16.03.2011 Heinz Lippuner, lic. phil. Klinische Psychologie und Psychotherapie FSP Zentrum für Spielsucht und andere Verhaltenssüchte Süchtige Sammler und „Messies“ Definitionen, Früherkennung, Behandlung Ein „Cleanie“ ? 1 © Heinz Lippuner. Weiterverwendung nur für den persönlichen Bedarf. 16.03.2011 Ein „Messie“ ? Ein „ „? 2 © Heinz Lippuner. Weiterverwendung nur für den persönlichen Bedarf. 16.03.2011 • Unordentlichkeit bis zur Geruchsbelästigung und zu hygienischen Problemen • Zwanghaftes Horten (Sammeln) wertloser und verbrauchter Dinge • Zeitmanagementprobleme bis zur extremen Unpünktlichkeit • Ungeöffnete Post • Eingeschränktes Sozialverhalten durch die Nicht- oder nur eingeschränkte Benutzbarkeit der Wohnung / des Hauses • Hilflosigkeit / Panik bei Aufräumen unter äusserem oder innerem Druck Definition „Messie“-Syndrom Pritz et al. 2007 • Messie – Verhalten als (Begleit)-Symptom einer zugrunde liegenden psychischen Erkrankung / Störung • Messie – Verhalten, chronisch und in mässiger Ausprägung als ausschliessliches Symptom. Desorganisationsproblematik in Raum, Zeit und sozialen Beziehungen • Messie – Sein als Lebensstil. Keiner oder sehr geringer Leidensdruck. Keine anderen psychopathologischen Auffälligkeiten. Der „Messie“ – Formenkreis Pritz et al. 2007 3 © Heinz Lippuner. Weiterverwendung nur für den persönlichen Bedarf. 16.03.2011 • • • • • • Depression Zwangsstörung/Zwangsspektrumsstörung Kaufsucht Angststörungen/Soziale Phobie Suchterkrankungen Persönlichkeitsstörungen (v.a. ängstliche und emotional instabile) • Psychosen Liste komorbider psychischer Störungen Organisations - Defizit - Störung (ODS) A. Barocka 2009; in Pritz et al. 2009 Desorganisationsprobleme G. Steins 2003 Vermüllungssyndrom P. Dettmering/R. Pastenaci 2004 Diogenes-Syndrom J. Klosterkötter/U.H. Peters 1985 Andere Bezeichnungen, und /oder andere Konzepte ? 4 © Heinz Lippuner. Weiterverwendung nur für den persönlichen Bedarf. 16.03.2011 Diogenes-Syndrom J. Klosterkötter, U. H. Peters, 1985 Vernachlässigung des persönlichen Lebensraumes und Auftreten eines Sammeltriebes schamlose „Vernachlässigung des Körpers“ sozialer Rückzug und Abwehr von Hilfe Häufung beim weiblichen Geschlecht überwiegend jenseits des 60. Lebensjahres primär persönliche Selbst-Isolationstendenzen Procrastination + Compulsive Hoarding = „Messie“ Kein neuer Ansatz notwendig ? 5 © Heinz Lippuner. Weiterverwendung nur für den persönlichen Bedarf. 16.03.2011 6 © Heinz Lippuner. Weiterverwendung nur für den persönlichen Bedarf. 16.03.2011 • Die sichtbarsten Schwierigkeiten und Symptome der Betroffenen sind, handeln zu wollen und doch nicht zu handeln, aufräumen zu wollen und es doch zu lassen; • Termine und Fristen einhalten zu wollen und doch zu versäumen; • Sucht, zwanghaft und grenzenlos zu sammeln, zu kaufen und sich nicht oder nur sehr schwer vom Gesammelten zu trennen; • Sucht, sich mit Arbeit, mit Essen, mit Fernsehen, mit Telefonieren zwanghaft vollzustopfen oder zu betäuben. Diagnostische Überlegungen im Therapieverlauf nach R. Rehberger, 2007 • • • • • • • • Schwierigkeiten, das Therapiesetting einzuhalten Schwer zu beendigende Therapiesitzungen Ungeordnete Notizen (mitbringen bzw. erstellen) Häufige Kontaktnahmen zwischen den Sitzungen Sprunghaftes Erzählen und Kleben an Details Idealisierung der empathischen Therapeutenperson Ablehnung von konfrontierenden Interventionen Unterwerfung und Rebellion in schneller Folge Aspekte der Therapiebeziehung 7 © Heinz Lippuner. Weiterverwendung nur für den persönlichen Bedarf. 16.03.2011 „Selbstberichte zeigen, dass sie oftmals aus der Tatsache, dass sie anders sind als andere für sich positive Attribute ableiten. So halten sie sich für kreativ, weil sie eben viele Ideen haben und für nette, liebe Menschen, weil sie ein hohes Bedürfnis nach sozialer Anerkennung verspüren“ Gisela Steins, 2003 Sekundärer Krankheitsgewinn Man kann Dinge sammeln oder sich sammeln. So verschieden ist das nicht. Es geht darum, etwas Vertrautes zusammenzuführen. Walter Benjamin schreibt, der Sammler nehme „den Kampf gegen die Zerstreuung auf.“ Alle mir besser bekannten Messies sagten, „eigentlich“ seien sie Sammler. Da sie aber statt einer Sammlung eher ein „Sammelsurium“ besitzen, reden sie „eigentlich“ über ihre Innere Sammlung. „Eigentlich bin ich ganz anders, nur komme ich selten dazu.“ (Ö. v. Horvath) 8 © Heinz Lippuner. Weiterverwendung nur für den persönlichen Bedarf. 16.03.2011 Die „Messie“-Wohnung ist nicht präsentabel, aber sie repräsentiert, und zwar Innenraum. Die wie Trophäen und Denkmäler aufgegebener Absichten und Pläne herumliegenden Objekte sind noch nicht gesammelte/integrierte Erfahrungen und Selbstbilder. Sie werden so „aufgehoben“, „gehalten“ und versorgt, wie der „Messie“ es gebraucht hätte, versorgt zu werden, als er klein und machtlos war. Der Messie betreibt Selbsthilfe mit „Objekten“. „Das sind keine Dinge, das sind Freunde“, oder „das hiesse, ein Stück von mir wegwerfen“. Wird ein solcher Lösungsweg chronisch, nimmt er Suchtcharakter an, bahnt er einem narzisstischen, einem schizoiden Rückzug den Weg, es wird zunehmend schwerer, sich dem lebendigen Anderen, dem „Lebensspender“ (N. Symington, 1997) zu öffnen. 9 © Heinz Lippuner. Weiterverwendung nur für den persönlichen Bedarf. 16.03.2011 Die Kontrolle, die bei Dingen effektiver erscheint, mag eine Weile stabilisieren, letztlich hat sich das Individuum aber unbelebten Objekten überlassen, und arbeitet mit einem Mechanismus, der zur Psychodynamik jeder Sucht gehört. Irgendwann sind dann die Dinge genau so enttäuschend und „traumatisierend“ wie die ursprünglichen menschlichen Objekte, die den Betroffenen so hilflos machten, beschämten und „zerstreut“ sein liessen Der riesige Widerstand des“ Messies“, sich die Wohnung durch Helfer – und seien die noch so freundlich gesinnt – aufräumen zu lassen, ist nur zu verständlich, denn ihm wird die Hoffnung geraubt, seinen intrapsychischen Zustand selber wieder ordnen zu können. 10 © Heinz Lippuner. Weiterverwendung nur für den persönlichen Bedarf. 16.03.2011 „Messies weigern sich, die Dinge nur nach ihrem Nutzen zu beurteilen, sie machen sie zu Wertgegenständen – unabhängig davon, ob sie für andere Menschen oder auf Grundlage gesellschaftlicher Konventionen einen Wert haben. (...) „Messies“, Lieblinge der Medien Sie meinen mit den Dingen sich selbst – identifizieren sich mit dem Wert, den sie geben können und geben sich selbst damit einen neuen Wert. So finden sie Ausdruck für ihre persönliche und einzigartige Art, in dieser Welt zu leben und sie zu begreifen. (...) Die Messies demonstrieren an den Dingen jene Umgangsweise, der sie sich als Menschen ausgesetzt fühlen. Sie erleben sich selbst als x-beliebig, austauschbar, nicht in ihrer Einzigartigkeit wahrgenommen, vom Wegwerfen, Aussortieren bedroht, leicht ersetzbar durch andere, modernere. (...) 11 © Heinz Lippuner. Weiterverwendung nur für den persönlichen Bedarf. 16.03.2011 Die Angst davor, selbst verloren zu gehen, projizieren sie auf die Dinge, die sie nicht verlieren wollen. Sie zeigen, dass die Verfügbarkeit heute wichtiger ist als das Wahrnehmen eines unerfüllten Wunsches. Die Ersatzbefriedigung wird dem Erleben der Sehnsucht vorgezogen.“ (Pritz et al., 2009) Echte Sammler und süchtige Sammler 12 © Heinz Lippuner. Weiterverwendung nur für den persönlichen Bedarf. 16.03.2011 „1) Sammeln ist die Suche nach und das Auswählen, Zusammentragen und Aufbewahren von Objekten, die für den Sammler einen subjektiven Wert besitzen, sowie der Versuch ihrer Komplettierung. Die Ansammlung z.B. von Wissen als immaterielles und damit nicht sicher verfügbares Gut stellt kein Sammeln im engeren Sinne dar. 2) Sammeln ist systematisch und beschränkt sich in aller Regel auf ein definier- und abgrenzbares Gebiet bzw. Thema, das z.B. in Auktionskatalogen oder über bereits bestehende andere Sammlungen umrissen ist. 3) Es ist umfassend und in die Tiefe gehend, d.h. es greift auf Sekundärliteratur und Hintergrundinformationen zurück. 4) Sammeln hat den betroffenen in seiner höchsten Ausprägung als emotionales, leidenschaftliches Engagement mit allen Sinnen zu erfassen. 5) Es stellt weiterhin ein in der Zeit relativ konstantes Verhalten und keine nur kurzfristige Laune oder Mode dar.“ Peter Subkowski, 2004 13 © Heinz Lippuner. Weiterverwendung nur für den persönlichen Bedarf. 16.03.2011 „Das wichtigste Stück einer Sammlung ist immer das das fehlt.“ Philipp Blom, 2004 „Die Objekte einer Sammlung sind als Ersatz für menschliche Nähe und Berührung gedacht, die nicht verfügbar waren, als das Kleinkind ihrer bedurfte.“ „Die Objekte, an denen ihr Herz hängt, sind unbelebter Ersatz für Fürsorge und Schutz. Was vielleicht noch aufschlussreicher ist: Sowohl dem Sammler wie der Welt beweisen diese Objekte, dass er etwas besonderes und ihrer wert ist.“ Münsterberger, 1995 14 © Heinz Lippuner. Weiterverwendung nur für den persönlichen Bedarf.