmen sollten.
III. Ist es – spätestens nach Änderung des Grundgesetzes mit Art. 3 Abs. 2 Satz 2 –
verfassungsrechtlich
verfassungsrechtlich geboten, dass Parteien die Wahllisten so aufstellen, dass die
Plätze alternierend mit Frauen und Männern besetzt werden?
Spätestens seit der Verfassungsänderung von 1994, durch die das staatliche
Fördergebot in Art. 3 Abs.2 S. 2 GG eingefügt wurde (Satz 2: „Der Staat fördert die
tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und
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wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“), geht das Grundgesetz von
einem materiell-rechtlichen Verständnis der Gleichstellung von Frauen und Männern
aus. Ziel ist die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung im gesamten
gesellschaftlichen Leben, einschließlich des politischen Lebens.21 Der staatliche
Gleichstellungsauftrag richtet sich heute in erster Linie darauf, verschleierte, vor
allem strukturelle Benachteiligungen von Frauen zu beseitigen, welche Frauen
„ausbremsen“ und ihre gleichberechtigte berufliche, wirtschaftliche und auch
politische Teilhabe erschweren.
Dabei wirkt sich auch die europäische Wertordnung aus. Dies wird in den neueren
Judikaten des BVerfG deutlich, so etwa in einer Entscheidung aus 200322:
“(Es
hat
sich)
die
Rechtslage,
soweit
sie
den
Grundsatz
der
Gleichberechtigung der Geschlechter betrifft, durch die Fortentwicklung des
europäischen
Gemeinschaftsrechts
und
des
deutschen
Rechts
zur
Durchsetzung des Grundsatzes der Gleichberechtigung der Geschlechter,
insbesondere durch die Neufassung des Art. 3 Abs. 2 GG, geändert.“
Angesichts der bestehenden „geschlechterdemokratischen“ Defizite im politischen
Bereich verpflichtet Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG den Staat zu aktiven Maßnahmen, um einer
weiteren Verfestigung dieser Defizite entgegenzuwirken, diese Defizite abzubauen
und darüber hinaus die Herstellung „geschlechterdemokratischer“ Verhältnisse aktiv
zu fördern. Dazu zählen auch Fördermaßnahmen zur Erhöhung der Zahl der
Parlamentarierinnen.
Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgt, dass insoweit zur Zielerreichung
geeignete, erforderliche und angemessene Mittel zu ergreifen sind.
Zur Sicherung der chancengleichen demokratischen Teilhabe bedarf es einer
effektiven (d.h. im Hinblick auf die Zielerreichung wirksamen) und dem Schutzgut
der demokratischen Teilhabe angemessenen Maßnahme – also einer verbindlichen
gesetzlichen Regelung für alle Parteien, die die innerparteiliche Demokratie
ausgestaltet.
Dies läuft mE auf eine gesetzliche Quotenregelung hinaus, die insbesondere die
paritätische Besetzung der Kandidatenlisten durch die Parteien umfasst – also
Besetzung der Plätze grundsätzlich alternierend mit Frauen und Männern (s. o. B. I.).
21
22
Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 90.
BVerfGE 109, 64.
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Eine solche Quotenregelung ist mE verfassungsrechtlich zulässig und geboten:
Ob Quotenregelungen als bloße Ausgestaltung der innerparteilich geltenden
demokratischen Grundsätze zu betrachten sind (Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG) oder als
rechtfertigungsbedürftige
Beeinträchtigung
der
Betätigungs-
und
Wahlvorschlagsfreiheit der Parteien, wird unterschiedlich beurteilt. Meiner Ansicht
nach spricht alles für eine bloße Ausgestaltung der Parteienfreiheiten im Rahmen
der innerparteilichen demokratischen Grundsätze, die die effektive demokratische
Teilhabe von Frauen im Sinne des „Prinzips der fairen Chancengleichheit“ (John
Rawls) für beide Geschlechter umfasst.
Quotenregelungen dienen der Absicherung der gleichberechtigten politischen
Teilhabe, um den Willen der Wählerinnen und Wähler in der Parlamentsdemokratie
angemessen und effektiv zum Ausdruck zu bringen.
Aber selbst dann, wenn man einen Eingriff in die Parteienfreiheit gem. Art. 21 Abs. 1
S. 2 GG und in den Grundsatz der Wahlfreiheit in Form der Wahlvorschlagsfreiheit
der Parteien nach Art. 38 Abs. 1 GG bejahen wollte, wären diese Eingriffe – an deren
Rechtfertigung
identische
gerechtfertigt.
Denn
als
Anforderungen
zu
rechtfertigende
stellen
Gründe
sind
–
kämen
in
jedem
hier
Fall
spezielle
Verfassungsvorschriften in Betracht – zunächst das staatliche Fördergebot aus Art. 3
Abs. 2 S. 2 GG, darüber hinaus das die Parteien bindende Verfassungsgebot der
inneren demokratischen Ordnung gem. Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. der
staatlichen Schutzpflicht für die Durchsetzung des Verfassungsgebots.
Zu prüfen bliebe, ob eine Quotenregelung, die zugunsten von Kandidatinnen wirkt,
das Grundrecht der Gleichberechtigung gem. Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 S. 1 GG
verletzt, da sich eine Quote zugunsten von Frauen gleichzeitig als Benachteiligung
von Männern auswirkt. Das Quotierungsmodell muss sich daher an den speziellen
Gleichheitssätzen des Art. 3 Abs. 2 S. 1 und Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG messen lassen.
Danach darf das Geschlecht nach Art. 3 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 1 GG grundsätzlich
nicht als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen
werden.
Allerdings können geschlechtsbezogene Ungleichbehandlungen, die zu einer
Benachteiligung von Männern führen, durch das Fördergebot in Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG
gerechtfertigt werden. Die Quotierung stellt eine solche Fördermaßnahme i. S. v. Art.
3 Abs. 3 S. 2 GG (Art. 17 Abs. 3 S. 2, S. 3 LV) dar. Indem sie die einseitige Dominanz
eines Geschlechts auf der Kandidatenliste verhindert, wirkt sie der Privilegierung
dieses (bislang überrepräsentierten) Geschlechts bei den Wahlen entgegen. So
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erlangen nicht nur die Angehörigen des bislang überrepräsentierten, sondern auch
die Angehörigen des anderen Geschlechts eine faire, gleichberechtigte Chance auf
ein listenvermitteltes Mandat. Darüber hinaus bekommt das gesamte Wahlvolk die
faire Chance auf realistische Spiegelung seiner Perspektiven und Interessen
(Themen) im Parlament. Eine verbindliche Gleichstellungsquote gestaltet daher nicht
nur
das
Demokratiegebot
aus,
sondern
erfüllt
gleichzeitig
auch
den
Verfassungsauftrag aus Art. 3 Abs. 2 GG und verstößt daher in keiner Weise gegen
das
Gebot
der
Gleichberechtigung
von
Frauen
und
Männern
(also
keine
Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts).
Eine für alle Parteien verbindliche, gesetzliche Quotenregelung muss schließlich dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Hier kommt es darauf an, dass die
Regelung sowohl geeignet, als auch erforderlich und angemessen ist, um das
angestrebte Ziel zu erreichen.
Zweifel an der Geeignetheit einer gesetzlichen Regelung, das Ziel der faktischen
Gleichberechtigung zu erreichen, indem auch Frauen die faire Chance eingeräumt
wird, Mandate im Parlament zu erlangen, bestehen nicht. Die Eignung einer für alle
Vorschlagslisten geltenden Quotierungsregelung, die die Faktoren kompensiert,
welche für die Unterrepräsentanz von Frauen ursächlich sind, ist gewissermaßen
„evident“.
Es könnte sich vielleicht die Frage stellen, ob gerade eine gesetzliche Regelung auch
erforderlich ist – oder ob nicht als milderes, gleich wirksames Mittel auch eine
freiwillige Quotenregelung in den Satzungen aller Parteien ausreichen könnte.
Abgesehen davon, dass freiwillige Regelungen in ihrer Steuerungskraft davon
abhängen, dass sich auch wirklich alle Parteimitglieder freiwillig an diese
Regelungen halten – und das ist ja nicht immer der Fall –, zeigt spätestens ein Blick
auf den Frauenanteil in den verschiedenen Fraktionen des Deutschen Bundestages,
dass freiwillige Regelungen nur sehr begrenzt als Alternative in Betracht kommen.
Betrachtet man den Frauenanteil in den Fraktionen seit 1994, so zeigt sich, dass vor
allem das „Quorenmodell“ der CDU schon mangels Eignung nicht in Betracht kommt,
da der Anteil der CDU/CSU-Frauen bis heute kaum angestiegen ist und bei lediglich
20 % liegt. Auch das Quotenmodell der SPD erscheint optimierbar, denn seit 1994
liegt der Anteil der weiblichen Abgeordneten hier bei lediglich 35 %. Der Anteil der
weiblichen SPD-Abgeordneten im Landtag von Rheinland-Pfalz liegt zwar aktuell mit
43 % überdurchschnittlich hoch, ob diese Zahl jedoch stabil bleibt oder gar wächst,
ist unsicher und wird sich erst künftig zeigen.
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Als milderes, gleich effektives Mittel kämen allenfalls die Quotenmodelle der
Parteien Bündnis 90/Die Grünen (und der im Landtag von Rheinland-Pfalz nicht
vertretenen Partei Die Linke) in Betracht, sofern in einer für die Parteimitglieder
intern verbindlichen und angewendeten Satzungsregelung überhaupt ein milderes,
weniger eingreifendes Mittel zu sehen ist.
Allerdings, spätestens dann, wenn man den Blick auf diejenigen Parteien richtet, die
sich bislang einer wirksamen Satzungsregelung verweigert haben, wird deutlich,
dass eine freiwillige Regelung als Alternative ausscheidet. Denn diese Parteien
müssten ja per Gesetz zu einer entsprechenden Satzungsregelung verpflichtet
werden. Durch den verbindlichen gesetzlichen Regelungsauftrag entfiele nämlich
das freiwillige Element. Somit steht letztlich kein milderes, gleich effektives Mittel
als eine verbindliche gesetzliche Regelung zur Verfügung. Die Erforderlichkeit einer
gesetzlichen Regelung ist also zu bejahen.
Und auch die Angemessenheit, also die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, lässt
sich m.E. bejahen. Maßgeblich wird
hier
eine
Abwägung der
betroffenen
Verfassungsgüter. Die Quotierungsregelung als kompensatorische Fördermaßnahme
dient sowohl der Durchsetzung des individuellen Rechts von Kandidatinnen auf
faire, chancengleiche, demokratische Teilhabe gem. Art. 3 Abs. 2, Art. 21 Abs. 1 S. 3
GG, als auch der Durchsetzung des Gebots der fairen demokratischen Teilhabe i. S.
des Art. 21 i. V. m. Art. 20 GG, darüber hinaus der tatsächlichen Gleichberechtigung
in der gesellschaftlichen Wirklichkeit und damit der Erfüllung des staatlichen Auftrag
aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG (Art. 17 Abs. 3 S. 2, S. 3 LV). Im Verhältnis dazu ist das
lediglich im Einzelfall beeinträchtigte Recht auf Gleichberechtigung männlicher
Parteimitglieder von geringerem Gewicht, die Beeinträchtigung daher gerechtfertigt.
Nichts anderes gilt, wenn dieselben männlichen Parteimitglieder im Rahmen der
Wahlvorbereitung i. S. v. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG betroffen sind („passive
Wahlgleichheit“).
Auch die Beeinträchtigung der Parteienfreiheit zur Kandidatenbestimmung nach Art.
21 GG und Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG (spezieller Gleichheitssatz) fällt nicht ins Gewicht,
da hier ja bereits der staatliche Auftrag gem. Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG rechtfertigend
wirkt – sofern man überhaupt einen Eingriff und nicht lediglich eine Ausgestaltung
der Parteienfreiheiten (Art. 21 und Art. 38 i. V. m. Art. 20 GG) bejaht.
Im Übrigen fördert die Quotierung durch die damit verbundene Pluralisierung der
Kandidatenliste mittelbar die Gleichheit der Wahl, umso mehr, als sie sich nicht nur
an den Anteilen der Geschlechter in der Partei orientiert (denn hier finden wir den
historisch bedingten „Gender Gap“), sondern an dem Anteil in der Bevölkerung
(„repräsentative Demokratie“).
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Dass der „Preis“ für die Durchsetzung der Gleichberechtigung angesichts der
betroffenen Verfassungsgüter „zu hoch“ ausfallen könnte, wie in der Literatur
vereinzelt behauptet, vermag angesichts des engen Zusammenhangs mit dem
allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 und dem
Grundsatz der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG sowie dem menschenrechtlichen
Gehalt des Grundsatzes der Gleichberechtigung der Geschlechter und angesichts
der
dadurch
zum
Ausdruck
kommende
hohen
Wertigkeit
des
Gleichberechtigungsgebots nicht zu überzeugen.
Diese Betrachtung lässt sich zudem auf die Rechtsprechung des EuGH zum
Gleichberechtigungsgrundsatz („allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts“)
und die Wertungen der Europäischen Grundrechtecharta (GRC) stützen. Nach Art. 23
Abs. 1 GRC ist die Gleichheit von Männern und Frauen „in allen Bereichen“
sicherzustellen. Art. 23 Abs. 1 GRC reklamiert damit einen umfassenden
Geltungsanspruch
für
die
Geschlechtergleichheit
in
allen
Lebensbereichen.
Ergänzend stellt Abs. 2 die generelle Zulässigkeit spezifischer Vergünstigungen für
das
benachteiligte
Geschlecht
klar,
so
dass
im
Hinblick
auf
derartige
Vergünstigungen – je nach Lesart – entweder bereits der Tatbestand des Verstoßes
gegen das Gleichheitsgebot zu Lasten des bislang bevorzugten Geschlechts entfällt
oder aber ein entsprechender Rechtfertigungsgrund vorliegt.
Schon dies spricht für die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.
Öffnungsklausel: Gleichwohl erscheint mir eine Öffnungsklausel unter dem Aspekt
der mangelnden Realisierbarkeit der Quoten für den (untypischen) Fall geboten,
dass sich tatsächlich einmal nicht genügend Frauen zur Wahl stellen sollten. Aus
Gründen der Verhältnismäßigkeit kann ein Abweichen von der Quotierung
zugunsten des überrepräsentierte Geschlechts – also zugunsten von Männern - in
Ausnahmefällen daher zulässig sein, da letztlich nichts Unmögliches gefordert
werden kann („Ausnahmeklausel“). Eine entsprechend ausgestaltete23 gesetzlich
verpflichtende
Quotenregelung
entspräche
somit
dem
Grundsatz
der
Verhältnismäßigkeit.
All diese Überlegungen gelten im Übrigen auch für die verfassungsrechtliche
Bewertung einer gesetzlichen Paritätsregelung in Bezug auf Wahlkreise.
23
Insofern müsste die Partei darlegen und nachweisen, in einem offenen und transparenten Verfahren keine
Kandidatin gefunden zu haben, vgl. zum Maßstab EGMR (Große Kammer), Gutachten vom 12.02.2008, NJW
2009, 2109 LS 5 und 2111 Rn. 49.
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Eine
gesetzliche
Quotenregelung
erscheint
angesichts
der
seit
63
Jahren
andauernden Unterrepräsentanz von Frauen in den Parlamenten (den Regierungen,
politischen Gremien, Kommissionen und Institutionen) vor dem oben dargelegten
verfassungsrechtlichen Hintergrund auch geboten, um endlich verfassungsmäßige
Zustände herzustellen.
Oder, mit den Worten der Verfassungs- und Familienrechtlerin Dr. jur. Elisabeth
Selbert (1981), die als SPD-Abgeordnete im Parlamentarischen Rat 1948/49
entscheidend war für die Formulierung und Aufnahme von Art. 3 Abs. 2 GG a.F. in
das Grundgesetz:
„Die mangelnde Heranziehung von Frauen zu öffentlichen Ämtern und ihre
geringe Beteiligung in den Parlamenten ist doch schlicht Verfassungsbruch in
Permananz.“
IV.
IV. Ist eine Differenz der Anzahl von Männern und Frauen in Parlamenten ein
Verstoß gegen den Grundsatz der repräsentativen Demokratie?
Grundsätzlich ja. Ich verweise auf meine Ausführungen oben zu A. IV. 1.
Das grundgesetzliche Demokratiekonzept der repräsentativen parlamentarischen
Demokratie i. S. von Art. 20, 21 und 38 GG setzt die effektive, gleichberechtigte
demokratische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger voraussetzt.
Das Grundgesetz hat das Gebot der gleichberechtigten demokratischen Teilhabe
von Frauen und Männern in Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Art. 21 Abs. 1 S. 3 und Art. 3 Abs.
2 GG verankert. Insoweit gilt es den Anteil der Frauen und Männer in den
Parlamenten auf einen für das „Wahlvolk“ repräsentativen Anteil zu erhöhen.
Dies schließt geringfügige Abweichungen zugunsten des einen oder anderen
Geschlechts nicht aus, insbesondere dann, wenn sich tatsächlich keine ausreichende
Anzahl an Kandidatinnen oder Kandidaten hat finden lassen („Öffnungsklausel“ s. o.
B. III.)
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C. Schlussbemerkung
„Gendergerechte Demokratie“ ist angesichts der bestehenden Defizite bereits seit
langem Thema in der EU und den Mitgliedstaaten. Um den Frauenanteil in den
Parlamenten zu erhöhen, haben bereits verschiedene Mitgliedstaaten gesetzliche
Quotenregelungen eingeführt. Dabei geht es weniger um die „soziale“ als mehr um
die rechtsstaatliche Dimension demokratischer Partizipation.
In Deutschland wurde die Diskussion über eine „gendergerechte Demokratie“
bislang vernachlässigt. Daher werden für die weitere Diskussion von der EnqueteKommission wichtige Impulse ausgehen. Der Landtag Rheinland-Pfalz könnte hier
eine rechtspolitische Vorreiterstellung in Deutschland einnehmen.
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