Gesundheit von Frauen stärker in den Mittelpunkt rücken Die Frauenbewegung der sechziger und siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hat die Selbstbestimmung der Frau und ihres Körpers in den Mittelpunkt ihres Interesses aber auch in das Zentrum der entsprechenden Forschung gerückt. Schwerpunkte waren dabei Sexualität, Verhütung, Schwangerschaft und Geburt. Erst seit den achtziger Jahren rückt auch die Tatsache, dass es spezifische Anforderungen von Frauen an die Medizin und das Gesundheitssystem gibt, stärker in das Bewusstsein. Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen betreffen die Organe, den Hormonhaushalt, den körperlichen Rhythmus, die Körperwahrnehmung, die eigene Einstellung zum Körper sowie unterschiedliche Lebensläufe von Männern und Frauen. Gleichzeitig beobachten wir ein deutlich anderes Gesundheitsbewusstsein von Frauen als von Männern. Als Folge verzeichnen wir insbesondere 1. eine unterschiedliche Inanspruchnahme des medizinischen Versorgungssystems und 2. ein unterschiedliches Auftreten und einen unterschiedlichen Verlauf von Erkrankungen. Es wird immer deutlicher, dass die derzeitige gesundheitliche Versorgung und Förderung die spezifisch weiblichen Bedürfnisse nur unzureichend wahrnimmt. Dabei treten Probleme weniger bei den frauenspezifischen oder -typischen Erkrankungen auf. Sie zeigen sich vielmehr besonders bei den Erkrankungen, die Frauen und Männer gleichermaßen betreffen. Erschwerend kommt dabei hinzu, dass viele Zusammenhänge zwischen Geschlecht und Gesundheit bisher noch unerforscht sind. In diesem Zusammenhang ist positiv zu vermerken, dass mit der Landesgesundheitsberichterstattung NRW im Jahre 2001 zum ersten Mal die gesundheitliche Lage, Versorgung und Risiken von Männern und Frauen betrachtet wurden. Gleiche Erkrankungen - unterschiedliche Auswirkungen a) medizinische Faktoren Die unterschiedlichen Auswirkungen gleicher Erkrankungen bei Männern und Frauen lassen sich an verschiedenen Beispielen deutlich machen. Ein besonders markantes Beispiel sind Herz- und Kreislauferkrankungen. Der Verlauf eines Herzinfarktes ist bei 2 Männern und Frauen aufgrund anderer Symptome sehr unterschiedlich. Aufgrund anderer körperlicher Beschwerden werden Herzinfarkte bei Frauen oft später erkannt als bei Männern. Eine amerikanische Studie belegt darüber hinaus, dass bei Frauen unter 50 Jahren eine deutlich höhere Sterblichkeit zu verzeichnen ist als bei Männern. Andere Untersuchungen belegen, dass die Phase der ersten Kontaktaufnahme mit einem Arzt vor allen Dingen bei älteren, alleinstehenden und nicht so mobilen Frauen besonders spät erfolgt. Dieses Beispiel belegt, wie wichtig es ist, Medikamente auf die unterschiedlichen Bedürfnisse von Männern und Frauen abzustimmen. Dabei muss die häufig unterschiedliche Wirkung bei den Geschlechtern beachtet werden. So bauen etwa Frauen, die die Pille nehmen, den Scherzmittelwirkstoff Paracetamol schneller ab als andere. Obwohl es hierfür mehrere Beispiele gibt, werden viele Medikamente nach wie vor nur an Männern getestet. Auch in den Beipackzetteln der meisten Medikamente wird kein Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Patienten gemacht. b) psycho-soziale Faktoren Zusätzlich zu den genannten rein medizinischen Faktoren muss eine effektive geschlechtsspezifische Gesundheitsforschung das Blickfeld erweitern für alle Faktoren, die die Gesundheit von Frauen beeinflussen. Es muss die gesamte Lebenssituation in den Blick genommen werden. Die soziale Lage, die wirtschaftliche Situation, die Arbeitsbedingungen haben eben auch Auswirkungen auf die Gesundheit. Weiterhin spielt die jeweilige Lebensphase bzw. das jeweilige Lebensalter eine wichtige Rolle. Zu den Belastungen, denen insbesondere Frauen ausgesetzt sind und die eindeutige gesundheitliche Konsequenzen nach sich ziehen können, gehört die Versorgung der Kinder und nicht zuletzt die Pflege von Angehörigen. Viele Pflegebedürftige werden in ihrer vertrauten Umgebung gepflegt – eine Aufgabe, die jährliche enorme Summen einspart, den Pflegenden aber nur wenig Anerkennung einbringt. Die Pflegeversicherung hat hier bedeutende Entlastungen und Anerkennungen, gerade auch in finanzieller Hinsicht, gebracht. Ein Ausbau dieser Unterstützung ist aber dringend wünschenswert. 3 Nicht zuletzt als Konsequenz aus der häufig extrem starken Belastung muss man feststellen, dass Frauen deutlich häufiger als Männer Psychopharmaka verschrieben bekommen. Als eine der Folgen hiervon sind Frauen, die einen generell höheren Medikamentenkonsum als Männer haben, auch vermehrt medikamentensüchtig. "Männer werden in erster Linie organisch behandelt, während Ärzte bei Frauen eher psychische Defizite als Ursache von Krankheitsanzeichen vermuten." (Dr. Monika Weber, Bad Salzuflen) Gleichzeitig treten gehäuft Essstörungen auf – nicht nur ein Resultat der häufig extremen Belastungen sondern auch des durch die Medien beeinflussten Wunschbildes von Frauen heute. Auch die Gesundheit hat zwei Geschlechter Unser Gesundheitssystem muss sich mehr an den Bedürfnissen von Frauen ausrichten Insgesamt lässt sich also feststellen: Die Gesundheit von Frauen muss stärker in den Mittelpunkt gerückt werden. Daher werden die Fraktionen im Landtag und im Bundestag aufgefordert, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten für die Umsetzung folgender dringend notwendiger Maßnahmen einzusetzen: 1. Medikamente, die für die Bekämpfung von Krankheiten eingesetzt werden sollen, die sowohl Frauen als auch Männer betreffen können, müssen künftig an beiden Geschlechtern erprobt werden. Eventuelle unterschiedliche Wirkungsweisen sind im Beipackzettel zu vermerken. 2. Bei den angebotenen Rehabilitationsmaßnahmen muss der Gender-Aspekt in den Mittelpunkt genommen werden. Die bisherigen Reha-Maßnahmen sind in ihrer Mehrheit auf Bedürfnisse von Männern zugeschnitten. Hier ist ein generelles Umdenken gefordert, damit auch Mütter mit Kindern eine Chance haben, diese mit in eine Reha zu nehmen. 3. Mütter-Kind-Maßnahmen müssen auch in Zukunft eine Vollfinanzierung durch die entsprechenden Kassen erhalten. Diese Maßnahmen sind dringend notwendig zur Stabilisierung der Mütter, um Kräfte zu sammeln und anschließend der familiären Situation besser gewachsen zu sein. 4. Ein kontrolliertes, qualitätsgesichertes Mammographie-Screening-Programm, wie bereits in den Niederlanden, Schweden und Großbritannien vorhanden, in NRW 4 aufzubauen, um die hohe Zahl unnötiger Biopsien und Brustoperationen zu senken. 5. Die landesweite Einführung eines zentralen, epidemiologischen Registers für alle Arten von Krebs voranzutreiben, um dadurch neue Erkenntnisse betreffs Risikofaktoren, Prävention, Diagnose und Therapie zu gewinnen. 6. Die Forschung über die Auswirkungen der sozialen Situation und der verschiedenen Lebensbedingungen von Frauen auf deren Gesundheit muss intensiviert werden. Es darf sich nicht nur alleine auf die Behandlung und die Heilung einzelner Krankheiten konzentriert werden. Nur wenn es – auch mit Hilfe staatlicher Fördermittel – gelingt, die Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Lebenslagen von Frauen und deren Auswirkungen auf die Gesundheit vollständig zu erforschen wird eine angemessenes frauenspezifisches Gesundheitsangebot aufzubauen sein.